Liebe - Sehnsucht - Selbstmord? - Anne Wilhelm - E-Book

Liebe - Sehnsucht - Selbstmord? E-Book

Anne Wilhelm

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Beschreibung

Ellena ist verzweifelt. Ihr Leben als Bibliothekarin ist sinnlos geworden, nachdem sich herausstellt, dass ihr Traummann eine andere hat. Dann stirbt auch noch ihr einziger Freund, was sie endgültig aus der Bahn wirft. Sie beschließt, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen. Doch sie will noch die Sehnsucht auf exotische Länder ausleben, die tief in ihr schlummert und macht sich auf zu einer letzten Reise. Dabei trifft sie auf einige skurrile Zeitgenossen und begegnet schließlich auch der Liebe. Doch ihrem Glück wird ein jähes Ende bereitet und sie selbst zum Ziel eines Mordkomplotts. Ellena muss einen verzweifelten Kampf ums nackte Überleben kämpfen. Kann Ellena ihn gewinnen und vermag sie, dass Glück festzuhalten? Sonst bleibt ihr nur ein letzter verzweifelter Ausweg . . .

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Das Leben, das ist mir zu schwer,

ich will es bald beenden.

Doch vorher hab ich Sehnsucht sehr,

mein Schicksal noch zu wenden.

Auf eine Reise geh ich schnell.

Wer weiß was ich dort find?

Neue Hoffnung leuchtet hell,

doch weht auch rau der Wind.

Alles liegt in Scherben

und ich will wieder sterben.

Wird am Ende alles gut?

Wer’s Schicksal kennt, hat manchmal Mut!

Inhaltsverzeichnis

20. Juni, Masung Ville

21. Juni, Masung Ville

28. Juni, Masung Ville

30. Juni, Mahogi

1. August, Mahogi

2. August, Mahogi

3. August, Mahogi

4. August, Mahogi

10. August, Mahogi

11. August, Mahogi

12. August, Mahogi

Epilog

20. Juni, Masung Ville

Punkt sieben Uhr ertönte die Radiomusik aus dem kleinen Wecker, der auf der Kommode stand. Ellena drehte sich verschlafen um und schlug mit der flachen Hand auf den kleinen Nachtschrank. Den Wecker verfehlte sie dabei nur um wenige Zentimeter. Mit einem leisen »Verdammt!« setzte sie zu einem neuen Versuch an. Dieses Mal gelang es ihr sogar, den Störenfried auszuschalten. Der morgendliche Kampf mit dem Radiowecker war, seit sie in Masung Ville wohnte, zu einem festen Ritual geworden. Erst nachdem Ellena einen weiteren Sieg über ihn davongetragen hatte, konnte sie sich endlich dazu durchringen, aufzustehen. Mit viel Mühe wühlte sie sich durch die Laken und richtete sich gähnend auf. Verschlafen rieb sie sich die Augen und stieg wackelig aus dem Bett. Die Luft in ihrem kleinen Schlafzimmer war stickig. Um diesen unerträglichen Zustand zu ändern, riss Ellena das große Fenster auf. Dabei hätte sie fast den Blumentopf umgeworfen, der auf der Fensterbank stand. Ein kurzer, kräftiger Windhauch fuhr durch ihre kurzen braunen Haare, die dadurch noch mehr zerzausten. Ellena atmete einmal tief durch. Die frische Luft tat ihr gut. Nun war es Zeit für das zweite morgendliche Ritual. Sie würde sich nämlich noch vor dem Duschen und Zähneputzen eine Zigarette genehmigen. Das Laster des Rauchens begleitete sie schon seit ihrer Jugend. Immer wieder hatte sie versucht aufzuhören, doch irgendwie kam sie nicht mehr davon los.

