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Eine Liebeserklärung an die kalte Jahreszeit Franziska Lipp begleitet uns mit stimmungsvollen Erzählungen durch diese Zeit. Ihr Buch lädt ein, es immer wieder zur Hand zu nehmen, darin zu schmökern, sich inspirieren zu lassen und mit diesen winterschönen Betrachtungen – ganz nebenbei – Zeit für sich selbst zu finden. Der Winter ist nur auf den ersten Blick eine karge Zeit. Wer sich auf die winterliche Natur und die uralten Rituale einlässt, wird reich belohnt: mit Einblicken in naturgegebene Zyklen, aber auch ins eigene Innere. Festtage und Bräuche geben dem Winter Rhythmus und Struktur: Rituale sowie Traditionen machen die Monate November, Dezember und Jänner zu einer Zeit, in der das Innehalten und Kräftesammeln besonders gut gelingt, sofern wir es schaffen, uns der Hektik zu entziehen: Denn einerseits sehnen wir uns im Winter nach Rückzug und Ruhe, andererseits sind Stress und Emotionen niemals größer als in der Vorweihnachtszeit. Dabei möchten wir doch nur bei uns selbst ankommen und genießen. Ein schönes Weihnachtsgeschenk in hochwertiger Ausstattung Mit diesem Lesebuch kommen Sie gut durch den Winter! Impulse zum Innehalten und Kräftesammeln – von Allerheiligen bis Maria Lichtmess
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Seitenzahl: 187
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2023 Verlag Anton Pustet
5020 Salzburg, Bergstraße 12
Sämtliche Rechte vorbehalten.
Lektorat: Anja Zachhuber
Grafik und Produktion: Nadine Kaschnig-Löbel
Auch als Hardcover erhältlich: ISBN 978-3-7025-1091-6
eISBN 978-3-7025-8111-4
www.pustet.at
Quellenangabe zum Zitat von Konrad Köstlin auf S. 60 :
Köstlin, Konrad: Das Weihnachtsquartal – eine neue Jahreszeit, in: Luidold, Lucia; Kammerhofer-Aggermann, Ulrike (Hg.): Im Winter und zur Weihnachtszeit. Bräuche im Salzburger Land 01. Zeitgeist | Lebenskonzepte | Rituale | Trends | Alternativen. 1. Ausgabe Salzburg 2002 (Salzburger Beiträge zur Volkskunde 13), elektr. Neuausgabe 2014, https://www.brauch.at/folge01/ch03.html#CD1ch03_01, aufgerufen am 27.06.2023.
Bildnachweis:
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Wir bemühen uns bei jedem unserer Bücher um eine ressourcenschonende Produktion. Alle unsere Titel werden in Österreich und seinen Nachbarländern gedruckt. Um umweltschädliche Verpackungen zu vermeiden, werden unsere Bücher nicht mehr einzeln in Folie eingeschweißt. Es ist uns ein Anliegen, einen nachhaltigen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz zu leisten.
Franziska Lipp
Betrachtungen zur kalten Jahreszeit
Ich lade Sie ein …
1 Spätherbst
Heimkehr
Hagebutte
Reife
Vogelflug
Schicksal
Allerheiligen und Allerseelen
Heilung
Wurzelzeit
Heimat
Heiliger Martin
Mitgefühl
Heilige Cäcilia
Inspiration
2 Advent
Erwartung
Erster Schnee
Glück
Adventkranz
Achtsamkeit
Barbarazweige
Beharrlichkeit
Nikolaus und Krampus
Erkenntnis
Joseph Mohr
Geben und nehmen
Stille
Loslassen
Engel
Vertrauen
Blaue Stunde
Ruhe
Krippe
Geborgenheit
Raureif
Hingabe
3 Weihnachten
Festlichkeit
Wintersonnenwende
Wandel
Christbaum
Rituale
Wunder
Begegnung
Buchteln
Liebe
Heiliger Abend
Göttlichkeit
Weihnacht
Gelassenheit
Christkind
Frieden
4 Raunächte
Zwischenwelten
Zwischen den Jahren
Stillstand
Raunächte
Segen
Weihrauch
Verbundenheit
Silvester
Orientierung
Neujahr
Springen
Dreikönigstag
Selbstliebe
5 Hochwinter
Rückkehr des Lichts
Janus
Klarheit
Kälte
Intensität
Schneeglöckchen
Kindheit
Spinnstube
Geselligkeit
Winteraustreiben
Kräftemessen
Zaubernuss
Geschenk
Maria Lichtmess
Lust
Wenn der Winter Einzug hält, wird es ruhiger in und um uns. Nach den hellen Tagen des Sommers und der Farbenpracht des Herbstes bricht die kargste Zeit des Jahres an: Viele Menschen tun sich schwer mit der Kälte, dem Frost und der Dunkelheit. Das Leben legt eine Pause ein und niemand möchte nun gerne alleine sein. Doch der Winter fordert uns auf, sich genau auf diese Ruhe einzulassen und bei sich selbst einzukehren.
