Liebe Familie 7 - Linda Fischer - E-Book

Liebe Familie 7 E-Book

Linda Fischer

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Beschreibung

Einen Aufbruch der besonderen Art leisten sich Leona und Tom Reuenthal diesmal: Sie starten zu einer Weltreise, während derer die älteste Tochter Rena und ihr Mann Fred daheim die Kinder hüten. Felix Falkow, der in Washington seine Auslandssemester absolviert, muss wieder ans Kofferpacken denken und kehrt vorläufig nach Deutschland zurück. Seine Doktorarbeit bringt ihn nach Thailand und Schweden. Diesmal gerät Leos jüngste Tochter Tessa in leichte Schwierigkeiten, da sie schon als Erstklässlerin die Schule schwänzt … Aber das ist mehr ein Versehen als Absicht – und beginnt als ganz normales Picknick. Und dann steht ja auch wieder eine Sommertournee für Rena und Tom an. Viel los im Haus Reuenthal und Falkow – wie immer. In gewohnter Weise lotst Linda Fischer ihre Leser durchs Leben der Protagonisten ihrer Reihe "Liebe Familie".

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Über das Buch:

Einen Aufbruch der besonderen Art leisten sich Leona und Tom Reuenthal diesmal: Sie starten zu einer Weltreise, während derer die älteste Tochter Rena und ihr Mann Fred daheim die Kinder hüten.

Felix Falkow, der in Washington seine Auslandssemester absolviert, muss wieder ans Kofferpacken denken und kehrt vorläufig nach Deutschland zurück. Seine Doktorarbeit bringt ihn nach Thailand und Schweden.

Diesmal gerät Leos jüngste Tochter Tessa in leichte Schwierigkeiten, da sie schon als Erstklässlerin die Schule schwänzt … Aber das ist mehr ein Versehen als Absicht – und beginnt als ganz normales Picknick.

Und dann steht ja auch wieder eine Sommertournee für Rena und Tom an. Viel los im Haus Reuenthal und Falkow – wie immer.

In gewohnter Weise lotst Linda Fischer ihre Leser durchs Leben der Protagonisten ihrer Reihe „Liebe Familie“.

Impressum:

Liebe Familie – Teil 7: Aufbruch

Linda Fischer

Copyright: © 2015 Linda Fischer published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

Handlungsorte und Personen

Hotel „Sonniger Garten“ in einem kleinen Ort in Niedersachsen

Leona Reuenthal, Besitzerin des Hotels

Thomas Reuenthal, genannt Tom, ihr 2. Mann, Sänger „Phil Williams“, Deutsch-Amerikaner

Dennis Falkow, ihr 1. Mann, verstorben 1997

Die Kinder

Felix Anton Falkow, adoptiert von Leona und Dennis, studiert Wirtschaftswissenschaft

Anissa Serena Falkow, genannt Rena, studiert Musik, Englisch und Geschichte auf Lehramt

- Frederick Gabriel Myers, Renas Mann, führt Detektei in Hannover, US-Amerikaner, leitet für Tom die Tournee und übernimmt Sicherheit

Cynthia Falkow, genannt Zini, studiert Geologie, Hauptziel Erdbebenforschung

Samantha Reuenthal, genannt Sam, Toms Adoptivtochter, Fotografin

- Markus Reuenthal, ihr Mann, unterrichtet Literatur an englischer Universität

Jason Reuenthal, genannt Jace, Toms Sohn

Tessa Nadine Reuenthal, Tochter von Leona und Tom

Hotelangestellte und Freunde

Marion Roske, Rezeption

Sylvia Hauke, Restaurantchefin

Yu-Lan Vogelsang, Mitarbeiterin im Restaurant

- Volker Vogelsang, ihr Mann, Förster und Schulfreund von Tom

- Nadja und Tabea, beider Kinder, befreundet mit den Falkow- und Reuenthal-Kindern

Helgard Hermans-Nathmann, Küchenchefin und hauptamtliche Köchin

- Rüdiger Nathmann, ihr Mann

Stefan Linacker, Konditor

Olivia Trautmann, Hausdame

Jörn Trautmann, ihr Mann, Hausmeister

- Jan Trautmann, ihr Sohn, befreundet mit den Falkow- und Reuenthal-Kindern

Doris Röttger, Zimmerservice

- Michael Röttger, ihr Mann, Journalist, führt das „Dorfblatt“ – die Ortszeitung

- Michael Dennis Röttger, ihr Sohn, Soldat

- Isabell Röttger, ihre Tochter, Freundin und WG-Genossin von Zini in Berlin/Potsdam

Rosalba Inez, Barfrau und Rezeptionistin

Valentina Harms, Sekretärin

- Edzard Harms, ihr Mann, Landwirt

Silvia Holzschuh, Verkäuferin im Wellness-Lädchen des Hotels

- Uwe Holzschuh, ihr Mann, Polizeibeamter

Außerdem Hotelgäste wie Angela Frankenfeld oder Lisbeth Kaufhold

Verwandte der Familie Falkow-Reuenthal, weitere Freunde

Monika und Winfried Sebald, Leonas Eltern

Regina Söderbaum, Leonas Schwester

Elisabeth Schmöck, Toms Ex-Frau

Ferdinande und Rüdiger Schmöck, deren Eltern in Hamburg

In Schweden

Mats Kristiansson, Ex-Schwager von Leona und Dennis, Hotelbesitzer, Stockholm

- Liv Kristiansson, seine Frau

- Lorena und Astrid, beider Töchter

Maria Kristiansson, Mutter von Mats

Hans Mjölsson, Sicherheitschef der Sigvald-Hotelkette

In den USA

Allison Reuenthal, Toms Mutter, lebt bei Napa, führt Weingut der Familie

Jennifer May Cowin-Reuenthal, genannt Jenny, Toms älteste Schwester

Ingrid Lorraine Walsh-McPherson, genannt Lorry, Toms 2. Schwester

Barbara Catherine Johnson, genannt Kitty, Toms 3. Schwester

Tobias Nick Reuenthal, genannt Nicky, Toms kleiner Bruder

Simon Miller, Bruder von Allison Reuenthal

Kendra Caroline „Casey“ Sysmanek, Leiterin des Weingutes der Familie Reuenthal

- John, ihr Mann, Sheriff in Napa

- Opal, studiert Weinbau, Rafael und Jacob, ihre Kinder

James „Jim“ Fitzwilliam Lester, Geologe und Erdbebenforscher

- Meryl Lester, seine Frau, Journalistin

Julia Bower, Geologin und Erdbebenforscherin

Jane Myers, verstorbene 1. Frau von Fred Myers

Grace und Bart(holomew) Smith, Los Angeles

Janice Miller, Los Angeles Police Department

Rachel und Aaron Goldstein, Freunde von Tom, Renas Gasteltern in New York

Joey, ein Waisenkind in New York

Mary Robinson, Sopranistin, Freundin von Rena

George Paginsky, Balletttänzer, Freund von Rena

Benjamin, Sybil, ihre Tochter Rosie und deren Grandma in Washington, Freunde von Felix

US-Marines, u.a. Commander McPhae

Im niedersächsischen Dorf rund ums Hotel

Oskar Hirbisch, evangelischer Pastor im Ruhestand

Albrecht Bicknäse, Pastor

Nicole Tarrach, Freundin der Falkow-Schwestern, Medizinstudentin

Kristina Kyrkanson, Freundin der Falkow-Schwestern, Gemeindeschwester

Ruben Düster, Freund von Jason Reuenthal

- Hannah Düster, seine Schwester

- Mascha und Johannes Düster, deren Eltern

Richard „Ricky“ Müller, Ex von Zini, zusammen mit Isabell Röttger

Torsten Wölz, Dozent und Freund von Zini

Irene Wölz, Schwester von Torsten, Freundin von Zini

Hannes Birkanger, Schüler der 2a, neuer Freund von Tessa

- Johannes Birkanger, sein Vater

In Hannover

Günter Fitzmann, Angestellter der Detektei von Fred Myers, später Partner

- Helene Videra, seine Freundin

Mandanten der Detektei

Achim und Birgit Tannert, Nachbarn

Alexej Wassilikov, genannt Aljoscha, Violinist

Sandra, Violinistin

Marcel, Bassist

Benno, Schlagzeuger

Daniel Müller, Kriminalbeamter am LKA in Hannover und Freund von Fred Myers

- Susanne Müller, seine Frau

- Fabian und Bianca, ihre Kinder

Professor Paul Gillessen, Geologe und Mentor von Zini Falkow

- Anna Gillesen, seine Frau

US-Tournee

David Blumenstein, Toms Anwalt und Freund, bereitet Tournee vor, Bruder von Rachel

Patricia „Pat“, Sängerin im Background-Chor

Gloria, Sängerin im Background-Chor

Betty, Tänzerin

Marietta, Tänzerin

Susan „Suzy“, Beleuchtung

Grace, Tontechnik

Bill, Bodyguard

Georg, Bodyguard

Gilbert Bouth, Bodyguard

Monica, Bodyguard

Stevie, Bodyguard

Viktor Halvorson, Bodyguard

Jim, Fahrer

Zu Weihnachten hatten ihre Kinder ihnen den großen Wunsch erfüllt: Unabhängig voneinander waren Tom und Leona Reuenthal zu ihnen gegangen und hatten um zwei Wochen Ferien im Mai gebeten, in denen sie ohne ihre Familie Urlaub machen wollten.

