Liebe braucht kein Morgen - Lily Winter - E-Book

Liebe braucht kein Morgen E-Book

Lily Winter

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Beschreibung

Für Katja ist nichts mehr wie es war: Sie hat einen Menschen getötet! Obwohl es ein Unfall war, ist es schwer für sie, in ihr Leben zurückzufinden. Und wie soll Philip da reinpassen? Denn beide wissen nicht, ob sie füreinander das sind, was sie brauchen.

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Seitenzahl: 294

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

PROLOG

Katja

Wumm!

Schweißgebadet wache ich auf.

Jede Nacht wache ich auf.

Jede Nacht sehe ich dieselben entsetzlichen Bilder.

Ich höre den lauten Aufprall und die plötzliche Stille, die darauffolgt.

Jede Nacht sehe ich mich wieder aus dem Auto stürzen, sehe wie andere Menschen angelaufen kommen.

Ich sehe einen Menschen vor dem Auto liegen, wie er einfach nur so da liegt, blutüberströmt.

Von einer Sekunde zur anderen kann das Leben vorbei sein. Seins war es und meines somit auch.

1. KAPITEL

Katja

Nach diesen Albträumen kann ich nicht wieder einschlafen. Ich setze mich dann in die Küche, schreibe in mein Tagebuch oder lese, bis es endlich sechs Uhr ist und ich mit dem Bus zur Arbeit fahren kann.

„Guten Morgen, Frau Winter“, begrüßt mich mein Chef, Philip Rose, wie jeden Morgen.

Ich stelle ihm seine Tasse Kaffee, ohne Milch dafür aber mit zwei Stück

Zucker, auf den Schreibtisch. Dann setze ich mich ins Vorzimmer und sehe die Mails durch, schicke Termine rum und sortiere die Unterschriftenmappe für ihn.

Heute trudeln langsam die Mails für das anstehende Meeting ein. Ich kopiere alles in eine PowerPoint Vorlage, die ich extra dafür erstellt habe, damit alles schön einheitlich aussieht.

Natürlich sind in den Folien wieder dutzende von Fehlern. Allerdings nicht, weil die Leute blöd sind, sondern weil es ihnen einfach niemand richtig erklärt hat.

Die Leute, die die Folien erstellt haben, sind meistens die Leute, die in der Firma gerade das duale Studium absolvieren, in der Regel junge Leute Anfang 20, die meistens nur drei oder vier Monate in einer Abteilung sind. Irgendwann sieht man mache von ihnen in Mailverteilern wieder, wenn sie ein Team oder sogar Abteilungen übernehmen. Die meisten gehen jedoch nach ihrem Studium fort, die Firma kann schließlich nicht jeden übernehmen.

Da mein Vater in dieser Firma der Geschäftsführer ist, hätte er mir ebenfalls diese Art von Ausbildung verschaffen können, aber das wollte ich auf gar keinen Fall! Ich wollte doch nicht als „die Tochter des Geschäftsführers“ hier eine Ausbildung machen. Ich habe einfach ganz normal Vollzeit an einer Uni studiert.

Das BWL-Studium hat mir sehr viel Spaß gemacht. Nebenbei habe, obwohl ich eigentlich gar nicht hätte arbeiten müssen, auch noch in einer Modeboutique gejobbt. Die Erfahrung war ganz interessant für mich, auch wenn ich nichts mit Buchhaltung oder Bestellungen zu tun hatte, sondern ausschließlich als Verkäuferin dort gearbeitet habe. Mein Äußeres, also meine langen roten Haare und meine dünnen Stelzenbeine, waren komischerweise für den Job recht hilfreich, ganz oft wurde ich gebeten, die Kleider oder die Hosen, die wir verkauft haben, auf der Arbeit als Werbung tragen. Manchmal durfte ich sogar etwas behalten, nicht, dass ich diese Sachen jemals noch einmal angezogen hätte.

Auch wenn mein Äußeres wohl irgendwie dem Gesellschaftsbild zu entsprechen scheint, habe ich mich noch nie attraktiv gefühlt. Vielleicht kommt es daher, weil mir meine Großmutter, also die Mutter meiner Mutter, immer gesagt hat, dass ich dürr wie eine Ziege bin und obwohl ich damals erst vier war, hat sich das bei mir irgendwie festgesetzt. Und obwohl mir das nie wieder jemand gesagt hat, fühle ich mich einfach nicht wohl in meiner Haut.

Während ich die Folien durchsehe, korrigiere ich die Fehler, die direkt ins Auge springen, sofort. Die Inhalte sind nicht sehr anspruchsvoll, mal wieder ein Antrag für irgendwelche Projekte oder auch Zwischenberichte von laufenden Projekten, deshalb schweifen meine Gedanken schnell wieder ab.

Ich weiß gar nicht genau, in welche Richtung ich nach dem Studium gegangen wäre. Irgendwohin natürlich, wo man mir einen Job gegeben hätte, denn direkt nach einem Studium muss man halt erstmal schauen, dass man Berufserfahrung bekommt.

Ich wollte immer weg aus München und mein eigenes Leben aufbauen. Noch während meiner Masterarbeit hatte ich bereits unzählige Bewerbungen innerhalb Deutschlands, England und den Niederlanden verschickt. Während meines Studiums bin ich an verschiedenen Unis gewesen und war ganz versessen darauf, endlich in die Welt rauszugehen. Bis zu diesem Tag….

