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Einen unerotischen Weihnachtsroman im Sommer schreiben, wenn man eine Schreibblockade hat? Für Darie, Bestsellerautorin von erotischen Liebesromanen, völlig abwegig! Genauso, wie der Vorschlag ihrer besten Freundin, zur Inspiration in die Berge zu fahren! Was soll sie zwischen Kühen und - brrr - Schnee? Doch überraschenderweise stellt sich nicht nur der Ausblick auf schneebedeckte Berge, sondern auch der auf vergissmeinnichtblaue Augen, als sehr inspirierend heraus!
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Seitenzahl: 359
Veröffentlichungsjahr: 2025
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EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
DREIZEHN
VIERZEHN
FÜNFZEHN
SECHZEHN
SIEBZEHN
ACHTZEHN
NEUNZEHN
ZWANZIG
EINUNDZWANZIG
ZWEIUNDZWANZIG
DREIUNDZWANZIG
VIERUNDZWANZIG
FÜNFUNDZWANZIG
SECHSUNDZWANZIG
SIEBENUNDZWANZIG
AUTOREN BIOGRAFIE
Lily Winter Liebe geht durch dick und dünn
Lily Winter Leben geht durch dick und dünn
Lily Winter Zur Liebe geht`s dort entlang
Lily Winter Die Sommertrilogie
Lily Winter Verschwundene Liebe
Lustvoll nahm sie ihn in sich auf, wand sich und schrie wie in Ekstase. Die letzten Wochen waren äußerst qualvoll für sie beide gewesen, doch endlich
Verdammt, klingt das hohl!
Seufzend lese ich mir noch einmal durch, was ich in der letzten Stunde geschrieben habe.
Dann lösche ich alles und starre auf die wenigen beschriebenen Seiten auf meinem PC, die noch übrig sind. Mindestens 500 Seiten habe ich dieses Jahr schreiben wollen, doch gerade mal 100 kann ich bis jetzt vorweisen.
Seit einem Jahr geht mir das bereits so. Weil mich einfach nichts mehr von dem, was ich schreibe, überzeugt oder berührt. Die Ekstase, die ich noch bei meinem letzten Roman empfunden habe, hat bei meinem aktuellen Buch leider nie eingesetzt.
Ich vermisse dieses Gefühl. Dieses wahnsinnig tolle Gefühl, das mich eigentlich immer durchflutet hat, wenn ich so richtig in einer Geschichte drin war. Doch Fehlanzeige.
Und heute ist bereits der letzte Tag des Jahres!
Damit steht es offiziell fest: Ich bin eine absolute Versagerin, die ihr Ziel für dieses Jahr wohl nicht mehr erreichen wird: Einen erotischen Thriller schreiben und damit endlich wieder ein erfolgreiches Buch zu veröffentlichen!
Wie sehr habe ich mir gewünscht, es allen mit einem neuen, wirklich guten Roman zu zeigen, nachdem der Letzte so dermaßen zerrissen worden ist. Meine ersten beiden Romane waren sogar auf den Bestsellerlisten vertreten. Auch die nachfolgenden Romane waren nicht schlecht und wurden noch relativ gut verkauft. Doch der letzte Roman war ein absoluter Fehlschlag. Das Schlimmste daran ist, dass ich seitdem nichts mehr schreiben kann, ohne es zu hinterfragen und um es dann meistens direkt wieder zu löschen, weil mir nichts mehr gut genug erscheint.
Mutlos lasse ich meine knapp fünfunddreißigjährigen Schultern fallen. Ich bin mir sicher, dass auch meine rabenschwarzen schulterlangen Locken völlig durchhängen. Mein Gesicht tut bereits weh vom vielen Stirnrunzeln und meine dunkelblauen Augen schmerzen vor Frustration und Übermüdung. Vielleicht würden mir Zuspruch und Anerkennung helfen, doch niemand ist da, um sie mir zu geben. Und Grund dazu gibt es ja auch offensichtlich keinen!
Und da sitze ich nun an meinem weißen vintage Schreibtisch in meinem Schlafzimmer. Durch die Fensterscheiben sehe ich auf eine sehr hässliche, regennasse Straße in Pinneberg, die das eigentlich so nah entfernte Hamburger Flair leider überhaupt nicht reflektiert. Trotzdem kann ich in meinem Schlafzimmer eigentlich immer am besten schreiben. Vielleicht, weil ich mir hier die Liebesszenen besser vorstellen kann. Allerdings wurde über meinen letzten Roman ziemlich häufig geschrieben, dass die romantischen Szenen seicht bis völlig unerotisch seien, ja sogar als frigide bin ich auf manchen Blogs bezeichnet worden.
Vielleicht haben sie auch recht damit. Schließlich habe ich bis jetzt beinah alles nur theoretisch erlebt, was ich in meinen Liebesromanen beschrieben habe. Sehr zu meinem persönlichen Bedauern, übrigens.
Mein riesengroßes, dunkellilafarbenes Boxspringbett, das ich mir von den Einnahmen meines allerersten erotischen Liebesromans damals vor fünf Jahren gekauft habe, ist für solche Dinge leider noch nie zum Einsatz gekommen. Mein Schlafzimmer habe ich mit dazu passenden schweren, dunkellilafarbenen Vorhängen versucht, leicht verrucht einzurichten. Allerdings habe ich weiße vintage Möbel dazugestellt, weil mir das Zimmer dann doch zu düster wurde. Viele heiße Szenen habe ich mir in diesem Bett überlegt. Und wegen dieses gewissen Flairs in meinem Schlafzimmer, macht das „nur darüber Schreiben“ durchaus sehr viel Spaß. Trotzdem wäre so ein reales „Ah“ und „Oh“ Gestöhne auch mal wieder sehr schön.
An und für sich sind eigentlich alle meine Bücher bis jetzt recht erfolgreich gewesen. Auch das letzte Buch hat sich eigentlich ganz gut verkauft. Vielleicht auch, weil ich mich nicht davor scheue, es so richtig zur Sache gehen zu lassen. Ja, an erotischen Romanen kann man ganz gut verdienen, habe ich festgestellt. Weil diese Art von Literatur ja durchaus gerne und von vielen Menschen offiziell oder auch einfach still und heimlich gelesen wird. Dank e-Buch Reader sieht ja niemand mehr, was man da so gerade liest.
Das Klingeln meines Handys schreckt mich aus meinen trübsinnigen Gedanken.
„Hi Darieee!“, trällert meine beste Freundin Marie in den Hörer.
Sie betont meinen Namen immer so schön. Ich fühle mich dann immer ganz toll, wenn sie das macht. Dazu sind Freundinnen schließlich da, pflegt sie dann immer zu sagen. Vollständig heiße ich übrigens Darie Schnitt und ganz ehrlich: Eigentlich liebe ich diesen Namen, also zumindest den vorderen Teil davon. Gut, mein Nachname reißt es da beinah wieder raus, im negativen Sinne. Aber zumindest mit meinem Vornamen hat meine Mutter mal etwas Nettes für mich gemacht.
