Liebe Familie 10 - Licht und Schatten - Linda Fischer - E-Book

Liebe Familie 10 - Licht und Schatten E-Book

Linda Fischer

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Beschreibung

Samantha Reuenthal wird 30. Leona Reuenthal freut sich über die Taufe ihrer ersten Enkel. Tom und Rena reisen für Dreharbeiten zu Musikvideos in die Alpen. Wieder mal viel los in der "Lieben Familie" - diesmal bleiben düstere Schatten nicht aus. Aber auch positive Dinge passieren, das meint zumindest Rena, deren Mann endlich sein Reservistendasein beendet ...

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Über das Buch:

Samantha Reuenthal wird 30 – und ihre Familie reist nach Cambridge, um mit ihr zu feiern. Dies bleibt nicht die einzige Reise – die „Liebe Familie“ ist diesmal wieder viel unterwegs. Auch die Doppel-Taufe der erste Enkelkinder Leonas steht an.

Dreharbeiten für die Weihnachts-CD und DVD bringen Rena – alias Anissa S. – und Tom in die Alpen.

Doch nicht alles ist so leicht. Die Wechseljahre nerven. Und ein sehr dunkler Schatten fällt auf Leonas Leben, als Tom und Felix schwer verunglücken.

Fred Myers kann endlich bei den Marines ausscheiden. Rena begrüßt das natürlich, weil damit die gelegentlichen Sonderaufträge wegfallen. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter reisen sie zum Stützpunkt in die USA und erleben kleine Überraschungen.

Impressum:

Liebe Familie – Teil 10: Licht und Schatten

Linda Fischer

Copyright: © 2016 Linda Fischer published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

Handlungsorte und Personen

Hotel „Sonniger Garten“ in einem kleinen Ort in Niedersachsen

Leona Reuenthal, Besitzerin des Hotels

Thomas Reuenthal, genannt Tom, ihr 2. Mann, Sänger „Phil Williams“, Deutsch-Amerikaner

Dennis Falkow, ihr 1. Mann, verstorben 1997

Susanne Falkow, verstorbene Schwester von Dennis und Ex-Frau von Mats Kristiansson

Die Kinder

Felix Anton Falkow, adoptiert von Leona und Dennis, Juniorchef im Hotel

Anissa Serena Falkow, genannt Rena, Künstlername: Anissa S.

- Frederick Gabriel Myers, genannt Fred, Renas Mann, führt Detektei in Hannover, US-Amerikaner, leitet für Tom die Tournee und übernimmt Sicherheit

- Rebecca Myers, Tochter von Rena und Fred, kurz Becky

Cynthia Falkow, genannt Zini, studiert Geologie in Hannover, Hauptziel Erdbebenforschung

- David Falkow, ihr Sohn

Samantha Reuenthal, genannt Sam, Toms Adoptivtochter, Fotografin

- Markus Reuenthal, ihr Mann, unterrichtet Literatur in Cambridge

Jason Reuenthal, genannt Jace, Toms Sohn

Tessa Nadine Reuenthal, Tochter von Leona und Tom

Hotelangestellte und Freunde

Marion Roske, Rezeption

- vertreten von Frau Herder, Aushilfe

Sylvia Hauke, Restaurantchefin

- Roswin Kober, ihr Lebensgefährte

Yu-Lan Vogelsang, Mitarbeiterin im Restaurant

- Volker Vogelsang, ihr Mann, Förster und Schulfreund von Tom

- Nadja und Tabea, beider Kinder, befreundet mit den Falkow- und Reuenthal-Kindern

Helgard Hermans-Nathmann, Küchenchefin und hauptamtliche Köchin

- Rüdiger Nathmann, ihr Mann

Stefan Linacker, Konditor

Olivia Trautmann, Hausdame

Jörn Trautmann, ihr Mann, Hausmeister

- Jan-Oliver Trautmann, ihr Sohn, verliebt in Tabea Vogelsang

Doris Röttger, Zimmerservice

- Michael Röttger, ihr Mann, Journalist, führt das „Dorfblatt“ – die Ortszeitung

- Michael Dennis Röttger, ihr Sohn, Soldat

- Isabell Bastius geb. Röttger, ihre Tochter, Freundin und „Zwilling“ von Zini, und

- Olaf Bastius, Isabells Ehemann, Polizist in München

Rosalba Inez, Barfrau und Rezeptionistin

Valentina Harms, Sekretärin

- Edzard Harms, ihr Mann, Landwirt

Silvia Holzschuh, Verkäuferin im Wellness-Lädchen des Hotels

- Uwe Holzschuh, ihr Mann, Polizeibeamter

- Mandy Seevogt, Auszubildende, stammt aus Mecklenburg

- Özgür, Barkeeper

Außerdem Hotelgäste im „Sonnigen Garten“

Verwandte der Familie Falkow-Reuenthal, weitere Freunde und Bekannte

Monika und Winfried Sebald, Leonas Eltern

Elisabeth Schmöck, Toms Ex-Frau

Ferdinande und Rüdiger Schmöck, deren Eltern in Hamburg

Fiete Petersen, Fischlieferant des Hotels, ebenfalls in Hamburg

- Gesine, seine Frau

- Heiner, beider Enkel

In Schweden

Mats Kristiansson, Ex-Schwager von Leona und Dennis, Hotelbesitzer, Stockholm

- Liv Kristiansson, seine 2. Frau

- Lorena und Astrid, beider Töchter

Maria Kristiansson, Mutter von Mats

Hans Mjölsson, Sicherheitschef der Sigvald-Hotelkette

Viktor Halvorson, ehemals Bodyguard, arbeitet jetzt für Sigvald-Hotelkette

In den USA

Allison Reuenthal, Toms Mutter, lebt bei Napa, führt Weingut der Familie

Jennifer May Cowin-Reuenthal, genannt Jenny, Toms älteste Schwester

Ingrid Lorraine Walsh-McPherson, genannt Lorry, Toms 2. Schwester

Barbara Catherine Johnson, genannt Kitty, Toms 3.Schwester

Tobias Nick Reuenthal, genannt Nicky, Toms kleiner Bruder

Simon Miller, Bruder von Allison Reuenthal

Kendra Caroline „Casey“ Sysmanek, Leiterin des Weingutes der Familie Reuenthal

- John, ihr Mann, Sheriff in Napa

- Opal, studiert Weinbau, Rafael und Jacob, ihre Kinder

Jane Myers, 2001 verstorbene 1. Frau von Fred Myers

Rachel und Aaron Goldstein, Freunde von Tom, Renas ehemalige Gasteltern in New York

Mary Robinson, Sopranistin, Freundin von Rena

George Paginsky, Balletttänzer, Freund von Rena

Renas afroamerikanische Jazz-Band aus New York:

- Timmy Smith, Schlagzeug

- Ron Weethley, Kontrabass

- Cal Dizzie Bones, Klarinette und Gitarre

US-Marines

Ellen und George, Silberhochzeitspaar

- Robert Fitzgerald, Marylin Lee und Phyllis, beider Kinder

Im niedersächsischen Dorf rund ums Hotel

Oskar Hirbisch, evangelischer Pastor im Ruhestand

Albrecht Bicknäse, Pastor

Nicole Tarrach, Freundin der Falkow-Schwestern, Medizinstudentin

Kristina Kyrkanson, Freundin der Falkow-Schwestern, Gemeindeschwester

Daniela Proll, Schwester von Markus Reuenthal

- Eltern Proll leben bei Dresden

Ruben Düster, Freund von Jason Reuenthal

- Hannah Düster, seine Schwester

- Mascha und Johannes Düster, deren Eltern

Richard „Ricky“ Müller, Ex von Zini und inzwischen auch Ex von Isabell Röttger

Weitere Bekannte in Niedersachsen, Berlin, Chile, den USA …

Torsten Wölz, Erdbebenforscher in Kalifornien und Freund von Zini

Maria Dolores Esteban, Sekretärin am Forschungsinstitut in Kalifornien

Irene Wölz, Schwester von Torsten, Freundin von Zini

Sven, Irenes Freund in Berlin

Rita Wölz, Irenes Mutter

Anna, Mitschülerin von Tessa

Nico, ehemaliger Mitschüler der Falkow-Schwestern

Carlo Montoya, Mitarbeiter der Erdbebenforschung in Santiago de Chile

Frida Corazón Gonzales, Mitarbeiterin der Erdbebenforschung in Santiago de Chile

Carola Lehmann, Mitarbeiterin der Erdbebenforschung in Santiago de Chile

Mara, Mitschülerin von Jason

Michiko, ehemalige Studienkollegin von Felix, Wirtschaftsberateriin in Hameln

- ihre Eltern aus Japan

In Hannover

Günter Fitzmann, Partner der Detektei von Fred Myers

- Helene Videra, seine Freundin

Lisbeth Grämmel, Mitte 40, Sekretärin in der Detektei

- ihr Ehemann und ihre beiden Kinder (Tochter Ira)

Peter, freier Mitarbeiter der Detektei

Mandanten der Detektei

Joachim „Achim“ und Birgit Tannert, Nachbarn

Margot Kanter, Nachbarin

Kevin und Sophie, Nachhilfeschüler von Rena Falkow

Sonja, Musikstudentin

Sandra, Violinistin, spielt auch Cello

Marcel, Bassist

Benno, Schlagzeuger

Daniel Müller, Kriminalbeamter am LKA in Hannover und Freund von Fred Myers

- Susanne Müller, seine Frau

- Fabian und Bianca, ihre Kinder

Professor Paul Gillessen, Geologe und Mentor von Zini Falkow

- Anna Gillesen, seine Frau

Dr. Oliver Klimmer, Hausarzt von Rena Falkow

Zuständig für die Tournee

David Blumenstein, Toms Anwalt und Freund, bereitet Tournee vor, Bruder von Rachel

Völlig überrascht sah Samantha über den üppig gedeckten Tisch. „Hast du jetzt schon angefangen, das Essen für nachher aufzubauen – oder was?“ fragte sie Markus.