Natürlich hielten die Kinder zusammen – und schmiedeten bei der Gelegenheit gleich ein Komplott, angestiftet und vor allem angeleitet von Zini und Rena. Der Mutter sagten sie die beiden ersten Maiwochen zu, dem Vater die beiden folgenden. Und so starteten Tom und Leona am 1. Mai 2008 nach Singapur. Von dort wollten sie weiter nach Australien reisen.

Da für Tom – also Phil Williams – und Leonas älteste Tochter Serena – Anissa S. – ein gemeinsamer Auftritt in Vancouver am Ende der Ferienzeit geplant war, sollten sie dann in Kanada mit Rena und ihrem Mann Fred zusammentreffen. So hatte sich aus dem Urlaub in Australien eine Weltreise entwickelt.

Leicht fiel es den Eltern nicht, für so lange Zeit von der Familie getrennt zu sein. Doch da ihre Kinder sich quasi gegen sie „verschworen“ hatten, wie es Oma und Opa heiter bezeichneten, mussten sie den großzügigen Freizeitblock annehmen.

Beide kannten sie Singapur noch nicht. Am ersten Abend trafen sie gegen 18 Uhr ein, fühlten sich nach der langen Flugreise aber zu erschöpft, um mehr als einen kleinen Abendspaziergang in der Nähe ihres Hotels zu machen. Für den nächsten Tag war eine Stadtrundfahrt vorgesehen, so wollten sie sich orientieren und schon mal die wichtigsten touristischen Anziehungspunkte kennen lernen.

Für die Reuenthals endete die Stadtrundfahrt im Botanischen Garten. Alle anderen hatten 30 Minuten für die Nationale Orchideen-Sammlung und wollten dann zur Einkaufsmeile oder in ihre Hotels. Am Einkaufen lag Leona rein gar nichts. An etwa 50 000 Orchideen und den anderen Besonderheiten des Botanischen Gartens dagegen war sie höchst interessiert. Tom nahm das mit einiger Belustigung hin. Da er auch gern durch die Botanik flanierte, waren sie sich schnell einig – und blieben.

Am nächsten Tag fuhren sie mit dem größten Riesenrad der Welt mit wunderbarer Aussicht aus 168 m Höhe über Meer und Stadt. Dann spazierten sie die Esplanade entlang, bis Leona meinte, nun sei es genug – 32 Grad im Schatten bei hoher Luftfeuchtigkeit … - das mache sie fertig.

Tom grinste etwas bei dieser Erklärung.

„Duschen kannst du nicht, das Hotelzimmer haben wir geräumt. Auf deinen Wunsch hin übrigens …“ „Ich bin auch so feucht genug. Ohne Dusche. Drei Kreuze, wenn ich im Flughafen mein wärmeres Zeug für Perth aus dem Rucksack zerre … Diese Schwüle, boh“, sie tupfte sich mit dem Rand ihres australischen Jeanshütchens, das sie vor sieben Jahren gekauft hatte, die Stirn ab.

Ihr Mann beobachtete sie dabei und amüsierte sich köstlich. Ihre Augen mochten müde wirken, doch sie strahlte vor Glück. Sie genossen es beide, so viel Zeit ausschließlich miteinander zu verbringen.

Er lächelte – wie sehr würde er sie bei seiner nächsten Tournee wieder vermissen. Doch sie hatten jetzt eine Absprache getroffen – sie wollten versuchen, in zwei Jahren einen Teil der Tournee mit der ganzen Familie mitzumachen, in den niedersächsischen Sommerferien. Noch sträubte sich seine Frau, die komplette Ferienzeit über ihr Hotel „im Stich“ zu lassen. Allerdings fiel auch ihr Geburtstag in diese Zeit. Das bewog sie, dem noch sehr fremden Gedanken näher zu treten.

„Was?“ fragte Leona, als ihr der Blick nach einer Weile auffiel. „Wenn es in Asien nicht verpönt bis strafbar wäre, würde ich dich umarmen. Und küssen, Süße. Du wirkst so glücklich.“ „Bin ich. Sonnenverbrannt unter Äquatorsonne. Mit dir endlich wieder unterwegs – so weit weg von zu Hause … Aber für mehr als Lächeln ist es zu heiß. Frag doch in Perth noch mal nach.“

Dafür erntete sie ein Ächzen. „In Perth kommen wir nach Mitternacht an. Es wird wohl bis morgen warten müssen mit dem Küssen“, kündigte Tom mit dumpfer Stimme an. Leona lachte und winkte im nächsten Moment einem freien Taxi.

Auch in Perth am Flughafen warteten sie am Taxenstand – doch da herrschten nachts um 1 an diesem 5. Mai gerade mal neun Grad.

„Diese klare Luft“, pustete Leona selig. Schmunzelnd sah Tom auf ihr glühendes Gesicht. Selbst im blass machenden Licht vorm Flughafen wirkte sie rosig und lebendig zu dieser Stunde.

Ihr Traumziel seit der ersten langen gemeinsamen Reise hieß nun mal Australien. Ihre freudige Begeisterung, wieder „down under“ zu sein, hatte schon die Beamtin an der Passkontrolle zum Lachen gebracht.

Auf die Frage, ob sie alles auf ihrem Einreisezettel richtig verstanden hätte, nickte Leona zögernd und zuckte mit den Schultern: „I hope so.“ Daraufhin hatte sich Tom ihr Blatt beim Weitergehen ebenfalls angesehen und ihr ähnlich belustigt wie die Beamtin wieder ausgehändigt.

„Was ist denn?“ „Nur eine Kleinigkeit. Vergiss es“, er verriet ihr den Fehler nicht. „Ich will das mit deinem Wisch vergleichen“, forderte sie prompt. „Geh weiter. Die Kontrollen dauern auch so ewig, das weißt du doch.“

Doch diesmal hatten sie Glück, wurden weitergereicht an eine Art Schnellabfertigung und standen schon draußen in der Nacht, bevor sie damit rechneten. Tom hatte sogar noch ein paar Euro getauscht – für die Taxe zum Hotel – und um halb zwei fielen sie dann ins Bett.

„Wieder so ein Steckkissen. Ziehst du das Bettlaken raus?“ „Dein Job, Leo.“ „Deutsche Hausfrauen-Tätigkeit oder was?“ „Eher die Tatsache, dass ich an amerikanische Betten – diese Art also – gewöhnt bin.“

„Ich hasse Steckkissen“, sie riss ringsum das Laken unter der Matratze hervor, auch auf seiner Seite. Tom schaute ihr heiter zu. Sie mochte noch so müde sein, aber sie blieb energisch und vergnügt.

Beim Frühstück fiel ihr plötzlich etwas ein: „Ach, du liebe Güte, ich habe meine Reisetabletten im Rucksack im Zimmer … Wer von uns fährt?“ „Nach Hyden? Du.“ „Okay, dann brauche ich ja keine. Prima.“

Ein bisschen mulmig war ihr schon: wenig Schlaf, Linksverkehr und ein unbekanntes Auto mit Allradantrieb, womit sie überhaupt keine Erfahrung hatte. Tom fand es lustig, wie sie kurz nachdenklich die Nase krauste. Sie kam gar nicht auf die Idee, ihm den Schwarzen Peter zuzuschieben. Es war Ehrensache für sie, das zu schaffen.

„Ich mag das. Du bist so ein guter Kumpel“, lobte er sie leise. Leona schaute verdutzt von ihrem Teller hoch und hielt die Gabel mit dem gebratenen Schinken in der Schwebe.

„Wieso das jetzt?“ „Du akzeptierst so anstandslos, ins kalte Wasser geworfen zu werden.“ „Hör mal, Tom, du bist der beste Ferienkamerad, den ich je hatte. Außerdem musst du mich aus Perth raus lotsen. Das wird schwierig genug.“

Sie sollte Recht behalten. Bevor sie endlich auf dem richtigen Weg Richtung Brockton und Hyden waren, hatten sie sich tüchtig verfranzt.

„Onkel Simon dürfte das nicht sehen“, jammerte Tom. Leona kicherte: „Meinen Fahrstil oder dein Atlas-Gefummel?“ „Beides, du böse Sieben.“

Am späten Nachmittag bestaunten sie das Naturwunder Wave Rock: Eine Welle aus Granit, um 200 m lang und 15 m hoch. Der Felsen strahlte die tagsüber getankte Sonnenwärme noch lange aus.

Am frühen Morgen darauf weckten sie dann exotische Vogelrufe. Leona strahlte schon beim Aufwachen vor Freude über diesen besonderen Wecker. Tom zog sie zu sich herüber.

„Hör mal“, sagte sie aufgeregt und lauschte auf die fremden Laute. „Kakadus. Sittiche. Und wir“, erwiderte ihr Mann. „Wir brauchen eine australische Telefonkarte“, Leona war schon wieder weiter mit ihren Gedanken.

In Hyden – mitten im Outback – gab es für Toms deutsches Mobiltelefon trotz aller technischen Raffinessen keinen Empfang, hatten sie am Vorabend festgestellt.

