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Als Matthew Fisher der hübschen Dee Dee Warren begegnet, weiß er auf Anhieb, dass sie die richtige Frau für ihn ist. Doch Dee hält ihn für einen arroganten Playboy von der Sorte, wie sie ihr schon mehr als einmal das Herz gebrochen hat. Eine feste Beziehung mit ihm kommt für sie überhaupt nicht in Frage. Es wird nicht leicht für Matthew, Dee vom Gegenteil zu überzeugen. Aber er ist sich sicher, dass diese Frau jeden Aufwand wert ist.
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Seitenzahl: 298
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Epilog
Danksagung
Die Autorin
Emma Chase bei LYX
Impressum
EMMA CHASE
Roman
Ins Deutsche übertragen von Heide Franck
Zu diesem Buch
Matthew Fisher hat die Hoffnung aufgegeben, dass er jemals verstehen wird, wie Frauen wirklich ticken. Bestes Beispiel: Dee-Dee Warren, die aussieht wie ein Supermodel, in Wirklichkeit aber Raumfahrttechnikerin ist. Sie hat Matthew den Kopf verdreht, seit sie das erste Mal mit ihrem engen pinkfarbenen Top und dem verführerischen Lächeln vor ihm stand. Und als sie sich küssen, ist für Matthew die Sache ganz klar: Er und Dee-Dee gehören zusammen und werden den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen! Eigentlich erwartet er, dass Dee-Dee von dieser Erkenntnis genauso begeistert ist wie er – schließlich ist sie diejenige, für die der notorische Herzensbrecher bereit ist, endlich sein Playboy-Leben aufzugeben. Doch Dee-Dee hat ihre Erfahrungen mit Männern wie Matthew bereits mehr als einmal gemacht und kein Interesse daran, sich ihr Herz erneut brechen zu lassen. Eine feste Beziehung – das stellt sie deshalb sofort klar – kommt für sie überhaupt nicht infrage. Matthew ahnt, dass es nicht leicht werden wird, Dee-Dee vom Gegenteil zu überzeugen. Doch er ist sich sicher, dass diese Frau jede Mühe wert ist …
Dieses Buch ist für all die »netten« Kerle und »verrückten« Mädels auf der Welt. Möget ihr einander finden und gemeinsam die Achterbahnfahrt des Lebens genießen!
Im Lauf der letzten Wochen habe ich erfahren, dass Frauen es manchmal wirklich schön finden zu weinen. Sie weinen bei Büchern, bei Fernsehsendungen, bei der schrecklichen Werbung mit misshandelten Tieren und bei Filmen – vor allem bei Filmen. Sie setzen sich hin und ziehen sich absichtlich einen Streifen rein, der sie traurig macht – irgendwie ganz schön bescheuert!
Aber das geht schon in Ordnung; ich stecke es in dieselbe Schublade wie all die anderen Rätsel, die meine Freundin mir aufgibt. Ja, ich sagte »Freundin«. Dee Warren ist offiziell meine feste Freundin.
Noch mal für alle in der letzten Reihe: Freundin – Delores – meine!
Wenn ich so darauf herumreite, komme ich vielleicht wie ein vorpubertärer Bubi mit Justin-Bieber-Obsession rüber, aber das ist mir Hupe. Es war nämlich ein hart erkämpfter Sieg. Wenn Sie wüssten, was ich alles durchmachen musste, um Dee für mich zu erobern, hätten Sie Verständnis.
Also, zurück zum Thema. Mädels heulen gern – aber das hier wird kein solcher Schmachtfetzen. Hier gibt’s keine beste Freundin auf dem Sterbebett, keine unheilvolle Vergangenheit, keine ominösen Geheimnisse, keine Glitzervampir-Trennungen und kein versautes Rumgevögele.
Na ja … okay … ein bisschen versautes Rumgevögele kommt schon vor – aber nur auf fröhlicher, einvernehmlicher Basis.
Dies ist die Geschichte von einem Aufreißertypen, der eine leicht verrückte Frau kennenlernt. Sie verlieben sich, und der Aufreißer wird einmal komplett umgekrempelt. So eine Geschichte haben Sie bestimmt schon mal gehört, vielleicht sogar von meinem Kumpel Drew Evans. Aber das Ding ist, während er und Kate ihren Kram auf die Reihe zu kriegen versuchten, ging es in einem Paralleluniversum, von dem Sie nichts mitbekommen haben, zwischen mir und Delores so richtig ab. Also hören Sie sich das ruhig mal an, auch wenn Sie meinen, das Ende schon zu kennen! Denn das Beste an einem Roadtrip ist nicht die Ankunft am Ziel, sondern all die wilden Geschichten, die man unterwegs erlebt.
Bevor es losgeht, gebe ich Ihnen noch ein paar Hintergrundinfos, die vielleicht nützlich sein könnten. Erstens: Drew ist ein toller Typ, ein wahrer Freund. Wenn wir das Rat Pack wären, wäre er Frank Sinatra und ich Dean Martin. Obwohl Drew und ich uns echt gut verstehen, vertreten wir völlig unterschiedliche Ansichten über die Frauen. Zu diesem Zeitpunkt unserer Erzählung sieht er sich selbst als ewigen Junggesellen. Er hat sich einen Haufen Regeln gesetzt: Nimm nie eine Puppe mit zu dir nach Hause! Fang nie was mit einer Arbeitskollegin an! Und seine Regel Nummer eins lautet: Geh nie zweimal mit derselben Frau ins Bett!
Mir dagegen ist es egal, wo ich zum Stich komme – bei mir, bei ihr, auf der Aussichtsplattform des Empire State Building …
Das war vielleicht eine tolle Nacht.
