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Früher war Steffen Schroeder mal Maschinenbauer gewesen, damals, vor der Wende. Danach auf ins El Dorado nach Westen, wo doch das Wenigste aus Gold war von dem vielen, was so verheißungsvoll glänzte. Und nun also um etliche Erfahrungen reicher wieder in der alten Heimat Meißen - als Privatdetektiv. Ruhige Kugel. Als aber über verschlungene Wege die Frau des Oberbürgermeisters zu einer seiner Klientinnen wird, stößt er zuerst auf eine Ladung Crystal Meth, dann auf dubiose Sexabenteuer ihres honorigen Gatten im nahen tschechischen Usti, die augenscheinlich auch noch mit organisiertem Drogenschmuggel einhergehen. Schroeder ermittelt auf eigene Faust im Escort Service Milieu, lernt die Gesellschafterin Hana kennen und lieben und muss doch bald erkennen, dass sie wohl nicht so unschuldig ist, wie er es gern hätte. In Dresden nimmt das Puzzle deutlichere Formen an, doch als die ganze Sache auf einen Show down in Leipzig zusteuert, muss Steffen Schroeder einsehen, dass ein gebrochenes Herz einem durchschossenen allemal vorzuziehen ist.
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Seitenzahl: 234
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Peter Braukmann
Liebesgrüße aus Meißen
Ein Sachsen-Krimi
Bild und Heimat
eISBN 978-3-95958-714-3
1. Auflage
© 2015 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin
Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin
Umschlagabbildung: © shutterstock.com
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BEBUG mbH / Verlag Bild und Heimat
Alexanderstr. 1
10178 Berlin
Tel. 030 / 206 109 – 0
www.bild-und-heimat.de
Prolog
Es war einer dieser wunderbar warmen Oktobertage. Die Sonne schien mit kräftigen fünfundzwanzig Grad auf das liebliche Meißen, die Blätter an den Bäumen wechselten kräftig ihre Farben in leuchtendem Gelb und Rot, die Mädchen trugen wieder kurze Röcke und hautenge T-Shirts. Es hätte demnach alles perfekt sein können. War es für mich aber nicht. Ich saß in meinem Büro hinter meinem Schreibtisch und wartete darauf, dass irgendetwas geschehen würde, das mich in meinem Fall einen Schritt weiter brächte. Ich trat einfach auf der Stelle. Und das seit Wochen. Ich hatte meine Nase in alle denkbaren Wespennester gesteckt, einen Haufen Fragen gestellt, rumgeschnüffelt und dennoch, ich steckte fest. Bis gestern hatte es noch kräftig geregnet. Ein Wetter, das wesentlich besser zu meiner Stimmung passte als der Sonnenschein.
Das Telefon klingelte. Ich ließ es dreimal läuten, dann nahm ich den Hörer ab und meldete mich mit Schröter, private Investigation. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine männliche Person, die zu meinen Hauptverdächtigen zählte. Sollte aus diesem Tag doch noch mein Glückstag werden?
Der Mann wollte mich sprechen, wenn möglich sofort. Er schlug als Treffpunkt die Kleingartenanlage am Buschbad vor, in einer halben Stunde, an der Brücke über die Triebisch. Ich sagte zu und legte auf. In einer halben Stunde konnte ich bequem von meinem Büro zur Brücke laufen. Ich schnappte meine Cordjacke, prüfte schnell die Ladung meiner Smith & Wesson 38, verstaute sie im Schulterholster und marschierte los. Vorbei an den öden Fabrikhallen rechts und links der Pestalozzistraße. Dem Buschbad, das zu einem modernen Wellness Center umgebaut worden war, der Villa rechterhand, die von den Russen verwohnt worden war, und die heute keiner kaufen wollte, so dass sie immer mehr verfiel. Unter der Eisenbahnbrücke durch und weiter bis zur Abzweigung in Richtung Kleingartenanlage.
Auf der Triebischbrücke blieb ich stehen. Ich schaute auf meine Uhr. In fünf Minuten wäre es dann so weit. Die Triebisch führte reichlich viel Wasser, dem heftigen Regen geschuldet. In besonders regenreichen Perioden konnte das Flüsschen zu einem mächtigen Strom anschwellen, der, wenn er in der Altstadt auf die Elbe stieß, prima zurückstaute und dabei behilflich war, die Altstadt Meißens in ein Klein-Venedig zu verwandeln.
Ich hörte den Schuss nicht. Ich spürte den Einschlag in meiner linken Schulter, wurde nach vorn gestoßen, schlug hart auf dem Brückengeländer auf, verlor das Gleichgewicht und kippte vornüber in das Wasser. Eine eiskalte Welle strömte durch meinen Körper, meine linke Körperhälfte spürte ich nicht mehr, als ich wieder an die Wasseroberfläche kam. Um mich herum färbte sich alles rot. Ich trieb mit dem Kopf nach oben und schaute in die untergehende Sonne.