Doch ich schiebe diesen Gedanken wieder beiseite und spare mir die Düsternis für heute Abend auf. Dann drucke ich die fertige Präsentation aus und bringe sie meinem Chef.

„Danke, Frau Winter“, sagt mein Chef geistesabwesend.

Das bin ich gewohnt, denn meistens beachtet er mich nicht, sondern murmelt nur irgendwas Zustimmendes.

Eigentlich ist mein Chef ganz ok. Auch der Job ist ganz in Ordnung, also irgendwie. Doch letztendlich bin ich leider genau da gelandet, wo ich niemals hinwollte: In der Firma meines Vaters, denn für mich war es die einzige Chance, überhaupt noch eine Stelle zu bekommen.

Immerhin verschafft mir der Job eine finanzielle Unabhängigkeit, wenngleich ich ansonsten nicht unabhängig bin, denn ich lebe nach wie vor auf dem Dachboden im Hause meiner Eltern. Ein zugegeben sehr schöner, ausgebauter Dachboden, den bis vor einigen Jahren noch mein Bruder bewohnt hat. Später hat er zusammen mit seiner Frau Ari dort gelebt, bis die beiden in Annas und Aris alte Wohnung umgezogen sind und ich den Dachboden bekommen habe.

Ich liebe Ari, sie ist die beste große Schwester, die man sich wünschen kann und auch die beste Schwägerin der Welt. Oh, bitte! Das ist gar nicht so kompliziert!

Meine Mutter hat sich von meinem Vater getrennt, als ich fünf war und hat mich zu meinem Vater nach München abgeschoben. Anna und mein Vater kannten sich schon sehr lange und sind irgendwann zusammengezogen.

Natürlich war die ganze Geschichte wesentlich komplizierter, aber ich habe das eh damals nicht so mitbekommen, weil ich viel zu klein war. Anna hat eine Tochter namens Ariane, aber sie will nur Ari genannt werden. Mein großer Bruder Max und Ari haben sich quasi von Anfang an „gemocht“, das hat jeder sehen können einschließlich mir, aber den beiden ist das Ganze erst zehn Jahre später klar geworden. Gottseidank haben sie es letztendlich doch noch hinbekommen und jetzt haben sie ein Haus und zwei Kinder namens Hanna und Theo. Hanna ist zehn und Theo sieben Jahre alt. Ich vergöttere die beiden, besonders Hanna, weil wir uns so ähnlich sehen, obwohl wir charakterlich völlig verschieden sind. Es war daher völlig klar, dass ich Hannas Patentante werde. Theo, der beste Freund meines Vaters, ist Theos Patenonkel.

Tja und deshalb habe ich eine große Schwester und eine Schwägerin in einer Person. Das spart einem ein Geburtstagsgeschenk!

Meinen großen Bruder Max liebe ich ebenfalls über alles. Er ist mein fester Punkt gewesen, als mich unsere Mutter nach München zu unserem Vater abgeschoben hat. Einem Vater, den ich kaum kannte, denn er war als Projektmanager ständig unterwegs. Ich war fünf, meine Großmutter war gerade gestorben und mein Vater hatte diesen neuen Job in München bekommen, den er auch heute noch hat. Er ist Geschäftsführer eines Firmenzweigs der Firma, für die er bereits seit dem Studium gearbeitet hat, allerdings bis dato in Hamburg, wo ich geboren wurde. Mein Bruder Max ist in Hattingen geboren, wo mein Vater, Anna und auch meine Mutter aufgewachsen sind. Als mein Vater den Job in München angenommen hatte, war zunächst geplant gewesen, dass wir alle, außer Max, nach München ziehen würden, denn Max hatte in Hamburg studieren wollen. Nach dem Tod meiner Großmutter schien meine Mutter jedoch irgendwie auf dem Egotrip zu sein und das hat sie bis heute nicht wieder abgelegt. Sie schreibt Bücher und hat das große Glück, dass sie sogar davon leben kann. Ich weiß, dass das nicht viele Autoren von sich sagen können.

Ich dagegen schreibe nur für mich, in mein Tagebuch.

Nur einmal habe ich meiner Mutter etwas gezeigt, eine Kurzgeschichte, die ich mit 16 geschrieben habe, „A Monkeys Tail“.

„Was ist denn das, Katja?“, hatte sie mich mit gerunzelter Stirn gefragt und auf die engbeschriebenen Blätter geschaut.

„Eine Kurzgeschichte. Ich wollte, dass du sie liest“, hatte ich schüchtern geantwortet.

„Ich habe keine Zeit für so etwas, Katja. Du weißt doch, dass mein neuer Roman demnächst erscheinen soll und wieviel Arbeit das macht. Ach nein, das weißt du natürlich nicht“, sagte sie trocken und stopfte die Geschichte in ihre Handtasche.

Wir haben dann nur noch Belanglosigkeiten ausgetauscht und ich bin mit dem Zug wieder nach München gefahren. Ich habe keine Ahnung, wieso ich sie ihr gezeigt habe und was ich erwartet habe.

Nur wenige Tage später hat sie mir eine Handynachricht geschrieben:

„Quatsch.“ Mehr stand da nicht.

Ich war am Boden zerstört und habe nie wieder jemandem etwas von mir gezeigt, obwohl ich auch danach noch weitere Geschichten geschrieben habe.

Seit dem Unfall vor drei Jahren habe ich begonnen, Gedichte zu schreiben.