Noch etwas schläfrig schlurfte sie zur Kommode, wo schon die Packung und das Sturmfeuerzeug, welches sie von ihrem verstorbenen Vater bekommen hatte, bereitlagen. Fast schon gierig zog sie einen der Glimmstängel aus der Verpackung und zündete ihn an. Weißer Rauch stieg empor. Ellena inhalierte tief und spürte, dass sie sofort ruhiger wurde. Jetzt sah die Welt für sie gleich ganz anders aus. Die Sonne schien heller zu strahlen und ihr Gemütszustand hatte sich deutlich gehoben. Ein zufriedenes Lächeln trat auf ihr Gesicht und alle Sorgen waren im blauen Dunst aufgegangen. Da ihr Nikotinspiegel nun wieder den Soll-Wert erreicht hatte, ging sie zurück zum Fenster.

Die schmale Straße unterhalb ihrer Wohnung war trotz der frühen Stunde schon recht belebt. Die schier unendliche Autoschlange drängte Richtung des Businessviertels. Ellenas Blick folgte der Reihe von Autos, bis sie am Horizont kaum noch sichtbar waren. Dort, genau da hinten, im besten Geschäftsviertel der Stadt, in einem der großen Hochhäuser mit der verglasten, auf Hochglanz polierten Fassade hätte sie auch gern gearbeitet. Doch sie hatte das Studium bereits nach dem ersten Semester abgebrochen, um ihrer wahren Bestimmung als Bibliothekarin zu folgen.

Auf den Bürgersteigen tummelten sich bereits ein paar Menschen. Zu dieser Stunde waren das relativ wenig. Eine Handvoll vielleicht, mehr nicht. Gerade als Ellena ein weiteres Mal an ihrer Zigarette zog, stieg ihr der Duft von frischgebrühtem Kaffee in die Nase.

Das war der Beginn ihres dritten Morgenrituals vor dem Duschen. Noch immer mit der Zigarette im Mundwinkel lehnte sie sich aus dem Fenster. Jetzt konnte Ellena den Balkon unter sich einsehen. Dort hatte sich gerade ein junger Mann mit einem Kaffee und einem Buch niedergelassen. Das Muskelshirt, das er trug, gewährte Ellena, die von oben auf ihn herabsah, einen wundervollen Ausblick.

»Guten Morgen, Julian!«, rief sie ihm von oben zu. Der junge Mann blickte auf und bedachte sie mit einem Lächeln.

»Dir auch einen guten Morgen, Ellena!« Damit war das Gespräch schon wieder beendet. Als Ellena gerade beschlossen hatte, ins Bad zu gehen, ertönte noch einmal die Stimme des jungen Mannes von unten.

»Hey Ellena, bist du heute wieder in der Bibliothek?« Die Gerufene wandte den Blick wieder zu ihm.

»Ja, bin ich!« Julian lächelte verträumt.

»Schön, dann komme ich dich heute Nachmittag mal besuchen. Ich muss mir mal wieder ein neues Buch ausleihen. Das Letzte war ja so spannend.« Jetzt musste auch Ellena lächeln.

»Es würde mich wirklich sehr freuen, wenn du vorbeikommen und dir ein neues Buch aussuchen würdest«, sagte sie honigsüß in seine Richtung. Er wandte sich verlegen ab.

»Also bis heute Nachmittag dann!« Ellena erheiterte seine Gestik nur noch mehr.

»Ja, ich sehe dich dort!«

Jeden Morgen, wenn Ellena so mit ihm liebäugelte, errötete Julian auf diese Art und Weise. Genau diese Mimik machte ihn für sie so attraktiv. Seine fortwährende Schüchternheit fand Ellena schon immer reizend. Seit geraumer Zeit plante sie, ihn nach einem Rendezvous zu fragen, doch bis jetzt hatte sich noch nie die Gelegenheit dazu ergeben.