Da ich als Lehrerin arbeite, habe ich mich natürlich für ein Pseudonym entschieden. Auf allen meinen Büchern prangt der Name Daria Stern. Das ist besser, denn ich möchte mir nicht ausmalen, was passiert, wenn meine Schüler herausfinden, dass ich erotische Liebesromane schreibe!
„Hi Marieee!“, quietsche ich halbherzig zurück.
Trotzdem stimme ich spontan in Maries Lachen mit ein. Bestimmt klingt es noch genauso albern, wie damals als wir vier waren. Das haben uns zumindest unsere Mütter erzählt, die übrigens ebenfalls beste Freundinnen gewesen sind.
Gewesen sind, leider. Denn Maries Mutter hat einen sehr viel drastischeren Schritt unternommen als meine Mutter, um ihre Familie zu verlassen. Meiner Mutter hat es zum Glück ausgereicht, uns, als ich 16 war, rein physisch zu verlassen, also meinen Vater und mich. Maries Mutter hingegen hat sich vor einen Zug geworfen. Das war, kurz bevor meine Mutter beschlossen hat, dass wir ihr nicht mehr genügen. Nach dem Selbstmord haben Marie und ich unseren Lieblingsfilm „Anna Karenina“ nie wieder gucken können. Die DVD liegt seitdem ganz unten bei meinen alten Schulsachen auf dem Speicher meines Vaters.
Obwohl es Maries Mutter war, war ich ebenfalls völlig erschüttert. Denn je mehr sich meine Mutter und ich uns voneinander entfernt haben, was ungefähr anfing, als ich neun Jahre alt war, desto mehr gewann Maries Mutter an Bedeutung für mich. Sie hatte wirklich alles, was man sich von einer Mutter nur wünschen konnte: Sie war herzlich, lobend und verständnisvoll. Ich habe wirklich keine Ahnung, was sie zu ihrem Selbstmord bewogen hat. Marie wusste es auch nicht oder sie hat einfach nicht mit mir darüber sprechen wollen. Dabei habe ich eigentlich immer geglaubt, dass wir über alles reden können.
„Uff. Erde an Darie! Bist du noch dran? Oder schreibst du gerade?“, kommt es genervt vom anderen Ende der Leitung.
„Nein“, sage ich zitternd und stehe plötzlich kurz davor, loszuheulen.
„Oh Darie“, sagt Marie mitfühlend. „Im neuen Jahr wird alles anders. Aber jetzt ist erstmal Silvester!“, brüllt sie mir ins Ohr. Uff, ich werde die erste Woche des neuen Jahres taub sein, so viel steht schonmal fest!
„Hast du mit deiner Agentin gesprochen?“, fragt sie jetzt wieder in normaler Hörerlautstärke. Ich räuspere mich verlegen.
„Ach, Mirabell hat mich wahrscheinlich längst abgeschrieben. Unser letztes Gespräch war im Oktober. Leider musste ich ihr mitteilen, dass ich gerade mal 100 Seiten habe, die nicht einmal zusammenhängend sind. Ich bin total frustriert.“
Man, klingt das schon wieder weinerlich. Wenn es doch nur eine Pille gegen Selbstmitleid gäbe!
„Das geht jetzt schon seit Monaten so, Darie. Liegt es immer noch an diesen fiesen Rezensionen über deinen letzten Roman?“, fragt Marie erstaunt. Ich schlucke.
„Ehrlich gestanden, weiß ich das gar nicht so genau. Ja, vielleicht. Seitdem mein letztes Buch so zerrissen worden ist, hinterfrage ich ständig jedes Wort, das ich schreibe. Und dann lösche ich alles wieder, weil irgendwie alles so blöd klingt. Heute habe ich eine halbe Seite geschrieben und nichts davon hat mich überzeugt. Vielleicht sollte ich es einfach lassen, das mit dem Schreiben.“ Schweigen.
Also diese Stille am anderen Ende irritiert mich dann doch. Anscheinend stimmt mir Marie in meinem Vorhaben zu. Das habe ich jetzt so nicht erwartet!
„Darie“, sagt sie hörbar vorsichtig und mein Magen krampft sich zusammen. „Zum Glück bist du doch keine Berufsautorin, die vom Schreiben leben muss. Es ist der letzte Tag des Jahres. Sag deiner Agentin einfach, du meldest dich wieder, aber im Augenblick hast du andere Prioritäten. Du kommst doch heute Abend zu meiner Party? Dann lassen wir es so richtig krachen!“, ruft sie.
Trotz meines Frusts muss ich jetzt schmunzeln. Jedes Jahr fragt mich Marie, ob ich zu ihrer Party komme, obwohl ich selbstverständlich immer zu ihrer Silvesterparty gehe. Wohin denn auch sonst? Alle unsere Freunde sind doch ohnehin bei Marie eingeladen.
„Natürlich komme ich. Wann geht es denn los?“, frage ich, wie jedes Jahr, jedoch sehr viel weniger enthusiastisch als sonst.
„Ach, komm einfach vorbei. Wie jedes Jahr!“, lacht sie.
Ich stimme in ihr Lachen mit ein. Der Witz zwischen uns beiden nutzt sich einfach nicht ab. Und natürlich schauen wir uns alle immer diesen lustigen Film um Mitternacht an: Der mit dem Butler, der alten Dame und dem Tigerkopf.
Frustriert ziehe ich mich an meinen Schreibtisch zurück. Ursprünglich wollte der Verlag das Buch im April kommenden Jahres herausbringen, also in ungefähr vier Monaten. Mir wird leicht übel, wenn ich daran denke, dass er seine Option auf das Buch zurückfordern wird, wovon ich einen großen Teil in ein neues Sofa und die Reparaturen meines uralten Autos gesteckt habe.
Doch dann schiebe ich diesen Gedanken beiseite. Schließlich muss ich mich jetzt in Schale schmeißen! Kaum öffne ich jedoch die Türen meines Kleiderschranks, klingelt mein Handy. Schon wieder?
Ich blicke auf das Display: Meine Agentin ruft mich Silvester an?!
Widerwillig gehe ich ran, obwohl es bereits halb sieben Uhr abends ist.
„Schnitt, Guten Tag?“
Ich bin immer etwas außer Atem, wenn mich meine Agentin anruft. Ich kann das einfach nicht ablegen, obwohl wir uns bereits seit fünf Jahren kennen.
„Hallo Darie. Hast du einen Augenblick Zeit!“
Wie üblich beinhaltet ihre Stimme keine Frage, sondern eine Aufforderung. Gestochen scharf kommen ihre Worte rüber, ohne die Duldung eines Widerspruchs. Genauso stelle ich mir Offiziere beim Militär vor.
„Selbstverständlich, Mirabell“, piepse ich sofort zurück.
