Liebe, gefährliches Spiel - Marie Louise Fischer - E-Book

Liebe, gefährliches Spiel E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

"Ihre Tochter hat einen Meineid geschworen!" Mit dieser Aussage konfrontiert der Lehrer Klaus Leonhardt seinen ehemaligen Vorgesetzten Alfred Grosser, Direktor eines Mädchengymnasiums. Klaus Leonhardt sitzt mittlerweile, zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe wegen Verführung der minderjährigen Gisela Grosser verurteilt, im Gefängnis. Doch auch für Gisela blieben die Ereignisse nicht ohne Folgen, sie hat den kleinen Christoph zur Welt gebracht. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis versucht Klaus Leonhardt auf eigene Faust, den wahren Verführer und Vater des Kindes ausfindig zu machen. Er löst damit in einer Welt, die von mangelndem Verständnis und Lieblosigkeit gekennzeichnet ist, große Veränderungen aus. Können die Beteiligten am Ende noch glücklich werden?Marie Louise Fischer wurde 1922 in Düsseldorf geboren. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Lektorin bei der Prag-Film. Da sie die Goldene Stadt nicht rechtzeitig verlassen konnte, wurde sie 1945 interniert und musste über eineinhalb Jahre Zwangsarbeit leisten. Mit dem Kriminalroman "Zerfetzte Segel" hatte sie 1951 ihren ersten großen Erfolg. Von da an entwickelte sich Marie Louise Fischer zu einer überaus erfolgreichen Unterhaltungs- und Jugendschriftstellerin. Ihre über 100 Romane und Krimis und ihre mehr als 50 Kinder- und Jugendbücher wurden in 23 Sprachen übersetzt und erreichten allein in Deutschland eine Gesamtauflage von über 70 Millionen Exemplaren. 82-jährig verstarb die beliebte Schriftstellerin am 2. April 2005 in Prien am Chiemsee.-

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Marie Louise Fischer

Liebe, gefährliches Spiel

Roman

Saga Egmont

Liebe, gefährliches Spiel

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)

represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1973 by Lichtenberg Verlag, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719039

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

»Ihre Tochter hat einen Meineid geschworen!« Klaus Leonhardt, entlassener Zuchthaussträfling, schleuderte es seinem ehemaligen Vorgesetzten ins Gesicht.

Alfred Grosser, Direktor des Mädchengymnasiums in Bad Harsfeld, hielt sekundenlang die Luft an. Eine jähe ungesunde Röte stieg ihm ins Gesicht.

»Das ist eine ungeheuerliche Anschuldigung!« sagte er mühsam beherrscht.

»Nicht ungeheuerlicher als jene, die Ihre Tochter seinerzeit gegen mich vorgebracht hat!« erwiderte Klaus Leonhardt herausfordernd. »Ich schwöre Ihnen, Herr Direktor, ich habe Gisela niemals angerührt!«

»Das Gericht hat meiner Tochter und nicht Ihnen Glauben geschenkt!«

»Das Gericht ist zu einem entsetzlichen Fehlurteil gekommen!«

Die beiden Männer sahen sich starr in die Augen. Die Röte auf dem Gesicht Direktor Grossers verebbte, seine Züge schienen unter dem bohrenden Blick des anderen zu verfallen, und seine Haut nahm eine fahle, graue Blässe an.

»Herr Leonhardt«, sagte er, »ich fürchte, Sie stehen im Begriff, sich für das ganze Leben unglücklich zu machen. Der Prozeß gegen Sie ist abgeschlossen. Sie haben keine Möglichkeit, ihn wieder aufzurollen …«

»O doch, Herr Direktor!« fiel Klaus Leonhardt ihm ins Wort. »Sobald ich beweisen kann, daß der kleine Christoph nicht mein Sohn ist …«

»Sie sind nach dem Gesetz sein Vater. Es ist bewiesen, daß Sie der Verführer meiner Tochter sind. Sollten Sie irgendeiner dritten Person gegenüber Ihre Behauptung wiederholen, daß meine Tochter einen Meineid geschworen hat, müßte ich Sie, so leid es mir persönlich um Sie tut, wegen Verleumdung belangen!«

Klaus Leonhardt lächelte plötzlich; es war ein freudloses, bitteres Lächeln.