Dann wurde diese von einem Schatten verdeckt. Ich versuchte, zu erkennen, was dafür der Grund war. Und blickte doch nur in die Mündung einer Waffe, die auf mein Gesicht zielte.
»Tschüss, Schnüffler«, zischte eine Stimme. Ich sah den Mündungsblitz, dann fiel ich in ein großes, schwarzes Loch.
1
Ich zuckte in meinem Bürosessel zusammen. Schweißgebadet wachte ich auf. Was für ein absolut beschissener Albtraum, der mich in schöner Regelmäßigkeit heimsuchte. Ich griff nach der Whiskyflasche in meiner unteren Schreibtischschublade und genehmigte mir einen tiefen Zug. Noch einen, dann stellte ich die Flasche zurück und schaute in den grauen Himmel, der sich vor meinem Fenster ausbreitete. Es regnete. Nicht heftig, aber stetig. Wenn ich mich ein wenig nach vorn gebeugt hätte, hätte ich durch das Fenster auf ein schmuckloses Industriegebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite blicken können. Eine prominente Aussicht aus dem prominenten Gebäude in dem ich mein nicht minder prominentes Büro hatte. Zugegeben, der Ortsteil Triebischtal ist nicht eben die erste Adresse in Meißen. Dennoch, in dem Gebäude befanden sich außer meinem Büro noch das Büro des Meißen Fernsehens und eine Institution, die im Auftrag der Arbeitsagentur Menschen auf ihre Hartz-IV-Tauglichkeit durchcheckte. Also irgendwie der absolut richtige Ort für ein Detektivbüro. An der Tür zu meinem Büro hatte ich ein Schild mit der Aufschrift Private Investigation angebracht. Darunter mein Name: Steffen Schroeder.
Ich war der Ansicht, dass Private Investigation wesentlich cooler klang als Privatdetektiv oder gar Privatermittler.
Steffen war in meinem Geburtsjahr ein absolut populärer Vorname gewesen. Wenn wir damals in der Schule auf dem Schulhof in Reih und Glied standen und irgendwer verlangte, dass Steffen vortreten sollte, so taten das gleich zwei ganze Fußballmannschaften. Und wenn ich heute in meine Stammkneipe komme und nach Steffen frage, meldet sich wieder jeder Zweite. Ich war also immer in großer Gesellschaft.
Sie werden es nicht glauben, ich bin ein waschechter Meißner. Um ehrlich zu sein, ein Heimkehrer. 1966 hatte ich in dieser schönen Stadt das Licht der Welt erblickt. Meine Mutter hieß Gabi und arbeitete als Sekretärin, mein Vater war Elektriker. Die Schule machte mir Spaß, ich schaffte sogar das Abitur. Aber mit meinem Berufswunsch wurde es nichts.
Da ich ein durchaus sportlicher Typ war, verbrachte ich viel Zeit damit, durch die Meißner Wälder zu joggen. Der Siebeneichener Wald, der Stadtwald, oh, wie ich sie liebte. So wuchs in mir der Wunsch, nach dem Abitur Förster zu werden. Was natürlich in meinem Fall ein Wunschtraum war. In der DDR waren im Wald nicht die Räuber, in der DDR war im Wald die NVA, die Armee, mit all ihren lustigen Waffensystemen, von denen niemand außerhalb des Waldes etwas wissen sollte. Also musstest du als Förster vor allem ein strammer Parteigänger sein, ideologiefest bis zur letzten Buche. Grüne Förster hatten eine schwarze Seele und ein rotes Bewusstsein. Das traf nun auf mich in keiner Weise zu. Also war es mit diesem Berufsziel schon mal Essig. Ich fing dann mit einer Ausbildung zum Maschinenbauer an, was mich wenig begeisterte. Aber es vertrieb die Zeit und ich verdiente Geld.
Ich mochte auch Musik, brachte mir selber das Gitarrespielen bei, was bei den unterschiedlichsten Anlässen vor allem bei den Mädchen gut ankam. Überhaupt hatte ich nicht groß was auszustehen in der DDR. Ich eckte nicht mit dem System an, also ließ mich das System in Ruhe. Urlaub machte ich mal an der Ostsee, mal in Ungarn, die Frauen waren mir gewogen. Nur die Sache mit dem Förster war ärgerlich.