Meine Agentin lässt sich von allen duzen, weil man sich im englischen Sprachraum ja auch beim Vornamen nennt, wie sie zu sagen pflegt. Das heißt aber selbstverständlich nicht, dass man auf derselben Stufe steht!
„Wie läuft es mit deinem aktuellen Roman? Der Verlag drängt auf eine Veröffentlichung, Darie.“ Ich hole tief Luft, bevor ich antworte.
„Leider gar nicht. Es tut mir leid, Mirabell, aber ich bin nicht fertig. Ich kann einfach nicht mehr schreiben!“, seufze ich.
Meine Augen brennen. Frustration macht sich in mir breit und ich schlucke an meinem Tränenkloss.
„Das habe ich mir bereits gedacht, Darie“, sagt Mirabell ungewöhnlich sanft.
Aber ich fühle mich dadurch noch schlechter, denn eine mitleidige Mirabell ist sehr viel frustrierender als eine wütende Mirabell. Wütend wird Mirabell, um einen anzustacheln. Ihr Mitleid zeigt mir doch nur, wie wenig sie wahrscheinlich noch an mich glaubt.
„Ich werde dem Verlag schreiben, dass du unter gesundheitlichen Problemen leidest. Vielleicht kannst du die Option in Raten abstottern oder sie gewähren dir einen zeitlichen Aufschub. Weswegen ich dich aber eigentlich anrufe, ist, dass mich ein anderer Verlag gefragt hat, ob dein nächster Roman nicht zu Weihnachten spielen könnte. Diesmal allerdings keine Erotik, sondern trautes Familienglück. Eher keusch und niedlich, um deine Zielgruppe zu erweitern. Und vielleicht bringt dich das auf andere Gedanken“, schließt Mirabell, doch ich habe nichts davon verstanden.
„Wieso?“, frage ich dumm, wobei ich beides meine, das Thema und das auf die anderen Gedanken kommen. Ich weiß jetzt nicht, was Weihnachten mit meinen Romanen zu tun haben soll. Und wieso ich so etwas hinbekommen soll, wenn mir doch mein aktueller Roman bereits Kopfschmerzen bereitet.
„Das ist doch offensichtlich!“, stöhnt sie. Einer ihrer Lieblingssätze. Doch leider weiß ich so gut wie nie, was für sie so offensichtlich ist.
„Tut mir leid. Wieso ist Weihnachten so wichtig für einen Roman?“, frage ich vorsichtig nach.
„Das ist doch jetzt der neue Trend! Urlaubsromane als Urlaubslektüre am Meer und zu Weihnachten eben ein Roman, der zu Weihnachten spielt, am besten mit Schnee und Herzschmerz. Sie haben dabei an dich gedacht, weil du bereits eine große Leserschaft hast. Dein Instagram Account zeigt deutlich, dass du sehr beliebt bist bei den Leserinnen ab 18 bis ungefähr 30 Jahre, auch wenn sich dein letzter Roman nicht mehr ganz so gut verkauft hat. Wenn du jetzt einen herzerweichenden Weihnachtsroman schreibst, kriegst du vielleicht auch die älteren 40 plus Leserinnen bzw. diejenigen, die eben keine Erotik in ihren Büchern haben wollen, sondern einfach nur den Herzschmerz.“ Zu meiner Frustration gesellt sich jetzt auch noch Stress.
„Äh ok. Sicher, das kann ich versuchen“, willige ich nervös ein, aber so wirklich überzeugt bin ich nicht davon. Was soll das denn? Als ob den Lesern so etwas wichtig ist. Wann habe ich eigentlich einen Roman zu Weihnachten gelesen, der auch noch an Weihnachten spielt? Keine Ahnung, ich habe da nicht drauf geachtet. Es war mir wohl nicht so wichtig.
„Bis wann brauchst du die Idee, Mirabell?“, frage ich vorsichtig nach.
Natürlich freue ich mich über die Chance, die mir Mirabell verschafft hat. Doch mehr denn je fühle ich mich dadurch unter Druck gesetzt. Wie soll ich das schaffen, wenn mir doch absolut nichts mehr einfällt? Und sich alles, was ich schreibe, wie ein Grundschulaufsatz liest!
„Ach, das hat keine Eile, Darie. Aber es wäre schon gut, wenn ich zeitnah ein fertiges Exposé von dir bekäme. Sollte es dem Verlag gefallen, muss die Rohfassung natürlich im kommenden Sommer fertig sein, logischerweise“, setzt sie hinzu. „Melde dich einfach, wenn du etwas hast, Darie. Guten Rutsch!“, verabschiedet sie sich und legt auf.
Sicher, natürlich. Selbst mir ist klar, dass ein Weihnachtsroman lange vor Weihnachten fertig sein sollte. Nur habe ich leider noch gar keine Idee, wie ich das bewerkstelligen soll. Wie erstarrt blicke ich auf den tutenden Hörer. Immerhin scheint Mirabell noch an mich zu glauben.
Das Gespräch beschäftigt mich immer noch, während ich mich endlich für die Party fertig mache: Zartes Makeup und ein super enges schwarzes Kleid, das ich als Lehrerin natürlich niemals in der Schule anziehen würde.
Es ist bereits halb neun, als ich mit Aufbrezeln fertig bin, doch mein Weg zu Marie ist glücklicherweise nicht weit. Es sind nur wenige Treppen runter.
Marie und ich wohnen nämlich im selben Haus!
Sie wohnt im Erdgeschoss und ich unter dem Dach, wortwörtlich. Manchmal wird es allerdings so heiß hier oben, dass ich bei ihr übernachten muss. Ein Umstand, den sie gerne in Kauf nimmt, behauptet sie zumindest immer. Ihre Dreizimmerwohnung ist ganz klassisch aufgebaut: Küche, drei Zimmer, ein zu kleines Bad. Meine Dachstube dagegen ist einfach total individuell geschnitten. Man kommt direkt rein in ein riesiges Wohnzimmer, rechts davon befindet sich eine Miniküche und links geht es zu einem beinah so großen Schlafzimmer wie das Wohnzimmer. Um das modern ausgestattete, riesige Bad, mit schimmernden weißen Kacheln, beneidet mich Marie sogar, während sie den übrigen „Unschnitt“, wie sie meine Wohnung zu nennen pflegt, doch eher unpraktisch findet. Der Sohn des Vermieters hat sich damals den ehemaligen Dachboden nach seinen Wünschen ausbauen lassen. Dann ist sein Vater gestorben, hat ihm einen Batzen Geld vererbt und er hat sich ein eigenes Haus gekauft und ich hatte das Glück, die Wohnung zu finden. Mir gehört zwar der größte Teil der obersten Etage, aber durch die vielen Schrägen gibt es nur wenige Wände, die man zustellen kann. Deshalb ist meine Wohnung auch ähnlich günstig wie die von Marie, obwohl es doppelt so viele Quadratmeter sind.
Während ich die Treppen zu Marie heruntersteige, lasse ich den Stress des gesamten Jahres von mir herabfallen. Jetzt feiere ich erstmal, dass dieses Jahr endlich zu Ende geht!