»Sie könnten mir gar keinen größeren Gefallen tun, Herr Direktor«, sagte er sanft, »denn dadurch würde ich genau das erreichen, was ich erreichen will. Die Vaterschaftsfrage würde Gegenstand eines zweiten Prozesses werden, und diesmal – verlassen Sie sich darauf! – würde ich mich nicht mundtot machen lassen… ich würde meine Schuldlosigkeit beweisen!«

»Sie sind ja wahnsinnig, Leonhardt!«

»Weil ich ein haarsträubendes Unrecht, das man mir zugefügt hat, nicht einfach hinnehme? Weil ich mich nicht damit abfinde, daß meine Karriere… daß mein ganzes Leben durch die Gewissenlosigkeit eines unreifen Mädchens zerstört worden ist? Nennen Sie das Wahnsinn, Herr Direktor?«

»Gisela hat eine Hölle durchgemacht. Meine Frau und ich, wir sind durch ein Fegefeuer gegangen. Wollen Sie uns allen diese Qual wirklich noch ein zweites Mal zumuten?«

Klaus Leonhardt lehnte sich zurück und schlug die langen Beine übereinander.

»Ich kann mir sehr wohl vorstellen, Herr Direktor, daß diese ganze Angelegenheit für Sie und Ihre Familie einigermaßen peinlich war und peinlich ist. Aber gelitten, wirklich gelitten, habe nur ich, und ich zweifle stark daran, daß Sie auch nur genügend Fantasie besitzen, sich vorzustellen, was ich durchgemacht habe. Was ist aus mir geworden? Ein Mann, der aus der Bahn geworfen worden ist, ein Vorbestrafter, auf den die ganze bürgerliche Gesellschaft mit Fingern weist, ein Mann ohne Zukunft. Nein, glauben Sie nur nicht, daß Sie bei mir auch nur einen Funken Mitleid für sich und Ihre Familie erwecken können. Ich war ein Idealist, aber ich bin geheilt. Jetzt geht es mir nur noch um mich und meine Rehabilitierung.«

Direktor Grosser stieß seinen Sessel zurück, sprang auf und begann heftig im Zimmer auf und ab zu gehen.

»Das alles ist eine so furchtbare… eine so unvorstellba re Tragödie«, murmelte er. »Wenn ich nur damals kühler gedacht, überlegter gehandelt hätte …«

Klaus Leonhardt lachte auf.

»Wie schlecht Sie sich selber kennen, Herr Direktor! Sie waren kühl und überlegt genug, Sie wußten genau, was Sie wollten… mich zugrunde richten!«

Direktor Grosser fuhr herum und blieb unmittelbar vor Klaus Leonhardt stehen.

»Ich war blind vor Haß!« bekannte er. »Daß meiner Tochter dies zustoßen mußte, meinem einzigen Kind! Was für Hoffnungen hatten wir auf Gisela gesetzt, wie stolz sind wir immer auf sie gewesen… und dann plötzlich dieser Schicksalsschlag aus heiterem Himmel! Sie haben recht, ich wollte Sie zugrunde richten!«

»Sagen Sie nur nicht, daß Ihnen das jetzt leid tut!«

»Doch, Herr Leonhardt, so ist es! Ich bedauere mein Verhalten von damals, ich bedauere es von ganzem Herzen! Ich bin zu der Einsicht gekommen, daß es weit klüger… und auch weit menschlicher gewesen wäre… wenn ich auf eine Anzeige gegen Sie verzichtet hätte!«

Wider Willen fühlte sich Klaus Leonhardt durch dieses unerwartete Bekenntnis ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht. Er mußte sich zwingen, den kalten, unerbittlichen Ton beizubehalten, den er seinem ehemaligen Vorgesetzten gegenüber bisher angewandt hatte.

»Ich höre wohl nicht recht«, sagte er mit gekünsteltem Spott, »ausgerechnet Sie fragen sich, ob es nicht besser gewesen wäre, einen Verbrecher laufen zu lassen?«

»Ich weiß, Herr Leonhardt«, sagte der Direktor, »und ich habe es immer gewußt, daß Gisela damals in einem schwierigen Alter war. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß Gisela Ihnen diese… diese Verführung allzu leicht gemacht, ja, daß sie Sie durch ihr sehr freies Benehmen geradezu herausgefordert hat …«

»Ich habe Ihre Tochter nicht verführt, Herr Direktor«, erklärte Klaus Leonhardt mit Festigkeit.

