Lauras Hoffnung - Barbara Delinsky - E-Book
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Lauras Hoffnung E-Book

Barbara Delinsky

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Beschreibung

Wie kann es weitergehen, wenn dein ganzes Leben eine Lüge war? Der bewegende Roman »Lauras Hoffnung« von Barbara Delinsky jetzt als eBook bei dotbooks. Lauras Leben scheint erfüllt und glücklich: ein treuer Ehemann, zwei bezaubernde Kinder, ein erfolgreiches Restaurant und ein wunderschönes Haus an der Ostküste. Als ihr Mann Jeff plötzlich spurlos verschwindet, ist sie überzeugt, dass er Opfer eines Verbrechens wurde. Doch der Albtraum, der nun über Laura hereinbricht, ist ganz anderer Art: Gegen Jeff wird wegen Steuerbetrugs ermittelt, auch Lauras Vermögen wird nun eingefroren – und noch dazu scheint sie nicht die einzige Frau in Jeffs Leben gewesen zu sein. Während Laura fest entschlossen ist, für das Glück ihrer Kinder und ihr Restaurant zu kämpfen, muss sie sich außerdem den komplizierten Gefühlen für Christian stellen: Jeffs charismatischer Bruder, der immer als schwarzes Schaf der Familie galt – und doch der einzige ist, der Laura nun Halt verleiht … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der berührende Familienroman »Lauras Hoffnung« von Bestsellerautorin Barbara Delinsky wird Fans von Jodi Picoult sowie Nicholas Sparks begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 765

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Über dieses Buch:

Lauras Leben scheint erfüllt und glücklich: ein treuer Ehemann, zwei bezaubernde Kinder, ein erfolgreiches Restaurant und ein wunderschönes Haus an der Ostküste. Als ihr Mann Jeff plötzlich spurlos verschwindet, ist sie überzeugt, dass er Opfer eines Verbrechens wurde. Doch der Albtraum, der nun über Laura hereinbricht, ist ganz anderer Art: Gegen Jeff wird wegen Steuerbetrugs ermittelt, auch Lauras Vermögen wird nun eingefroren – und noch dazu scheint sie nicht die einzige Frau in Jeffs Leben gewesen zu sein. Während Laura fest entschlossen ist, für das Glück ihrer Kinder und ihr Restaurant zu kämpfen, muss sie sich außerdem den komplizierten Gefühlen für Christian stellen: Jeffs charismatischer Bruder, der immer als schwarzes Schaf der Familie galt – und doch der einzige ist, der Laura nun Halt verleiht …

Über die Autorin:

Barbara Delinsky wurde 1945 in Boston geboren und studierte dort Psychologie und Soziologie. Nach der Geburt ihres ersten Sohnes arbeitete sie als Fotografin für den Belmont Herald, erkannte aber bald, dass sie viel lieber die Texte zu ihren Fotos schrieb. Ihr Debütroman wurde auf Anhieb zu einem großen Erfolg. Inzwischen hat Barbara Delinsky über 70 Romane veröffentlicht, die in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden und regelmäßig die New–York–Times–Bestsellerliste stürmen. Sie engagiert sich außerdem sehr stark für Wohltätigkeitsvereine und Aufklärung rund um das Thema Brustkrebs. Barbara Delinsky lebt mit ihrem Mann in New England und hat drei erwachsene Söhne.

Die Website der Autorin: barbaradelinsky.com/

Bei dotbooks veröffentlichte Barbara Delinsky auch ihre Romane:

»Die Schwestern von Star’s End«

»Jennys Geheimnis«

»Das Weingut am Meer«

»Julias Entscheidung«

»Die alte Mühle am Fluss«

»Der alte Leuchtturm am Meer«

»Sturm am Lake Henry«, Die Blake–Schwestern 1

»Der Himmel über Lake Henry«, Die Blake–Schwestern 2

»Heimkehr nach Norwich«

»Das Leuchten der Silberweide«

»Das Licht auf den Wellen«

»Die Frauen Woodley«

»Ein Neuanfang in Casco Bay«

»Im Schatten meiner Schwester«

»Rückkehr nach Monterey«

»Drei Wünsche hast du frei«

»Ein ganzes Leben zwischen uns«

»Jedes Jahr auf Sutters Island«

»Was wir nie vergessen können«

***

eBook–Neuausgabe April 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1991 unter dem Originaltitel »A Woman Betrayed« bei HarperCollins, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1997 unter dem Titel »Das Herz einer betrogenen Frau« bei Droemer Knaur.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1991 by Barbara Delinsky

Published by Arrangement with Barbara Delinsky

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1997 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook–Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-089-9

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Besuchen Sie uns im Internet:

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Barbara Delinsky

Lauras Hoffnung

Roman

Aus dem Amerikanischen von Georgia Sommerfeld

dotbooks.

Wie immerfür Eric, Andrew, Jeremyund ihren Dad

KAPITEL 1

Die Stille war ohrenbetäubend. Laura Frye saß, die Arme um die hochgezogenen Knie geschlungen, im Arbeitszimmer in einer Ecke des Ledersofas und lauschte ihr, Minute um Minute um Minute. Das Rauschen der Heißluft, die aus den Lamellen strömte, vermochte sie nicht zu übertönen, ebensowenig wie das Klatschen, mit dem die Regentropfen gegen die Fensterscheiben prallten, oder das rhythmische Ticken der kleinen Schiffsuhr auf dem Regal hinter dem Schreibtisch.

Es war fünf Uhr früh, und ihr Mann war noch nicht nach Hause gekommen. Er hatte nicht angerufen und ihr auch nichts ausrichten lassen. Seine Zahnbürste war im Bad, sein Rasierapparat, sein Aftershave und das silberne Kamm-Bürste-Set, das Laura ihm im letzten Sommer zum zwanzigsten Hochzeitstag geschenkt hatte. Was den Inhalt seines Schranks betraf, so war der ebenfalls komplett, bis hin zu dem kleinen Rucksack, den er immer mitnahm, wenn er montags, mittwochs und freitags in den Fitneßclub fuhr. Falls er irgendwo anders geschlafen hatte, war er dafür völlig unzureichend ausgestattet, und das sah Jeffrey, wie Laura wußte, ganz und gar nicht ähnlich. Er war ein penibler Mensch, ein Gewohnheitstier. Er verreiste niemals auch nur für eine Nacht ohne frische Unterwäsche, ein sauberes Hemd und ein Stück Deodorantseife.

Außerdem informierte er Laura stets präzise über seine Unternehmungen, und das war der Hauptgrund für ihre jetzige Angst. Sie hatte keine Ahnung, wo er war oder was passiert war.

Nicht, daß sie es sich nicht ausgemalt hätte. Für gewöhnlich neigte Laura nicht zu wilden Spekulationen, doch zehn Stunden Warten hatten ihren Tribut gefordert. Sie stellte sich vor, daß er einen Schlaganfall bekommen hatte und in der menschenleeren Kanzlei von Farro and Frye bewußtlos über seinem Schreibtisch lag. Oder aber daß er auf dem Heimweg einen Unfall gehabt hatte und der Wagen und alles darin bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war oder – in einer anderen Version – daß er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geknallt und dann ausgestiegen war und nun durch den kalten Dezemberregen irrte, ohne zu wissen, wer er war oder wo. Sie war sogar so weit gegangen, sich auszumalen, wie er zum Tanken angehalten hatte und von einem Junkie, der den nahe gelegenen Supermarkt überfallen hatte, als Geisel gehalten wurde.

Die vernünftigeren Erklärungen hatten im Laufe der Nacht an Glaubwürdigkeit verloren. Bei aller Phantasie konnte sie sich nicht vorstellen, daß er bis fünf Uhr früh mit einem Klienten zusammensaß. Vielleicht im April, wenn die Steuerunterlagen eines neuen Klienten sich als chaotisch erwiesen, aber nicht in der ersten Dezemberwoche. Und nicht, ohne ihr Bescheid zu sagen. Er rief sie immer an, wenn er absah, daß es spät wurde. Immer.

Am Abend zuvor waren sie bei einer Ausstellungseröffnung im Museum erwartet worden. Cherries hatte die Veranstaltung als Partyservice betreut. Obwohl eines von Lauras Teams den Abend übernahm, hatte sie den ganzen Nachmittag in der Küche von Cherries gestanden und Champignonköpfe gefüllt, geräucherten Truthahn und Kirschen auf Spieße gesteckt und Lammkoteletts auseinandergehackt. Da jedoch nicht nur das Essen, sondern auch die Tische, die Tabletts und die Bar perfekt sein sollten, war sie dem Lieferwagen zum Museum gefolgt, um die Arrangements zu überwachen.

Als schließlich alles ihren Vorstellungen entsprach, fuhr sie nach Hause, um sich umzuziehen, und Jeff dann mitzunehmen. Doch Jeff war nicht aufgetaucht.

In dem Versuch, gegen die Kälte in ihrem Innern anzukämpfen, drückte sie die Knie noch fester an ihre Brust. Ihr Blick fixierte mit beschwörender Eindringlichkeit das Telefon. Es hatte in dieser Nacht zweimal geklingelt. Das erstemal hatte Elise angerufen, die mit ihrem Mann im Museum war und wissen wollte, warum Laura und Jeff sich nicht hatten blicken lassen. Der zweite Anrufer war Donny gewesen, der Debra sprechen wollte. Es war ein allabendliches Ritual, typisch für verliebte Sechzehnjährige, das wußte Laura – genauso wie sie wußte, daß Ehemänner Anfang der Vierzig, die ihre Frauen immer anriefen, wenn sie später kamen, nur von dieser Gewohnheit abwichen, wenn etwas passiert war. Also hatte sie ein paar Kontrollanrufe gemacht, die ihr jedoch lediglich bestätigten, daß ihr Telefon einwandfrei funktionierte.

