Liebe Familie - Linda Fischer - E-Book

Liebe Familie E-Book

Linda Fischer

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Beschreibung

Leona und Tom Reuenthal arbeiten weiter miteinander im Hotel – doch Toms nächste Tournee steht an. Serena ist dabei, zunächst nur als Chormädchen. Zu ihrer eigenen Überraschung hat sie Erfolg – und das tut der jungen Frau gut nach allem, was sie in den ersten Monaten ihrer Ehe erlebt hat. Während es mit Serena endlich wieder bergauf geht, drohte ihrem Ehemann Fred nach der Tournee plötzlich eine Klage – und die hätte fatale Folgen. Zini Falkow lebt ihres Studiums wegen in Berlin, verdreht weiter allen Jungs die Köpfe, so auch ihrem Dozenten … und das ist ein alter Bekannter: Torsten Wölz hat es ebenfalls an diese Universität verschlagen. Ob das einen guten Ausgang findet, muss sich erst noch erweisen. Auch Felix Falkow kommt voran im Leben – seine Studienjahre bringen ihn um die Welt, nicht nur ins Hotel bei Mama, und am Ende sogar ins Imperium der Sigvald-Hotels, vom alten Freund der Familie Mats Kristiansson geleitet. Die kleine Tessa wird Schulkind. Der streitbare Teenager Jason passt sich langsam wieder der Familie an. Das und noch mehr erwartet Sie diesmal in Linda Fischers Roman-Reihe "Liebe Familie".

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Über das Buch:

Leona und Tom Reuenthal arbeiten weiter miteinander im Hotel – doch Toms nächste Tournee steht an. Serena ist dabei, zunächst nur als Chormädchen. Zu ihrer eigenen Überraschung hat sie Erfolg – und das tut der jungen Frau gut nach allem, was sie in den ersten Monaten ihrer Ehe erlebt hat.

Während es mit Serena endlich wieder bergauf geht, drohte ihrem Ehemann Fred nach der Tournee plötzlich eine Klage – und die hätte fatale Folgen.

Zini Falkow lebt ihres Studiums wegen in Berlin, verdreht weiter allen Jungs die Köpfe, so auch ihrem Dozenten … und das ist ein alter Bekannter: Torsten Wölz hat es ebenfalls an diese Universität verschlagen. Ob das einen guten Ausgang findet, muss sich erst noch erweisen.

Auch Felix Falkow kommt voran im Leben – seine Studienjahre bringen ihn um die Welt, nicht nur ins Hotel bei Mama, und am Ende sogar ins Imperium der Sigvald-Hotels, vom alten Freund der Familie Mats Kristiansson geleitet.

Die kleine Tessa wird Schulkind. Der streitbare Teenager Jason passt sich langsam wieder der Familie an.

Das und noch mehr erwartet Sie diesmal in Linda Fischers Roman-Reihe „Liebe Familie“.

Impressum:

Liebe Familie – Teil 6: Und dann kommt alles anders …Linda FischerCopyright: © 2014 Linda Fischer published by: epubli GmbH, Berlinwww.epubli.de ISBN 978-3-7375-1952-6

Handlungsorte und Personen

Hotel „Sonniger Garten“, in einem kleinen Ort in NiedersachsenLeona Reuenthal, Besitzerin des Hotels Thomas Reuenthal, genannt Tom, ihr 2. Mann, Sänger „Phil Williams“, Deutsch-Amerikaner Dennis Falkow, ihr 1. Mann, verstorben 1997

Die Kinder Felix Anton Falkow, adoptiert von Leona und Dennis, studiert Wirtschaftswissenschaft Anissa Serena Falkow, genannt Rena, studiert Musik, Englisch und Geschichte auf Lehramt - Frederick Gabriel Myers, Renas Mann, führt Detektei in Hannover, US-Amerikaner, leitet für Tom die Tournee und übernimmt Sicherheit Cynthia Falkow, genannt Zini, studiert Geologie, Hauptziel Erdbebenforschung Samantha Reuenthal, genannt Sam, Toms Adoptivtochter, Fotografin - Markus Reuenthal, ihr Mann, unterrichtet Literatur an englischer Universität Jason Reuenthal, genannt Jace, Toms Sohn Tessa Nadine Reuenthal, Tochter von Leona und Tom

Hotelangestellte und Freunde Marion Roske, Rezeption Sylvia Hauke, Restaurantchefin Yu-Lan Vogelsang, Mitarbeiterin im Restaurant - Volker Vogelsang, ihr Mann, Förster und Schulfreund von Tom - Nadja und Tabea, beider Kinder, befreundet mit den Falkow- und Reuenthal-Kindern Helgard Hermans-Nathmann, Küchenchefin - Rüdiger Nathmann, ihr Mann Stefan Linacker, Konditor Olivia Trautmann, Hausdame Jörn Trautmann, ihr Mann, Hausmeister - Jan Trautmann, ihr Sohn, befreundet mit den Falkow- und Reuenthal-Kindern Doris Röttger, Zimmerservice - Michael Röttger, ihr Mann, Journalist, führt das „Dorfblatt“ – die Ortszeitung - Michael Dennis Röttger, ihr Sohn, Soldat - Isabell Röttger, ihre Tochter, Freundin und WG-Genossin von Zini in Berlin/Potsdam Rosalba Inez Montegro, Barfrau und an der Rezeption Valentina Harms, Sekretärin - Edzard Harms, ihr Mann, Landwirt Silvia Holzschuh, Verkäuferin im Wellness-Lädchen des Hotels - Uwe Holzschuh, ihr Mann, Polizeibeamter Außerdem Hotelgäste wie Karin Höpfner oder Herbert Mansfeld

Verwandte der Familie Falkow-Reuenthal, weitere Freunde Monika und Winfried Sebald, Leonas Eltern Regina Söderbaum, Leonas Schwester Elisabeth Schmöck, Toms Ex-Frau Ferdinande und Rüdiger Schmöck, deren Eltern in Hamburg Mats Kristiansson, Ex-Schwager von Leona und Dennis, Hotelbesitzer, Stockholm - Liv Kristiansson, seine Frau - Lorena und Astrid, beider Töchter

In den USAAllison Reuenthal, Toms Mutter, lebt bei Napa, führt Weingut der Familie Jennifer May Cowin-Reuenthal, genannt Jenny, Toms älteste Schwester Ingrid Lorraine Walsh-McPherson, genannt Lorry, Toms 2. Schwester Barbara Catherine Johnson, genannt Kitty, Toms 3. Schwester Tobias Nick Reuenthal, genannt Nicky, Toms kleiner Bruder Simon Miller, Bruder von Allison Reuenthal Mary Robinson, Sopranistin, Freundin von Rena George Paginsky, Balletttänzer, Freund von Rena Richard „Ricky“ Müller, Ex von Zini, zusammen mit Isabell, gemeinsame WG in Potsdam Torsten Wölz, Dozent und Freund von Zini, in Berlin

Im niedersächsischen Dorf rund ums HotelOskar Hirbisch, evangelischer Pastor im Ruhestand Albrecht Bicknäse, der neue Pastor Nicole Tarrach, Freundin der Falkow-Schwestern, Medizinstudentin Kristina Kyrkanson, Freundin der Falkow-Schwestern, Gemeindeschwester Ruben Düster, Freund von Jason Reuenthal - Hannah Düster, seine Schwester - Mascha und Johannes Düster, deren Eltern

In HannoverGünter Fitzmann, Angestellter der Detektei von Fred Myers Mandanten der Detektei wie Dagmar Schöller, Stefan Krüger u.a. Achim und Britta Tannert, Nachbarn Alexej Wassilikov, genannt Aljoscha, Violinist Sandra, Violinistin Marcel, Bassist Benno, Schlagzeuger Daniel Müller, Kriminalbeamter am LKA in Hannover und Freund von Fred Myers - Susanne Müller, seine Frau - Fabian und Bianca, ihre Kinder Professor Paul Gillessen, Geologe und Mentor von Zini Falkow - Anna Gillesen, seine Frau

US-TourneeDavid Blumenstein, Toms Anwalt und Freund, bereitet Tournee vor Betty, Tänzerin

Zini schleppte ein großes Gefolge mit sich durch die Uni-Räume. Gleich drei junge Männer aus ihrem Semester trugen ihre Sachen: diverse Steine in einer kleinen Kiste, eine Akte, ihr Notebook samt Zubehör.

So spazierten sie zu viert ins Büro des Dozenten. Torsten Wölz war nicht gerade begeistert von ihren Anbetern, doch die verabschiedete sie schnell und grinste ihn dann breit an: „Ich hab‘ da noch ein paar Fragen“, begann sie, während sie den Studenten noch fröhlich zuwinkte und sie auch noch beim Hinausschieben mit ihrem Gezwinker einwickelte.

Für sie war es die natürlichste Sache der Welt, von jungen Männern verfolgt zu werden, dachte ihr Dozent etwas verärgert. Wer ihre Flirts ernst nahm, war selbst schuld. Diese drei Studenten waren weder die ersten noch die letzten, die sich wegen der jungen Schönheit zu Deppen machten.

