Lienhard und Gertrud (Utopischer Roman) - Johann Heinrich Pestalozzi - E-Book

Lienhard und Gertrud (Utopischer Roman) E-Book

Johann Heinrich Pestalozzi

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Beschreibung

In dem utopischen Roman 'Lienhard und Gertrud' des Autors Johann Heinrich Pestalozzi wird die Geschichte zweier Liebender in einem idealisierten, harmonischen Dorf erzählt. Pestalozzi, ein prominenter Pädagoge des 18. Jahrhunderts, verwendet einen einfachen, aber eindringlichen literarischen Stil, um die sozialen Ideale seiner Zeit zu erforschen. Das Buch reflektiert auch Pestalozzis pädagogische Überzeugungen und seinen Glauben an die Verbesserung der Gesellschaft durch Bildung und Mitgefühl. Der Roman bietet somit einen faszinierenden Einblick in die Gedankenwelt und Ideale des Autors. Johann Heinrich Pestalozzi, bekannt für seine innovativen Bildungsansätze, schrieb 'Lienhard und Gertrud' als eine Art literarische Umsetzung seiner pädagogischen Theorien. Als Reformer und Humanist setzte sich Pestalozzi für die Verbesserung der sozialen Verhältnisse ein und glaubte fest an die Kraft der Erziehung. Dieses Buch dient als künstlerischer Ausdruck seiner Vision einer gerechteren und harmonischeren Gesellschaft, basierend auf Werten wie Liebe, Bildung und Gemeinschaftssinn. 'Lienhard und Gertrud' ist ein faszinierendes Werk, das nicht nur die literarischen Qualitäten von Johann Heinrich Pestalozzi zeigt, sondern auch einen Einblick in seine philosophischen Überzeugungen gibt. Leser, die an sozialen Idealen, Pädagogik und utopischer Literatur interessiert sind, werden von diesem Roman begeistert sein und von seinen zeitlosen Botschaften über Mitgefühl und Bildung inspiriert werden.

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Johann Heinrich Pestalozzi

Lienhard und Gertrud

(Utopischer Roman)