„Also dieser Film wird einfach nie langweilig!“, quietscht Marie selig, als wir die letzten Sachen wegräumen.
Es ist bereits vier Uhr morgens. Die letzten Gäste sind gerade gegangen und haben uns das allgemeine Chaos zurückgelassen. Eben wie jedes Jahr. Und gemeinsam räumen wir dann immer Maries Wohnung auf.
„Sauberer als vorher“, pflegt sie dann jedes Mal zu sagen, wenn wir fertig sind. Danach schnappen wir uns immer eine frische Flasche Sekt und prosten uns zu.
„Auf uns und das neue Jahr!“, rufen wir und schmatzen uns ab, etwas, was wir auch wirklich nur ein einziges Mal im Jahr machen, weil wir nur dann betrunken genug dafür sind.
„Nachdem ich meiner Agentin gebeichtet habe, dass ich meinen Roman immer noch nicht fertig habe, hat sie mich gebeten, einen romantischen Weihnachtsroman zu schreiben“, stöhne ich, als wir es uns gemeinsam auf Maries beigefarbenem Sofa gemütlich machen.
„Und dann treiben sie es unter dem Weihnachtsbaum?“, kichert sie.
Eigentlich liest Marie Fantasy und auch bitte nur Fantasy, ganz ohne Romantik, wie sie immer betont. Aber selbstverständlich hat sie jedes handsignierte Buch von mir gelesen. Das sei ja schließlich Ehrensache, hat sie gemeint, als ich ihr meinen ersten Roman überreicht habe.
„Es soll nichts mit Erotik sein, sondern was fürs Herz“, seufze ich.
Darüber zu sprechen, klingt bereits merkwürdig für mich.
„Wieso wollen sie denn jetzt einen unerotischen Liebesroman von dir?“, fragt sie und kippt den Rest ihres Sekts runter. Ich tue es ihr gleich.
„Mirabell meinte, dass man meine Leserschaft damit noch besser ausbauen könnte, wenn ich die Erotik weglasse. Viele Leserinnen mögen zwar Liebesromane, wollen aber keine expliziten Szenen“, versuche ich wiederzugeben, was ich bei Mirabell bereits nicht verstanden habe.
„Na ja, ob das so stimmt? Im Zeitalter der e-Bücher verkaufen sich doch gerade solche Romane wahnsinnig gut“, erwidert Marie und spricht damit genau meine Skepsis zu dem Ganzen aus.
„Ich habe auch keine Ahnung, wie der Verlag da ausgerechnet auf mich kommt. Und eine Idee habe ich auch noch nicht.“
Wieso habe ich mich überhaupt darauf eingelassen? Ich habe keine Ahnung!
„Das muss ja auch nicht mehr heute sein. Ist ja eh spät bzw. früh. Und nächste Woche hast du doch noch frei und überlegst dir etwas. Bestimmt bringt das neue Thema dich wieder in Schwung!“, sagt Marie und klingt so herrlich enthusiastisch, dass ich es beinah selbst glaube.
Und genau das mag ich so an Marie. Sie hat immer positive Worte für mich und kritisiert mich nur ganz selten. Und auch wirklich nur, wenn es absolut berechtigt ist. So wie damals, als ich mir meine schwarzen Locken habe blond bleichen lassen. Ich sah aus wie ein Albino mit meiner blassen Haut. Wir sind uns völlig einig darüber, dass das eine sehr große Fehlentscheidung von mir war. Marie war gerade auf einer Konferenz, so dass sie mir diese Schnapsidee nicht ausreden konnte, leider. Sie hat sich echt schuldig gefühlt deswegen.
„Aber eigentlich auch gar nicht so schlecht“, sagt sie auf einmal und ich sehe förmlich, wie es in ihrem Hirn rattert.
Marie hat immer und überall Bestnoten gehabt. Nicht verwunderlich, dass sie mit ihrem Abschluss in Biotechnologie eine steile Karriere bei einem Pharmakonzern hingelegt hat und jetzt bereits Abteilungsleiterin mit einem protzigem Dienstwagen ist.
„Was meinst du?“, frage ich interessiert, denn meistens sind Maries Ideen ganz brauchbar.
„Na ja, vielleicht hilft es dir ja, deine Blockade zu überwinden. Du könntest dich auf die tiefen Gefühle der Charaktere konzentrieren, wenn du nicht über Erotik schreiben musst.“ Gut, meistens brauchbar, leider nicht immer.
„Du findest meine Bücher oberflächlich?“, frage ich entrüstet.
Sicherlich habe ich auch das in zahlreichen Rezensionen gelesen, es aber aus Maries Mund zu hören, trifft mich hart.
„Ach was, aber sie beschäftigen sich halt mehr mit der Libido als mit tief empfundener Liebe.“ Na gut, vielleicht hat sie recht?
„Also sollte ich mir diesmal bodenständigere Eigenschaften für die Charakterprofile ausdenken?“, frage ich nach. Bodenständig, wie auch immer das aussehen mag. Marie nickt.
„Genau. Und die Geschichte selbst könnte doch darüber handeln, dass jemand an Weihnachten nach Hause kommt. Wo er schon lange nicht mehr war“, überlegt sie.
„Das klingt super. Sei doch einfach mein Ghostwriter, ich bringe doch ohnehin nichts mehr zustande“, schlage ich ihr vor.
Das ist bestimmt keine schlechte Idee, denn Marie steht ja nicht auf erotische Szenen. Wahrscheinlich kann sie so etwas viel besser schreiben als ich. Was bleibt mir bitte noch, wenn ich diese ganzen erotischen Phrasen streichen soll? Und nicht einmal die habe ich die letzten Monate zu Papier bringen können, weil alles so frigide klang.
„Ach was, das schaffst du schon. Bis wann soll der Roman denn fertig sein? Weihnachten ist ja noch ein bisschen hin“, meint sie.
„Im Sommer will sie spätestens die Rohfassung haben, das Exposé natürlich weitaus früher.“ Erstaunt blickt mich Marie an.
„Echt? Dauert das so lange, bis der Roman dann druckfertig ist? Du bist doch schon ein Profi“, sagt sie treuherzig.
Ihre Worte schmeicheln mir auch prompt und meine Wangen fühlen sich warm an, was allerdings auch an dem vielen Sekt liegen könnte.
„Teilweise muss man nach dem Lektorat noch ganze Szenen umschreiben. Und wenn ich bis März nichts schreibe, muss ich mir einen zweiten Job suchen, um die Option zurückzuzahlen“, seufze ich. Marie zuckt zusammen.
„Verstehe. Oder du haust sie mit deiner neuen Idee um. Wie gehst du denn sonst für deine Romane so vor?“, fragt sie interessiert.
„Eigentlich schreibe ich gerne darauf los“, überlege ich. „Wenn ich dann das Gerüst habe, arbeite ich die Charaktere aus, dann kann ich die Dialoge besser an den Charakter anpassen“, sage ich schulterzuckend.
