Liebe Familie 9 - Linda Fischer - E-Book

Liebe Familie 9 E-Book

Linda Fischer

0,0

  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Rena Falkow erwartet ihr erstes Kind, und die Familie ist schon sehr aufgeregt. Leona und Tom werden Großeltern, aber trotz Baby wird die nächste Tournee geplant. Und diesmal soll Leona - als Babysitter - sogar teilweise mit. Eine Überraschung bietet der Familie Renas jüngere Schwester Cynthia - aber damit werden alle fertig, und die junge Frau zieht um von Berlin nach Hannover ...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 499

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch:

Rena erwartet ihr Baby und muss noch einige Aufregungen ertragen, bis es endlich so weit ist. Leona und Tom werden also Oma und Opa und finden das ganz wunderbar. Ihre Kinder freuen sich über die neue Würde als Onkel und Tanten, vor allem Tessa. Endlich ist die Jüngste mal „die Große“ und dann auch noch Tante! Was könnte schöner sein?

Zini darf ihre ersten Erfahrungen als Dozentin sammeln, als sie ihren Mentor Paul Gillessen an die Universität von Santiago de Chile begleitet. Da sie sich „mausgrau“ gemacht hat, kommt sie ohne lästige Bewunderer gut durch und brilliert nur mit ihrer Intelligenz. Dennoch neigt auch die schlaue Schöne zu mancher Dummheit, die dann ihr Leben nachhaltig beeinflusst.

Die Fußballfans Felix und Jason müssen eine traurige Nachricht verkraften, doch die Binsenweisheit vom Leben, das weiter geht, trifft auch auf sie zu.

Das und noch mehr erwartet Sie diesmal in Linda Fischers Roman-Reihe „Liebe Familie“.

Impressum:

Liebe Familie – Teil 9: Kindersegen

Linda Fischer

Copyright: © 2016 Linda Fischer published by: epubli GmbH, Berlin www.epubli.de

Für Claudia

Handlungsorte und Personen

Hotel „Sonniger Garten“ in einem kleinen Ort in Niedersachsen

Leona Reuenthal, Besitzerin des Hotels

Thomas Reuenthal, genannt Tom, ihr 2. Mann, Sänger „Phil Williams“, Deutsch-Amerikaner

Dennis Falkow, ihr 1. Mann, verstorben 1997

Susanne Falkow, verstorbene Schwester von Dennis und Ex-Frau von Mats Kristiansson

Die Kinder

Felix Anton Falkow, adoptiert von Leona und Dennis, erwirbt gerade Doktor-Titel

Anissa Serena Falkow, genannt Rena, studiert Musik, Englisch und Geschichte auf Lehramt, Künstlername: Anissa S.

- Frederick Gabriel Myers, Renas Mann, führt Detektei in Hannover, US-Amerikaner, leitet für Tom die Tournee und übernimmt Sicherheit

Cynthia Falkow, genannt Zini, studiert Geologie in Berlin, Hauptziel Erdbebenforschung

Samantha Reuenthal, genannt Sam, Toms Adoptivtochter, Fotografin

- Markus Reuenthal, ihr Mann, unterrichtet Literatur an englischer Universität

Jason Reuenthal, genannt Jace, Toms Sohn

Tessa Nadine Reuenthal, Tochter von Leona und Tom

Hotelangestellte und Freunde

Marion Roske, Rezeption

- vertreten von Frau Herder, Aushilfe

Sylvia Hauke, Restaurantchefin

- Roswin Kober, ihr Lebensgefährte

Yu-Lan Vogelsang, Mitarbeiterin im Restaurant

- Volker Vogelsang, ihr Mann, Förster und Schulfreund von Tom

- Nadja und Tabea, beider Kinder, befreundet mit den Falkow- und Reuenthal-Kindern

Helgard Hermans-Nathmann, Küchenchefin und hauptamtliche Köchin

- Rüdiger Nathmann, ihr Mann

Stefan Linacker, Konditor

Olivia Trautmann, Hausdame

Jörn Trautmann, ihr Mann, Hausmeister

- Jan-Oliver Trautmann, ihr Sohn, verliebt in Tabea Vogelsang

Doris Röttger, Zimmerservice

- Michael Röttger, ihr Mann, Journalist, führt das „Dorfblatt“ – die Ortszeitung

- Michael Dennis Röttger, ihr Sohn, Soldat

- Isabell Röttger, ihre Tochter, Freundin und „Zwilling“ von Zini

Rosalba Inez, Barfrau und Rezeptionistin

Valentina Harms, Sekretärin

- Edzard Harms, ihr Mann, Landwirt

Silvia Holzschuh, Verkäuferin im Wellness-Lädchen des Hotels

- Uwe Holzschuh, ihr Mann, Polizeibeamter

Außerdem Hotelgäste im „Sonnigen Garten“

Verwandte der Familie Falkow-Reuenthal, weitere Freunde und Bekannte

Monika und Winfried Sebald, Leonas Eltern

Elisabeth Schmöck, Toms Ex-Frau

Ferdinande und Rüdiger Schmöck, deren Eltern in Hamburg

Fiete, Fischlieferant des Hotels in Hamburg

Olaf Bastius, Polizist in München, Verlobter von Isabell Röttger

In Schweden

Mats Kristiansson, Ex-Schwager von Leona und Dennis, Hotelbesitzer, Stockholm

- Liv Kristiansson, seine 2. Frau

- Lorena und Astrid, beider Töchter

Maria Kristiansson, Mutter von Mats

Hans Mjölsson, Sicherheitschef der Sigvald-Hotelkette

Viktor Halvorson, ehemals Bodyguard, arbeitet jetzt für Sigvald-Hotelkette

In den USA

Allison Reuenthal, Toms Mutter, lebt bei Napa, führt Weingut der Familie

Jennifer May Cowin-Reuenthal, genannt Jenny, Toms älteste Schwester

Ingrid Lorraine Walsh-McPherson, genannt Lorry, Toms 2. Schwester

Barbara Catherine Johnson, genannt Kitty, Toms 3. Schwester

Tobias Nick Reuenthal, genannt Nicky, Toms kleiner Bruder

Simon Miller, Bruder von Allison Reuenthal

Kendra Caroline „Casey“ Sysmanek, Leiterin des Weingutes der Familie Reuenthal

- John, ihr Mann, Sheriff in Napa

- Opal, studiert Weinbau, Rafael und Jacob, ihre Kinder

Jane Myers, 2001 verstorbene 1. Frau von Fred Myers

Rachel und Aaron Goldstein, Freunde von Tom, Renas Gasteltern in New York

Mary Robinson, Sopranistin, Freundin von Rena

George Paginsky, Balletttänzer, Freund von Rena

Renas afroamerikanische Jazz-Band aus New York:

- Timmy Smith, Schlagzeug

- Ron Weethley, Kontrabass

- Cal Dizzie Bones, Klarinette und Gitarre

US-Marines, u.a. Commander McPhae

Im niedersächsischen Dorf rund ums Hotel

Oskar Hirbisch, evangelischer Pastor im Ruhestand

Albrecht Bicknäse, Pastor

Nicole Tarrach, Freundin der Falkow-Schwestern, Medizinstudentin

Kristina Kyrkanson, Freundin der Falkow-Schwestern, Gemeindeschwester

Daniela Proll, Schwester von Markus Reuenthal

- Eltern Proll leben bei Dresden

Ruben Düster, Freund von Jason Reuenthal

- Hannah Düster, seine Schwester

- Mascha und Johannes Düster, deren Eltern

Richard „Ricky“ Müller, Ex von Zini und inzwischen auch Ex von Isabell Röttger

Weitere Bekannte in Niedersachsen, Berlin, Chile …

Torsten Wölz, Erdbebenforscher und Freund von Zini

Irene Wölz, Schwester von Torsten, Freundin von Zini

Sven, Irenes Freund in Berlin

Rita Wölz, Irenes Mutter

Anna, Mitschülerin von Tessa

Nico, ehemaliger Mitschüler der Falkow-Schwestern

Bärbel Waltherr, Studentin in Berlin

Carlo Montoya, Mitarbeiter der Erdbebenforschung in Santiago de Chile

Frida Corazón Gonzales, Mitarbeiterin der Erdbebenforschung in Santiago de Chile

Carola Lehmann, Mitarbeiterin der Erdbebenforschung in Santiago de Chile

In Hannover

Günter Fitzmann, Angestellter der Detektei von Fred Myers, später Partner

- Helene Videra, seine Freundin

Lisbeth Grämmel, Mitte 40, Sekretärin in der Detektei

- ihr Ehemann und ihre beiden Kinder (Tochter Ira)

Mandanten der Detektei

Joachim „Achim“ und Birgit Tannert, Nachbarn

Margot Kanter, Nachbarin

Laura und Emma, Nachhilfeschüler von Rena Falkow

Robert, Silvio, Marius und Anna, deren Mitschüler

Matthias Reitz, möchte auch Nachhilfeschüler werden

Frau Fallersleben, Nachbarin von Cynthia Falkow

Sonja, Musikstudentin

Sandra, Violinistin

Marcel, Bassist

Benno, Schlagzeuger

Daniel Müller, Kriminalbeamter am LKA in Hannover und Freund von Fred Myers

- Susanne Müller, seine Frau

- Fabian und Bianca, ihre Kinder

Professor Paul Gillessen, Geologe und Mentor von Zini Falkow

- Anna Gillesen, seine Frau

Dr. Oliver Klimmer, Hausarzt von Rena Falkow

Milena Kurtz, Friseurmeisterin in Hannover

Micky, ein Drogenabhängiger

Rattengesicht-Peter – Spitzname eines weiteren Kleinkriminellen

Polizeiobermeister Harald Baumgart

Polizistin Emine Uludagh

Polizeiarzt Andreas Funke

sowie die werdenden Eltern Gitta und Martin Seewald, Beate und Roger sowie Annika und ihre Schwester Allegra Winter, außerdem Hebamme Bieroffka

Europa-Tournee II

David Blumenstein, Toms Anwalt und Freund, bereitet Tournee vor, Bruder von Rachel

Patricia „Pat“, Sängerin im Background-Chor

Gloria, Sängerin im Background-Chor

Betty, Tänzerin

Marietta, Tänzerin

Bob, Cello

Walter, Trompete

Gordon, Violine

Eliza und Ben – ebenfalls im Orchester

Susan „Suzy“, Beleuchtung

Grace, Tontechnik

Joseph Brian, Tontechnik

Gordon, Tontechnik

Bill, Bodyguard

Georg, Bodyguard

Paul, Bodyguard

Phillip, Bodyguard

Monica, Bodyguard

Ruth, Bodyguard

Stevie, Bodyguard

Jim, Fahrer

In Moskau:

Alexej Wassilikov, genannt Aljoscha, Violinist – Studienfreund von Rena Falkow

Nadja Androwna, seine Schwester

Zini trottete mit ihrem Gepäck hinter Paul Gillessen her. Sie war froh, als alles auf dem Gepäckwagen untergebracht war. Freiwillig übernahm sie das Schieben und sah sich um: Das also war der Flughafen von Santiago de Chile.