»Ach, lassen Sie das jetzt doch! Wir sind zwei erwachsene Männer, wir sind ganz unter uns! Warum sollen wir nicht offen miteinander reden? Wir hätten das längst tun sollen!«

»Ich habe es Ihnen gegenüber niemals an der nötigen Aufrichtigkeit fehlen lassen«, sagte Klaus Leonhardt, durch die plötzliche Wendung des Gespräches einigermaßen aus dem Konzept gebracht.

»Doch, das haben Sie! Warum sind Sie nicht damals einfach zu mir gekommen und haben gesagt: Dies und das ist passiert, ich weiß, es war falsch von mir, aber mein Temperament ist mit mir durchgegangen! Geben Sie mir Ihre Tochter zur Frau! – Ich gebe zu, ich bin nicht sicher, wie ich einen solchen Antrag aufgenommen hätte… aber warum haben Sie nicht wenigstens den Versuch gemacht?«

Klaus Leonhardt verschlug es die Sprache. »Das hätten Sie wirklich von mir erwartet, Herr Direktor?«

Niemals zuvor war ihm diese Möglichkeit durch den Kopf gegangen, und sekundenlang war es ihm wirklich, als wäre ein solcher Antrag besser gewesen – besser jedenfalls als dieser unglückselige Prozeß, jahrelange Inhaftierung, eine zerstörte Karriere.

»Ja«, erwiderte Direktor Grosser ruhig, »aber ich habe genauso versagt wie Sie. Da Sie selber nicht den Mut zu diesem Schritt fanden, hätte ich Ihnen entgegenkommen sollen. Aber, wie gesagt, ich war von Haß verblendet.«

Klaus Leonhardt hatte sich wieder gefaßt.

»Warum erzählen Sie mir das alles?« fragte er mit seinem alten spöttischen Unterton.

»Verstehen Sie mich wirklich nicht?« fragte Direktor Grosser, »oder macht es Ihnen einfach Freude, mich zu demütigen?«

»Ich bin und war, im Gegensatz zu Ihnen, nicht von Haß verblendet. Ich will nichts als mein Recht.«

Direktor Grosser zögerte.

»Ich denke, es müßte Ihnen eine gewisse Genugtuung bereiten, wenn ich mich dazu entschließe. Sie als Schwiegersohn in meine Familie aufzunehmen!«

Jetzt, zum erstenmal, verlor Klaus Leonhardt die Fassung. Er sprang auf.

»Was?« fragte er konsterniert.

»Sie haben mich ganz richtig verstanden. Heiraten Sie meine Tochter! Dadurch wären Sie doch gewissermaßen rehabilitiert, und darüber hinaus würde ich alles Menschenmögliche versuchen, um Ihre Rückkehr in den Schuldienst zu ermöglichen!«

»Nein«, sagte Klaus Leonhardt, »nein, nein, ich kann nicht! Bitte sprechen Sie nicht weiter, Herr Direktor, ich weiß, Sie meinen es gut. Sie meinen es wahrscheinlich wirklich gut! Aber… Sie gehen bei Ihrem Angebot von völlig falschen Voraussetzungen aus! Begreifen Sie doch endlich … bitte, begreifen Sie es! Ich habe Gisela nicht verführt, und ich bin nicht der Vater ihres Kindes! Ich würde es zugeben, wenn es so wäre… aber ich habe nichts zuzugeben! Niemals wäre ich fähig gewesen, mich an einer meiner Schülerinnen zu vergreifen!«

»Das Gericht…«

»Ach, hören Sie mir auf mit dem Gericht! Das Gericht hat die Wahrheit so wenig gekannt wie Sie! Ich weiß, daß zwischen Ihrer Tochter und mir niemals etwas gewesen ist… reden Sie mit Gisela! Nur sie kann Ihnen sagen, wer der wirkliche Vater ihres Kindes ist!«

»Meine Tochter ist keine Lügnerin«, sagte Direktor Grosser mit Würde, »ich habe sie zur Wahrheitsliebe erzogen, sie wäre gar nicht fähig, sich eine so ungeheure Geschichte einfach auszudenken …«

»Sie kennen Gisela nicht! Auch ich habe sie nicht gekannt, ehe sie mir nicht vor Gericht ihre dreisten Lügen mitten ins Gesicht gesagt hat. Reden Sie noch einmal mit ihr! Inzwischen ist sie älter geworden, vielleicht wird sie sich jetzt zur Wahrheit bequemen! Machen Sie ihr klar, daß es das Beste ist, was sie tun kann, denn sonst werde ich sie zwingen, die Wahrheit zu bekennen!«

Direktor Leonhardt zog die Augenbrauen zusammen.