„Hast du etwa auch so ein schlechtes Gewissen wie ich?“ Tom küsste sie auf die Nase. Leona nickte: „Schreckliche Eltern sind wir. Und gleichzeitig sprudele ich fast über vor lauter Freude, hier zu sein.“ „Geht mir ähnlich. Ein Trost, dass Rena ihre Geschwister liebt – und Fred den strengen Vater rauskehren kann für unseren aufmüpfigen Jason und die kleine Zicke Tessa.“ Sie lachten miteinander.

***

Jace und Tessa hatten ihren mehrtägigen Ausflug nach Hannover genossen. Am Sonntag diskutierten sie schon, was sie Pfingsten mit Felix unternehmen könnten, Fred machte dem unergiebigen Gequassel auf dem Rücksitz ein Ende.

„Felix übernimmt mit Sylvia das Hotel – Pfingsten ist das Haus voll, da hat er keine Zeit. Und jetzt ist Schluss. Ihr verschwindet umgehend ins Bett, sowie wir ankommen. Und ich will beim Frühstück kein unausgeschlafenes …“ „Gemecker hören“, ergänzte Rena, als er zögerte.

Zwar versuchte Jason – er sei doch älter als die Zwergin – einigen Widerstand. Erfolg hatte er nicht. Gegen Freds bestimmtes Auftreten kam keines der Kinder an.

Rena hörte belustigt zu. Es gab gar keine Frage, wer hier das Sagen hatte. So gern Fred ihre Geschwister mochte, auf der Nase herumtanzen ließ er sich nicht. Außerdem wussten sie alle, dass er jede Zusage und jedes Versprechen hielt, das er ihnen gab, stets zuverlässig und gerecht. Insofern akzeptierten sie seine Anweisungen ohne großen Protest.

Als ihre Geschwister im Bett lagen, machte es sich Rena auf dem Sofa gemütlich und winkte Fred heran: „Wie alte Eltern – jetzt ausruhen“, kommentierte sie ihre Lage.

„Als Elternteil bist du extrem jung, Spatz. Jason wird in diesem Herbst 15.“ „Und ich werd‘ 22. Aber du wärst für ihn auch ein junger Vater.“ „Ja, Tessa ist eher akzeptabel. Ob ich allerdings damals ein guter Vater gewesen wäre …“ „Immer. Du bist ehrlich und hast sie lieb. Mehr braucht’s nicht.“

Ihr fiel durchaus auf, wie Fred skeptisch auf sie herunter guckte, bevor er sich dazu setzte. Doch er nahm sie nur in die Arme und sagte leise: „Ich bleibe dabei. Es ist noch zu früh für uns beide, Serena. Wenn du mit der Uni durch bist, ist es nicht mehr so belastend für dich.“ „Ich weiß. Ich bin vernünftig, keine Sorge.“ „Mit diesem bettelnden Sehnsuchtsblick in den Augen, meine Süße. Aber …“

Das Klingeln des Telefons unterbrach ihn. Seufzend gab er seine Frau frei und langte nach dem mobilen Teil auf der äußersten Tischkante. „Myers – bei Reuenthal. Guten Abend.“

Rena hörte aufmerksam zu und wurde schlagartig ernst, als er ins Englische wechselte und seinen Partner am anderen Ende mit „Sir“ ansprach. Sie begriff blitzschnell, dass seine Vorgesetzten ihn hier aufgetrieben hatten. Nach einigem Hin und Her legte er auf.

„Du schaffst es ein paar Tage allein, hm?“ „Sag mal, spinnen die? Denn du hast doch eindeutig erklärt, was wir hier tun und wieso wir hier als Vertretungseltern einspringen, oder? Warum hast du bloß Mamas Nummer da hinterlassen?“ „Weil ich Pflichten habe. Und ein ganzes Jahr Ruhe hatte, Serena. Es dauert nur fünf Tage. Höchstens eine Woche.“ „Wohin?“

Fred lachte unwillkürlich. „Diese Frage gibst du wohl nie auf.“ „Nein. Weil ich immer Angst habe.“ „Ach, das geht schon gut“, winkte er lässig ab. „Woher willst du das wissen? Wenn sie dich in ein Krisengebiet jagen?“ „Weil ich darauf brenne, zu meiner Familie zu kommen, Serena. Zu dir. Hierher. Zu unseren Leihkindern. Okay?“ „Scheiße!“

Kraftausdrücke benutzte sie selten. Dieser kam halb schluchzend. Dann entschuldigte sie sich jedoch und zwang sich zum Lächeln: „Okay, ich bin wieder normal.“ „Dreiste Lüge. Aber angenommen.“

Sie konnte ihm nichts vormachen, erwiderte den Kuss und schwieg lieber.

„Ich muss los, Serena.“ „Sofort? – Okay, okay“, beschwichtigte sie, als er nach ihrem empörten Ausruf tief Luft holte: „Ich sag‘ nix, Fred. Bitte – nicht böse sein. Ich bin unglücklich genug, weil du gehen musst.“ „Ich kann es tun – und es ist meine Pflicht, es zu tun, Serena. Drei Jahre noch. Dann ist es damit vorbei. Also sei ein tapferes Mädchen.“

Der letzte Satz klang scherzhaft. „Hm. Fünf Tage, sagst du? Dann holen wir Sonnabend doch mit dem Hotelbus alle zusammen Felix ab.“ „Aber ja. Ich beeile mich.“

Er nahm kein Gepäck mit. Insofern konnte er binnen weniger Minuten aufbrechen. Rena winkte ihm nach. In ihrem Kopf kreisten die Gedanken. Fred hatte nicht widersprochen, als sie das Wort „Krisengebiet“ benutzt hatte. In Anbetracht seines Sprachtalents …Allerdings gab es weltweit genug Krisengebiete.

Vor ihren Geschwistern durfte sie das nicht erwähnen. Als Jason und Tessa am Morgen erstaunt nach ihrem Schwager fragten, murmelte sie nur vage etwas von „dringender Auftrag“ und ließ es so klingen, als ginge es um Geschäfte der Detektei, die Günter nicht erledigen konnte.

„Aber wir wollten Fußball spielen“, Jason seufzte schwer. „Und Fred muss doch meine Puppe reparieren“, beschwerte sich Tessa: „Ein apper Arm tut doch weh. Und das kaputte Lenkrad vom Trecker wollte er auch angucken.“ „Gib es mir, Schätzchen. Ich sehe, was ich tun kann, während ihr in der Schule seid.“

Sie bekam die Sachen ausgehändigt und nahm sich vor, notfalls Jörn Trautmann, den Hausmeister im Hotel „Zum Sonnigen Garten“, um Hilfe zu bitten. Der war ein geschickter Bastler. Er mochte ähnlich talentiert wie Fred sein, wenn es darum ging, beschädigtes Spielzeug wieder in Stand zu setzen.

***

Felix war in dieser Woche auf Abschiedstour bei seinen Freunden und Bekannten. Er besuchte auch seine afroamerikanischen Freunde in Washington D.C. noch einmal und nahm sich dafür das ganze Wochenende Zeit.

Am Sonntag ging er gemeinsam mit ihnen zum Gottesdienst und saß anschließend beim Essen neben der Oma, die den blonden Deutschen herzlich liebgewonnen hatte. Inzwischen war sie auch seine „Grandma“, für die er das Fleisch grillen durfte.

„Von dir fällt mir der Abschied besonders schwer“, behauptete er schließlich. „Warum, Felix?“ „Weil mir deine ganze Familie schon versprochen hat, mich mal zu besuchen in Deutschland. Aber du willst in keinen Flieger steigen!“ „Was willst du auch mit mir alter Frau?“ „Dich meiner Mutter vorstellen.“ „Ich kann kein Deutsch. Was soll deine Mutter mit einer alten schwarzen Frau anfangen?“

Darüber lachte Felix dann doch: „Du bist lustig. Ihr würdet euch gut verstehen, auch wenn ihr Englisch mies ist. Ihre Freunde sind Schweden, eine ist Chinesin …Yu-lan hat als Angestellte bei uns im Hotel angefangen – und sie sind so gute Freundinnen geworden … Ich frage mich, ob sie mal über Tibet oder Taiwan geredet haben“, sinnierte er.

Die ganze Familie rund um den großen Gartentisch brach in Gelächter aus. Von Felix‘ streitbarer Mama hatten sie im Laufe der Zeit einige Geschichten gehört.

„Das könnte wirklich lustig sein. Grandma und deine Ma. Du freust dich aber doch auf zu Hause, oder?“ „Ja. Da bin ich aber nur kurz. Im Juni geht’s nach Thailand, dann nach Schweden, wo ich meine Dissertation schreibe …“ „Und wie findet es deine Mutter, wenn du bei euch im Hotel den Chef gibst?“ „Sie ist ja nicht da. Sie ist noch mit Tom in Australien unterwegs, wenn ich ankomme.“

„Von deinem Stiefvater redest du nicht so viel wie von deiner Mutter“, Benjamin merkte viel. Mit einem Grinsen bestätigte Felix das.

„Nein, normalerweise nicht. Mama möchte unsere privaten Verhältnisse lieber verschwiegen wissen.“ „Wegen eures Hotels?“ „Auch. Vor allem wegen Tom“, er überlegte kurz.

Bisher hatte er sich auch bei diesen Freunden sehr zurückgehalten. Seit er bei der ersten Begegnung vor dem Mond-Gestein im Luft- und Raumfahrtmuseum die kleine Rosie hochgehoben hatte, damit auch sie den Stein streicheln konnte, war ihre Freundschaft im Laufe der Monate stetig gewachsen. Jetzt schien es an der Zeit zu sein, den Schleier des Geheimnisses über seinen Stiefvater zu lüften.