Ihr Mann lachte und schüttelte den Kopf: „Noch nicht. Nein. Das ist ein – zugegeben – etwas aufgebrezeltes Geburtstagsfrühstück. Aber ... kannst du noch fünf Minuten warten?“ „Wieso?“ „Weil ... die Eier noch nicht kochen“, sagte er leicht verlegen.

Es erstaunte sie etwas. Doch anscheinend war ihrem Mann peinlich, dass er erst ganz zum Schluss ans Frühstücksei zum Geburtstag gedacht hatte.

„Macht nichts – du hast doch sonst alles ganz toll gemacht“, sie umarmte ihn und zuckte zusammen, als die Klingel schrillte.

„Post – an einem Sonnabend schon um diese Zeit?“ wunderte sie sich. Markus grinste: „Ja, viele große Pakete ...“

Er machte keine Anstalten, sich zu bewegen, also ging sie selbst los. Schließlich war es ihr Geburtstag.

Auf den Postboten gefasst, war sie sehr erstaunt, zu der recht frühen Stunde mehrere Leute durch das matte Glas in der Tür zu sehen. Sie öffnete und rechnete mit ein paar frühen Freunden. Statt dessen standen dort ihr Adoptivvater Tom, seine Frau Leona sowie die Kinder Jason und Tessa.

Mit einem Aufschrei reiner Freude fiel sie jedem um den Hals.

„Na ja, du wirst eben nur einmal 30“, sagte Markus trocken hinter ihr. „Du hast das gewusst?“ „Klar. Was denkst du, wieso da diese Unmengen Frühstück stehen? Doch nicht nur für uns beide.“ Rasch begann er damit, für die Ankömmlinge Geschirr, Besteck und Servietten um den Tisch zu verteilen.

Sam küsste auch ihn ab in ihrem Jubel. Mit ihrer Familie hatte sie nicht gerechnet.

„Felix arbeitet – und ich bin nur noch am Rumreisen“, gluckste Leona. Zum ersten Mal in ihrem Leben gönnte sie sich Freizeit – und fühlte sich wohl dabei.

Tessa schaute sich neugierig im Flur um. „Das ist ja eng hier. Aber die bunten Tapeten sind toll.“ „Laura Ashley-Muster – kommt rein. Der Kaffee ist fertig – haben wir Saft und Cola für Jace und Tessa?“ „Zum Frühstück?“ „Äh ... ja ... oh ... Ich bin ganz durcheinander. Vor lauter Freude“, Sam hakte sich bei Tom ein: „Mensch, Papi, das ist eine tolle Überraschung.“ „Wie Markus sagt: Du wirst nur einmal 30, kleine Tanzmaus“, sagte ihr Adoptivvater liebevoll.

Samantha strahlte während des ganzen Frühstücks. Sie aß nur wenig, saß glücklich neben Leona und drückte deren Hand: „Ich bin so froh.“ „Das sehen wir.“

Es war weit mehr Begeisterung, als alle erwartet hatten. Erst jetzt wurde Leona bewusst, dass Samantha trotz ihres gelegentlichen Gezickes sehr an der Großfamilie hing. Weit weg von der „gemischten Raubtiergruppe“ in ihrem schönen englischen Domizil vermisste sie den Zusammenhalt doch.

Während im Laufe des Tages immer mehr Leute kamen und gingen – viele blieben auch, übernahm Leona einige Gastgeberpflichten. Sie kochte Tee und Kaffee. Tom kam irgendwann dazu und schnitt Kuchen auf.

Lachend sahen sie sich an. „Wie zu Hause“, kiekste Leona vergnügt. „Ja, könnte auch einer von unseren Geburtstagen sein, hm?“ „So ungefähr. Aber bei uns im Haus ist Deutsch die Umgangssprache. Hier nicht.“

Langsam glaubte er zu wissen, weshalb sie sich dermaßen bereitwillig in die Küche verzogen hatte.

Er hob eine Augenbraue: „Bereust du diesen spontanen Ausflug?“ „Wieso? Nö. Ganz im Gegenteil. So wie sich Sam freut, bin ich echt froh, dass du mich überredet hast.“ „So viel überreden musste ich dich gar nicht.“

„Auch wieder wahr. Gut, dann sagen wir: Es ist ausgesprochen praktisch, mit dir verheiratet zu sein. Du kannst dir diese Extratouren nämlich leisten. Aus der Portokasse.“ Ihr Mann grinste sie an: „Du kannst es dir auch leisten. Du bist nur nicht an Extravaganzen gewöhnt.“

Darüber kicherte sie noch mehr. „Was, Leo?“ „Ich hätte in diesem Leben keinen teuren Privatflieger engagiert, um zum 30. Geburtstag eines meiner Kinder zu reisen. Ich wäre Linie geflogen. Über London. Dann vielleicht einen Leihwagen hier hoch. Und ich wäre erst heute angereist, nicht schon gestern noch am Abend.“ „Das wäre billiger gekommen“, pflichtete er ihr bei und machte ein ernstes Gesicht.

Leona prustete los und krümmte sich über dem Wasserkocher vor Lachen. Tom beobachtete sie belustigt.

Er erinnerte sich noch sehr gut an den Tag, als sie begriffen hatte, wie reich sie sich verheiratet hatte mit ihm, an ihr offensichtliches Entsetzen. Inzwischen nahm sie das Thema etwas leichter.

Noch immer achtete sie darauf, im Alltag normal zu leben und auch den Kindern nicht zu viel Geld zu geben und ihnen alles abzunehmen. Aber da stand er völlig an ihrer Seite. Beim Taschengeld sprachen sie sich mit anderen Eltern ab und lagen im Mittelfeld.

Andererseits – er hatte dieses Häuschen in Cambridge finanziert, ebenso das von Felix daheim auf dem Hotel-Grundstück. Die einzigen, die sich weigerten, auch nur einen Cent anzunehmen, waren Fred und Serena. Fred bestand darauf, den Kredit für die Firma zurück zu zahlen. Er ließ sich seine Dienste durchweg gut honorieren, doch er investierte auch ständig in Neuerungen. Inzwischen hatte Tom diesen Widerstand akzeptiert.

„Gefällt es dir hier – trotz der falschen Umgangssprache“, fragte er seine Frau sanft. Leona sah ihn verblüfft an: „Wie meinst du das?“ „Hier wird Englisch gesprochen.“ „Ja, das ist mir auch aufgefallen. Ich habe mich aber doch ganz gut durchlaviert ... ähm ... geradebrecht, oder?“ „Ich weiß nicht. Ich hab’s ja nicht gehört.“

„Wir haben uns über die Neuverfilmung von Alice in Wonderland unterhalten. Mit Johnny Depp, dem verrückten Hutmacher, Helena Bonham-Carter als Rote Königin und Anne Hathaway als Weiße Königin. Ich war doch mit Tessa vor Ostern im Kino. Tessa war ganz begeistert, vom Kampf gegen den Jabberwocky vor allem – und ihr kann ich mühelos folgen“, berichtete sie gelassen: „Oder fragen, wenn ich mal ein Wort nicht so schnell finde.“

Tom betrachtete sie versonnen. Anscheinend machte es ihr nichts aus, ihre jüngste Tochter um Hilfe bei den Vokabeln zu bitten. Das sprach für ihr Selbstbewusstsein. Sie machte kein Hehl daraus, im Gegensatz zum Rest der Familie nicht perfekt Englisch zu sprechen, dazu brauchte sie die Fremdsprache zu selten.

Er wusste auch noch, dass sie lange überlegt hatten, da der Film eigentlich erst ab 12 freigegeben war. Doch Tessa sah vieles, schon durch ihre wesentlich älteren Geschwister, und konnte ziemlich gut damit umgehen.

„Wie seid ihr darauf gekommen?“ „Meine Idee. Small Talk. Kann ich. Dank Hotel“, sie zwinkerte ihm vergnügt zu. Er brach in fröhliches Lachen aus.

„Tja, sag‘ ich dir doch immer – man kann ruhig blöd sein, man muss sich nur zu helfen wissen“, große Augen, ein lässiges Schulterzucken – sie nahm es mit Humor.

„Und keiner hat gemault“, ergänzte sie. „Das fehlte auch noch. Keiner von denen kann so gut Deutsch wie du Englisch“, meinte Tom.

