Lassie und die Halbbrüder - Elizabeth Gaskell - E-Book

Lassie und die Halbbrüder E-Book

Elizabeth Gaskell

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Beschreibung

Ein Junge wächst im kargen nordenglischen Cumberland an der Seite seines älteren Halbbruders Gregory auf, der mit seiner Stieffamilie nie so recht warm wird. Die Mutter der beiden Jungen hat Gregory vor ihrem frühen Tod das Versprechen abgenommen, sich um den Jüngeren zu kümmern, doch die Entfremdung der beiden wächst. Gregory wird Schäfer und zieht sich ins Moor zurück. Als der jüngere Bruder sich bei einem Schneesturm verirrt und zu erfrieren droht, kommt es ganz auf Gregory und seine Hündin Lassie an. Eine spannende Erzählung und zugleich die Geburtsstunde des Mythos »Lassie«.

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Seitenzahl: 46

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Elizabeth Gaskell

Lassie und die Halbbrüder

Aus dem Englischen übersetzt, illustriert und mit einem Nachwort von Jasmin Schreiber

Reclam

Englischer Originaltitel:The Half-Brothers (1859 erstmals erschienen)

 

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist ausgeschlossen.

 

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962334

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverillustration: Jasmin Schreiber

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962334-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011482-7

www.reclam.de

Inhalt

Lassie und die Halbbrüder

Nachwort

Über Jasmin Schreiber

Lassie und die Halbbrüder

Meine Mutter war zwei Mal verheiratet. Sie sprach nie über ihren ersten Mann, und das Wenige, das ich über ihn weiß, habe ich nur von anderen Leuten gehört. Ich glaube, sie war gerade erst siebzehn, als sie ihn heiratete, und er kaum einundzwanzig. Er pachtete eine kleine Farm oben in Cumberland, irgendwo an der Küste; aber vielleicht war er zu jung und unerfahren, um die Verantwortung für Land und Vieh zu tragen. Seine Geschäfte florierten jedenfalls nicht, er erkrankte und starb noch vor dem dritten Jahr ihrer Ehe an Schwindsucht. Meine Mutter Helen war nun eine junge Witwe von zwanzig Jahren – mit einem Kind, das gerade erst laufen gelernt hatte, und einem Hof, dessen Pacht noch vier Jahre lief und auf dem die Hälfte des Viehs verendet oder nach und nach verkauft worden war, um die dringendsten Schulden zu bezahlen.

Es war kein Geld da, um neue Tiere zu kaufen oder auch nur Vorräte für den täglichen Bedarf zu erwerben. Auch war ein weiteres Kind auf dem Weg; ich denke, meine Mutter dachte mit Trauer und Sorge daran. Es muss ein trostloser Winter gewesen sein, den sie in ihrer einsamen Behausung verbrachte, ohne eine Menschenseele weit und breit. Ihre Schwester kam, um ihr Gesellschaft zu leisten, und die beiden planten und rechneten, wie sie mit jedem Penny, den sie aufbringen konnten, so lange wie möglich auskommen könnten.

Ich kann nicht sagen, wie es kam, dass meine kleine Schwester, die ich nie kennengelernt habe, krank wurde und starb; doch als wäre das Maß meiner armen Mutter nicht schon voll genug gewesen, erkrankte das kleine Mädchen nur vierzehn Tage vor Gregorys Geburt an Scharlach und war nach einer Woche tot. Ich glaube, meine Mutter war einfach nur betäubt von diesem letzten Schlag. Tante Fanny hat mir erzählt, dass sie nicht einmal geweint habe, obwohl meine Tante froh darüber gewesen wäre. Doch meine Mutter saß wohl nur da, hielt die Hand des armen kleinen Mädchens und blickte in sein hübsches, blasses und totes Gesicht, ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Und auch, als sie das Kind abholten, um es zu beerdigen, war es nicht anders. Meine Mutter küsste das Kind und setzte sich auf die Fensterbank, um die kleine, schwarze Prozession von Menschen – Nachbarn, meine Tante, ein entfernter Cousin, was alle Freunde gewesen waren, die sie hatten auftreiben können – dabei zu beobachten, wie diese sich durch den Schnee schlängelte, welcher sich in der Nacht zuvor in einer dünnen Schicht übers Land gelegt hatte. Als meine Tante von der Beerdigung zurückkam, fand sie ihre Schwester an der gleichen Stelle, ihre Augen so trocken wie zuvor.

So machte meine Mutter weiter bis zu Gregorys Geburt. Und irgendwie schien seine Ankunft ihre Tränen zu lösen, denn zur Bestürzung meiner Tante und anderer Beobachter weinte sie nun Tag und Nacht. Hätten sie gewusst wie, hätten sie ihre Tränen sicher gestillt. Aber meine Mutter sagte, man solle sie in Ruhe lassen und sich nicht zu sehr darüber ängstigen, denn jede Träne, die sie vergieße, beruhige ihr Gemüt, welches sich ja in einem schrecklichen Zustand befunden hatte, bevor sie in der Lage war zu weinen.

Danach sah es so aus, als ob sie an nichts anderes mehr dächte als an ihr neues kleines Baby; an ihren Mann oder ihre kleine Tochter, die tot auf dem Kirchhof von Brigham lag, schien sie sich kaum zu erinnern – zumindest sagte das Tante Fanny. Doch während diese sehr gesprächig war, war meine Mutter von Natur aus sehr schweigsam. Und deshalb glaube ich, dass Fanny sich geirrt hat, als sie annahm, dass meine Mutter nie an ihren Mann und ihr Kind dachte, nur weil sie nie über sie sprach.

Tante Fanny war älter als meine Mutter und hatte die Angewohnheit, diese wie ein Kind zu behandeln; abseits davon war sie jedoch ein freundliches, warmherziges Wesen, dem mehr am Wohlergehen ihrer Schwester lag als an ihrem eigenen. Sie lebten hauptsächlich von ihrem wenigen Geld und von dem, was die beiden durch ihre Arbeit für die großen Glasgower Textilhändler verdienen konnten. Doch nach und nach versagte die Sehkraft meiner Mutter. Es war nicht so, dass sie völlig blind war, denn sie sah noch genug, um sich durch das Haus zu bewegen und dort eine Menge Tätigkeiten zu verrichten; doch sie konnte kein Geld mehr mit filigranen Näharbeiten verdienen. Es musste mit dem vielen Weinen damals zusammenhängen, denn sie war noch ein junges Geschöpf – und, wie ich gehört habe, die hübscheste junge Frau in der Gegend.

Dass sie kein Geld mehr verdienen konnte, um für sich und ihr Kind zu sorgen, nahm sie sich schwer zu Herzen. Meine Tante Fanny hätte sie gerne davon überzeugt, dass sie doch sowieso genug