„Lassen Sie mich das machen, Kind.“ „Nö. Ich bin Ihr Assi. Ich mache das. Nützlicher Packesel“, erklärte sie streitbar, grinste und korrigierte: „Pack-Lama.“

Ihre grauen Augen glitzerten vor Vergnügen. Paul Gillessen schmunzelte und überließ es ihr. Er amüsierte sich ohnehin köstlich über ihr verändertes Aussehen.

In einem Anfall von Übermut hatte Cynthia Falkow, das schönste Mädchen, das ihm jemals über den Weg gelaufen war, ihre weißblonde Mähne kurz schneiden lassen und in einem hässlichen Mausbraun eingefärbt. So wirkten ihre grauen Augen seltsam farblos – und waren zudem hinter einer altmodischen und extrem hässlichen Hornbrille mit Fensterglas versteckt. Diese Brille hatte ihre Mitbewohnerin Irene Wölz zum Outfit als „hässliches Entlein“ beigesteuert.

Allerdings zuckte Zini jedes Mal zusammen, wenn sie zufällig ihr Spiegelbild sah. Mitunter bereute sie, was sie angestellt hatte. Andererseits sprachen sie normalerweise ständig junge Männer an – und das unterblieb jetzt. Die Ruhe um sich herum empfand sie als recht angenehm.

Neugierig schaute sie sich weiter um. Es gefiel ihr – Santiago de Chile zeigte an diesem Tag einen wolkenlos blauen Himmel, die Formalitäten verliefen rasch und problemlos.

„Wenn der ganze Herbst hier so ist, wow“, lobte sie während der Fahrt durch die Stadt und wusste gar nicht, wohin sie zuerst blicken sollte. Paul Gillessen lachte.

„Frühling, Kind.“ „Was? – Ach, Mensch, ja, südliche Halbkugel. Auf dieser Seite war ich noch nie“, entschuldigte sie ihren Lapsus: „Cool, dann ist das Norden – weil da die Sonne mittags ist? Mama hat davon erzählt, aus Australien, aber ich hatte hier irgendwie nicht damit gerechnet …“

Ihr fiel der heitere Seitenblick ihres Professors auf, und sie lachte ebenfalls.

„Ich rabbele einfach so los … Sie müssen denken, ich habe gar kein Benimm gelernt.“ „Meine Kinder sind in deinem Alter, also bin ich daran gewöhnt“, tröstete er spöttisch. „Ich beweise Ihnen schon noch, dass ich nicht total verblödet bin“, konterte Zini frohgemut und zwinkerte.

Das erwies sich schon, als sie die Uni-Wohnung bezogen. Zini pfefferte ihre Sachen schleunigst in ihr Zimmer und kümmerte sich sofort um Tee für sich und ihren Professor. Während er noch auspackte, inspizierte sie bereits die Küche und überprüfte den Inhalt des Kühlschranks, in dem neben Brot, Gemüse und Fleisch auch eine Flasche Wein mit einem angehängten Willkommensgruß lag.

„Alk haben wir schon mal“, rief sie vergnügt und brachte ihm den Zettel. „Vielleicht nicht unbedingt für heute Abend, Zini.“ „Nein, nein, erst mal akklimatisieren. Schon klar, Herr Professor Gillessen. Und selbstverständlich ist die Flasche für Sie gedacht – ich habe nur einen Witz gemacht.“

„Als unsere erste Maßnahme … ah, es gibt Tee, sehr gut … Also, stoßen wir damit an, und Sie gewöhnen sich die umständliche Anrede ab. Auf Du und Du, Zini.“ „Aber Sie siezen mich doch die ganze Zeit.“ „Und sage seit Jahren Zini wie deine Familie. Und oft genug versehentlich Du. Also – ich bin Paul.“

„Ich kriege das im Leben nicht hin, einfach Paul zu sagen. Und was denkt Ihre Frau darüber?“ „Meine Frau heißt Anna, wie du weißt. Und ich habe das schon vor Wochen mit ihr besprochen, dass wir dich sehr gern mögen und dir das Du anbieten wollen.“

Das klang sehr beruhigend. Zini fühlte sich gleich besser, stellte sie etwas verdutzt fest. Paul Gillessen begann zu lachen, als er ihre sichtliche Erleichterung seiner Aussage wegen erkannte.

„Kind, was du so denkst …“ „Was Mädchen eben denken …“, murmelte sie mit einem Achselzucken.

„Ja, davor hat Anna mich gewarnt. Du könntest mein Angebot, wenn ich es dir ohne sie mache, völlig missverstehen.“ „So ist das nicht“, verteidigte sich Zini und musste nun auch lachen.

„Wenn es dir unangenehm ist, kannst du uns ja als Onkel und Tante ansehen.“ „Ach, das gefällt mir gut …“ „Unsere Kinder sagen übrigens schon sehr lange Anna und Paul, also … wenn es dir dermaßen schwer fällt … Anna meinte, du seist leicht als Nichte anzusehen. Aber – ehrlich gesagt – im Moment habe ich keine Befürchtung, dass mir ein paar hitzige Chilenen deinetwegen auflauern könnten.“

Mit dieser Bemerkung weckte er unweigerlich Zinis stets bereiten Witz: „Ja, ich bin wirklich pottenhässlich mit dieser Ätzbrille, schlabberiger Look und Maushaare dazu – da muss ich mich echt selbst erst mal dran gewöhnen.“

Paul Gillessen lachte schallend und ließ sich auf den nächsten Küchenstuhl fallen. „Hässlich bist du nicht, Kind. Ein bisschen unscheinbar vielleicht. Na, was ist mit der Anrede?“

Nach kurzem Überlegen nickte sie. „Ich … wenn ich Onkel Paul sagen darf? Ich glaube, das wäre okay.“ Dann kicherte sie und fügte hinzu: „Würde Mama auch beruhigen, oder?“

„Apropos. Hast du schon Nachricht an deine Eltern gegeben, dass wir gut in Santiago angekommen sind?“ „Da ist es doch Nacht.“ „Schick trotzdem wenigstens eine SMS. Dann sehen sie es gleich in der Frühe. Ich schicke auch eine an Anna.“ Damit war Zini gern einverstanden.

Zu ihrer großen Freude kam sofort eine Antwort, als sie die SMS an Tom abgeschickt hatte. Er hatte offenbar damit gerechnet und das Mobiltelefon über Nacht eingeschaltet gelassen. Den wenigen Worten war anzumerken, wie lieb alle daheim Zini hatten. Als Gruß stand: Küsschen von Mama, Papa, Jace und Tessa.

Das las sie vor, und ihre Stimme schwankte dabei etwas vor Rührung.

„Du bist sehr weit weg von daheim, hm?“ „Ja. Ich war noch nie so weit weg von ihnen. Also, wir waren in Kalifornien, aber da ist ja Oma Ally, und das ist Familie. Aber so wie jetzt – ganz allein ohne sie …“

Die schönen grauen Augen leuchteten, während sie auf den kleinen Bildschirm ihres Mobiltelefons sah und die wenigen Zeilen noch einmal stumm überflog.

„Ruf sie an. Wenn er so schnell antwortet, sind sie wach“, empfahl Paul Gillessen. Zini schaute ihn versonnen an, nickte dann aber.

Es war ein ganz anderes Leben in Chile. Die Stadt war anders als alles, was Zini kannte. Die Natur überraschte sie ebenfalls. Nichts passte zu dem, was sie schon ihr ganzes Leben lang kannte.

Leicht fiel ihr die Haushaltsführung, und auch als Sekretärin hatte sie inzwischen Erfahrung – aus dem Hotelbüro. In Berlin beim Studium wie auch während des Ferienjobs bei ihrer Mutter hatte sie viel gelernt, das sie jetzt anwenden konnte. Manches belustigte sie im Zusammenleben mit ihrem Professor.

Zwar lebte sie mit einem Mann in einer Wohngemeinschaft, aber er war um etliches älter als sie – und seine Frau hatte ihm Alltägliches ferngehalten. Paul Gillessen hatte keine Ahnung, wie die Waschmaschine funktionierte. Wenn er den Geschirrspüler einräumte, ging garantiert mindestens ein Teil kaputt. Nach den ersten Fehlversuchen passte Zini auf, solche Dinge selbst zu erledigen.

Mit der Frau, die zum Putzen kam, konnte Paul Gillessen kaum sprechen. Er kam nicht im geringsten mit ihrem Dialekt klar. Zini dagegen machte gerade diese Herausforderung besonders viel Spaß.

Manchmal fanden sie ihre Wohngemeinschaft schwierig – Zini bezeichnete ihn zumindest ihrer Schwester gegenüber als „total verwöhnt“. Dafür nannte ihr Professor sie „unerfahrenes Kind“, wenn er mit seiner Frau sprach und wieder mal das Essen nicht nach seinem Gusto gewesen war.