Sie wünschte sich inständig, daß es klingelte, daß Jeff anrief und ihr sagte, er habe einen späten Termin mit einem Klienten gehabt und sei auf der Heimfahrt fast am Steuer eingeschlafen, weshalb er an den Straßenrand gefahren sei, um ein Nickerchen zu machen. Natürlich bliebe dann die Frage offen, warum der Polizei sein Wagen nicht aufgefallen war. Hampshire County war keine so abgelegene Gegend, daß es hier keine regelmäßigen Streifenfahrten gegeben hätte, und auch keine so schicke Gegend, daß ein nagelneuer schwarzer Porsche als selbstverständlich angesehen worden und keines zweiten Blickes würdig gewesen wäre – insbesondere, wenn dieser Porsche der einen Hälfte eines prominenten Northamptoner Paars gehörte.

Der Name Frye erschien oft in den Zeitungen – Jeffs im Zusammenhang mit den Steuerseminaren, die er abhielt, und Lauras im Zusammenhang mit Cherries. Mit der Lokalpresse war nicht gut Kirschen essen, wenn es um Etablissements der gehobenen Klasse ging, wozu das Restaurant zweifelsfrei gehörte, aber Laura bewirtete genügend illustre Stammgäste, um regelmäßig Erwähnung zu finden. »Senator DiMento und Gefolge debattierten diese Woche im Cherries bei gedünstetem Gemüse und Salat über ein Abspecken des Budgets«, schrieb Duggan O’Neil von der HAMPSHIRE COUNTY SUN beispielsweise. Duggan O’Neil konnte Leute in der Luft zerreißen und hatte das bei Laura auch schon des öfteren praktiziert, doch Publicity war Publicity, meinte Jeff. Es sei wichtig, daß der Name immer wieder ins Bewußtsein gebracht würde.

Tatsächlich hatte der Polizeibeamte, mit dem Laura einige Zeit zuvor telefoniert hatte, gleich gewußt, mit wem er sprach, und er erinnerte sich auch, daß Jeffs Porsche häufig vor dem Restaurant parkte. Aber die Berichte auf seinem Schreibtisch enthielten keinen Hinweis darauf, daß einer aus dem Revier den schwarzen Porsche in dieser Nacht gesehen hatte.

»Hören Sie, Mrs. Frye«, hatte er gesagt, »weil Sie’s sind, werde ich ein bißchen rumtelefonieren, und wenn Sie mir ein Stück von Ihrem Kirsch-Käse-Kuchen versprechen, rufe ich sogar die Staatspolizei an.« Doch auch seine Telefonate erbrachten nichts, und zu ihrer Empörung weigerte er sich, eine Vermißtenanzeige aufzunehmen, mit den Worten: »Erst, wenn er vierundzwanzig Stunden verschwunden ist.«

»In vierundzwanzig Stunden können die schrecklichsten Dinge passieren!«

»Aber auch gute. Der verlorene Ehemann kann nach Hause kommen.«

Der verlorene Ehemann kann nach Hause kommen. Diese Formulierung ärgerte Laura, enthielt sie doch die Andeutung, daß sie als Ehefrau nichts taugte, als Frau nichts taugte, daß Jeff sich gelangweilt und anderswo Unterhaltung gesucht hatte und zurückkommen würde, wenn er sich genügend amüsiert hätte. Vielleicht verfuhr der Cop in seiner Ehe so, aber für Jeff und Laura Frye galt das nicht. Sie hatten zwanzig gute Jahre miteinander verbracht. Sie liebten sich.

Aber wo war er? Sie stellte sich vor, daß er von einem Anhalter ermordet, von Satanisten entführt, mitsamt seinem Porsche von einem außerirdischen Sternenschiff aufgesaugt worden war. Die Möglichkeiten waren unbegrenzt, jede bizarrer als die vorangegangene. Sie wußte, daß solche Dinge passierten – aber doch nur anderen Menschen. Nicht ihr. Und nicht Jeff. Er war der anständigste, berechenbarste und unbestechlichste Mann, den sie je kennengelernt hatte, und darum war sein Verschwinden absolut unerklärlich.

Sie stand auf und lief barfuß durch das dunkle Wohnzimmer zu dem großen Fenster, das auf die Straße hinausging, zog den Store beiseite und schaute hinaus. Der Wind rüttelte an den Ästen der Tannen und peitschte den Regen über den Plattenweg und gegen die hohe Lampe an seinem Ende.

Wenigstens schneite es nicht. Sie erinnerte sich an Zeiten in den frühen Jahren ihrer Ehe, als sie bei Unwettern mit den Kindern zu Hause saß und darauf wartete, daß Jeff von der Arbeit kam. Damals war er ein frischgebackener amtlich zugelassener Wirtschaftsprüfer gewesen, und sie hatten in einer gemieteten Maisonette-Wohnung gelebt. Laura hatte oft am Fenster gestanden und für die Kinder alle möglichen Figuren auf die Scheiben, die durch ihren Atem beschlagen waren, gemalt. Abend für Abend war Jeff durch den Schnee heimgekommen, zuverlässig wie ein Präzisionsuhrwerk, hatte ihr kaum Zeit gegeben, sich zu sorgen. Jetzt arbeitete er in einem neuen Gebäude in der Stadtmitte, und sie lebten nicht mehr in der Mietwohnung und auch nicht mehr in der verwitterten viktorianischen Villa, sondern in einem eleganten Tudor-Ziegelbau in einer von Bäumen gesäumten Straße, weniger als zehn Autominuten von der Kanzlei entfernt. Man konnte auf dieser Strecke, die keine Tücken hatte, schnell fahren, aber aus irgendeinem unbekannten, beängstigenden Grund hatte er sie heute nicht geschafft.

»Mom?«

Das Wort zerriß die Stille wie ein Peitschenknall. Laura fuhr herum. Debra stand unter dem Mauerbogen, durch den man von der Halle ins Wohnzimmer kam. Ihr Blick war noch ganz verschlafen und ihr Haar zerzaust. Sie trug ein Nachthemd mit einem Aufdruck der Universität von Massachusetts über den Brüsten, die im letzten Jahr einen großen Schritt in Richtung Üppigkeit getan hatten.

Trotz ihres klopfenden Herzens rang Laura sich ein Lächeln ab.

»Hi, Deb.«

Debra klang verdrießlich. »Es ist fünf Uhr, Mom, mitten in der Nacht. Warum bist du auf?«

Unsicher, was sie sagen sollte – ebenso unsicher wie am Abend zuvor, als Debra heimgekommen und Jeff nicht dagewesen war –, fragte sie zurück: »Warum bist du es denn?«

»Weil ich aufwachte und mich an gestern abend erinnerte und anfing, mir Sorgen zu machen. Ich meine, Daddy ist noch nie so lang weggeblieben. Ich habe geträumt, daß etwas Schlimmes passiert ist, und darum wollte ich mich vergewissern, daß der Porsche in der Garage ...« Sie brach ab und sah durch die Dunkelheit hindurch Laura eindringlich an. »Er ist doch da, oder?«

Laura schüttelte den Kopf.

»Wo ist Dad?«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Bist du sicher, daß er nicht angerufen und dir etwas gesagt hat? Vielleicht hast du’s vergessen. Du hast so viel zu tun, daß dir manchmal Dinge einfach entfallen. Oder er hat eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen, und sie ist irgendwie gelöscht worden. Vielleicht übernachtet er bei Nana Lydia.«

Diese Möglichkeit hatte Laura ebenfalls in Betracht gezogen, weshalb sie bei deren Haus vorbeigefahren war, als sie losgezogen war, um Jeff zu suchen. Theoretisch war es denkbar, daß Lydia krank geworden war und ihren Sohn angerufen hatte. Doch wahrscheinlicher war, daß sie Laura angerufen hätte, denn sie war es, die sich in erster Linie um sie kümmerte. Sie war es, die sie mit Lebensmitteln versorgte, sie zum Arzt brachte, für die Putzfrau, den Kammerjäger oder den Klempner sorgte.

»Nein, da ist er nicht, ich war dort.«

»Und im Büro?«

»Dort war ich auch.« Zum Verdruß des Nachtwächters, der um einiges verschlafener aussah als Debra, hatte sie darauf bestanden, in der Garage nach Jeffs Porsche zu schauen, doch sein Platz, ja die gesamte Tiefgarage unter dem Gebäude war leer gewesen.

»Könnte er bei David sein?«

»Nein, den habe ich angerufen.« David Farro war Jeffs Partner, aber ihm war nichts von einer etwaigen späten Besprechung bekannt, die Jeff gehabt haben könnte, ebensowenig wie Jeffs Sekretärin, die um fünf gegangen war, als Jeff noch in seinem Zimmer saß.

»Vielleicht ist er bei einem Klienten?«

»Vielleicht.«

»Aber ihr solltet doch ins Museum gehen. Hätte er nicht angerufen, wenn ihm etwas dazwischengekommen wäre?«

»Doch, ich denke schon.«

»Vielleicht ist was mit dem Telefon.«

»Nein.«

»Vielleicht hatte er Ärger mit dem Wagen.«

Dann hätte er angerufen, das wußte Laura, oder er hätte anrufen lassen. Oder die Polizei hätte ihn bemerkt und angerufen.