Ich habe auch nichts dagegen, mit einer aus dem Büro anzubandeln – wobei die meisten Damen in meiner Branche gestresste, kettenrauchende, kaffeesüchtige Frauen mit reizbarem Gemüt sind. Mehrfach mit derselben auszugehen finde ich ebenso unproblematisch, solange man sich noch miteinander vergnügt. Und eines Tages will ich sesshaft werden – heiraten, Kinder kriegen, das volle Programm.
Aber während ich nach der Richtigen suche, habe ich noch meinen Spaß mit all den Falschen.
Zweitens: Bei mir ist das Glas immer halb voll. Nichts kann mich runterziehen. Mein Leben ist großartig. Ich habe einen guten Job, dessen Gehalt mich immer mit dem besten Männerspielzeug auf dem Markt versorgt, ich habe tolle Freunde und eine etwas verdrehte, aber liebevolle Familie. »Emo« kommt in meinem Wortschatz nicht vor, aber YOLO hätte mein zweiter Vorname lauten sollen.
Jetzt zu Delores Warren – Dee, wenn Sie es sich nicht mit ihr verderben wollen. Heutzutage ein eher ungewöhnlicher Name, aber zu ihr passt er perfekt. Sie ist nämlich ungewöhnlich, anders, und zwar im allerbesten Sinn. Sie sagt knallhart ihre Meinung, mit Betonung auf »knallhart«. Sie ist stark und schert sich einen Dreck darum, was andere von ihr denken. Sie bleibt sich treu und steht kompromisslos für das ein, was sie will und wer sie ist. Wild und wunderschön ist sie – wie ein ungezähmtes Vollblutpferd, das ohne Sattel am besten läuft.
Und genau an dem Punkt hätte ich beinahe alles verbockt. Ich wollte sie zähmen. Ich dachte, ich hätte die Geduld dazu, aber ich habe zu sehr gedrängelt und zu doll an den Zügeln gezerrt. Also hat sie das Zaumzeug zerrissen.
Empört es Sie, dass ich die Frau, die ich liebe, mit einem Pferd vergleiche? Kriegen Sie sich bloß wieder ein – wir sind hier nicht bei der Märchenstunde für politisch Überkorrekte.
Doch ich greife vor. Erst mal brauchen Sie nur zu wissen, dass Kate Brooks unsere Arbeitskollegin und Delores’ beste Freundin ist, wie Miley und Lilly aus Hannah Montana. Und in all den Jahren unserer Freundschaft – was ziemlich genau jedem einzelnen von Drews Lebensjahren entspricht – hat er noch nie so auf eine Frau reagiert wie auf Kate. Die Anziehungskraft zwischen den beiden war anfangs zwar zerstörerisch, aber immer mit Händen zu greifen. Ein Blinder konnte sehen, dass sie einander verfallen waren.
Nur sie selbst nicht.
Genau wie Delores ist Kate ein tolles Mädchen. Sie gehört zu dem Typ Frau, der in den unsterblichen Worten von Eddie Murphy in Der Prinz aus Zamunda nicht nur den Intellekt, sondern auch den kleinen Prinzen anspricht.
Alles mitbekommen? Hervorragend. Dann legen wir mal los.
Vor ungefähr vier Wochen änderte sich mein Leben schlagartig. An einem ganz normalen, durchschnittlichen Tag – als ich eine Frau kennenlernte, die alles andere als durchschnittlich war.
Vier Wochen zuvor …
»Matthew Fisher, Jack O’Shay, Drew Evans, das ist Dee-Dee Warren.«
Liebe auf den ersten Blick gibt es nicht. Liegt einfach nicht im Bereich des Möglichen. Tut mir leid, wenn ich damit Ihre Träume zum Platzen bringe, aber so sieht’s aus. Selige Unkenntnis mag sich ja toll anfühlen, doch nüchtern betrachtet ist es trotzdem bloß ein Mangel an Information.
Um jemanden wirklich zu lieben, muss man ihn kennen – seine Macken, seine Träume, was ihn auf die Palme bringt und was ihm ein Lächeln ins Gesicht zaubert, seine Stärken, Schwächen und Fehler. Kennen Sie dieses Bibelzitat, das immer bei Hochzeiten vorgelesen wird: »Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht …«? Ich habe eine eigene Version davon: Liebe ist, wenn man den morgendlichen Mundgeruch des anderen vermisst. Wenn man ihn selbst mit Rudolph-roter Rentiernase und verwuscheltem Zauselhaar schön findet. Liebe ist, wenn man sich nicht trotz seiner Fehler mit jemandem rumschlägt, sondern ihn gerade wegen dieser Fehler vergöttert.
Lust auf den ersten Blick dagegen, die gibt es wirklich. Und zwar sehr viel häufiger. Genau genommen entscheiden ein Mann und eine Frau innerhalb der allerersten fünf Minuten, ob sie einander in die Kategorie »Flachlegen«, »Abmurksen« oder »Heiraten« stecken. Für die Flachleg-Kategorie hängt die Latte bei Männern ziemlich tief.
Ich würde Ihnen ja gern erzählen, dass mir an Delores als Allererstes etwas furchtbar Romantisches aufgefallen wäre: ihre Augen, ihr Lächeln oder der Klang ihrer Stimme – aber so war’s nicht. Es waren ihre Brüste. Für Brüste habe ich nun mal eine Schwäche, und auf dem Gebiet hatte Dee so einiges vorzuweisen. Ihr pinkes, eng anliegendes Oberteil war hervorragend ausgefüllt, was einen verführerischen Ausschnitt zauberte; das Ganze war hübsch umrahmt von einem grauen Strickpulli.
Bevor Dee Warren auch nur ein einziges Wort mit mir gewechselt hatte, hatte ihr Vorbau mir schon den Kopf verdreht.