Seine Frau riss die Augen noch weiter auf: „Wie bitte? Ist nicht wahr.“ „Keine Ahnung, ob’s wahr ist. Deine Aussprache ist jedenfalls gut ...“ „Aber meine Grammatik unter aller Sau.“ „Unsinn.“ „Du sprichst doch immer Deutsch mit mir. Woher willst du das beurteilen können?“ „Ich höre dich mit anderen reden – im Hotel. Und da schlägst du dich wirklich erstaunlich gut.“

An Felix oder gar Serena reichte sie nicht heran, auch Zini war weitaus besser. Um so mehr überraschte sie sein Lob. Sie starrte ihn lange an, so dass Tom wieder lachen musste: „Was ist?“

Seine Frau verdrehte die Augen. „Ich spreche grottig. Ich mixe sogar mein Bruchstück-Schwedisch da mit rein. Ich habe wahrhaftig eben Takk så mykket gesagt, als mir einer eine von diesen kleinen Keulen mitgebracht hat. Daraufhin bin ich erst mal hierher geflüchtet. Nächste Fuhre Tee und Kaffee aufsetzen, ein paar Weinflaschen öffnen. Eben Dinge, die ich inzwischen ganz gut hinkriege – jedenfalls verglichen mit meinen Sprachkenntnissen. Respektive Unkenntnissen. Du kannst Spanisch noch und fließend Schwedisch ...“ Ihre Argumentation erlahmte.

„Und ich reiche bei weitem nicht an deinen Freund und Lieblingsschwiegersohn ran ... Also bleibe ich bei meinem Urteil über dich. Und das fällt hervorragend aus.“ Er lächelte spitzbübisch und blinzelte ihr vertraulich zu.

Leona krauste die Nase. „Einwände?“ fragte Tom gespielt sachlich. Sie schüttelte den Kopf: „Ich dachte nur gerade ...“ „Was dachtest du?“ „Dass du nach den vielen Jahren noch immer so entsetzlich ausgerechnet in mich verknallt bist ...“, dehnte sie.

Amüsiert schloss er sie in die Arme, und Leona stellte hastig die Kaffeekanne wieder ab. Sie lachte mit.

„Du wirst das ewige Necken nie lassen, du freches Ding, oder?“ „Nein. Versprochen.“  „Dann werde ich dich ewig lieben. Versprochen.“ „Gut so. Aber ganz ehrlich – wenn du willst, kannst du auch ein sehr ... boshafter Mann sein. Ich mag das.“ „Und du wirst mich dafür lieben?“ „Jo, glaub‘ schon“, sie legte den Kopf schräg und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken.

„Na, Liebesgeflüster?“

Markus blieb am Türrahmen stehen: „Und ich dachte schon, ihr beide mögt unsere Freunde nicht.“ „Doch. Gefällt mir riesig hier. Vor allem dieses Zwanglose, heitere Gewusel. Engländer dachte ich mir irgendwie steifer, formeller, nicht so locker“, meinte Leona und ließ die Hände sinken. Tom seufzte laut, akzeptierte ihr Kopfschütteln aber.

„Knutschen können wir heute Nacht im Hotel“, sagte sie, nahm die Kaffeekanne und verließ mit einem „Der Tee braucht noch eine Minute“ die Küche.

„Schön zu sehen, dass ihr beide noch so ... seid“, sagte Markus. Tom nickte. „Ich finde das auch schön“, schmunzelte er. „Ja. Weißt du ... meine Eltern ... die sind nicht so. Nicht so herzlich. Wie ihr. Auch mit uns Kindern.“ „Ja“, antwortete Tom schlicht.

Dann erschien ihm das zu wenig.

„Wann warst du zuletzt in Dresden?“ „Im Februar. Es soll ja nicht nur auf Geburtstags- und Weihnachtskarten rauslaufen. Tut es aber. In diesem Jahr fahren wir über Weihnachten nach Bali. Da gehen wir allem aus dem Weg. Auch wenn das nicht richtig ist.“

Tom nickte langsam. Er verstand diese Entscheidung sehr gut. Kein Elternteil wurde brüskiert, wenn das Paar eigene Wege einschlug.

„Wie ist es denn mit dir und Kitty? – Entschuldige, Samantha hat mir einiges erzählt. Also, wie deine Schwester heftig reagiert hat – wegen der Sache mit April und Jace.“ „Mit mir und Kitty? Nicht ideal, aber wir reden miteinander. Jason wird 17 – es ist alles lange her.“

„Leona hat dich nie verurteilt, oder?“ „Leona? Sie hat sich mit Gewalt ins Getümmel geworfen und mit Zähnen und Klauen für die Gerechtigkeit gekämpft. Wie immer. Ohne Rücksicht auf sich selbst – damals schon. Und Dennis hat das gar nicht geschätzt, zumal als sie ihn eingebunden hat.“

Jemand kam in die Küche und fragte nach Cola. Beide schalteten sie sofort wieder auf Englisch um und brachen ihr Privatgespräch ab. Der außereheliche Sohn von Phil Williams durfte keinesfalls Gesprächsthema sein, nicht vor Fremden. Dass Markus als sein Schwiegersohn Bescheid wusste, störte Tom dagegen überhaupt nicht.

Er hatte, damals noch mit Elisabeth Schmöck verheiratet, sehr schnell einsehen müssen, dass sich aus seiner Vaterschaft kein Geheimnis machen ließ. Dazu sah ihm Jason viel zu ähnlich. Auch Jason selbst wusste, dass er das Zufallsprodukt einer durchsoffenen Nacht war – und er hatte am Grab seiner Mutter April gestanden, schon als Kleinkind.

Zu aller Glück kam Leona mit der Sachlage wunderbar klar – und sie hatte akzeptiert, die Wahlmama des verwaisten kleinen Jungen zu sein. Jason liebte sie, wie er seine biologische Mutter nicht mehr hätte lieben können.

Als Sam am Sonntagmittag ihre Familie nach einem gemütlichen Spaziergang über das ehrwürdige Unigelände von Cambridge verabschiedete, sagte sie: „Es war schön – aber schade, dass Felix, Rena und Zini nicht auch da waren.“

„Felix hatte gestern mit seinem Freund Uwe Fußballtickets, Rena hat Zini bei sich – und David ist ja nicht mal zwei Wochen alt, das wäre nun wirklich verfrüht. Mit so einem kleinen Baby geht man nicht auf Reisen“, sagte Tom energisch. „Ja, aber Rebecca hattet ihr mit auf eurer Tournee.“ „Rebecca wurde rund um die Uhr von Leo, Fred oder Rena betreut ...“

„Zini hat sich wohl ziemlich was aufgehalst als Alleinerziehende, könnte ich mir vorstellen“, sagte Markus ruhig. „Ja, echt blöd. Schon die Tatsache, dass ihr alle in Wien ward. Ihr hattet euch doch verabredet, sie zu begleiten, wenn ’s soweit ist. Hat sie mir noch im August erzählt“, erinnerte sich Samantha.

„Fred war ja zu Hause. Er hat das übernommen“, erklärte Leona. „Fred? Du liebe Güte“, Samantha guckte entgeistert. Tom verbiss sich das Lachen.

„Du traust ihm das nicht zu? Er hatte ja schon Erfahrung – dank Rena.“ „Aber Zini? Er ist doch eigentlich ein Fremder. Ich möchte das nicht.“ „Du möchtest überhaupt keine Kinder“, warf Tessa ein. Sam sah die Jüngste an: „Nein. Aber ich möchte auch – wenn – dann Markus dabei haben. Der ist kein Fremder.“

„Fred ist ein Freund. Und verwandt auch. Und kein Fremder“, empört musterte Tessa ihre ältere Schwester: „Du hast ja keine Ahnung, wie toll Fred ist. Er hat nicht mal geschimpft, als ich in München verloren gegangen bin.“

„Du bist was? Ach, du ahnst es nicht – wie hast du das denn geschafft?“ wollte Markus wissen. „Ich bin aus der U-Bahn gehüpft, weil mir der Appel abgehauen ist. Und da gingen die Türen zu.“ „Und dann?“ „Dann bin ich zur Polizei gegangen und habe denen gesagt, dass ich zur Tournee von Phil Williams gehöre und sein Kind bin und sie bitte da anrufen sollen, damit Fred mich abholt. Frederick Myers. War nicht schlimm.“

Sie zögerte einen Moment und sah Tom fragend an, gab dann aber ehrlich zu: „Ich dachte, Fred wird sauer, weil das wirklich eine sehr dumme Sache war. Aber ich habe ihm das mit dem Apfel erzählt. Und er hat nur ein bisschen komisch geguckt, aber gar nichts gesagt. Überhaupt nicht geschimpft.“

„Während wir zu der U-Bahn-Station zurück fuhren respektive rannten, hatte sie sich schon ganz selbstverständlich bis zur Polizei durchgefragt“, Leona fuhr ihrer Kleinen über den Kopf: „Genau richtig, Schätzchen.“

„Und Fred hat Zini begleitet? Bei Davids Geburt?“ vergewisserte sich Samantha. „Hat er. Nicht gleich begleitet. Aber als sie anrief, hat er sich prompt auf den Weg gemacht. Wir waren ja alle unerreichbar – im Konzert bzw. ich mit Rebecca im ORF-Bereich vorm Fernseher. Die Mobiltelefone alle abgeschaltet ...“, Leona zuckte mit der Schulter: „Keiner von uns hätte rechtzeitig in Hannover sein können.“

Jeder in der Familie schien es als normal anzusehen, dass sich Fred um alles kümmerte – Samantha kapierte es nicht.