Der Winter bringt uns Geschenke dar, die es sich lohnt anzunehmen, um seine Zeitqualität zu erkennen: den ersten Schnee des Jahres, die blaue Stunde, mystische Bräuche des Advents, Weihnachten, die Raunächte, Silvester und das neue Jahr mit den ersten Schneeglöckchen und der Rückkehr des Lichts. Der Winter fordert uns auf, wieder Kind zu werden und sich der Freude und Vorfreude auf all das hinzugeben.
Ich möchte Sie von Herzen dazu einladen, mit mir durch die kalte Jahreszeit zu spazieren: Von November bis Februar erwarten uns viele Besonderheiten und Ereignisse, die zum Nachdenken und Innehalten anregen und spannende Themen offenbaren. Diese genauer zu betrachten, kann bereichernd sein. Ich lasse Sie an meinen eigenen Erfahrungen und Gedanken teilhaben, stelle Ihnen Bräuche und Traditionen aus meiner Salzburger Heimat vor und erzähle Ihnen Geschichten, die mich selbst berühren und begeistern.
Suchen Sie sich ein gemütliches Plätzchen für sich, dieses Buch und die nächsten Monate. Lassen Sie uns gemeinsam gut über den Winter kommen!
Ihre
Heimkehr
„Wohin gehen wir? Immer nach Hause.“
Novalis (1772–1801)
Reife
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Rainer Maria Rilke (1875–1926)
„Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.“ Mit diesen Worten beginnt Rainer Maria Rilkes Gedicht „Herbsttag“ aus dem Jahr 1902. Schon in den ersten Zeilen schwingt Sehnsucht, ja, sogar ein klein wenig Wehmut mit. Viele von uns ereilt bei dem Gedanken, dass erneut ein Sommer zu Ende gegangen ist, ein seltsam trauriges Gefühl. Denn nun heißt es, endgültig Abschied zu nehmen von den warmen, aufregenden Tagen, die wir zu großen Teilen draußen im Freien verbrachten.
Das Loslassen, so stellen wir immer wieder fest, gehört nicht zu den einfachsten Aufgaben im Leben. Schon Friedrich Nietzsche, ein Zeitgenosse und Weggefährte Rainer Maria Rilkes, schrieb: „Denn alle Lust will – Ewigkeit!“ Und geradeso lässt sich die übergroße Liebe vieler Menschen zum Sommer erklären: Wir würden ihn so gerne festhalten – am liebsten für ewig. Doch im Spätherbst ist der Sommer endgültig passé. Und auch wenn es sich nicht so anfühlt, hat das seine Richtigkeit. Nichts im Leben währt ewig.
Vielen von uns stellen sich angesichts der kürzer werdenden Tage unwillkürlich Fragen wie diese:
Wie viele Sommer liegen noch vor mir?
Wie oft werde ich mich noch daran erfreuen, die ersten Schwalben des Jahres zu begrüßen?
Wie oft werde ich noch – erhitzt von einem sommerlichen Sonnentag – in einen kühlen See springen?
Wie viele Male werde ich noch den schweren Duft der Glyzinie, des Flieders und des Jasmins einatmen?
Wie viele Bergsommer wird es für mich noch geben?