»Wo ist er dann?«

Laura war entsetzt über ihre eigene Hilflosigkeit. »Ich weiß es nicht.«

»Irgendwo muß er doch sein!«

Laura verschränkte die Arme vor der Brust. »Hast du irgendwelche Ideen?«

»Ich?« entgegnete Debra scharf. »Was weiß ich denn schon? Du bist die Erwachsene hier. Und außerdem bist du seine Frau. Du bist diejenige, die ihn in- und auswendig kennt. Du solltest wissen, wo er steckt.«

Laura drehte sich wieder zum Fenster um und schaute hinaus.

»Mom?«

»Ich weiß nicht, wo er ist, Liebes.«

»Großartig! Das ist wirklich großartig.«

»Nein, das ist es nicht«, erwiderte Laura, während sie mit nervösen Blicken die Straße hinauf- und hinunterschaute, »aber ich kann im Moment nicht viel tun. Er wird irgendwann auftauchen und, da bin ich ganz sicher, eine völlig einleuchtende Erklärung dafür haben, daß er nicht nach Hause gekommen ist und nicht angerufen hat.«

»Wenn ich die ganze Nacht wegbliebe, ohne anzurufen, würdest du mich umbringen!«

»Gut möglich, daß ich deinen Vater auch umbringe«, platzte sie in jäh aufloderndem Zorn heraus. Angesichts dessen, was sie durchgemacht hatte, müßte Jeffs Erklärung schon sehr gut sein, wenn er damit ihre Empörung besänftigen wollte.

Doch der Zorn dauerte nicht lange, und die Angst kehrte zurück. Die Möglichkeiten schossen ihr durch den Kopf, eine schlimmer als die vorangegangene. »Er wird nach Hause kommen«, behauptete sie, um sowohl sich selbst als auch ihre Tochter zu beruhigen.

»Wann?«

»Bald.«

»Woher weißt du das?«

»Ich weiß es einfach.«

»Und wenn er krank ist oder verletzt oder irgendwo im Sterben liegt? Wenn er unsere Hilfe braucht, während wir hier in einem warmen, trockenen Haus sind und darauf warten, daß er auftaucht? Sollten wir ihn nicht lieber suchen, anstatt hier rumzustehen? Vielleicht ist jede Minute kostbar.«

Debras Fragen waren Laura nicht neu, sie hatte sie sich alle schon selbst gestellt, und nicht nur einmal. Jetzt ließ sie die Vernunft sprechen: »Ich habe ihn bereits gesucht. Ich bin durch die halbe Stadt gefahren und habe den Porsche nirgendwo gesehen. Die Polizei habe ich auch angerufen, und dort konnte man mir ebenfalls nicht weiterhelfen. Wenn es einen Unfall gegeben hätte, hätten sie mir Bescheid gesagt.«

»Und jetzt willst du einfach hier stehenbleiben und aus dem Fenster schauen? Bist du gar nicht beunruhigt?«

Debra war eine Sechzehnjährige, die Fragen einer ängstlichen Sechzehnjährigen stellte. Laura war eine Achtunddreißigjährige, die keine Antworten für sie hatte, was ihre Frustration noch vergrößerte. Mit so fester Stimme, wie es ihr angesichts ihres innerlichen Zitterns möglich war, sagte sie, sich zu Debra umdrehend: »Doch, ich bin beunruhigt. Glaube mir, ich bin beunruhigt. Schon seit sieben Uhr gestern abend, als dein Vater bereits eine Stunde hätte zu Hause sein sollen.«

»Er hat so was noch nie gemacht, Mom. Noch nie.«

»Ich weiß, Debra. Ich war in seinem Büro, ich bin herumgefahren und habe seinen Wagen gesucht, ich habe seinen Partner angerufen, seine Sekretärin und die Polizei, aber die sind nicht bereit, etwas zu unternehmen, solange er nicht vierundzwanzig Stunden verschwunden ist, und es sind noch nicht einmal zwölf. Was sollte ich deiner Meinung nach tun? Im Regen durch die Straßen laufen und seinen Namen rufen?«

Debra sah sie mit feindseligem Blick an. »Du brauchst nicht sarkastisch zu werden.«

Mit einem Seufzer ging Laura zu ihrer Tochter und ergriff ihre Hand. »Ich bin nicht sarkastisch, ich bin besorgt, und deine Kritik wirkt sich nicht gerade positiv auf meinen Gemütszustand aus.«

»Ich habe dich nicht kritisiert.«

»Doch, das hast du.« Debra hatte gesagt, was sie dachte, und das hatte sie schon immer getan. Mißbilligung aus dem Mund eines kleinen, vorlauten Kindes war nicht so schlimm gewesen, doch Mißbilligung aus dem Mund eines jungen Mädchens, das mit seinen Einsfünfundsechzig ebenso groß war wie Laura und mit seinen hundertfünfzehn Pfund das gleiche Gewicht auf die Waage brachte wie sie, regelmäßig Anleihen bei Lauras Garderobe, Schminkutensilien und Parfüm machte, Auto fuhr, nach eigener Aussage die Technik des Zungenkusses beherrschte und körperlich gesehen selbst in der Lage war, ein Kind zu bekommen – das war etwas anderes. »Du findest, ich sollte mehr tun«, fuhr Laura fort, »aber mir sind die Hände gebunden, siehst du das nicht ein? Ich weiß nicht, ob wirklich etwas passiert ist. Es könnte eine logische Erklärung für das Verschwinden deines Vaters geben, und ich möchte nicht die Pferde scheu machen, ehe ich nicht einen guten Grund dafür habe.«

»Zwölf Stunden sind kein guter Grund?« rief Debra, drehte sich mit einem Ruck um und wollte hinauslaufen, doch Laura hielt sie fest.

»Elf Stunden«, berichtigte sie mit beherrschter Stimme. »Natürlich sind auch die schon ein guter Grund, aber im Moment bleibt mir nichts übrig, als zu warten. Ich kann nichts anderes tun.« In der diesen Worten folgenden Stille lag die unausgesprochene flehentliche Bitte um Verständnis.

Debra senkte das trotzig erhobene Kinn. Ihr Haar fiel nach vorn und schirmte so ihr Gesicht gegen Lauras Blick ab. »Und was ist mit mir? Was soll ich tun?«

Laura strich Debras Haar zurück. Für einen Augenblick sah sie den besorgten Ausdruck ihrer Tochter, doch als sie den Kopf hob, war er erneut Trotz gewichen. Das war charakteristisch für Debra, und so ging Laura nicht darauf ein, sondern sagte: »Du sollst wieder ins Bett gehen. Es ist noch viel zu früh für dich.«

»Klar. Tolle Idee. Als ob ich jetzt schlafen könnte!« Sie ließ ihren Blick über Lauras Pullover und Jeans wandern. »Als ob du geschlafen hättest.« Sie drehte den Kopf ein wenig zur Seite und schnupperte. »Du hast gekocht, stimmt’s? Wonach riecht es?«

»Nach Borschtsch.«

»Igitt!«

»Er schmeckt gar nicht schlecht.« Jeff aß ihn besonders gern mit einem Löffel Sauerrahm obendrauf. Vielleicht hatte sie tief im Innern gehofft, der Duft würde ihn nach Hause locken.

»Ich kann nicht fassen, daß du gekocht hast!«

»Ich koche immer.«

»Ja, im Restaurant, aber daheim nicht. Die meiste Zeit fütterst du uns mit Hühnereintopf aus der Dose, Pizza-Baguettes aus der Tiefkühltruhe oder Spaghetti mit Fleischklößchen für die Mikrowelle. Hast du Schuldgefühle, weil Dad weg ist?«

Laura ignorierte die Frage, die von ihrer alles analysierenden Mutter hätte stammen können. »Er ist nicht weg, er verspätet sich nur.«

»Und darum hast du die ganze Nacht gekocht.«

»Nicht die ganze Nacht.« Zusätzlich zu dem Borschtsch hatte sie noch einen Coq au vin zubereitet, den sie wohl einfrieren mußte, da an den nächsten beiden Abenden keiner von ihnen zu Hause essen würde. Außerdem hatte sie eine Schwarzwälder Kirschtorte gebacken und zwei Bleche Plätzchen mit Marmeladenfüllung, von denen sie einen Teil Scott schicken wollte. »Hast du überhaupt geschlafen?« fragte Debra.

»Ein bißchen.«

»Bist du nicht müde?«

»Nein, ich bin okay.« Sie war zu aufgeregt, um schlafen zu können, und darum hatte sie gekocht. Normalerweise wirkte Kochen entspannend auf sie, doch diesmal hatte es nicht funktioniert. Aber zumindest war sie beschäftigt gewesen.