Düstere Gedichte, denn in mir sieht es nun mal so aus. Vielleicht hat es auch schon immer in mir so ausgesehen, denke ich, während ich einen Geschäftsbrief tippe.

Denn auch „A Monkeys Tail“ war keine heitere Anekdote, sondern handelte von einem Affen, dem der Schwanz abgeschlagen wurde. Das Ganze sollte eine Parabel darstellen, na ja, war wohl nichts.

Ich kann wohl nichts Heiteres schreiben, denn anscheinend bin ich kein heiterer Mensch.

2. KAPITEL

Philip

Wie ich es hasse, sie einfach nur mit Frau Winter zu begrüßen! Am liebsten würde ich bereits jeden Morgen neben ihr aufwachen und dabei ganz andere Dinge mit ihr tun.

Täglich marschiere ich möglichst schnell an ihr vorbei und hoffe, dass sie nicht mitbekommt, wie ich sie dabei anhimmele. Dann setze ich mich an meinen Schreibtisch und warte darauf, dass sie mir den Kaffee bringt. Natürlich könnte ich das auch selbst tun, aber irgendwie hat sich das so eingebürgert, weil sie das für den Chef davor auch gemacht hat. Und meistens habe ich es danach auch hinter mir, was den direkten Kontakt mit Frau Winter betrifft.

Ich weiß gar nicht, ob die Winter einen Freund hat. Es spielt auch keine Rolle, denn ich glaube nicht, dass mein Vater mit dieser Wahl einverstanden wäre. Er hat eine sehr persönliche Vorstellung von meiner Wahl einer Frau, befürchte ich. Mein Vater hat allerdings, soweit ich es weiß, meine Mutter aus Liebe geheiratet. Meinem Großvater war es anscheinend egal, wen sein Sohn heiratet.

Meine Eltern haben sich während ihrer Ausbildung in der Firma meines Großvaters kennengelernt und direkt nach ihrem Abschluss geheiratet.

Nur kurze Zeit später sind mein Bruder und ich geboren worden.

Jonas ist zwar mein jüngerer Bruder, tatsächlich sind wir aber nur 15 Monate auseinander. Viele Leute glauben sogar, dass wir zweieiige Zwillinge sind. Äußerlich sehen wir eigentlich gar nicht aus wie Brüder, finde ich.

Mein Bruder hat braune Locken, die ihm bis auf die Schultern reichen und die er meistens als Pferdeschwanz trägt, bestimmt, um meinen Vater zu ärgern. Meine Haare dagegen sind viel heller und haben keine Spur von Locken. Allerdings trage ich sie auch immer sehr kurz.

Jonas braune Augen wären mir tatsächlich lieber, denn meine blauen Augen sehen irgendwie stechend aus. Mein Bruder ist, im Gegensatz zu mir, der Rebell der Familie. Ich bin schon immer wesentlich angepasster von uns beiden gewesen, schon in der Schule, was sich deutlich in unseren mündlichen Noten widergespiegelt hat. Schriftlich ist mein Bruder immer und in jedem Fach besser als ich gewesen. Es war schlichtweg entnervend, wie viel mehr ich habe tun müssen und wie locker Jonas durch die schriftlichen Prüfungen gekommen ist. Trotz eines wesentlich besseren Abis als meins, hat er nach der Schule erstmal eine Ausbildung zum Fitnesstrainer absolviert. Ich vermute, ebenfalls, um meinen Vater zu ärgern, zumindest würde ihm das ähnlich sehen. Mit dem Job im Fitnessstudio hat er sich dann selbst das BWL-Studium finanziert. Unserem Vater hat er allerdings nur erzählt, dass er im Fitnessstudio arbeitet, von seinem Studium weiß unser Vater gar nichts. Das ist auch besser so, findet mein Bruder, dann kann er weniger von ihm erwarten.

Ich dagegen habe mich für ein duales Studium entschieden. Irgendwie wollte ich keine unnötige Zeit verlieren, heute weiß ich gar nicht genau, wieso ich das wollte. Eines Tages werde ich wohl die Firma meines Vaters übernehmen, ob jetzt mit Jonas oder ohne ihn. Punkt. Da gibt es nichts dran zu rütteln. Allerdings wird mir immer flau im Magen, wenn ich daran denke.

Dass ich immer der Gute von uns sein muss, kompensiere ich mit Feiern. Ich genieße mein Leben in vollen Zügen und auch meine Unabhängigkeit, denn damit wird es wohl vorbei sein, sobald ich den

Geschäftsführerposten innehaben werde.

Für unsere räumliche Unabhängigkeit haben mein Bruder und ich uns eine gemeinsame Wohnung mitten in der Innenstadt gemietet. Das ist zwar sündhaft teuer, dafür aber ganz nah dran an Allem.

Übrigens weiß ich gar nicht genau, welche Vorstellung mein Vater von meiner zukünftigen Frau hat, ich befürchte aber, dass er meine Tippse nicht als etwas ebenbürtiges empfindet.

Das ist mir wieder mal letzten Sonntag bewusst geworden, als mein Bruder die Bombe hat platzen lassen:

„Du hast was?“, brüllte mein Vater Jonas fassungslos an.

„Ich habe mir einen Club gekauft“, hatte mein Bruder kühl wiederholt.

„Erst Fitnesstrainer und jetzt einen Club? Elfie!“, herrschte mein Vater daraufhin meine Mutter an. „Sag doch auch mal etwas!“

„Was ist denn das für ein Club, Jonas?“, wollte meine Mutter wissen, was natürlich überhaupt nicht hilfreich war.

