Sechs Wochen in Heppenheim - Elizabeth Gaskell - E-Book

Sechs Wochen in Heppenheim E-Book

Elizabeth Gaskell

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Beschreibung

Ein florierender Gasthof inmitten malerischer Weinberge ist der Ort, an dem sich drei sehr verschiedene Charaktere begegnen: ein unbedarfter Wanderer aus England, der sich die Welt ansehen will, bevor ihn der Ernst des Lebens ergreift, der tüchtige Wirt, der unter seiner rauen Schale einen weichen Kern besitzt, und eine schweigsame junge Bedienstete, die durch nichts aus der Ruhe zu bringen ist – außer durch den geheimnisvollen Brief, den sie immer wieder unter Tränen liest, wenn sie sich unbeobachtet fühlt. --- Elizabeth Gaskell inszeniert die romantische Kurzgeschichte »Sechs Wochen in Heppenheim« vor der idyllischen Kulisse der Weinlese an der deutschen Bergstraße. Der Leser des 21. Jahrhunderts wird in eine Zeit entführt, in der die Uhren noch langsamer gingen und in der das Alltägliche und das Essenzielle noch offensichtlicher miteinander verflochten waren.

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Elizabeth Gaskell (1810 – 1865) war eine englische Schriftstellerin der Viktorianischen Ära. Sie schrieb fünf Romane, eine Reihe von Kurzgeschichten und eine Biografie ihrer Freundin Charlotte Brontë. In Großbritannien erfreuen sich ihre Werke nach wie vor großer Beliebtheit und einige davon wurden von der BBC verfilmt. Im deutschsprachigen Raum ist Gaskell weitaus weniger bekannt, da noch nicht alle ihre Veröffentlichungen auf Deutsch erhältlich sind.

Christina Neth, Übersetzerin mit Zusatzausbildung im Multimediabereich, war bereits in verschiedenen mittelständischen Unternehmen in Deutschland im Marketing tätig. Von Elizabeth Gaskell übersetzte sie bisher den Roman »North and South« (als »Norden und Süden«) ins Deutsche. Ihr erstes selbst verfasstes Sachbuch erschien unter dem Titel »Öl im Getriebe – Basiswissen für Führungskräfte« ebenfalls bei Books on Demand.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Sechs Wochen in Heppenheim

Schauplatz der Geschichte: Der Gasthof »Halber Mond« in Heppenheim

Heppenheim, die romantische Kreis-, Wein- und Festspielstadt an der Bergstraße

Quellenverzeichnis

Verzeichnis der Anmerkunge

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

Elizabeth Gaskell schrieb außer fünf Romanen auch eine Reihe von Kurzgeschichten. Manche davon verfolgen eher den Zweck der Vermittlung christlicher Werte, andere mehr jenen der Unterhaltung. »Sechs Wochen in Heppenheim« ist sehr unterhaltsam und lässt ganz nebenbei durchblicken, worauf wir nach Meinung der Verfasserin hören sollten: auf die Stimme unseres Herzens.

Wie kommt es nun, dass diese Geschichte aus der Feder einer viktorianischen Autorin an der deutschen Bergstraße spielt? Elizabeth Gaskell reiste sehr gern, und wenn es ihr Budget erlaubte, ging sie ins europäische Ausland. Zudem waren Bildungsreisen damals unter jenen, die es sich leisten konnten, in Mode. Heidelberg und den Odenwald besuchte Gaskell mehr als einmal, was ihre Ortskenntnis und ihr Wissen über deutsche Sitten erklärt. Wie liebevoll sie die Charaktere und die Landschaft beschreibt, lässt uns erahnen, dass ihr diese Gegend sehr ans Herz gewachsen sein muss.

In Deutschland hatte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Novelle als Erzählform etabliert. Mit »Sechs Wochen in Heppenheim« folgte Gaskell nicht nur dem schriftstellerischen Trend, diese Prosaform zu imitieren, sondern sie schuf auch inhaltlich eine durch und durch deutsche Geschichte.

Da ich im Odenwald aufwuchs und meine Heimat nach wie vor liebe, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich von dieser schönen Erzählung zu einem Urlaub dort inspirieren zu lassen.

Aber zunächst viel Spaß beim Lesen!