Und trotz dieser Gedanken ist der Herbst für viele Menschen die schönste Zeit des Jahres. Denn die Laubwälder offenbaren ihre farbenfrohe Pracht, die tiefstehende Nachmittagssonne taucht die Beete und Sträucher des Gartens in einen goldenen Schein und niemals ist die Fernsicht auf den Bergen besser als jetzt.
Die Hagebutten glänzen wie Rubine in den letzten Sonnenstrahlen, Nebelschwaden legen sich wie elegante Seidenschals um die purpurnen Köpfchen. In den ersten frostigen Nächten werden die Früchte der Hundsrose nicht nur von einer hauchdünnen, diamantenen Eisschicht überzogen, sie erhalten auch ihre Süße, die Tees und Marmeladen ein besonderes Aroma verleiht, das schon die Kinder lieben.
Auch die Mispeln und die letzten Trauben an den Rebstöcken brauchen den Frost, um ihre volle Süße auszubilden. Und ganz unvermittelt frage ich mich: Sind es nicht auch unsere frostigsten Nächte, die uns reifen lassen?
Sind es nicht die dunkelsten und kältesten Stunden, die uns Schritt für Schritt zu dem machen, was wir am Ende unseres Lebens sein werden? Menschen mit Erfahrungen aller Art! Erfahrungen, die sich in unserem Inneren gesammelt haben wie die kleinen Samen einer Hagebutte. Schöne und enttäuschende, bereichernde und schmerzvolle, traurige und glückliche.
Die frostigsten Stunden können eine harte Probe darstellen: doch erst indem wir sie durchleben, entdecken wir unser eigenes Potenzial. Heranzureifen und in die Fülle zu kommen, bedeutet, die Kälte gespürt zu haben und sodann mit vollreifer Süße belohnt zu werden.
Zu reifen bedeutet, den eigenen Weg zu gehen und sich der Zeit und dem Leben hinzugeben: Die Natur macht es uns im Jahreskreis vor. Die ersten Knospen des Frühjahrs verwandeln sich in duftende Blüten, die sich nun – am Ende des Herbstes – in kleine Butten verwandeln und Samen einlagern für den nächsten Zyklus.
Rainer Maria Rilke schreibt: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.“
Haben wir schon unser Haus gebaut, unsere Hagebutte ausgebildet?
Haben wir unsere Kräfte gesammelt, um gut überwintern zu können?
Es ist an der Zeit, alle Vorbereitungen zu treffen, um nach einem langen Sommer nach Hause zu kommen. Der Herbst ist die Zeit des Erntedanks. Die Ernte ist eingebracht. Der Winter steht vor der Tür und jede einzelne Erfahrung wird uns irgendwann in unserem Leben zugutekommen. Weil wir sie brauchen können für neue Herausforderungen. Weil das Leben auch ein lebenslanges Lernen ist. Und weil es für den Winter durchaus Mut braucht.
Die Natur weiß, wie sie mit den kältesten und dunkelsten Stunden des Jahres umzugehen hat. Wissen wir es auch?
Haben wir unsere Erfahrungen gesammelt – und können wir diese auch schätzen? Auch jene Erfahrungen des – echten oder vermeintlichen – Scheiterns, in denen wir nicht das leisten konnten, was wir uns erhofft haben. In denen sich unsere Wünsche nicht erfüllt haben.
Die kleinen Samen in den Hagebutten sind mit borstigen Härchen versetzt, die einen starken Juckreiz auslösen können. Welch herrliche Metapher dafür, dass es im Inneren manchmal durchaus anders aussehen kann, als es das hübsche Äußere vermuten lässt. Manche Erfahrungen sind einfach haarig.
Doch nun ist nicht der Zeitpunkt, allzu streng mit uns zu sein. Rüsten wir uns lieber für die Tage, die vor uns liegen: die kalten, dunklen und frostigen.
Der Winter, wie er sich so vor uns aufbaut, kann durchaus beeindruckend sein, weiß man ihn nicht am Schopfe zu packen und ihn sich ganz und gar zu eigen zu machen.
Seien wir jetzt besonders gut zu uns und ziehen wir uns ins Innerste zurück. Ruhen wir uns aus von einem langen Sommer und freuen wir uns auf einen geruhsamen Winter. Das eigene Zuhause liegt tief in unserem Innersten. Nun ist es Zeit, sich wieder auf dieses zu besinnen.