Während ich daran denke, muss ich unwillkürlich wieder grinsen, so wie am Sonntag.

„Ach, du findest das wohl komisch, Philip“, hatte mich mein Vater sofort angeschnauzt. „Dir könnte auch mal etwas Besseres einfallen, als immer nur schick essen zu gehen.“

„Wieso?“, meinte ich betont gelangweilt.

Ich wusste, dass ihn das auf die Palme bringt, aber er ging mir tierisch auf die Nerven. Der gute Sohn zu sein, heißt schließlich nicht, sich alles gefallen zu lassen.

„Weil sich das für einen angehenden Geschäftsführer nicht schickt“, hatte mein Vater behauptet. „Nicht, dass du uns so eine geldgeile Schlampe anschleppst. Sieh zu, dass du jemand ebenbürtiges findest. Und du Jonas: Da ist das letzte Wort noch nicht gefallen!“

Mit diesen Worten war mein Vater aus dem Wohnzimmer gerauscht, wir haben beide nur den Kopf geschüttelt.

„Dass du auch immer so mit der Tür ins Haus fällst, Jonas“, tadelte meine Mutter daraufhin, was ja klar war, denn sie kann ja schlecht mit unserem Vater schimpfen, das schickt sich nicht für eine gute Ehefrau.

„Wie hätte ich es ihm denn sonst sagen sollen“, meinte Jonas verärgert.

„Und ich verstehe auch immer noch nicht, wieso er ein solches Problem damit hat!“

„Das ist doch völlig klar“, sagte ich unwirsch. „Papa will doch, dass wir beide die Firma übernehmen. Und er denkt, dass du dazu keine Zeit haben wirst, wenn du diesen Club betreibst.“

„Das weiß ich doch“, entgegnete mein Bruder trocken.

Mein Bruder hat den Club übrigens bereits seit einem Jahr. Ich habe keine Ahnung, wieso er sich letzten Sonntag dazu entschlossen hatte, unserem alten Herrn davon zu erzählen. Der Club ist gar nicht mal schlecht besucht, seit seiner Eröffnung, wie ich natürlich aus eigener Erfahrung weiß. Vielleicht hat er so lange gewartet, weil er den richtigen Zeitpunkt abwarten wollte oder weil der Club jetzt endlich Gewinne abwirft. Ich weiß zwar nicht, was ich von der Sache mit dem Club halten soll, finde aber, dass das Jonas Entscheidung ist.

Komisch, dass mein Vater so darauf erpicht ist, unsere beiden Leben zu bestimmen, denn mein Großvater hat eigentlich immer einen recht relaxten Eindruck auf mich gemacht. Das täuscht allerdings, hat meine Mutter mir versichert. Er hat seinen Sohn permanent angetrieben und Dank meines Vaters gibt es jetzt Außenstellen bis in die Schweiz.

Wahrscheinlich erwartet mein Vater von uns, dass wir Firmenzweige außerhalb Europas eröffnen. Natürlich wäre die Produktion in China günstiger, aber im Moment wirbt die Firma noch mit echter, deutscher Markenware, die eben in Deutschland produziert wurde.

Mein Großvater hat das Ganze damals mit Klebstoffen begonnen, doch ebenfalls, dank meines Vaters, gibt es heute nicht nur die unterschiedlichsten Klebemittel, sondern auch Lösemittel, sowohl für die Industrie als auch für den privaten Bereich. Mein Vater hat einiges erreicht und er erwartet dasselbe von uns, nur erscheint mir der Preis teilweise zu hoch dafür.

Meine erste, feste Freundin hatte ich mit zwanzig an der Uni und er hat sie allen Ernstes gefragt, ob sie denn nur an seinem Geld interessiert wäre.

Meine Freundin hat ihn erstaunt angesehen und ist dann gegangen. Leider nicht nur aus dem Haus meiner Eltern, sondern auch aus meinem Leben.

Danach hatte ich nur noch kurze Flirts, nichts Festes und nach Hause habe ich nur selten jemanden mitgebracht. Mein Vater hatte dann immer die Augenbrauen skeptisch nach oben gezogen, ein paar blöde Fragen gestellt, z. B.:

„Zahlen Sie ihr Essen auch mal selbst oder lassen Sie sich nur von Männern aushalten.“

Diese Besuche waren nie sehr lang. Auch Jonas hat irgendwann davon abgesehen, seine Freundinnen mitzubringen, weil einfach immer Spitzen kamen.

Im Skiurlaub habe ich dann Melanie kennengelernt. Eine lockere Beziehung, die eigentlich nur auf Ausgehen und Feiern basiert hat. Sie hat sich von mir getrennt, als ich mir einen Golf zugelegt habe, was komisch war, denn bis dahin hatte ich gar kein Auto. Aber Taxi fahren hat wohl eher in ihr Weltbild gepasst, als einen VW zu fahren. Natürlich hat sie auch bemängelt, dass ich nichts von Armani trage, aber der VW war dann wohl doch der Gipfel für sie. Leider habe ich durch sie nur noch solche Leute kennengelernt, die gerne feiern. Na ja, und irgendwie mag ich es schon, auszugehen und sich etwas Gutes zu leisten.

Meine Eltern sind wahnsinnig sparsam, obwohl die Firma so viele Umsätze macht. Sie verreisen selten und wenn, dann in die Berge in eine kleine Pension. Sie fahren schon seit Jahren dorthin.