„Du, ich kriege diese Aufgabe einfach nicht hin. Jedenfalls denke ich, ich habe da falsche Schlüsse gezogen. Bevor ich’s dem Prof übergebe, guckst du mal drauf?“ bat sie schmeichelnd.

Kurzzeitig zog Torsten ein klares „Nein“ in Erwägung, dann konnte er dem Bettelblick nicht länger widerstehen. Er mochte dieses verrückte Mädchen viel zu sehr.

„Wenn es sein muss“, brummelte er. „Ja, bitte. Vielen, vielen Dank. Das ist total süß von dir.“ Zini strahlte ihn an.

Er beugte sich über ihre Unterlagen und unterdrückte ein Grinsen. Ob sie wohl ahnte, wie wenig er ihr abschlagen konnte? Viel besser als diese drei Idioten da eben benahm er sich kaum, wenn das bildhübsche Geschöpf sich näherte.

Während er ihre Arbeit las, schaute sie aus dem Fenster und schmunzelte vor sich hin. Trotz aller Kritik, mit der Torsten Wölz nie sparte, auch wenn er sie mal ein Mädchen für eine Nacht und nicht fürs ganze Leben genannt hatte, mochte er sie, und das wusste sie genau.

Die harten Worte hatten sie sehr getroffen. Schon aus diesem Grund wollte sie ihm nun beweisen, wie gewissenhaft und intelligent sie auf ihrem gemeinsamen Fachgebiet agierte. Irgendwie musste ihm doch diese Arbeit imponieren.

Er las noch, als ein anderer Dozent herein schaute. „Hast du endlich eine gefunden für den Jahresempfang, Torsten?“ „Nein.“ „Mensch, du sitzt mit Gillessen an einem Tisch, du brauchst eine Dame an deiner Seite – die kommen alle in Begleitung!“

„Ich kann mitkommen“, rief Zini begeistert aus: „Ich liebe Professor Gillessen, und wenn’s ein Fest mit Damen ist, dann ist seine Frau dabei. Anna Gillessen ist toll. Oh bitte – nimm mich mit, Torsten! Ich mag solche Gesellschaften. Und als Hotelkind habe ich doch gutes Benehmen 1-A drauf. Klar nimmst du mich mit, ich seh‘ die Gillessens sonst nie. Es war so obercool da im Ries, weißt du noch? Mensch, zwei Jahre ist das schon her!“

Ihr Jubel machte ihn schwach. Sie hüpfte wie ein Kind und bettelte, ohne auch nur Luft zu holen bei ihrem unerwarteten Wortschwall: „Bitte, bitte, bitte – nimm mich mit!“ „In dieser Kleidung?“ fragte er in einem letzten Versuch von Abwehr.

Die junge Frau wedelte aufgeregt mit beiden Händen, um dieses Argument abzuwehren. Ihre grauen Augen blitzten vor Aufregung und Vorfreude.

„Ich habe passende Kleidung zu Hause im Schrank. Ein sehr schönes Kleid. Ein kleines Schwarzes, das passt immer.“ „Ich weiß nicht“, murmelte er und musterte sie prüfend. „Was weißt du nicht? Ob ich mich benehmen kann? Du kennst doch meine Familie!“

Seine übertriebene Vorsicht brachte sie auf. „Was hast du dagegen?“ fragte sie etwas verärgert wegen seiner Ablehnung. Torsten hob die Augenbrauen bei diesem Tonfall.

Als sie ihn muffig anstarrte, zuckte er mit den Schultern. Dann sollte sie es eben hören, dachte er mit grimmigem Humor. Die Wahrheit würde ihr kaum gefallen.

„Du nutzt jeden aus, Zini. Du hast ständig sämtliche jungen Kerle hier um dich. Sie bezahlen dir ein Taxi, wenn’s regnet, sie schleppen dir deine Sachen, sie bringen dich zum Fahrrad und pumpen es auf, sie holen dir auf Wunsch deine Bücher aus der Bibliothek …“

Er musste sie lange und sehr genau beobachtet haben, um das alles zu registrieren. Damit war die schöne junge Frau wieder obenauf. Sie wusste genau, wie sie sich verhalten musste, um ihr Ziel zu erreichen. Auch wenn ihr gerade nach einer Retourkutsche zumute war: Mit einer patzigen Antwort auf diese Vorwürfe erreichte sie im Moment garantiert exakt das Gegenteil ihrer Wünsche.

Folglich machte Zini große Unschuldsaugen: „Aber ich bitte nie drum“, sagte sie und bemühte sich, dabei ernst zu bleiben. In den grauen Augen funkelte es jedoch vor Lachen.

„Wenn du mit mir ausgehst, will ich nicht, dass du mit allen Herren am Tisch flirtest. Lass bloß diesen Kinderblick, das nehme ich dir nicht ab, verstanden? Ich hole dich ab, und ich bringe dich zurück, und diesen Abend verbringst du komplett an meiner Seite. Kapiert? Wenn du Gillessen sehen willst, akzeptierst du das.“

„Natürlich. Was du von mir denkst … ich bin doch keine Nymphomanin.“ „Daran fehlt aber nicht viel.“ „Das ist ja gemein. Mit dir gehe ich immer freundlich um, wie eine echte Freundin, und das schon zwei Jahre lang. Und das, obwohl du klammheimlich diese Kalifornien-Sache machst, und das nur so nebenbei rausgekommen ist“, erwiderte sie schmollend und seufzte gespielt traurig.

„Du und echte Freundin? Ha! Vielleicht begleitest du mich ja zum Abschied an den Flugplatz Schönefeld. Aber auf dem Rückweg gabelst du wieder einen neuen Kerl auf. Ich traue dir nicht. Nicht von hier bis zur Tischkante. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass du einen Abend lang damenhaftes Benehmen an den Tag legst …“

„Wie ungerecht“, maulte sie, allerdings sehr leise. Er konnte den leicht genervten Ton überhören, und das tat er auch: „Zini, rück mir nicht auf die Pelle. Ich will das hier lesen. In Ruhe, ohne dass du vor Aufregung hier rumzappelst. Wenn du eine ehrliche Meinung hierzu haben willst, geh eine Viertelstunde raus, ja?“ Sie nickte brav und verzog sich schleunigst.

Ganz so viel Macht, wie sie sonst über das andere Geschlecht hatte, konnte sie über Torsten Wölz nicht ausüben. Das nahm sie als Herausforderung. Er lobte zwar ihr Talent beim Lernen, ihr Wissen über Geografie und Geologie. Sie wollte allerdings mehr als nur Lob dafür. Torsten gefiel sogar ihre entspannte Freundschaft mit seiner Schwester Irene, doch er hielt sich in ihrer Gegenwart sehr zurück.

Ein bisschen verstimmte sie das, auch wenn sie sich dafür „wehleidig“ schalt. Ungeduldig lief sie die gewünschte Viertelstunde auf dem Flur auf und ab, bis sie nach Ablauf dieser Zeit klopfte.

„Rein mit dir, Zini. Ich verstehe deine Zweifel nicht. Ich find’s gut.“ „Danke“, sagte sie ruhig. „Nun zweifele nicht mehr – es ist richtig gut. Selbst mich bringst du mit dieser Arbeit noch auf neue Ideen. Gut gemacht, sei stolz drauf. Super!“

Das unerwartete Lob war so ehrlich und klang dabei dermaßen froh über ihre Leistung, dass sie vor lauter Freude zu weinen anfing und sich selbst deswegen innerlich als blöde Gans bezeichnete.

„Was ist denn jetzt los?“ „Ach, ich habe nur Kopfweh …“, log sie. „Dann nimm eine Tablette. Sonst wird das nichts mit dem Empfang heute Abend. Falls es dir nicht gut geht, ruf an. Sonst hole ich dich um 7, okay?“ „Ja. Ich werde nicht krank.“

Sie sammelte ihr Eigentum ein und ging mit leisem Schniefen. Torsten Wölz schüttelte den Kopf und fand ihr Verhalten merkwürdig.

Auf extrem hohen Absätzen, in ihrem kleinen Schwarzen, das auf dem Rücken so gut wie nichts an Stoff aufwies, schwebte sie in den Ballsaal. Torsten Wölz sah stolz auf diese Bilderbuch-Schönheit an seiner Seite.

Noch nie hatte er eine so schöne Frau neben sich gehabt wie Zini. Er war sich bewusst, wie sie ohne jedes Wort allein durch ihre Anwesenheit und ihr Aussehen alle Blicke auf sich zog, ausnahmsweise mal jeder Zoll eine Lady. Das war die Hotelkinder-Erziehung, die sich auf dem glatten Parkett bemerkbar machte wie selten.

Doch das Gehabe der großen Dame von Welt war vergessen, als sie Paul und Anna Gillessen entdeckte. Da strahlte sie wie ein glückliches Kind und schwatzte aufgeregt und freudig drauflos.

Jeder konnte erkennen, wie sehr das ältere Ehepaar im Gegenzug auch sie mochte. Anna bedankte sich bei Torsten dafür, das „liebe Mädchen“ mitgebracht zu haben.