„Ist ein bisschen blöd, einen ziemlich bekannten Stiefvater zu haben. Ben, ihr habt ihn in eurer CD-Sammlung. Phil Williams – das ist Tom.“ „Das sind Sybils CDs.“

„Was?“ Sybil fuhr hoch: „Und das sagst du erst heute? Ich hätte dich doch schon lange um ein Autogramm gebeten!“

Felix lachte mit den anderen, versprach aber, eins zu schicken und setzte hinzu: „Seht ihr – deshalb halte ich die Klappe.“ „Mensch, ich wusste, dass Phil Williams seit einigen Jahren in Deutschland lebt und dort geheiratet hat, aber … dein Stiefvater! Hätte ich mir nicht im Traum vorgestellt. Vergiss bloß das Autogramm nicht.“

Nun musste er noch ein paar Einzelheiten mehr preisgeben, doch da hielt er sich an das, was ohnehin in Zeitungen und im Internet nachzulesen war und ging nur wenig auf wirklich Privates ein. Allerdings erwähnte er die Bezeichnung „Raubtiergruppe“, die Leona und Tom für ihre Kinderschar nutzten, und nannte auch die „Erziehungskonferenz“.

Beim Abschied versicherten sie sich gegenseitig, in Kontakt zu bleiben. „Denn du bist ein feiner Kerl“, sagte Sybil ernsthaft. „Für einen Weißen“, ergänzte Felix spöttisch und löste damit schallendes Gelächter aus. Sybil umarmte ihn und kicherte: „Das stimmt.“

Hier verstanden sich alle, und Probleme wegen der Hautfarbe kannte zumindest Felix überhaupt nicht. Solche Fragen waren für ihn nicht existent. Er hatte auch von seiner Schwester Rena erzählt, die zwei Jahre in New York in einem jüdischen Haushalt gelebt hatte. Insofern wussten sie seine Bemerkung richtig einzuschätzen.

***

Das Meer schimmerte in allen möglichen Blau-, Grün- und Türkistönen. Wellen überschlugen sich, Gischt schäumte schneeweiß im Sonnenlicht. Der Anblick war großartig und paradiesisch zugleich.

Leona lief die hölzernen Treppenstufen hinab. Ihre kleine Digitalkamera baumelte an ihrem Handgelenk, während sie durch den Sand stapfte und sich über die scharfkantigen Felsen hinweg zum Meer bewegte. Das glasklare Wasser zog sie magisch an. Sie ließ ihre Sandalen auf einem der Felsen stehen und ging mit gezückter und eingeschalteter Kamera dichter an die Wasserlinie, wo sie sich hinhockte, um ein gutes Foto von einer sich brechenden Welle zu bekommen.

Oben von der Treppe aus beobachtete Tom sie und setzte sich auf die Stufen. Das konnte ein bisschen dauern, so leicht gab sie nicht auf, wenn sie sich ein perfektes Bild wünschte.

Als seine Frau eilends zurück hopste, lachte er leise vor sich hin. Die Geste zur wadenlangen Baumwollhose war eindeutig. Offenbar hatte sie die Höhe der Welle unterschätzt und sich zumindest einen nassen Saum geholt.

Sie zerrte die Hosenbeine hoch bis übers Knie und machte wieder einige Schritte vorwärts. Diesmal spülte die Welle jedoch nur um ihre Knöchel.

Belustigt nahm Tom die eigene Kamera hoch und fotografierte eine Serie, wie seine Frau vergnügt mit den Wellen balgte, um ihr Foto so gut wie möglich hinzukriegen.

Sie drehte sich zu ihm um und winkte. Lachend winkte er zurück und gönnte ihr das heitere Spiel.

Nach einer Weile kam sie auf ihn zu: „Du nicht?“ „Mir genügt es, dir dabei zuzusehen.“ „Das Wasser ist ziemlich kalt“, gestand sie mit blitzenden Augen. „Es ist ja auch Herbst hier, Süße.“ „Herbst – mit 31 Grad im Schatten? Und diese weiche Brise …“ „Brise?“ „Ja. Es bläst weich. – Wollen wir zum nächsten Strand? Also, Salmon Beach hier ist schon obercool.“

Leona fuhr nur zu gern die unterschiedlichen Strände an. Von Esperance kommend klapperten sie alles ab, was ihr gefallen konnte. Hauptsächlich die Farben des Wassers am Twilight Beach und die Aussicht vom Observatory Point brachten sie ins Schwärmen. Aber auch sonst kam sie an diesem Tag aus den „Ahs“ und „Ohs“ nicht heraus.

Selbst der Wechsel der Pflanzen – von Mallee-Eukalyptus und Salmon Gum zu blühenden Banksien und Küsteneukalyptus – entlockte ihr einige Jubelrufe, wann immer sie eine Pflanze erkannte. Sie vermisste nur lebende Kängurus.

Am Highway sahen sie Kängurus genug – allerdings überfahrene, an denen sich bereits Vögel gütlich taten. Einmal lag auch ein toter Dingo am Straßenrand. Tom hatte Leonas Buch über die Vogelwelt Australiens immer griffbereit und blätterte eifrig, wann immer sie einen ihnen noch unbekannten Vogel sahen. Wenn er als Fahrer an der Reihe war, lag das Buch neben Leonas Sitz. Sie freuten sich auf den Besuch im Karri-Wald, wo sie einen Baumwipfelpfad aufsuchen wollten.

***

Der Pfingstsonnabend kam. Doch von Fred hörten sie nichts. Da Rena immer noch davon ausging, er könne jeden Moment auftauchen, machte sie sich keine großen Sorgen. Allenfalls abends allein im Bett fragte sie sich, wo ihr Mann sein mochte und was er wohl tat.

Felix strahlte, als er seine Geschwister entdeckte. Er winkte schon von der Treppe aus, und Tessa strebte vorwärts. Rena erwischte sie gerade noch am T-Shirt: „Nix da, da darfst du nicht rein!“ „Da ist Fix!“ „Ja, und Fix ist ganz fix bei uns, sowie er sein Gepäck hat. Das Kofferband läuft schon. Es dauert nicht mehr lange. Winken darfst du – da rein nicht“, mahnte Rena: „Nicht, dass dich noch die Bundespolizei verhaftet, du Göre.“

Auf dem gesamten Heimweg erzählte Felix den Geschwistern eifrig, was er während seiner US-Semester erlebt hatte. Er berichtete von neuen Freunden, erkundigte sich schließlich nach allen Bekannten und beantwortete sämtliche Fragen, mit denen ihn Tessa und Jason bombardierten. Er war überglücklich.

Plötzlich fiel ihm auf, wer fehlte. „Wo steckt Fred?“ „Der arbeitet.“ „Ich dachte, er gehört zu meinem Begrüßungskomitee?“ „Job geht vor“, erwiderte Rena knapp. „Der ist ja voll das Arbeitstier. Macht er nicht mal über Pfingsten Pause?“ „Keine Ahnung.“ „Frag ihn beim nächsten Telefonat.“ Rena nickte und stellte hastig eine Frage nach seiner Stippvisite bei ihren Gasteltern Rachel und Aaron in New York.

Vor der Einfahrt zur Waldvilla stand ein Auto am Straßenrand. „Noch mehr Leute zu meinem Empfang? Den Wagen kenne ich aber nicht“, wunderte sich Felix. „Nein, alle anderen erwarten dich im Hotel, und unsere Freunde klappern wir ab Morgen ab. Fahr du doch das Auto rein, ich frage mal, wer das ist und was die wollen. Vielleicht haben sie eine Panne.“ „Und sitzen im Auto? Zu zweit vorne? Sehr komisch.“ „Vaters Fans“, mutmaßte Rena spöttisch.

Ihre Geschwister lachten. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass jemand das Heim von Phil Williams ausfindig gemacht hatte. Inzwischen kannten sie alle verschiedene Taktiken, um Verehrer freundlich los zu werden.

„Dann sag denen, der treibt sich auf der Südhalbkugel rum und kuschelt mit unserer Mama im Outback“, witzelte Felix. Rena kicherte ebenso wie ihre Geschwister. Sie stieg aus und sagte leise: „Fahrt weiter. Und macht das Tor gleich zu. Ich kläre das.“

Felix stieg auf den Fahrersitz um und schmunzelte ein bisschen. So selbstsicher kannte er seine schüchterne Schwester noch gar nicht. Sie war im Lauf der vergangenen zwei, drei Jahre extrem erwachsen geworden. Das Verdienst daran rechnete er auch seinem gelassenen Schwager an, der in jeder Lage Ruhe bewahrte.

Während sie auf das fremde Fahrzeug zuging, entdeckte Rena, was ihr im Vorbeifahren entgangen war: Die beiden Leute trugen Uniform. Sie zögerte für den Bruchteil einer Sekunde und ging dann entschlossen weiter.

Die beiden Fremden stiegen aus, beide mit ernsten Gesichtern. Spätestens jetzt erkannte Rena die Uniformen, und jäh schlug ihr das Herz bis zum Hals. Wenn hier Marines auf sie warteten, wertete sie das automatisch als schlechtes Zeichen. Sie zwang sich zur Ruhe und brachte ein leises „Guten Tag“ heraus.