Im Winter sind wir allerdings immer zum Skifahren nach St. Anton gefahren. Meine Eltern sind beide versierte Skifahrer und haben meinem Bruder und mir das Skifahren bereits ganz früh beigebracht. Jonas und ich fahren jetzt immer zusammen, aber ohne unsere Eltern, in den Skiurlaub, einfach, weil wir die Meckerei meines Vaters nicht mehr für eine Woche ertragen wollen.

Nach Hause gehen wir allerdings in regelmäßigen Abständen, denn unsere Mutter ist eine Seele von Mensch und schließlich kann sie ja nichts für die Meckerei unseres Vaters. Ihre Generation hat einfach nicht gelernt, sich dagegen durchzusetzen.

Ich denke über den Sonntag nach, während ich meine Mails abarbeite. Leider kann ich mich meistens erst nach vier Uhr nachmittags richtig konzentrieren, sobald Frau Winter nach Hause gegangen ist, denn glücklicherweise scheint sie sehr früh anzufangen. Meistens treffe ich die Leute in ihren Büros, dort bin ich sehr viel besser bei der Sache.

Komischerweise hat sonst niemand eine Assistentin in dieser Firma, zumindest nicht auf diesem Niveau. Es gibt Juniorstellen für die Leute, die nach dem dualen Studium übernommen werden und womit ich auch angefangen habe. Zum Glück war mein Chef so überzeugt von mir, dass ich nach nur zwei Jahren bereits ein eigenes Team hatte, was mein Vater leider nicht sonderlich honoriert hat.

„Mach es dir da nicht zu gemütlich. Ich habe dich schon die Ausbildung woanders machen lassen. Kann ja nichts schaden, habe ich gedacht, aber du und dein Bruder habt nur Flausen im Kopf. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, euch bei mir lernen zu lassen.“

„Machen lassen“ ist doch sehr gönnerhaft ausgedrückt, aber ich habe das unkommentiert stehen lassen. Um nichts in der Welt hätte ich meine duale Ausbildung in der Firma meines Vaters machen wollen.

Ich schaue um die Ecke und erhasche einen Blick auf Frau Winter. Frau Winter und ihre wahnsinnig langen Beine, die mir jeden Tag aufs Neue den Atem rauben. Ich wünschte, ich könnte ihre langen Beine einfach um mich schlingen und mich durch ihre feuerroten Haare wühlen. Ich glaube, bei mir hat noch nie so der Blitz eingeschlagen, bis mir meine neue Sekretärin, pardon, heute heißt das ja Assistentin, vorgestellt wurde.

Seitdem gehen mir diese roten Haare, diese haselnussbraunen Augen und dieser Wahnsinnskörper einfach nicht mehr aus dem Kopf. Und jeden Morgen muss ich sie ansehen und darf sie nicht berühren.

Aber mein Vater würde mich wahrscheinlich enterben.

3. KAPITEL

Katja

„Das wollte ich nicht!“

Der Knall des Aufpralls hallt durch meinen Kopf. Schweißgebadet wache ich auf. Doch immer noch sehe ich die Bilder des Unfalls vor mir. Wieder und wieder sehe ich die anklagenden Gesichter während der Gerichtsverhandlung und die sich darin widerspiegelnde Fassungslosigkeit, als das Urteil verkündet wird.

„Eine fahrlässige Tötung durch die Angeklagte konnte seitens der Staatsanwaltschaft nicht festgestellt werden.“

Als ob so etwas überhaupt möglich sein kann, wenn jemand stirbt! Ich muss doch fahrlässig gehandelt haben, denn ich habe ihn schließlich umgebracht. Ich habe ihn einfach überfahren! Was spielt es für eine Rolle, dass meine Ampel grün war? Was spielt es für eine Rolle, dass er einfach rübergegangen ist, ohne zu schauen und dass die Fußgängerampel rot war? Ich hätte besser aufpassen müssen!

Nach wie vor höre ich die Anfeindungen der Familie, höre das Aufschluchzen der Mutter, die mich als Mörderin beschimpft. Wie Recht sie doch hat!

Mein Vater hat mich damals schnell aus dem Gerichtssaal gezogen und nach Hause gefahren. Zuhause herrschte eine gedrückte Stimmung, trotz des Urteils.

„Wir können zufrieden sein“, meinte Ansgar zu mir und Meli, seine Frau, drückte mich sanft.

„Ich koche jetzt erstmal einen Kaffee“, hatte Anna damals gesagt und war entschlossen aufgestanden. Doch vorher hatte auch sie mich noch ganz fest an sich gedrückt.

„Zumindest hast du jetzt die Verhandlung hinter dir, Katja“, hatte sie mir leise zugeflüstert und war dann in die Küche gegangen.

„Hinter mir“, echoten die Worte in meinem Inneren.

Ich würde nie etwas hinter mir haben, denn schließlich bleibt dieser Mensch tot!

Irgendwann war ich dann auf den Dachboden gegangen. Ich blickte mich um, doch mehr weiß ich nicht mehr, bis ich in der Klinik aufgewacht bin.

Ich stehe auf und trinke ein Glas Wasser. Trotz der Schlaflosigkeit versuche ich die Schlaftabletten, die mir die Klinik mitgegeben hat, zu meiden. Das wäre nur künstlicher Schlaf und den kann ich nicht gebrauchen, denn schließlich verdiene ich die Schlaflosigkeit und die Albträume. Ich finde, dass ich irgendwie Buße tun muss, auch wenn das diesen Menschen nie wieder zurückbringen wird.