Auf einem Gebiet allerdings verstanden sie sich großartig. Beide waren sie brennend an den Geowissenschaften interessiert. So verfolgten sie mit großem Interesse die Nachrichten und sämtliche Informationen über die Seebeben und Erdbeben im Südpazifik um Asien, wo sich Erdplatten verschoben.

Noch nie hatte Zini mit so vielen Leuten über Plattentektonik diskutiert – und schon gar nicht auf so hohem Niveau. Denn durch ihren Professor kam sie in Kreise, die weit außerhalb studentischer Anfänge lagen. Der Gedanke an die Verschütteten rund um Padang und Ertrunkene auf Samoa nach dem Tsunami mochte sie erschüttern und entsetzen, aber die Forschung erwies sich als genau das, was sie brauchte und was sie sich seit langer Zeit erträumt hatte.

„Ich sollte dich direkt an die Bundesanstalt für Geowissenschaften vermitteln“, stellte Paul Gillessen in einer Nacht fest, in der sie gemeinsam vorm Computer saßen und Daten auswerteten. Zini streckte sich kurz und winkte heiter ab.

„Doch nicht schon mitten im Studium.“ „Dein analytischer Verstand ist Gold wert. Du warst schon immer eine besondere Begabung, und gerade für dieses Fachgebiet … Selbst damals im Ries schon, als Schülerin.“

Das hohe Lob freute Zini sehr. Dennoch widersprach sie: „Ich bin jetzt aber im wirklichen Leben nur dein Famulus, deine Haushälterin und nebenbei Studentin. Und das nur, weil Tante Anna nicht hierher mitkommen wollte und meinte, selbst eine Aushilfsköchin wie ich könnte dir helfen. Und ich lerne noch mehr als in einem Uni-Semester. Mensch, ich hätte es doch höchstens als Putze in die Potsdamer Station geschafft. Oder als Tellerwäscherin in die Göttinger Erdbebenwarte. Das hier ist viel besser. Privatunterricht geradezu.“

Darüber schmunzelte ihr Professor. „Ja, finde ich auch gut. Mit so einer talentierten Person wie dir, Zini. Hast du inzwischen wieder mal was von deiner Schwester gehört – wie es ihr geht? Ich weiß, du machst dir Sorgen.“ „Rena geht’s prima. Simst sie jedenfalls.“ „Ruf sie am Wochenende an.“ „Ja, zu irgendwas muss meine Telefonkarte ja benutzt werden.“

Nachdenklich musterte er sie von der Seite. „Wenn du mehr Taschengeld brauchen solltest …“ „Nein. Ach, Onkel Paul, du denkst doch nicht, ich verschwende Geld? Ich komme prima klar, wo du doch das Essen bezahlst.“ „Dafür führst du ja auch diesen Haushalt.“

Das Gespräch hatten sie schon mehrfach hinter sich gebracht. Paul Gillessen fand, die junge Frau brächte sich ausreichend mit ihrer Arbeitskraft ein, da sei es an ihm, die Kosten für den Aufenthalt zu übernehmen.

„Und du führst ihn übrigens inzwischen ziemlich perfekt. Ach, hier, das Geld für die nächste Woche.“ „Onkel Paul, du zerstreuter Professor, das hast du mir doch beim Frühstück schon auf den Tisch gelegt!“ „Ja, gut, ähm … dann werte das hier für deine Dissertation aus.“ „Meine Magisterarbeit“, verbesserte sie lachend.

„Zini … warum machst du da nicht gleich deine Dissertation draus? Könntest du tun. Material ist genug da, Thema …“

Er sah ihren verwunderten Blick und schmunzelte. „Mein liebes Kind, du bist allen anderen Studenten weit voraus. Ein gutes Jahr noch, dann kannst du wirklich damit anfangen. Wenn du so konzentriert dabei bleibst.“

„Ups“, machte sie verdutzt. Dann strahlten ihre Augen, und sie umarmte ihn spontan. „Danke, Onkel Paul. Das ist das schönste Kompliment meines ganzen Lebens.“

***

Als Fred ins Wohnzimmer kam, lag Rena ausgestreckt auf dem Fußboden, die Hände auf dem Bauch, mit geschlossenen Augen. Er musterte sie aufmerksam und sprach sie mit leichter Sorge an, die er zu verbergen versuchte: „Serena?“

„Es zappelt“, flüsterte sie kaum hörbar.

Kommentarlos setzte er sich neben sie. Rena schlug die Augen auf: „Im Moment ist es ganz still. Aber eben … Ich glaube, es wartet wie ich. Gleich tupft es bestimmt wieder los. – Hallo, Fred. Hattest du Erfolg? Bist du sehr nass geworden?“

Darauf antwortete er zwar, aber es erschien ihm nebensächlich. „Ja, beides. Erfolg. Und nass. Wie …“, er stockte und schüttelte den Kopf. Sie ahnte, welche Frage er gerade bemüht taktvoll unterdrückte.

„Du willst wissen, wie es sich anfühlt?“ Fred nickte wortlos.

Einen Moment überlegte die junge Frau. „Hattest du schon mal einen Schmetterling in den hohlen Händen? Es flattert. Nicht so schnell. Aber es ist wie ein zartes Flattern, eine Berührung von ganz feinen Flügeln.“

Mit ernstem Gesicht sah er auf sie herunter. Rena zog eine seiner Hände auf ihren Bauch: „Ich denke, es ist noch zu leicht, und du wirst es kaum fühlen. Falls es sich wieder bewegt. Aber …“

Sie stemmte sich hoch und setzte sich auf: „Du hast nie einen Schmetterling am Fenster gefangen, um ihn in die Freiheit nach draußen zu retten, oder?“

Er schüttelte ruhig den Kopf. „Nein.“

Rena nickte bedächtig. Manchmal vergaß sie bei seiner steten Fürsorge, wie unterschiedlich sie aufgewachsen waren.

„Gib mir deine Hand. Ich zeige dir, wie sich unser Baby meldet“, versprach sie liebevoll. Fred lächelte bei ihrer zarten, kaum spürbaren Berührung, die kaum ein Kitzeln in seiner Handfläche verursachte.

„So wenig?“ „Ich sage ja, du wirst es kaum fühlen können. In ein paar Wochen tritt es aber richtig. Irgendwann beult sich dann mein Bauch aus. Dann hast du mehr davon. – So, jetzt erzähl mal von der Jagd. Musstest du viel frieren im Regen?“ „Es ging. Die drei Tage sind mir allerdings lang geworden.“

Das gestand er selten ein. Rena rückte näher, um ihn zu küssen.

„Ich habe dich auch vermisst“, wisperte sie zärtlich. „Du hattest doch deine Nachhilfeschüler. Und wolltest Äpfel einkochen.“ „Birnen auch“, sie lachte leise und schmiegte sich an: „Jetzt sind aber Herbstferien. Keine Schüler mehr. Mehr Zeit für dich. Ach … herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“, fiel ihr dann ein.

Mit einem fröhlichen Lachen drückte Fred sie an sich. „Daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Ist tatsächlich schon wieder 2. Oktober?“ „Ja, du Komiker. Dass ich das nicht sofort … Dabei habe ich den ganzen Tag so gewartet. Aber dann kam das hier …“ „Macht nichts.“ „Genau, macht nichts. Jetzt bist du ja da, Gabriel.“

Nach ein paar Küssen bog sie sich zurück: „Moment. Bevor ich es noch vergesse …“ „Du hast mir gratuliert“, erinnerte er sie sanft. Rena kicherte.

„Weiß ich. Magst du an einem Freitagabend um diese Zeit …“, ein rascher Blick auf die Uhr: „Elf? Okay. Magst du eine Stunde vor Mitternacht noch Apfelkuchen? Ich koch‘ dir auch Kaffee. Hast du überhaupt heute schon gegessen?“

„Apfelkuchen mag ich immer“, antwortete er gelassen und half ihr auf. „Wenn du so ausweichst, denke ich, ich sollte lieber ein Schnitzel durch die Pfanne jagen.“ „Nein. Nicht nötig. Lieber den späten Geburtstagskaffee, Serena.“

„Vorab Bratkartoffeln, hm? Ich habe Putenschnitzel. Eigentlich fürs Wochenende. Aber da kann ich auch etwas aus dem Tiefkühl nehmen. Komm, du brauchst eine anständige Mahlzeit. Ich weiß ja nicht mal, woher du kommst“, sie zog ihn an der Hand mit sich Richtung Küche.

Lachend ließ er es sich gefallen. „Aus München. Da war es übrigens wärmer als hier in Hannover. Und bevor du fragst: Ich habe den Kerl geschnappt und der Polizei übergeben. Die kümmert sich um den Rest.“ „Und jetzt: Keine weiteren Fragen?“ „Bitte“, bestätigte er.

Rena gluckste und schaute über die Schulter: „Ich habe aber noch eine?“ „Also gut. Eine. Eine einzige kann ich dir wohl gestatten“, überlegte er heiter.

„Hast du in den letzten drei Tagen überhaupt mal ein Bett gesehen?“ „Gesehen – ja.“ „Gesehen? Mehr nicht? Das erklärt’s.“ „Hm?“ „Du siehst müde aus. Und ich liege hier auf dem Boden. Kein Wunder, wenn ich dich damit erschrecke.“

Etwas betroffen schaute er sie an: „Erschrecken kannst du mich nicht. Wie kommst du darauf?“ „Ich habe diesen Ton gehört. Wie du mich angeredet hast.“

Daran hatte er zu schlucken. Nur die Anrede allein genügt ihr offenbar, um ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Das erschreckte ihn wirklich. Obwohl er ihr Gespür für Nuancen schon aus ihrer Musik kannte, war ihm unheimlich, wie genau sie ihn durchschaute. Inzwischen gelang ihr nicht nur beim Vorspielen auf Klavier oder Geige, genau zu erkennen, was er mochte und was nicht – sie fing auch anderes auf und interpretierte …

„Fred, guck nicht so. Ich liebe dich. Du hast dich da eben dermaßen gebremst und gezügelt allein in den drei Silben. Serena. Und keinen Ton auf meine Antwort gesagt. Nur damit ich nicht mitkriege, wie erleichtert du bist, dass ich okay bin. So war es doch?“ „In etwa“, gab er zu.