»Ich bin hellwach«, erklärte Debra. »Ich werde mich duschen und anziehen und mich dann zu dir setzen.«

Laura wußte, was jetzt kommen würde. Debra war ein ausgesprochen geselliger Mensch. Es verging kaum ein Wochenende, an dem sie nicht unterwegs war – wenn nicht mit Donny, dann mit Jenna oder Kim oder Whitney oder allen dreien und noch anderen. Aber so gern sie auch mit ihren Freunden zusammen war, wenn es um die Schule ging, verzichtete sie ohne das geringste Bedauern auf deren Gesellschaft. »Du gehst ganz normal in die Schule«, nahm Laura ihr diese Hoffnung. »Wie immer.«

»Das kann ich nicht. Ich will mit dir warten.«

»Das würde nichts bringen, und außerdem wird sich dein Vater, wenn er heimkommt, schlafen legen.«

»Falls er nicht schon geschlafen hat.«

Ärger stieg in Laura auf. »Wo sollte er denn geschlafen haben?«

»Das weiß ich nicht. Was meinst du?«

»Ich weiß es auch nicht. Wenn ich es wüßte, würde ich nicht zu nachtschlafender Zeit hier stehen und mich mit dir darüber unterhalten.« Als sie den schrillen Klang ihrer Stimme wahrnahm, wurde Laura bewußt, wie gereizt sie war. »Hör zu«, sagte sie ruhiger, »wir drehen uns im Kreis. Ich weiß nichts, du weißt nichts. Im Augenblick bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Wenn ich bis acht oder neun noch nichts von ihm gehört habe, hänge ich mich ans Telefon.« Sie nahm Debras Gesicht in die Hände. »Laß uns deswegen nicht streiten. Ich hasse Streit. Das weißt du.«

Debra schien etwas erwidern zu wollen, überlegte es sich jedoch anders. Mit einem gnädigen Nicken drehte sie sich um und verließ den Raum. Laura lauschte ihren Schritten die Treppe hinauf, dann hörte sie, wie die Badezimmertür geöffnet und geschlossen wurde. Als das Wasser der Dusche zu rauschen begann, ging sie zum Arbeitszimmer zurück.

»Verdammt, Jeff«, flüsterte sie, »wo bist du?« Sie eine Nacht lang durch die Hölle gehen zu lassen, war eine Sache, die Kinder in Mitleidenschaft zu ziehen, eine andere. Scott schlief in seliger Ahnungslosigkeit in seinem Zimmer im College-Wohnheim, aber Debra war hier und machte sich Sorgen.

Laura konnte nicht glauben, daß er einfach so die ganze Nacht wegblieb. Er war ein verantwortungsvoller Ehemann und Vater. Es mußte etwas passiert sein.

In der Tür zum Arbeitszimmer blieb sie stehen. Dies war Jeffs Reich, sein Refugium. Eigentlich war es eine Bibliothek, mit deckenhohen Bücherregalen ausgestattet, doch neuerdings gab es hier auch einen Fernseher und einen Videorecorder zur Entspannung. Früher hatten den schimmernden Mahagonischreibtisch eine goldumrandete Schreibunterlage, einige in Leder gebundene und von Messingstützen gehaltene Bücher und ein paar Elfenbeinschnitzereien geziert, doch seit er hier auch arbeitete, war die dekorative einer praktischeren Unterlage gewichen, und neben dem mit dem in seinem Büro verbundenen Computer stand ein Kartenrondell, in welchem alle Namen und Adressen der Leute verzeichnet waren, mit denen Jeff beruflich zu tun hatte.

Sollte sie sich entschließen, sich ans Telefon zu hängen, wüßte sie nicht, bei wem sie ihren Rundruf beginnen sollte. Jeff sprach mit ihr nie über Klienten, es sei denn, sie begegneten einem von ihnen auf einer Party. Er legte größten Wert auf Diskretion, und sie respektierte das.

Von dem eigentümlichen Geruch angezogen, der Jeffs Sammlung alter Bücher entströmte, ließ Laura die beruhigende Atmosphäre des Raums auf sich wirken. Die ganze Nacht vom weichen Schein der grünen Wallstreet-Lampe erhellt, atmete er Geschichte: Die Bücher, Fotos und Erinnerungsstücke in den Regalen dokumentierten ihr gemeinsames Leben.

Ordentlich, wie es Jeffs Art entsprach, standen Bücher aus ihrer College-Zeit aufgereiht nebeneinander – die von Jeff über alle Aspekte des Steuerwesens und ihre über amerikanische Literatur, Anthropologie und Französisch. Jeffs Bücheranteil hatte sich zum Ende seines Studiums hin um zahlreiche Fachwerke erweitert, und die Stapel der beiden von ihm abonnierten einschlägigen Zeitschriften wurden stetig höher, Lauras dagegen spiegelte die Tatsache wider, daß sie ihr Studium nach einem Jahr abgebrochen hatte. Hier fanden sich Bildbände zum Thema Fotografie, Jahrgänge des NATIONAL GEOGRAPHIC und diverse Romane. Diese Bücher, in der Anfangszeit ihrer Ehe als Paperbacks oder gebraucht gekauft, sahen reichlich mitgenommen aus, wogegen die später gefüllten Regale Hard covers mit gepflegten Schutzumschlägen enthielten. Und dann waren da natürlich noch die alten Bände – Erstausgaben, die Laura Jeff im Laufe der Jahre geschenkt hatte. Zwischen den Büchern fanden sich Erinnerungsstücke an Reisen: eine Maya-Schale, die sie in Yucatán gekauft hatten, als sie vor acht Jahren zum erstenmal die Kinder allein gelassen hatten und in Urlaub geflogen waren; eine Schneckenmuschel, die sie im Jahr darauf an einem der Strände von St. Martin gefunden hatten; eine Eisenholzskulptur, die sie zwei Jahre später in Arizona erstanden hatten.

Die Arizona-Reise war etwas Besonderes gewesen. Sie hatten sie alle vier gemeinsam gemacht. Zum erstenmal sahen sie die Wüste, und Laura hatte sie sehr gefallen. Sie liebte die Kargheit der Landschaft, das klare Sonnenlicht, die trockene Luft, das Hotel und das Essen. Laura nahm ein auf dieser Reise gemachtes Foto aus dem Regal und fuhr mit dem Finger über das Glas. Scott war damals vierzehn und Debra elf gewesen, zwei gesunde, fröhliche, hübsche Kinder, die ihren Eltern auffallend ähnelten. Mit ihrem dunklen Haar, den athletischen Körpern, der sonnengebräunten Haut und den strahlenden Gesichtern sahen sie aus wie eine Werbefamilie für Amerika.

Lauras Finger verharrte auf Jeff. Wo war er? Das Haus war still ohne ihn, leer. Wo war er?

Erneut erwachte der Drang in ihr, etwas zu tun, und sie stellte das Foto an seinen Platz zurück und ging in die Küche. Das Spülbecken war sauber, ebenso die Abstellfläche und der Arbeitsbereich. Abgesehen von dem Topf auf dem Herd, dem mit Klarsichtfolie abgedeckten großen Teller mit den Keksen neben dem Kühlschrank und der Tortenplatte deutete nichts darauf hin, daß sie gekocht und gebacken hatte. Sie hatte alles mit der gleichen Energie geputzt, mit der sie normalerweise arbeitete. Untätigkeit war ihr ein Greuel.

Sie schaute auf ihre Uhr. Dreiviertel sechs. Dann sah sie auf die Digitalanzeige an der Mikrowelle, doch die hatte ihr auch nichts anderes zu bieten. Nachdem sie einen Seufzer ausgestoßen hatte, atmete sie langsam tief ein und zwang sich, sich zu entspannen. Jeff konnte sich nicht in Luft aufgelöst haben. Er war am Leben und körperlich und geistig gesund. Es gab eine Erklärung, daß er nicht nach Hause gekommen war, ein Mißverständnis, eine Überschneidung von Telefonaten ... Irgendwann würden sie bestimmt über diese verrückte Nacht lachen.

Mit diesem Gedanken steuerte Laura auf die Treppe zu. Wenn Jeff heimkäme, wollte sie nicht müde und erschöpft aussehen. Was sie brauchte, war ein heißes Bad. Es würde sie entspannen. Das Badezimmer war ihr ganzer Stolz. Es war ein Gedicht in dunkelgrünem, gemasertem Marmor, mit hoher Decke und einem Oberlicht. Die Handtücher und kleinen Vorlagen waren weiß, die Tapeten großzügig grün-weiß mit Blumen gemustert, dekorative Topfpflanzen verliehen dem Raum den Charakter einer Waldlichtung.

Laura ließ Wasser in die Wanne laufen. Als sie sich ausgezogen hatte und hineinstieg, hatte der Heizstrahler bereits eine behagliche Wärme verbreitet. Sie streckte sich aus, schloß die Augen und atmete tief ein und aus. Da das flaue Gefühl in ihrem Magen nicht aufhörte, wiederholte sie es. Sie konzentrierte sich darauf, ihre Hände zu entspannen, dann ihre Schenkel, ihre Knie und die Füße.

Als sie ein Knarzen der Schlafzimmerdielen hörte, rief sie aufgeregt »Jeff?« und hielt den Atem an.

»Ich bin’s, Mom. Bist du okay?«

Wieder dieses flaue Gefühl im Magen. Sie versuchte sich ihre Enttäuschung nicht zu sehr anmerken zu lassen. »Es geht mir gut, Liebes. Ich liege in der Wanne.«

»War irgendwas, während ich geduscht habe?«

»Nein.«

»Soll ich mich zum Telefon setzen?«

Laura würde, falls es klingelte, wie der Blitz aus dem Wasser sein, doch sie sagte: »Das ist eine gute Idee. Ich bleibe noch ein Weilchen hier drin, und dann mache ich uns Frühstück.«

»Ist es nicht noch etwas früh dafür?«

»Ich dachte, ich backe uns Waffeln.«

»Ich habe keinen Hunger.«

»Und brate uns ein paar Eier.«

»Ich geh runter, Mom.«

»Okay. Ich komme bald nach.«

Stolz darauf, daß es ihr gelungen war, relativ normal zu klingen, hob Laura eine Hand aus dem Wasser und betrachtete ihre Fingernägel. Sie hatte den Lack in der vergangenen Nacht durch ihre Nervosität so ruiniert, wie sie es nicht mal bei ihrer Küchenarbeit im Cherries schaffte. Heute abend waren Jeff und sie zu einer Dinnerparty eingeladen, morgen abend stand eine politische Spendenaktion auf dem Programm. Sie müßte also ihre Nägel neu lackieren.