Ich erinnere mich noch an unsere erste Begegnung, als wäre es gestern gewesen: Erst schäkert sie eine Weile mit Drew, dann ziehe ich ihre Aufmerksamkeit auf mich. »Also, Dee-Dee … ist das eine Abkürzung für irgendwas? Donna, Deborah?«
Warme, honigfarbene Augen richten sich auf mich. Aber bevor Dee mir antworten kann, lässt Kate die Katze aus dem Sack: »Delores. Ein Familienerbstück – von ihrer Großmutter. Sie hasst den Namen.«
In gespielter Wut funkelt Delores sie an.
Will man eine Frau beeindrucken, ist Humor immer eine sichere Bank. So beweist man Köpfchen – und Selbstbewusstsein. Wer lang hat, sollte lang hängen lassen.
Deswegen sage ich zu Kates Freundin: »Delores ist ein wunderschöner Name für eine wunderschöne Frau. Außerdem reimt er sich auf Klitoris … und auf dem Gebiet bin ich Experte. Und riesiger Fan.«
Wie geplant, entlockt mein Spruch Dee eine sofortige Reaktion. Ihr Mund weitet sich zu einem Lächeln, und sie fährt sich lasziv mit dem Finger über die Unterlippe. Sobald eine Frau nach der Bemerkung eines Mannes ihren Körper berührt, stehen die Zeichen gut.
Dann wendet sie sich den anderen zu. »So, Kinder, ich muss wieder an die Arbeit. Hat mich gefreut, Jungs.« Zum Abschied umarmt sie Kate und zwinkert mir zu. Auch ein gutes Zeichen.
Ich schaue ihr nach und stelle fest, dass sie von hinten einen fast ebenso umwerfenden Anblick bietet wie von vorn.
»Sie muss zur Arbeit?«, fragt Drew. »Ich dachte, die Stripclubs machen erst um vier auf.«
Berechtigter Einwand. Wer so viele Stripclubs von innen gesehen hat wie wir, erkennt irgendwann ein Muster: Die Kleidung der Frauen ist – wenn auch minimalistisch – überall die Gleiche. Und Dee trägt eindeutig den Look aus dem Stripperinnen-Fachhandel.
Wobei das auch mein eigenes Wunschdenken sein kann. Tolle Vorstellung, wenn sie Tänzerin in einem Stripclub wäre. Die sind nicht nur gelenkig, die lassen beim Feiern auch richtig die Sau raus. Total hemmungslos. Dass sie oft eine schlechte Meinung vom männlichen Teil der Erdbevölkerung haben, bietet dabei auch einige Vorteile. Schon der schlichteste Akt von Ritterlichkeit wird nämlich mit extremer Dankbarkeit vergolten. Und eine dankbare Stripperin ist eine schwanzlutschende Stripperin.
Aber Kate macht all meine Hoffnungen zunichte. »Dee ist keine Stripperin. Die Klamotten zieht sie nur an, um Leute wie dich zu irritieren. Damit sie aus allen Wolken fallen, wenn sie erfahren, was sie eigentlich macht.«
»Und was macht sie eigentlich?«, frage ich.
»Sie ist Raumfahrttechnikerin.«
Jack spricht aus, was wir alle denken. »Du verarschst uns doch.«
»Leider nein. Delores hat einen Abschluss in Chemie. Zu ihren Kunden gehört unter anderem die NASA. Ihr Labor arbeitet daran, die Treibstoffverbrennung der Raumfähren zu verbessern.« Sie erschaudert. »Dee-Dee Warren mit Zugang zu hochexplosiven Substanzen … Darüber denke ich lieber nicht so oft nach.«
Und jetzt ist meine Neugierde genauso wach wie meine Libido. Egal, ob bei Frauen, bei Musik oder bei Büchern – ich hatte schon immer eine Vorliebe für das Ungewöhnliche, das Exotische. Und im Gegensatz zu Drew, dessen Apartment klinisch steril eingerichtet ist, bevorzuge ich Möbel mit einer Geschichte, selbst wenn es dann eine bunte Mischung wird. Das Eigenwillige ist immer interessanter.
»Brooks, du musst mich unbedingt mit ihr verkuppeln. Ich bin ein netter Kerl. Lass mich mit deiner Freundin ausgehen! Sie wird’s nicht bereuen, versprochen.«
Kate denkt kurz nach. »Klar, warum nicht? Du könntest Dee gefallen.« Sie gibt mir eine neongrüne Visitenkarte. »Aber ich warne dich. Das Mädchen ist eine notorische Herzensbrecherin. Wenn du Spaß für ein oder zwei Nächte willst, solltest du dich wirklich bei ihr melden. Doch falls du auf irgendwas Längerfristiges aus bist, lass lieber die Finger von ihr!«
Und jetzt weiß ich, wie Charlie sich gefühlt haben muss, als er die letzte goldene Eintrittskarte zu Willy Wonkas Schokoladenfabrik fand.
Ich stehe auf und gebe Kate einen Schmatzer auf die Wange. »Du … bist meine neue beste Freundin.«
Kurz ziehe ich in Erwägung, sie auch noch zu umarmen – einfach nur, um Drew, der schon eine finstere Miene zieht, zu ärgern –, aber ich will keinen Schlag in die Eier riskieren. Mit denen habe ich noch einiges vor.
Kate fordert Drew auf, nicht zu schmollen, und er macht irgendeine Bemerkung über ihre Brüste, doch ich höre nur mit einem Ohr hin. Ich bin nämlich schon vollauf mit der Überlegung beschäftigt, wo Delores Warren und ich einen – oder auch zwei – trinken gehen können. Und welch wundervoll versaute Tätigkeiten sich mit ziemlicher Sicherheit daran anschließen werden.