Aber heute war endlich der große Tag gekommen! Später, wenn er am Nachmittag in die Bibliothek kam, wollte sie ihm ihr Lieblingsbuch mitgeben. Darin würde er dann einen kleinen Notizzettel mit den genauen Daten eines Treffens zwischen ihnen beiden finden. Bei dieser Aussicht sprang ihr Herz im Dreieck. Voller Vorfreude und mit den Gedanken schon wieder ganz woanders schlenderte sie ins Badezimmer.

Ellena trat gerade aus ihrer Wohnung, als sie mit Entsetzen feststellen musste, das sie ganz vergessen hatte, Blauwal zu füttern. Hastig machte sie auf dem Absatz kehrt und ging zurück ins Schlafzimmer. Im Vorbeigehen schnappte sie die große Fischfutterdose und trat an den Schreibtisch heran, wo das längliche Aquarium stand. Schnell schraubte sie den Verschluss der Dose ab und schüttete etwas von deren Inhalt auf ihre Hand. Sie öffnete den Deckel des Aquariums und streute vorsichtig das Frühstück des kleinen, fetten Fisches hinein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man im Aquarium kein Geschöpf entdecken können. Doch jetzt, als das Futter die Wasseroberfläche benetzte, schwamm plötzlich ein kleiner Goldfisch aus dem Gewirr der Wasserpflanzen hervor. Ellena schaute dem kleinen Kerl verträumt beim Essen zu.

»Ach Blauwal, mein Süßer! Musst du denn immer gleich so schlingen? Du bist der einzige Fisch im Aquarium. Keiner wird dir etwas wegessen.« Als ob der kleine Fisch sie verstanden hatte, hörte er sofort auf, das Futter wahllos in sich hineinzustopfen und aß schon fast manierlich.

»So ist es schon besser«, lobte ihn Ellena. »Also sei schön artig heute. Ich muss jetzt los. Ich würde dir gerne noch ein wenig Gesellschaft leisten, aber die Zeit drängt.« Sie drehte sich um und ging Richtung Tür. Ein letztes Mal blickte sie zurück, dann verließ sie endgültig die Wohnung.

Gemütlich schlenderte sie die lange Einkaufsstraße entlang. Von ihrer Wohnung bis zur Bibliothek war es nicht weit. Die Geschäfte öffneten gerade und Ellena überlegte, ob sie nach getaner Arbeit nicht mal im Tiercenter vorbeischauen sollte, um für Blauwal neues Futter zu besorgen. Wie an jedem Morgen, wenn sie in die Bibliothek lief, kam sie an ihrem Lieblingskaffeehaus vorbei. Dort kaufte sie wie immer einen doppelten Latte und einen Erdbeerdonut mit extra vielen Streuseln, welche die Form von Herzen hatten. Den verzehrte sie gleich an Ort und Stelle. Für den doppelten Latte macchiato ließ sie sich allerdings einen Deckel geben, denn Ellena hasste es, ihren Kaffee einfach so in sich hineinzuschütten. Nach dieser Stärkung konnte sie ihren Weg in die Leihbücherei fortsetzen.

Das Telefon klingelte bereits energisch, als Ellena die Eingangstür aufschloss. Sie rannte den Flur entlang, durch den großen Lesesaal bis zu ihrem Schreibtisch. Kaum hatte sie den Hörer abgenommen, verstummte das Läuten. Der Anrufer hatte bereits aufgelegt. Ellena legte den Hörer beiseite und dachte bei sich: ›Der ruft schon wieder an, wenn es etwas Wichtiges war.‹ Damit war die Sache für sie erledigt und sie konnte nun abwarten, was der Tag Neues für sie bringen würde.

Am frühen Nachmittag, Ellena blätterte gerade in einer Tageszeitung, betrat Julian die Bibliothek. Als er Ellena am Informationsschalter sah, erhellte sich seine Miene augenblicklich und er beschleunigte seine Schritte. Sie hatte ihn bereits bemerkt, als er mit seinem himmelblauen Hemd durch die große Eingangstür gekommen war. Sie würdigte ihn jedoch keines Blickes. Sie erhoffte sich, dadurch irgendwie attraktiver zu wirken. Leider ging ihr Vorhaben nicht ganz auf, denn Julian interessierte ihr abweisendes Benehmen wenig. Er war wie an jedem Tag bester Laune und lächelte vergnügt. Als Ellena von ihrer Zeitung aufsah, grinste er sie an.