Wo war Jeff? In einem plötzlichen Anfall von Panik setzte sie sich auf und schaute zur Tür. Dann warf sie einen Blick auf ihre Uhr, die sie auf das Schubladenschränkchen gelegt hatte. Es war fünf nach sechs. »Komm schon, Jeff!« flüsterte sie beschwörend und stieg aus der Wanne. »Komm schon, komm schon!« Nachdem sie in eine Gabardinehose und einen locker sitzenden Kaschmirpullover geschlüpft war, legte sie ein wenig Make-up auf, bürstete ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar, schluckte zwei Aspirin und ging die Treppe hinunter.

Debra saß in ihrer »Schuluniform« – spitzengesäumte Leggings unter einem kurzen Jeansrock, eine Stehkragenbluse und ein übergroßer Pullover – in der Küche auf einem hochbeinigen Hocker und musterte Laura mit einem befremdeten Blick.

»Warum bist du so dienstlich angezogen?«

»Ich habe den ganzen Vormittag Besprechungen.«

»Du gehst zu Besprechungen? Dad ist seit gestern abend verschwunden, wir haben keine Ahnung, wo er ist, und du gehst zu Besprechungen?«

»Er taucht schon wieder auf.« Laura schaute auf ihre Uhr. Es war kurz vor halb sieben. Sie steckte das Waffeleisen an und holte Orangensaft aus dem Kühlschrank. »Magst du welchen?«

»Wie kannst du jetzt an Essen oder Trinken denken?«

Laura bezweifelte, daß sie etwas herunterbringen würde, doch sie hoffte, Debras Appetit anregen zu können, und darum goß sie ihr ein Glas Saft ein. »Wir dürfen nicht überreagieren. In Panik zu verfallen, nützt nichts. Wir müssen cool bleiben.«

»Ich gehe nicht in die Schule.«

»Doch, das tust du. Und während du dort bist, starte ich einen Rundruf, falls dein Vater nicht inzwischen auftaucht.«

»Und wenn er einen Unfall hatte, wenn er von der Straße abkam und gegen einen Baum prallte und die Polizei ihn in der Morgendämmerung entdeckt?«

»Dann werden sie mir Bescheid geben.«

»Und wirst du mir Bescheid geben?«

Die Furcht in Debras Augen veranlaßte Laura, ihre Tochter in den Arm zu nehmen und an sich zu drücken. Es tat gut, sie zu spüren. »Natürlich. Wenn ich irgend etwas erfahre, lasse ich es dich sofort wissen. Einverstanden?«

»Eigentlich nicht. Ich sehe nicht ein, daß ich nicht hierbleiben kann. Ich kriege in der Schule sowieso nichts mit, weil ich mich unmöglich konzentrieren kann.«

Damit hatte sie wohl recht, denn sie hatte schon unter besten Bedingungen Schwierigkeiten, sich auf den Unterricht zu konzentrieren, aber Laura wollte sie aus dem Haus haben. Auch wenn sie in der Schule nicht bei der Sache wäre, war es für sie dort immer noch besser, als zu Hause darauf zu warten, daß das Telefon klingelte. Außerdem, wenn Jeff nichts von sich hören ließe, wenn der Vormittag ohne ein Lebenszeichen von ihm verginge, wenn Laura um Hilfe bitten müßte, würde die Situation eine Realität gewinnen, die sie bislang noch nicht besaß. Der Gedanke daran machte sie zittern.

»Tust du mir einen Gefallen und holst die Zeitungen rein?« Debras Augen weiteten sich. »Meinst du, es könnte in der SUN schon etwas stehen?«

»Nein, aber ich möchte gerne wissen, was draußen in der Welt geschieht.« Es lag eine absurde Normalität in Schlagzeilen über wirtschaftlichen Niedergang oder Auseinandersetzungen im Persischen Golf.

»Es regnet.«

»Nein, es hat aufgehört. Holst du sie, Liebes? Bitte!«

Ohne die Antwort abzuwarten, nahm Laura die Teigschüssel aus dem Schrank. Als Debra mit dem zusammengefalteten WALL STREET JOURNAL unter dem Arm und der HAMPSHIRE COUNTY SUN in der Hand zurückkam, war Laura dabei, den Waffelteig zu rühren. Dann goß sie eine Portion auf die heiße Eisenfläche. Das Brutzeln übertönte das Rascheln der Zeitungsseiten. Die Waffeln waren genau in dem Moment fertig, als Debra die Zeitung auf den Tisch warf. »Nichts!« verkündete sie enttäuscht.

»Wo ist er?«

Laura legte die Waffeln auf einen Teller. »Ich weiß es nicht.«

»Was ist mit ihm passiert?«

»Soll ich dir Schlagsahne dazu machen?«

»Nein! Ich esse nichts, Mom!«

»Du mußt! Du magst doch Waffeln.«

»Ich habe dir vorhin schon gesagt, daß ich keinen Hunger habe.«

»Aber du mußt etwas essen.«

»Ich kann nicht!« Debra stand auf und lief in die Halle.

Laura fühlte sich plötzlich verlassen. »Wo gehst du hin?« Ein Teil von ihr wollte Debra zu Hause behalten, und sei es nur zur Gesellschaft und wegen der Geräusche, der andere Teil, der vernünftigere, der beschützende, wollte sie zur Schule schicken. »Ich hole meine Bücher«, kam die Antwort von draußen. Ausdruckslos schaute Laura auf den Teller mit den Waffeln in ihrer Hand. Dann wanderte ihr Blick weiter zu dem verbliebenen Teig in der Schüssel, und sie goß eine zweite Portion auf das Waffeleisen. Als sie gerade bei der dritten war, kam Debra zurück.

»Ich möchte wirklich lieber zu Hause bleiben.«

»Ich weiß.« Laura schlug die Sahne. »Aber es geht nicht.«

»Was soll ich meinen Freundinnen sagen?«

»Was immer du willst, aber ich würde es nicht zu sehr aufbauschen. Ich bin sicher, daß es eine einleuchtende Erklärung für die letzte Nacht gibt. Dein Vater wird nach Hause kommen, Debra. Ich weiß es.«

»Da bin ich ja froh, daß wenigstens einer von uns davon überzeugt ist.«

Laura war ganz und gar nicht davon überzeugt, und so zu tun als ob, fiel ihr zusehends schwerer. Je länger Jeff weg war, um so unheilvoller wurden die möglichen Erklärungen dafür und um so unsicherer wurde Laura. Aber sie war eine Mutter, und sie war Optimistin. Um Debras willen mußte sie Zuversicht ausstrahlen. »Ja, ich bin davon überzeugt.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Es ist zehn nach sieben.« Der Bus kam um zwanzig nach. »Geh schon los. Jenna wartet bestimmt bereits an der Haltestelle.« Jenna war Debras beste Freundin, und das seit der Vorschule. Die Tatsache, daß sie nur eine Straße entfernt wohnte, war mit ausschlaggebend dafür gewesen, daß die Fryes dieses Haus gekauft hatten.

»Und du läßt es mich wirklich wissen, wenn du was erfährst?« fragte sie mit ängstlichem Blick, als Laura sie zur Haustür begleitete.

»Natürlich.«

»Versprochen?«

»Versprochen.«

Scheinbar zufrieden schlug Debra den Kragen ihrer Lederjacke hoch, hängte sich den Rucksack über eine Schulter und ging. Sobald sie hinter der Hecke der Nachbarn verschwunden war, machte Laura sich auf den Weg zum Telefon.

KAPITEL 2

Daphne Phillips war in Lauras Augen eine der bemerkenswertesten Frauen in Hampshire County. Mit ihrem dicken honigfarbenen Haar, das sie zu einem lockeren Knoten geschlungen trug, ihrem stets unaufdringlichen Make-up, ihrem untrüglichen Geschmack in Sachen Mode und ihrer guten Figur war sie eine aufsehenerregende Erscheinung. Darüber hinaus besaß sie einen scharfen Verstand. Sie hatte ihr Juraexamen als beste ihres Semesters abgelegt und war, davon war Laura überzeugt, auf dem Gebiet Strafrecht versierter als jeder der zehn Männer in ihrer Anwaltskanzlei. Und zu all dem besaß sie auch noch Taktgefühl. Sie wußte, wann es angeraten war, den Mund aufzumachen, und wann nicht, wann zu streiten und wann nicht. In einer Stadt wie Northampton war das wichtig.

Laura und Daphne waren seit der Junior-High-School eng befreundet. Sie hatten gemeinsam studiert, sich gemeinsam mit Freunden getroffen, gemeinsam die Sommerferien verbracht. Daphne hatte als erste erfahren, daß Laura das College verlassen würde, um Jeff zu heiraten, und Laura hatte als erste erfahren, daß Daphne in Yale angenommen worden war. Laura erlebte durch Daphne das Jurastudium, Daphne erlebte durch Laura die Mutterschaft. Sie gingen zu demselben Friseur, zu derselben Schneiderin und zu demselben Frauenarzt. Sie standen sich näher, als Schwestern es in vielen Fällen taten.

Laura brauchte jetzt die Hilfe eines ihr nahestehenden Menschen, und darum empfand sie eine ungeheure Erleichterung, als Daphne eine halbe Stunde nach ihrem Anruf hereinfegte.