So fing also alles an. Es sollte gar nichts Kompliziertes werden – keine Liebe auf den ersten Blick, kein großer Aufwand, keine verletzten Gefühle. Eine bombensichere Sache, ein bisschen Spaß, ein One-Night-Stand mit Option auf Wiederholung. Das war nach Kates Auskunft alles, was Dee wollte, und dasselbe galt für mich. Mehr hatte ich auch nicht erwartet.
Elvis Presley hatte recht: »Only fools rush in« – nur ein Dussel stürzt sich kopfüber ins Gefecht. Und falls Ihnen das noch nicht klar war, ich bin ein Dussel allererster Güte.
Viele Menschen haben sich ganz und gar der Arbeit verschrieben. Nicht aus finanziellen Gründen, sondern weil sie sich einfach über ihren Broterwerb definieren – ihr Job schenkt ihnen Selbstvertrauen, stiftet ihrem Leben Sinn und gibt ihnen vielleicht sogar den ganz besonderen Kick. Daran ist nicht immer etwas auszusetzen. Das Büro ist der Spielplatz des Geschäftsmanns, und der Anwalt fühlt sich im Gerichtssaal wie zu Hause. Und falls ich je einen Chirurgen brauchen sollte, lasse ich nur einen erklärten Workaholic an mir rumschnippeln.
Ich selbst jedenfalls arbeite als Investmentbanker bei einem der renommiertesten Unternehmen der Stadt. Ich bin gut in meinem Job, das Gehalt stimmt, ich leiste meinen Kunden gute Dienste – halte sie bei Laune und sorge für frischen Zulauf. Aber ich würde nicht behaupten, dass ich meinen Job liebe. Mein Herz schlägt nicht allein für die Arbeit. Auf dem Sterbebett werde ich mir nicht wünschen, mehr Zeit im Büro verbracht zu haben.
In der Hinsicht schlage ich nach meinem Vater. Kompromisslos setzt er sich für die Firma ein, die John, George und er zusammen gegründet haben, doch keine seiner Verpflichtungen könnte ihn vom Golfen abhalten. Und er ist ein ganz altmodischer Familienmensch, schon immer gewesen. Früher stand jeden Tag um Punkt sechs das Abendessen auf dem Tisch. Wenn sich meine vier Buchstaben dann nicht auf einem Stuhl im Esszimmer befanden, lag ich besser mit einer lebensgefährlichen Verletzung in der Notaufnahme, sonst blühte mir was. Die Tischgespräche drehten sich überwiegend um die Frage: »Was hast du heute gemacht?«, und »Nichts« war keine hinnehmbare Antwort. Als Einzelkind fehlten mir die Geschwister, die den strengen Blick meiner Eltern von mir hätten ablenken können. Mein alter Herr war sich der potenziellen Fallgruben für einen privilegierten Halbwüchsigen in New York City nur allzu bewusst, deswegen passte er auf wie ein Schießhund, dass ich mir keinen Ärger einhandelte.
Na ja … oder zumindest nur selten.
Ein bisschen Ärger darf sich jedes Kind mal leisten. Nur so entwickelt man Einfallsreichtum und selbstständiges Denken. Und wenn einem Teenager keinerlei Freiheiten zugestanden werden, dann dreht er völlig durch, sobald er aufs College kommt. Was ziemlich böse enden kann.
Laut der goldenen Regel meines Vaters sollte ein junger Mann auf drei Dinge im Leben achten: gute Noten, ein sauberes Strafregister und einen geschlossenen Hosenstall.
Zwei von drei ist doch keine schlechte Quote, oder?
Obwohl meinem Vater die Familie am Herzen liegt und er Berufliches strikt vom Privaten trennt, darf ich als sein Sohn das noch lange nicht als Freibrief in der Firma betrachten. Eigentlich glaube ich sogar, dass er mich härter rannimmt als die anderen Angestellten, einfach nur, um nicht den Vorwurf der Klüngelei zu riskieren. Unkorrektes Verhalten im Büro würde er niemals dulden. Da beißt man bei ihm auf Granit.
So erklärt sich auch, wie mein Dad und seine Partner ein so erfolgreiches Unternehmen aufziehen konnten – jeder von ihnen bringt nämlich seine individuellen Stärken ins Team ein. John Evans, Drews und Alexandras Vater, ist wie Face vom A-Team. Mit seinem Charme wickelt er jeden um den Finger, sorgt für glückliche Kunden und hochmotivierte Angestellte. Dann gibt es da George Reinhart, Stevens Dad. George ist das Hirn des ganzen Ladens. Mein Dad und John haben zwar auch einiges auf dem Kasten, aber George kommt mir vor wie Stephen Hawking, nur ohne die Nervenkrankheit. Ich kenne niemanden, der den technischen, zahlenlastigen Aspekt des Investmentbankings so sehr genießt wie er.
Dann wäre da noch mein Vater, Frank – das Tier, der Antreiber. Er ist kein Mann großer Worte, aber wenn er mal was sagt, sollte man lieber ganz genau zuhören. Außerdem hat er keinerlei Skrupel, Leute zu feuern. Gegen meinen Dad sieht Donald Trump wie das letzte Weichei aus. Egal, ob Sie der einzige Brotverdiener in Ihrer Familie sind oder schwanger und kurz vor dem Entbindungstermin stehen – wenn Sie Ihren Krempel nicht im Griff haben, setzt er Sie an die frische Luft. Tränen rühren ihn nicht, und eine zweite Chance gewährt er selten. Schon als kleiner Junge bekam ich immer wieder von ihm zu hören: »Matthew, Familie ist Familie, Freunde sind Freunde, und Geschäft ist Geschäft. Bring das nicht durcheinander.«
Auch wenn er ein harter Hund ist, bleibt er immer fair und aufrichtig. Wer gründlich und sauber arbeitet, kommt gut mit ihm zurecht. Ich arbeite immer besonders gründlich und extrasauber. Nicht nur weil ich meinen Job gern behalten möchte, sondern weil ich … meinen alten Herrn nicht enttäuschen will. Leider ist so eine Haltung heute selten geworden. Es rennen so viele kleine Rotzgören herum, die keinen Gedanken daran verschwenden, wie sie ihre Eltern stolz machen können – doch genau nach dem Prinzip sind Drew, Alexandra, Steven und ich erzogen worden.