»Hallo, ich komme, weil ich gerne mein Buch abgeben und gleich noch ein anderes mitnehmen möchte. Kannst du mir vielleicht bei der Auswahl helfen?« Ellena musste lächeln.

»Na klar, mach ich doch gerne.« Sie legte die Zeitung beiseite und wandte sich nun ganz Julian zu.

»So, nun gib mir als Erstes das letzte und dann schauen wir mal nach einem neuen Buch für dich.« Julian zog den Roman aus seinem Rucksack und überreichte ihn Ellena. Die stempelte den Aufkleber auf der Innenseite des Einbands und verstaute es dann im Regal hinter sich.

»Das hätten wir. Was hast du dir denn so vorgestellt, was du als Nächstes lesen möchtest?« Julian überlegte kurz.

»Also ich denke…«, da wurde er auch schon von Ellena unterbrochen.

»Ah, da habe ich genau das Richtige für dich! Es ist eines meiner Lieblingsbücher.« Von Julian unbemerkt holte Ellena aus ihrer Tasche das Buch, welches sie am Abend zuvor mit einem kleinen Notizzettel versehen hatte. Auf dem hatte sie Datum, Uhrzeit und den Ort vermerkt, an dem er sie treffen sollte. Wie ein kleines Kind hatte sie sich gefreut, als sie auf den Zettel ›Date mit einer Unbekannten‹ gekritzelt hatte. Sie hoffte, er würde das Papier finden, hellauf begeistert sein, sich sofort in sein bestes Hemd werfen und zu diesem Treffen mit ihr eilen.

Leider kam alles ganz anders als geplant. Julian wollte gerade das Buch in seinen Rucksack stecken, als der Notizzettel plötzlich herausfiel. Zunächst bemerkte keiner der beiden den Verlust dieses überaus wichtigen Schriftstücks. Julian schenkte Ellena zum Abschied sein schönstes Lächeln.

»Ja, also ich muss dann mal wieder los. Ich erzähle dir morgen, wie ich das erste Kapitel fand.« Dabei deutete er auf seinen Rucksack.

»Ich freu mich schon!« Ellena sah ihm verträumt nach.

Doch was war das dort vor ihrem Tisch auf dem Boden? Augenblicklich begriff sie, dass der Zettel aus dem Buch herausgefallen war. Ellenas Augen weiteten sich. Wie hatte das nur passieren können? Gehetzt sah sie ihm nach.

Julian stand bereits draußen vor der Bibliothek, drehte sich nach rechts und verschwand jetzt aus ihrem Blickfeld. Was sollte sie bloß tun? Sollte es etwa schon vorbei sein, bevor es begonnen hatte? In heller Panik sprang sie auf. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder ihm mit dem Zettel hinterherrennen oder die Sache ein für alle Mal auf sich beruhen lassen. Sie entschied sich für die erste Variante und lief mit den Zettel, den sie in fliegender Eile aufgehoben hatte, in Richtung Ausgang. Ellena stieß die Eingangstür auf und lief hinaus auf die Straße.

Sie wandte den Blick nach allen Seiten, um Julian so schnell wie möglich zu entdecken. Ihr Herz klopfte wie ein Dampfhammer und sie atmete nur noch stoßweise. Tatsächlich sah sie ihn an der nächsten Kreuzung stehen.