Ohne weitere Fragen umarmte Rena ihn und hob den Kopf. Die blaugrünen Augen waren sehr ernst. Das entdeckte sie sofort – und wollte ihn unbedingt beruhigen. Sie lächelte sanft.

„Mein Liebster. Du musst mich nicht vor jedem Windhauch behüten. Ich weiß schon, wie der Notruf geht, wenn etwas nicht in Ordnung sein sollte. Aber dieses Baby ist nett und macht keine Zicken. Die 19. Woche – alles bestens.“ „Es war nur …“ „Ich weiß. Ein Schritt ins Wohnzimmer, und da liege ich. Platt auf der Erde. Das würde jeden noch so vernünftigen Menschen erschrecken.“

An ihrer Haltung an sich war nichts Außergewöhnliches gewesen, und das sagte er ihr auch.

Rena schüttelte den Kopf: „Dein Verstand hat funktioniert. Rational, gletscherkühl, wie immer. Aber …“ Sie zögerte. Fred küsste sie zart: „Ja, genau. Zu viel Gefühl. Dich da liegen zu sehen … wie aufgebahrt …“ „Ich war nur so nach innen konzentriert wegen dieser Schmetterlingsberührung. Ich habe dich nicht mal reinkommen hören.“

Der nächste Kuss unterbrach ihre Erklärung.

Nach einer Weile bog sie sich weg und lachte: „Dir knurrt der Magen – also wirklich! Wenn wir so weitermachen, landest du hungrig im Bett.“ „Mir doch egal.“ „Mir nicht. Ein gutes Geburtstagsessen wird’s auf die Schnelle sowieso nicht, aber wenigstens solltest du satt werden. Bitte!“

Vergnügt schnippelte er die Kartoffeln, während Rena die Kaffeemaschine befüllte und startete. Sie hatten schon immer gern gemeinsam in der Küche gewerkelt und waren längst ein eingespieltes Team. Die Kartoffeln bruzzelten, und sie briet ihm auch noch eins der Schnitzel dazu.

Mit leiser Belustigung beobachtete sie, wie ausgehungert ihr Mann sich auf den Inhalt der Pfanne stürzte. Es schmeckte ihm sichtlich.

„So, jetzt noch der Apfelkuchen“, sie servierte mit eleganter Handbewegung und schenkte gleich noch einen Becher Kaffee nach.

„Rosinen und Zimt“, Fred registrierte es erfreut. Rena kicherte verstohlen über diese befriedigte Feststellung und kommentierte sie sofort.

„Was wohl sonst? An deinem Geburtstag, Fred! Möchtest du Sahne?“ „Nein. Um diese Zeit so üppig essen, das ist schon …“ „Verrückt. Ausnahmsweise. Danach darfst du gleich ins Bett fallen. Ich hoffe, du kannst ausschlafen. Morgen ist schließlich Feiertag.“ „Klar kann ich. Der Tag gehört uns. Der Sonntag auch. Einmal keine Arbeit … Hast du deine Familie eingeladen?“ „Wo ich nicht mal wusste, wann du nach Hause kommst? Nein. Noch Kaffee?“ „Ja, bitte.“

Er genoss es sichtlich. Rena schmunzelte etwas. „Hoffentlich kannst du nach drei Bechern Kaffee schlafen.“ „Garantiert. Jetzt bin ich ja zu Hause.“ Er grinste sie verschmitzt an und zwinkerte.

Verwundert musterte sie ihn. Es sah Fred nicht ähnlich, so eine Bemerkung zu machen. Vermutlich neckte er sie nur. Vielleicht war das ähnlich wie einer der unangebrachten Witze, die er aus ihrer Familie kannte. Darauf musste sie ihn mal aufmerksam machen, überlegte sie heiter.

„Fred, weißt du eigentlich, wie du dich anhörst?“ „Aufgewärmt, trocken und satt?“ „Ja, das auch. Es klingt fast, als ob du nur deswegen unausgeschlafen bist, weil du fern von mir nicht zur Ruhe kämst.“

Für einen Moment verschlug ihm der unverblümte Satz die Sprache. Dann nickte er gemessen. „Zum Teil ist das wohl so. Ich meine … Ich will damit sagen …“ Er hielt inne und überlegte.

Still abwartend ließ sie ihm die nötige Ruhe und Zeit, ohne auf die Fortsetzung zu drängen.

„Ich habe dich vermisst, Serena. Das weißt du.“

Sie sah ihn aufmerksam an und nickte vorsichtig. In diesem Moment hoffte sie auf mehr dieser Art. Genau dazu neigte er nicht gerade. Doch diesmal erfüllte sich ihr unausgesprochener Wunsch.

Nach einer kurzen Pause sprach er weiter. „Dich, dieses Haus, die Musik, aber vor allem dich. Wo du bist … Ich bin nicht wirklich gut in sowas“, unterbrach er sich selbst.

„Doch. Wo ich bin? Was ist damit?“ „Ich weiß es nicht genau. Vielleicht liegt es an unserem Baby. Ich wollte die ganze Zeit über so schnell wie möglich wieder hierher. Du in diesem Haus … Das ist wie … eine …“, wieder zögerte er kurz, um es dann entschlossen hinter sich zu bringen: „Eine verdammt alberne Postkartenidylle. Nein, wie ich hier rede. Lach mich ruhig aus.“

Das hätte Rena nie getan. „Ach, Fred, ich bin viel zu glücklich, dass du so empfindest. Dass du unser Haus als Heim ansiehst. Denn deine Heimat ist hier nicht wirklich.“ „Heimat? Woher soll ich wissen, was Heimat ist? Etwas sehr Deutsches, oder?“ „Das ist das, wo du dich zu Hause fühlst.“ „Dann hier. Ich habe bislang nicht drüber nachgedacht, meine Staatsbürgerschaft zu ändern – du ja auch nicht.“

Damit schnitt er ein neues Thema an, das Rena mit einer raschen Handbewegung buchstäblich in den Hintergrund schob: „Nebensächliches Detail, Fred. – Du sagst, du bist hier zu Hause?“

„Wo denn sonst? Hier habe ich alles. Dich. Die Familie. Freunde. Nachbarn. Den Job, die Kollegen nicht zu vergessen. Ich habe so viel hier bei dir. Und durch dich, sollte ich wohl sagen. Das hatte ich vorher nie. Und ich weiß sehr wohl zu schätzen, wie groß dein Anteil daran ist …“

Er hob ergeben die Hände: „Es entwickelt sich zu einer Art Bandwurmsatz, oder? Ich kann nicht gut mit Gefühlen.“ „Du kannst schon. Nur drüber reden ist nicht so deins. Aber ich habe es verstanden. Außerdem bist du sicher zu müde … Also Schluss erst mal.“

Sie nahm sich vor, ihn wirklich ausschlafen zu lassen, und zog sogar das Rollo herunter, um mögliches Sonnenlicht dann am Morgen zu dämpfen.

Fred wachte kurz vor Mittag auf und sah erstaunt auf die Uhr. Er mochte kaum glauben, zwölf Stunden am Stück geschlafen zu haben. Aber er fühlte sich ausgeruht und zu allem bereit.

Als er aus dem Bad kam, saß Rena auf der Bettkante und strahlte ihn an: „Hallo. Guten Morgen.“ „Guten Morgen? Das ist ja wohl ein Witz. Warum hast du mich nicht geweckt?“ „Das habe ich einfach nicht übers Herz gebracht.“ „Hast du wenigstens ein Frühstück gehabt, Serena?“

Darüber grinste sie und zwinkerte verschmitzt: „Natürlich. Alles andere hätte das Baby übel vermerkt. Ich bin um 7 rausgeschlichen. Ich habe telefoniert und ganz viele Grüße für dich … Mama und Tom, Zini und die Kinder natürlich. Oma Moni und Opa Winfried. Alex hat angerufen. Mary auch. Und Gulasch ist angeworfen. Spätzle dazu und Erbsen, okay?“

Fred nickte knapp und betrachtete sie. In ihrem Wortschwall war alles enthalten, was sie ihm erzählen wollte. Aber sie verschlang ihn mit den Augen, während sie eifrig plapperte und drauflos schwatzte.

„Hält es dein Topf Gulasch eine Weile ohne dich aus?“ „Da ich nicht wusste, ob du schon wach bist, habe ich auf 2 runter gedreht.“

Sie atmete tief durch, als er sich zu ihr setzte. Fred legte den Arm um sie und zog sie sanft in liegende Position. Renas Lächeln vertiefte sich.

„Es war sehr schlau, das Gulasch auf kleiner Flamme köcheln zu lassen“, lobte er sie mit heiterem Blinzeln. „Ja? Findest du? Fand ich auch, um ehrlich zu sein. Ich dachte, von der Dusche aus gehst du direkt an den Kleiderschrank. Und dann war’s das womöglich …“ „Also hast du dich mir in den Weg gestellt.“ „Bisher habe ich nicht den Eindruck, du hättest was dagegen?“ „Nö.“

Sie gluckste über diese Antwort, die sehr Deutsch klang.

Den Nachmittag über schrieb er seinen Bericht zu Ende. Rena übte auf ihrer Geige. Sie störte ihn damit nicht. Eher im Gegenteil – die schönen Klassikstücke gefielen ihm sehr, auch wenn er sich hütete, ihr das zu sagen. Wie er sie kannte, wusste sie es ohnehin.

Erst nach dem Abendessen fragte sie, ob er noch Lust zu einem Spaziergang hätte.