„Wenn ich Sie drei jetzt erlebe, weiß ich, wie schade es gewesen wäre, Sie nicht zusammen zu bringen für diesen Abend“, erwiderte er höflich. Anna Gillessen tätschelte seinen Arm: „Sie ist Pauls Liebling – und das nur, weil sie wie er Steine mehr liebt als Menschen“, sagte sie trocken.

Ihr Mann mischte sich ein, bemüht ihre Worte zu korrigieren: „Steine – und dich. Und unsere Kinder.“ „Ja, und das genau in dieser Reihenfolge“, Anna lachte, und die gesamte Tischrunde tat heiter mit.

Als nach dem Essen getanzt wurde, ließ sich Zini nur von Torsten und zwischendurch einmal von Paul Gillessen auffordern. Alle anderen Angebote lehnte sie freundlich, aber bestimmt ab.

Anna Gillessen sprach ihr dafür ihre Bewunderung aus. Zini lachte: „Um ehrlich zu sein, ich glaube, ich bin mit völlig zerschrammten Knien hier, weil ich stundenlang vor Torsten rumgerutscht bin, um ihn anzuflehen … Ich wollte Sie und Ihren Mann so gern mal wieder treffen.“ „Kindchen, Sie sind so lieb und anhänglich“, Anna streichelte Zinis weichen Arm.

„Vermutlich will sie Sie zu einer Expedition noch in diesem Sommer überreden – zu ihrer Teilnahme daran“, meinte Torsten trocken. „Ja, das auch. Allerdings habe ich versprochen, Valentinas Mutterschutzzeit zu übernehmen. Aber ich mag Sie wirklich“, versicherte die junge Frau glaubhaft.

„In diesem Sommer? Keine Expedition. Wir reisen auf die Philippinen“, Paul Gillessen schmunzelte: „Ich muss auch mal was mit meiner Frau unternehmen.“

„Ach, du Lügner. Mich deponierst du am Strand und tanzt selbst am Rande eines Vulkans herum“, rief seine Frau lachend. „Anna …“ „Nein, schon gut. Immerhin fahren wir zum ersten Mal ohne die Kinder miteinander weg …“ „Es wird Ihnen gefallen. Meine Eltern genießen das auch – ohne uns. Sie rufen dann zwar jeden Tag an, aber kinderlos auf Reisen gefällt ihnen.“

Torsten beobachtete sie. Dieses schöne Mädchen einen Abend lang beim Tanzen im Arm zu halten, untergrub seine Moral. Es war aber auch nicht besser, neben ihr zu sitzen und dem munteren Geplauder mit dem Ehepaar Gillessen zuzuhören. Zini konnte herzlich, liebevoll und zugewandt sein, wenn sie wollte, dabei bescheiden und freundlich … Er lehnte sich zurück, was sein Problem dann jedoch weiter verschärfte.

Ihre Stola hing über der Stuhllehne, und nun konnte er ihren nackten Rücken bewundern. Das „kleine Schwarze“ war einfach zu klein … Dem Gespräch über Vulkanologie konnte er kaum folgen, so lenkte dieser bildschöne Rücken ihn ab. Es zuckte in seinen Fingern, die glatte Haut zu streicheln. Hastig leerte er das Weinglas. Und dieses blieb nicht das einzige.

Als sie den Abend beendeten, verfluchte er sich dafür, nicht längst auf Wasser umgestiegen zu sein wie Zini, die das gleich nach dem Abendessen getan hatte. Sie war nüchtern – er nicht, wie er beim ersten Einatmen der kühlen Nachtluft feststellen konnte. Er taumelte bis zur nächsten Straßenlaterne auf dem Parkplatz und hielt sich daran aufrecht.

Zini schaute ihn prüfend an und kicherte. „Die frische Luft haut dich voll um, was?“ „Sieht so aus“, er holte tief Luft und pustete: „Du triffst mich wieder mal in schlechtem Allgemeinzustand.“

„Ist ganz niedlich“, meinte sie gelassen: „Aber gib mir lieber deinen Autoschlüssel.“ „Du bist wirklich eine echte Freundin.“ „Sag ich doch … Na los, ich bringe dich nach Hause und spring in die U.“

Auf dem Weg überlegte sie, ob sie das wirklich tun sollte – in die nächste U-Bahn springen wie angekündigt. Es würde sehr leicht werden, ihn zu verführen, so wie er sie den ganzen Abend über völlig fasziniert angestarrt hatte. Es war ihre Chance, ihm zu zeigen, wie auch er auf sie abfuhr, selbst wenn er das immer bestritt …

Da er beim Aussteigen in der Tiefgarage stolperte, schnappte sie sich seinen Arm: „Besser, ich bringe dich ganz nach oben, bevor du hier noch gegen die nächste Wand klatschst und dir ein blaues Auge holst.“ „So voll bin ich nicht. Fast schon wieder nüchtern.“ „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Manchmal zitierte sie die Redewendungen gern, die ihre Oma Monika benutzte.

In der Wohnung angekommen, wies Torsten Wölz mit großer Geste zum Telefon: „Ruf dir ein Taxi, schöne Frau. Sei nicht leichtsinnig und nimm die U-Bahn um diese Zeit.“ Zinis Entschluss stand längst fest – kein Taxi und auch keine U-Bahn.

Sie machte die paar Schritte auf ihn zu und umarmte ihn. Er reagierte ohne jedes Nachdenken, ließ sein Schlüsselbund einfach zu Boden fallen und missachtete das Klirren. Es drang kaum zu ihm vor. Diesmal zählte nur, dass sie wundervoll küssen konnte – und nicht die Erfahrung, die ihr das beigebracht hatte, auch nicht ihre ständigen Flirts.

Seit acht Stunden waren sie zusammen. Seit acht Stunden unterdrückte er das Verlangen nach diesem Mädchen. Jetzt durchbrach sie jede Verteidigung.

Der sonst so vernünftige junge Wissenschaftler verlor den Verstand. Ein winziger Rest davon ließ ihn murmeln: „Das darf ich nicht …“ „Wer fragt denn danach?“

Erst als sie später hellwach an die Decke starrte, erinnerte sie sich wieder an sein grausames Urteil: Eine Frau für eine Nacht, nicht fürs ganze Leben.

Wie hatte sie das verdrängen können? Diese Nacht war eindeutig ein Fehler – und sie blieb besser nicht, um sich noch weitere Sprüche anzuhören, serviert mit dem Frühstück.

Leise stand sie auf und sammelte ihre Sachen ein. Es wurde bereits hell – die Johannisnacht war kurz. Ruhig stieg sie in ihr Kleid und legte sich die Stola um. Dann kritzelte sie noch schnell eine Notiz auf einen Zettel: „Taxi ist da, muss gehen. In Eile C.F.“

Etwas Besseres fiel ihr nicht ein. Torsten Wölz war ein zu guter Freund, um eine Auseinandersetzung am Morgen zu riskieren. Es schien ihr geraten, ihm einige Tage aus dem Weg zu gehen, bis er sich beruhigt hatte über ihr Verhalten.

Sie lächelte auf sein schlafendes Gesicht hinunter. Er war auf jeden Fall einer der nettesten Männer, die sie kannte – selbst sein Belehren machte ihr Spaß. Nur sein strenges Urteil über sich fürchtete sie noch immer. Das hatte sie allerdings gerade mit ihrer kapriziösen Art untermauert.

Sie huschte auf bloßen Füßen hinaus und zog die hochhackigen Sandalen erst im Treppenhaus an.

Auf keinen Fall durfte sie in ihrer WG etwas davon erwähnen. Gerade vor Ricky, den sie vor vier Jahren abserviert hatte, wollte sie sich keine Blöße geben. Unter diesen Umständen konnte sie auch Isabell nichts mehr anvertrauen, überlegte sie und stöhnte in einem Anfall von Selbstmitleid. „Ach, Mama“, jammerte sie leise und trat auf die Straße hinaus.

Irgendwie fühlte sie sich im Moment unglücklich und wollte nach Hause. Bevor sie es sich richtig überlegt hatte, saß sie im Nachtzug Richtung Hannover. Zu unchristlich früher Stunde am Sonntagmorgen stand sie bei Schwester und Schwager vor der Tür. Fred Myers öffnete ihr relativ rasch nach dem Klingeln.

„Zini? Bist du gerade gestrandet?“ fragte er und zog eine Augenbraue hoch in leisem Spott. Das gab ihrer mühsam gewahrten Fassung den entscheidenden Knacks. Zu ihrem eigenen Entsetzen brach sie in Tränen aus.

„Ich … es war falsch …“ „Nun komm erst mal rein“, Fred nahm ihre Hand und zog sie in den Flur, schob sie dann vor sich her bis in die Küche.

„Serena – Zini ist da“, rief er und nahm das weinende Mädchen in die Arme.

Seine Frau stürmte Sekunden später schon die Treppe hinunter: „Zini? Du verkohlst mich, oder? … Nein, wie cool“, sie freute sich ehrlich und starrte dann doch etwas verblüfft auf das ungleiche Paar in ihrer Küche.