„Vielleicht fängst du diesmal mit den Charakteren an?“, schlägt Marie vor.
„Ein Mann und eine Frau“, beginne ich zögernd. „Der Mann hat einen Laden, in dem die Frau immer einkaufen geht. Sie ist total in ihn verknallt und…“ Marie winkt ab.
„Ts, du sollst doch nichts Erotisches schreiben. Wer ist diese Frau überhaupt? Was für Vorlieben hat sie? Wieso geht sie immer dort einkaufen? Weil es auf dem Weg liegt? Von mir aus auch wegen des Typen, aber welche Geschichte hat sie? Und welche hat er?“, zählt sie auf.
Ich muss förmlich schlucken bei diesen Anmerkungen. Meine Bücher haben sich ja durchaus gut verkauft, aber ich hatte keine Ahnung, dass Marie meine Charaktere so flach findet.
„Danke, vielleicht hast du Recht. Mit meinem aktuellen Roman komme ich ohnehin nicht weiter. Vielleicht muss ich es diesmal mit einem Konzept versuchen und mit den Charakterprofilen beginnen“, sage ich mutlos, denn ich glaube nicht, dass mir das weiterhilft.
„Du schaffst das. Vielleicht brauchst du wirklich etwas Neues, über das du schreiben kannst. Bis jetzt hatten deine Romane eben erotische Schwerpunkte. Und selbstverständlich sind sie gut, schließlich haben Tausende von Leuten sie bereits gelesen!“, erinnert mich Marie und augenblicklich fühle ich mich etwas besser.
Anscheinend bin ich wohl sehr davon abhängig, was andere über mich sagen. Kaum sagt Marie etwas Positives, fühle ich mich besser und umgekehrt. Was sagt das über mich und mein Selbstbewusstsein aus? Nicht gerade ausgeprägt, befürchte ich.
„Kann ja nichts schaden, mal etwas Neues auszuprobieren“, murmele ich. Allerdings sind nach wie vor Zweifel in mir. Ich bin nicht gerade der spontane Typ, der gerne neue Dinge ausprobiert. Schon gar nicht, nachdem ich offensichtlich an meinem letzten Buchprojekt offiziell gescheitert bin.
Romane zu schreiben ist eigentlich nichts, was ich für mich jemals geplant habe. Aber irgendwann kam mir die Idee über ein erotisches Techtelmechtel in einem Park, als ich draußen spazieren gegangen bin. Plötzlich war sie da, meine erste Romanidee und nur ein halbes Jahr später hatte ich bereits 550 Seiten geschrieben! Die Wörter sind einfach aus mir herausgepurzelt. Marie hat lange auf mich einreden müssen, bis ich es bei Literaturagenten eingereicht habe. Gemeinsam haben wir mein erstes Exposé aufgesetzt und an verschiedene Leute verschickt. Dann kam erstmal lange nichts, dann zwei Absagen und dann hatte mir plötzlich Mirabell geschrieben, dass sie sofort zu den ersten drei Kapiteln das gesamte Manuskript von mir haben möchte. Ihre schonungslos ehrliche Art ist etwas, wovor ich gleichzeitig Angst und Respekt habe.
„Wenn du magst, zeig es mir ruhig“, grinst Marie.
„Klar, sobald ich etwas habe“, erwidere ich. Wann immer das auch sein mag!
„Einen Vorteil hätte es vielleicht auch, wenn du es schaffst, einen bekannten Weihnachtsroman ohne Erotik zu schreiben“, meint Marie und grinst mich auf einmal schelmisch an.
„Sicher. Ich blicke über meinen Tellerrand…“, fange ich genervt an.
„Quatsch, das meine ich gar nicht. Vielleicht kannst du deiner Mutter dann endlich mal von deiner erfolgreichen Autorenkarriere erzählen. Dann hat sie noch ein weiteres berühmtes Kind, auf das sie stolz sein kann.“ Entgeistert blicke ich Marie an.
„Ich glaube, das wird sie auch nicht von mir überzeugen“, sage ich ernst.
Ja, selbst, wenn meine Mutter früher so etwas gelesen haben sollte, hat sie, nachdem sie damals bei uns ausgezogen ist und nur ein Jahr später ihre Familie 2.0 gegründet hat, ganz bestimmt damit aufgehört. Denn diese Familie ist eben in allem besser als ihre Pilot-Familie: Zu dem gutverdienenden Ehemann (Er ist Chefarzt!), kommen auch noch zwei wohlgeratene Kinder, ein Junge und ein Mädchen, die selbstverständlich Medizin studieren, weil sie ihr Abitur an einer Privatschule mit Bestnoten abgeschlossen haben. Und die heißen nicht einfach Schnitt, wie mein Vater und ich, sondern von Waldenstein, was meine Mutter immer sehr lobend betont. Dabei kann ja eigentlich niemand etwas aktiv für seinen Nachnamen.
„Wieso? Was für Bücher liest sie denn?“, fragt Marie. Wieso reden wir jetzt auf einmal von meiner Mutter?
„Welche von Nobelpreisträgern oder die Biografien von berühmten Leuten und so“, zähle ich auf.
So genau weiß ich das allerdings gar nicht, muss ich zugeben. Weil ich mich eigentlich nie tiefergehend mit ihr über Bücher unterhalten habe. Ich habe nur die Buchregale bei meinen wenigen Besuchen bei ihr und ihrer Familie in Hannover gesehen und schon die Buchrücken wirkten langweilig auf mich.
„Na ja, aber vielleicht wird dein Roman auch automatisch ernsthafter, wenn er keine Erotik enthält. Du könntest über dich schreiben“, schlägt Marie vor. Über mich?
„Das würde dann doch ein zu ernster und vor allen Dingen sehr kurzer Roman werden, befürchte ich. Mein Leben ist alles andere als romantauglich und zu wem soll ich schon zu Weihnachten nach Hause kommen? Da ist doch nur mein Vater und für den gelte ich eigentlich nicht als verschollen“, sage ich unwirsch. Wieso klinge ich eigentlich so zickig, Marie versucht mir doch nur zu helfen.
„Stimmt auch wieder. Am besten, du fokussierst dich erstmal auf andere Dinge, wie persönliche Interessen und Erfahrungen deiner Charaktere. Vielleicht hat die Frau jemanden verlassen, der ihr viel bedeutet hat?“
„Ich glaube nicht, dass wir meiner Mutter viel bedeutet haben“, sage ich und spüre wieder diesen Kloß in mir, wenn ich an sie denke. Dabei ist das beinah 20 Jahre her. Marie nickt.
„Ich wüsste auch gerne, warum sie euch verlassen hat. Und immerhin kannst du sie noch danach fragen. Bei meiner Mutter wird das deutlich schwieriger.“
Ihre leuchtend grauen Augen blicken mich auf einmal traurig an. Die Jahreswechselmelancholie hat uns mal wieder fest im Griff.