»Erzähl’s mir noch mal«, forderte Daphne sie auf. »Er ist letzte Nacht überhaupt nicht nach Hause gekommen?«

»Nein. Ich habe mir den Kopf zermartert, mich zu erinnern versucht, ob er vielleicht irgendwas gesagt hat, das ich nur mit halbem Ohr hörte, aber ich bin auf nichts gekommen, und außerdem hätte er, wenn er vorgehabt hätte, über Nacht wegzubleiben, eine Reisetasche mitgenommen. Ich habe im Bad nachgesehen, im Schlafzimmer und in seinem Schrank – es fehlt nichts.« Sie berichtete Daphne von ihren Anrufen bei David, bei Jeffs Sekretärin und bei der Polizei.

»Vielleicht ist er mit Freunden unterwegs«, meinte Daphne.

»Die ganze Nacht? Das würde Jeff nie tun.«

»Vielleicht hat er einen alten Freund getroffen?«

Laura zuckte mit den Schultern. »Wer sollte das sein?« Jeff hatte nicht viele Freunde aus der Vergangenheit.

»Könnte er sich irgendwo betrunken haben und eingeschlafen sein?«

»Er trinkt nicht.«

Daphne zog eine Augenbraue hoch. »Er trinkt sehr wohl.«

»Na ja, mal einen oder zwei«, gab Laura zu, »aber ich habe ihn niemals auch nur beschwipst erlebt. Das kann nicht sein. Und selbst wenn es so wäre, hätte ihn der Barkeeper bestimmt vor die Tür gesetzt oder die Polizei angerufen oder mich.«

»Könnte er mit einer Clique aus der Kanzlei zusammensein?« fragte Daphne.

»Er gehört zu keiner Clique. Das höchste der Gefühle ist in dieser Hinsicht, daß er mit drei anderen Tennis-Doppel spielt. Jeff hat keine Kumpel, er geht ganz in seiner Familie auf.« Sie fuhr sich verwirrt mit den Fingern durch die Haare. Ihre Stimme wurde zu einem tonlosen Flüstern. »Dieses Verhalten sieht ihm so gar nicht ähnlich, Daph. Wenn er sagt, er ist um sechs zu Hause, dann ist er um sechs zu Hause. Wenn er sagt, er wird sich eine Stunde verspäten, dann verspätet er sich eine Stunde. Er ist sehr gewissenhaft, sehr berechenbar und sehr pünktlich.« Bei Debra hatte sie tapfer sein müssen, bei Daphne war das nicht nötig. »Es ist schon seit fast einer Stunde hell. Selbst wenn die Polizei blind wäre, wenn er einen Unfall gehabt hätte und der Wagen irgendwo in einer Wiese läge, hätte irgendein Vorbeifahrender ihn bemerken müssen.« Ihre Knie begannen zu zittern, und sie setzte sich auf einen Stuhl.

»Hast du geschlafen?«

»Ich konnte nicht. Ich bin völlig durcheinander. Das Ganze paßt überhaupt nicht zu Jeff.« Sie schaute Daphne an, die immer eine Antwort auf alles hatte. »Du kennst ihn doch. Du warst Brautjungfer bei unserer Hochzeit, und seitdem bist du, wo immer wir wohnten, bei uns ein und aus gegangen. Nach mir kennst du ihn wahrscheinlich am besten. Wo könnte er sein?«

»Er war nicht im Museum?« fragte Daphne, die sich jetzt auch gesetzt hatte.

Laura schüttelte den Kopf.

»Hatte er sich darauf gefreut?«

»Er mag solche Festivitäten. Gesehen zu werden ist wichtig in seinem Metier.«

»Vielleicht fühlte er sich dadurch in den Schatten gestellt, daß Cherries den Abend als Partyservice betreute.«

Das hielt Laura für unmöglich. »Das hat er schon bei mehreren Gelegenheiten erlebt, und es hat ihn nie gestört. Er ist stolz auf das, was ich mache.«

»Ich weiß, doch manche Männer ...«

»Jeff nicht. Er war schon lange Wirtschaftsprüfer, bevor ich mit dem Partyservice anfing.«

»Aber das Restaurant ...«

»Er liebt das Restaurant. Es bringt seinen Namen ins Gespräch und verschafft ihm Klienten. Glaub mir, Daph, er fühlt sich dadurch nicht bedroht. Und selbst wenn, würde er nicht einfach verschwinden.« Als das Telefon klingelte, sprang sie auf und riß den Hörer von der Gabel. »Hallo?«

»Hi, Laura, hier ist David. Ich nehme an, Jeff ist inzwischen aufgetaucht. Ist alles in Ordnung?«

Die Hand, mit der Laura den Hörer an ihr Ohr preßte, zitterte.

»Er ist nicht heimgekommen, David. Er ist nicht hier.«

»Er ist nicht da? War überhaupt nicht da?«

»So ist es.«

»Das sieht Jeff aber ganz und gar nicht ähnlich.«

In ihrem Lachen schwang Hysterie mit. »Was du nicht sagst.«

»Bist du okay?«

»Nein, ich bin nicht okay. Ich bin krank vor Sorge.«

»Hast du schon bei der Polizei angerufen?«

»Ja, aber das hätte ich mir sparen können.« Sie berichtete ihm von dem Verlauf des Gesprächs. »Die Polizei wird noch nichts unternehmen. Doch er muß irgendwo da draußen sein. Vielleicht sollten wir einen Privatdetektiv engagieren.«

Daphne winkte abwehrend mit der Hand und schüttelte den Kopf.

»Nein?« fragte Laura sie.

»Noch nicht. Noch nicht.«

»Es ist jemand bei dir?« fragte David.

»Daphne Phillips.«

»Soll ich auch rüberkommen?«

Von dieser Idee war Laura nicht besonders begeistert. David war ein fähiger Steuerberater und ein guter Freund, aber seine Gesellschaft konnte strapaziös sein. »Es wäre mir lieber, du würdest ins Büro fahren und dir Jeffs Schreibtisch ansehen. Vielleicht hat er dort eine Nachricht hinterlassen oder etwas auf einem Zettel notiert.«

»Guter Gedanke. Ich bin in einer halben Stunde in der Kanzlei. Wenn ich nachgeschaut habe, rufe ich dich gleich an.«

Laura legte auf, lehnte sich mit der Schulter an die Wand und sah Daphne mit müden Augen an. »Wo kann er nur sein?« Ihre Stimme klang wie ein Echo, das nach vielen Wiederholungen der ursprünglichen Worte stark geschwächt war.

Die ansonsten stets gelassene, coole Daphne sah beunruhigend besorgt aus. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«

»Was soll ich jetzt tun? Soll ich anfangen zu telefonieren? Das hätte ich am liebsten schon letzte Nacht getan, aber es erschien mir albern. Ich war sicher, Jeff würde heimkommen – ich war ganz sicher –, und wollte nicht unsere Freunde verrückt machen und ihn dann um elf oder zwölf mit einer einleuchtenden Erklärung für seine Verspätung reinmarschieren sehen.« Sie stieß sich von der Wand ab und stellte den Teller mit den Waffeln in die Mikrowelle. »Aber inzwischen ist es acht, und er ist immer noch nicht da. Soll ich hier sitzen und warten oder ihn suchen gehen oder einen Rundruf starten? Was soll ich tun?«

»Hast du Lydia schon angerufen?«

»Nein. Jeff ist ihr ein und alles. Ich kann ihr unmöglich sagen, daß er verschwunden ist. Sie ist dreiundsiebzig und nicht gesund.«

»Was ist mit Jeffs Bruder?«

Laura verschluckte sich, hustete und preßte eine Hand auf ihr Herz. »Was soll mit ihm sein?«

»Vielleicht ist er in irgendwelchen Schwierigkeiten.«

»Das ist er mit Sicherheit.« Christian Frye löste Aufruhr aus, wo er ging und stand, oftmals mit wenig mehr als einem Blick. »Vielleicht ist Jeff bei ihm, um ihm zu helfen.«

Die Mikrowelle meldete sich. Laura nahm den Teller heraus.

»Sie verstehen sich nicht.«

»Aber sie sind Brüder.«

»Und so verschieden wie Tag und Nacht.«

»Trotzdem«, insistierte Daphne, »Familie ist Familie. Es ist nicht unvorstellbar, daß Christian ihn anrufen würde, wenn er Hilfe braucht.«

»Es wäre zwar möglich, daß er ihn anruft, aber Jeff würde nicht reagieren.« Laura machte den Kühlschrank auf und holte den Saft und die Schlagsahne heraus, die Debra nicht angerührt hatte. »Du kennst Christian doch, Daph. Du hast ihn in Aktion erlebt. Zu meiner Hochzeit erschien er high, auf der Party anläßlich Lydias fünfundsechzigstem Geburtstag sturzbetrunken, und bei jedem Thanksgiving, an dem er uns mit seiner Anwesenheit beehrte, brach er Streit vom Zaun.«

»Ich habe nie gedacht, daß er so schlimm ist.«

»Doch, das ist er.«

»Aber du lädst ihn immer wieder ein.«

»Weil er zur Familie gehört!« rief Laura. Sie stellte den Eierbehälter und einen kleinen Teller mit einem Stück Butter auf die Arbeitsfläche. »Und weil es mir leid tut, daß er allein ist.« Doch jedesmal, wenn sie ihn sah, war sie gereizt, und obwohl sie sich redlich bemühte, sich nichts anmerken zu lassen, hatte Jeff es gespürt. »Nein, Jeff ist ganz bestimmt nicht bei ihm, um ihm zu helfen.«

»Ich finde, du solltest trotzdem bei ihm anrufen, nur um ganz sicherzugehen.«

»Ich glaube, er ist verreist.«

»Versuch’s einfach, es wird dir nicht weh tun.«

Doch, das würde es. Das wußte Laura genau so sicher, wie sie wußte, warum Christian damals in einer derart desolaten Verfassung zu ihrer Hochzeit erschienen war. Sie konnte ihn nicht anrufen, nicht in einer solchen Angelegenheit.