Dann fiel die Mauer. Ich packte meinen Rucksack, verabschiedete mich von meinen Eltern und begab mich auf eine lange Reise durch Europa. Ich trampte, was damals noch chic war. So tingelte ich zwei Jahre durch Frankreich, Spanien und Portugal. Ich lernte jede Menge interessante Menschen kennen, erweiterte meinen Sprachschatz und das sogenannte Allgemeinwissen. Straßenmusik und Aushilfstätigkeiten als Kellner, Bote, Tellerwäscher, Hafenarbeiter und vieles mehr hielten mich über Wasser. Dann war Schluss. Ich feierte meinen vierundzwanzigsten Geburtstag in Lissabon. Als ich am Morgen danach mit einer dicken Rübe in einem fremden Bett aufwachte, kam mir der Gedanke, dass es an der Zeit wäre, einen richtigen Beruf zu erlernen. Ich verkaufte meine Gitarre, setzte mich in den Zug und fuhr nach Frankfurt am Main.
Da ich in den Jahren von meinem Förstertraum abgekommen war, entschied ich mich, warum auch immer, Polizist zu werden. Kriminalbeamter im besten Fall. Ich bewarb mich bei der Polizeischule in Wiesbaden, wo ich überraschend sofort angenommen wurde.
Nach Abschluss der Ausbildung landete ich wieder in Frankfurt am Main. Spezialeinheit Internationale Kriminalität, Schwerpunkt Drogen. Ich kann nicht gerade behaupten, dass mich das alles besonders anmachte. Jede Menge Bürokratenärsche und dann diese deutsche Ordnung – zwanghaft. Ich habe das ein paar Jahre mitgemacht, war zweiunddreißig Jahre alt, als meine Geduld zur Neige ging und ich den ganzen Bullenscheiß hinwarf. Als Dankeschön für mein jahrelanges erfolgreiches Polizistendasein bekam ich eine Lizenz für das private Schnüffeln und einen gültigen Waffenschein. 1998 war das, mitten im Goldrausch der gesamtdeutschen Erfolgsgeschichte. Ich hatte dann noch sieben mehr oder weniger erfolgreiche Jahre in Hessen. Eine unglückliche Liebe mit eingeschlossen. Als die in die Brüche ging, wollte ich einfach nur weg. Doch wohin? Meine Entscheidung fiel auf die alte Heimat. Nach Meißen, dieser kleinbürgerlichen Idylle vor den Toren Dresdens. Ich muss schon sagen, dass das in Meißen vorhandene Nichts für mich nach den Jahren im Westen unheimlich erholsam war. Da wohnen, wo andere Urlaub machen. Ich wollte es ja nicht fassen, aber in Meißen hatte keine Kneipe nach zwanzig Uhr mehr geöffnet, kein richtiges Theaterprogramm trotz eines schicken Theaters, keine Musik in den Gassen, keine Kleinkunst, rein gar nichts. Eine romantische Geisterstadt am Abend, eine öde Einkaufswüste tagsüber. Also das ideale Ziel für jedes verliebte Paar, das nur irgendwohin fährt, um den ganzen Tag vögelnd im Bett zu liegen.
Dennoch, ich verkaufte meine Eigentumswohnung in Frankfurt samt allem, was darin war, setzte mich in meinen schwarzen Mercedes SLS Cabrio und düste in den Osten.
Der Büroraum in der oben beschriebenen prominenten Geschäftslage war schnell gefunden. Ebenso eine ruhige Stadtwohnung in der Burgstraße. Jener Straße, die vom historischen Marktplatz hinauf zur Burg führte, mitten im Herzen der Altstadt lag und abends eben total ruhig war. Man musste nur darauf achten, dass man sich nicht die Ellbogen an den hochgeklappten Bürgersteigen stieß. Da war schon ausreichend Verletzungsgefahr vorhanden. Aber sonst – ideal. Hinzu kam, dass man in der engen Gasse mit dem Auto bis vor die Tür fahren und dort sogar parken durfte. Himmlisch.
Mein Berufstempo änderte sich auch zum Besseren. Ein Privatdetektiv verbringt sehr viel Zeit damit, fremde Männer oder Frauen dabei zu beobachten, wie sie sich mit anderen fremden Männern oder Frauen heimlich treffen, um in Hotelzimmern nach der Befriedigung zu suchen, die es zu Hause nicht mehr gibt. Das ist – zugegeben – ein langweiliges und schmutziges Geschäft, aber es ernährt seinen Mann. Um nicht ganz aus der Übung zu kommen, besuchte ich wöchentlich dreimal das Fitnesscenter im Kaufland, hielt meinen Körper durch intensives Training an den Kraftmaschinen in Schwung und joggte wieder durch den Stadtpark.