Spätherbsttage – ob sonnig oder nebelig – laden zu ausgiebigen Spaziergängen ein: An den Rändern von Wiesen und Wäldern wachsen Hecken- und Hundsrosen, die nun die roten Hagebutten tragen. Ob für einen selbst gemachten Türkranz, für die Vase oder Marmelade: die Hagebutten, die die ersten frostigen Nächte hinter sich gebracht haben, versüßen diese Zeit.
Ein Männlein steht im Walde
Ganz still und stumm,
Es hat von lauter Purpur
Ein Mäntlein um.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald’ allein
Mit dem purpurrothen Mäntelein?
Das Männlein steht im Walde
Auf Einem Bein
Und hat auf seinem Haupte
Schwarz Käpplein klein.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald’ allein
Mit dem kleinen schwarzen Käppelein?
Des Rätsels Lösung:
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) beschreibt in seinem Lied die Hagebutte.
Schicksal
„Alle Vöglein sind schon da, alle Vöglein alle“, singen wir im Frühjahr. Aber ein Blick in den herbstlichen Garten zeigt ein ganz anderes, unerwartetes Bild. Jetzt sind sie da: die so sehr Vermissten und lang Herbeigesehnten. Die entzückenden gefiederten Geschöpfe, die sich im Sommer rar gemacht haben, versammeln sich wieder ums Vogelhäuschen: die Wacholderdrossel, die Goldammer und der Grünfink beleben den Garten, der von Tag zu Tag ein wenig kahler wird. Der Grünsprecht mit seinem roten Häubchen steckt seinen langen, spitzen Schnabel in jedes noch so kleine Erdloch auf der Suche nach seiner einzigen und liebsten Mahlzeit – den Ameisen. Sein farbenfroher Verwandter – der Buntspecht – führt sich auf wie ein Clown: Vorwitzig klammert er sich am Holzstamm fest, zu dessen oberst das Vogelhaus angebracht ist, und vollführt einen Tanz wie Rumpelstilzchen. Rauf und runter, hin und her und einmal rundherum.
Die Amseln picken an den Apfelhälften, die für sie aufgeschnitten und bereitgelegt wurden. Sie kennen das Buffet – einer zumindest ganz sicher: „Mister Willis“ verbrachte vor einem Jahr zwei Wochen in unserem Gästebad. An einem kalten Jännertag saß er – zerrupft und verletzt – am Rand einer vielbefahrenen Straße: Ein Flügelchen hing schlaff am Körper, der Vogel wirkte, als hätte er sich seinem Schicksal ergeben. Doch schon nach ein paar Tagen mit Vogelfutter und Apfelspalten erwachte erneut die Lebenskraft in dem kleinen Tier. Als wir nach der Zeit der Rekonvaleszenz das Dachfenster öffneten, segelte die Amsel – noch etwas schief, aber doch gekonnt – in den Garten.
Neben den Amseln sind es die Stieglitze, die den Garten im November in einen wahren Farbwirbel verwandeln: In Scharen von bis zu zwanzig Vögeln fallen sie über die Samenstände der Echinacea und Karden her und nehmen in der Morgensonne ihr Frühstück ein. Dass sie keine Angst vor stacheligen Pflanzen haben – ja, deren Samen sogar lieben –, brachte ihnen den Namen Distelfink ein.
In der idyllisch gelegenen Wallfahrtskirche Maria Kirchental in St. Martin bei Lofer im Salzburger Land findet sich im Zentrum des neobarocken Hochaltaraufbaus ein Gnadenbild. Die Muttergottes aus dem frühen 15. Jahrhundert hält ein Jesuskind auf dem Arm, das wiederum auf ein Vögelchen in seiner Hand blickt: einen Stieglitz. Immer wieder taucht der Distelfink in sakralen Darstellungen der Renaissance auf: Leonardo da Pistoia als auch Raffael schufen im 16. Jahrhundert Werke, die Madonna mit Kind und Distelfink zeigen. Der rote Fleck auf dem Kopf des Vogels gilt als Symbol für den Kreuzestod Christi und für dessen Leiden in der Passion.