»Soll das eine Drohung sein?«

»Jawohl. Sie haben mich ganz richtig verstanden. Sehen Sie sich den kleinen Christoph an, und sehen Sie mich an, urteilen Sie objektiv! Dieser Junge ist nicht mein Sohn und kann nicht mein Sohn sein, er ist der lebende Beweis dafür, daß ich zu Unrecht verurteilt worden bin. Glauben Sie mir, ich ziehe ein unschuldiges Kind nicht gerne in eine solche Sache hinein, aber ich habe keine Wahl. Durch dieses Kind werde ich beweisen, daß Gisela eine Lügnerin und eine Meineidige ist, Gisela, genau wie ihre Freundinnen und ehemaligen Klassenkameradinnen. Durch dieses Kind werde ich meine Rehabilitierung erlangen!«

Klaus Leonhard wandte sich zur Tür, und Direktor Grosser machte keine Anstalten, ihn zurückzuhalten oder zu begleiten. Er ließ sich in den Sessel sinken und stützte den Kopf in beide Hände. Es war ihm, als sei die Welt, in der er lebte, ins Wanken geraten.

Christa Landau hatte ihren Finger schon auf dem Klingelknopf, als sie plötzlich wieder von jener Angst überfallen wurde, die ihr Leben vergiftete, seit sie wußte, daß sie Mutter werden würde.

Sie ließ die Hand sinken und starrte zu den erleuchteten Fenstern ihres Elternhauses hinauf. Sie sah die beiden förmlich vor sich, Vater und Mutter, wie sie jetzt im Wohnzimmer beisammen saßen – konnte sie da einfach hineinplatzen? Hier bin ich! Ich habe Pech gehabt, ich weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll, ich brauche eure Hilfe!

Nein, unmöglich! Mit der Mutter, ja da würde sich am Ende noch reden lassen. Zwar war das Verhältnis zwischen Christa und Frau Landau in den letzten Jahren gespannt gewesen – Frau Landau hatte sich ihrer Tochter gegenüber immer sehr kritisch verhalten –, aber gerade deshalb würde sie vielleicht nicht allzu enttäuscht sein, wenn sie erfuhr, was passiert war. Nach allem, was Beate erzählt hatte, schien sie es ja zumindest schon zu ahnen. Aber der Vater!

Christa wußte, wieviel sie ihrem Vater immer bedeutet hatte, wie stolz er auf sie war, wieviel Hoffnungen er in sie gesetzt, welch unbegrenztes Vertrauen er ihr geschenkt hatte! Und jetzt sollte, jetzt mußte sie ihn so enttäuschen, ihn, den liebsten Menschen, den sie auf der Welt hatte! Einen solchen Schlag mußte sie ihm versetzen!

Christa biß die Zähne zusammen, um nicht nervös aufzuschluchzen. Nein, das brachte sie nicht über sich!

Sie wandte sich langsam ab, eilte die abendliche Straße zurück und hielt sich ängstlich im Schatten der Bäume, um nicht unversehens einem Bekannten in die Arme zu laufen. Sie fühlte sich elend, verstoßen, verraten, verlassen. Was sollte aus ihr werden? Wo sollte sie hin?

Nein, sie durfte nicht fliehen, es gab keinen Ort auf der ganzen Welt, wo sie sich hätte verstecken können, und es ging auch nicht mehr um sie allein, Christa Landau, Tochter aus gutem Hause – sie trug jetzt die Verantwortung für einen zweiten Menschen, das ungeborene Kind unter ihrem Herzen.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war eine Telefonzelle. Christa blickte scheu nach rechts und links, bevor sie hastig die Fahrbahn überquerte. Als sie die Zelle betrat, ging das Licht an, und sie fühlte sich quälend allen neugierigen Blicken preisgegeben. Wieder mußte sie aufsteigende Panik bekämpfen, suchte nervös nach Kleingeld, warf es ein und wählte die Nummer der elterlichen Wohnung.

Nach peinigenden Sekunden des Wartens meldete sich eine unbekannte, ungeschliffene Mädchenstimme: »Hier bei Generaldirektor Landau!«

»Wer spricht denn da?« fragte Christa.