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-481-2

Inhaltsverzeichnis

Vorrede.
1. Ein herzguter Mann, der aber doch Weib und Kind höchst unglücklich macht.
2. Eine Frau, die Entschlüsse nimmt, ausführt, und einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat.
3. Ein Unmensch erscheint.
4. Er ist bei seinesgleichen, und da ist's, wo man Schelmen kennen lernt.
5. Er findet seinen Meister.
6. Wahrhafte Bauerngespräche.
7. Er fängt eine Vogtsarbeit an.
8. Wenn man die Räder schmiert, so geht der Wagen.
9. Von den Rechten im Lande.
10. Des Scherers Hund sauft Wasser zur Unzeit, und verdirbt dem Herrn Untervogt ein Spiel, das recht gut stand.
11. Wohl überlegte Schelmenprojekte.
12. Haushaltungsfreuden
13. Beweis, daß Gertrud ihrem Manne lieb war.
14. Niedriger Eigennutz.
15. Der klugen Gans entfällt ein Ei, oder eine Dummheit, die ein Glas Wein kostet.
16. Zieht den Hut ab, Kinder, es folgt ein Sterbebett.
17. Die kranke Frau handelt vortrefflich.
18. Ein armer Knabe bittet ab, daß er Erdäpfel gestohlen hat, und die Kranke stirbt.
19. Guter Mut tröstet, heitert auf und hilft; Kummerhaftigkeit aber plagt nur.
20. Dummer, zeitverderbender Vorwitz hat den Mann zum Müßiggang verführt.
21. Undank und Neid.
22. Die Qualen des Meineids lassen sich nicht mit spitzfindigen Künsten ersticken.
23. Ein Heuchler und eine leidende Frau.
24. Ein reines, fröhliches und dankbares Herz.
25. Wie Schelme miteinander reden.
26. Hochmut in Armut und Elend führt zu den unnatürlichsten, abscheulichsten Taten.
27. Fleiß und Arbeitsamkeit ohne ein dankbares und mitleidiges Herz.
28. Der Abend vor einem Festtage in eines Vogts Hause der wirtet.
29. Fortsetzung, wie Schelmen miteinander reden und handeln.
30. Fortsetzung, wie Schelme miteinander reden und handeln; auf eine andere Manier.
31. Der Abend vor einem Festtage im Hause einer rechtschaffenen Mutter.
32. Die Freuden der Gebetsstunde.
33. Die Ernsthaftigkeit in der Gebetsstunde.
34. So ein Unterricht wird verstanden, und geht ans Herz; aber es gibt ihn eine Mutter.
35. Ein Samstagabend-Gebet.
36. Noch mehr Mutterlehren. Reine Andacht und Emporhebung der Seele zu Gott.
37. Sie bringen einem armen Mann eine Erbsenbrühe.
38. Die reine, stille Größe eines wohltätigen Herzens.
39. Eine Predigt.
40. Ein Beweis, daß die predigt gut war; item, vom Wissen und Irrtum, und von dem, was es heiße den Armen drücken.
41. Der Ehegaumer zeigt dem Pfarrer Unfug an.
42. Zugabe zur Morgenpredigt.
43. Die Bauern im Wirtshause werden beunruhigt.
44. Geschichte eines Menschenherzens während des Nachtmahls.
45. Die Frau sagt ihrem Manne große Wahrheiten, aber viele Jahre zu spät.
46. Selbstgespräch eines Mannes, der mit seinem Nachdenken unglücklich weit kömmt.
47. Häusliche Sonntagsfreude.
48. Etwas von der Sünde.
49. Kindercharakter und Kinderlehren.
50. Unarten und böse Gewohnheiten verderben dem Menschen auch die angenehmen Stunden, in denen er etwas Gutes tut.
51. Es kann keinem Menschen in den Sinn kommen, was für gute Folgen auch die kleinste gute Handlung haben kann.
52. Am Morgen sehr früh ist viel zu spät für das, was man am Abend vorher hätte tun sollen.
53. Je fehlerhafter der Mensch ist, desto unverschämter begegnet er denen, die auch fehlen.
54. Armer Leute unnötige Arbeit.
55. Ein Heuchler macht sich einen Schelm zum Freunde.
56. Es wird ernst, der Vogt muß nicht mehr Wirt sein.
57. Wie er sich gebärdet.
58. Wer bei ihm war.
59. Auflösung eines Zweifels.
60. Eine Abschweifung.
61. Der alte Mann leert sein Herz aus.
62. Das Entsetzen der Gewissensunruhe.
63. Daß man mit Liebe und mit Teilnehmung der gänzlichen Kopfverwirrung angstvoller Menschen vorkommen könne.
64. Ein Pfarrer, der eine Gewissenssache behandelt.
65. Daß es auch beim niedrigsten Volke eine Delikatesse gebe, selbst bei der Annahme von Wohltaten, um die es bittet.
66. Ein Förster, der keine Gespenster glaubt.
67. Ein Mann, den es gelüstet, einen Markstein zu versetzen, möchte auch gerne die Gespenster nicht glauben, und er darf nicht.
68. Die untergehende Sonne und ein verlorener armer Tropf.
69. Wie man sein muß, wenn man mit den Leuten etwas ausrichten will.
70. Ein Mann, der ein Schelm ist und ein Dieb, handelt edelmütig, und des Maurers Frau ist weise.
71. Die Hauptauftritte nähern sich.
72. Die letzte Hoffnung verläßt den Vogt.
73. Er macht sich an den Markstein.
74. Die Nacht betrügt Besoffene und Schelme, die in der Angst sind, am stärksten.
75. Das Dorf kömmt in Bewegung.
76. Der Pfarrer kömmt ins Wirtshaus.
77. Seelsorgerarbeit.
78. Zwei Briefe vom Pfarrer an Arner.
79. Des Hühnerträgers Bericht.
80. Des Junkers Antwortschreiben an den Pfarrer.
81. Ein guter Küher.
82. Ein Kutscher, dem seines Junkers Sohn lieb ist.
83. Ein Edelmann bei seinen Arbeitsleuten.
84. Ein Junker und ein Pfarrer, die beide ein gleich gutes Herz haben, kommen zusammen.