Laura holte einen Spachtel aus der Küchenschublade. »Es muß etwas Schreckliches passiert sein. Eine andere Erklärung gibt es nicht.«

Daphne stand auf. »Ich habe einen Freund bei der Polizei. Den rufe ich jetzt an.«

»Die haben mir doch erklärt, daß sie noch nichts unternehmen können.«

»Er schuldet mir was.« Sie tippte bereits die Nummer ein. Sekunden später sagte sie in die Muschel: »Detective Melrose, bitte.«

Laura holte einen Schneebesen aus der Küchenschublade.

»Was machst du da, Laura?« fragte Daphne, den Hörer am Ohr.

»Frühstück.«

»Für dich?«

»Für dich. Ich habe Waffeln gebacken, und du bekommst Eier.«

Daphne packte sie am Arm und drückte sie auf einen Stuhl.

»Laß das. Setz dich und entspann dich.«

»Ich kann mich nicht entspannen!« entgegnete Laura aufgebracht. »Ich weiß nicht, was los ist, und es kümmert mich einen Dreck, daß meine Mutter wieder sagen wird, daß ich einen Kontrollwahn habe. Ich will wissen, wo Jeff ist, und ich will es jetzt wissen!«

Daphne hob die Hand, um den Ausbruch zu stoppen. »Hallo, Dennis, hier ist Daphne Phillips.« Sie wollte weitersprechen, hielt jedoch inne. »Danke, gut.« Sie setzte wieder an und hielt erneut inne. »Nein, ich wußte nicht, daß sie ihn entlassen haben, aber das ist nicht der Grund für meinen Anruf.« Sie schilderte ihm kurz die Situation. »Ich weiß, daß du vor heute abend offiziell nichts unternehmen kannst, aber angesichts dessen, wer und was Jeff Frye ist, dachte ich, du könntest vielleicht deine Fühler ausstrecken.« Sie hörte einen Moment zu und sagte dann in indigniertem Ton: »Nein, er ist in nichts Zwielichtiges verwickelt. Aber er ist hier in der Gegend eine bekannte Persönlichkeit, und falls ihm etwas passiert sein sollte, würde es keinen guten Eindruck machen, daß die Polizei sich so viel Zeit gelassen hat, bis sie in die Gänge kam, capiche?«

Unfähig, stillzusitzen, ging Laura zu dem Eichentisch in dem verglasten Küchenerker, öffnete ihre große Lederhandtasche, die darauf stand, und holte ihr Notizbuch heraus.

»Er wird ein paar Leute anrufen und sich umhören«, informierte Daphne sie, als sie eine Minute später zu ihr trat. »Und er wird vorsichtig vorgehen. Wir wollen schließlich nicht, daß die Reporter eine Story wittern.«

Reporter, Zeitungen. Großer Gott, das wäre ein Alptraum. »Jeffrey Frye, bekannter Wirtschaftsprüfer aus Pioneer Valley verschwindet auf ebenso geheimnisvolle Weise wie die Kirschtörtchen im Restaurant seiner Frau« – so oder ähnlich würde Duggan O’Neil sich darüber auslassen.

Um sich von dieser möglichen Konsequenz abzulenken, schaute Laura in ihren Terminkalender. »Ich habe theoretisch den ganzen Vormittag Besprechungen, aber ich will hier sein, wenn Jeff anruft.« Ihr Blick wanderte nach draußen. Grau und trostlos lag der Garten unter einem ebensolchen Himmel. »Falls er anruft. Und wenn er es nicht tut?«

»Das wird er schon.«

»Ich habe Debra zur Schule geschickt. Ist Jeff immer noch nicht da, wenn sie heimkommt, dann wird es schlimm.« Sie warf Daphne einen ängstlichen Blick zu. »Sollten wir bis dahin noch nichts wissen, werde ich Scott anrufen müssen.« Ihre Atemzüge wurden kürzer. »Es ist irgendwie unwirklich.«

Doch die Stille, die folgte, war der Beweis dafür, daß die Situation durchaus real war. Normalerweise saß Jeff um halb neun in der Küche beim Frühstück, verließ um dreiviertel neun das Haus und war um neun in seinem Büro am Schreibtisch damit beschäftigt, die eingegangene Post zu öffnen.

Das Telefon klingelte. Laura stürzte hin.

»Hier ist nichts«, verkündete David ohne Einleitung. »Ich habe seinen Schreibtisch, seinen Bücherschrank und die Regale überprüft. Es herrscht eine untadelige Ordnung.« Was typisch für Jeff war, wie Laura wußte. Er war ein ordnungsliebender Mensch. Er drehte seine Socken richtig herum, bevor er sie in den Schmutzwäschekorb warf, hängte seine Hosen auf, indem er die Bügelfalten peinlich genau aufeinanderlegte, stapelte nie mehr als drei Bücher auf seinem Nachttisch, und die in der Reihenfolge, in der er sie lesen wollte. Wenn andere Frauen sich über die Schlampigkeit ihrer Ehemänner beschwerten, fühlte Laura sich vom Schicksal gesegnet. Jeff war der ideale Mann für eine berufstätige Mutter.

Sie kämpfte die betäubende Enttäuschung nieder und zwang sich, klar zu denken. »Wie sieht sein Tag aus? Wann hat er den ersten Termin?«

»Um halb zehn«, antwortete David und fügte dann, um sie zu beruhigen, hinzu: »Ich bin sicher, ich finde die Erklärung hier noch. Jeff würde niemals einfach abhauen und dich verlassen.« Dich verlassen. Einen Augenblick lang floß ihr Blut so schnell, daß sie außer seinem Rauschen nichts hören konnte. »Natürlich würde er das nicht. Es muß ihm etwas passiert sein, und ich muß herausfinden, was.«

»Ich komme rüber.«

»Nein! Bleib dort. Vielleicht könntest du ein paar Telefonate führen.« Sie sah Daphne fragend an, die die Hand nach dem Hörer ausstreckte. »Einen Moment, David, Daphne will dich sprechen.«

»David? Mach’s nicht dramatisch. Frag deine Kollegen, wenn sie kommen, einfach nur, ob sie ihn gesehen haben. Sag, daß du ihn wegen irgend etwas brauchst.« Sie hörte zu, was David erwiderte, und fuhr dann fort: »Wir wollen ihm Peinlichkeiten ersparen, falls er mit einer einleuchtenden Erklärung für seine Abwesenheit auftaucht, und vor allem wollen wir vermeiden, daß jemand etwas wittert und einen Rundruf startet. Es ist wichtig, die Lage unter Kontrolle zu behalten.«

Laura teilte ihre Meinung, wünschte aber, sie hätte sich selbst besser unter Kontrolle. Ihre Gedanken vollführten wilde Sprünge von der unmittelbaren Gegenwart in die vergangene Nacht, von Hoffnung über Verwirrung zu Furcht. Ihre Augen waren trocken und müde, doch ihr Herz schien keine Ermüdung zu kennen, es hämmerte mit unverminderter Heftigkeit gegen ihre Rippen.

Laura ließ Daphne allein in der Küche und ging ins Eßzimmer hinüber. Ihre Fingerspitzen glitten über die geschnitzte Rückenlehne eines Chippendale-Stuhls und blieben zitternd auf der Tischkante liegen. An Thanksgiving, vor weniger als zwei Wochen, war der Tisch voll von dampfenden Schüsseln und Platten und der Raum voller Menschen gewesen. Sechsundzwanzig alles in allem, von den allernächsten Familienmitgliedern über weiter entfernte Angehörige und Freunde bis hin zu einigen Angestellten. Laura liebte es, Feste in dieser Form zu feiern, und allen Anwesenden gefiel es ebenfalls. Sogar Maddie war umgänglich, was angesichts der Tatsache, daß Gretchen von Sacramento gekommen war, beachtlich war. Laura hatte ein Bravourstück vollbracht, indem sie ihre Mutter und ihre jüngere Schwester für ein ganzes Wochenende unter ein Dach holte. Die beiden waren wie Feuer und Wasser, was Gretchen damals veranlaßt hatte, an die Ostküste zu flüchten. Doch irgendwann im Laufe der vergangenen Jahre hatte Maddie akzeptiert, daß sie sich benehmen mußte, wenn sie Gretchen sehen wollte. Sie durfte nicht ständig nörgeln, kritisieren und analysieren. Sie mußte ihren vorlauten Mund halten.

Laura, die nicht mit ihrer Mutter gebrochen hatte wie Gretchen und darum immer noch ständig im Kreuzfeuer ihrer Kritik stand, schauderte bei dem Gedanken daran, was Maddie zu Jeffs Verschwinden sagen würde. Sie betete, daß er auftauchte und das Rätsel sich löste, ehe Maddie davon erfuhr.

»David weiß, was er zu tun hat«, sagte Daphne von der Tür her.