»Hier bei Generaldirektor Landau«, wiederholte das Mädchen unsicher.

Gisela begriff, daß es sich um die neue Hausangestellte handeln mußte, von der ihre Mutter vor vierzehn Tagen geschrieben hatte.

»Hier ist Christa Landau«, sagte sie so klar und gefaßt, wie es ihr möglich war. »Würden Sie, bitte, meine Mutter ans Telefon rufen?«

»Ihre Mutter?«

»Ja, Frau Landau.«

Es knackte in der Leitung. Christa glaubte schon, daß das Mädchen aufgehängt hätte, aber dann war die Stimme ihrer Mutter plötzlich da, sehr nahe, mit jenem schrillen, nervösen Unterton, den Christa von vielen früheren Auseinandersetzungen her nur zu gut kannte.

»Christa, bist du es wirklich? Wo steckst du denn? Wie konntest du Hamburg verlassen, ohne mich zu benachrichtigen? Ich habe dich überall gesucht! Du ahnst ja nicht, was für Sorgen ich mir um dich gemacht habe!«

»Ich bin hier in Bad Harsfeld, Mutter«, sagte Christa gefaßt. »Ist Vater zu Hause?«

»Du willst deinen Vater sprechen?« fragte Frau Landau verständnislos. »Glaubst du nicht, daß es besser wäre, du würdest dich erst einmal mit mir unterhalten?«

»Doch, Mutter«, sagte Christa geduldig, »das will ich ja, deshalb rufe ich an. Wenn Vater zu Hause ist …«

»Nein. Er ist fort. Wie jeden Abend.«

Christa war viel zu aufgeregt, um sich Gedanken über diese seltsame Eröffnung zu machen.

»Dann komme ich«, sagte sie erleichtert, »ich darf doch kommen? Ich bin in fünf Minuten bei dir!«

Ehe Frau Landau noch eine Frage stellen konnte, legte sie auf.

Als das Mädchen gemeldet hatte, daß Christa sie zu sprechen wünschte, hatte Frau Landau im ersten Augenblick nichts als eine riesengroße Erleichterung gespürt. Christa lebte, sie war gesund, das schien ihr in diesem Augenblick das einzig Wichtige.

Aber schon während sie durch die Diele zur Haustür eilte, um ihre Tochter persönlich einzulassen – sie hatte das Mädchen auf ihr Zimmer geschickt –, schlug ihre Stimmung wieder um. Alles, was sie in Hamburg erlebt hatte, trat plötzlich greifbar vor ihr inneres Auge – Frau Anna Krannich und ihre zweideutigen Reden, das leere Tablettenröhrchen, Michael, barfuß, in Blue jeans, mit zerrauftem Haar in einer unaufgeräumten Bude.

In welchen Sumpf ist Christa da geraten, dachte sie, mein Gott, und jetzt soll ich die Verantwortung übernehmen, und niemand steht mir zur Seite! Jörg, ihr Mann, ist natürlich nicht da, und wer weiß, wann er nach Hause kommt. Er macht es sich leicht, indem er einfach alles von sich wegschiebt. Wenn er erfährt, was passiert ist, wird er bestimmt mir die Schuld geben. Ich habe ja immer für alles meinen Kopf hinhalten müssen, was in seinem Leben schiefgegangen ist. Und Christa ist genauso egoistisch wie ihr Vater. Wenn sie mir einmal im Monat schreibt, hat sie das Gefühl, mir ein wer weiß wie großes Opfer gebracht zu haben, aber jetzt, da sie in der Patsche sitzt, bin ich gut genug, ihr zu helfen.

Als sie Christa wenige Minuten später durch den Vorgarten auf das Haus zukommen sah, verstärkte sich ihr Zorn noch. Christas Gang, die Art, wie sie mit ihren langen Beinen elastisch ausschritt, erinnerte sie stark an ihren Vater; die gerade, stolze Haltung ihres Kopfes war für ihre Mutter fast eine Herausforderung.

Wenn sie Christa krank wiedergefunden hätte, elend, auf dem Krankenlager, dann hätte sie wahrscheinlich nichts als mütterliches Mitleid für sie empfunden. So aber glaubte sie zu fühlen, daß Christa ihre Situation nicht ernst genug nahm.

Keine der beiden Frauen vermochte ihre innere Zurückhaltung zu überwinden.