Zum Schießtraining traf ich mich mit Andrea regelmäßig in einer alten Russenkaserne, zu der er Zugang hatte. Wie er das machte, woher er den Schlüssel hatte, fragte ich besser nicht. Andrea mochte seine Geheimnisse, und er mochte es gar nicht, wenn man ihn dazu befragte. Andrea war ein alter Bekannter aus ereignisreicheren Tagen in Frankfurt. Er stand zwar auf der anderen Seite des Gesetzes, aber wir hatten durchaus Deckungsgleichheiten. Er war ein gradliniger Typ, ich ebenso. Er hatte einen praktischen Sinn für Gerechtigkeit, ich auch. Er war Deutsch-Italiener, ich halb Ost, halb West. Außerdem war er der beste Schütze, der mir bislang über den Weg gelaufen war. Andrea war Mafia, ich war Ex-Bulle, mehr Übereinstimmung ging nun wirklich nicht. Wir kannten uns seit zwanzig Jahren, und er war der coolste Gangster, mit dem ich jemals befreundet war.
Andrea ist ein wirklich hübscher italienischer Männername. Er bedeutet so viel wie ›Der Tapfere‹ oder ›Der Unerschrockene‹. Beides traf auf Andrea absolut zu.
Ich saß also da in meinem Bürosessel, schaute in den tristen Himmel, der sich über dem hässlichen und schwach frequentierten Gebäude gegenüber breitgemacht hatte, und versuchte, den Ausführungen meiner Besucherin zu folgen. Es war mit absoluter Sicherheit reichlich unhöflich, meiner Besucherin nur meinen Rücken zu zeigen. Andererseits hatte ich kein besonderes Verlangen, der Dame unentwegt in ihr buntgeschminktes Gesicht zu starren. Da ich bemerkte, dass die Wortflut hinter mir versiegt war, nahm ich die Füße vom Fensterbrett und drehte mich mitsamt meinem Sessel zu ihr um. Na prima, da saß sie also auf einem meiner zwei Besucherstühle. Es handelte sich dabei um eine stattliche Frau um die Mitte Fünfzig. Ihr Haar war von einem der örtlichen Friseure kunstvoll aufgedonnert, ausgestattet mit einer dezent lila Haarsträhne, die sich von vorn links bis vorn rechts um ihr Haupt schlängelte und den Rest des üppigen, dunkelbraunen Haares zur Bedeutungslosigkeit degradierte. Ihr großes, rundes Gesicht war mit zu viel Creme-Make-up zugekleistert, die Lider hatten einen Hauch zu viel Hellblau abbekommen. Die Wimpern waren einmal schwarz getuscht gewesen, doch die Farbe war mit ihren Tränen dahingeflossen. Sie hatte viel geweint. Verständlich bei so viel Leid, wie sie zu ertragen hatte. Unter der langen Nase sah ich einen tiefrot geschminkten Mund. Hinter den Lippen vermutete ich ein makelloses Zahnwerk, künstlich und teuer. Ich sollte recht bekommen. Sie trug ein zweiteiliges Kostüm aus reiner Baumwolle in den Topfarben der Saison. Der Rock war, gelobt sei der Schneider, lang genug, um ihre Knie zu verbergen. Sie trug wenigstens drei Ringe zu viel, und die Klunker um ihren Hals signalisierten außer der Botschaft, viel gekostet zu haben, sehr, sehr wenig Geschmack. Am Schrecklichsten aber war das Hündchen, das sich auf ihrem Schoß befand und mich bösartig anstarrte. Ich mochte Hunde, wenn es sich um solche handelte: Also, wenn sie bei einer Schulterhöhe von siebzig Zentimeter anfingen und Schäferhund, Boxer, Dogge, Briard oder ähnlich hießen. Alles, was sich darunter bewegte, war mir schlicht nur ein Grauen wert. Dackel, uhhh, Hofratten in meinen Augen. Aber das hier, was mir da gegenübersaß, war die Krönung der Hässlichkeit. Ein Chihuahua in creme, eingekleidet in ein pinkfarbenes Hundeausgehkostüm, der jetzt anfing zu knurren und ganz offenbar Anstalten machte, auf meinen Schreibtisch zu springen. Zum Glück beruhigte ihn sein Frauchen augenblicklich, indem sie ihm ein Leckerli in den Hals steckte.
»Sie sehen ja, wie völlig aufgelöst meine kleine Lulu ist«, sagte die Dame mir gegenüber und streichelte das Köpfchen mit ihrer großen Hand. Mit der anderen zauberte sie ein Taschentuch aus ihrer Kostümtasche. Wischte sich die Tränen vom Make-up und schnupfte anschließend hinein.
»Helfen Sie mir, ich bitte Sie«, klang es flehentlich.