„Man muss Leuten auch mal vertrauen. Nicht allen. Nicht jedem. Aber Fred schon“, sagte Leona.

Die Jüngste neben ihr strahlte – sie kannte die Regeln: „Ja, Mama, genau. Nicht mitgehen, in kein Auto einsteigen, wo man den nicht richtig kennt oder nur, wenn Mama und Papa es erlauben ...“, zählte sie für Samantha auf. Sie hörte es oft genug: „Nur bei Silvia oder Uwe, weißt du? Sonst nicht.“ „Oma und Opa“, fügte Jason ergänzend hinzu.

Die beiden Geschwister grinsten sich an. Inzwischen – dank ihrer Teilnahme an der Tournee und ihrer Beobachtung von Fans – sahen sie die Sicherheitsmaßnahmen als quasi schicksalhaft. Schon deshalb nahmen sie die strengen Vorschriften der Eltern ohne Gemäkel einfach hin.

Fred achtete sehr darauf, dass Leona und Tom immer auf dem neuesten Stand in Sachen Sicherheit waren. Tessa wunderte es manchmal immer noch, dass sie keinen größeren Ärger wegen ihres Verschwindens bekommen hatte.

„Weißt du noch, als du weggelaufen bist – von der Schule?“ Leona schaute sie fragend an. Tessa zögerte erst, nickte dann aber.

Der freie Tag hatte ihr viel Spaß gemacht, auch noch im Dunkeln. Angst kannte sie nicht. Allerdings wusste sie inzwischen längst, dass Schulschwänzen nicht in Frage kam und sie ihre Familie damit sehr erschreckt hatte.

„Fred musste es immer ausbaden“, gestand sie etwas betreten: „Da waren alle voll sauer auf ihn. Weil er uns die Geschichte erzählt hatte von den Sklaven. Wie man gut flüchtet. Ich weiß das jetzt aber besser. Und ich bin auch viel schlauer jetzt. Da war ich ja noch ein kleines Kind,“  das klang sehr abfällig.

„Was bist du jetzt?“ erkundigte sich Markus. „Ein größeres Kind. Ich lerne viel, du, echt. Oder, Mama?“ „Jedenfalls machst du die selben Fehler nicht zwei Mal“, schmunzelte Leona. „Ja. Mir fällt immer was Neues ein“, bestätigte die Kleine vergnügt.

Alle lachten, Samantha umarmte sie. Es gefiel ihr: „Schade, dass Babys so fordernd sind. In deinem Alter mag ich Kinder viel mehr.“

Leona und Tom sahen sich kurz an und schnell wieder weg voneinander. Er kämpfte mit dem Lachen. Sie schüttelte innerlich den Kopf, musste sich aber auch ein Kichern über diese naive Aussage verkneifen.

Manchmal zweifelte sie etwas: Wurde Sam trotz ihrer inzwischen 30 Jahre nie erwachsen? Andererseits ging die Entscheidung für oder gegen Kinder nur Sam und Markus an, keinen anderen.

Jason dagegen hielt sich nicht zurück: „Wenn Papa kein Kind mögen würde als Baby, wo wäre ich dann? Wenn Mama so albern wäre wie du, was wäre dann aus uns allen geworden? Mama hat uns alle immer lieb, egal, wie alt oder blöd oder lästig wir gerade sind. Und waren. Sein werden“, damit hatte er alle Zeiten durch.

Die ältere Schwester nickte etwas betreten und umarmte Leona: „Das stimmt. Ohne dich wäre es schrecklich. Wo ich sogar bei dir bleiben durfte, als ...“ Sam drückte ihre Nase an Leonas Schulter und schenkte sich den Rest.

Ihre Ersatzmutter tätschelte sie freundlich und schwieg ausnahmsweise, was Markus ihr hoch anrechnete. Er kannte Leos flinke Zunge, die allzu oft mit ihr durchging.

Die Rückreise klappte einwandfrei. Leona amüsierte sich ein bisschen – als sie den zügigen Ablauf lobte, sah Tom sie völlig überrascht an. Alles andere hätte ihn gewundert. Das passte zu ihrem verwöhnten Künstler, nicht zu dem liebenswerten Ehemann, dachte sie belustigt.

Fred holte sie vom Flughafen ab wie vereinbart. Ihr Auto stand bei ihm vor der Haustür, und Rena hatte Kaffee, Cola und Kuchen versprochen. So sahen sie auch die Babys noch mal. Rebecca auf ihrer Decke auf dem Fußboden war mit Spielzeug beschäftigt, David schlief gerade.

„So süß und friedlich“, seufzte Leona hingerissen.

Zini lachte etwas hysterisch: „Jetzt, ja. Er hat heute den kompletten Vormittag über gebrüllt“, klagte sie. „Wie lange wohnst’n du noch hier?“ wollte Tessa wissen: „Für immer?“ „Nein, nein, nächste Woche gehe ich nach Hause.“

„Unsinn. Du bleibst den Monat über“, Fred schob ihr eine Tasse Kräutertee zu und lud als nächstes Jason den Teller voll Kuchen.

„Ich muss mich auch mal um meinen Kram kümmern ... Post, Computer ... sowas eben.“ „Ins Internet kannst du hier, die Post bringt Günter mit“, entschied Fred. Die Tonlage ließ keinerlei Widerspruch zu. Zini fühlte sich ohnehin noch nicht in der Lage, einen Streit anzufangen.

Leona hob eine Augenbraue. Wusste er genau, worauf er sich einließ? Was er sich und seinem ansonsten so gut strukturierten Haushalt und auch seiner jungen Frau zumutete? Sie kannte Zini gut genug, um zu wissen, wie durchsetzungsfähig sie war. Doch zu ihrem großen Staunen hielt ihre Tochter den Mund und guckte nur etwas waidwund zum Schwager hoch.

„Nimm dich bloß zusammen und heul nicht“, sagte Fred drohend, während er schon den nächsten Teller nahm. „Mhm ...“ machte sie lahm und mit zittriger Unterlippe.

Tom sah zu Leona. An solche kleinlauten Rückzieher mussten sie sich anscheinend alle erst noch gewöhnen. Wie hatte Zini getönt, sie könnte lässig Kind und Studium unter einen Hut bringen, das sei alles nur eine Frage der Organisation. Gerade lehrte sie das Leben, nicht alles so schlicht zu sehen. Außerdem prahlte sie nicht mehr.

Jason fiel das Intermezzo nicht auf. Er lobt den Zwetschenkuchen und fragte zu aller Überraschung, ob der nun mit Hefeteig oder Quark-Öl-Teig gemacht sei.

„Hefe“, Rena grinste: „Deshalb kriegen die Babys nix. Ich will unsere Becky nicht aufquellen lassen.“ „Quillt Hefe?“ „Ja, eindeutig“, sie blies demonstrativ die Backen auf: „Und fette Weiber ... nun ja.“ „Hallo, geht’s dir noch gut“, rief Leona lachend aus.

„Du bist nicht fett, Mama.“ „Vollschlank dann.“ „Du hast doch abgenommen.“ „Ja, schon. Aber noch nicht genug. Dieses Wochenende ist dem auch sicher nicht gerade ... zuträglich“, formulierte ihre Mutter vorsichtig. Fred sah sie kurz an, sagte aber nichts.

„Sprich es ruhig aus. Wie viel habe ich deiner Meinung nach abgenommen?“ „Mindestens 12 Kilo?“ schätzte er prompt. Leona lief rot an, nickte aber: „Ich hasse es, wenn du das tust, aber du liegst gut. 12,5 genau.“

„So in etwa ist es bei mir auch gelaufen“, stimmte Rena ihr zu. „Mit dem kleinen Unterschied, dass du nie so viel gewogen hast wie ich noch am 1. Februar“, meinte Leo und war froh, dass die Färbung ihrer Wangen wieder etwas abklang: „Und bei dir lag es am schwangeren Bauch. Nicht an Fett.“

„Elisabeth war nie fett“, sagte Jason urplötzlich und sehr nachdenklich. Tom sah ihn verdutzt an: „Was heißt das jetzt wieder?“ „Na, du warst doch mit Elisabeth verheiratet. Erinnerst du dich nicht mehr daran?“ Darauf ging sein Vater gar nicht erst ein. Er setzte andere Prioritäten.

„Um es ganz klar zu sagen: Mama ist auch nicht fett“, verkündete Tom energisch. Leona lächelte ihm zu: „Lieb, aber – ich war da schon eher ...“ „Du bist nicht fett!“

„Hast du dir deine zweite Frau danach ausgesucht, dass sie nicht schön ist, sondern eher toll und anders?“ Jason ließ nicht locker.

Sprachlos starrte Tom ihn an, musste dann aber lachen: „Nein, ich habe sie mir ausgesucht, weil ich sie liebe. Außerdem war Leo auch schon mal verheiratet, bevor wir zusammen gekommen sind. Also sind wir schon zwei am Tisch, die’s zum zweiten Mal versuchen. The second time around“, sang er an.

„Drei“, Fred guckte ernst. „War deine erste schön? Schöner als Rena? Mehr so wie Elisabeth?“

Jetzt plagte auch Tessa die Neugier, denn sie kannte Elisabeth schließlich. Fred zögerte kurz.

