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Die achtjährige Lea hat sich nach dem Tod der Mutter in eine eigene Welt zurückgezogen, zu der auch der Vater keinen Zutritt hat. Erst der Klang einer Geige holt sie ins Leben zurück. Sie erweist sich als außerordentliche musikalische Begabung und mit achtzehn liegen ihr Publikum und Musikwelt zu Füßen. Doch Martin van Vliet, ihren anfangs überglücklichen Vater, treibt es immer tiefer in die Einsamkeit. Bei dem verzweifelten Versuch, die Liebe und Nähe seiner Tochter zurückzugewinnen, verstrickt er sich in ein Verbrechen ...
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Seitenzahl: 335
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Hanser E-Book
Pascal Mercier
Lea
Novelle
Carl Hanser Verlag
ISBN 978-3-446-24117-6
Alle Rechte vorbehalten
© Carl Hanser Verlag München 2007/2012
Satz: Greiner & Reichel, Köln
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WIR WERFEN DIE SCHATTEN UNSERER GEFÜHLE
AUF DIE ANDEREN UND SIE DIE IHREN AUF UNS
MANCHMAL DROHEN WIR DARAN ZU ERSTICKEN
DOCH OHNE SIE GÄBE ES KEIN LICHT
IN UNSEREM LEBEN
Altarmenische Grabinschrift
WIR SIND UNS an einem hellen, windigen Morgen in der Provence begegnet. Ich saß vor einem Café in Saint-Rémy und betrachtete die Stämme der kahlen Platanen im bleichen Licht. Der Kellner, der mir den Kaffee gebracht hatte, stand unter der Tür. In seiner abgetragenen roten Weste sah er aus, als sei er das ganze Leben lang Kellner gewesen. Ab und zu zog er an der Zigarette. Einmal winkte er einem Mädchen zu, das quer auf dem Rücksitz einer knatternden Vespa saß, wie in einem alten Film aus meiner Schulzeit. Nachdem die Vespa verschwunden war, blieb das Lächeln noch eine Weile auf seinem Gesicht. Ich dachte an die Klinik, in der es nun schon die dritte Woche ohne mich weiterging. Dann sah ich wieder zu dem Kellner hinüber. Sein Gesicht war jetzt verschlossen und der Blick leer. Ich fragte mich, wie es gewesen wäre, sein Leben zu leben statt des meinen.
Martijn van Vliet war zuerst ein grauer Haarschopf in einem roten Peugeot mit Berner Kennzeichen. Er versuchte einzuparken und stellte sich, obwohl Platz genug war, ungeschickt an. Die Unsicherheit beim Einparken wollte nicht zu dem großen Mann passen, der nun ausstieg, sich mit sicherem Schritt den Weg durch den Verkehr bahnte und auf das Café zukam. Er streifte mich mit einem skeptischen Blick aus dunklen Augen und ging hinein.
Tom Courtenay, dachte ich, Tom Courtenay im Film The Loneliness of the Long Distance Runner. An ihn erinnerte mich der Mann. Dabei sah er ihm gar nicht ähnlich. Es waren der Gang und der Blick, in denen sich die beiden Männer glichen – die Art und Weise, in der sie in der Welt und bei sich selbst zu sein schienen. Der Direktor des Colleges haßt Tom Courtenay, den schlaksigen Jungen mit dem verschlagenen Grinsen, doch er braucht ihn, um gegen das andere College mit seinem neuen Starläufer zu gewinnen. Und so darf er während der Unterrichtszeit laufen. Er läuft und läuft durch das farbige Herbstlaub, die Kamera auf dem Gesicht mit dem glücklichen Lächeln. Der Tag kommt, Tom Courtenay läuft allen davon, der Rivale sieht aus wie gelähmt, Courtenay biegt in die Zielgerade ein, Großaufnahme des Direktors mit dem feisten Gesicht, das im vorweggenommenen Triumph glänzt, noch hundert Meter bis zum Ziel, noch fünfzig, da wird Courtenay aufreizend langsam, bremst ab, bleibt stehen, Ungläubigkeit auf dem Gesicht des Direktors, jetzt erkennt er die Absicht, der Junge hat ihn in der Hand, das ist seine Rache für all die Schikanen, er setzt sich auf die Erde, schüttelt die Beine aus, die noch lange weitergelaufen wären, der Rivale läuft durchs Ziel, Courtenays Gesicht verzieht sich zu einem triumphierenden Grinsen. Dieses Grinsen, ich mußte es immer wieder sehen, in der Mittagsvorstellung, nachmittags, abends und samstags in der Spätvorstellung.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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