Es erstaunt mich schon, dass meine Familie so zu mir hält, natürlich außer meiner Mutter. Aber ich weiß gar nicht, was sie darüber denkt, sie hat nie mit mir darüber geredet oder mich in der Klinik besucht. Sie ist kein Teil meines Lebens und ich bin anscheinend auch keiner ihres Lebens.

Ich würde nicht zu mir halten, denke ich, während ich mich anziehe. Dann stiefele ich nach unten und mache mir eine Tasse Tee. Kaffee trinke ich nur, wenn Anna oder Ari ihn gekocht haben, sonst schmeckt er mir einfach nicht, obwohl ich mir von Anna habe zeigen lassen, wie man ihn kocht. Aber für mich allein ist das zu viel Aufwand und bis die anderen aufstehen, wäre er kalt.

Es ist drei Uhr morgens, leider kann ich erst um sieben Uhr ins Büro. Ich habe versucht, joggen zu gehen, aber das ist einfach nichts für mich. Ich bekomme diese schnelle Bein-Arme-Kopf Koordination nicht hin und bin bei meinem ersten Versuch fünfmal hingefallen. Ich brauche hier wohl nicht zu erwähnen, dass ich völlig unsportlich bin.

Also schreibe ich Gedichte in mein Tagebuch, um die Zeit rumzubekommen. Seitenweise fülle ich das Buch mit dramatischen und traurigen Phrasierungen. Es ist bereits mein zehntes Tagebuch, dass ich vollkritzele. Das Erste konnte ich sogar noch mit Geschichten füllen, doch jetzt fallen mir nur noch kurze, abgehackte Sachen ein. Ich habe überlegt, ob ich anfange, Balladen oder vielleicht auch Lieder zu schreiben, aber leider bin ich völlig unmusikalisch. Mein Bruder Max dagegen spielt einfach fantastisch Klavier. Deshalb musste er auch immer Weihnachtslieder vorspielen und zum Glück hat auch das mit dem Tod meiner Großmutter aufgehört, wie er mir einmal erzählt hat. Ich habe zum Glück gar nicht erst damit anfangen müssen, mein Vater hat vollstes Verständnis für meine nicht vorhandene Musikalität. Er findet auch meine Unsportlichkeit nicht weiter tragisch, denn schließlich habe ich beide Fächer weder für mein Abitur noch für mein Studium gebraucht. Um sechs Uhr atme ich auf, schnappe mir meine Sachen, gehe raus zum Bus und fahre zur Arbeit.

„Guten Morgen, Frau Winter“, begrüßt mich mein Chef um neun Uhr und kommt gut gelaunt durch das Vorzimmer gelaufen.

Er hat übrigens auch so ein duales Studium hier absolviert und hat mit nur 32 bereits eine ganze Abteilung unter sich.

Eigentlich sieht er nicht schlecht aus: Blonde kurze Haare, ozeanblaue Augen und eine sportliche Figur, die in Anzughosen einfach super aussieht.

Ok, zugegeben, ich schwärme ein wenig für ihn. Aber ich weiß ja, dass das niemals wahr werden wird. Und eigentlich weiß ich auch gar nichts über ihn, außer, wie er seinen Kaffee trinkt. Er ist nicht verheiratet, das weiß ich wohl, aber bestimmt hat er eine Freundin. Solche Typen haben doch immer eine Freundin.

Es gibt etliche Paare hier in der Firma. Das duale Studium scheint auch eine Art Heiratsvermittlung zu sein und manche Beziehungen sind sogar bleibend, wie man dann feststellt, wenn die Frauen in Elternzeit gehen.

„Frau Winter, bitte tippen Sie mir diese Briefe ab.“

„Natürlich, sofort Herr Rose“, sage ich und schnappe mir die Briefe.

Im Tippen bin ich richtig schnell geworden, seit ich diesen Job habe.

Später werde ich mich noch mit Bunny treffen, meine beste Freundin seit der Schulzeit. Leider hat sie nur wenig Zeit für mich. Schon während des Studiums hat sie ihren Mann kennengelernt, er war mit seiner Promotion beschäftigt und hat jetzt einen Job als Teamleiter in einer Firma für Gasleitungssysteme.

Also hat Bunny erstmal Kind Nummer eins während der Masterarbeit bekommen, dann das Referendariat absolviert und währenddessen Kind Nummer zwei bekommen.

Wahnsinn! Benita, so heißt Bunny eigentlich, ist genau so alt wie ich, hat aber irgendwie alles geschafft und arbeitet jetzt als Lehrerein an derselben Schule wie Ari, Max Frau.

Und ich darf Briefe abtippen, denke ich enttäuscht.

Mein Vater hat mir vor zwei Jahren diesen Job beschafft. Als ich aus der Klinik kam, wusste ich einfach nichts mit mir anzufangen und er hatte wohl Angst, dass ich wieder in der Klinik landen würde.

Einen falschen Nachnamen in der Firma zu verwenden, war übrigens meine Idee, denn ich heiße gar nicht Winter, sondern Sommer. Selbst wenn der Nachname Sommer ein häufiger Name ist, wollte ich auf gar keinen Fall auch nur irgendwie mit meinem Vater in Verbindung gebracht werden. Ich habe das damals vorgeschlagen und er hat tatsächlich niemandem gesagt, dass ich seine Tochter bin, auch nicht dem Mitarbeiter, dem er mich damals aufs Auge gedrückt hat, ein älterer Mann, der bald in Rente ging. Allerdings war das jemand, für den Assistentinnen eben Sekretärinnen sind und als solche hat er mich auch behandelt. Ich glaube allerdings nicht, dass dies die Intention meines Vaters war, als er mich in die Projektabteilung gesetzt hat, denn ich bekomme beinahe ein Traineegehalt für das, was ich hier tue.