Sie umarmten sich, küßten sich auf beide Wangen, aber dennoch fiel diese Begrüßung eher förmlich als herzlich aus.

Christa zog ihren hellen Regenmantel aus und hängte ihn in die Garderobe.

Frau Landau musterte ihre schlanke Figur, die in Rock und Pullover vorteilhaft zur Geltung kam.

»Na, immerhin«, sagte sie, »man sieht dir noch nichts an!«

Christa fuhr herum, blutübergossen.

»Wie meinst du das, Mutti?«

»Du kannst dir deine Heimlichtuerei sparen«, sagte Frau Landau, »ich weiß alles. Ich war in Hamburg, und ich habe auch mit Michael gesprochen!«

Christa biß sich auf die Lippen.

»Dazu hattest du kein Recht!«

»Ich, deine Mutter, kein Recht!?«

»Du kannst mit mir schimpfen, ich habe es verdient. Aber auf Michael losgehen, das war einfach … gemein!«

»Soll das heißen, du liebst diesen Schnösel?«

»Michael ist ein lieber und anständiger Junge …«

»O ja! Abgesehen davon, daß er dir ein Kind gemacht hat. Das war vielleicht nicht ganz so anständig oder?«

»Es war meine Schuld!«

»Ach nein! Er hat wohl gar nicht gewußt, was er tat?«

»Mutti«, sagte Christa und strich sich mit einer heftigen Geste die braunen Locken aus der Stirn, »sprich nicht so. Damit machst du alles nur noch schlimmer. Du weißt genau, wie ich es meine. Ich bin einundzwanzig Jahre alt, und ich weiß, um was es geht. Ich hätte Michael nicht nachgeben dürfen.«

»Aber er… er durfte dich bedrängen, wie?«

»Ach Mutti«, sagte Christa müde, »das versucht doch jeder! Als Mädchen muß man einfach wissen, wie weit man gehen darf.«

»Ich danke dir für diesen sehr interessanten, kleinen Vortrag. Du konntest diesem verlotterten Bohemien also nicht widerstehen und nimmst die Verantwortung auf dich, ja?«

»Etwas anderes, Mutti, bleibt mir doch gar nicht übrig!«

»Nun, immerhin hätte er doch auf die Idee kommen können, diese Verantwortung mit dir zu teilen, wie?«

»Das wollte er ja. Er wollte mich heiraten.«

»Na und? Dann ist doch alles in bester Ordnung!«

»Michael ist zwanzig Jahre alt, Mutti, er muß sich sein ganzes Studium allein verdienen, er ist beim besten Willen nicht imstande, eine Familie zu gründen.« Ohne es zu wollen, hatte Christa einen Ton angenommen, in dem man einem sehr begriffsstutzigen Menschen etwas zu erklären pflegt, und dieser Ton war durchaus nicht dazu angetan, Frau Landau gnädiger zu stimmen.

»Der arme Junge!« sagte sie gereizt. »Erwartest du etwa, daß ich auch noch Mitleid mit ihm habe?«

»Nein. Ich kann nur nicht vertragen, wenn du ungerecht über Michael urteilst!«

»Ich höre wohl nicht recht! Du willst mir, deiner Mutter, diktieren, wie ich über deinen… deinen Liebhaber zu denken habe?«

»Mutti, bitte«, sagte Christa gequält, »so habe ich das doch nicht gemeint! Mach mir nicht alles noch schwerer!«

Aber Frau Elisabeth Landau war so leicht nicht zu bremsen.

»Du kommst hierher, weil du Hilfe brauchst, und statt zu bitten, stellst du Forderungen«, sagte sie aufgebracht, »statt dich zu schämen, trumpfst du auch noch auf! Nein, jetzt verstehe ich dich wirklich nicht mehr. Christa! Wir hätten dich niemals nach Hamburg lassen sollen. Du scheinst dort in eine sehr schlechte Gesellschaft geraten zu sein und jedes Gefühl für Anstand verloren zu haben!«

Christas braune Augen loderten auf, ihre Züge verhärteten sich.

»Entschuldige, Mutti, aber ich sehe ein, daß ich mich nicht an dich hätte wenden sollen. Tatsächlich habe ich auch gar nicht erwartet, daß du mir helfen oder mich auch nur verstehen würdest. Ich bin eigentlich nur gekommen, weil Beate mir sagte, daß du dir Sorgen um mich machst… jetzt sehe ich ein, daß auch das ein Fehler war!«

Sie wandte sich zur Garderobe, riß ihren Mantel vom Bügel und machte Anstalten, hineinzuschlüpfen.