Wie auch immer, zurück zu unserer eigentlichen Geschichte.
Nach dem Mittagessen mit den Jungs verbringe ich den restlichen Nachmittag an meinem Schreibtisch, setze einen Vertrag auf und bauchpinsele meine Kunden am Telefon. Gegen sechs Uhr packe ich gerade mein Zeug zusammen, als Steven zur Tür reinsegelt.
»Rate mal, wer seine komplette Mittagspause in der Warteschlange zwischen lauter sabbernden Zockern verbracht hat, um die neueste Dröhnung abzugreifen!«
Ich stecke noch einen Hefter in meine Aktentasche, ein paar Seiten unromantische Bettlektüre. Will man sein Leben nicht an den Schreibtisch gefesselt zubringen, ist Zeitmanagement das oberste Gebot.
»Du womöglich?«, antworte ich.
Er nickt lächelnd. »Allerdings, Bruder. Und jetzt sieh dir an, was ich erbeutet habe!«
Er hält ein zellophanumhülltes Rechteck hoch.
Früher, als mein Vater in unserem Alter war, traf er sich mit seinen Kumpels zum Angeln oder auf einen Drink in der Kneipe, um nach einem langen Arbeitstag abzuschalten. Aber was Steven da in der Hand hält, macht süchtiger als Alkohol und bringt tausendmal mehr Spaß, als einen Köder an einen Haken zu stecken.
Es ist der neueste Teil von Call of Duty.
»Sauber.« Ich greife nach der Hülle und gucke mir die Screenshots von der verbesserten Grafik auf der Rückseite an.
»Bock auf eine Mission heute Abend? Gegen neun?«
Falls Sie es nicht schon wissen: Steven ist verheiratet. Und zwar nicht einfach mit irgendwem, sondern mit Alexandra geborene Evans, auch bekannt als Die Zicke. Aber das haben Sie jetzt nicht von mir gehört.
Kommt einem eine normale Ehefrau schon vor wie ein gestachelter Morgenstern, gleicht Alexandra einem Sherman-Panzer. Sie hält Steven an einer kurzen Leine – lässt ihn samstags nicht raus in die Bars, erlaubt ihm nur einen Pokerabend im Monat. Obwohl er nicht der Typ für Seitensprünge ist, glaubt Alexandra, seine sorglosen Single-Freunde könnten einen schlechten Einfluss auf ihren Mann haben. Und … wahrscheinlich hat sie damit auch recht.
Aber wie jeder gute Gefängnisdirektor weiß, darf man seine Insassen nicht aller Freiheiten berauben. Man kann sie zehn Stunden am Tag in eine Zelle sperren, ihnen den Hofgang streichen – doch versucht man, ihnen die Kippen wegzunehmen, handelt man sich einen größeren Aufstand ein.
Die Xbox ist Stevens einzig statthaftes Laster. Solange die Zockerei nicht mit den Schlafenszeiten ihrer Tochter Mackenzie kollidiert. Einmal ist Steven bei einem Überfall ein bisschen zu laut geworden und hat Mackenzie geweckt. Danach hatte er eine Woche lang Hausarrest. Lektion gelernt.
»Klar, Mann, bin dabei.« Ich gebe ihm das Spiel zurück.
»Cool. Dann bis neun. Seien Sie pünktlich, Soldat!« Er salutiert und verschwindet aus der Tür.
Ich schnappe mir meinen Aktenkoffer und die Sporttasche und breche ein paar Minuten später ebenfalls auf. Auf dem Weg zum Fahrstuhl schaue ich noch in Drews Büro vorbei.
Er hockt an seinem papierbeladenen Schreibtisch und kritzelt mit Rotstift in einem Dokument herum.
»Hi.«
Er hebt den Kopf. »Hi.«
»Xbox, heute Abend, neun Uhr. Steven hat das neue Call of Duty.«
Den Blick wieder auf sein Papier gesenkt, antwortet Drew: »Kann nicht. Bis zehn bin ich mindestens noch hier.«
Was ich vorhin über Leute sagte, die ihr Leben der Arbeit verschrieben haben – genau das trifft auf Drew Evans zu.
Aber er ist glücklich damit. Er gehört nicht zu den arbeitsmüden Faulenzern, die morgens schon den Feierabend herbeisehnen, im Gegenteil. Drew genießt die Schinderei in vollen Zügen; ihn reizt es, einen Vertrag abzuschließen, selbst wenn die Verhandlungen aussichtslos erscheinen. Weil er nämlich weiß, dass er jede noch so harte Nuss knackt, wahrscheinlich sogar als Einziger.
Na ja … zumindest bis sich eine gewisse dunkelhaarige Schönheit in unsere Reihen gesellte.
Ich schaue über den Flur zu Kates Büro. Sie sitzt an ihrem Schreibtisch, das vollendete Spiegelbild Drews – bloß in Sexy.
Auf eine Stuhllehne gestützt, bemerke ich beiläufig: »Hast du schon gehört, dass Kate kurz davorsteht, Pharmatab unter Vertrag zu nehmen?«
Er guckt immer noch nicht hoch. »Ja, hab ich gehört«, brummt er missmutig.