Ihre

Christina Neth

Sechs Wochen in Heppenheim

Nachdem ich Oxford verlassen hatte, beschloss ich, einige Monate auf Reisen zu gehen, ehe ich meinen festen Platz im Leben einnehmen würde. Mein Vater hatte mir ein paar tausend Pfund hinterlassen, aus denen sich ein hinreichend großes Einkommen ergeben würde, um alle unerlässlichen Erfordernisse einer Anwaltsausbildung zu bestreiten, wie zum Beispiel eine Unterkunft in einem ruhigen Teil Londons, Gebühren und die Vergütung für den angesehenen Rechtsanwalt, bei dem ich studieren sollte. Aber darüber hinaus würde nicht viel für Luxusgüter oder Vergnügungen übrigbleiben, und da ich beim Verlassen des College ziemlich verschuldet war, weil ich auf meine Einkünfte vorgegriffen hatte, und die Ausgaben meiner Reise aus meinem Vermögen bestritten werden mussten, legte ich fest, dass sie fünfzig Pfund nicht überschreiten sollten. Solange mir diese Summe reichen würde, würde ich im Ausland bleiben; wenn sie ausgegeben sein würde, sollte mein Urlaub zu Ende sein und ich würde zurückkehren und mich irgendwo in der Umgebung des Russell Square niederlassen, um in der Nähe von Mr. Millers Kanzlei in Lincoln's Inn zu sein. Ich musste einen Tag lang in London warten, während mein Pass ausgestellt wurde, und ich sah mir die Straßen, in denen ich zu leben beabsichtigte, genauer an. Ich hatte sie mir nach eingehender Betrachtung eines Stadtplans als vorteilhaft ausgesucht, und das waren sie auch, wenn ich sie rein verstandesmäßig beurteilte. Doch auf jemanden, der auf dem Land aufgewachsen war und der gerade die schöne Straßenarchitektur Oxfords hinter sich gelassen hatte, wirkte ihr Anblick sehr deprimierend. Der Gedanke, auf Jahre hinaus in solch einem eintönigen, grauen Stadtviertel zu leben, verstärkte mein Bestreben, meinen Urlaub dadurch zu verlängern, dass ich jegliche Sparmaßnahme ergreifen würde, die meine fünfzig Pfund würden strecken können. Ich glaubte, es bewerkstelligen zu können, dass sie mir für mindestens hundert Tage reichen würden. Ich war gut zu Fuß und nicht besonders verwöhnt, was Unterkunft oder Verpflegung anging. Meine Deutsch- und Französischkenntnisse waren auf dem höchsten Niveau, das ein Engländer ohne Reiseerfahrung erreichen kann. Und ich war entschlossen, jene teuren Hotels zu meiden, in denen meine Landsleute verkehrten.

Diese Angaben zu meiner eigenen Person habe ich gemacht, um zu erklären, wie ich auf die kleine Geschichte stieß, die ich hier festhalten werde, mit der ich aber nicht viel zu tun hatte – meine Rolle darin war nicht viel mehr als die eines mitfühlenden Zuschauers. Ich war durch Frankreich in die Schweiz gereist, wo ich mich mit dem Wandern übernommen hatte, und ich war auf dem Heimweg, als ich eines Abends zu dem Dorf Heppenheim an der Bergstraße kam. Den ganzen Morgen war ich durch die schmutzige Stadt Worms geschlendert und hatte in einem dreckigen Hotel zu Mittag gegessen; und danach hatte ich den Rhein überquert und war durch Lorsch nach Heppenheim gegangen. Ich war unnatürlich müde und matt, als ich mich die grob gepflasterte und unregelmäßige Dorfstraße zu dem Gasthof, den man mir empfohlen hatte, hinaufschleppte. Es war ein großes Gebäude mit einem grünen Hof davor. Eine grimmig, aber peinlich sauber wirkende Wirtin empfing mich und führte mich in einen großen Raum, in dem ein Esstisch stand, der, obwohl an ihm dreißig bis vierzig Gäste Platz gehabt hätten, nur bis zur Mitte des Speisesaals reichte. An beiden Enden des Saals waren Fenster; zwei davon sahen auf die Hausfront hinaus, auf welcher bereits die Schatten des Abends lagen; eines der beiden gegenüberliegenden war eine Tür, durch die man in einen großen Garten voller beschnittener Obstbäume und Gemüsebeete gelangte, zwischen denen Rosenbüsche und andere Blumen wuchsen – scheinbar, weil man sie gewähren ließ, nicht weil man sie dort gepflanzt hatte. Es stand je ein Ofen an beiden Enden des Saales, der, wie ich vermute, ursprünglich in zwei Räume aufgeteilt gewesen war. Die Tür, zu der ich hereingekommen war, befand sich genau in der Mitte, und ihr gegenüber gab es eine zweite, die zu einem großen Schlafzimmer führte, das mir meine Wirtin als mein Schlafquartier für die Nacht zeigte.