„Lass uns schlafen gehen, Marie. Das Jahr hat erst angefangen. Kein Grund zur Eile“, wiederhole ich Maries Worte von gerade eben.
Und damit mache ich es mir auf der Couch gemütlich und Marie huscht in ihr Bett.
Nach einem ausgiebigen Frühstück bei Marie mit Speck und Rührei und literweise Kaffee, mache ich am ersten Tag des Jahres einfach mal gar nichts. Nein, auch meinen Schreibtisch meide ich und da es fürs Spazierengehen zu nass draußen ist, gucke ich mir den ganzen Tag eine Serie auf DVD an und gehe früh schlafen.
Tatsächlich wache ich erst 12 Stunden später wieder auf. Da Marie heute wieder arbeitet, weiß ich erst gar nichts mit mir anzufangen. Ich habe glücklicherweise noch die ganze übrige Woche Weihnachtsferien und meine Stundenvorbereitung für meine Fächer Erdkunde und Deutsch mache ich nicht vor Samstag.
Also könnte ich doch einfach mal loslegen.
Doch um fünf Uhr nachmittags hocke ich frustriert am Schreibtisch. Nachdem ich es nicht geschafft habe, mir wirklich eine Person auszudenken, habe ich angefangen, drauf loszuschreiben.
Alisha betritt den Laden, in den sie jeden Tag zum Einkaufen geht. Dabei sieht sie den gutgebauten gutaussehenden Ladenbesitzer, dessen braune Augen immer so lustvoll wundervoll schimmern aufleuchten, wenn er sie sieht. Sie zieht ihren engen MinirRock zurecht, räuspert sich, grüßt ihn freundlich und schwebt zu den Dosen.
Argh! Furchtbar! Wieso um Himmels willen sollte sie denn zu den Dosen „schweben“?!
Entnervt drücke ich auf Löschen und starre wieder auf die weiße Fläche meines Desktops. Wer ist diese Alisha und wieso habe ich an diesen Namen gedacht? Ich weiß es nicht!
Wo soll der Roman überhaupt spielen?
Vielleicht in Süddeutschland, denn Schnee sollte doch auch herumliegen, und zwar eine Menge. Nicht so wie hier, bei uns, im grauen Norden. Trübsinnig blicke ich aus meinem Schlafzimmerfenster und schaue mir den Regen an, der schon seit Tagen herunterprasselt und alles grau einfärbt.
Was habe ich mir nur gedacht! Ich wechsele das Genre und meine Schreibblockade löst sich einfach auf? Wohl kaum!
Wie ist meine Agentin überhaupt darauf gekommen, dass ich einen unerotischen Weihnachtsroman schreiben könnte? Nachdem sich mein letzter Roman nicht mehr so gut verkauft hatte, hatte Mirabell angeregt, auch mal Thrillerelemente in die nächste Geschichte einzubauen und das ganze ordentlich damit zu strecken. Vergleichbare amerikanische Romane zeichnen sich vor allem durch ihre Länge aus und damit hätten die Leserinnen dann etwas Vergleichbares von einer deutschen Autorin. Manchmal ist die Länge halt doch entscheidend, hatte sie Augenzwinkernd gemeint. Doch ich habe sie enttäuscht. Nicht einmal meine üblichen 500 Seiten, habe ich geschafft zu schreiben.
Mit dem darauf los Schreiben komme ich auch nicht weiter. Was ja auch zu erwarten war. Hilflos fange ich an, im Internet zu recherchieren und finde jede Menge Vorlagen zu Charakterbeschreibungen. Und blöderweise auch ganz viele negative Rezensionen über meine Bücher. Ich schlucke, als ich wieder und wieder lesen muss, dass meine Geschichten unrealistisch sind. Das ist schon merkwürdig, denn schließlich sind meine Geschichten doch rein fiktiv. Und mich persönlich hat tatsächlich noch niemand in einer Eishalle verführt. Das heißt doch aber nicht, dass das nicht passieren könnte! Es klingelt an der Tür.
„Hi Marie!“, rufe ich ihr direkt an der Haustür entgegen und halte inne. Ich kenne diesen Geruch! Grinsend hält sie eine riesige Tüte hoch.
„Chinesisches Essen! Damit schafft man alles!“, verkündet sie und ich strahle sie einfach nur an, denn bei chinesischem Essen kann ich nicht anders.
„Du bist unglaublich“, schmatze ich, als ich in die kochend heiße Frühlingsrolle reinbeiße und mich prompt verbrenne. „Woher wusstest du, dass ich einen riesigen Hunger habe?“
„Darie, ich kenne dich seitdem du ein Baby warst und wahrscheinlich haben wir das Glutamat bereits über die Muttermilch aufgesaugt und sind daher süchtig nach diesem Essen“, antwortet Marie mit vollem Mund.
„Wahrscheinlich hast du recht“, grinse ich, denn auch unsere Mütter haben sicherlich haufenweise chinesisches Essen gefuttert, als sie damals zusammen in Bonn studiert haben.
„Meine Mutter meinte immer, dass sie nie wieder so gutes chinesisches Essen wie während ihrer Studienzeit gegessen hat“, nuschele ich mit vollem Mund.
„Ja“, nickt Marie, den Mund voll mit Hühnchen Süßsauer, ihr absolutes Lieblingsgericht. „Das hat meine Mutter auch immer gesagt. Und ich nehme mir andauernd vor, mal in Bonn chinesisch essen zu gehen, aber ich habe es noch nie geschafft.“
„Ich wusste gar nicht, dass du das willst. Ich könnte mitkommen“, biete ich an. Ein Schatten fällt auf ihr Gesicht, Düsternis macht sich breit und ich fühle mich unwohl, diese Tür geöffnet zu haben.
„Ich wollte einfach mal sehen, wo meine Mutter gelebt hat. Sie hat so viel von ihrer Zeit an der Uni erzählt und immer so glücklich dabei gewirkt“, seufzt Marie.
„Ich würde das gerne mit dir zusammen machen, Marie“, sage ich leise.
„Danke, Darie“, sagt sie. „Wie weit bist du eigentlich mit deinen Charakteren? Hast du schon einen Namen?“, wechselt sie das Thema, dass mir leicht schwindelig wird. Denn das ist eben auch Marie, die von jetzt auf gleich wieder umspringen kann; von einer trauernden Tochter zu einer lebenslustigen Freundin. Was immer etwas unheimlich ist, wenn ich es beobachten muss. Ich räuspere mich, um die Situation von gerade eben abzuschütteln, denn offensichtlich will Marie nicht weiter darüber sprechen.
„Ich habe an Alisha gedacht. Kastanienbraune, schulterlange Haare, enge Röcke“, zähle ich auf. Marie verdreht die Augen.
„Äh, ist das so wichtig, was sie anhat?“, wirft sie ein.