Das Jesuskind nimmt den Stieglitz entgegen, hält ihn in seiner Hand: Was so niedlich und naiv aussieht, bekommt mit dem Wissen um Jesu Leben und Sterben eine neue Dimension. Das Vögelchen entgegenzunehmen, bedeutet auch, sein Schicksal anzunehmen. Angstfrei ja zu sagen! Und aus allem, was einem begegnet, ein stimmiges Leben zu machen.
Wenn sich die Stare im Herbst zu großen Schwärmen sammeln oder die Graugänse in perfekter V-Form am Himmel über unseren Garten fliegen, wünsche ich ihnen eine „Gute Reise“. Tausende von Kilometern legen die Zugvögel – zum Teil nur wenige Gramm schwer – zurück, überqueren Berge und Meere. Auch sie kennen ihr Schicksal nicht, wissen nicht, was sie erwartet. Es ist eine aufregende Reise, die in ihre DNA eingeschrieben ist. Sie brauchen kein Navigationsgerät und keinen Kompass: Jede Zelle ihres kleinen Körpers kennt den Weg. Den Weg ins Winterquartier.
Was sie auf ihrer Reise erwartet, vermag niemand vorauszusagen. Sie fliegen ihrem Schicksal entgegen: die jüngeren Vögel unerfahren und unbedarft, die Älteren weiser und wissender. Auch wir folgen denen, die den Weg schon vor uns gegangen sind. Nicht immer ist uns das bewusst, aber irgendwann im Laufe unseres Lebens geraten viele von uns an diesen Punkt, an dem wir feststellen: „Ach, das hat doch meine Großmutter schon so gemacht“ oder „Dieses oder jenes habe ich von meinem Vater übernommen“. Dann wird klar, dass wir uns niemals ganz alleine auf den Weg gemacht haben, sondern immer Teil eines größeren Gefüges sind. Wir bilden einen Verbund mit unseren Ahninnen und Ahnen, mit unseren Zeitgenossinnen und Zeitgenossen und denen, die uns nachfolgen.
Wir sind niemals ganz alleine mit unserem Schicksal – wir fliegen gemeinsam!
Angstfrei aufzubrechen und zu tun, wofür wir hier auf dieser Welt sind – die Vögel machen es uns vor. Und die Frage nach dem Sinn des Lebens ergibt sich plötzlich durch das Leben selbst.
Deshalb ist der Blick aus dem Fenster in den frühwinterlichen Garten immer wieder voller Freude: Die bunte Vogelschar belebt die frostige Welt da draußen. Ihr Gezwitscher und Gehabe, ihr Gepicke und Gezeter mitanzusehen, ist herzerfrischend. Die Vögel haben ein starkes soziales Gefüge, kommunizieren miteinander. Die Elstern versammeln sich wie zum Kaffeeklatsch. Raben, so bestätigt es die Wissenschaft, können sogar gezielt Informationen voreinander verbergen und die Gedanken ihrer Artgenossinnen und Artgenossen lesen.
Vielleicht, so kommt es mir in den Sinn, können wir das auch. Vielleicht haben wir diese Fähigkeit nur vergessen oder verlernt, wie so vieles andere auch. Vielleicht sind die Vögel da draußen vor dem Fenster große, kleine Lehrmeisterinnen und Lehrmeister: Sie müssen nichts sein, wollen nichts darstellen. Sie sind, was sie sind und können so viel. Und das ist vollends genug.
Wir sehen uns im Frühling!
Jener Vogel, den wir wie keinen anderen mit dem Sommer verbinden, verlässt unsere Gefilde bereits früh im Herbst. „Mariä Geburt fliegen alle Schwalben furt“ heißt ein Sprichwort und gemeint ist der 8. September. Schon in der ersten Septemberhälfte sammeln sich die Schwalben und ziehen in großen Schwärmen in Richtung Süden. Auch ihre Rückkehr in unsere Breitengrade ist eng an einen Marienfeiertag geknüpft: Rund um den 25. März – zu Mariä Verkündigung – werden die ersten Schwalben wieder bei uns gesichtet.