Mit dem entsprechenden Gesichtsausdruck gab Fred ihr schnell zu verstehen, dass er keine Ahnung hatte, weshalb seine liebliche Schwägerin heulte. Er reichte sie schleunigst an Rena weiter.

„Ich werfe mal einen Tee an“, entschied er sachlich: „Auch wenn ich damit vermutlich klinge wie eure Mutter.“ Zini lachte unter Tränen. „Mama kocht Kaffee.“

Bis zum ersten Schluck Tee hatte sie sich beruhigt.

„Was hast du also jetzt wieder angestellt, Cynthia?“ „Fred, bitte, kein Verhör“, murmelte Rena. „Wenn sie um diese Zeit in diesem … Aufzug hier aufschlägt, hat sie sich tüchtig in die Nesseln gesetzt. Oder ins Fettnäpfchen getreten. Oder rennt vor Verantwortung weg. Jedenfalls möchte ich wenigstens sofort wissen, aus welcher Patsche ich sie gerade retten soll.“

Einerseits durchschaute er sie viel zu gut, was Zini eine betretene Grimasse schneiden ließ, andererseits versagte er ihr die nötige Hilfe nicht. Auch das registrierte sie, schüttelte aber abwehrend den Kopf.

„Das ist ein hübsches Kleid. Wo warst du?“ fragte Rena sanft. Zini erzählte es ihr und beschrieb auch den Abend. Bei Rena fühlte sie sich sicher.

Fred hörte ebenso aufmerksam zu wie seine Frau, der er das Fragenstellen überließ. Nach einer Weile zog er die nötigen Rückschlüsse.

„Wen hast du denn nun abgeschleppt? Deinen geliebten Prof? Oder Torsten Wölz?“ Er musterte sie skeptisch. „Ich nehme an, deinen Dozenten. Für alles andere magst du Anna Gillessen zu sehr. War’s wenigstens lohnenswert?“

„Fred!“ rief Rena dazwischen. Sie kannte seine hohen Ehrbegriffe und hörte die Kritik dieser Fragen überdeutlich heraus. Ihr Mann jedoch legte seine eigenen Maßstäbe grundsätzlich nicht an andere an.

Ihn belustigte Zini eher mit ihren Flirtkünsten. Anscheinend war die Kleine ausnahmsweise mal auf die Nase gefallen. Das jedoch wollte er schon aus Zuneigung zu seiner Frau keinesfalls allzu krass kommentieren, der Schwägerin aber doch die nötige Lehre verpassen.

„Was sollte sie sonst getan haben, Serena? Sie hat das kleine Weichei zu ihrem persönlichen Vorteil aufs Kreuz gelegt. Maßlos verwöhnt, von der Gunst der Männer über jede vernünftige Grenze hinaus eingebildet gemacht … völlig respektlos“, zählte er hart auf.

Zini schluckte schwer daran und wagte zaghaften Widerspruch: „So bin ich nicht.“

„Vor Schwächeren hast du nicht den mindesten Respekt.“ „Das stimmt nicht. Ich bin mit Isa befreundet und mit ihr in einer Klasse geblieben. Ich hätte überspringen können.“

Die Gletscheraugen blieben kühl, die Antwort klang gelassen: „Deine Intelligenz spreche ich dir nicht ab. Allerdings: es war nicht großmütig, Isa durch die Schule zu begleiten, sondern reine Faulheit. Bei älteren Schülern hättest du dich womöglich um ihre Freundschaft bemühen müssen. Isa war dir sicher. Vielleicht hättest du sogar mal deinen Grips anstrengen müssen, statt als ständige Klassenbeste noch mehr verwöhnt zu werden von Schüler- und Lehrer-Gunst. – Hast du noch mehr angestellt? Kommt gleich die Polizei? Brauchen wir einen Anwalt für dich?“

Mit geweiteten Augen starrte Zini den Schwager an: „Was?“ Auch Rena quietschte vor Schreck.

„Du könntest deinen möglicherweise zudringlichen Kerl ja erschlagen haben und deswegen geflüchtet sein. – Serena, deine kleine Schwester zieht Probleme mit Männern an wie ein Magnet Eisenfeilspäne. Wenn sie irgendwann mal einen auf Dauer sucht, dann muss das einer mit einem Schießeisen sein, damit er hinter ihr aufräumt.“

Der letzte Teil klang dann doch schon wieder nach seinem üblichen Humor. Rena atmete auf und lachte ein bisschen: „So wie ich, oder was?“ Fred zwinkerte ihr zu.

Voller Staunen sah Zini den Mann an: „Du … würdest noch zu mir halten, wenn ich wen umgebracht hätte? So hört sich das gerade an … Ähm … habe ich nicht, aber … Du bist wirklich auf meiner Seite?“ vergewisserte sie sich. Fred zuckte mit den Schultern: „Wir sind verwandt. Dear sister-in-law …“

Die kühle Erwiderung besagte nur wenig. Dennoch errötete sie unter seinem intensiven Blick vor Verlegenheit. Seine blaugrünen Augen verrieten nicht viel Gefühl, und die unterkühlte Gelassenheit, mit der ihr Schwager ihren Charakter zerpflückte, tat weh. Und doch berührte es sie, wie er sie zusammen stauchte und ihr nahezu im selben Moment versicherte, unter schwierigsten Umständen dennoch zu ihr zu halten.

Rena dagegen wollte etwas anderes genauer wissen: „Hast du Torsten so gern?“ „Er geht bald weg“, Zini hob unschlüssig die Schultern und ließ sie wieder fallen.

„Du hast ihn also nur verführt, weil er zufällig gerade da war?“ Freds sarkastischer Einwurf ließ sie zusammen zucken. Rena warf ihm einen missbilligenden Seitenblick zu.

„Zini, hör nicht auf ihn. – Hast du gedacht, weil Torsten nach Kalifornien geht …“ „Ich habe gar nicht gedacht. Denke ich.“ „Aber wir haben Familie in Kalifornien. Das muss nicht das Ende für eure Beziehung sein, wenn du ihn wirklich lieb hast.“

Ganz so war es nicht. Ihrer Schwester gegenüber mochte Zini nicht zu einer Unehrlichkeit greifen. Aber von Liebe konnte nun wirklich keine Rede sein. Denn das Paar, mit dem sie am Tisch saß, wusste wesentlich besser als sie, was Liebe war.

„Ich weiß nicht, Rena. Ich weiß es echt nicht.“ „Du musst das auch nicht jetzt überlegen. Es ist wohl besser, du schläfst dich erst mal aus. Und wir gehen auch wieder zurück ins Bett. – Ich richte es dir schnell hier unten.“ „Danke.“

Eine gute Viertelstunde später schlich Rena leise ins Schlafzimmer. Fred hob den Kopf und stützte sich auf einen Ellenbogen: „Hat sich die kleine Ziege beruhigt?“ „Warum hast du sie angegriffen?“ „Um die Wahrheit zu hören. Außerdem passten uns die Rollen richtig gut: guter Cop, böser Cop.“ Das war reiner Spott.

„Wie bitte? Du nimmst Zinis Probleme nicht ernst“, grollte die junge Frau. „Zini hat keine Probleme, sie ist eins. Sie lässt sich von 95 Prozent aller männlichen Wesen in ihrem Umfeld auf ihre äußerlichen Qualitäten reduzieren, weil das der Weg des geringsten Widerstandes ist. Ein Dämpfer tut ihr gut.“ „Dieser wohl nicht so richtig“, Rena seufzte.

Fred streckte die Hand aus und streichelte ihre Wange: „Du hast die beiden doch hier vor unserer Haustür mit ihrem albernen Zank gehört. Wenn du mich fragst: Er wollte sie haben. Jetzt hatte er sie. Könnte das Fieber aus dem Blut treiben.“ „Sex nur deswegen?“ „Klar. Und weil’s Spaß macht. Sie ist bestimmt eine heiße Nummer im Bett.“

Als Rena ihn mit offenem Mund anstarrte, musste er lachen. „Keine Sorge, Darling. Ich probiere das nicht aus. Ich bin immun – dank dir.“

Ein Kuss besiegelte diese Aussage. Rena gluckste: „Immun … gegen so viel Schönheit?“ „Mhm … sie ist wie … wie heißt diese ausgestorbene Krankheit? Mit den Pusteln?“ „Pocken?“ „Genau. Du bist mein Impfstoff.“

Mit einem leisen Lachen ließ sich Rena heranziehen und erwiderte seine Küsse.

„Was machen wir denn jetzt mit Zini?“ fragte sie dennoch mit leiser Sorge. „Ich sammele erst mal Impfstoff“, erwiderte Fred neckend.

Das Frühstück verlief wesentlich friedlicher als Cynthia Falkows Einzug in dieses Haus. Fred öffnete ein Gurkenglas, an dem Rena scheiterte, und meinte trocken: „Du brauchst eine neue Dosenaufschraubung. Die wäre nutzvoll, wenn ich nicht da bin.“ „Nützlich“, verbesserte Zini. „Okay, nützlich“, wiederholte Fred die Korrektur und grinste dabei.