Ellena hatte Glück, dass er nicht schon in ein Taxi eingestiegen war. Als sie gerade tief luftholen wollte, um seinen Namen durch die Straße zu rufen, blieben ihr die Worte förmlich im Halse stecken. Den Anblick, welcher sich ihr in diesem Moment bot, würde Ellena niemals in ihrem Leben vergessen. In dieser einen, alles entscheidenden Sekunde zerbrach ihr Herz in tausend kleine Stückchen. Sie sah Julian in den Armen einer anderen Frau! Die sah jünger aus als er, vielleicht drei Jahre. Sie war gerade aus einer Nebenstraße gekommen und küsste Julian zur Begrüßung auf beide Wangen. Ellena konnte es einfach nicht fassen! Diese maßlose Vertrautheit zwischen ihnen machte ihr Angst. Zusätzlich verspürte sie tief in ihrem Innern einen ungeheuer großen Hass auf diese andere Frau, da sie etwas hatte, das Ellena schon immer besitzen wollte, nämlich Julians Liebe. Am liebsten wäre Ellena einfach zu den beiden hingestürmt und hätte dieser Tussi ins Gesicht gespuckt. Doch sie zügelte ihre Wut, machte auf dem Absatz kehrt und schlich als gebrochene Frau zurück in das Gebäude. Den Zettel, an dem all ihre Hoffnung gehangen hatte, zerknüllte sie und warf ihn in den erstbesten Mülleimer, dem sie begegnete. Nun war ihr Traum von der großen Liebe endgültig geplatzt. Fürs Erste hatte sie genug von Männern.

Als Ellena die Bibliothek zum Feierabend zuschloss, kam ihr der Postbote entgegengerannt. Unter seinem Arm klemmte ein großes Päckchen.

»Hier, nehmen Sie es! Unterschrift machen wir das nächste Mal. Ich bin ein wenig in Eile, also bis dann!«

Bevor Ellena begreifen konnte, was passiert war, hatte sie das Päckchen auch schon in der Hand und vom Postboten fehlte jede Spur. Verwundert drehte Ellena die schmale Postsendung in den Händen hin und her. Dann entdeckte sie den Absender. Es war die Adresse eines großen Reiseunternehmens. Was die wohl von ihr wollten? Kurzerhand beschloss Ellena, das Päckchen mit nach Hause zu nehmen und es dort zu öffnen.

Laut fiel die Tür ins Schloss. Ellena stellte ihre Tasche in den Flur und schlenderte mit dem Paket ins Schlafzimmer. Noch während des Laufens riss sie den Umschlag auf. Zum Vorschein kam ein zusammengerolltes Papier. Als Ellena es vollständig entrollt hatte, bemerkte sie, dass es sich um ein Plakat handelte, das sie in der Bibliothek hätte aufhängen sollen. Eine große Überschrift prangte auf dem Papier.

Ellena las laut: »Endecken Sie ein fremdes Land! – Ein exotisches Inselparadies erwartet Sie!

Reisen Sie für einen Monat an wunderschöne Sandstrände und in eine unberührte Natur in den Dschungel von Mahogi! Rufen Sie gleich an und buchen Sie gegen einen kleinen Aufpreis eine tolle Expedition!«

Darunter war noch die Telefonnummer angegeben, die war sogar größer als die Überschrift. Plötzlich hatte Ellena eine Idee. Warum sollte sie nicht einmal in die wilde und unberührte Natur von Mahogi fahren? Ihre große Liebe hatte sie verschmäht und ihr Leben war dadurch enorm erschüttert worden. Sie liebte Julian aus ganzem Herzen, das war ihr nun mehr als klar. Doch wie sollte ihr Leben mit der erschütternden Erkenntnis weitergehen, dass er eine andere hatte und für sie verloren war?

Nach dem Vorfall hatte sie bereits mit dem Gedanken gespielt, sich irgendwo hinunterzustürzen. Wie leicht würde es ihr fallen, einfach hier aus dem Fenster zu springen. Sie würde auf Julians Balkon aufschlagen und ihm einen gehörigen Schreck einjagen. Das wäre ihre süße Rache an diesem Mistkerl. Doch dann fiel ihr ein, dass sie es nicht tun konnte, weil sie ja auf Blauwal aufpassen musste.