„Eigentlich schon. Dann kann ich sie mir besser vorstellen“, sage ich achselzuckend. Dann stehe ich auf und hole meinen Laptop.
„Hier, ich habe mich an einer Vorlage aus dem Internet für Charakterprofile orientiert. Aber immer noch habe ich Schwierigkeiten damit, sie vor meinem inneren Auge zu sehen“, sage ich unsicher.
Aufmerksam studiert Marie meine Beschreibung, dabei stopft sie sich gedankenverloren eine Minifrühlingsrolle nach der anderen rein. Ich habe nie verstanden, wieso ich auf jedes Gramm achten muss, während Marie gertenschlank ist, dabei aber doppelt so viel isst wie ich. Aber Maries Job ist bestimmt Workout genug: Höchstwahrscheinlich flitzt sie ständig hin und her, während sie die Leute antreibt.
„Das gefällt mir“, sagt sie plötzlich und schmunzelt. „Du schreibst hier, dass ihr Hobby Nähen ist und dass sie das von ihrer Großmutter gelernt hat. Und hier schreibst du, dass sie eine Freundin aus Kindertagen hat. Könnte es sein, dass Alisha vielleicht diese Freundin zu Weihnachten besucht? Wo soll denn der Roman überhaupt spielen?“ Ich spare mir zu erwähnen, dass ich eigentlich schreiben will, dass sich eben diese Freundin umbringt. Das braucht Marie jetzt noch nicht zu wissen.
„Ich dachte an Süddeutschland, Schwarzwald zum Beispiel. Bei einem Weihnachtsroman sollte es doch auch darum gehen, Weihnachten zu feiern, finde ich. Zwar feiert man auch woanders Weihnachten, aber darüber weiß ich zu wenig“, überlege ich. Marie nickt.
„Ist vielleicht wirklich besser. Süddeutschland oder auch die Schweiz oder Österreich, aber ich fände einen Ort in Deutschland eigentlich ganz gut“, nickt sie.
„Was hältst du von Alisha? Ich bin nicht glücklich mit diesem Namen“, stöhne ich.
„Wahrscheinlich ist es dann auch noch nicht der richtige Name. Aber das macht doch nichts. Das kannst du doch dann über „suchen“, „ersetzen“ ganz schnell wieder ändern“, meint sie.
Bei diesen Worten fällt mir mal wieder auf, wieviel pragmatischer doch Marie ist als ich es bin. Und dass sie das selbst beim Romanschreiben ist, etwas, was doch endlich einmal meinen wenigen Stärken entspricht, macht mich beinah etwas eifersüchtig.
„Stimmt, Namen kann man ändern. Aber ich habe echt Schwierigkeiten damit, sie mir vorzustellen. Beziehungsweise die ganze Geschichte spielt sich einfach gar nicht in meinem Kopf ab. Ich fühle mich wie blockiert. Aber das liegt ja kaum am Thema, denn vorher habe ich ja auch nichts zustande gebracht. Und Schnee ist auch keiner da, obwohl es eigentlich Winter ist.“ Man, ich klinge schon wieder so weinerlich, ich wünschte, ich könnte das irgendwie abstellen.
„Na ja, du könntest doch spontan Skilaufen gehen. Du hast doch noch Ferien“, entgegnet Marie ruhig.
„Ach, da müsste ich ewig weit fahren und übrigens kann ich kein Skilaufen“, erinnere ich sie.
„Ich weiß“, grinst sie. „War auch eher metaphorisch gemeint. Ist allerdings sehr kurzfristig und dann bestimmt auch sehr teuer“, überlegt sie.
„Das garantiert auch. Dazu kommt übrigens noch, dass ich Schnee überhaupt nicht leiden kann.“ Die bloße Vorstellung daran lässt mich frösteln und ich schüttele mich.
„Echt?“, fragt sie verblüfft. „Das war mir jetzt nicht so bewusst.“
„Na ja, weil wir hier, Gottseidank, nie viel Schnee haben! Diese Eiseskälte jedes Jahr ist schon schlimm genug für mich, aber Schneemassen um mich herum fände ich einfach nur grauenhaft!“, stöhne ich.
„Schwierig, befürchte ich. Wo willst du dir denn dann die Inspirationen herholen, wenn du Schnee nicht leiden kannst?“
Damit spricht Marie genau mein Problem an, leider ohne Lösung. Und eigentlich ist es auch nur eines meiner vielen Probleme, die ohne Lösung dastehen.
„Ich sagte ja schon: Ich bin nicht die Richtige für einen Weihnachtsroman. Was weiß ich schon über Weihnachten feiern oder über große Gefühle. Mein Vater und ich treffen uns jedes Jahr an Heiligabend, tauschen unsere Geschenke aus und am ersten Weihnachtsfeiertag gehen wir mit euch zusammen essen.“
„Ist doch eine schöne Tradition, finde ich“, sagt Marie leise.
„Das finde ich auch, aber das kann ich so schlecht in einen Roman packen!“, entgegne ich unwirsch.
„Sollst du ja auch nicht. Wie sähe denn dein perfektes Weihnachten aus?“, fragt sie. Immer diese schwierigen Fragen. Deshalb ist der Lehrerberuf für mich so angenehm, da darf ich die Fragen stellen.
„Ich weiß es nicht so genau. Als meine Mutter noch bei uns gelebt hat, haben wir immer etwas Schönes zu Essen gekocht. Ich habe meiner Mutter ganz oft dabei geholfen, allerdings haben wir uns meistens dabei gestritten. Wenige Tage vor Weihnachten haben wir immer den Baum geschmückt, alle gemeinsam. Das fand ich immer das Beste an Weihnachten. Als meine Mutter ausgezogen ist, haben wir keinen Baum mehr gekauft. Ich habe einfach so getan, als ob mir das nicht so wichtig wäre“, sage ich traurig, weil meinem Vater anscheinend nie der Gedanke gekommen ist, dass ich das nur so gesagt habe.
„Wir haben immer einen“, sagt Marie bestimmt. „Aber das mit dem netten Essen fehlt mir auch, also das selbstgekochte. Wir haben immer mit meinen Großeltern zusammen gefeiert. Meine Oma konnte fantastisch kochen und hat mir ganz viel gezeigt. Aber ohne sie kann ich das nicht“, erzählt sie.
Natürlich weiß ich das alles. Das ist halt der Vorteil, wenn man einen Menschen bereits sein ganzes Leben lang kennt. Trotzdem müssen wir ab und an darüber reden, damit wir diese Zeiten nicht vergessen.
„Ella“, sage ich plötzlich.
„Wer ist Ella?“, fragt Marie erstaunt.
„Die Hauptperson. Sie heißt Ella“, sage ich feierlich und ändere sofort den Namen im Charakterbogen.
Und komischerweise fällt mir mit diesem Namen plötzlich eine Geschichte ein, die ich sofort, nachdem Marie wieder weg ist, beginne, zu skizzieren. Einfach so, vielleicht auch dadurch, dass ich mit Marie darüber gesprochen habe.