Rena griff hastig ein, um ihn vor weiteren Fragen zu schützen: „Jane war schön. Und sie sind nicht geschieden wie Tom, sondern sie ist gestorben – wie unser Vater auch, so dass Mama Witwe war, als Tom wieder nach Deutschland kam. Und im übrigen geht’s euch, glaube ich, gar nichts an, warum wer wen liebt. Dass Tom Mama lieb hat, ist doch viel wichtiger als ihr Aussehen und ein paar Kilo mehr oder weniger.“

Damit hatte sie ihren Liebsten quasi aus der Schusslinie gezogen – wenn auch auf Kosten der Eltern. Aber Tom kam damit wesentlich besser klar als Fred, dachte sie etwas nervös, und er bestätigte ihre Annahme sofort.

„Tessa, ich habe Mama lieb, einfach so. Ich kann gar nichts dagegen tun. Genau wie bei euch – meinen sämtlichen Kindern, und da zähle ich auch die dazu, wo ich nur der sogenannte Stiefvater bin.“ „Ist okay“, grummelte Jason. „Das will ich auch schwer hoffen“, Rena warf dem „Stiefvater“ eine Kusshand zu.

„Sonst schubst du mich bei nächster Gelegenheit von der Bühne, was?“ Tom kniff ein Auge zu. Rena kicherte und nickte mit großen Augen bestätigend. Darüber lachten alle.

„Was war das für ein Lied?“ „Was?“ „Das du da eben gesungen hast. The second time around ... Ich kenne es nicht, glaub‘ ich“, Zini sah ihn aufmerksam an. „Ein alter Sinatra-Song. Love is lovelier the second time around. Just as wonderful with both feet on the ground”, er konnte es auf Anhieb vorsingen.

„Aber ganz richtig ist das nicht, ich denke, das ist anders gemeint.” „Reine Auslegungssache. Jedenfalls könnte niemand behaupten, ich sei bei Elisabeth noch mit beiden Füßen auf der Erde gewesen. Bei Leo schon. Da war nichts mit Hals-über-Kopf“, erklärte er. Leona sah ihn an und begann zu lachen.

Nach kurzem Überlegen zuckte er mit den Schultern: „Immerhin wusste ich, dass du die Richtige bist, schon bei unseren Telefonkonferenzen. Erziehungskonferenzen.“ „Und wir wollten diese gemischte Raubtiergruppe gemeinsam dressieren, ich weiß“, sie kicherte haltlos.

Fred hörte ihnen gelassen zu. Er war ganz froh darüber, nicht mehr im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit zu stehen. Andererseits machte es ihm auch längst nicht mehr so viel aus, sich offen zu seiner Liebe zu bekennen, wie ganz am Anfang. Alle akzeptierten ihn, und das machte es leicht, in dieser großen Familie zurecht zu kommen.

Ihm fiel auf, dass Rena ihm ab und zu einen kurzen Seitenblick zuwarf. Interessiert schaute er zurück. Sie zwinkerte ihm zu: „Ene mene muh ...“ „Übt ihr schon für Rebecca?“ „Nein, nein, nur ein innerbetrieblicher Spruch“, sagte Rena rasch auf Leonas Zwischenfrage. Fred schüttelte den Kopf.

So recht etwas anfangen konnte er damit nicht, aber die Erkundigung verschob er zugunsten seiner Gäste auf später: „Möchtest du noch Kaffee, Leo? Ich setze noch einen auf.“ „Gern.“ „Gute Idee, ich auch“, nickte Tom, und Zini sagte aufmüpfig: „Ich will jetzt auch den Labberkram los sein. Ein Kaffee schadet doch nichts, oder?“ „Ach was, mach ruhig“, pflichtete Leona ihr bei: „Einer geht auf jeden Fall.“ „Ich habe langsam schon Entzugserscheinungen. Nur noch Mortadellabrote und Kräutertee – bah.“

„Oh, ich organisiere mal schleunigst noch Nachschub beim Zuckerkuchen. Ihr haltet ein Auge auf Rebecca?“ Rena sprang auf und folgte Fred.

In der Küche waren sie allein. „Was heißt dieses Ene mene?“ „Ene mene muh und raus bist du. Abzählvers.“

Er runzelte die Stirn, musste dann aber schmunzeln: „Weil du dich anscheinend genötigt sahst, meinen Hals aus der Schlinge zu ziehen? Es stört mich inzwischen nur noch sehr wenig, wenn sie zu viel fragen, Serena.“ „Ich weiß. Trotzdem“, beharrte sie.

Insgeheim fand er es zauberhaft, wie sehr sie sich einsetzte.

„Das ist alles lange her“, beschwichtigte er jedoch gelassen. Sie machte einen Schmollmund und überdachte das Thema noch mal, dann gab sie zu: „Okay, du hast es nicht nötig, dass ich dich beschütze. Aber ... ich kann irgendwie nicht anders.“ „Nein, das weiß ich. Und es ist wirklich lieb von dir. Ich schätze das sehr. Meinst du wirklich, Zini darf Kaffee?“ wechselte er dann das Thema.

„Nur weil ich Früchtetee lieber mag als Kaffee, muss sie nicht Labberkram trinken, wenn sie mal was Vernünftiges will. Mach dir keine Sorgen ...“, und nach einem Moment musste sie lachen: „Irgendwie hast du Zini und David hier voll integriert, oder? Ich dachte, ich höre nicht richtig, als du sie hierher abkommandiert hast.“ „Ich habe Zini nicht kommandiert.“ „Nein, ihr nur befohlen: Du bleibst den Monat über ... Mit einem Unterton, der ...“

„Sie bleibt, und damit Schluss. Oder traust du ihr zu, dass sie jetzt schon allein klar kommt?“ fiel er ihr ins Wort. „Kommt sie nicht. Aber wir hatten von zwei Wochen gesprochen. Nicht von einem Monat.“

„Serena, sie schafft es nicht allein. Nicht in diesen ersten Wochen.“ „Stimmt. Ich habe wirklich nichts dagegen.“ „Ich bringe sie selbst am 3. Oktober heim, okay?“

Rena presste die Lippen aufeinander, um nicht laut zu lachen. Selbst ihr gegenüber schlug er seinen Kommandoton an. Fred sah, dass sie sich amüsierte, und er lächelte selbst.

„Bitte, meine Liebste, sag einfach ja dazu.“ „Ich wage gar keinen Widerspruch“, kiekste sie. „Du wagst mehr als das“, kritisch betrachtete er sie, doch Rena fand es so in Ordnung.

***

Der letzte Montag im September 2010 war angebrochen. Von Sommer merkte niemand mehr etwas. Seit Tagen hielt der Dauerregen an, es war herbstlich geworden, auch an diesem 27. September. Rena brach dennoch zu ihrer üblichen Runde mit dem Kinderwagen auf.

Sie brauchte viel Bewegung. Sie vermisste ihr dauerndes Tanzen und das Training vor und während der Tour weitaus mehr als gedacht. Der Spaziergang half wenig, nützte aber. Zumindest frische Luft bekamen sie und Rebecca auf die Art. Das Wetter war ihnen beiden egal.

Zini machte es sich derweil im Wohnzimmer gemütlich, nahm sich eins von Renas Büchern über Säuglingspflege und versuchte, noch ein bisschen über mögliche Hautauffälligkeiten in dieser frühen Zeit zu lernen. Sie wollte keinesfalls etwas versäumen für ihr Kind.

Als Fred herein kam, schaute sie kurz hoch: „Rena ist noch unterwegs.“ „Weiß ich. Du aber nicht.“ „Nee – ich ... Ist was passiert?“

„Deine Mutter hat angerufen. Deine Freunde melden sich nach und nach alle bei ihr, weil sie von dir seit Wochen nichts hören. Ist dein Mobiltelefon kaputt?“ „Ähm ... nein. Ich hab’s nur nicht an. Die Strahlung ...“ „Jetzt werde mal nicht albern, du sollst es ja nicht neben David in die Wiege werfen. Und was ist mit deinen Mails?“

Sie hatte sich nicht ein einziges Mal die Zeit genommen, ihre Mailbox abzuhören oder im Internet auf ihre Posteingänge zu sehen. Es erschien seltsam unwichtig.

„Meine Güte, es wird ja nicht eilen.“ „Wenn Frida aus Chile bei deiner Mutter im Hotel anruft ...“ „Hat sie?“ „Nicht nur sie. Die hat Leo alle vertröstet. Inzwischen hat sich auch Isabell dort gemeldet.“ „Aber Isa ... habe ich ein Bild geschickt sogar.“

Diese Entschuldigung reichte Fred nicht. Kopfschüttelnd ermahnte er die Schwägerin, sich um ihren Kram zu kümmern. Als Zini seufzte, ergänzte er seine Meinung mit einigen Worten und ernster Miene.

„Isabell erreicht dich telefonisch nicht, nicht per Mail, und sie ist besorgt.“ „Ich kann das einfach nicht.“ „Du hast gerade nichts zu tun, im Büro ist ein Schreibtisch frei – setz dich hin und erledige das. Schick ein Rundmail, wenn das einfacher ist,“ schlug er vor, leicht verärgert über ihren Widerstand.