„Oder von Nutzen“, ergänzte sie: „Und ich glaube, so ein Küchenwerkzeug-Wort wie Dosenaufschraubung gibt es auch nicht auf Deutsch. Ist sowieso komisch mit deinem Deutsch. Seltene Wörter wie beispielsweise Eisenfeilspäne benutzt du völlig korrekt, scheiterst dann aber an … nützlich.“

Rena holte keuchend Luft und hieb die Hand vor den Mund. Zini warf ihr einen raschen Seitenblick zu, erschrak und fuhr etwas überhastet fort: „Ich meine das nicht negativ, Fred, ehrlich nicht. Es fiel mir nur gerade auf.“ „Seltene Wörter lernen Ausländer im Kontext. Als korrekte Redewendung in einer Fremdsprache. Und Serena verbessert meine Fehler normalerweise.“

Die winkte nur ergeben ab und hütete sich, den kleinen Austausch zu kommentieren. Er bestand immer darauf, sie möge ihm seine falsche Wortwahl sofort benennen und ihn verbessern. Daran hielt sie sich meistens, auch wenn er nur sehr selten Fehler machte.

„Kann ich nach dem Frühstück an deinen Kleiderschrank, Rena? Ich muss aus diesem Teil hier … Hose und T-Shirt?“ „Sicher. Unterwäsche auch. Meine T-Shirts werden aber an dir schlabbern.“ „Im Moment schlabbern sie auch an dir. Du bist total dünn, du musst mehr essen. Studieren zerrt. – Ich glaube, ich hole mir gleich was von dir.“ „Mach“, nickte Rena. Ihre Schwester rauschte eilig ab.

„Früher oder später“, wisperte Rena besorgt. „Später“, antwortete Fred kühl. Sie lächelte: „Wenn du nicht aufpasst, rät sie irgendwann richtig.“

Sie fragte sich, ob er damit umgehen konnte, wenn ihre Schwester auf seine tatsächlichen Kenntnisse kam – denn irgendwann musste Zini auffallen, wie wenige Fehler er machte. Schon diesmal war sie nahe daran gewesen, die absichtlich eingebaute Wortwahl richtig zu interpretieren.

„Keine Sorge, Serena. Ich passe seit fast sechs Jahren auf. Sie hört die komplizierteren Wörter zwar, aber auch den Akzent. Der allein reicht als Ablenkung. – Unseren geplanten Ausflug schenken wir uns heute wohl, hm?“ „Wir grillen eben hier. Und ich engagiere sie zum Ausmisten im Keller. Wenn wir den Schrott raus haben, können wir nämlich endlich einen richtig schönen Vorratsraum einrichten, weißt du. Auch wenn Sonntag ist. Was hältst du von der Idee?“ „Die ist gut. Ich mache mit.“

„Wobei?“ Zini zerrte sich das T-Shirt über die Hüften und plumpste auf den nächsten Stuhl.

„Serena möchte mit dir einen der Kellerräume ausräumen, um dort einen Vorratsraum einzurichten. Ich schätze, mich scheuchst du in aller Frühe am Montagmorgen zum Baumarkt, weiße Farbe kaufen?“ „Bunte auch. Verschiedene. Da Zini einmal hier ist, kann sie uns eine der Wände dekorieren“, Rena drückte den Hebel am Toaster herunter.

„Was für ein Motiv schwebt dir vor?“ Zini hatte nichts dagegen, zum Arbeiten herangezogen zu werden, wenn sie sich schon hier einquartierte. Für einen Moment trat nachdenkliche Stille ein.

„Vielleicht Wiener Stadtansichten …“, überlegte Rena schließlich. Fred lachte und zog sie vergnügt auf: „Bitte nicht Manderley, während es abfackelt.“ „Stimmt, ihr ward ja in Wien … Im Musical.“

Voller Staunen sah Zini ihre Schwester an, die in herzliches Gelächter ausbrach und ihrem Mann im Vorbeigehen über die Schulter streichelte. So glücklich hatte Rena seit Monaten nicht gewirkt wie in diesem Augenblick.

„Rebecca? Nein, nichts daraus. Vielleicht eher den Karlsplatz …“ „Kriege ich hin, geht mit einem Foto“, meinte Zini. Rena nickte und setzte sich.

„Ihr seid mir ein paar verrückte Mädchen.“ „Sei nicht so streng mit uns, Fred.“ „Ja, ich weiß. Deine Schwester wird 20, du bist schon 21 … Ihr Frauen seid in dem Alter seit Jahrzehnten erwachsen“, spottete er.

Rena schob schmollend die Unterlippe vor und bemühte sich, ihn strafend anzusehen: „Myers, keine Frechheiten! Servier mir gefälligst mein Frühstücksei.“ Er hob mit einer ergebenen Geste die Hände und betrachtete sie belustigt: „Sehr wohl, Ma’am.“

Dann stand er tatsächlich auf und kümmerte sich darum, dass jeder sein Ei bekam. „Hm“, machte Rena befriedigt und gluckste vor sich hin vor Vergnügen, als Fred sich feierlich verbeugte, eine Hand auf dem Rücken, devot wie ein hochherrschaftlicher Diener.

Überrascht von ihrer Alberei kicherte Zini los. Vor ein paar Jahren hätte niemand gewagt, den gestrengen Bodyguard aufzuziehen oder ihm in diesem Ton Befehle zu erteilen, schon gar nicht ihre schüchterne Schwester. Fred hätte sich auch niemals auf solche Schauspielerei eingelassen.

„Weiß Isabell, dass du zu uns gekommen bist?“ Fred klopfte das Ei auf und sah nicht zu Zini. Die lief dennoch rot an vor Verlegenheit und schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Dann ruf sie an, bevor sie sich Sorgen macht.“ „Okay.“

In der Wohnung in Potsdam war Torsten Wölz bereits angekommen, bevor sie anrief. Zini beschränkte sich zunächst darauf, Isabell zu sagen, sie sei zu ihrer Schwester gefahren. Und dann verbog sie die Wahrheit ein bisschen, als sie hinzufügte, sie würden jetzt viel mit dem Ausmisten des Kellers zu tun haben, den Fred und Rena als Lager nutzen wollten. Der ganze Kram vom Vorbesitzer sei seit Jahren unangetastet noch immer da und müsse endlich weg. Rena wollte Regale haben, Fred alte Akten im Keller unterbringen.

Unsicher schaute sie sich dabei um, ob ihr jemand zuhörte. Fred hätte diese Notlüge als Grund für ihre Reise sicher missbilligt. Isabell Röttger jedoch kaufte ihr das ab, obwohl sie einwarf, davon hätte Zini bisher nichts erwähnt.

Zu ihrem Freund Ricky und zu Torsten sagte sie nach dem Telefonat mit einiger Belustigung, Zini sei halb verrückt, seit ihre Schwester vor einem halben Jahr geheiratet habe – und ständig unterwegs Richtung Hannover, als fürchte sie, Frederick Myers misshandele Rena.

Torsten Wölz wurde dabei klar, dass Zini tatsächlich selbst ihrer besten Freundin gegenüber mit allem dichtgehalten hatte, was ihr wichtig war – die Depressionen ihrer Schwester nach der Fehlgeburt verschwieg sie selbst Isabell.

Jetzt verstand er auch ihren überstürzten Aufbruch. Zini wahrte die Geheimnisse anderer. So benutzt er sich vorkam, er akzeptierte es dennoch. Ihre Familie galt der jungen Frau alles, schon immer, und das brachte ihn dazu, sie und ihre Handlungsweise besser zu verstehen. Wenn sie sich hingebungsvoll um Renas Wohl kümmerte, war das mehr wert als alles andere.

„Uah …“, Rena zerrte an dem verstaubten Koffer in der Ecke hinter der geborstenen Zinkwanne voller alter Zeitschriften. „Kakerlaken?“ „Nee – zum Glück nichts so Widerliches.“

Zini riss hilfsbereit an der Wanne und zerrte mit ganzer Kraft. Die Zinkwanne bewegte sich jäh um ein paar Millimeter, und mit einem Ruck hatte Rena den alten Koffer in der Hand.

„Lasst mich doch erst mal die Wanne da raus heben“, mahnte Fred. „Kannst du nicht. Die bricht glatt auseinander. Und dann fliegen diese dreckigen alten Fernsehzeitungen von … 1973 durch die Gegend. Alles vor unserer Geburt. Mensch, das hier hat über Jahrzehnte kein Mensch mehr angefasst“, Zini blätterte eine Zeitung auf. Der Staub flog hoch, kitzelte in ihrer Nase und brachte sie zum Niesen. Schwester und Schwager wichen zurück und lachten.

„Das ist deiner … der Koffer, mit dem du nach Deutschland gekommen bist“, stellte Rena fest. „Der kann auf den Müll. Für einen Geschäftsmann ist er zu schäbig. Das hat Tom mir glaubhaft versichert – und ich habe mir dann einen neuen zugelegt, den ich benutze“, antwortete Fred lakonisch und hob die Tür aus den Angeln, damit sie mehr Platz hatten. Sachte lehnte er sie auf dem Kellerflur an die Wand.