Ich grinse. »Schalt lieber mal einen Gang hoch, Kumpel! Wenn sie den Deal abschließt, wird dein Alter sie vor Freude glatt adoptieren. Und in New York ist Inzest selbst zwischen Adoptivgeschwistern illegal.«
Männer machen solche fiesen Sprüche, so läuft das eben unter Freunden. Das entspricht den Bussis, die Frauen einander auf die Wange hauchen. Ein Zeichen der Zuneigung.
»Aber wahrscheinlich kommt Inzest ohnehin nicht infrage, so wie sie dich abblitzen lässt.«
»Leck mich!«
Ich kichere. »Heute nicht, Schatz. Ich habe Kopfschmerzen.« Dann gehe ich zur Tür. »Viel Spaß noch!«
»Bis dann.«
Nachdem ich das Bürogebäude verlassen habe, steige ich wie jeden Tag nach Feierabend in die U-Bahn und fahre zu meinem Sportstudio. Es liegt in Brooklyn, und der Schuppen versprüht einen morbiden Charme. Andere sehen darin vielleicht nur eine Bruchbude, doch für mich ist der Laden ein echtes Juwel. Der harte Fußboden müsste dringend gereinigt werden, und die roten Sandsäcke an der Rückwand sind verschlissen. Vor einem gesprungenen Spiegel stapeln sich Gewichte, eine Klappkiste mit Springseilen steht neben einem einsamen Rudergerät. Hier gibt es keine spandextragenden, gelangweilten Hausfrauen, die aufgerissen werden wollen oder ihr neuestes kosmetisches Upgrade zur Schau stellen. Hier gibt es keine Crosstrainer oder Hightech-Laufbänder wie im Fitnessraum meiner Wohnanlage. Hier komme ich her, um zu schwitzen und meine Muskeln mit gut bewährten Freiübungen an ihre Grenzen zu bringen. Und vor allem komme ich wegen des Boxrings in der Mitte hierher.
Ich war zwölf Jahre alt, als ich zum ersten Mal Rocky geguckt habe. Der Film spielt in Philadelphia, hätte aber genauso gut in New York spielen können. Ich werde jetzt nicht meinen Job an den Nagel hängen und ab sofort für den Schwergewichtstitel trainieren oder so, aber nirgends kann man sich besser auspowern als bei ein paar Runden im Ring mit einem anständigen Gegner.
Ronny Butler – der unrasierte Mittfünfziger mit dem grauen Sweatshirt und dem dicken Kettchen mit dem Kreuz um den Hals, der gerade die beiden umeinandertänzelnden Sparringspartner anschreit – gehört der Laden. Mit Mickey aus den Rocky-Filmen kann er sich vielleicht nicht messen, doch er ist ein guter Mann und ein noch besserer Trainer.
Im Laufe der Jahre konnte ich mir aus den paar Informationsbröckchen, die er fallen lässt, wenn ich hier abends als Letzter noch rumhänge, ein bisschen was über ihn zusammenreimen. Ende der Achtziger war Ronny ein dicker Fisch an der Wall Street und genoss das Leben. Eines Freitagabends fuhr er mit seiner Familie übers Wochenende raus in die Hamptons. Weil ihm auf der Arbeit noch was dazwischengekommen war, brachen sie erst spät auf, und ein müder Lkw-Fahrer döste am Steuer ein, raste über den Mittelstreifen in den Gegenverkehr – und krachte frontal in Ronnys BMW. Er kam mit einer Gehirnerschütterung und einem Oberschenkelbruch davon. Seine Frau und seine Tochter starben.
Ein paar Jahre lang griff er zur Flasche; noch länger brauchte er für den Entzug. Dann nahm er das Schmerzensgeld und kaufte diesen Laden. Er kommt nicht unbedingt verbittert oder traurig rüber, aber als glücklich würde ich ihn auch nicht bezeichnen. Wahrscheinlich hält das Sportstudio ihn am Laufen, weil er etwas hat, wofür er morgens aufstehen kann.
»Zurück mit dir, Shawnasee!«, brüllt Ronny den Kämpfer an, der seinen Sparringspartner gerade in die Seile drängt und mit den Fäusten bearbeitet. »Scheiße noch mal, wir sind hier doch nicht in Vegas! Lass den Kerl mal Luft holen!«
Dieser kleine Shawnasee ist ein echtes Arschloch. Solche Typen kennt man ja – blutjunge, hitzköpfige Mistkerle, die auf dem Highway extra aus dem Auto steigen, um ein armes Würstchen zu verprügeln, das ihnen den Weg versperrt. Noch ein Grund, warum ich gern boxe – man darf Idioten in ihre Schranken weisen, ohne wegen Körperverletzung angezeigt zu werden. Shawnasee versucht schon seit ein paar Monaten, mich mit Sticheleien in den Ring zu locken, aber es macht keinen Spaß, gegen jemanden mit hundsmiserabler Technik anzutreten. Die können zuschlagen, so hart sie wollen, sie haben einfach keine Chance. Ich warte noch, bis er besser ist – dann stutze ich ihn zurecht.
Ich begegne Ronnys Blick, während er die beiden Streithähne voneinander trennt, und nicke zum Gruß. Dann gehe ich in die Umkleide, steige aus meinem Anzug und knöpfe mir eine halbe Stunde lang den Sandsack vor. Als Nächstes setze ich mich ins Rudergerät, bis es mir im Bizeps brennt und meine Beine sich wie Wackelpudding anfühlen. Zum Abschluss noch zehn Minuten flottes Springseilspringen, was viel leichter klingt, als es ist. Versuchen Sie es mal für nur fünf Minuten! Wetten, Sie bekommen einen Herzstillstand?