Was mir nach wie vor schwerfällt, sind die Begriffe. Ständig schleichen sich Wörter wie „lasziv“ oder „schmachtend“ ein. Diesmal lösche ich zwar nicht alles wieder, aber einzelne Worte, wenn sie einfach viel zu erotisch klingen.
Ein Anfang. Vielleicht hat Mirabell recht und ein neues Thema hebt mich wieder etwas aus meiner Blockade heraus.
Mittlerweile ist der Januar rum und das Jahr bereits einen ganzen Monat alt. Ich frage mich ja immer, wieso mir, als ich jünger war, die Zeit nie schnell genug vergehen konnte. Allerdings habe ich früher immer auf etwas gewartet: ein Teenager zu werden, endlich den Führerschein machen zu dürfen, die Schule zu beenden und irgendwann eine eigene Wohnung zu haben. Die Studienzeit in Hamburg war einfach nur großartig, auch wenn ich dabei auf Marie verzichten musste. Sie hat in Aachen Biotechnologie studiert und tatsächlich war nie klar, dass sie wieder nach Pinneberg zurückkehren würde, bis ein Pharmakonzern in Hamburg sie erfolgreich abgeworben hat. Nach ihrem Studienabschluss hat sie erstmal in Dortmund gearbeitet. Dann hat sie den Job in Hamburg angenommen und ist in die Wohnung hier in diesem Haus eingezogen, in dem ich erst ein Jahr zuvor eingezogen war. Die ersten Wochen, als Marie hier eingezogen ist, sind mir wie eine riesig lange Geburtstagsparty vorgekommen. Wir haben so viele Nächte durchgequatscht, als ob wir die letzten Jahre nachholen wollten. Sie hat mir von ihrem Job in Dortmund erzählt und dass sie nie Anschluss gefunden hat, weil alle bereits Familien und Freunde hatten. Das war wirklich einsam. Und ich konnte Anekdoten aus der Schule erzählen, an der ich seit Ende meines Studiums arbeitete.
Wieso ich Lehrerin geworden bin, weiß ich gar nicht. Ich glaube, ich wollte einfach irgendetwas Sicheres haben und Verwaltungsangestellte im öffentlichen Dienst erschien mir zu langweilig. Die Naturwissenschaften waren jetzt auch nicht so mein Ding. Erdkunde als Leistungskurs habe ich nur genommen, weil mir nicht viele Fächer neben Deutsch für mein Abitur ratsam erschienen, um damit wirklich das Abitur zu bestehen. Doch an der Uni hat mir Geografie sogar beinah mehr Spaß gemacht als Deutsch und auch die Unterrichtsvorbereitungen fand ich gar nicht so schlimm. Aber irgendwann wurde mir auch der Lehrerjob zu eintönig, das muss ich leider zugeben. Marie hat mal zu mir gesagt, dass ich meine Kreativität mittlerweile in meinen Büchern auslebe. Keine Ahnung, ob sie damit Recht hat, aber es macht mir wirklich Spaß, Bücher zu schreiben. Die Euphorie, die ich dabei verspüre, ist mit nichts vergleichbar, was ich vorher erlebt habe.
Leider ist das aber seit meinem letzten Roman nicht mehr der Fall. Und auch meine Weihnachtsgeschichte liegt mittlerweile wieder auf „Eis“, was theoretisch lustig klingt bei einem Roman, der im Winter spielt, aber nicht lustig ist. Es ist einfach nur eine weitere Sache, an der ich in meinem Leben gescheitert bin. Trotzdem habe ich meine bisherigen Ideen skizziert und meiner Agentin geschickt. Sie will sich zeitnah melden.
Ich bin gespannt. Allerdings bin ich auch froh darüber, dass ich ihr überhaupt etwas habe schicken können. Mein anderer Roman liegt ebenfalls in der Schublade und setzt Staub an. Natürlich nicht wortwörtlich, denn beide Romane liegen ja auf meinem Rechner. Wahrscheinlich wird es auch für Mirabell ungewohnt sein, mal etwas, ohne irgendwelche erotischen Beschreibungen, von mir zu lesen. Und bestimmt hat sie sich mehr davon versprochen, ich ja auch.
Der Verlag hat die Frist für mein Buch um ein halbes Jahr verlängert, keine Ahnung, was Mirabell ihnen erzählt hat. Innerlich fühle ich mich wie ausgebrannt. Ich wünschte, ich könnte einfach Urlaub nehmen, aber das geht ja nun mal nicht in meinem Beruf. Ich sehne die Osterferien herbei, die leider erst Ende März starten. Zumindest fällt mein Geburtstag bereits in die Ferien. Im besten Fall kann ich mich dann meinem Weihnachtsroman widmen. Vielleicht bringt der April sogar noch Schnee, was ich aber nicht hoffe. Allein der Gedanke an diese nasse Kälte bereitet mir Gänsehaut. Oder es kommt noch schlimmer: es ist trocken, die Sonne strahlt, aber es ist eiskalt!
Samstag, der 1. April und auch mein Geburtstag. Jetzt bin ich offiziell auf der Mitte der Dreißig angelangt!
35, was für eine Hausnummer, denke ich seufzend, während ich mich um 8 Uhr morgens aus dem Bett quäle. Meine Mutter hat diesmal auf einen Brunch um zehn Uhr früh bestanden, da sie und ihr Chefarztehemann heute Abend in Bielefeld noch eingeladen sind. Ich weiß gar nicht, wieso sich meine Mutter überhaupt die Mühe macht, jedes Jahr an meinem Geburtstag vorbeizukommen. Meistens gehen unsere Gespräche über Smalltalk eh nicht hinaus. Im Grunde genommen haben wir uns schon lange nichts mehr zu sagen. Ich fand es irgendwann müßig, mit jemandem zu reden, der mich ohnehin nur kritisiert.
Als ich klein war, war sie, glaube ich, ganz ok. Nicht, dass ich mich daran noch erinnern könnte. Meine erste Erinnerung ist, als sie zu mir meinte, die pinkfarbene Jeanshose stünde Marie viel besser als mir und ich solle weniger Süßigkeiten essen. Das muss so in der zweiten Klasse gewesen sein, davor ist einfach vieles verschwommen. Vielleicht habe ich es auch verdrängt.
Ja, ich weiß, man soll seine Eltern ehren und das tue ich auch, was meinen Vater betrifft. Aber bei meiner Mutter: Nun ja, es ist kompliziert.
Ich glaube, dass sie nach ihrem Uniabschluss sehr frustriert gewesen ist. Als sie mich bekam, hat sie ihren Job als Assistentin der Geschäftsführung bei einer Plastikfirma an den Nagel gehängt. Maries Mutter hingegen hat nie aufgehört zu arbeiten, sie war Bibliothekarin im Stadtarchiv in Pinneberg. Sie hat Geschichte, meine Mutter Literatur- und Kulturwissenschaften studiert. Die beiden haben sich