»Christa«, rief Frau Landau, nun ernsthaft erschrocken, »du willst doch nicht schon wieder gehen?«

Christas weicher Mund verzog sich zu einem wehen Lächeln.

»Was bleibt mir denn anderes übrig? Ich sehe keinen Sinn darin, mich länger von dir beschimpfen zu lassen!«

Frau Landau nahm ihr den Mantel aus der Hand.

»Ach, Kind«, sagte sie, »warum bist du bloß so bockbeinig! Genau wie dein Vater! Keiner Einsicht fähig, immer bereit, die Schuld anderen zuzuschieben!«

»Das stimmt ja gar nicht, Mutti! Gerade das versuche ich dir ja die ganze Zeit klarzumachen… nur ich, ich allein bin schuld daran, daß ich in diese Situation geraten bin. Das gerade ist ja das Schreckliche!«

»Und was willst du jetzt tun?« fragte Frau Landau. »Wie, denkst du, soll es weitergehen?«

»Ich weiß es nicht, Mutti«, sagte Christa verzweifelt. »Ich weiß es wirklich nicht!«

Bisher hatte sie sich mit äußerster Anstrengung aufrecht gehalten, jetzt aber konnte sie nicht länger verhindern, daß ihr Tränen in die Augen traten.

»Mein armer Schatz«, sagte Frau Landau weich, »mein armer, armer Schatz!«

Sie zog Christa mit echter, mütterlicher Zärtlichkeit an ihr Herz.

»Weine dich nur aus, ich verstehe ja, wie schrecklich das alles für dich ist! Was mußt du durchgemacht haben! Aber jetzt bist du endlich wieder zu Hause, bei deiner Mutter, jetzt wird alles wieder gut. Komm mit mir in die Küche, ich werde dir etwas zu essen machen, und dann gehst du in dein Bett und schläfst dich erst einmal richtig aus. Morgen früh werden wir beide dann gemeinsam überlegen, was zu tun ist, ja?«

Christa hob ihr tränenüberströmtes Gesicht, zwang sich zu einem Lächeln.

»Tut mir leid, Mutti, daß ich vorhin so frech gewesen bin, aber… es ist alles einfach ein bißchen zuviel für mich!«

»Ich habe auch nicht gleich die richtigen Worte gefunden, Liebling, ich bin augenblicklich in keiner sehr guten Verfassung!«

»Was ist los mit Dir, Mutti? Bist du krank?«

»Nein, das nicht, du brauchst dir keine Gedanken über mich zu machen. Nur… das werde ich dir alles später einmal erzählen! Komm, du mußt zuallererst mal etwas essen!«

Christa wischte sich mit dem Handrücken über die Wangen und zog die Nase hoch – Gesten, die seltsam kindlich wirkten und Frau Landau in die Zeit zurückversetzten, da ihre Tochter noch ein kleines Mädchen gewesen war, das zärtlich an ihr gehangen hatte.

»Da, nimm ein Taschentuch!« sagte sie.

Christa wischte sich die Tränen ab und putzte sich die Nase.

»Danke, Mutti!«

Frau Landau legte ihren Arm um die Schultern ihrer Tochter.

»Vielleicht ist es ganz gut, daß alles so gekommen ist, Christa«, sagte sie, »damit du begreifst, daß Eltern doch etwas mehr als lästige Anhängsel sind… daß die Mutter der einzige Mensch ist, auf den man sich verlassen kann, wenn es einmal ganz schlecht geht.«

Christa entschlüpfte ein kleiner zitternder Seufzer.

»Du bist sehr lieb, Mutti, nur… ich fürchte, du wirst mir auch nicht helfen können!«

»Warte es ab, wir werden beide die ganze Angelegenheit mal überschlafen, und morgen früh fällt uns dann schon etwas ein!«

»Ich werde alles tun, was du mir rätst«, versprach Christa, »nur eines muß ich dir gleich sagen…«

»Ja?«

»Ich werde mir das Kind nicht nehmen lassen. Ich will es zur Welt bringen, und ich will es behalten!«

»Aber ich dachte«, sagte Frau Landau, »du hättest in Hamburg versucht …«