Routiniert und ohne das Geringste zu ahnen, sah Ellena zum Aquarium hinüber.

»Stimmt’s Blauwal? Dich würde ich doch niemals…« Ihre Stimme versagte, als sie das Unglück sah, welches sich im Becken ereignet hatte. Blauwal, der am Morgen noch quicklebendig gewesen war, trieb nun mit dem Bauch nach oben und einem glasigen Blick an der Wasseroberfläche. Sein einst goldener Körper mit den silbern schimmernden weißen Flecken hatte sich gräulich gefärbt. Seine Schwanzflossen hingen nur noch an ihm und wehten leicht in der Strömung des Filters. Ellena wurde kreidebleich. Sollte nun auch noch der einzige Freund, den sie auf der Welt gehabt hatte, von ihr gegangen sein? Sie stürzte zum Aquarium und brach dann davor zusammen. Alles war dahin und ihr wurde klar, dass sie nichts mehr zu verlieren hatte.

Am nächsten Morgen beerdigte Ellena Blauwal in der Erde der Topfpflanze auf dem Fensterbrett. Als Grabsteine dienten zwei aufeinandergeklebte Eisstiele. Die hatte sie zu einem Kreuz angeordnet und auf den Querbalken in deutlichen Buchstaben »Blauwal« geschrieben. In stiller Trauer stand sie am Fenster und blickte auf die Topfpflanze hinunter. Dann ließ sie ihren Blick in die Ferne schweifen. Jetzt begann ein neuer Abschnitt in ihrem Leben.

21. Juni, Masung Ville

Ellena lag regungslos auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Den schmutzigen Löffel, mit dem sie kurz zuvor das Loch für Blauwals Grab ausgehoben hatte, hielt sie immer noch fest umklammert. Sie schaffte es nicht, ihn zu säubern und in die Schublade zu legen. Sie hob den Löffel hoch und betrachtete das Beerdigungsinstrument. Erst jetzt begriff sie, dass sie an diesem Tag den einzigen Freund verloren hatte, der ihr nach dem Tod ihrer Eltern noch geblieben war. Sie erinnerte sich an die schönen Momente, die sie mit Blauwal erlebt hatte. Wie sie ihn an ihrem zwanzigsten Geburtstag gekauft und sich dann selbst geschenkt hatte, da es ja niemand sonst getan hätte. Bei diesen Gedanken beschloss Ellena endgültig, ihrem geliebten Fisch zu folgen. Was sollte sie auch alleine hier auf dieser Welt?

Langsam erhob sie sich vom Bett und ging zum Fenster. Mit einem Ruck öffnete sie den Flügel, sodass die Scharniere knarrten. Als sie jedoch Anlauf nehmen wollte, um sich hinauszustürzen, erinnerte sie sich plötzlich an ihre Ersparnisse. Was würde aus dem Geld werden, wenn sie nicht mehr da wäre? Sie hielt inne und kratzte sich am Kopf. Nach ihrem Tod würde alles der Staat erben und Ellena wollte auf keinen Fall, dass ihr ganzes Geld an den Fiskus ging. Damit stand fest: Sie musste erst noch das Geld irgendwie ausgeben! Erst dann würde sie in Frieden sterben können. Doch da drängte sich schon die nächste Frage auf. Was sollte sie sich von ihrem Ersparten leisten? Sie blickte sich im Raum um. Was konnte sie sich nur gönnen, um ihrem Leben einen würdigen Abschluss zu geben? Beim Betrachten ihrer Habe entdeckte Ellena das entrollte Plakat mit der riesigen Tele fonnummer. – Das war die Idee! Sie würde noch einmal verreisen, ein richtiges Abenteuer erleben und danach wäre ihr Geld verbraucht. Damit könnte sie sich dann mit dem guten Gewissen, nichts hinterlassen zu haben, aus dem Fenster stürzen.