Eigentlich hatte ich keine Lust, ihr auch nur ein ganz klein wenig behilflich zu sein. Aber es war nun mal mein Job. Außerdem war mir der mehr als unzureichende Stand meines Kontos vor Augen. Also beugte ich mich in einer freundschaftlichen Geste nach vorn und sagte:
»Keine Frage, Frau Overstolz, ich helfe Ihnen natürlich. Wir finden den Bruder Ihrer süßen Lulu bestimmt wieder. Wie heißt er noch gleich?«
»Bubu«, stieß sie weinerlich hervor. Wohlgemerkt, das war der Name des vermissten Hundes. Eines weiteren Chihuahua in creme, aber männlich. Wie ich bereits erfahren hatte, trug er zum Zeitpunkt seines Verschwindens ein Hundeausgehkostüm in hellblau. Das hatte schon Stil. Und ich wusste, dass sich das Hündchen vom Acker gemacht hatte, als sein Frauchen gestern am frühen Abend vom Einkaufen nach Hause gekommen war. Sie hatte vergessen, die Wagentür zu schließen. Da war der Schlingel rausgesprungen und bellend auf dem Grundstück des Frauchens verschwunden. Trotz lauter Rufe kam er nicht zurück. Da es schon dunkel wurde und der Ehemann sich auswärts auf einer Tagung aufhielt, hatte Frau Overstolz Angst, in der Dunkelheit durch den großen Garten zu tappen. Als nun das Kerlchen am heutigen Morgen immer noch nicht zurückgekommen war, befürchtete sie Schlimmes und entschied sich, den Rat und die Hilfe eines Profis in Anspruch zu nehmen. Da war sie bei mir genau richtig.
Wir hatten schnell Übereinkunft über mein Honorar erzielt. Ich ließ die vier Fünfziger Vorschuss elegant in meiner Jeanshose verschwinden und erhob mich aus meinem Sessel. Der Köter auf ihrem Schoß stellte sich daraufhin ebenfalls auf seine dürren Beinchen und fing an, elend laut zu kläffen.
»Lassen Sie uns zu sich nach Hause fahren. Ich muss den Garten nach Spuren untersuchen. Bin sicher, ich finde etwas. Dann sollte Ihr Bubu bald wieder mit seiner Lulu vereint sein.«
Ich hoffte, dass ihr mein Geplapper ein wenig Mut gab, zog meine Barbourjacke über, hielt ihr die Tür auf und marschierte hinter ihr her die Treppe hinunter. Auf dem Parkplatz im Innenhof stand ihr Audi Quattro neben meinem Mercedes SLS Cabrio. Ich folgte ihr in Richtung Miltiz, einem Dorf etwa sechzehn Kilometer entfernt. Dort beziehungsweise in anderen auswärtigen Orten lebten jene, die in Meißen hohe Posten innehatten. Je mehr man sich beruflich um das Wohl der Stadt kümmern musste, desto weiter entfernt wohnte man. So war der Grad der Identifikation mit der Stadt schön niedrig, der Blick auf das Eigene hingegen völlig unbelastet von Fremdinteressen. Ich hatte, glaube ich, noch nicht erwähnt, dass der Ehemann von Frau Overstolz Meißens Oberbürgermeister war.
»Genau hier war das, hier hat mein Auto gestern auch gestanden. Ich hatte den Kofferraum geöffnet, wollte die Einkaufstüten herausholen, als Bubu anfing, so komische Geräusche zu machen. Er ist aus dem Auto gesprungen. Dann hat er so gequiekt und geknurrt und gebellt, und ich habe gesagt: ›Aus, Bubu, aus.‹ Aber er hat immer lauter gebellt. ›Aus, Bubu‹, habe ich gesagt, immer wieder.«
Wir hatten unsere Fahrzeuge vor dem schicken Einfamilienhaus geparkt, und Frau Oberbürgermeister schilderte mir vor Ort den Hergang von Bubus Abtauchen. Ich fürchtete schon, dass sie gleich einen heftigen hysterischen Anfall bekommen würde.
»›Aus‹, hab ich geschrien, immer wieder, ›aus, aus, aus‹.«
Eins mit der Schaufel über die Zwölf wäre wirkungsvoller gewesen, dachte ich, sagte aber: »Und dann?«
»Und dann ist er blitzschnell hier durch den Rhododendron gerast und weg war er. Ich habe ihn hinten im Garten noch bellen gehört. Dann war so ein komisches schrilles Geräusch. Und dann war es ganz still. Richtig unheimlich.«
»Und Sie haben nicht nachgesehen?«, fragte ich.