Fred hob eine Augenbraue: „Hast du nicht behauptet, wir würden zwei ruhige Tage einlegen und uns nicht mehr vom Fleck rühren? Heute vorm Mittagessen?“ „Ja, mit dir im Bett. Aber das halten wir doch beide nicht aus. Komm schon. Ein Stündchen um den Block? Ich erzähle dir unterwegs von Zini und Santiago. Das kannst du dir ruhig ausführlicher anhören, nicht nur als Geburtstagsgruß.“ Belustigt stimmte er zu.

Ihr munteres Gequassel machte ihm Spaß. Sie berichtete von dem Angebot ihres russischen Freundes, Alexej Wassilikov, ihn am Klavier bei einem Konzert Ende Dezember zu begleiten. Da habe sie ihm erklärt, er wäre ein Spinner, sie keine zwei Monate vor der Geburt noch auf eine Bühne zerren zu wollen.

„Zu der Zeit sind es etwas über sechs Wochen noch. Stell dir vor – quasi im Mutterschutz. Außerdem bin ich dann vielleicht längst zu fett für den Klavierhocker. Kracks, da liegen wir …“, gluckste sie. „Nette Idee“, lachte Fred.

Rena schaute sich um. „Wo sind wir hier eigentlich? Ich habe gar nicht mehr auf den Weg geachtet. Und brauche irgendwann mal eine Toilette …“ „Geht es noch? Es ist ein ganzes Stück bis nach Hause.“ „Klaro.“

Auf seinen Orientierungssinn konnte sie sich verlassen: „Wie lange gehen wir?“ „Bei diesem Tempo brauchen wir vielleicht …“

Im nächsten Moment sprang vor ihnen ein unordentlich gekleideter Mann hinter einigen Müllcontainern hervor und brüllte: „Stopp! Geld her!“

Ganz automatisch wich Rena ein Stück zurück und löste sich dabei von Freds Arm. Sie überlegte kurzzeitig, lieber wegzurennen, um ihr Kind zu schützen. Aber sie unterdrückte den Fluchttrieb sofort wieder, zumal Fred gelassen stehen blieb und seelenruhig antwortete: „Wir haben kein Geld dabei.“

„Das sehen wir gleich!“ zischelte der Fremde. Im Licht der Straßenlampe wenige Meter weiter blitzte ein Messer auf: „Los. Taschen leeren. Aber dalli.“

„Nein“, lehnte Fred ab, immer noch völlig ruhig. „Wir gehen besser ein Stück weiter zur Stöckener Straße, wo Sie sich der Polizei stellen.“

Die freundliche Aufforderung klang derart normal, dass Rena entspannter atmete. Ihr Bodyguard vermittelte ihr eine Sicherheit, die ihr kein anderer in dieser Situation gegeben hätte. Sie schrie nicht mal auf, als der Mann mit gezücktem Messer auf Fred losging.

Unwillkürlich wich sie nur ein paar Schritte zurück, um ihm Raum zu geben. Dann allerdings stöhnte sie doch etwas, weil sie zuvor zu lange die Luft angehalten hatte im ersten Erschrecken. Jetzt rang sie keuchend nach Atem.

Ihr Mann sah sich rasch nach ihr um, sie hob hastig abwehrend eine Hand – ihr ging es gut, bedeutete sie ihm. Es war für sie allerdings auch selbstverständlich, wer den ungleichen Kampf gewinnen würde. Es dauerte nicht lange, bis das Messer zu Boden klirrte und Fred den anderen in festem Griff hatte.

Seine Stimme klang sehr gelassen, als er sie bat: „Du hast doch bestimmt ein Taschentuch dabei, mit dem du das Messer aufheben könntest? Ich würde es gern wie den hier eben noch bei der Polizei abliefern.“ „Okay“, sie gehorchte sofort und fummelte ein Taschentuch aus dem Päckchen in ihrer Jackentasche. Mit spitzen Fingern klaubte sie vorsichtig die Waffe auf.

„Geht es dir gut, Serena?“ „Bisschen zittrige Knie, aber sonst großartig. Kannst du dieses fluchende Männlein festhalten?“

Sie freute sich, wie normal auch sie sich anhörte. Fred lachte leise und wirkte völlig unbekümmert, während er seinen Gegner bändigte und dann Richtung Polizeistation zerrte.

„Hätten wir ein Mobiltelefon dabei, könnten wir die Jungs und Mädels da schon mal vorwarnen. – He, Sie, hören Sie mal auf, meinen Mann treten zu wollen. Sonst verpasse ich Ihnen mal einen Tritt. Und zwar da, wo’s richtig weh tut“, drohte sie. Das löste zwar eine Schimpfkanonade aus, doch etwas ruhiger hing der Täter dann doch in Freds eisernem Griff.

Rena schaute auf die etwas fleckige Klinge, die aus dem Taschentuch ragte. „Abgesehen davon habe ich Ihr Messer. Und würde es Ihnen zu gern irgendwo rein rammen.“ „Serena, du musst ihn wirklich nicht aufschlitzen. Dann hätten wir nur ein Problem mehr am Hals. Und das am Feiertag.“

Freds Spott brachte sie zu einem etwas nervösen Kichern. Aber er vermittelte mit seiner selbstverständlichen Gelassenheit auch ihr mehr innere Ruhe.

Sie öffnete ihm die Tür zur Polizei und erklärte der erstaunten Polizistin hinter der Glasscheibe mit vergnügter Miene: „Wir haben einen versuchten Raub an uns gerade vereitelt und möchten den Täter abliefern. Ach ja, und Anzeige gegen ihn erstatten natürlich. Könnten Sie ihn freundlicherweise in Gewahrsam nehmen? Und ich brauche jetzt schleunigst eine Toilette, weil das Baby gerade langsam durchdreht. Lassen Sie uns doch bitte rein.“

Der Türsummer erklang. Rena ging voraus, Fred schleifte den inzwischen verstummten Räuber über die Schwelle und überließ ihn einigen Beamten, die sofort zur Stelle waren.

„Toilette?“ fragte Rena noch einmal. „Kommen Sie bitte.“

Schon auf dem Weg zog Rena die Jacke aus, verhedderte sich etwas, weil sie an das Messer gar nicht mehr gedacht hatte, und überließ Jacke wie Messer schließlich der Polizistin.

Kichernd verschwand sie hinter der Toilettentür, noch immer aufgeregt, aber in der Gewissheit, dass sich das schnell legen würde. Dies hier war ihr im Augenblick wichtiger als das Erlebnis.

Fred saß völlig allein in einem der Büroräume, als sie zurückkam. Sie sah ihn durch die offene Tür und eilte schnell zu ihm. Er stand sofort auf und bot ihr den Sitzplatz an: „Wir müssen warten. Gleich kommt ein Beamter und nimmt die Anzeige auf. Ist alles in Ordnung? Komm, setz dich lieber.“

Es war typisch – ihr Beschützer kümmerte sich …

„Mach dir keine Sorgen. War voll der Adrenalinstoß. Aber es ist ja nichts weiter passiert. Puh … Ich hätte nie gedacht, dass wir beide ausgerechnet zu Hause in Hannover auf offener Straße von einem Dieb angefallen werden. Ein Überfall – hier! In Amerika während einer Tournee hätt’s mich nicht gewundert – aber hier?“

Ihre graublauen Augen strahlten. Es ging ihr wirklich gut, registrierte ihr Mann erleichtert.

„Damit rechnet kein Mensch“, sagte er also nur.

„Diesmal hat er sich die falschen Opfer ausgesucht“, konstatierte die junge Frau vergnügt und zwinkerte frech. „Ja, so sieht er es sicher auch“, Fred betrachtete sie eingehend.

Ihre Wangen waren noch etwas blass, aber ihr Mut war ebenso ungebrochen wie ihre Heiterkeit. Sie lächelte ihn humorvoll an: „Ist mal was Interessantes.“ Sie plumpste etwas schwerfällig auf den Stuhl, und Fred fasste nach ihrer Schulter, um sie festzuhalten.

„Was ist denn? Mir geht’s prima. Oder sehe ich … angegriffen aus?“

Die Wortspielerei entlockte ihm ein Lächeln. „Nur noch ein bisschen weiß im Gesicht. Zu weiß für meinen Geschmack, Spatz.“ „Weil sich der Körper unter Stress auf die Versorgung des Babys konzentriert und dabei den Rest der Mutter eine Spur im Stich lässt. Wenn ich hier noch ein paar Minuten ruhig sitze, gibt sich das wieder“, versicherte sie ihm eifrig. Er lachte unwillkürlich über diesen Pragmatismus.

„Dann sitz da einfach noch ein paar Minuten ruhig und rühr dich nicht vom Fleck“, mit diesem lässigen Befehl ging er auf den Polizeibeamten zu, der gerade über den Flur lief.

„Herr Baumgart? Harald Baumgart? Wenn Sie hier stationiert sind, muss ich mir ja keine Sorgen machen, weil wir ohne Papiere unterwegs sind.“ „Fred Myers? Ach, Sie haben Micky abgeliefert?“ „Ja. – Serena, kennst du Polizeiobermeister Baumgart?“ „Jetzt schon. Wir sind einfach so in unsere Jacken gesprungen und zum Spaziergang aufgebrochen, nur mit dem Hausschlüssel dabei … Kein Ausweis, kein Geld, nichts. Und jetzt müssten wir wegen der Anzeige alles zeigen. Also, wir wollen Anzeige gegen den Typen erstatten wegen versuchten Raubes.“ „In Tateinheit mit Körperverletzung“, ergänzte Fred.

„Nun krieg dich mal wieder ein. Mir und dem Baby geht’s ausgezeichnet. Wie oft muss ich dir das sagen? Soll ich’s schwören?“

Rena stand auf und machte ein paar flotte Tanzschritte, um ihr Wohlsein zu demonstrieren. Fred lachte ebenso wie der Beamte über diese Show-Einlage.

„Nein, Serena, ich sehe auch so, dass es dir gut geht. Ich hatte nur kurzzeitig sein Messer im Arm.“

Nach diesem Satz kippte Rena zurück auf den Stuhl, jäh schreckensbleich.