Auch wenn der Ort sehr viel weniger sauber und einladend gewesen wäre, wäre ich dort geblieben; ich war beinahe selbst überrascht über meine Trägheit; sobald ich einmal in den letzten warmen Strahlen der tiefstehenden Sonne am Gartenfenster saß, war mir nicht mehr danach, mich zu regen oder auch nur etwas zu sagen. Meine Wirtin hatte meine Bestellung für das Abendessen aufgenommen und mich dann allein gelassen. Die Sonne ging unter und mich fröstelte. Der riesige Raum sah kalt und kahl aus; die Dunkelheit brachte Schatten hervor, die mich verwirrten, da ich die Gegenstände, welche die Schatten warfen, nicht richtig erkennen konnte, nachdem meine Augen vom Starren in das purpurrote Licht so geblendet worden waren.

Jemand kam herein; es war die Magd, die alles für mein Abendessen vorbereiten sollte. Sie fing an, ein Ende des großen Tisches zu decken. Ganz in meiner Nähe stand ein kleinerer. Ich bot die verbleibende Kraft meiner Stimme auf, die ein wenig klang, als würde sie meiner Kontrolle entgleiten, und rief der Magd zu: »Kann ich an diesem Tisch hier zu Abend essen?«

Sie kam zu mir; das Licht fiel auf sie, während ich im Schatten saß. Sie war eine hochgewachsene junge Frau von feiner, kraftvoller Gestalt mit einem gefälligen Gesicht, das Güte und Vernunft ausdrückte und auch recht anmutig wirkte, obwohl der helle Teint vom Wetter gebräunt und gerötet war, sodass er viel von seiner Zartheit verloren hatte, und obgleich die Gesichtszüge – wie ich später reichlich Gelegenheit zu beobachten hatte – alles andere als ebenmäßig waren. Jedoch hatte sie weiße Zähne und weit geöffnete blaue Augen – ernst wirkende Augen, die Tränen über vergangenen Kummer vergossen hatten – sehr dichtes hellbraunes Haar, das recht kunstvoll geflochten und mit zwei großen silbernen Nadeln hochgesteckt war. Das war alles – vielleicht mehr als alles – was ich an jenem ersten Abend bemerkte. Sie begann, den Tisch dort zu decken, wo ich es angeordnet hatte. Ein Schauer überkam mich. Sie sah mich an und sagte dann: »Dem Herrn ist kalt. Soll ich den Ofen anzünden?«

Etwas irritierte mich – normalerweise bin ich nicht so ungeduldig; es waren die ersten Anzeichen einer ernsten Krankheit. Es missbehagte mir, so viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Ich glaubte, dass mich das Essen wiederherstellen würde, und wollte nicht, dass meine Mahlzeit durch irgend etwas verzögert wurde, was, wie ich fürchtete, durch das Anzünden des Ofens geschehen wäre; vor allem aber empfand ich eine fieberhafte Abneigung gegen Bewegungen. Ich antwortete kurz und scharf: »Nein. Bringen Sie rasch das Essen. Das ist alles, was ich will.«

Ihre ruhigen, traurigen Augen begegneten für einen Moment meinen; aber ich sah keine Veränderung in ihrem Ausdruck, so als ob ich sie mit meiner Unhöflichkeit verärgert hätte: ihre Miene verlor keinen Augenblick lang ihre Ausstrahlung geduldiger Vernunft, und das ist so ziemlich alles, was ich von Thekla an jenem ersten Abend in Heppenheim in Erinnerung behalten habe.

Ich gehe davon aus, dass ich mein Abendessen zu mir nahm oder es jedenfalls versuchte; und ich muss zu Bett gegangen sein, denn Tage später wurde ich mir dessen bewusst, dort zu liegen, schwach wie ein Neugeborenes und mit dem Gefühl, in allen meinen matten Gliedern Schmerzen gehabt zu haben. Wie es der Fall ist, wenn man sich von einem Fieber erholt, hat man keinen Antrieb, die Tatsachen miteinander zu verknüpfen oder gar ihre Ursachen zu ergründen; und so machte ich mir nicht die Mühe, mir ins Gedächtnis zu rufen, wie es kam, dass ich in jenem seltsamen Bett in jenem großen, halb eingerichteten Raum lag, in welchem Haus sich dieser Raum befand, in welcher Stadt oder in welchem Land. Zu dem Zeitpunkt war es für mich sehr viel wichtiger, herauszufinden, welches das bekannte Kraut war, das den sauberen, groben Betttüchern, in denen ich lag, ihren Duft verlieh. Allmählich dehnte ich meine Beobachtungen aus, wobei ich mich ganz auf die Gegenwart beschränkte. Jemand musste sich gut um mich gekümmert haben und auch erst vor kurzem, denn das Fenster war verdunkelt, sodass die Morgensonne daran gehindert wurde, auf das Bett zu scheinen; man hörte das Knistern frischen Feuerholzes in dem großen weißen Kachelofen, der vor nicht allzu langer Zeit aufgefüllt worden sein musste.