Vogelfutter selber herstellen
Wer Vögel füttert, sollte das Füttern konsequent von November bis März beibehalten. Von gekauften Meisenknödeln unbedingt die Plastiknetze entfernen, da die Gefahr besteht, dass die Vögel darin hängen bleiben. Selbst gemachtes Vogelfutter ist einfach zuzubereiten.
Sie brauchen:
Rindertalg oder Pflanzenfett wie Kokosöl in Bio-Qualität etwas Pflanzenöl
Körner und Samen (Sonnenblumenkerne, Leinsamen, Hirse, gehackte Nüsse, Rosinen etc.)
kleine Gefäße wie Tontöpfe, alte Tassen oder Ausstechförmchen etc.
Das Fett vorsichtig in einem großen Topf erwärmen, um es zu verflüssigen, einen Schuss Pflanzenöl hinzugeben. Wenn das Fett flüssig ist, den Topf vom Herd nehmen und so viele Körner und Samen einrühren, bis eine zäh-breiige Mischung entsteht: Zu viele Körner machen die Masse eher brüchig und bröselig, mehr Fett hält die Masse besser zusammen.
Wenn die Masse abgekühlt, aber noch gut formbar ist, wird sie in die Gefäße und Förmchen gefüllt oder zu kleinen Knödeln geformt. Wer kleine Stöckchen in die Masse steckt, kann diese nach dem Erkalten entfernen und eine Schnur durchfädeln. Die Gefäße und Knödel zum Aushärten kaltstellen. Bei sehr milden Temperaturen oder direkter Sonneneinstrahlung besteht die Gefahr, dass das Fett schmilzt. Daher das Vogelfutter eher an einem kühlen, schattigen Ort im Garten aufhängen.
Heilung
Ich ertappe mich dabei, wie ich am Abend des 31. Oktober eine Schale mit Süßigkeiten vorbereite und an die Eingangstür stelle. Nur für den Fall der Fälle! Sollten wirklich ein paar Nachbarskinder an der Tür läuten, wäre ich vorbereitet auf „Süßes oder Saures“. Noch vor einigen Jahren war mir Halloween und alles, was damit verbunden war, ein Graus: nicht Teil unserer Kultur, kein heimisches Brauchtum! Und doch werden wir es in unserem globalen Dorf nicht schaffen, uns von alldem abzugrenzen, was über Fernsehen, soziale Medien und Streaming in unsere Städte und Straßen gespült wird. Ich habe dem nachgegeben: Sich mit aller Macht gegen das Neue und Fremde zu stemmen, kostet allzu viel Energie. Ich lasse es zu, achte aber noch stärker darauf, das Althergebrachte und bei uns Beheimatete zu wahren. Nicht das Alte gegen das Neue auszutauschen, sondern das Überlieferte zu schützen und zu leben und das Neue zu integrieren.
Das Fest selbst – wie immer man es benennen möchte – ist uralt: Schon die Kelten feierten mit Samhain den Beginn des Winters, aber auch des neuen Jahres. Der Winter markierte in ihrer Kultur nicht das Ende eines Zyklus, sondern dessen Beginn. So wie das neue, ungeborene Leben im Mutterleib bis zur Geburt wächst und gedeiht, schlummern auch die Samen in der Erde dem Frühlingsbeginn entgegen. Geschützt durch eine dicke Schicht Erde, können sie in Ruhe Kraft sammeln, um sich mit den ersten Sonnenstrahlen zu entfalten.
Ein schöner Gedanke, den man ins eigene Leben übernehmen kann: Erst rasten, Kraft tanken und dann in die Aktion gehen. Bei allem, was wir vorhaben, gilt es, vorab die Ressourcen zu bündeln. Ob eine Skitour oder eine anstrengende Prüfung vor uns liegt: Gut vorbereitet und ausgeschlafen lässt sich alles im Leben besser bewältigen.