„Nur ein Kratzer, nicht weiter schlimm,“ ergänzte ihr Mann ruhig. „Herr Myers, wir haben ohnehin gerade einen Arzt im Haus. Der kann sich das ja ansehen. Emine, hol bitte mal Dr. Funke.“

„Kommt sofort“, rief die Beamtin, eine hübsche dunkelhaarige Frau mit üppigen Locken, wie Rena sie sich als Kind immer gewünscht hatte. Aber dafür hatte sie keinen Gedanken übrig. Sie starrte Fred angstvoll an.

Mit einem Kopfschütteln beugte er sich zu ihr herunter: „Du warst die ganze Zeit so lustig und mutig. Nun stell dich nicht jetzt noch albern an.“ „Aber … du bist verletzt!“ „Denk nicht darüber nach. Er hat mich am linken Arm erwischt, als ich mich zu dir umgesehen habe. Herr Baumgart, wollen wir schnell eben die Anzeige aufnehmen? Unsere Ausweise kann ich Ihnen ja per Fax oder Mail zukommen lassen, oder?“ „Kein Problem, Herr Myers“, gelassen ging auch der Polizist wieder zum Geschäftlichen über.

Es konnte nicht mehr als ein Kratzer sein, überlegte Rena und atmete tief durch, sonst wäre Fred nicht derart heiter und gelassen.

Der Arzt bestand allerdings darauf, die Wunde gründlich zu säubern und der Tiefe wegen auch zu nähen. Fred zog eine Grimasse und stimmte zu: „Anscheinend hat er mich doch etwas heftiger erwischt. Serena, guck woanders hin.“

Natürlich richtete sich ihr Blick prompt auf die tiefe Fleischwunde, wie nicht anders zu erwarten. Angewidert sah sie wieder hoch: „Nee. Ich kann das ab. Warum hast du nichts davon gesagt?“ „Um diesem Micky einen Vorteil zu verschaffen? Und dich noch mehr aufzuregen? Auf gar keinen Fall. Außerdem war er chancenlos gegen mich, ob nun mit Messer oder ohne.“

„Du bist ziemlich überheblich“, kritisierte seine Frau erst, brach dann aber in etwas hysterisches Gekicher aus. Auch Arzt und Polizist schmunzelten über das Paar.

„Wie es aussieht, haben Sie sich ausgezeichnet erholt.“ „Erholt? Wovon denn?“ „Als ich Ihnen das erste Mal über den Weg gelaufen bin, lagen Sie in einer Lagerhalle – von mehreren Schüssen getroffen.“

„Sie waren dabei? Bei dieser Waffenhändler-Nummer? Interessant. Ich erinnere mich nicht an Sie.“ „Wundert mich nicht“, der Arzt sah nur kurz hoch ins Gesicht seines Patienten. Doch der wirkte gelassen. Also verknotete Andreas Funke den nächsten Faden.

„Dafür erinnere ich mich um so besser. Sie haben mir ständig den Namen eines Mädchens genannt, ihre Adresse dauernd wiederholt. Wie ein Reflex.“ „Möglich. Davon weiß ich nichts mehr.“ „Wie auch. Nahezu bewusstlos. Immer nur den Namen und die Adresse.“

Jäh erinnerte sich Rena an diese Zeit im November 2005. Sie freute sich, dass sie ohnehin saß.

Aufmerksam musterte sie Freds Gesicht. Doch er ließ wie fast immer niemanden sehen, was er dachte. Weder seine Stimme noch seine Haltung verrieten Gefühle bei seinem nächsten Satz.

„Dann sind Sie anscheinend als Polizeiarzt öfter im Einsatz. Und daran gewöhnt, Leute zusammenzuflicken.“ „Ja. Wieso sind Sie verletzt? Harald und Emine kennen Sie und zeigten sich eben ganz erstaunt, dass Sie dem Messerschwinger nicht ausweichen konnten – oder die Hand stoppen.“

Beide Polizisten nickten dazu. „Ja, wirklich unglaublich, Herr Myers“, bestätigte die Polizistin Emine Uludagh: „Dass ausgerechnet Ihnen das passiert.“

Fred zuckte mit den Schultern. „Blöder Anfängerfehler. Ich habe mich umgesehen.“ „Wonach umgesehen?“ „Ich musste mich vergewissern, dass kein zweiter Täter dabei war und womöglich meine Frau als Geisel nimmt. Das hätte eine andere Taktik erfordert.“

Noch immer wirkte er völlig kühl und ruhig. Rena verdrehte die Augen, als sie begriff, dass ihr Aufstöhnen ihn abgelenkt hatte.

„Ich hatte mal kurz Schnappatmung vor Schreck. Du bist echt irre, Fred.“ „Und du bist schwanger. Das ist in einem Kampf nicht gerade förderlich, wenn ich das mal zu bedenken geben darf.“

Die unterschwellige Härte hörte sie sehr wohl heraus, wusste allerdings genau, dass er sie nur beschützen wollte. Also schwieg sie tunlichst. Das sollte sie allenfalls zu Hause unter vier Augen kommentieren.

Während der Arzt noch damit beschäftigt war, seinen Arm zu verbinden, begann Fred mit der Aussage, die Rena bereitwillig bestätigte. Innerlich schmunzelte sie schon wieder über seine klare, sachliche Beschreibung des Tathergangs. Ihm war anzuhören, wie geläufig ihm solche Aussagen waren.

Als alles fertig war, mussten sie das Protokoll unterschreiben. Harald Baumgart bedankte sich dafür. Emine Uludagh bot an, sie nach Hause zu fahren. Rena war sofort Feuer und Flamme für diesen Plan.

„Au ja, cool, im Polizeiauto!“ stimmte sie begeistert zu.

„Nein, danke. Wir gehen zu Fuß“, lehnte Fred ab. „Aber …“ „Du brauchst frische Luft, wachsbleich, wie du bist.“

Verärgert schenkte sie sich den Widerspruch, obwohl sie ihm gern an den Kopf geworfen hätte, wie sie es hasste, derartig bevormundet zu werden. Vermutlich war sie blass und sah kränklich aus. Auch wenn sie mutmaßte, diese Gesichtsfarbe sei eher der Beleuchtung im Polizeirevier zuzuschreiben als ihrem körperlichen Zustand. Sie fühlte sich bestens.

„Tja, dann vielen Dank, Frau Uludagh, Herr Baumgart“, sie verabschiedete sich mit Handschlag von den beiden Beamten und streckte ihre Hand auch dem Arzt hin: „Danke auch Ihnen, Herr Dr. Funke.“

Sie lächelte freundlich und wohlerzogen, ganz das höfliche Hotelkind, wie sie es gelernt hatte – alle mit Namen ansprechen und dazu liebenswürdig lächeln …

Erst auf der Straße wurde ihr nach einigen Schritten bewusst, wie elend sie sich tatsächlich fühlte. Die Erregung klang ab und hinterließ eine leichte Übelkeit.

Sie musste sich überwinden, um gelassen an der Seite ihres Mannes zu bleiben. Jedes Rascheln im Gebüsch erschreckte sie. Der Drang, zurück in die Sicherheit des Polizeireviers zu fliehen, wuchs mit jedem Schritt.

Etwas zittrig holte sie tief Luft und sagte sich beschwichtigend, diese Reaktion sei nach der ganzen Aufregung normal. Der Fluchtimpuls ließ dennoch kaum nach, als irgendwo ein Mülltonnendeckel klapperte.

„Komm“, Fred bot ihr den Arm. Sie zögerte kurz in der aufblitzenden Erinnerung, wie kategorisch er den bequemeren Heimweg per Streifenwagen abgeblockt hatte. Dann hakte sie sich ein, ohne ihn anzusehen. Noch gärte die Wut in ihr, dass er ihr das missgönnt hatte, obwohl sie für die freundliche Geste schon wieder dankbar war.

Wieder raschelte es im Gebüsch neben ihnen. Rena zuckte nervös zusammen, straffte sich aber gleich wieder und schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit.

„Gott, wie albern von mir. Sag jetzt bitte nichts. Als ob ich nicht genau wüsste, dass der Blitz heute Abend nicht noch mal bei uns einschlägt …“ „Wie bitte?“ „Das ist eine Redewendung. Der Blitz schlägt nicht zwei Mal an der selben Stelle ein. Sagt man. Im übertragenen Sinne“, erläuterte sie geflissentlich.

„Gut, dann verstehe ich das.“ „Ja, das schon.“ „Was nicht?“ „Du hast einfach nicht begriffen, wie gern ich mal in einem Polizeiauto durch die Gegend kutschiert worden wäre“, beschwerte sie sich. „Doch“, entgegnete Fred ruhig.

„Na toll. Den Spaß hätten wir uns ruhig gönnen können. Weshalb wolltest du nicht? Weil die Nachbarn was Falsches denken könnten? Meine Güte, du hast diesen Junkie geschnappt und zur Polizei gebracht. Es wäre sicher nicht ehrenrührig, sich danach nach Hause fahren zu lassen!“

Nun ließ sie ihrem Ärger über seine Ablehnung doch freien Lauf: „Ich habe einfach für deinen dämlichen Stolz keinen Sinn. Dein Arm tut bestimmt furchtbar weh. Und du hast die Schlinge verweigert – echt super!“ „Die Betäubung wirkt noch“, mehr äußerte er nicht.

Mit einem Ruck zog Rena ihren Arm weg, kochend vor Zorn über die Neutralität, die er noch immer wahrte.

Sie hatten sich schon lange nicht mehr gestritten. Sie bevorzugte gütliche Einigung. Oft rechnete sie damit, dass ihre extrem unterschiedliche Vergangenheit einen Disput auslöste, und brachte dann viel Verständnis für sein Verhalten auf. Sie dachten sehr oft verschieden, wie sie seit Jahren wusste. In aller Ruhe und mit ihrer friedfertigen, sanften Art erreichte sie viel mehr als mit einem Wutausbruch.