»Bist du okay?«

Laura lächelte. »Ich bin okay.« Sie atmete tief ein. »Und was soll ich jetzt tun?«

»Willst du ein paar Freunde anrufen?«

Sie ging zum Fenster. »Er wäre bestimmt nach Hause gekommen, bevor er zu irgendeinem Freund gegangen wäre. Außerdem, wen hat er denn schon? Da sind wir, seine Kollegen aus der Kanzlei und seine Tennispartner. Da fällt mir ein, sie haben am Montag gespielt, und das nächste Match ist für heute vereinbart.«

»Ruf einen von denen an«, meinte Daphne. »Vielleicht hat er abgesagt. Das wäre ein Anfang.«

»Nur, wenn er vorgehabt hat zu verschwinden. Glaubst du das?«

»Nein. Ich versuche bloß alle Möglichkeiten auszuschöpfen.«

Laura hörte kaum, was sie sagte. Sie fühlte sich unendlich einsam. »Wie konnte er planen, uns zu verlassen, ohne es mir zu sagen, ohne seine Sachen mitzunehmen, ohne sich zumindest von Debra zu verabschieden?«

Daphne trat zu ihr, legte den Arm um sie und sagte: »Ich hätte es nicht erwähnen sollen. Es ist unnötig, sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen.«

»Er kann nicht einfach weggegangen sein. Wir sind seit zwanzig Jahren glücklich verheiratet. Er liebt mich, liebt die Kinder, liebt dieses Haus.«

»Du hast recht, das kann nicht sein.«

Das Telefon klingelte erneut, und Laura rannte in die Küche.

»Hallo?«

»Gott sei Dank erwische ich dich«, hörte sie Madeline McVeys strenge Stimme. »Ich hatte schon befürchtet, du wärst bereits weg. Hast du eine Minute Zeit?«

Laura verdrehte die Augen. »Äh ... im Augenblick ist es ungünstig, Mom.«

»Aber ich muß gleich los. Dann habe ich erst wieder nach dem Dinner heute abend Zeit, und wir sollten die Sache wirklich jetzt klären.«

Das flaue Gefühl im Magen, das sich augenblicklich einstellte, war ihr durchaus vertraut. Für den Bruchteil einer Sekunde war Laura wieder acht Jahre alt und wurde in den Salon zitiert, der Maddie zu Hause als Büro diente, um zu erklären, weshalb sie sich nicht zu einem Projekt für die »Jugend forscht«-Aktion gemeldet hatte. Gespannt, wie die Anklage heute lautete, fragte sie: »Was sollten wir klären?«

»Es gibt ein Problem bezüglich der Weihnachtsfeier der Fakultät. Wir haben dich für den 19. Dezember im Haus des Dekans gebucht, aber es wurden einige murrende Stimmen von Leuten laut, die sie nicht auf dem Campus abhalten wollen. Nicht, daß es mir wichtig wäre ...«

»Kannst du eine Sekunde warten?« unterbrach Laura sie energisch. Noch bevor eine Antwort kam, schaltete sie Maddie auf die Warteleitung um, drückte den Hörer an die Brust und drehte sich mit hektischem Blick zu Daphne um. »Ich schaff das jetzt nicht!«

»Sag ihr, du rufst später zurück.«

»Und wenn später alles noch schlimmer ist?«

»Sag ihr, du wartest auf einen Anruf.«

»Sie weiß, daß ich zwei Leitungen habe.«

»Dann erklär ihr eben, daß du dich schlecht fühlst.«

»Das sei morgendliche Übelkeit, wird sie behaupten und mir lang und breit erklären, was davon zu halten ist, daß eine Frau in meinem Alter noch ein Kind bekommt.«

Daphne wurde schreckensbleich. »Bist du schwanger?«

»Großer Gott, nein! Ich hätte weder die Zeit noch die Kraft dazu. Ich bin achtunddreißig!«

»Und hast Angst vor deiner Mutter.«

»Nicht mehr, nicht mehr. Schon lange nicht mehr.«

»Dann rede jetzt mit ihr, und bring es hinter dich.«

Laura sah Daphne einen Moment lang finster an, bevor sie sich zum Telefon umdrehte und den Anruf ihrer Mutter wieder herüberschaltete. »Tut mir leid, Mom, was sagtest du wegen der Party?«

»Es gibt in meiner Fakultät einige Leute«, begann Maddie noch einmal, wobei sie Laura für die Verzögerung mit einem Hauch von Tadel in der Stimme bestrafte, »die die Weihnachtsfeier nicht auf dem Campus abhalten wollen. Sie meinen, daß wir es den graduierten Studenten schuldig seien, die Party so festlich wie möglich zu gestalten.« Sie schnaubte. »Als ob sie dadurch bessere Psychologen würden. Das Haus des Dekans bietet doch einen durchaus festlichen Rahmen für eine solche Veranstaltung, findest du nicht?«

»Absolut«, bestätigte Laura.

»Nun, du und ich sind in der Minderheit. Ich könnte mich darauf versteifen, aber dann würden sie sagen, daß ich Angst habe, mich von der Vergangenheit zu lösen. Ich frage dich, hatte ich je Angst vor Neuerungen? Niemals! Ich bin das fortschrittlichste Mitglied dieser Fakultät!«

Das bezweifelte Laura keine Sekunde, und sie bezweifelte auch nicht, daß einige Mitglieder angesichts der Tatsache, daß ihre Mutter mit siebenundsechzig das älteste aktive Mitglied der Fakultät und gleichzeitig die Vorsitzende war, sie gerne ersetzt sähen. Die anderen waren begeistert, daß sie deren Schlachten schlug. Sie war ein fabelhafter Gegner.

Besänftigend sagte Laura: »Ich bin sicher, daß sie alles zu schätzen wissen, was du tust, und sie wollen das Beste.«

»Sie wollen das Cherries«, informierte Maddie sie. »Kannst du uns noch einschieben?«

Laura zwang sich gegen den Protest jedes anderen Instinkts zu beruflichem Denken und rief sich den Plan an ihrer Bürowand vor Augen, auf dem neben DEZEMBER in großen roten Druckbuchstaben »Party-Termine ausgebucht« stand. Sie hatte es voller Genuß hingeschrieben, denn es dokumentierte ihren Erfolg, und sie hätte es genießen sollen, Maddie gegenüber mit diesem Erfolg zu prahlen, aber ihr war in diesem Moment nicht danach zumute, und so sagte sie nur: »Es ist ein bißchen spät für Umbuchungen.«

»Drei Wochen vorher? Wir stornieren nicht, wir wollen bloß statt des Partyservice im College dein Restaurant.« Maddies Stimme wurde auf die bekannt gefährliche Weise sanfter.

»Ist das ein Problem für dich, Laura?«

Da war sie, die Herausforderung, so alt und vertraut wie Lauras früheste Erinnerungen. Maddie McVey war eine Frau mit einzigartiger Energie. Als altgediente Akademikerin war sie nicht nur die Vorsitzende der Fakultät, sondern auch ein hohes Tier in allen möglichen Organisationen, was es sehr schwer machte, ihr nachzueifern. Laura fragte sich manchmal, ob das der Grund dafür gewesen war, daß sie die Collegeausbildung abgebrochen hatte. Maddie war entsetzt gewesen, als sie das tat, und nur unwesentlich weniger entsetzt, als Laura, nachdem Debra in die Schule gekommen war, anfing, von zu Hause aus Käse-Kirsch-Kuchen zu verkaufen. Das war vor zehn Jahren gewesen. Als die Minifirma sich zu einem Partyservice mauserte, war Maddie nicht besonders beeindruckt. Die Gastronomie war kein Sektor, auf dem sie eine Karriere akzeptierte. Dann hatte Laura vor zwei Jahren das Restaurant eröffnet. Sein Erfolg verlieh ihr endlich eine gewisse Position im Umgang mit ihrer Mutter.

Angesichts des Rätsels um Jeffs Verschwinden und der Angst, die sie deswegen erfüllte, klammerte sie sich an diese Position.

»Nein, es ist kein Problem, wir sind ja flexibel. Aber ich werde dich noch wegen der genauen Uhrzeit anrufen müssen.«

»Wir haben die Cocktails für sechs und das Dinner für sieben bestellt.«

»Ja – für das Haus des Dekans. Wenn du die Weihnachtsfeier im Restaurant haben willst, wirst du sie vielleicht ein bißchen vorziehen oder auf später verschieben müssen. Wir sind ausgebucht. Ich quetsche euch schon irgendwie rein, aber du mußt ebenfalls Flexibilität beweisen.«

Am anderen Ende der Leitung entstand eine Pause. Laura kannte diese Pausen, sie waren zur Einschüchterung gedacht. Aber sie war in diesem Fall im Recht, hatte sogar eine gewisse Macht, und obwohl sie niemals nach Macht an sich gestrebt hatte, gab es ihr dennoch ein gutes Gefühl, zur Abwechslung einmal wenigstens eine Spur Macht über ihre Mutter zu haben. Sie hatte in den letzten zwölf Stunden weiß Gott wenig Anlaß gehabt, sich gut zu fühlen.

»Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, gab Maddie schließlich klein bei. Dann, als könnte sie einfach nicht widerstehen, schoß sie einen weiteren Pfeil ab. »Ich hoffe doch, daß die Kosten sich nicht erhöhen werden.«

»Für dich, Mutter? Natürlich bleibt der Preis gleich.«

»Sehr gut«, meinte Maddie gnädig. »Ruf mich an, sobald du mir die Zeit sagen kannst. Dann reden wir weiter.«

Laura legte auf. Sie hatte kaum die Tatsache genossen, daß sie sich ihrer Mutter gegenüber behauptet hatte, als ihre Sorge um Jeff zurückkehrte und dieses Hochgefühl jäh erlöschen ließ. Ihr Blick fiel auf den Anrufbeantworter. »Vielleicht habe ich sie aus irgendeinem Grund überhört.«

»Was?« fragte Daphne.

»Eine Nachricht von Jeff.« Sie drückte auf den Knopf, und das Gerät piepste.