„Frau Myers?“ „Serena Falkow“, korrigierte sie, um sich dann selbst zu verbessern: „Frau Myers geht auch. Was ist passiert? Ist Fred … verletzt?“

Das Entsetzen des anderen Gedankens, der ihr durch den Kopf schoss: „Gefallen fürs Vaterland“ verdrängte sie mit einem keuchenden Atemzug.

Die Frau sprach zuerst: „Das wissen wir nicht. Ihr Mann wird seit drei Tagen vermisst. Wir müssen deshalb annehmen, er und sein Schützling wurden gefasst.“ „Wo?“ „Das können wir Ihnen nicht sagen.“ „Und auch sonst nichts. Ich weiß. Vielen Dank. Guten Tag“, Rena machte auf dem Absatz kehrt.

„Ma’am“, der Mann wollte sie zurückhalten. Sie fuhr herum und starrte ihn an. Ein Schwall böser, hässlicher und vernichtender Worte würde über ihre Lippen sprudeln, wenn sie sich nicht sehr beherrschte. Ihr Kopf dröhnte, und es flimmerte vor ihren Augen, als habe sie einen Sonnenstich bekommen.

Mit einer Kraftanstrengung, die sie sich nicht zugetraut hätte, zwang sie sich zu einem verkrampften Lächeln, das diese Bezeichnung kaum verdiente: „Ich kenne Ihren Codex, Sir. Dahin, wo sich sonst niemand wagt. Und Sie werden ihn heil zurückholen. Es ist mir gleichgültig, wie Sie das machen, und wenn Sie das Weiße Haus einschalten. Ich mache Sie und jeden anderen Marine dafür verantwortlich, ihn mir gesund nach Hause zu bringen. Nein – sagen Sie nichts, das dürfen Sie doch sowieso nicht“, sie machte wieder kehrt, rang sich noch ein „Frohe Pfingsten“ über die Schulter ab und marschierte auf das Tor zu.

Felix überließ Jason die Koffer. Tessa zerrte schon an seinem Rucksack und hoffte auf Geschenke. Nur mit Mühe hatte sie die Frage danach unterdrückt – von Rena dazu verpflichtet.

Beinahe taumelnd kam Rena ins Haus. Ihr fehlten die Worte. Die Wahrheit durften weder der Teenager noch das Kind hören. Ihrem großen Bruder hätte sie sich vielleicht anvertrauen können, doch der verplapperte sich allzu leicht. Blieben nur die Eltern – unterwegs irgendwo in Australiens Outback, unerreichbar … wie auch Fred.

„Rena – Mensch, bist du blass!“ „Ach, ich hasse es … Diese Leute sind so … Die hauen schon ab, lass sie fahren“, sagte sie und hielt Felix am Arm fest, da er Miene machte, zur Einfahrt zu stürmen.

Wie lange mochte dieses Paar auf sie gewartet haben? Im nächsten Moment fragte sie sich schon, weshalb sie sich mit solchen Nebensächlichkeiten aufhielt. Dabei wusste sie das genau: Weil sie sich davor scheute, über die Konsequenzen und Folgerungen aus diesem Besuch nachzudenken. Seit drei Tagen vermisst … seit Mittwoch … und er war doch davon ausgegangen, heute wieder hier zu sein …

Sie durfte sich nichts anmerken lassen, sie musste sich unbedingt völlig normal verhalten. Aber bei dem fröhlichen Schwatzen auf der Terrasse hinterm Elternhaus konnte sie an diesem Tag nicht mithalten. Nach ihrer dritten verkehrten Antwort erkundigte sich Felix lachend, ob sie seinen Jetlag übernahm.

Zu seiner Überraschung bekam er eine scharfe Antwort: „Jetlag ist Einbildung. Leb da, wo du bist, den normalen Tag mit, dann hast du keine Probleme.“ „Jetzt hörst du dich an wie Mama“, Felix nahm ihr diesen Anranzer nicht übel, und Tessa und Jason lachten laut los. Rena schossen Tränen in die Augen … ihre Mama hätte sie jetzt gebraucht …

„Rena – was ist denn los?“ „Ach … Ich habe nicht gut geschlafen letzte Nacht …“ Ihr Vertrauen in Freds Versprechen war so groß gewesen, dass sie bestens geschlafen hatte in ihrem alten Kinderzimmer. Wenn sie nur geahnt hätte …

Für einen Moment kämpfte sie mit sich, die Lüge zuzugeben. Dann begegnete sie Tessas erschrockenem Blick und wischte sich über die Augen: „Ein blödes Weichei bin ich. Achtet nicht drauf. Kopfweh. Vielleicht war ich auch zu lange in der Sonne.“

„Dann rücken wir jetzt in den Schatten“, ordnete Felix an, stand auf und zog am Tisch. „Und dann hole ich dir eine Tablette“, ausnahmsweise zeigte er sich fürsorglich. „Nein, lass, ich muss doch gleich los und Zini am Bahnhof einsammeln.“ „Das machen wir. Du ruhst dich besser eine Weile aus.“

Auch Zini bemerkte auf Anhieb, wie seltsam Rena sich verhielt. Sie schlug einen Besuch bei den Großeltern vor, die sich herzlich freuten, die lang vermissten Enkel endlich wieder in die Arme schließen zu können.

Durch den Redefluss des Ältesten fiel Renas Schweigen kaum auf. Zini übernahm später das Kommando und schickte Felix zum Hotel, als ihre jüngeren Geschwister im Bett waren: „Mach du doch Mamas Abendrunde. Die freuen sich alle ein Loch in den Bauch, wenn du da heute direkt noch aufschlägst.“ Dem pflichtete Felix prompt bei und machte sich auf den Weg.

Zini jedoch setzte sich zu ihrer Schwester. „Du rennst rum wie Falschgeld.“ „Ich?“ „Stell dich nicht blöd – ist was mit Fred? Habt ihr Zoff? Weil er Pfingsten arbeitet?“ „Nein.“

Daran zweifelte die Jüngere und musterte Rena skeptisch: „Sondern?“ „Nichts.“ „Das glaube ich dir nicht. Du bist komisch. Hör mal, ich erzähl’s auch keinem.“ „Ich weiß ja selbst nichts.“ „Was weißt du selbst nicht?“

Rena kam zum Schluss, eine Verbündete könne nicht schaden. Sie atmete tief durch, dann platzte sie damit heraus: „Hier waren heute zwei Marines. Fred wird seit drei Tagen vermisst. Mit einem … Schützling. Mehr weiß ich nicht. Nicht wer, nicht wo, nichts.“

Das musste ihre Schwester erst mal verdauen. „Aha … ähm … Moment mal: Fred arbeitet jetzt wieder für die US-Marines?“ Rena zuckte mit den Schultern: „Ab und zu. Du liebe Güte, Zini, guck nicht so. Er hatte bei unserer Hochzeit die Uniform an …“

„Ich dachte, das ist so eine 40er Jahre Kostümierung – wie dein Kleid. Ich Obertrotteline. Was macht er?“ „Voriges Jahr hatte er einen Lehrgang im Mai und war dann in Heiligendam beim G8-Gipfel. Vermutlich hatten sie sonst keinen, der sämtliche nötigen Sprachen drauf hatte. Ich habe keine Ahnung. Er darf mir ja nichts sagen.“ „Oh, ich Kamel“, stöhnte Zini.

Damit entlockte sie ihrer Schwester ein kurzes Lächeln. „So dachten doch alle. Mama und Tom wissen Bescheid. Felix hat sogar nach seinem Rang gefragt – und das fand ich ziemlich saukomisch.“

„Ich stand daneben – und habe nix gemerkt“, klagte Zini: „Seit wann weißt du das?“ „Eine Weile. Wir sind verheiratet, Zini.“ „Ja. Hm. Was können wir tun?“ „Warten“, Rena verzog das Gesicht. Ihr war zum Heulen.

„Wann …“ „Er sollte … wollte heute auch wieder hier sein. Darum mussten sie wohl kommen.“

Trotz ihrer panischen Angst dachte sie noch logisch und hielt sich unter Kontrolle. Plötzlich erinnerte sie sich, mit welchem Leichtsinn sie Freds Sprachtalent erwähnt hatte. Es war wohl besser, das Thema nicht weiter zu verfolgen.

„Du hast keine Ahnung, wo er ist?“ „Nein. Überall da, wo die Marines sind. Wo es gefährlich ist.“

Mit Grauen erinnerte sich Rena daran, wie Fred vor wenigen Jahren in Hannover in den Waffenschmuggel geraten war. Er hatte überlebt, weil das nächste Krankenhaus nur wenige Minuten entfernt war – in Afghanistan oder im Irak existierte keine annähernd so gute Versorgung durch Ärzte wie in Hannover.

Zini seufzte und umarmte Rena wortlos. Für einen Moment ergab sich ihre Schwester still und schmiegte sich weich an. Dann richtete sie sich auf und schob Zini ein Stück zurück.