Diesmal jedoch bebte noch zu viel von der Aufregung nach dem Überfall und wegen Freds Verletzung in ihr, um die sanfte Ruhe zu Hilfe zu nehmen.

Fred griff wortlos nach ihrem Arm und hielt sie fest, umfasste ihre Hand mit seiner linken und sorgte dafür, ihre vorherige Haltung wieder zu erreichen. Nur ihr Wissen um seine Armwunde verhinderte energische Abwehr. Aber sie zitterte wieder, nicht mehr aus Angst, sondern vor Rage über sein Verhalten. Um nichts Falsches zu sagen, strafte sie ihn lieber mit eisigem Schweigen.

Nach ein paar Minuten besann sie sich wieder. „Fred, lass uns darüber reden.“ „Wozu? Du hast mir deine Meinung doch längst begreiflich gemacht.“

Das verschlug ihr die Sprache. Dann ging ihr auf, sie könnte die falschen Schlüsse gezogen und ihn missverstanden haben.

„Fred, bitte. Lass uns mal einen Moment stehen bleiben. Mir geht die Puste aus“, bat sie ihn etwas atemlos. Er nickte, hielt an und betrachtete sie besorgt: „Wir gehen wohl zu schnell für dich und das Baby?“ „Ein bisschen. Ich muss eben verschnaufen, geht gleich wieder“, sie übertrieb etwas und verzog unbehaglich den Mund wegen der kleinen Unehrlichkeit. Sie war nach dem ewigen Tanztraining durchaus in der Lage, langsam nach Hause zu gehen.

Aus allem, was Fred schon gelesen hatte, wusste er, wie sich die Lage der inneren Organe durch eine Schwangerschaft veränderte. Bisher hatte sie niemals über Atemnot geklagt, aber im Laufe der Zeit würde sie langsamer und unbeweglicher werden.

Er legte beide Arme um sie, locker genug, um ihr Raum zum Atmen zu lassen, aber doch als Stütze. Rena senkte den Kopf. Diese Fürsorge machte ihr ein schlechtes Gewissen.

„So schlimm ist es nicht“, murmelte sie verlegen und lehnte sich an ihn.

Wortlos hielt er sie umfangen und wartete geduldig. Sie musste sich anscheinend erst noch eine Weile erholen, bevor sie den Weg fortsetzen konnten.

Es tat gut, sie so festzuhalten. Renas Zutraulichkeit und blindes Vertrauen zu ihm hatte ihn schon immer bewegt. Sie suchte seine Nähe derart offensichtlich – der Streit schien ihr längst gleichgültig zu sein. Zumindest flüchtete sie sich so selbstverständlich zu ihm, als habe es die bösen Worte nicht gegeben.

Inzwischen schmiegte sie sich liebevoll an, was sie sonst auf offener Straße längst nicht mehr tat – schon aus Vorsicht vor Reportern. Denen hätte diese Haltung der Anissa S. heiß begehrte Schlagzeilen verschafft.

Rena genoss seine Hilfsbereitschaft, obwohl sie überlegte, wie schwer es ihm im Moment wohl fallen mochte, seine Gefühle in Schach zu halten. Vermutlich unterstellte sie ihm völlig falsche Motive – und sie wollte zu gern wissen, was schief gelaufen war.

Die schnelle Frage danach verbot sich jedoch. Jetzt würde er ihr nur unterstellen, ihre augenblickliche Schwäche zum Manipulieren auszunutzen. Leider hätte er damit sogar recht, und das erzwang ihr Schweigen. Noch schwelte der Streit, eskalieren sollte er keinesfalls.

Ihr unruhiger Atem verriet, wie aufgewühlt sie innerlich war. Freds Sorge wuchs, je länger sie sich wortlos anlehnte. Er hätte eine Taxe angehalten, wenn eine gekommen wäre. Doch die Straße war wie leergefegt.

„Ich möchte nach Hause“, sagte sie kläglich. „Ich weiß. Kannst du gehen? Sonst trage ich dich.“ „Nein. Es geht“, sie löste sich von ihm und trat fest auf, als sei nichts gewesen.

Nach ein paar Schritten nahm sie wieder seinen Arm, schaute kurz auf und wisperte: „Danke.“

Damit überraschte sie ihn. „Wofür?“ „Ach, einfach, weil du da bist. Und nett“, sagte sie mit etwas mehr Verve. „Egal, was ich gerade anstelle. Und behaupte jetzt nicht, ich hätte nichts angestellt. Auch wenn ich nicht weiß, was, aber irgendwas Falsches muss ich ja gemacht haben.“

Darauf bekam sie keine Antwort und schloss, sie läge diesmal richtig.

Es war eine echte Erleichterung, die Haustür ins Schloss fallen zu sehen. Rena streifte die warme Jacke ab: „Klo, Schluck Wasser, dann aufs Sofa – genau in der Reihenfolge.“ „Dem steht nichts im Wege.“ Fred blieb auch jetzt gelassen.

Erst wollte sie wegen des kühlen Tones Einspruch erheben. Ihre Wut flammte wieder auf. Diesmal bremste sie sich. Es brachte nichts, ihn deswegen anzufahren.

Mit dem Glas in der Hand auf dem Sofa war sie gleich wieder besser drauf. In der Wärme daheim belebte sich alles wieder. Als sie von ihrem Wasser nach den ersten Schlucken hochschaute, entdeckte sie Freds Blick.

Abwartend und sehr gelassen beobachtete er sie. Ihr Blick fiel auf den weißen Verband an seinem Arm, und ihr schossen Tränen in die Augen. Weil er sie beschützte und auf sie allein achtete, hatte er eine Verletzung davon getragen …

Blitzschnell saß er an ihrer Seite: „Du fängst doch nicht jetzt noch an zu weinen? Du warst vorhin sehr viel mutiger.“ „Da wusste ich nicht, dass er dich fast absticht!“

Fred musterte sie verblüfft und begann zu lachen.

„So leicht bringt mich keiner um. Serena, dreh bitte nicht durch, schön tief durchatmen. Es ist nichts passiert. Abgesehen davon, wie dämlich ich war, mich von deinem Quietscher ablenken zu lassen. Ich hätte es besser wissen müssen. Du hattest anfangs nur kurz erschrocken die Luft angehalten, warst aus der gefährlichen Zone verschwunden und nicht in ernster Gefahr.“

„Das ist alles meine Schuld“, sie berührte zart den Verband. „Unsinn. Du bist für solche Situationen einfach nicht ausgebildet. Und musst ja auch an das Baby denken.“ Er gab ihr ein Taschentuch.

„Wenn es da ist“, sie schniefte und wischte die Tränen heftig weg. „Dann?“ „Kriege ich dann bitte eine Nahkampf-Ausbildung“, sie schnüffelte erneut. Fred reichte ihr das ganze Päckchen Taschentücher und schloss sie in die Arme. Sein leises Lachen verriet Anerkennung.

„Das ist meine tapfere Kämpferin. Nein, kriegst du nicht.“ „Lass mich lieber los. Das muss doch höllisch weh tun, wenn du mich so hältst.“ „Entspann dich. Das geht schon.“

Seufzend kuschelte sie sich an. „Ach, ich wäre so gern mal wie eine Verbrecherin im Polizeiauto gewesen. Stimmt es, dass man hinten die Türen nicht öffnen kann? Mama sagt das.“ „Ja. Kindersicherung.“ „Ach so.“

Sie zog sich etwas höher, um ihn küssen zu können.

Das unerwartete Lob ihrer Tapferkeit schwang in ihr nach. Sonderlich tapfer kam sie sich nicht vor, zumal noch immer einige Aufregung in ihr tobte.

„Du nennst mich tapfer?“ „Spätestens deine Drohung, ihn zu treten … Das war eindeutig. Angst hattest du in dem Moment nicht.“ „Nein. Doch. Ein bisschen. Aber eher um dich als vor dem. Oder vor dem, was wir tun könnten. Ich hatte einen Moment lang richtig Lust, ihm sein eigenes Messer rein zu rammen. Hinterher wäre ich vermutlich ein Wrack. Und hätte Angst, jemals wieder im Dunkeln das Haus zu verlassen …“ „Die hast du nicht?“ „Quatsch. Morgen gehen wir wieder.“ „Gut.“

Plötzlich fiel ihr etwas ein: „Besser nicht. Dein Arm …“ „Ich gehe auf den Füßen, nicht auf dem Arm.“ „Mach keine Witze, Fred … Moment mal.“

Sie musterte sein Gesicht. In den blaugrünen Augen glitzerte noch der Schalk, obwohl er rasch ernster wurde.

„Was ist, Serena? Zappelt es gerade?“ „Nein. Doch, das auch, ganz schön wild, aber … Hast du mich deshalb gnadenlos über die Straße getrieben?“ „Wie meinst du das?“

Mit halb geöffneten Lippen starrte sie ihn an und erkannte die Wahrheit.

„Du denkst, der Typ hat mich so verängstigt, dass ich mich nicht mehr vor die Tür traue?“ „Du hast es vielleicht verdrängt, Serena. Ich erinnere mich allerdings noch sehr gut. Der Betrunkene im Hotel vor deiner Tür. In einer Nacht hier allein im Haus bist du nach oben geflüchtet.“

„Da war ich 16!“ rief sie aus, hellauf empört. „Du grässlicher Mensch, mir das heute noch vorzuwerfen. Ich sollte dir echt eine ballern.“ „Nur zu.“ „Ach“, mit einer wegwerfenden Handbewegung reagierte sie zwar temperamentvoll, lachte dann aber.

„Du liegst quasi verletzt am Boden. Ich trete nicht nach. – Oh, aber es tritt – und zwar heftig.“ „Dann leg dich lieber hin und atme ruhig, damit es sich wieder einkriegt.“

Rena streckte sich brav aus. Fred streichelte ihren Bauch und redete weiter. „Ist ja gut, mein Kleines, alles ist gut.“

Nach ein paar Sekunden begriff die junge Frau, wie selbstverständlich er sich direkt an das Baby wandte. Sie zog den Reißverschluss auf, damit er direkt an ihren Bauch konnte. Fred nickte lächelnd und streichelte sie weiter.