„Komm. Wir müssen den vorher durchsuchen. Falls noch ein paar Dollar drin sind oder so …“, Rena wischte mit ihrem feuchten Lappen über den oberen Teil, um den gröbsten Staub zu entfernen. Dann kniete sie sich vor den Koffer und versuchte, den Reißverschluss zu öffnen. Er klemmte.

„Schraubst du bitte dieses Regal los? Dann kann ich sehen, was wir vorm Streichen noch an der Wand ausbessern müssen“, seit dem Renovieren der Wohnung in Potsdam kannte Zini sich aus. Fred nickte und rückte seinen Werkzeugkoffer in die Nähe der Wand.

„Wenn du darin Geld findest, Serena, darfst du es behalten. Ich war so abgebrannt, als ich nach Europa zurück kam …“, erklärte er seiner Frau heiter, die noch immer an einem der Reißverschlüsse scheiterte.

Sie legte den Kopf schräg und sah zu ihm auf: „Europa?“ „Zu euch. 2002.“ „Dann bist du ja jetzt schon fünf Jahre in Deutschland“, stellte Zini fest. Fred lachte wieder: „Eine Ewigkeit …“ sagte er fröhlich.

„Hier ist was. Wohl doch dein Rest Geld“, Rena hatte inzwischen sämtliche Reißverschlüsse aufgezogen, tastete eben in einer Seitentasche herum und zerrte einen verschlossenen, leicht zerknitterten Umschlag heraus: „Was haben wir denn da? Urkunden? … Oh, Fotos.“

Als darauf so gar keine Reaktion kam, schaute sie wieder hoch zu Fred. Sein Gesichtsausdruck war nicht zu lesen. Was dachte er? Welcher Teil seiner Vergangenheit verbarg sich hier?

„Darf ich?“ fragte sie leise. Er nickte knapp.

Trotz dieser Erlaubnis zögerte sie: „Fred, was sind das für Bilder?“ „Nicht viele. Als ich hierher kam, wollte ich sie nie wieder sehen. Aber … inzwischen hatte ich die völlig vergessen. Kinderbilder. Nicht viele. Und ein paar andere. Vielleicht wirfst du sie doch besser unbesehen weg …“

Irritiert registrierte sie seinen unerwarteten Ernst und den kalten Klang seiner Stimme, schon während sie darauf antwortete, noch im Unklaren, was das bedeutete: „Ich wusste nicht, dass du überhaupt Kinderbilder hast. Ich möchte sie wirklich gern sehen“, sie schüttete sie aus dem ramponierten Umschlag. Sie waren von unterschiedlicher Größe, und, das sah sie sofort, nach Daten sortiert.

Das erste Bild zeigt einen kleinen Jungen von vielleicht zwei Jahren, mager, mit riesigen hellen Augen – ein muffiges Kleinkind, das offensichtlich voller Wut und Abwehr in die Kamera gegafft hatte.

„Du siehst aus wie ein richtiger Trotzteufel“, entfuhr Zini. Sie kniete sich neben Rena auf den Boden. Fred schwieg und legte den Akkuschrauber zurück auf das Regal, bevor er langsam sagte: „Wollt ihr das nicht … verschieben?“

„Nein. Wir machen eine Pause in der Küche, trinken was und sehen deine Bilder an“, entschied Rena sanft und freundlich, wenn auch mit fester Stimme. Er nickte wortlos. Ihm war klar, dass er gleich viele Fragen hören würde.

Zini musterte ihn unsicher. Sie sah ihre Schwester nervös an. Ein einziger Blick in das ernste, verschlossene Gesicht des Schwagers hatte sie schon davon überzeugt, für den Moment besser den Mund zu halten und ja keine vorlaute Bemerkung mehr zu machen wie gerade eben. Seine Aversion schien ihr greifbar zu sein.

Rena deponierte die Fotos gestapelt auf dem Küchentisch, dann sorgte sie für Getränke, schob Fred freundlich und aufmerksam ein Glas Wasser zu und nahm die Bilder wieder auf.

Eine Weile schaute sie sich den Zweijährigen auf dem Bild genau an, dann legte sie es hin und betrachtete das nächste Bild. Zini schnappte sich das erste Bild, während ihre Schwester das zweite studierte. Auf dem war der Junge sechs, vielleicht auch sieben Jahre alt: eine Schramme an der Stirn, wieder diese trotzigen hellen Augen, die alle auf Abstand hielten.

Die junge Frau holte tief Luft, brachte ihr Mitgefühl aber nicht zum Ausdruck, sondern gab das Bild ohne jedes Wort an Zini weiter, die es mit bedenklicher Miene annahm und ebenfalls gründlich anschaute, ohne ein einziges Wort zu äußern. Sie wagte es nicht angesichts Freds verschlossener Miene.

Die nächsten Bilder waren großformatiger und zeigten offenbar die ganze Gruppe der Waisen. Eine Weile suchte Rena. Dann fand sie das helläugige Kind, das den rechten Arm in der Schlinge trug.

„Was hattest du da?“ „Verstauchtes Handgelenk. Fahrradunfall.“ Rena zog die Augenbrauen hoch: „Du hattest einen Fahrradunfall?“ „Jetzt mit über 30 kann ich eben etwas besser fahren als damals mit 10“, sagte er nur trocken.

„Hat dich jemand angefahren? Geschubst? Vom Rad gestoßen?“ Mit sicherem Instinkt fühlte sie heraus, wie viel mehr sich hinter der knappen Auskunft verbarg.

Seufzend gab Fred auf: „Ja. Der hier“, er tippte auf einen Jungen auf dem Bild. „Der ist mindestens 15. Und ein normannischer Kleiderschrank.“ „Und hat alle jüngeren und zarteren Kinder schikaniert. Vor allem diese Kleine hier. Das war einfach unerträglich. Einer musste doch was dagegen tun. Ich glaube inzwischen, er kam direkt aus dem Gefängnis zu uns …“, verteidigte er sich und hielt wieder inne, als Rena seine Hand nahm. Wortlos wehrte er ab.

Dann fiel ihm auf, wie verdutzt Zini ihn anstarrte: „Du warst 10? Und hast dich wegen dieser Zwerge mit einem Brecher wie dem angelegt?“ „Es war … schmerzhaft“, gab er achselzuckend zu, entzog sich Rena, stand auf und holte die Flasche Wasser, um nachzugießen, während die Schwestern die Bilder weiter durchsahen.

Auch auf allen anderen Fotos hat der blonde Junge mit den hellen Augen Schrammen und Blessuren, trug öfter Verbände und wirkte auf einem Foto total zerschlagen. Da war er selbst etwa 14 oder 15 und sah aus wie ein jugendlicher Verbrecher, schmutzig, verschlagen, bitterböse, hingeflegelt auf einen Holzstuhl.

„Du siehst voll übel aus“, murmelte Zini. „Ja. Das war 1989. Nach dem missglückten Ausreißen nach San Francisco“, Fred setzte sich und streckte die Beine aus, nahezu in der selben Haltung wie auf dem Bild. Nichts an ihm lud zu Fragen ein. Rena schaute auf das Foto und missachtete seine Aversion konsequent. Ihr würde er sich nicht entgegen stellen, wenn sie freundlich blieb – darauf vertraute sie inzwischen.

„Als du in das Erdbeben geraten bist?“ Rena fasste wieder nach Freds Hand. Er ließ es sich diesmal mit mehr Ruhe gefallen und nickte. Sie schüttelte etwas verwirrt den Kopf: „Du hast nie erzählt, wie schlimm es war, nur dass sie dich aufgegriffen haben und ins Gefängnis gesteckt.“ „Tja, so ist das im Gefängnis. Ich musste mich meiner Haut wehren – und habe das ganz gut hingekriegt.“

Diese Auskunft sollte den Schwestern reichen, so wenig er damit auch sagte. Rena schaute ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Sie verstand sehr wohl, was alles in seinen dürftigen Worten steckte.

Da er nicht gewillt schien, ihr in Zinis Gesellschaft noch mehr darüber zu erzählen, schwieg sie. Fred lächelte und fügte noch einen Satz an: „Keine Sorge, mir ist nichts wirklich Ernstes passiert. Es war harmlos.“

Zu ihrer eigenen Überraschung glaubte sie ihm sofort. Er hatte sich „seiner Haut gewehrt“ und war im wahrsten Sinne des Wortes mit einem blauen Auge davon gekommen. Mit einem Zwinkern zu ihm wandte sie sich dem kleinen Bilderstapel zu und murmelte nur noch eine spöttische Anmerkung, die verriet, wie schnell sie wieder gelassener war.