An Allerheiligen, wie es in der katholischen Kirche gefeiert wird, versammeln sich Familien auf den Friedhöfen, um ihren Verstorbenen zu gedenken. Nach dem Kirchgang und der Gräbersegnung geht es nach Hause und man setzt sich an einen Tisch. In meiner Heimat gibt es das sogenannte Stuck – ein Milchbrot in Form eines Zopfes für die Mädchen oder in Form eines Hörndls für die Buben. Überbracht wird das Stuck, das in anderen Gegenden auch Seelenwecken genannt wird, von der Godn oder dem Göd, also der Taufpatin oder dem Taufpaten. Ein überlieferter Brauch, der immer mit einem Besuch und einem Treffen verbunden ist.
Ähnlich dem Leichenschmaus nach einer Beerdigung sind die Zusammenkünfte an Allerheiligen oft von großer Heiterkeit geprägt. Ich selbst erinnere mich daran, dass in meiner Kindheit die Kaffeerunden nach dem Friedhofsbesuch zu den schönsten Stunden des Jahres zählten. Alle meine Onkel waren anwesend und mit ihrer humorvollen Art, ihrer großen Statur, ihren tiefen Stimmen und dem Lachen hatte ich das Gefühl, mein verstorbener Vater wäre wieder unter uns. Mit seinen älteren Brüdern in unserer Stube wurde er für kurze Zeit lebendig und spürbar. Ich fühlte mich als Kind getragen und von einer väterlichen Atmosphäre umhüllt, die ich seit seinem Tod schmerzlich vermisste.
Die Tore zur Anderswelt stehen an Allerheiligen weit offen, so heißt es. Halloween erinnert an diese Pforte zwischen den Welten, ebenso der mexikanische Tag der Toten oder der Totensonntag in der evangelischen Kirche. In vielen Kulturen glauben die Menschen daran, dass es Zeiten und Phasen gibt, an denen die Vorfahrinnen und Vorfahren näher sind als sonst.
Seit vielen Jahren achte ich rund um Allerheiligen sehr genau darauf, welche Verstorbenen sich mir zeigen möchten. Manchmal tauchen sie in Träumen auf, manchmal rufen sie sich durch einen Gegenstand in Erinnerung, der mir zu dieser Zeit unvermittelt in die Hände fällt, wie etwa die Mundharmonika meines Vaters, das bestickte Handtuch einer Großtante oder ein Feldpostbrief meines Großvaters aus dem Krieg, aus dem er nicht zurückkam. An Zufälle glaube ich in diesem Zusammenhang nicht. Manchmal ist ihre Anwesenheit sogar noch subtiler, etwa wenn ich mich am Bach bücke, um die Brunnenkresse zu pflücken. Für einen kurzen Moment ist es, als wäre es nicht meine Hand, sondern die meiner Großmutter, die ich vor Augen habe: Die Bewegung und die Umgebung im Wald sind mir vertraut und zugleich seltsam fremd.
Wer immer sich mir zeigt: Ich nehme es wahr und gehe in eine Art inneren Dialog. Denn irgendetwas sollte ich mir in diesem Zusammenhang wohl näher ansehen. Ich betrachte die Verstorbenen als Lehrmeisterinnen und Lehrmeister.
An Allerheiligen gedenken wir den Toten, erinnern uns an gemeinsame Zeiten. Sind traurig, aber auch dankbar. Beides liegt eng beieinander. Verluste hinterlassen Spuren und der Alltag bietet uns oft zu wenig Raum, um uns mit diesen Narben zu beschäftigen. Manchmal scheuen wir uns auch davor, uns mit der Trauer und dem Alleinsein auseinanderzusetzen.
Allerheiligen und auch Allerseelen laden dazu ein, sich Zeit zu nehmen, eine Kerze anzuzünden, Fotos anzuschauen, zu weinen und zu lachen. Am besten im Kreise von Menschen, die dieselben Erinnerungen teilen oder die den eigenen Verlust oder Schmerz verstehen und nachfühlen können. Denn auch darum ging es beim ursprünglich keltischen Fest Samhain: um die Stärkung der Gemeinschaft. Jeder trägt sein Päckchen. Jeder von uns wird vom Fluss des Lebens geschliffen wie ein Kieselstein. Wir alle haben schon so manchen Kratzer abbekommen. Ähnlich wie sich Glück verdoppelt, wenn man es teilt, wird die Trauer ertragbarer, wenn wir uns anderen mitteilen.