„Nun fang nicht an zu trauern. Fred schafft das. Er ist längst nicht so ein Weichei wie du oder ich“, ihre Gesichtszüge verhärteten sich: „Ich habe mir einen amerikanischen Soldaten ausgesucht. Jetzt muss ich damit leben. Er wäre sauer, wenn er wüsste, wie dämlich ich mich aufführe und fast heule.“

Dieser Gedanke half mehr als alles andere. Sie straffte sich: „Und keine Silbe zu den Kindern. Oder zu unserem Schussel Felix, Zini, ist das klar?“ „Ja. Ich finde, du bist ziemlich tapfer.“ „Wenn Fred kommt, erzähl ihm das. Vielleicht ist er dann ein bisschen stolz auf mich“, bat Rena. Zini schüttelte den Kopf: „Das ist er doch sowieso.“

***

Der Pfingstsonntag 2008 fiel auf den 11. Mai. Schon früh am Morgen erreichten Tom und Leona den Yanchep National Park. Dort wimmelte es geradezu vor Kängurus und Schwarzen Kakadus, vom Artenreichtum der restlichen Vogelwelt ganz zu schweigen. Voller Freude durchstöberte Leona ihr geliebtes Vogelbuch und malte kleine Häkchen an jedes weitere Vogelbild, wenn sie dessen lebendige Entsprechung entdeckte – das hatte sie schon auf ihrer ersten Australien-Reise 2001 so angefangen.

Ein Weißwangenreiher stakste am Ufer entlang. Sie entdeckte alte Bekannte wie die Mähnengans und ein Purpurhuhn und zeigte Tom begeistert die vielen Rosa Kakadus.

„Der kleine da – Willy Wagtail“, flüsterte sie und wies mit dem Kopf zu einem Gartenfächerschwanz. Dann entdeckte sie einen ihr unbekannten Vogel, der bläulich schimmerte und vor ihnen her über einen Holzsteg am sumpfigen Seeufer flatterte.

„Das ist einer von den hiesigen Wrens … äh … Staffelschwänzen“, inzwischen konnte sie die englischen Namen gut. Und auch diesen Vogel konnte sie bald korrekt benennen: „Superb Wren. Prachtstaffelschwanz. Gut, dass ich nach dem letzten Urlaub mit dir hier ein paar deutsche Namen im Internet nachgeschlagen habe“, freute sie sich.

Bei jeder ihrer kleinen Wanderungen schnüffelte sie und bemühte sich, die unterschiedlichen Gerüche zu sortieren. Mal dufteten süßliche Orchideen oder frischer Eukalyptuswald, bald entdeckte sie modrige Feuchte und ein paar Schritte weiter lieblichere Nässe, in der Blumen blühten. Ihre Begeisterung kannte kaum Grenzen. Ihre Sinne lebten auf.

Tom gefiel es wie ihr, durch Australien auf diese Art zu streifen und Entdeckungen zu machen. Doch den meisten Spaß machte ihm, Leona zu beobachten, ihre Art, mit einer jubelnden Geste auf einen Koala im Geäst zu zeigen, ihr ruckartiges Verharren und Erstarren, wenn sie wieder eine Bewegung im Unterholz bemerkte. Sie drehte den Kopf nach jedem Laut in den Bäumen und brach in Gelächter aus, weil der Lachende Hans sie mit seinem Vogellachen ansteckte.

„Dieser irre Vogel. Bestimmt zwei. Oder sogar drei. Was meinst du?“ „Ja, denke ich auch.“ „Pst … da ist wieder so eine Sumpfhenne … äh, Purpurhuhn ... guck“, sie packte ihn am Arm und trat ganz sachte auf.

„Wir sollten sowas öfter tun als nur alle sieben Jahre“, sagte er leise. „Ja. Dann aber die Kinder mitnehmen. Tierlieb, wie Jace und Tessa sind. Vielleicht musst du mal eine Tour hierher machen … Ach, wenn wir das in Europa hinkriegen könnten, das wäre toll.“

Anscheinend freundete sie sich langsam mit dem Gedanken an, ihn während einer Tournee zeitweise zu begleiten – sogar mit der ganzen Familie.

Bei ihrem Pfingstanruf an diesem Abend meldete sich nur Zini zu Hause. Rena sei bereits mit Jason und Tessa zum Schwimmen gefahren. Sie dagegen warte ab, bis Felix ausgeschlafen habe, um dann mit ihm ins Hotel zu gehen.

„Und Fred?“ fragte Leona verdutzt: „Sag mir nicht, der schläft auch aus?“ „Nein, nein, der arbeitet.“ „Schade. Für ihn. Na gut. Wir rufen bald wieder an, Sternchen. Grüß alle. Ich fürchte, die nächsten drei Tage gehen aber allenfalls SMS.“ „Okay, Mama. Danke für den Anruf. Grüß die Vögel“, lachte Zini. „Hier sehe ich hauptsächlich den Australischen Raben. Der krächzt komisch.“

Eine Weile konnten die Eltern noch vor der Hütte sitzen und den Abend genießen. „Stell dir vor – wir verdauen das Abendessen, und Zini plant Mittag …“, kicherte Leona jäh. „Das wird ab Kanada anders.“ „Ja, dann hinken wir hinterher“, sie gluckste vergnügt und erwähnte noch einmal, wie sehr sie sich auf das Überqueren der Datumsgrenze freute.

In dieser Nacht sahen sie durch die Glaswand des Schlafzimmers in den Sternenhimmel des Outbacks. Da es keine Stadt und auch keinen größeren Ort in der Gegend gab, schimmerten viel mehr Sterne als sonst. Die Milchstraße glich einem schimmernden Band, das sich über den Himmel breitete. Die klare Sicht und die Schönheit in diesem erstaunlichen Land brachte die beiden Reuenthals ins Staunen.

Am nächsten Tag besuchten sie die Pinnacles – und irrten auf dem Weg dahin über Sandpisten, weil die gut ausgebaute Straße nach wenigen Kilometern in einen Sandweg mündete. Nach etwa 160 km Umweg erreichten sie ihr Ziel, froh, am Vortag getankt zu haben.

Als sie sich gerade auf den Rückweg machten, griff Leona nach Toms Arm: „Schatz, nicht rechts, bieg links ab.“ „Hm?“ „Stromatolites – Stromatolithen. Das sind so Dinger, die im Wasser stehen, einen Meter hoch oder so. Die sind irgendwie bakteriell und waren die ersten Wesen, die Sauerstoff produziert haben. Ja, Bakterien, jetzt weiß ich es wieder. Ich glaube, zusammen mit Algen. Dreieinhalb Milliarden Jahre alt. Nun fahr schon. Lake Thetis, da lang!“

Gehorsam blinkte Tom nach links und bog in die gewünschte Richtung ab. Doch drei Kilometer weiter sah seine Frau sehr enttäuscht auf die kleinen Ausbildungen im Flachwasser des Thetis-Sees. Erst als sie das Hinweisschild sah, verstand sie ihren Irrtum. Die Stromatolithen, die sie im Fernsehen gesehen hatte, waren Milliarden Jahre alt – die hier nur gerade mal 1200 Jahre.

„Da sind die blöden Mikroben mit ihrer Bastelei an den Sedimenten noch nicht weit gekommen“, übersetzte Leona den Text sehr frei und war nun doch wieder froh über den ungeplanten Abstecher.

„Cyanobakterien“, Tom grinste. „Oh, Mann! Wieso weißt du sowas nun doch? Ich denke, du hast noch nie von den Stromatolithen gehört?“

Schmunzelnd wies ihr Mann auf das Schild: „Ich lese Englisch anscheinend etwas schneller als du“, erklärte er. „Ha ha“, machte sie und murmelte den Text dann übersetzend weiter: „Photosynthese … Sauerstoff machen sie, wusste ich es doch. Das muss ich fotografieren. Ist so außergewöhnlich wie die Halagtiten, die quer in den Tropfsteinhöhlen wachsen wegen Luftströmungen, nicht? Schade, dass diese Babys nicht schon größer sind.“ „Ach, Leo, macht nichts, wir kommen einfach in ein oder zwei Millionen Jahren noch mal vorbei“, tröstete Tom sie neckend. Sie lachte und umarmte ihn.

***

Felix spielte mit Tessa gegen Zini und Jason im Doppel Federball. Rena gab die Schiedsrichterin und zählte wie beim Tennis. „Advantage Tessa-Felix“, rief sie und folgte dem Aufschlag der Jüngsten. Was die 7jährige versiebte, musste der junge Mann wieder herausholen. Es gelang nicht immer.

„Einstand – schon wieder“, meldete Rena. Zini und Jason nickten sich zu. Zwar lag der Vorteil noch beim aufschlagenden Felix, der schon zwei Sätze für sich und Tessa entschieden hatte, doch jetzt zum Ende des 3. Satzes lagen er und Tessa bereits ein Spiel zurück. Die Gegner schöpften Hoffnung, doch noch einen Ehrenpunkt zu machen.

Jemand kam zu Fuß durch die Einfahrt. Rena schaute genauer hin und blinzelte gegen die Sonne – ein Fremder in Uniform. Der Mann schritt flott aus, die Uniformmütze tief in der Stirn.

Jäh sah sie ihrem schlimmsten Gedanken Wahrheit verliehen. „Oh Gott, nein“, ihr wurde schwarz vor Augen. Sie sackte zusammen und landete hart auf dem Rasen.

„Rena!“ Felix und Zini ließen gleichzeitig die Schläger fallen und rannten los. Tessa quietschte, Jason schrie auf. „Serena!“

Sie waren alle fünf um sie, als sie wieder zu sich kam, etwas grob geschüttelt von dem Neuankömmling. Seufzend schlug sie die Augen auf und wisperte „Fred …“ „Ist ja gut, ich bin da. Jetzt nimm dich mal zusammen.“

Den Befehlston kannte sie, auch wenn Fred ihn ihr gegenüber selten anschlug. Sie schaute auf und direkt in die blaugrünen Augen.