Ich beschwere mich nicht, was soll ich meinem Vater sagen? Und was käme danach? Ich habe schleunigst gelernt, ganz schnell zu tippen. Die Recherche Arbeit macht mir schon Spaß, ist aber natürlich keine wirkliche Herausforderung.

Nach einem Jahr kam dann Herr Rose und hat mir einfach weiterhin diese Aufgaben übertragen.

Das Ausdrucken der wöchentlichen Präsentationen ist etwas Neues, was er jede Woche Montag für die Teamgespräche eingeführt hat, denn dadurch hat er einen wöchentlichen Stand der aktuellen Arbeit, ohne an jedem Teamgespräch auch wirklich teilnehmen zu müssen. Dass ich die Folien teilweise korrigiere oder umschreibe, ist bislang niemandem aufgefallen. Muss es auch nicht, denn es ist die einzige Abwechslung, die dieser öde Job mir bietet.

Ich liebe übrigens den Nachnamen meines Chefs: Rose.

Wenn wir heiraten würden, würde ich Katja Sommer-Rose heißen. Klänge das nicht traumhaft?

4. KAPITEL

Philip

Ich atme auf, als Frau Winter endlich das Büro verlässt. Jetzt kann ich mich gleich viel besser konzentrieren, denn in nur einer halben Stunde ist ein Meeting, das ich noch vorbereiten muss.

Vielleicht gehe ich danach noch ins Fitnessstudio, überlege ich, während

ich auf die PowerPoint Präsentation schaue. Dank meines Bruders komme ich billiger dort rein. Jonas hat glücklicherweise seinen Job dort nicht gekündigt, Mann braucht ein zweites Standbein, pflegt er zu sagen. Dabei hat er so viel Ähnlichkeit mit meinem Vater, dass es beinah erschreckend ist.

Ich habe mich schon oft gefragt, wieso die beiden so schlecht miteinander auskommen. Vielleicht gerade, weil sie sich so ähnlich sind.

Ich ähnele eher meiner Mutter, denn ich habe gerne meine Ruhe und ecke nur ungern an. Auch die blonden Haare und die blauen Augen habe ich von ihrer Seite der Familie.

Eigentlich würde ich sogar gerne eine Freundin haben, die etwas bodenständiger ist. Eine, mit der ich einfach mal spazieren gehen kann, ohne dass sie Angst hat, ihre Schuhe zu ruinieren. Die viele Feierei ist schließlich nur eine Ablenkung für meine Einsamkeit. Obwohl ich mit meinem Bruder zusammenlebe, habe ich einfach keine Ahnung, was ich mit mir anfangen soll. Jonas ist ständig unterwegs, ob tagsüber im Studio oder nachts im Club. Er sagt immer, dass er keine Zeit für Frauen hat. Vielleicht sollte ich anfangen, in Jonas Club zu arbeiten, denke ich seufzend und marschiere zu meinem Meeting, für das ich nur mäßig vorbereitet bin.

Was Frau Winter wohl in ihrer Freizeit macht, denke ich plötzlich, schiebe den Gedanken jedoch zur Seite und versuche, mich aufs Meeting zu konzentrieren. Danach schreibe ich schnell das Protokoll.

Vielleicht sollte Frau Winter das zukünftig übernehmen, denke ich plötzlich. Aber dann kannst du dich noch schlechter konzentrieren, seufzt meine innere Stimme.

Nach der Arbeit fahre ich tatsächlich noch ins Fitnessstudio. Zum Glück habe ich meine Sportsachen immer im Wagen. Manchmal gehe ich morgens noch Joggen, aber dafür muss ich so früh aufstehen und das ist gar nicht mein Ding, denn ich bin abends einfach fitter als morgens. Nach einem zehn Kilometer Lauf auf dem Laufband, fühle ich mich zumindest etwas entspannter.

„Hallo Philip!“

„Hallo Lydia!“

Erfreut schaue ich sie an, denn ihr schlanker, durchtrainierter Körper ist eine Augenweide.

„Du bist schon lange nicht mehr vorbeigekommen“, mault sie.

„Ich hatte viel zu tun.“

Wie ich das bedauere, stöhne ich innerlich, wenn ich an das letzte Mal mit uns denke und was schon viel zu lange her ist.

„Nun, du weißt ja, wo du mich finden kannst“, flötet sie und geht in Richtung Damenduschen.

Oh man, denke ich und gehe widerwillig zu den Herrenduschen.

Vielleicht nutze ich demnächst das Angebot mal wieder. Generell ist es schon eine Weile her, seit ich Sex hatte. Nach Melanie waren ein paar Eskapaden und natürlich auch mit Lydia ein paar Male. Aber auch diese Frauen sind einfach nichts für eine Beziehung, wie sie mir vorschwebt. Vielleicht frage ich Frau Winter doch mal auf ein Date, ganz unverbindlich. Äh, dann solltest du sie aber nicht unbedingt mit Frau Winter ansprechen, höhnt meine innere Stimme verächtlich.

Katja, denke ich versonnen und ziehe mich um.