»Im Dunkeln? Sind Sie verrückt. Da hätte ja Gott weiß wer lauern können. Ich habe Lulu geschnappt, und die Einkaufstüten, und dann bin ich ins Haus, habe alle Türen verriegelt und überall Licht angemacht.«
»Okay«, sagte ich. »Ich schlage vor, Sie gehen ins Haus, und ich durchsuche den Garten.«
Sie tat wie ihr geheißen. Als sie verschwunden war, wagte ich einen Blick hinter die großen Rhododendronbüsche, ohne eine Spur ausfindig machen zu können. Dafür lag der Garten vor mir. Eine Rasenfläche von hier bis zum Horizont. Das Gras war ordentlich geschnitten, wie es sich gehört. Ich schätze eine Halmlänge von exakt 1,2 cm. In der Mitte des Rasens befand sich ein Brunnen mit diversen Engeln und Fischen, die kräftig Wasser spien. Ein gepflegter Weg aus Natursteinen umrundete den Rasen. Das ganze Grundstück war von Rhododendron umrahmt, im hinteren Teil befand sich ein Swimmingpool. Den wollte ich jetzt einmal näher inspizieren. Ich marschierte also auf dem Natursteinweg bis hin zum Pool. Und da sah ich auch schon den Schlamassel. Bubu lag am Ende des Weges auf dem Rücken und streckte alle Viere steif in die Höhe. Ich musste kein Arzt sein, um auf den ersten Blick festzustellen, dass er mausetot war. Was mir allerdings sofort auffiel, war der Schaum, der aus seiner Schnauze geflossen war und um seinen Kopf eine Lache bildete. Ich ging zum Auto, holte eine Plastikeinkaufstüte heraus, packte den toten Bubu hinein und ließ Tüte samt Hund im Kofferraum verschwinden. Zum jetzigen Zeitpunkt hielt ich es für besser, Frau Overstolz nichts von meinem Fund zu erzählen. Zum einen wäre der Schmerz doch viel zu groß gewesen. Zum anderen wollte ich den Köter umgehend und ohne Behinderungen, die nur langatmige Erklärungen nach sich gezogen hätten, von hier fort und zu einem befreundeten Tierarzt bringen.
Ich tat so, als wäre meine Suche erfolglos gewesen. Meine Empfehlung, Suchsteckbriefe an die Bäume der Umgebung zu nageln, wurde mit Begeisterung angenommen. Ich versprach, mich um eine Suchanzeige in den diversen Zeitungen zu kümmern. Damit konnte ich Frau Overstolz natürlich nicht total erfreuen, aber wenigstens ließ sie mich am Ende gehen.
Ich atmete ein paar Mal erleichtert ein und aus, als ich in meinem Auto saß. Dann gab ich Gas und fuhr zurück nach Meißen.
Ich hatte Glück und erwischte meinen Freund noch in seiner Tierarztpraxis. Er nahm die Plastiktüte an sich, warf einen Blick hinein und versprach, mir bis zum kommenden Nachmittag das Ergebnis seiner Obduktion mitzuteilen. Erleichtert lenkte ich mein Auto in die Altstadt und begab mich ohne Umwege ins »Loch«, eine herrliche Kneipe mit unschlagbaren Preisen und ordentlichen Öffnungszeiten. Dort goss ich mehrere Biere und kleine Schnäpse in mich hinein, in der Erwartung, dass sie mir helfen würden, alle Bubus und Lulus dieser Welt zu vergessen.
Kurz vor dem Einschlafen erinnerte ich mich an einen Filmausschnitt eines Streifens mit dem Titel Ein Fisch namens Wanda. Ein Zementblock stürzte von oben herab auf den Gehweg und begrub unter sich ein Hündchen, einen Yorkshire Terrier mit roter Schleife im Haar. Was für eine herrliche Erinnerung. Ich schlief mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen ein.
2
Andrea und ich aßen zu Mittag im Restaurant Amalfi, das zu dieser Tageszeit immer gut gefüllt war. Es gab in Meißen drei Orte, an denen man ausgezeichnetes Essen bekam. Dieser hier war einer davon. Die Bedienung war freundlich und aufmerksam, die Getränke hatten immer die richtige Temperatur und das Preis-Leistungs-Verhältnis war völlig korrekt. Das merkten ganz offenkundig viele Meißner und bescherten dem Haus und seiner Besitzerin gleichbleibend gute Umsätze. Warum die anderen Restaurantbetreiber dieses recht einfache Prinzip nicht nachahmten, blieb ein Mysterium. Wahrscheinlich lag es an der sächsischen Borniertheit, zu glauben, man habe die Weisheit mit Scheffeln gefressen, und wenn es nicht so läuft, wie wir wollen, dann ist alles andere inklusive des Schicksals und einer Menge höherer Gewalten daran schuld, nur nicht die eigene Fehleinschätzung. Helene, der Besitzerin des Amalfi, war es egal, und Andrea und mir sowieso.