Als der Ring frei ist, klettere ich hoch und liefere mir drei Runden gegen Joe Wilson, einen Nobelanwalt, gegen den ich schon öfter geboxt habe. Joe schlägt sich wacker, aber dieser Kampf geht eindeutig an mich. Hinterher klatschen wir uns freundschaftlich mit den Boxhandschuhen ab, und ich hole meine Sachen aus der Umkleide. Auf dem Weg nach draußen gebe ich Ronny einen Klaps auf den Rücken, jogge zur U-Bahn und fahre nach Hause.
Ich gebe gern zu, dass meine Eltern mir nach dem College diese Wohnung besorgt haben. Damals überstieg die Miete für die Bude noch knapp mein Budget. Die Lage ist super; ich kann zu Fuß ins Büro gehen und habe eine tolle Aussicht auf den Central Park. Weil ich seit dem College hier wohne, fehlt der Einrichtung die stilistische Konsequenz, die man normalerweise in der Wohnung eines erfolgreichen Geschäftsmannes erwartet. Sehen Sie sich ruhig mal um!
Schwarze Ledersofas vor einem Großbildfernseher, inklusive spitze Soundanlage und Spielekonsole auf dem gläsernen Sideboard darunter. Der Wohnzimmertisch ist auch aus Glas, aber die Kanten haben nach Jahren der hochgelegten Füße und abgestellten Bierflaschen schon einige Macken. Ein schemenhaftes Gemälde von einer Bergspitze aus der Hand eines berühmten japanischen Künstlers hängt an der Wand, und meine geliebte Sammlung alter Baseballkappen ziert die gegenüberliegende Seite. In einer beleuchteten Vitrine in der Ecke ist die Auszeichnung für Herausragende Leistungen im Investment Management aus geschliffenem Kristall zu bewundern, die ich letztes Jahr bekommen habe … und der Original-Helm von Boba Fett, der bei den Dreharbeiten zu Star Wars – Das Imperium schlägt zurück verwendet wurde. Einbaubücherregale aus dunklem Holz zeigen Sammlerstücke aus dem Profisport, Bücher über Kunst, Fotografie und Banking und ungefähr ein Dutzend verschiedene Rahmen mit Bildern von Familie und Freunden, aufgenommen in den schönsten Augenblicken meines Lebens. Bilder, die ich selbst geschossen habe.
Fotografieren ist eins meiner Hobbys. Darüber erfahren Sie später noch mehr.
Statt einer völlig überflüssigen Esstischgarnitur stehen im Esszimmer ein Billardtisch und ein Space-Invaders-Spielautomat. Aber meine Küche ist voll ausgestattet – schwarze Granitarbeitsflächen, italienischer Marmorfußboden, Edelstahlhaushaltsgeräte und ein Messerset, auf das jeder Sternekoch stolz wäre. Ich koche gern, und ich koche gut.
Liebe mag ja durch den Magen gehen – aber der Weg in den Slip einer Frau führt ebenfalls dort vorbei. Ein Mann, der sich in seiner Küche auskennt, ist für Frauen das absolute Kaufargument. Beweisen Sie mir das Gegenteil!
Na, jedenfalls ist mein Apartment der Hammer. Groß und trotzdem gemütlich; beeindruckend, aber nicht unsympathisch. Nachdem ich mich in der verglasten Dreikopfdusche erfrischt habe, rubbele ich mich mit einem Handtuch trocken und verbringe einen Augenblick vor dem Ganzkörperspiegel. Mein hellbraunes Haar schimmert dunkel vor Feuchtigkeit und steht in alle Richtungen ab. Langsam wäre mal wieder ein Friseurbesuch fällig – wenn es zu lang wird, kriege ich richtige Schmalzlocken. Mein kantiges Kinn ist schon wieder stoppelig, aber auf Rasieren habe ich jetzt keine Lust. Ich stelle mich seitlich hin und spanne den Bizeps an, sodass sich die Muskeln wölben. Ich bin kein Fleischberg, sondern eher der schlanke, athletische Typ, und an meinem Sixpack finden Sie kein Gramm Fett.
Ihnen mag das ja dämlich vorkommen, dass ich mich im Spiegel betrachte, aber glauben Sie mir: Das machen alle Männer. Wir werden bloß nicht gern dabei erwischt. Doch wenn man so viel Zeit in seinen Körper investiert wie ich, dann darf man die Früchte seiner Arbeit auch genießen.
Schließlich streife ich mir seidene Boxershorts über und mache mir eine Schüssel Pasta mit Hühnchen von gestern warm. Ich bin zwar kein Italiener, aber das könnte ich sieben Tage die Woche essen. Es ist ungefähr halb neun, als ich mit dem Abwasch fertig bin. Ja, ich bin ein Mann, der sein schmutziges Geschirr selbst spült.
Sie dürfen gern neidisch sein, meine Damen – ich bin eine seltene Spezies.
Dann lasse ich mich auf mein gemütliches, extrabreites Bett fallen und fische die goldene Eintrittskarte aus der Tasche meiner Anzughose.
Mit den Fingern fahre ich über die Buchstaben auf dem leuchtend grünen Karton.
DEE WARREN
CHEMIKERIN
LINTRUM BRENNSTOFFE
Und ich muss wieder an die zarten, weichen Rundungen denken, die aus dem engen pinken Oberteil quellen. Mein Schwanz zuckt auf – anscheinend kann er sich auch gut erinnern.
Normalerweise würde ich ein oder zwei Tage warten, bevor ich ein Mädchen wie Delores anrufe. Timing ist alles. Übereifer ist ein klassischer Anfängerfehler – Frauen wollen höchstens von Welpen behechelt werden, aber nicht von Männern.
Doch es ist schon Mittwochabend, und ich wollte Dee gern am Freitag treffen. Das einundzwanzigste Jahrhundert ist das Zeitalter von Er steht einfach nicht auf dich, Dating für Dummies und Tausend Tipps fürs erste Date, und daher ist es nicht mehr so einfach wie früher, eine Perle mal eben anzurufen und was klarzumachen. Heutzutage gibt es all diese bescheuerten Regeln – das musste ich schmerzhaft erfahren.