„Ich kann das nicht“, wiederholte sie. „Okay, dann sage ich deiner Mutter, dass sie den nächsten Anrufern unsere Nummer geben soll, und ich sage allen selbst, weshalb du nicht erreichbar bist,“ entschied Fred mit eisiger Miene.

Ihr Entsetzen war deutlich, obwohl sie beschwichtigend freundlich sagte: „Das ist jetzt aber schon fast Erpressung.“ Nicht „fast“, dachte er belustigt, laut allerdings forderte er sie zum Handeln auf.

„Zini, du kannst dich nicht ewig verkriechen. Wir sind kein Asyl. Und schon gar nicht dafür zuständig, dir ...“ „Ja, schon gut, ich mach’s ja ...“ „Sofort?“

Eins stand fest – trotz aller Frechheit war sie ihrem Schwager nicht gewachsen. Sie sah nicht, dass er ihr einen zeitlichen Ausweg bot, sie hörte nur den strengen Ton und nickte betreten.

Fred verließ eilig das Wohnzimmer und kehrte an den Schreibtisch zurück, wo Leona noch am Telefon wartete.

„Bist du noch dran, Leo? Sie kommt gleich und kümmert sich darum.“ „Danke. Wie hast du das erreicht?“ „Mit Gewalt natürlich. Ich habe ihr gedroht, sie ans Telefon zu prügeln“, erklärte er leichthin.

Leona lachte laut los über diesen losen Spruch: „Ja, und du hast dazu schon mal deinen Baseballschläger geschwungen. Alles klar. Vielen Dank.“ „Ach, irgendwer muss sie ja zur Ordnung rufen. So viele Mails werden es wohl nicht sein.“

Es waren 73 Mails in ihrem Postfach, wie Zini erschrocken registrierte. Sie konnte jede Menge Reklame löschen, einige Spams herausfiltern und ebenfalls in den Papierkorb schieben. Doch es blieben noch 27 Mails übrig – diverse davon mehrfache Anfragen.

Ihre Freundin Frida aus Chile hatte allein schon 8 Mails geschickt, manches war Material für Zinis geologische Studien, zwei rein private besorgte Anfragen. Frida antwortete sie also zuerst und schickte Kopien dieses Mails an andere Studienkollegen. Dann kamen die Dankeschöns für andere, die sie mit Unterlagen beliefert hatten. Danach waren ein paar private Mails übrig.

„Ich müsste noch ein paar Bilder von David für Isabell laden“, sagte sie vorsichtig zu Fred im Nachbarzimmer: „Darf ich?“ „Sicher. Soll ich dir die beiden Bilder rüber schieben, die wir von Rebecca und David gemacht haben?“ „Ja, bitte, die sind so besonders süß, wo sie die Köpfe zusammen stecken ...“ „Okay.“

Es beruhigte Zini sehr, wie freundlich er reagierte. Sie hatte mit etwas mehr Ärger gerechnet. Doch Fred hatte die Ruhe weg, wie gewöhnlich.

Die Erwiderung an Irene in Berlin war schwieriger – da wollte sie David nicht erwähnen, damit Irenes Bruder nichts über das Kind erfuhr. Offenbar saß Irene gerade am Bildschirm, denn schon nach einer guten Minute, während Zini Freds Bilder für Isabell lud, kam eine Antwort.

„Scheiße!“ rief Zini verzweifelt. „Funktioniert es nicht?“ „Nein. Doch. Nein, Irene kommt.“ „Jetzt?“ „Morgen. Was mach‘ ich nur?“ „Du triffst sie, was sonst?“ „Ich habe meine Figur noch nicht wieder. Es sind doch nicht mal vier Wochen ... Oh Gott.“ „Versuch es ausnahmsweise mit der Wahrheit“, er lehnte sich an den Türrahmen und sah sie prüfend an.

Das kam nicht in Frage, aber Zini guckte nur gequält. Noch fiel ihr kein Ausweg ein: „Ich habe ihr geschrieben, dass ich gerade bei euch bin ...“ „Die Wahrheit, Cynthia. Sag es ihr einfach.“

Doch auch die Wiederholung dieses vernünftigen Vorschlags fruchtete nichts. Zini schluckte schwer und wehrte mit beiden Händen ab. Sie malte sich die schrecklichsten Dinge aus, falls Torsten Wölz über seine Schwester zu Ohren kam, Cynthia Falkow habe ein Baby.

„Glaubst du, Torsten kann nicht rechnen? Und Irene behält das nicht für sich. Nicht in diesem Leben. Ich muss sie woanders treffen. Irgendwo, wo es halbwegs dunkel ist und ich schon bin oder noch bleiben kann, wenn sie wieder geht. Nicht hier. Nicht bei mir, wo der ganze Babykram rumsteht. In einem Kellerrestaurant. Ja, das ginge“, überlegte sie unglücklich.

„Was für eine Art Freundschaft ist es, wenn du lügst? Über einen wichtigen Teil deines Lebens lügst?“

Dieses Argument wischte sie mit einer raschen und fast geringschätzigen Handbewegung vom Tisch. Ihre Finger flatterten vor Nervosität.

„Diese Freundschaft muss ich beenden, das ist mir klar. Also gut, ich rufe da an. Nein, geht nicht. Irene ist so lieb ... Ich kann sie doch nicht abwürgen. Die Lügerei ist echt das kleinere Übel, Fred, glaub mir. Du musst dich doch in deinem Job auch manchmal verstellen.“

„Was für ein hanebüchener Vergleich ist das jetzt wieder? Willst du deine Lügen schön reden? Sorry, klappt nicht.“ „Es muss sein“, sie ließ sich nicht abbringen von ihrem Plan: „Und Torsten muss ich auch auf zwei Mails antworten. Jetzt komm bitte nicht auf die Schnapsidee, ich könnte da auch einfach Bildchen anhängen.“

Er stieß sich vom Türrahmen ab und ging zurück zu seinem Schreibtisch. Es war nicht mit ihr zu reden. Sie wollte nicht hören, also musste sie mit ihren für ihn offensichtlichen Fehlentscheidungen leben.

Früher oder später kam ohnehin alles heraus. Ein Kind war nichts, das zu verschweigen war – nicht auf Dauer. Selbst wenn es ihr womöglich über einige Jahre gelang, ihren Freunden nichts zu erzählen: David würde anfangen, Fragen zu stellen – nach seinem Vater.

So schätzte Fred es ein. Schließlich hatte er auch nach seinen Eltern gefragt, wenn auch bald ein hartes Urteil gefällt und alle Nachforschungen unterlassen.

Andererseits ging ihn ihre Einstellung nichts an. Sie war guten Ratschlägen gegenüber nicht zugänglich, dann sollte sie eben Lehrgeld zahlen. Er überlegte kurz, ob er Rena um Hilfe bitten sollte, doch dann schüttelte er den Kopf. Es ging nicht an, seine Frau um Unterstützung gegen ihre eigene Schwester zu bitten.

Rena steppte fröhlich hinter dem Kinderwagen her und sang eine Rockballade für ihre Tochter. Rebecca machte große Augen hinter dem Plastikvorhang und zeigte mit einem glucksenden Babylachen, wie gut ihr die kleine Show gefiel.

„Eins steht fest – ich bin so fit, ich muss tanzen. Nicht nur mit dir auf dem Arm um den Tisch. Richtig“, erklärte die junge Mutter: „Und ich weiß noch nicht genau, was. Oder mit wem. Allein ist doof. Und einen Tanzkurs in der Volkshochschule oder so – erstens bräuchten wir einen Babysitter, zweitens bin ich lang über das Niveau raus. Aber auf eine eher professionelle Schule gehen und dich dann Papi allein überlassen, das mag ich schon gar nicht – ihn außen vor lassen. Glaubst du, ich kann ihn überzeugen, dass wir was Gemeinsames aus meiner Vorstellung machen könnten? Einen Versuch ist es wert, oder?“

Rebecca gluckste wieder. „Na, wenn du meinst. Ich versuch’s.“ Rena kicherte über die erdachte Zustimmung ihrer Kleinen.

Erst einmal entdeckte sie bei ihrer Ankunft daheim ihre Schwester im Büro über der Computertastatur. „Oh – Bürojob?“ „Nein. Privates. Fred hat mich dazu verdonnert“, der Satz kam im vorsichtigen Flüsterton, denn sie kannte ihren Schwager viel zu gut. Er bekam alles mit. Rena guckte skeptisch, schwieg aber dazu.

„Kannst du mal eben ...? Das an Torsten finde ich total schwierig. Irene hat ihm natürlich erzählt, dass sie mich seit Wochen nicht erwischt hat.“

Eigentlich wollte Rena sich genau diese Mail nicht unbedingt ansehen, aber die geschwisterliche Loyalität zwang sie dazu. Sie hatte Rebecca auf dem Arm und ging mit der Kleinen um den Schreibtisch.

Es war eine wirklich freundschaftlich besorgte Anfrage. Einen Link zu einer neuen Geologie-Seite schickte er auch noch mit. Natürlich wollte er wissen, ob sie krank war, da auch er seit Wochen nichts gehört hatte.