5. KAPITEL

Katja

„Hallo Bunny!”

„Hallo Katja“, ruft mir Bunny entgegen mit Johann auf dem Arm und Felicitas an der Hand.

Jetzt ist Feli auch bald schon vier Jahre alt, denke ich kopfschüttelnd.

„Schön, dass du da bist, Katja. Komm doch rein.“

Ich stiefele der ganzen Bande ins Haus hinterher, das ganz idyllisch in der Nähe eines Walds gelegen ist, die Gegend ist wirklich wunderschön.

„Wir brauchen noch einen Augenblick“, ruft Benita und packt alles Mögliche in eine Einkaufstasche.

Dann drückt sie mir Jan in den Arm.

„Ich gehe eben den Bollerwagen aus dem Auto holen.“

Und schon ist sie weggeflitzt.

„Hallo Jan.“ Sanft drücke ich den Einjährigen an mich, mit großen blauen Augen schaut er mich an.

„Hallo Katja!“ Vergnügt strahlt mich Feli an. Sie sieht genauso aus wie Bunny in dem Alter: goldblonde Locken und grüne Augen. Ich sähe gerne so aus. Meine roten Haare verleihen mir etwas von einer Hexe, finde ich.

„Kommt ihr?“

Kaum haben wir Bunny gehört, marschieren wir auch schon schnurstracks nach draußen. Es liegt einfach an Bunny, Menschen tun das, was sie sagt.

Gottseidank ist sie Lehrerin geworden. Nicht auszudenken, was sie als Politikerin oder Managerin alles anstellen könnte! Dabei ist sie kein bisschen herrschsüchtig. Sie besitzt einfach eine natürliche Autorität, ähnlich wie Ari. Die beiden sind sich auch sehr ähnlich in ihrer Art.

Langsam laufen wir in Richtung Spielplatz, während ich Feli und Jan im Bollerwagen hinter mir herziehe.

„Was macht die Arbeit, Katja?“, fragt Bunny beiläufig, denn sie weiß, dass ich nicht gerne darüber rede.

„Ach, es geht. Heute waren mal wieder haufenweise Fehler in den Folien.“

„Hast du sie korrigiert?“ Amüsiert schaut mich Bunny an.

„Ja, das Meiste.“

„Dir ist schon klar, dass die anderen Leute das sehr viel besser bezahlt bekommen als du, oder?“ Dabei spüre ich ihren missbilligenden Seitenblick.

„Ja, ich weiß“, knurre ich.

„Und wenn du doch mal mit deinem Vater darüber sprichst?“

„Was soll das bringen. Die Abteilung ist ja ganz ok. Wer weiß, wie die nächste Abteilung ist und ich bin ja gar nicht in irgendeinem Projekt drin. Ich habe nie mit meinem Studium etwas angefangen und jetzt sind die Kenntnisse alle weg.“

Natürlich versuche ich locker zu klingen, doch ich spüre die Bitterkeit in mir aufsteigen und muss mich räuspern.

„Blödsinn! Man muss sich doch immer einarbeiten, egal wieviel Erfahrung man vorher gesammelt hat.“

„Und bestimmt denken dann alle, dass ich das nur wegen meines Vaters bekommen habe.“

„Hast du doch dann auch.“

„Ja und dann bekomme ich keine faire Chance.“

„Wieso eigentlich? Die wissen doch gar nicht, dass du seine Tochter bist, Frau Winter.“ Dabei betont sie meinen falschen Nachnamen, den tatsächlich, außer der HR-Abteilung, in der Firma niemand kennt. Und die hat meinem Vater versprochen, dicht zu halten.

Erst habe ich befürchtet, dass der neue Job zu schwierig für mich sein wird, denn ich bin davon ausgegangen, dass mein Chef wusste, dass ich BWL studiert habe. Vielleicht wusste er das auch, aber es hat ihn nicht interessiert. Herrn Rose interessiert es leider auch nicht, was mich schon mehr stört. Ich wäre ihm schon gerne etwas ebenbürtiger.

„Was denkst du, Katja? Vielleicht an Herrn Rose-Sommer?“

„Oh, man Bunny“, schimpfe ich. „Wieso habe ich dir das überhaupt erzählt?“

„Na, weil ich deine beste Freundin bin!“

Das stimmt. Und auch Bunny hat immer zu mir gehalten. Als ich Besuch empfangen durfte, hat sie mich jeden Tag in der Klinik besucht.

„Wie geht es dir sonst, Katja?“, fragt mich Bunny leise, während Feli aus dem Wagen rausklettert und zum Spielplatz läuft. Bunny schnappt sich Jan und setzt ihn in den Sand, schüttet eine Tüte Sandspielzeug vor ihm aus, geht zurück und setzt sich zu mir auf die Bank.

„Ach, es gibt gute und schlechte Tage.“

Ich erzähle lieber nicht, dass ich jede Nacht nur höchstens drei Stunden schlafe, weil die Albträume wieder schlimmer werden.

„Gehst du denn noch zu Sara?“

„Schon seit Monaten nicht mehr. Das Gequatsche bringt doch nichts.“ Das ist mir schon in der Klinik auf die Nerven gegangen. Ich war froh, als ich endlich entlassen wurde und nicht mehr permanent erzählen musste, wie es in mir drin aussieht.

„Hat es wirklich nichts gebracht?“ Stirnrunzelnd schaut mich Bunny an.

„Ich glaube nicht.“ Nachdenklich zucke ich mit den Schultern.