„Ganz ruhig, Spätzchen. Keiner tut dir was. Deine Mama fährt jetzt das Adrenalin runter“, er ließ die Hand auf ihrem Bauch ruhen und flüsterte nur noch. „Kein Grund mehr zur Aufregung. Denk einfach nicht mehr dran. Es …“

Bei einer unerwarteten Bewegung unter seiner Hand schnappte er nach Luft und hielt völlig still. Dieses Zucken kam nicht von seiner Frau, das war etwas Neues, viel stärker als bei der ersten sachten Berührung.

Rena hob die Augenbrauen: „Hat es dich diesmal voll erwischt?“ Er nickte nur und wartete gespannt, aber das Zeichen wiederholte sich nicht. Ein paar Minuten warteten sie beide, doch das Baby rührte sich nicht.

„Schade. Vielleicht schläft es. Oder lauert wie wir. Während wir uns wie zwei Bekloppte anstarren und ausharren“, die junge Frau schob ihre Hand über seine. „Fred, wie findest du das?“ „Ich …“

Er fand kein einziges Wort. Es war nur eine Winzigkeit gewesen, ein kaum spürbarer Kontakt. Beschreiben konnte er es ihr nicht, zumal ihm die Kehle eng wurde.

Da sie ihn kannte, setzte sie sich auf und schlang ihm die Arme um den Hals.

„Fred, können wir das öfter machen? Dass du jeden Abend mit dem Baby redest? Damit es deine Stimme kennt? Meine ist ihm ja vertraut. Aber es sollte Rituale haben. Bisschen früh, aber … Ja?“

Fred nickte wortlos, völlig überwältig von Gefühlen, die er noch nie in dieser Form erlebt hatte. Dies hier war ganz anders und viel intensiver als alles, was er darüber gelesen hatte.

Im Moment war er nicht mal mehr sicher, ob er das hauchzarte Zucken unter seiner Hand wirklich gespürt hatte oder ob es nur auf Einbildung beruhte. Andererseits hatte er nichts erwartet, also musste es echt gewesen sein. Er wusste: Es würde viel mehr werden – und wesentlich kräftiger.

Zu Renas Freude nahm er sich wirklich mehr Zeit für sie in den folgenden Tagen. Er behauptete, etwas Ruhe für den Arm zu brauchen, aber das nahm sie ihm nicht ab. So, wie Fred sich bewegte, mochte es zwar schmerzen, behinderte ihn aber keineswegs. Schließlich schlug er sogar noch vor, sie könnten mal wieder backen, und machte sich heiter daran, Äpfel zu schälen.

Sie hatte die Springform gerade in den Ofen geschoben und lachte vergnügt, als Fred die Eieruhr einstellte, da klingelte es. Rena verdrehte die Augen.

„Immer, wenn wir zwei mal allein sind, kommt einer von deinen Kunden – um diese Zeit!“ Ihr Mann zuckte mit den Schultern: „Vielleicht bin ich ihn los, bis der Kuchen raus muss.“ „Fein. Du hast 55 Minuten“, versetzte sie patzig. „Zänkisches Weib“, er zwinkerte ihr zu und ging zur Haustür.

Verblüfft sah Rena hinterher. Er nahm sie nicht ernst – zum Glück wohl, denn die zickige Bemerkung verbuchte sie selbst als allzu unfreundlich.

Zu allem Überfluss erwiesen sich die späten Besucher als ihre Nachhilfeschüler. Die beiden Achtklässlerinnen wollten trotz der Ferien zur Nachhilfe kommen.

Fred schaute mit einiger Achtung auf die beiden Mädchen: „Freiwillig? Während der Ferien? Dann kommt mal rein.“ Sie nickten betreten. Anscheinend steckte mehr dahinter, mutmaßte er.

„Fragt meine Frau, ob sie’s macht. Angemeldet seid ihr nicht.“

Ähnlich staunend empfing auch Rena die Schülerinnen. „Es sind doch Ferien? Eure Eltern haben das vertraglich vereinbart und zahlen keinen Ferienunterricht.“ „Wir haben unser Taschengeld mitgebracht.“ „Emma, bitte. Als ob ich euch euer Taschengeld abknöpfe. Nun setzt euch beide mal. Fred, haben wir Cola?“ „Nicht eiskalt, aber es müsste noch eine Flasche da sein.“

Sein Blick zu ihr war dermaßen ernst, dass sie ihm lächelnd zunickte. Auch sie verstand durchaus, dass andere Gründe als Nachhilfe Emma und Laura zu ihr brachten.

Versorgt mit je einem Glas Cola saßen die beiden Mädchen am Küchentisch. Fred lehnte sich an einen Schrank und überlegte, ob er sie allein lassen sollte. Rena machte eine rasche Kopfbewegung zum Tisch. Wortlos setzte er sich dazu und unterdrückte ein Grinsen, als sie sich und ihn mit Wasser versorgte und ebenfalls Platz nahm.

„Begeisterung für Englisch hat euch zwei doch noch nie getrieben. Was ist euer Problem? Kann ich helfen?“

„Wir haben nur überlegt, ob Sie …“ Laura brach ab und sah besorgt zu Fred.

„Hört mal, Mädels, mein kleiner Bruder ist 15 und meine jüngste Schwester gerade neun geworden.“ „Und es ist nicht sonderlich lange her, dass du in der 8. Klasse warst“, ergänzte Fred todernst

„Jetzt raus damit. Was ist los? – Dass ich in der 8. Klasse war? Fred, also wirklich. Aber klar, ein steinalter Mann wie du … Jetzt muss ich mich auch noch veralbern lassen.“ Ein strafender Blick traf ihn. Er zog den Kopf ein.

Doch ihre jungen Gäste lachten über dieses Randgeplänkel.

„Na los, erzählt. Und vor ihm braucht ihr euch nicht zu fürchten. Er tut nur so. Ihm gehört die Detektei, er ist also an Geheimnisse gewöhnt. Und hilft mir auch ständig aus der Patsche.“ „Echt?“ „Dauernd“, bestätigte Rena, ohne zu zögern.

„Es geht um die Silberhochzeit von Lauras Eltern“, setzte Emma an: „Meine sind da auch eingeladen. Wir kennen uns doch schon seit unserer Geburt.“ „Und eigentlich ist das ganz toll“, fügte Laura an. „Aber? Wo ist der Haken?“ erkundigte sich Rena.

Die beiden Schülerinnen wanden sich noch etwas, dann kam die Geschichte etwas bruchstückhaft. Lauras Eltern hatten ihnen vorgeschlagen, mit den Söhnen eines Cousins zu tanzen, die näher kennenzulernen und dann mit ihnen für die restlichen Osterferien nach Manchester zu fahren – gemeinsam.

„Das ist doch noch eine Weile. Bis dahin …“, meinte Rena lässig. „Ich kann kein Englisch. Jedenfalls nicht gut. Und soll auch noch Tango und Walzer und so einen Scheiß tanzen?“ empörte sich Emma. „Und alles andere auch. Also so Foxtrott und so“, ergänzte Laura: „Auch wenn wir da zusammen hin sollen.“

Ihre Belustigung verbergend, schlug Rena vor, die jeweiligen Eltern sollten den Mädchen einen Tanzkurs ermöglichen.

„Nee. Die Silberhochzeit ist teuer, weil da so viele Leute kommen. Und dann auch noch Manchester. Und die Nachhilfe. Papa sagt, das geht nicht.“ „Was habt ihr euch eigentlich überlegt? Warum druckst ihr hier so rum? Jetzt mal Butter bei die Fische“, empfahl Rena und kämpfte gegen das Lachen an. Fred durfte sie gar nicht erst ansehen, vor allem jetzt nicht mehr nach dem „Oma Monika-Zitat“, das er garantiert erkannt hatte.

„Wenn Sie uns noch mehr Nachhilfe geben? Wir würden hier im Haushalt helfen und es uns damit verdienen?“ „Wo Sie doch wegen des Babys bestimmt nicht mehr Fenster putzen oder so. Wir würden alles machen. Wischen und saugen und Staub putzen. Kochen können wir noch nicht.“ „Nudeln oder so doch. Und Tee.“

Sie überschlugen sich geradezu mit ihren Vorschlägen. Rena schüttelte nachsichtig den Kopf: „Laura, Emma, also nun mal mit der Ruhe. Ich bin schwanger, ja, aber nicht krank. – Wann habt ihr euch das denn ausgedacht?“

„Eben gerade. Bei Laura“, murmelte Emma und ließ den Kopf hängen. „Da sind wir gleich los“, auch Laura schluckte schwer.

Sie hatten es sich so einfach vorgestellt. Aber schon der ernste Mann schüchterte sie ein, und ihre Nachhilfelehrerin wirkte nicht gerade angetan.

„Mutig überlegt“, urteilte Fred ruhig: „Obwohl ich sehr wohl in der Lage bin, hier mal die Fenster zu putzen.“ „Unsere Väter würden sowas nie tun“, Emma sah ihn zweifelnd an.

„Serena?“ „Ach, egal. Ich helfe euch. – Ist Günter noch da, Fred?“ „Günter? Wieso? Willst du den zum Staubsaugen anstellen?“ „Nein, zum Tanzen. Standard hat er drauf, da bin ich sicher. Und du stell dich bitte auch nicht quer. Die Mädchen brauchen Partner. Das machen wir auf Deutsch. Und ihr bleibt nach dieser ersten Tanzstunde hier. Dann pauken wir Englisch. Wie früher mit Tom bei uns zu Hause. Wozu bin ich Amerikanisch verheiratet?“

„Sie helfen uns?“ quiekte Emma. „Wirklich?“ „Ja. Ich habe gerade Zeit. Zumindest jetzt im Oktober. Ab November habe ich Proben und muss mich mit Tom um die Aufnahmen kümmern. Aber ich stelle eine Bedingung.“