Auf unserem Tisch standen eine Flasche Pinot Grigio und eine Flasche Mineralwasser, als Vorspeise hatten wir beide eine hausgemachte Stracciatella gewählt, wobei es sich um eine Rindersuppe mit geschäumtem Ei und nicht um das gleichnamige Eis handelte.
Andrea hob sein Glas, prostete mir zu und nahm einen gehörigen Schluck. Dann schüttelte er zum wiederholten Male den Kopf und sagte noch einmal absolut erschüttert:
»Crystal Meth.«
»Crystal Meth«, bestätigte ich und trank ebenfalls.
»Ist dir so was schon mal untergekommen?«, fragte er.
Jetzt schüttelte ich.
»Nee, eine Überdosis Crystal bei einem Chihuahua habe ich noch nie erlebt.«
In der Tat hatte mich mein Freund, der Tierarzt, an diesem Morgen telefonisch davon in Kenntnis gesetzt, dass der hässliche Köter jede Menge des synthetischen Rauschgiftes in seinem Magen hatte. Und Schokolade. Letzteres verwunderte mich angesichts des Frauchens von Lulu und Bubu nicht. Aber Crystal Meth? Ich glaubte nicht, dass Frau Overstolz die Droge zur Hundeerziehung anwandte.
»Wie kommt der Köter an das Zeug?«, fragte Andrea.
»Keine Ahnung.«
»Vielleicht dealt euer Oberbürgermeister ja«, meinte Andrea trocken.
Das sollte garantiert kein Scherz sein. Andrea scherzte selten.
»Möglich wär’s ja. Wär jedenfalls interessant, sich darum zu kümmern.«
Andrea hatte die Flasche Wein geleert und deutete mit einer Handbewegung gegenüber der Bedienung an, dass wir gern noch eine weitere hätten.
»Haben wir Zeit?«, fragte ich Andrea.
Der zog kaum merklich das linke Augenlid in die Höhe.
»Wir?«
»Na ja. Wir beide. Das wär doch mal eine Abwechslung für dich? Also, einen Politiker zu beschatten, ohne ihn gleich zu erschießen.«
»Meist folgt auf das eine das andere«, erwiderte er trocken. Der neue Wein wurde gebracht und für gut befunden, die Suppenteller wurden entfernt und die Hauptspeise, Saltimbocca mit frischen Bohnen und gebackenen Kartoffeln, serviert. Die hauchdünnen Kalbsschnitzel waren sorgfältig gewürzt und bedeckt mit je einem Blatt frischem Salbei, ein Gedicht für jeden Feinschmecker. Saltimbocca heißt ja übersetzt ›Spring in den Mund‹, also ließen wir springen und genossen schweigend.
Als wir das Mahl beendet hatten, die Teller abgeräumt waren und vor uns jeweils ein doppelter Espresso stand, nahm Andrea das Thema wieder auf.
»Euren OB zu fragen, wird wenig nützen.«
»Jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt«, bestätigte ich seine Aussage.
»Also beschatten.«
Ich nickte.
»Ab wann?«
»Sofort?«
»Bene, ich fange an«, sagte Andrea, trank seinen Espresso und stand auf.
»Du zahlst.«
Ich nickte und er verließ das Restaurant. Sein Gang hatte etwas Schwebendes an sich, als ob seine Füße nicht den Boden berührten.
Andrea war ein kleiner, zierlich gewachsener Mann mit gelocktem, vollem Haar. Er bewegte sich immer, als glitte er dahin, von einem leichten Wind getrieben, wie ein Schatten. Wenn er nicht gesehen werden wollte, dann wurde er es nicht. Hierin war er perfekt. Fast so perfekt wie im Umgang mit seiner Waffe.
Ich bezahlte die Rechnung. Dann fuhr ich mit meinem Mercedes SLS Cabrio in meine Werkstatt. Eine Durchsicht konnte nicht schaden. Und ein anderes Auto. Ein unscheinbares Modell, das für die Beschattung geeignet war. Eine Dreiviertelstunde später fuhr ich in einem Opel Ascona zu meinem Büro und überlegte allen Ernstes, ob ich mir nicht einen Wackeldackel für die Hutablage sowie einen Hut für mich selber zulegen sollte. Stil ist eben Stil.