„Und das hier habe ich mal als Antwort überlegt“, Zini öffnete ihre eigene Eingabe. Rena überflog den Text – von viel Stress war da die Rede, Zini sei nicht krank, nur sehr beansprucht, ein Dank für den Link ... mehr nicht – ihr erschien das fast zu kurz und knapp. Bevor sie sich jedoch äußern konnte, rief Fred sie.

Als erstes übergab sie ihm Rebecca, die ihren Vater anstrahlte. Fred setzte sich zurecht mit dem Kind im Arm: „Hilf Zini nicht noch dabei.“

Das war eine klare Ansage. Die Loyalität ihm gegenüber geriet in Konflikt mit dem, was sie für ihre geliebte Schwester tat.

„Sie wollte nur, dass ich mal einen Blick drauf werfe.“ „Halt dich da raus, Serena. Du gehst viel zu milde mit ihren kleinen Schlampigkeiten um.“ „Ich kann sie nun mal nicht so ungeduldig und harsch abfertigen wie ...“ Das „du“ verschluckte sie lieber. „Andere“, sagte sie nur nach einer kurzen Pause.

Fred warf ihr einen scharfen Blick zu. Er wusste, wen sie meinte. Sie zuckte mit den Schultern: „Sorry. Und ich kann mich auch nicht raushalten. Es geht um meine kleine Schwester.“ „Deine kleine Schwester ist eben gerade mal ein Jahr jünger als du. Sie ist über 20 – nicht 10 wie Tessa. Selbst Tessa hat schon mehr Grips im Umgang mit ihren Mitmenschen entwickelt.“

Leider brachte er es auf den Punkt. Tessa trat eher sanftmütig auf – mehr wie Rena, konnte aber auch kiebig sein wie ihre Mutter. Zini dagegen, ihres Aussehens wegen maßlos verwöhnt, steckte kaum je zurück und spielte eher mit ihren Mitmenschen.

Dass Fred genau das kaum ertrug, wusste Rena. Beschwichtigend legte sie ihm die Hand auf die Schulter: „Ich sage ja nichts gegen deine ...“

Ihr fiel keine höfliche Formulierung ein. „Erziehungsmaßnahmen?“ half er aus und musste schon wieder lachen, als sie die Nase kraus zog. Rebecca lachte auch ein bisschen, doch Fred wurde rasch wieder ernster.

„Ich weiß, wie unterschiedlich wir denken und handeln, Serena. Das hat uns aber noch nie davon abgehalten, ein Thema zu diskutieren.“ „Sooo unterschiedlich denken wir gar nicht. Und meistens können wir uns leicht einigen. So nach und nach.“ „Deine Geige in der Käfigtür“, erinnerte er sich. Rena lächelte.

Sie wusste noch genau, dass sie vor langer Zeit diesen Vergleich gewählt hatte, um den allzu ernsten Mann zum Lächeln zu bringen. Bis heute wirkte es.

„Deine Schwester braucht Druck, sie ist nicht wie du. Sie nutzt ihre Schönheit nämlich grundsätzlich dazu aus, andere zu manipulieren. Oder sich vor Unannehmlichkeiten zu drücken. Diese Flucht vor Verantwortung lasse ich ihr nicht länger durchgehen“, stellte er ruhig klar.

Rena seufzte. Ihre Ideen hinsichtlich abendlicher Tanzerei schob sie besser etwas auf, solange er in derart unzugänglicher Stimmung war.

„Na, was ist?“ „Nichts weiter. Nein, Fred, lass – es hat echt Zeit“, sagte sie friedfertig.

Für einen kleinen Moment wirkte er misstrauisch, doch dann sagte er nur gelassen: „Wie du willst. Nimmst du sie wieder? Ich muss jetzt eine Weile telefonieren und noch jemanden besuchen heute.“ „Bist du zum Abendessen da?“ „Auf jeden Fall, das schaffe ich vorher. Was hältst du von einem netten Fernsehabend – sollten sämtliche Kindlein schlafen, ginge das doch mal?“

„Das wäre toll – gibt’s was? Oder DVD?“ „Irgend eine heitere DVD vielleicht? Heute mal keine politische Sendung ... und keine Satire ... hast du was mit viel Musik?“ „Aber klar“, das kam ihr sehr gelegen: „Ich zische gleich noch mal los und hol‘ uns was.“ „Such etwas aus, das Zini auch mag“, bat er.

Es zuckte um Renas Mundwinkel, und Fred schüttelte den Kopf: „Sie lebt nun mal gerade hier bei uns, das hat nichts mit irgendwas anderem zu tun.“ „Ich weiß. Es klingt nur so wunderbar inkonsequent. Und wenn du eins nicht bist, dann das“, sie kicherte und riss ihn ein bisschen mit.

„Verschwinde bloß“, sagte er belustigt und reichte ihr Rebecca zurück, die flehend die Ärmchen nach ihm reckte.

„Nein, das geht jetzt nicht. Papa muss noch arbeiten. Und wir beide huschen rüber zur Videothek“, verkündete Rena. Rebecca musterte sie und lächelte dann breit.

„Du, Fred, guck mal, das sieht so aus, als ob sie ‘n Zähnchen kriegt. Lach noch mal, Spätzchen“, bettelte Rena: „Ja, sieh mal, da ... Lass mal fühlen, oh ... hart. Ja, da kommt eins. Dafür bist du aber extrem lieb, Beckylein ... hoffentlich bleibt es so.“ „Ja, das hoffe ich auch. Tatsächlich, eine helle Kante ... Hm.“ „Es gibt Kinder, die werden mit Zähnen geboren, andere kriegen sie mit einem Jahr noch nicht – sie liegt also im guten Mittelfeld, nicht?“

„Du liest viel mehr von den schlauen Büchern als ich. Du solltest es wissen.“ „Ja, aber du hast garantiert auch schon im Internet nachgesehen, oder?“ „Ja-ha“, dehnte er. Rena gluckste. „Es sind sogar zwei“, er schaute ganz genau hin.

Rebecca ließ sich auch das Herumtasten im Mund von ihren Eltern ruhig gefallen. Sie schien es eher sehr lustig als störend zu empfinden.

„Anscheinend tut es ihr nicht weh.“ „Nee, sie sabbert nur mehr als sonst. Dann kauf‘ ich auch gleich noch eine Babyzahnbürste und irgendeine Babyzahnpasta, wenn ich die DVD hole“, Rena tanzte eine Runde mit dem Kind auf dem Arm um den Schreibtisch: „Kleine Kinder werden groß“, trällerte sie.

„Na, groß“, Fred betrachtete sie heiter: „Sie ist gerade mal siebeneinhalb Monate alt.“ „Ja. Und sooo groß“, Rena hob die Ärmchen ihrer Kleinen mit der freien Hand an.

Als sie in den Nachbarraum kam, schaute Zini sie an: „Was war da denn los?“ „Die ersten Milchzähnchen brechen durch. Das feiern wir heute Abend mit einer DVD, sobald unsere Gören pennen. Ich flitze noch mal los, eben einkaufen. Bis nachher.“

Rena verschwand so schnell, dass Zini sie nicht noch einmal bitten konnte, auf ihre etwas erweiterte Mail an Torsten zu schauen. Seufzend änderte sie den Text noch eine Spur. Dann stand sie entschlossen auf und klopfte an Freds Bürotür.

„Ja?“ Er legte gerade auf und sah sie fragend an. „Willst du noch mal einen Blick auf die Mail an Torsten werfen? Ich bin etwas unsicher.“ „Was hast du gemacht? Als Betreff: Herzlichen Glückwunsch! Und ein Bild von David als Anhang?“ „Nein, natürlich nicht“, erwiderte sie beleidigt.

„Wäre auch zu einfach“, Fred zögerte kurz, dann lehnte er kategorisch ab: „Nein. Ich will nicht. Es geht mich nichts an, und solange mich keiner von euch engagiert, halte ich mich aus deinem Leben raus. Auch aus deiner Post.“

Da sie gerade in einem Haus mit ihm und seiner Familie lebte, traf es nicht zu, dass er sich aus ihrem Leben heraus hielt – das wusste er allzu gut. Schließlich fand er sich selbst häufiger als erwünscht an ihrer Seite. Doch Zini nickte diesmal nur etwas trübsinnig und verzog sich schleunigst.

Mitleidig sah er auf die wieder geschlossene Tür, war sich aber sicher, dass Nachgeben nicht half in diesem Fall. Sie hatte sich verrannt, und sie musste selbst entscheiden, was sie wollte. Er erkannte deutlich, wie unschlüssig sie sich verhielt, wie zögerlich und unsicher, fast verwirrt, zudem traurig.

Als er wenige Stunden später ins Bad kam, entdeckte er Renas Neuerwerbung sofort: Ein durchsichtiger langer Fingerhut mit kleinen Borsten – die Babyzahnbürste – lag dort in einer farblichen passenden Box bereit, die ersten Milchzähnchen vorsichtig zu rubbeln. Er betrachtete die kleinen Teilchen heiter. So hatte er sich das nicht vorgestellt, aber die zart türkisfarbene Ausstattung gefiel ihm.

„Wenigstens nicht in Rosa“, sagte er denn auch prompt beim Eintreten in die Küche. Seine Frau lachte.

„Was machst du eigentlich, wenn eure Tochter irgendwann mal in eine rosa Phase kommt?“ wollte Zini wissen. „Ich verticke alles bei ebay – inklusive Kind“, entgegnete er humorvoll.