„Ich … ich dachte, ich kriege jetzt die Flagge … und …“ „Ich habe dir gesagt, dass es eine Woche dauern kann.“ „Sie waren hier. Sonnabend.“ „Ich weiß. Dir ist hoffentlich klar, dass …“

„Worum geht es hier gerade?“ Felix fiel ihm ins Wort und rüttelte ihn an der Schulter. „Um meinen Einsatz. Es gab ein kleines Problem.“ „Klein ist gut“, murmelte Zini.

Fred schaute auf und musterte sie eindringlich: „Sie hat es dir gesagt?“ „Sie wäre sonst dran erstickt. – Weißt du denn nicht, was sie eben dachte?“ „Ich bin nicht blöd, liebste Schwägerin. Guck mich doch an: Ich bin völlig übermüdet, verdreckt und verschwitzt direkt hierher gekommen, so schnell es ging. Und habe, abgesehen von zwei Keksen, seit einer halben Ewigkeit nichts Essbares mehr gesehen. Ich habe mich wirklich beeilt, um deiner Schwester ein paar weitere ungute Stunden zu ersparen.“

„Möchtest du ein Butterbrot?“ fragte Tessa, die sich einen Satz von diesem unerwarteten und ungewöhnlichen Wortschwall gemerkt hatte. „Liebend gern. Und mehr als eins, Schatz.“

„Wir holen dir was“, Jason stand auf. „Ja, du machst das mit der Brotmaschine“, bestimmte die Jüngste eifrig. Jason nickte, froh, vor dem wachsbleichen Gesicht Renas fliehen zu können. Ihre Ohnmacht hatte ihn maßlos erschreckt.

„Okay, dann hole ich dir mal ein Bier aus dem Keller“, bot Felix an. „Lieber eine große Flasche Wasser, sonst kippe ich gleich aus den Latschen“, bat Fred, beugte den Kopf und küsste Rena. Sie umklammerte ihn heftig. Noch flimmerte es vor ihren Augen.

„Komm schon, Spatz, alles in Ordnung. Ich bin wieder zu Hause. Bei dir.“ Sie zitterte dennoch unkontrolliert. „Aber dir hätte … Es hätte … Dann bliebe mir nichts … Gar nichts, Fred. Ohne dich …“

„Du hättest das Haus. Und die Firma natürlich. Cooles Erbe“, Zini streckte sich auf dem Gras neben ihnen aus und blinzelte.

Fred lachte über diesen Spott. „Immer praktisch. Da höre ich eure Mutter. Außerdem: Sie dürfte dann endlich Detektiv spielen. Das meinst du doch?“ „So ungefähr. Du, wir waren echt besorgt. Du warst am Sonnabend schon drei Tage vermisst. Wo?“ „Ach, wir hatten einfach nur den Anschluss an die Gruppe verloren, meine Begleiterin und ich. Mit einiger Improvisation und ein bisschen Zeit ließ sich das bereinigen.“

Das klang so heiter, als spräche er von einem Zeltlager mit einem kleinen Irrweg bei einer Wanderung. Zini hob die Augenbrauen: „Ausgerechnet du hättest den Anschluss verloren?“ „Tja, die anderen waren eben jünger. Und schneller.“

„Begleiterin?“ forschte Rena. „Schützling. Du weißt doch – ich bin der Bodyguard“, scherzte Fred. Seine humorvolle Art besänftigte sie, ihr Atem beruhigte sich wieder.

Felix kam mit der Flasche Wasser und einem Glas von der Terrasse her gelaufen: „Tessa schmiert dir Brote. Jason hat gerade einen Teller Suppe in die Mikrowelle geschoben. Und falls du meinen Rasierapparat haben willst … Bedien dich.“ „Nein, ich habe ja alles hier. Ich hoffe, ich kann die Suppe noch schlucken, ohne dabei einzuschlafen.“

„Erst mal schaffen wir wohl Rena aufs Sofa“, sagte Zini und richtete sich etwas auf. „Nein“, Rena hielt sich krampfhaft an Fred fest: „Nein. Nicht eine Sekunde gehst du von mir weg.“ „Serena.“

Die Anrede allein genügte schon als Mahnung. Sie bekämpfte ihre Hysterie und lockerte den Griff: „Ich bin gleich wieder ruhig.“

Das fühlte er deutlich. Sie entspannte sich nach und nach, das nervöse Zittern gab sich langsam wieder. Doch noch war sie wachsbleich.

Mit einem zarten Streicheln über ihre weiche Wange tröstete er sie wortlos, behielt sie im Arm und lächelte wieder: „Habe ich auch nicht anders erwartet. Commander McPhae hat deine tapfere Haltung erwähnt.“ „Sie war extrem tapfer, voll die taffe Frau. Sei stolz drauf“, bestätigte Zini, die sich an die Bitte ihrer Schwester erinnerte. Fred nickte: „Bin ich. Immer. Auf so eine Frau kann ich nur stolz sein.“

Das war viel – von einem so verschlossenen Menschen wie diesem Mann. Rena rechnete ihm die Offenheit vor ihren Geschwistern hoch an. Sie richtete sich etwas auf, atmete tief durch und erschrak im nächsten Moment: Die ganze Zeit schon sprach Fred akzentfrei Deutsch.

Sie hob die Hand an die Lippen und bedeutete ihm wortlos mit zwei Fingern vorm Mund, was ihr eben aufgefallen war. Ihre geweiteten Augen verdeutlichten die Sorge.

„Jetzt trink mal was vorab“, Felix gab ihm das gefüllte Glas, und Fred leerte es in großen Zügen. „Noch eins?“ „Nach dem Brot. Und der Suppe – gib bitte erst mal Serena einen Schluck“, entschied Fred gelassen.

Zini betrachtete ihn neugierig und grinste dann. Felix achtete nicht auf sprachliche Feinheiten in diesem Moment, viel zu froh, Rena etwas rosiger zu sehen.

„Ich habe dir auch zwei pfeffrige Gurken mitgebracht. Weil du die so gern magst“, Tessa trug vorsichtig das Tablett über den Rasen. „Vielen Dank, Mäuselchen. Dir auch, Jason. Serena, kannst du allein sitzen?“ „Ja, ich denke schon.“ „Gut, dann werde ich mich mal auf diese Köstlichkeiten stürzen“, er nahm den Suppenlöffel in die eine Hand und schnappte sich eins der Gürkchen mit der anderen.

Die Geschwister lachten darüber. „Du wirkst echt ausgehungert. Diese Kombination ist doch …“, Felix schüttelte sich. „Die Gier treibt’s rein“, Fred löffelte eifrig los. „Dann brauchst du wohl mehr als das.“ „Nein, da sind noch drei Scheiben Brot. Das reicht für den Anfang“, meinte der Hungrige fröhlich.

„Iss langsam. Dein Magen muss sich erst wieder daran gewöhnen“, Rena legte Fred die Hand auf den Arm: „Sonst bekommt es dir nicht. Und dann legst du dich hin. Reden können wir später.“

Jetzt war sie wieder sie selbst, sanft, ausgeglichen und besonnen. In ihrem Kopf überschlug es sich allerdings. Wo war er gewesen?

„Wo warst du?“ fragte Tessa und sprach damit aus, was alle gern gewusst hätten, sich aber nicht zu fragen trauten: „Einen Dieb jagen?“ „Nein. Diesmal habe ich eine alte Dame beschützt. Eine sehr nette Dame. Sie kommt aus Amerika, aber sie war in einer Stadt ... woanders. Und die Leute da wollten sie nicht so gern wieder nach Hause lassen.“ „Und da hast du sie abgeholt und mit den Leuten geredet?“ „Ja. So könnte man es nennen.“

Im Geist ging nicht nur seine Frau bei dieser Beschreibung die Krisenherde der Welt durch, an die es eine ältere US-Bürgerin verschlagen haben konnte. Birma nach dem Zyklon, die Hisbollah mit Kämpfen in Beirut … Bagdad … Afghanistan … der Sudan … Zimbabwe … Nicht nur Rena fielen einige gefährliche Ecken auf der Erde ein.

„Du kannst jetzt gut Deutsch“, sagte Tessa plötzlich unbefangen. „Ja, dank Rena“, schloss sich Zini an. Fred lachte leise, legte den Löffel auf den geleerten Teller und gähnte.

„Jetzt reicht’s, keine Geschichten mehr. Du legst dich sofort hin“, Rena rappelte sich auf und wippte versuchsweise auf den Fersen. Ihre Beine trugen sie wieder. Folglich übernahm sie das Kommando: „Duschen, rasieren, das hat alles Zeit. Ab ins Bett mit dir. Sofort.“ „Okay …“, er gab nach, und sie sahen alle, wie erledigt er war, als Rena ihn mit sich zog.

Fred schaffte es gerade noch, sich auszuziehen und das Gesicht zu waschen. Rena zerrte ihn zum Bett: „Fang nicht noch mit mehr an. Hinlegen. Schlafen. Das ist jetzt nötig.“ „Weiß ich“, murmelte er. Sie beugte sich zum Kuss über ihn, als er lag. „Mmh“, machte der Mann nur träge.