„Dann hoffe ich mal, dass du auf dem nächsten Bild nicht verpackt bist wie eine Mumie. Ohnehin erkenne ich dich meistens nur an diesen klaren Gletscheraugen … Oh, wow, was für ein schönes Mädchen … Zini, guck mal, die macht dir glatt Konkurrenz.“ „Sie guckt aber irgendwie verkniffen – das tue ich nie. Schön ist sie trotzdem. Wo hast du die aufgegabelt, Fred, diese schöne … Ach du liebe Güte“, inzwischen sahen beide Schwestern das nächste Bild, und das war offensichtlich ein Hochzeitsfoto – Fred und die schöne Frau …

„Jane“, sagte Serena mit einer jäh zitternden Stimme, die sie selbst kaum mehr erkannte. Sie hätte nicht gedacht, eine solche Schönheit zu sehen. „Ja. Jane.“

Mehr kam nicht. Fred starrte selbst auf die beiden Bilder, die Rena aus der Hand auf den Tisch gefallen waren.

„Hast du nur diese beiden Bilder, wo sie drauf ist?“ fragte Zini etwas krächzend. „Ja. Ihre Eltern haben alles andere behalten. Beziehungsweise abgeholt nach ihrem Tod.“ „Warum diese nicht?“ „Die waren in dem Umschlag mit meinen Kinderbildern. Nicht in einem ihrer Alben. Den Umschlag haben sie als einziges in unserer Wohnung gelassen. Und die Rechnungen natürlich.“ Eisiger Hohn verbarg jedes andere Gefühl.

„Warum hat dir keiner geholfen? Warum hast du sie das machen lassen? Dazu hatten sie kein Recht, oder? Warum haben sie dich so gehasst, dass sie dir alles weggenommen haben?“ rief Zini ehrlich empört.

Fred zuckte mit den Schultern und antwortete ehrlich: „Weil ich ihrer Meinung nach ihre Tochter auf dem Gewissen hatte. – Zini, ich hatte keine Freunde, niemanden wie euch, der sich um mich geschert hätte. Es macht mir nichts aus. Heute sowieso nicht mehr.“

Zu seiner Überraschung schoss sie von ihrem Stuhl hoch und sprang ihn regelrecht an, umarmte ihn heftig und stieß voller Zorn hervor: „Ich würde denen den Kopf abreißen, diese fiesen Missgeburten! Und ich bitte dich für jedes fiese Wort um Entschuldigung, das wir jemals gesagt haben … Es muss dir ja grässlich sein, dass ich so aussehe … Noch so eine …“

Leicht verblüfft behielt er sie im Arm: „Grässlich? Du bist doch bildschön.“ „Und Jane?“ „Jane hatte nichts von deiner spontanen Herzlichkeit oder Einsicht. Mit einer Familie wie euch … den Vergleich schenke ich mir besser, sonst müsste ich euch Dinge sagen … die würden dir zu Kopf steigen, Cynthia Falkow.“

Im letzten Satzteil brach sich sein Humor wieder Bahn, und Zini drückte ihn noch einmal fest. Fred streichelte mit einem etwas verblüfften Lachen ihren Rücken.

„So, Mädchen, kriegt euch wieder ein, bitte. Und lasst uns endlich weiter da unten arbeiten. Wir können uns ja später die Wien-Bilder ansehen, wenn du möchtest, Zini.“ „Gern.“

Zuerst hatte Rena der Anblick von Janes Schönheit verunsichert. Nach und nach ging ihr aber auf, wie egal das Fred war, und sie konnte wieder lächeln. Ja, schön war Jane unzweifelhaft gewesen, aber auch extrem egozentrisch, ihre Familie nicht minder – und vom Intellekt her konnte sie ihr das Wasser nicht reichen, geschweige denn ihrer schlauen Schwester, das hatte Fred schon vor langer Zeit gesagt.

Erst am Dienstag fuhr Zini zurück nach Berlin. Ein bisschen graute ihr vor der ersten Begegnung mit ihrem Dozenten an der Uni. Doch Torsten Wölz machte es ihr sehr leicht, als er sie nach der Stunde zurückhielt, denn seine Frage galt nicht ihr.

„Wie geht es deiner Schwester? Ihr errechneter Termin war doch jetzt, oder?“ „Ja. Zum Glück geht es ihr ganz gut. Sie lacht endlich wieder, richtig übermütig sogar schon manchmal. Und sie neckt und macht Spaß. Schuldgefühle habe ich trotzdem noch ein bisschen …“

„Ach, Zini, das glaubst du doch nicht wirklich? Es war reiner Zufall, dass du an dem Wochenende da warst. Du besuchst sie doch öfter. Und weder sie noch dein Schwager sind dir böse deswegen. Im Gegenteil. Myers freut sich über deine Anhänglichkeit, denke ich, und dass du dich so lieb um Rena kümmerst.“

Wie immer war er viel zu nett und verständnisvoll. Von all ihren Freunden gefiel ihr ausgerechnet dieser besonders gut, obwohl das mit einer Liebe, wie Rena sie für Fred empfand, sicher nicht zu vergleichen war, dachte Zini und nickte nur vage.

Ihr war inzwischen klar, was er annahm – nämlich, dass der Besuch bei Rena seit langem geplant gewesen war. Genau das hatte sie erhofft, und nun überlegte sie, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte. Nein, das wäre ein Fehler – und sie verzichtete darauf. Warum sollte sie ihn noch ärgern, wenn er sowieso demnächst fort ging?

***

Tom musste bei der Bank vorbei und brachte bei der Gelegenheit gleich Tessa vom Kindergarten und Jason aus der Schule mit nach Hause zum Mittagessen. Er hatte es schon vorbereitet und Leona dann allein am Herd zurück gelassen. Viel zu tun blieb ihr nicht: Alle Zutaten in den Wok werfen und würzen. Sie schmeckte ab und meinte, ein wenig Chili könne noch dazu. Das hatten sie in geriebener Form in einer Dose …

Als Tom mit den Kindern ins Haus kam, fluchte sie lauthals.

„Das steht garantiert alles auf der Böse-Wörter-Liste“, wunderte sich Jason. „Mal sehen, was sie dazu veranlasst“, sein Vater ging gelassen in die Küche: „Na, Süße – Probleme?“

Sie fuhr herum wie von der Tarantel gestochen und fauchte verärgert: „An der Scheißdose war der verdammte Mist-Deckel nicht richtig zu. Und der ist abgegangen und der gesamte Inhalt voll blöd in den Wok geknallt, während ich rührte! Und nun können wir das ganze verfluchte Essen in den Müll schmeißen!“

Eine solche Ausdrucksweise kannte keiner von ihr. Ihre Kinder staunten und zogen die Köpfe ein. Tom dagegen nahm den Ausbruch gelassen.

„Aha“, machte er seelenruhig. „Ja. Aha! Was sollen wir jetzt essen?“ „Genau, ich habe Hunger“, warf Jason ein. Tom warf ihm einen kurzen, mahnenden Blick zu, doch seine Geduld blieb unerschöpflich: „Vielleicht lässt es sich ja retten?“

Er nahm einen Teelöffel aus der Schublade und probierte. Nun, eine Rettung konnten sie vergessen. Die Schärfe trieb selbst ihm die Tränen in die Augen, und er mochte scharfe Gerichte.

„Siehst du – ich habe es total versaut“, Leona schien den Tränen nahe – ohne probiert zu haben.

Ihr Mann schloss sie lachend in die Arme und küsste sie leidenschaftlich. Atemlos japste sie nach Luft.

Tessa und Jason grinsten sich an. Mehr Ärger gab es jetzt wohl nicht.

„Was war das denn?“ „Du kochst wie eine verliebte Frau. Okay, Chili statt Salz. Passt auch viel besser zu dir. Das gefällt mir“, strahlte Tom fröhlich: „Und jetzt hüpft alle ins Auto. Wir fahren zum Chinesen ins Dorf.“

„Chinesisch ist gut. Da kriege ich einen Lutscher. Und wir können Fische streicheln“, behauptete Tessa. „Die Fische mit den komischen Namen“, Jason überlegte. „Koi-Karpfen“, half Leona. Dann erst registrierte sie die neugierigen Blicke ihrer Kinder.

„Was habt ihr?“ „Och … nur so.“ „Küsst ihr euch noch länger, oder fahren wir wirklich essen?“ „Wir fahren essen. Nervzwerge“, aber sie kicherte dabei.

Der Chef des chinesischen Restaurants begrüßte sie erfreut schon auf der Brücke über den kleinen Teich mit den Koi-Karpfen. Er brachte sie persönlich zu einem Ecktisch am Fenster. Diese Gäste mochte er – und ihm war seit der Eröffnung seines Restaurants bekannt, dass Leona über ein ganzes Hotel verfügte. Desto mehr schätzte er den Besuch dieser kompetenten Gäste in seinem Haus.

Tom winkte ab, als er Speisekarten aus dem Regal nahm, um sie ihnen zu bringen. „Danke. Aber stellen Sie uns doch einfach etwas zusammen.“ „Fisch, Geflügel …“ „Fisch“, rief Jason sofort. „Ich möchte eine tote Ente, bitte“, erklärte Tessa gewichtig. Der Chinese nickte schmunzelnd und zog sich nach der Getränkebestellung sofort zurück, um in der Küche Anweisungen zu geben.

„Dürfen wir die Karpfen streicheln?“ „Geht nur.“ Vergnügt zogen die beiden Kinder ab und strahlten dabei vor Freude.