Wenn sich zum Beispiel ein Typ noch am selben Abend, an dem er anruft, mit Ihnen treffen will, sollten Sie Nein sagen, weil das nämlich heißt, dass er Sie nicht respektiert. Und wenn er Sie an einem Dienstag ausführen will, dann hat er am Samstagabend was Besseres vor.
Immer auf dem neusten Stand der ständig wechselnden Vorschriften zu bleiben gestaltet sich schwerer, als der dämlichen Krankenversicherungsdebatte im Kongress zu folgen. Das Ganze ist ein einziges Minenfeld – ein falscher Schritt, und man kann sich den Matratzensport für eine lange Zeit abschminken. Aber wenn es so einfach wäre, zum Stich zu kommen, würde es ja jeder machen. Und zwar nonstop.
Was mich zu meiner nächsten Überlegung bringt: Feministinnen beschweren sich ja immer, dass Frauen weniger Macht hätten als Männer. Doch beim Thema »Dates« sieht die Sache, zumindest in Amerika, völlig anders aus. In den Bars herrscht am Wochenende rund um die Uhr Damenwahl. Die können sich die Rosinen rauspicken, denn kein männlicher Single würde je eine Anmache abschmettern.
Stellen Sie sich doch mal folgende Szene vor: Die Musik dröhnt, schwitzende Leiber reiben sich aneinander, und eine nicht unbedingt hässliche Frau geht auf einen Typen zu, der sich gerade einen Drink am Tresen genehmigt. Sie: »Dir will ich mal so richtig das Hirn wegvögeln.« Er: »Nö, hab heute irgendwie keine Lust auf Sex.« WÜRDE KEIN MANN JE SAGEN!
Mädels müssen sich nie Sorgen machen, ob sie abgeschleppt werden – solange sie ungefähr in ihrer eigenen Liga bleiben. Sie brauchen sich niemals den Kopf darüber zu zerbrechen, wann sie wohl endlich mal wieder flachgelegt werden. Für Frauen ist Sex wie All-you-can-eat – sie können sich einfach bedienen. Gott schuf die Männer mit einem ausgeprägten Sexualtrieb, um das Überleben der Spezies zu sichern. Seid fruchtbar und mehret euch und so weiter. Männern wie mir, die auf dem Gebiet souverän arbeiten, fällt das nicht sonderlich schwer. Aber für meine nicht so beschlagenen Brüder kann es zu einer beängstigenden Herausforderung werden, mal einen wegzustecken.
Ein Adrenalinstoß jagt mir durch die Adern, als ich nach dem Telefon greife und die Handynummer auf der Visitenkarte wähle. Das ist keine Nervosität, eher … verhaltene Vorfreude. Ich trommle mir im Takt von Enter Sandman von Metallica aufs Bein, und mir zieht sich der Magen zusammen, als es in der Leitung tutet.
Ich nehme mal an, dass Dee noch weiß, wer ich bin – schließlich habe ich einen ganz ordentlichen Eindruck hinterlassen, und ich kann davon ausgehen, dass sie einem Treffen nicht abgeneigt ist, sich vielleicht sogar freut. Womit ich nicht rechne, ist die gellende Stimme, die mir fast das Trommelfell zerreißt: »Nein, du Penner, ich will den Song nicht noch mal hören! Ruf Kate an, wenn du ein Publikum brauchst, verdammt!«
Ich halte mir den Hörer ein Stück vom Ohr weg und sehe noch mal nach der Nummer, ob ich mich vielleicht verwählt habe. Habe ich nicht.
Dann frage ich: »Äh … hallo? Spreche ich mit Dee?«
Kurze Stille, während sie begreift, dass ich nicht der Penner bin.
Schließlich antwortet sie: »Ja, hier ist Dee. Wer ist da?«
»Hi, hier ist Matthew Fisher. Ich bin ein Kollege von Kate – wir haben uns heute Mittag im Diner kennengelernt …«
Noch eine kurze Pause, dann hellt sich ihre Stimme auf. »Ach ja. Klitboy, stimmt’s?«
Ich lache leise. Von dem Spitznamen bin ich nicht so begeistert, aber wenigstens habe ich offenbar einen einprägsamen Auftritt hingelegt. Merke: Den Spruch noch mal bringen.
»Genau der.«
»Tut mir leid, dass ich dich angeschrien hab. Mein Cousin geht mir schon den ganzen Tag auf die Titten.«
Bei der Bemerkung rührt sich mein Schwanz, und ich kann mich gerade noch zurückhalten, mich nicht für einen Platztausch mit ihrem Cousin anzubieten.
»Was kann ich für dich tun, Matthew Fisher?«
Da geht meine Fantasie mit mir durch. Und zwar en détail. Hm, da gäb’s so einiges …
Einen Moment lang frage ich mich, ob sie absichtlich so redet oder sich mein Gehirn vor lauter Rolligkeit schon zu Brei verwandelt hat.
Ich gehe auf Nummer sicher. »Ich dachte, wir könnten vielleicht mal was zusammen trinken gehen.«
Halten wir hier kurz an. Denn trotz meiner früheren Beschwerden über die modernen Herausforderungen der männlichen Abschleppmanöver fühle ich mich zur Aufklärung verpflichtet, wie man Männersprech dekodiert. Stellen Sie sich mich einfach als attraktivere Version von Edward Snowden oder Julian Assange vor. Vielleicht sollte ich eine eigene Website erstellen – ich könnte sie »DickiLeaks« nennen. Obwohl, kein guter Name. Klingt nach Geschlechtskrankheiten.