Rena gab Rebecca einen Butterkeks in die Hand und wandte sich ihm zu: „Wenn sie mit Brei vollgesaut ist, wirst du sie nicht los. Hier, du bist dran mit Füttern.“ „Und der Keks?“ „Damit spielt sie und kann nicht gegen den Löffel hauen. Guter Trick seit gestern. Hinterher mümmelt sie drauf rum“, erklärte die junge Mutter.

Eine Weile waren sie mit dem Essen beschäftigt. Zini schaute zu und grinste etwas. Rebecca zerbröselte den Keks, statt ihn zu essen. Sie wusste genau, wie bald der Brei fertig war.

Fred zückte schon mal den Löffel, hielt ihn wie ein Schwert und zog extra für seine Tochter eine Show ab. Rebecca krähte vergnügt.

„Ein Kampf anti Rosa“, rief er und focht sich quer durch die Küche. Rena rührte den Brei um und lachte. So ausgelassen und fidel erlebte sie ihren Mann nur selten.

Rebecca fand die Vorführung auch gut. Sie kiekste und winkte ihm mit dem letzten Restchen Keks in der Hand. „Sie kann auch schon fechten“, witzelte Zini und juchzte. Fred warf ihr einen lustigen Blick zu und machte einen Ausfall gegen Rena, die lachend aus dem Weg sprang.

„Ich habe kein Rosa an!“ „Sicher?“ Fred zwinkerte. Rena zögerte kurz und überlegte. Dann zog sie ihr T-Shirt etwas von sich ab und schielte in den Ausschnitt: „Nein. Kein Rosa.“ „Das glaube ich dir nicht“, Freds Augen blitzten. Rena quietschte und brachte sich in Sicherheit mit schnellem Ausweichen.

Der Keks flog durch die Luft. Rebecca kreischte. Rena seufzte, hob den Keks wieder auf, aß ihn auf und sagte dann: „Jetzt gibt’s Brei. Kein Angucken. Hier, der Teller. Legt los.“

Zini hörte David brüllen, stopfte sich schnell eine kleine Tomate in den Mund und rannte los.

„Sie könnte ihn auch mal fünf Minuten schreien lassen. Ihm schadet es nichts, und sie könnte in der Zeit auch eine Scheibe Brot gegessen haben.“ „Sagt der Mann, der innerhalb von 2 Sekunden aus dem Bett huckt, wenn sein Kind ruft“, kommentierte Rena trocken.

„Sag doch deiner Mama mal, dass sie ein Nervzwerg ist“, Fred nahm sich den Teller mit dem Babybrei und setzte sich zu Rebecca.

„Nervzwerg kann sie nicht. Mama und Papa reicht für den Anfang. Aber selbst das ist noch zu früh“, warf Rena ein und band ihrer Tochter das Lätzchen um. Fred lächelte sie vergnügt an.

„Ich hab‘ Dirty Dancing mitgebracht. Das ist dir hoffentlich leicht und musikalisch genug“, erzählte sie nebenbei. „Hm? Ach so, ja, klar.“

Er konzentrierte sich auf Rebecca und achtete kaum auf Rena. Sie lächelte vor sich hin und hörte zu, wie er mit der Kleinen plauderte, ganz selbstverständlich in seiner Muttersprache.

Plötzlich sah er auf: „Kannst du eigentlich auch amerikanische Kinderlieder?“ „Old McDonall? Meinst du solche?“ „Ja.“ „Du kannst ruhig weiter Englisch sprechen.“  „Nicht unbedingt mit dir. Da bin ich an Deutsch gewöhnt.“

Er konnte ebenso wie sie von einer Sprache zur anderen umschalten – notfalls mitten im Satz. Rena überlegte, welche Lieder ihr noch einfielen.

„Twinkle, twinkle, little star. Clap your hands ... Das hat Tom mal mit Tessa gesungen. Oh, noch eins: Put your right hand in ... Das war so ein Spiellied, das wir mit Jason geübt haben. Wie die Tante in Marokko. Viel Getanze. – Ach, das vermisse ich so.“ „Spiellieder?“ „Tanzen“, entgegnete sie leise.

Er musterte sie mit fragendem Blick. Rena zuckte mit den Schultern. Erklären wollte sie es eigentlich nicht. Allerdings war ihr auch klar, dass sie mit Nachhaken rechnen musste.

„Was genau vermisst du? Tanzen? Ausgehen? Oder ...“ „Eigentlich mehr die Bühne an sich. Das dauernde Training. Den Stress. Es hat so viel Spaß gemacht mit der ganzen Horde. Mit Tom. Dem Publikum. Und hier bin ich nur noch ...“

„Gelangweilt?“ Es schwang reichlich Spott in seiner Stimme mit bei der kurzen Rückfrage – das ärgerte sie maßlos.

„Ja. Hausfrau und Mutter reicht nicht. Im Moment habe ich nicht mal einen einzigen Nachhilfeschüler.“ „Du kümmerst dich neben dem Haushalt um Zini.“ „Noch bis zum 3. Oktober. Danke. Danach bin ich auf Dauerfreizeit. Ganz ehrlich, Fred, das ist langweilig.“

Sie hielt inne. Es klang geradezu anklagend. Das lag ihr nicht. Außerdem war es schließlich nicht seine Schuld … Weiter kam sie nicht mit ihren Gedanken.

„Also füllt dich dein ... Job als Hausfrau und Mutter nicht aus. Was machst du gerade? Dich wieder mal als Mitarbeiterin andienen? Wie willst du das unter einen Hut kriegen? Rebecca braucht einen von uns.“ „Ja, und du hast die Firma. Aber ich versauere ohne Arbeit. Ich mag nicht immer nur von Windel zu Windel denken“, sie konnte sehen, dass er ihr Aufbegehren inzwischen etwas ernster nahm.

„Wenn wir jemanden ... Tagesmutter, Putzfrau, Fensterputzer ... wenn wir jemanden engagieren, dann hättest du mehr Zeit für dich“, sagte er bemüht. „Ich will Zeit mit dir verbringen. In der wir nicht nur mit Rebecca spielen, sondern auch mal wieder ... Ich weiß auch nicht. Die Tour war toll. Mit der Großfamilie.“

„Das war, genau wie jetzt, der totale Stress. Ich bin eigentlich froh, dass das vorläufig vorbei ist ... Komm, wir machen uns einen schönen Video-Abend. Ich übernehme heute Rebecca, und du entspannst dich auf dem Sofa. Okay?“

Es war nicht genau das, was sie eigentlich wollte. Aber sie nickte nur. Einen Streit provozieren, um sich mit etwas anderem durchzusetzen, solange Zini noch im Haus war, passte nicht. Lieber hielt sie diese eine Woche noch durch.

Fred beobachtete sie und sah die resignierte Miene, bevor sie sich zu einem Lächeln zwang und nickte. Er reagierte gewohnt schnell: „Anscheinend reden wir gerade ziemlich aneinander vorbei. Es ist also nicht das, was ich dachte ...“

„It’s a small world.“ „Das ist nur ein Lied. – Serena, lenk bitte nicht ab. Offensichtlich habe ich dich und deine Wünsche missverstanden. Was willst du?“ „Ich weiß doch, dass wir nicht weggehen können. Ich will Becky auch keinem anderen geben. Das brauche ich nicht. Könnten wir nicht den Mambo aus Dirty Dancing tanzen? Ich bringe es dir bei.“

Sie schlug sich eine Hand vor den Mund. Aber es war heraus. Deshalb hatte sie genau diesen Film geliehen, und sie hatte geplant, es ihm sehr diplomatisch unter zu jubeln. Wie sie ihren Detektiv kannte, durchschaute er das sowieso allzu schnell. Sie hatte es ziemlich versemmelt, vor allem mit ihrem Ton, dachte sie erschrocken.

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, aber der aufmerksame Blick ließ sie nicht los: „Mambo?“ „Ich ... du magst nicht mal den Gedanken, oder?“ „Ich weiß nicht mehr genau, wie das mit dem Mambo in deinem Film war, aber ich erinnere mich soweit daran, dass ich weiß, dass unsere Decken hier im Haus zu niedrig sein dürften“, erwiderte er trocken.

Zuerst hielt sie sich noch vorsichtig zurück, dann begriff sie, mit welcher Leichtigkeit er sie gerade neckte, und atmete erleichtert auf. „Puh“, machte sie.

„Für wie blöd hältst du mich eigentlich, du dummes Weib“, sagte er daraufhin mit täuschend echt klingender Missbilligung. Rena kiekste zwar, widersprach aber: „Gar nicht blöd. Nur ...“

„Nur denkst du, mir fällt nicht auf, wie angebunden du mit einem Baby bist, wie sehr dir die sportliche Betätigung fehlt, die du nun wochenlang nicht hattest. Es fällt mir auf. Wenn das Wetter etwas besser wäre, könnten wir zusammen laufen gehen – wie früher. Aber das Wetter ist zu schlecht. Du kannst dir keine Erkältung leisten. Rebecca auch nicht.“ „Mamm“, rief die Kleine dazwischen und klopfte mit ihrem Löffel auf den Tisch.

Beide Eltern wandten sich ihr zu. „Was hast du da gerade gesagt?“