„War eine gute Idee, Tom.“ „Ja, finde ich auch.“ „Ich bin gespannt, was er uns beiden bringt. Wenn du ihm die Wahl überlässt, haben wir immer Sachen bekommen, die so nicht auf der Speisekarte stehen.“ „Nur, wenn es mittags halbwegs ruhig ist.“

„Für dich reißen sie sich hier ein Bein aus. Dabei steht nichts davon in Michaels Dorfblatt …“ „Falls Michael jemals schreibt, wo Phil Williams gern isst, kaufe ich sein Dorfblatt auf und würge es ihm samt Druckmaschinen in den Hals.“

Das war zwar eine leere Drohung, denn er würde Michael Röttger niemals verklagen, doch Leona wusste auch, dass er wegen Falschmeldungen schon mit Klagen gegen Zeitungen vorgegangen war und sein Anwalt David Blumenstein ihm horrende Summen erstritten hatte. Michael würde er eher über das Squash-Feld treiben und an einem einzigen Abend selbst völlig entspannt fertig machen, dachte sie und verzog den Mund.

„Tommy“, schmeichelte sie. „Na?“ „Die Kinder sind gerade beschäftigt … Ihr seid doch Mitte Juli in Los Angeles, nicht?“ „Ja. Wir wohnen bei Lorry … wieso? Willst du dich auch bei meiner Schwester einfinden?“ „Gibst du Fred bitte am 15. … frei?“ Sie biss sich auf die Lippe. „Was soll ich tun?“ „Fred frei geben. Am 15. Juli.“

Nachdenklich musterte Tom ihr ernstes Gesicht. Das war ihr wichtig. Dennis war nun schon zehn Jahre tot, Janes Todestag lag sechs Jahre zurück.

„Ja“, sagte er leise: „Natürlich. Er bekommt einen freien Tag.“ „Und mach dir keine Sorgen um mich.“ „Was denkst du?“ „Ob in deinem Kopf jetzt wieder der leidige Kampf losgeht. Ich habe nie vergessen, was du gesagt hast.“

Ihre „zweite Wahl“ hatte er sich genannt – und sehr lange darunter gelitten. Noch immer zehrte das manchmal an ihm, so selbstbewusst er sonst auch auftrat. Sie hatte Dennis nun mal vor mehr als 20 Jahren kennen gelernt, lange, bevor sie Tom über den Weg gelaufen war.

Fast zwölf Jahre Ehe, zwei gemeinsame Kinder, der Kampf um die Adoption von Felix … Das Hotel „Zum Sonnigen Garten“ … Es gab viel, das sie auch weit über den Tod hinaus mit Dennis Falkow verband. Damit musste ihr zweiter Mann leben.

„Warum ist das so schwer für dich? Du hast es nicht nötig“, sagte sie mit sehr sanfter Stimme. „Ich kann’s nicht ändern.“ „Nein. Ich weiß. Findest du denn, dass ich zu sehr an der Vergangenheit klebe?“ Er schüttelte den Kopf.

„Tom, bitte. Ich kann es nicht aushalten, wenn du so traurig guckst. Ich liebe dich so sehr – für alles, was du tust. Gerade heute. Es gibt niemanden, der so mit dieser schauderhaften Mittagspanne umgehen könnte wie du. Ich verhunze dein liebevoll vorbereitetes Essen. Statt sauer zu sein, schleppst du uns hierher …“

Er zuckte mit den Schultern: „Ist doch nichts Besonderes, Leo.“ „Doch. Für mich schon. Denn du hättest mir böse sein können. Aber du lachst und küsst mich und freust dich auch noch über Chaos.“

Ein kleines Licht blitzte nun doch wieder in den ernsten braunen Augen auf. Jäh sprühten die Goldfünkchen: „Ehrlich, Leo, es war reichlich komisch, wie du da gewettert hast … in dieser Ausdrucksweise.“ Sie lächelten sich an.

Ein paar Tage später reisten sie schon: Tom, Rena und Fred. Zini zog in das Sekretariat im Hotel ein und ersetzte für die nächsten Wochen Valentina, die in Mutterschutz ging. Leona hatte viel Spaß daran, mit ihrer Tochter zusammen zu arbeiten. Sie lachten und alberten herum, während sie sich gemeinsam durch die Büroarbeit wurschtelten. Noch konnten sie Valentina anrufen und fragen, wenn sie nicht zurechtkamen.

Bei der Vorbereitung und den Proben für die Tournee war Tom der Boss – und unerbittlich. Er bestand auf einer Präzision, die seinen Mitstreitern auf der Bühne und dahinter einfach alles abverlangte. Als Perfektionist trieb er seine neue und sehr junge Truppe gnadenlos an.

Es war gar nicht daran zu denken, einmal etwas in der Stadt zu unternehmen, wie Rena gehofft hatte. Die Proben erschöpften sie völlig und kosteten mehr Kraft als jemals erwartet. Einmal schlief sie beim Abendessen ein, was Tom kurz danach am Telefon lachend Leona schilderte.

„Wirklich? Sie hat einfach den Kopf auf den Teller gelegt?“ „Zum Glück auf ein Schinkenbrot und nicht auf Marmelade. Fred konnte sie vor Lachen kaum hochheben. Das war ein Abend …“ „Du treibst sie vielleicht zu sehr.“ „Ach, sie ist jung. Das kann sie ab“, wischte Tom die Bedenken beiseite.

Mit einem leisen Seufzer registrierte Leona sein Benehmen. Das war ganz der Star, nach dem sich alle zu richten hatten.

„Du kennst auf der Bühne keine Verwandten, hm?“ „Wie bitte? Sie ist wie alle …“ „Tom, sie hat viel durchgemacht die letzte Zeit.“ „Sie hat einen bindenden Vertrag unterschrieben. Jetzt muss sie etwas leisten. Leo, sie singt dermaßen gut … Aber sie geht es zu lasch an. Das ist eine Show und keine Familienfeier.“

Seufzend versuchte Leona, ihn zu etwas mehr Einsicht zu bringen: „Musst du sie unbedingt auf die Bühne peitschen?“ „Ja. Ich will sie neben mir haben, nicht in diesem Chor. Und ich halte das Tempo auch durch und bin schließlich fast 30 Jahre älter als das Mädel.“

Das traf zu. Also fragte sie nur trocken: „Macht ihr jemals Pausen?“ „Wenige“, gab er zu: „Es ist auch genug Essbares da. Das Programm sitzt aber noch nicht, die Lichttechnik ist noch nicht komplett abgestimmt, und die Choreografie … ich habe Benji gefeuert und kümmere mich jetzt selbst darum. Ich arbeite nicht weniger als der Rest. Eher mehr.“

Daran zweifelte Leona keine Sekunde und sagte es ihm sofort. Allerdings wies sie ihn auch darauf hin, wie ungewohnt diese Arbeit für ihre Tochter war. Der fehlte die Erfahrung, die es leichter machte, die Bühnenroutine …

„Hat sich Rena bei dir über meine Anforderungen beschwert?“ „Nein. Sie läuft nicht mehr zu ihrer Mama, wenn etwas ist. Und du willst wirklich, dass sie bei einem Lied neben dir steht, neben dem Superstar – als ob sie seit Jahrzehnten dabei wäre, dass sie singt und tanzt und auftritt wie ein Profi?“

Am anderen Ende der Leitung in Los Angeles protestierte ihr Mann energisch gegen die Unterstellung: „Leo, bitte! Sie ist Profi. Und ich will mehr als das. Mehr als ein Lied. Sie soll knapp die Hälfte mit mir bestreiten. Sie ist unglaublich talentiert … Das Mädchen ist der reine Wahnsinn!“

Verblüfft starrte Leona einen Moment auf den Telefonhörer. Dann presste sie ihn wieder ans Ohr. „Was heißt das denn?“ „Sie hat mit einem Lied angefangen, das stimmt schon. Aber im Lauf der Proben … Ich habe noch nie mit so einem talentierten Partner gearbeitet. Selbst David Blanasi konnte das nicht liefern, was die Kleine ohne Mühe drauf hat.“

Sein Enthusiasmus schwang überdeutlich mit. „Moment mal … ist das gerade … Phil Williams featuring Serena Falkow?“ „Anissa S.“, korrigierte Tom heiter. „Oh. Du machst einen Star aus ihr?“

Als Mutter war sie entsetzt, wenn sie an die Folgen dachte. Aber ihr Mann – Stiefvater dieser Begabung – sah das natürlich etwas anders.

„Das macht sie schon selbst. Na ja, sie rafft es noch nicht so richtig … Sie hält es für normal, was wir tun. Und nicht mal mein Chor ist eifersüchtig. Alle beglückwünschen sie. Das Orchester, die Techniker … sie beten sie an. Fred guckt natürlich skeptisch, aber er sagt nichts.“

„Nein, er hat ja genug damit zu tun, sie von ihrem Schinkenbrot zu heben und ins Bett zu schaffen“, spöttelte Leona frech: „Pass bloß auf, dass du nicht auch noch mit der Nase auf den Teller krachst.“