Am kommenden Morgen schrieb ich ein paar Suchanzeigen nach einem entlaufenden Chihuahua und lobte eine Belohnung über 100 Euro aus. Das konnte ich ja getrost machen, wo der Köter doch mausetot war. Dann rief ich noch einmal in der Tierarztpraxis an und bat meinen Freund, den Mops in die Tiefkühltruhe zu stecken. Wer weiß, wozu der Hund noch gut sein könnte. Ich musste aber versprechen, ihn im Laufe einer Woche abzuholen. Das tat ich dann auch. Danach informierte ich Frau Overstolz von meinen Suchanzeigen, regelte mit ihr eine vorläufige Abrechnung, bedankte mich brav für den Auftrag und legte auf.
Andrea und ich hatten vereinbart, dass wir uns alle zwölf Stunden abwechseln würden. Am nächsten Morgen um fünf Uhr stand ich mit meinem komplett unauffälligen Auto in einer Seitengasse, aus der ich das Haus der Overstolz wunderbar sehen konnte, ohne selber gesehen zu werden. Ich hoffte, dass sich diese Unternehmung nicht allzu lange hinziehen würde.
Für mich würde es anderenfalls zu einem teuren Spaß werden. Ich würde kein Geld einnehmen, dafür aber jede Menge ausgeben. Andrea konnte das egal sein. Er war zurzeit ohne Auftrag und behauptete, die kommenden acht Monate auch keine Not zu haben. Ich nahm an, dass er die Wahrheit sagte. Seine hauptberufliche Tätigkeit wurde so gut bezahlt, dass er ohne Schmerzen einen längeren Zeitraum aushalten konnte.
Es war ein recht ordentlicher Spätsommermorgen in der ersten Septemberwoche. Um fünf nach sieben Uhr verließ Herr Overstolz sein Haus, gab seiner Gattin an der Tür ein Abschiedsküsschen, stieg in sein Auto und brauste davon. Ich wartete eine kleine Weile, dann fuhr ich ihm nach.
Der Job war reichlich öde. Overstolz fuhr mit seinem Audi Quattro nach Meißen und begab sich ins Rathaus, das er um neun Uhr wieder verließ. Er ging zu Fuß zu diversen Terminen, bei denen er breit grinsend sein Gesicht in die Kameras hielt, Hände schüttelte und überflüssige Reden hielt. Mittags ging er in die Kantine der Arbeitsamtsschule zum Mittagessen. Der Nachmittag war komplett ereignislos. Ich hockte im Journal-Café und goss mir eine Tasse Kaffee nach der anderen in die linke Herzhälfte. Das ging so weiter bis gegen siebzehn Uhr, als Overstolz eiligen Schrittes über den Marktplatz lief. Ich legte zwanzig Euro neben meine leere Tasse und folgte ihm zum Parkplatz, wo er in sein Auto stieg.
Ich nahm an, dass er nach Hause fahren würde, doch da täuschte ich mich. Er fuhr in Richtung Autobahn. Es war einfach, ihm zu folgen. Er fühlte sich schließlich unbeobachtet.
Auf der Autobahn fuhr er in Richtung Chemnitz und dann nahm er die E 55 in Richtung Prag. Er ließ sich Zeit. Vor der ehemaligen Grenze erlaubte er sich eine ausgiebige Kaffeepause. Ich konnte derweil eine Maut-Marke kaufen, die man zur Benutzung tschechischer Autobahnen benötigt. Ich klebte sie kunstvoll an die Windschutzscheibe meines Miet-Ascona. Weiter ging die Fahrt. Er verließ die Autobahn in Richtung Ústí, wo er gemütlich durch die Innenstadt gondelte, um am Ende der Fahrt in der Tiefgarage des Einkaufszentrums in der Stadtmitte einzuparken. Ich folgte ihm vorsichtig und unbemerkt. Er nahm eine kleine Reisetasche von der Rückbank seines Autos, verriegelte die Türen und verließ die Tiefgarage. Weiter ging er zielstrebig durch den Innenbereich des Einkaufszentrums, verließ den Klasterni Platz, um augenblicklich das Hotel Na Rychtě zu betreten. Das Na Rychtě war ein äußerst beliebtes und stark frequentiertes Hotel mit Restaurant und eigener Brauerei, in dem es nicht nur ausgezeichnetes Bier, sondern auch ebenso gutes Essen gab. Ich folgte Overstolz und suchte mir einen Platz, von dem ich sowohl die Rezeption als auch den Restaurantbereich überblicken konnte. Er stand an der Rezeption und war offenbar dabei einzuchecken. Es sah ganz danach aus, als wäre er hier nicht unbekannt. Während ich mir ein Bier vom Fass bestellte, bekam er seinen Schlüssel ausgehändigt und entschwand meinen Blicken, weil er die Treppe zu den Zimmern nahm. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war mittlerweile neunzehn Uhr.