Rena ging zum Fenster und ließ das Rollo runter: „Besser so?“ Eine Antwort bekam sie nicht. Mit einem Lächeln sah sie sich um. Er schlief schon, hatte sich verausgabt bis zur völligen Erschöpfung – um schnell wieder bei ihr zu sein. Ja, jetzt hatte alles andere viel Zeit.

Als sie in den Garten kam, ließ Jason die vergessene Uniformmütze auf einem Finger kreisen: „Captain der US-Marines?“ „Ich kenne mich im Militärjargon nicht aus“, wich Rena aus.

„Bei eurer Hochzeit da … vorigen September … das war die Ausgehuniform, oder? Gott, wie blöd von uns allen, nix mit Glenn-Miller-Show der 40er. Da hat Papa echt Mist erzählt. Das wird ja ein interessanter Abend heute … Von diesem Auftrag muss Fred reden. Das ist voll cool.“

„Garantiert nicht. Er hat genug durchgemacht. Du stellst ihm gefälligst keine Fragen, Jace. Ich wette, er hat mehr ansehen müssen, als man einem einzelnen Menschen zumuten darf. Und er will und darf darüber ohnehin nicht sprechen.“

Interessiert maß Felix die junge Frau mit einem achtungsvollen Blick: „Du wusstest das die ganze Zeit, oder? Mann. Und plusterst dich hier auf, um ihn zu beschützen … Die Pazifistin und der Krieger … ist ja herrlich. Und wie’s passt … Wo du Militärkram hasst …“

Seine ehrliche Bewunderung tat Rena gut. „Ich mag den Job hassen. Aber nicht Fred. Er ist von dem überzeugt, was er tut. Nicht von amerikanischer Politik, aber davon, dass er sein Können für sein Land einsetzt. Das solltest du verstehen können.“

„Als Ex-Lehrling der Gebirgsjäger – klar. Rena, du bist wirklich erwachsen geworden.“ „Endlich merkt das mal einer“, sie lachte und umarmte Felix spontan: „Mein allerliebster großer Bruder, du aber auch.“

„Fred spricht Deutsch wie wir“, meldete sich Jason plötzlich wieder zu Wort. „Du merkst aber auch alles“, spöttelte Zini und fragte sich, wie Rena das jetzt erklären wollte. Tessa schüttelte den Kopf: „Klar kann er das. Das habe ich doch vorhin schon gesagt. Er hat immerhin Rena als Lehrerin. Die haben bestimmt immer heimlich geübt …“ „Dein erster Schüler – ein echter Erfolg“, neckte Felix, und darüber lachten sie alle, auch Rena.

Fred tauchte erst vier Stunden später wieder im Wohnzimmer auf, munter und gut in Form wie immer, in kurzer Hose und mit dünnem T-Shirt. Nichts erinnerte mehr an den Soldaten im Einsatz.

„Die hier hast du vorhin hier liegenlassen“, Felix angelte die Uniformmütze vom Sessel, wo er sie abgelegt hatte. „Danke“, Fred nahm sie ihm weg, zog mit dem freien Arm Rena zu sich heran, um sie zu küssen, und fragte: „Wieso seid ihr im Haus bei dem Wetter?“ „Weil Zini und Rena gebacken haben, es gleich aus dem Ofen holen und nicht die Schlacht gegen lästige Insekten aufnehmen wollten.“ „Was für Kuchen“, Fred guckte interessiert.

„Apfelkuchen. Du bist doch da“, selbst Tessa wusste genau Bescheid. Sie verteilte gerade Kuchengabeln auf dem Tisch. „War meine Idee“, meldete sich Jason zu Wort. „Danke. Du bist ein echter Freund.“

„Du, Fred?“ „Ja, Mäuselchen?“ „Ist Rena krank? Fällt sie noch öfter um?“ „Nein. Die ist so gesund wie wir alle. Aber Mädchen können Aufregung manchmal nicht so gut vertragen“, scherzte Felix mit einem verschmitzten Zwinkern. „Vorsicht mit Macho-Sprüchen“, warnte Fred ihn lachend.

„Woher kannst du so gut Deutsch?“ „Üben, üben, üben, Felix.“ „War deine alte Dame etwa Deutschlehrerin?“ „Ja. Und Englisch. Wir hatten viel Zeit. Sie hat Goethe und Shakespeare zitiert. Hauptsächlich Shakespeare.“ „Shakespeare?“ „He that outlives this day, and comes safe home, Will stand a tip-toe when this day is nam’d, And rouse him at the name of Crispian[1]“, alle starrten ihn an, und Fred zitierte noch ein Stück weiter aus dem alten Shakespeare-Stück. Er traf den britischen Tonfall perfekt.

„He that shall see this day, and live old age, Will yearly on the vigil feast his neighbours, And say, ‚Tomorrow is Saint Crispian‘. Then will he strip his sleeve and show his scars, And say, ‚These wounds I had on Crispin’s day‘.“ Er machte eine Pause und überlegte kurz, ob ihm die nächsten Zeilen einfielen.

„Dann fehlt mir ein Stück, und dann zählt er die Namen auf: Heinrich, der König, Bedford und Exeter, Warwick und Talbor, Salisbury und Gloucester …“

„Das muss aus King Henry V sein“, staunte Zini: „Woher kennst du das?“ „Weil sie es immerzu aufgesagt hat“, ein lässiges Schulterzucken: „Irgendwann sitzt selbst Alt-Englisch dann.“

„Hört sich an, als hättest du eine interessante Woche gehabt“, sagte Rena betont gleichmütig. „Hatte ich. Ich habe ihr im Gegenzug von deinem Fontane erzählt. Von Effi Briest. Und von den drei Hexen, die diese Brücke zerstören … weißt du noch?“

Es war offensichtlich, wie viel Spaß er mitten in aller Gefahr gehabt hatte, als er dieses Detail erwähnte. Die ernsten, oft so kühl blickenden Gletscheraugen leuchteten: „Und sie hat deinen Geschmack gelobt. John Maynard. Den hätte ich fast vergessen. Sie konnte es auch auswendig. Gischt schäumt vorm Bug wie Flocken von Schnee … Sie mag deine deutschen Balladen, Serena. Woher ist das mit den Besen?“ „Besen?“ „Besen, Besen, seid’s gewesen“, deklamierte er heiter.

Die Geschwister sahen sich verblüfft an. „Goethes Zauberlehrling“, Rena brach in Gelächter aus und fasste sich an den Kopf. Sie traute ihren Ohren kaum. Diese nahezu übermütige Art kannte sie nicht von ihrem Fred. Er zwinkerte ihr fröhlich zu und setzte sich an den Kaffeetisch: „Her mit eurem Apfelkuchen!“

Als Jason sich jedoch den Kuchenteller griff und gleich drei Stücke auflud, mischte Fred sich ein und wirkte wesentlich ernster: „Sind das deine gelobten Manieren?“ „Nein. Entschuldige. Darf ich dir … eins abgeben? Dir auch, Felix?“ „Ja, klar“, half der sofort.

„Zunächst mal solltest du den Damen am Tisch anbieten und sie vielleicht sogar bedienen“, gebot Fred freundlich, aber bestimmt.

Tessa guckte etwas verblüfft, schaute ihre großen Schwestern an und freute sich, auch zu den Damen gezählt zu werden. Voller Stolz reckte sie die Brust. Die Erwachsenen bei Tisch amüsierten sich sehr über die kleine Bewegung der Jüngsten.

Nach dem Kaffee bot Jason freiwillig an, das Aufräumen zu übernehmen und Wasser für alle mitzubringen, wenn er fertig war, falls sie sich schon in den Garten setzen wollten.

Allein Freds Gegenwart genügte anscheinend schon, ihn respektvoller und höflicher sein zu lassen. Zini entdeckte Freds Fingerzeig gerade noch rechtzeitig, bevor sie darüber kicherte. Sie schwieg und hielt sich zurück.

Erst sehr viel später sprach sie Fred darauf an: „Wie gelingt dir das? Wenn ich was sage, ist der Bengel dermaßen ungefällig und ruppig …“ „Mein fortgeschrittenes Alter“, schlug Fred vor. Rena seufzte. Zini lachte laut los. Diese Diskussion erkannte sie wieder.

Rena dagegen zögerte mit den Fragen, die ihr auf der Zunge brannten, bis sie die Schlafzimmertür schloss. Auch dann beschränkte sie sich noch auf einen leisen Flüsterton, falls sie wider Erwarten belauscht wurden.

„Wieso machst du das jetzt? Dein perfektes Deutsch – vor allen? Ich dachte, du darfst nicht …“ „Erpressung. Es gab die Chance, also habe ich das genutzt. Wäre blöd gewesen, diese einmalige Gelegenheit zu verschenken – nach der Nummer“, dieses Wort bezog sich eindeutig auf seinen Alleingang der vergangenen Tage.

Ungläubig sah sie ihn an. „Genau genommen“, setzte er an, stockte und sagte schließlich tonlos und sehr leise: „Ich will deine Familie nicht hintergehen. Ich weiß, du empfindest solche … Vorschriften als … Betrug, Serena, wenn ich meine Sprachkenntnisse verschleiere. Damit ist jetzt aber, wenigstens was Deutsch angeht, endgültig Schluss.“

Bevor sie darauf reagieren konnte, klopfte es zaghaft.