85. Des Junkers Herz gegen seinen fehlenden Vogt.
86. Der Pfarrer zeigt abermal sein gutes Herz.
87. Vom guten Mut und von Gespenstern.
88. von Gespenstern in einem andern Tone.
89. Ein Urteil.
90. Vortrag Hartknopfs, des Ehegaumers.
91. Des Junkers Antwort.
92. Rede des Hühnerträgers an die Gemeinde.
93. Daß die Armen bei diesem Lustspiele gewinnen.
94. Der Junker dankt dem Pfarrer.
95. Der Junker bittet einen armen Mann, dem sein Großvater unrecht getan hatte, um Verzeihung.
96. Reine Herzensgüte eines armen Mannes gegen seinen Feind.
97. Seine Dankbarkeit gegen seinen edeln Herrn.
98. Auftritte, die ans Herz gehen sollen.
99. Eine angenehme Aussicht.
100. Des Hühnerträgers Lohn.
101. Der Vogt spaziert wieder zum Markstein.
102. Der Pfarrer mischt sich ins Spiel.
103. Adam und Eva.
104. Der Pfarrer stellt Leute zur Kirche hinaus.
105. Etwas aus des Pfarrers Predigt.
106. Wenn so ein Pfarrer in die Gefängnisse und Zuchthäuser eines Reiches Einfluß hätte, er würde die Grundsätze, mit den Gefangenen umzugehen, in ein Licht setzen, das himmelrein leuchtete.
107. Menschlichkeit und Gerechtigkeit beieinander.
108. Bauerngespräch und Bauernempfindung.
109. Hausordnung und Hausunordnung.
110. Das Herz leicht machen, ist das rechte Mittel, dem Menschen den Mund aufzutun.
111. Seltsame Wirkungen des bösen Gewissens.
112. Die Ungleichheit dieser Wirkungen des bösen Gewissens bei geschäftserfahrnen Leuten.
113. Ein Bauernrat.
114. Bauernwahl.
115. Des Kalberleders Versuch, den Sachen zu helfen, und sein übler Ausschlag.
116. Die Dorfmeister suchen in ihrer Angst beim Teufel und seiner Großmutter Hilfe.
117. Die Fahne dreht sich.
118. Wie lange werden die Weiber noch denken und sagen: Mein Mann heißt Nabal, und Narrheit ist in ihm.
119. Zu gut ist dumm.
120. Der Hühnerträger findet keine Hühner und Tauben feil.
121. Art und Weise, die Obrigkeit zu berichten, und dahin zu lenken, wohin man sie gerne führt.
122. Erziehungs- und Haushaltungsgrundsätze.
123. Ein Stück aus einer Leichenpredigt.
124. Ein Frauenbild, aber nicht zu allgemeiner Anwendung.
125. Die Arbeit Arners.
126. Der Lohn seiner Arbeit.
127. Leid und Freude in einer Stunde.
128. Ein Gespräch voll Güte auf der einen und voll Angst auf der andern Seite.
129. Die Himmelstropfen.
130. Ein Gespräch zwischen zwei Menschen, die in zehn Tagen vieles gelernt hatten, das sie vorher nicht kannten, und vieles erfahren, das sie vorher nicht wußten.
131. Hundestreue, die eine Menschenempfindung veranlaßt.
132. Lips Hüni, ein Wächter.
133. Es ist wohl so, wie sie sagen; aber wo die Hirten sich schlagen, da werden die Schafe gefressen.
134. In welch hohem Grade ein Verbrecher Mensch bleiben, und seine geistliche und weltliche Herrschaft interessieren kann.
135. Weil er Vater von allen ist, so hält er zuerst und am stärksten seinen ältesten Buben im Zaum.
136. Der neue Vogt neben seinen Bauern.
137. Der Vogt neben des Weibels Töchterli.
138. Der Vogt ist wieder in des Kienholzen Stube und dann auf der Gasse beim Weibel, der auf dem Rosse sitzt.
139. Renold, ein braver Mann, tritt auf.
140. Die Morgenstunde Arners an einem Gerichtstage neben seinem Pfarrer.
141. Arner fängt seine Tagesarbeit an.
142. Bauern, die von ihrem Herrn reden.
143. Arner tut die Türe zu.
144. Sie werden jetzt bald aufhören, zu ratschlagen wider ihren Herrn und wider ihr Heil.
145. Der alte Trümpi bringt eine böse Nachricht.
146. Es fängt an, ernst zu werden.
147. Der Unverstand der Gewaltigen pflanzt die Lügen des Volkes, aber ihre Weisheit macht die Menschen wahrhaft.
148. Ein Sigrist und ein Schulmeister, zwei Brüder, dem Leibe nach und auch der Seele.
149. Er versteht das Fragen besser als sie das Lügen. Nachdem der Junker das alte und neue Verzeichnis miteinander verglichen, und die zweiundzwanzig Männer, welche Heu und Vieh falsch angegeben, mit Namen genannt hatte befahl er dem Weibel, die sechs, welche neben den sechzehn dastanden, die schon bekannt hatten, hervorzurufen.
150. Jakob Christoph Friedrich Hartknopf, der Ehegaumer und Stillständer von Bonnal, wird fuchswild gemacht.
151. Arners Urteil über die armen Sünder.
152. Es war seine Speise, daß er höre und tue den Willen seines Vaters im Himmel.
153. Wohin bringt den Menschen sein armes Herz, wenn er für dasselbe keinen Zaum hat?
154. Jetzt gar eine Ohnmacht um des armen, zaumlosen Herzens willen.
155. Die wahre Regierungsweisheit wohnet in Menschen, die also handeln.
156. Ein Kläger, dem die Sonne scheint.
157. Ein Doktor in der Perücke, auf einer Tragbahre und im Bette.
158. Ein aufgelöstes Rätsel und Arners Urteil über einen privilegierten Mörder.
159. Arner genießt wieder den Lohn seiner Arbeit.
160. Es nahet ein Todbett.
161. Wer von Herzen gut ist, richtet mit den Leuten aus, was er will, und bringt sie, wozu er will.
162. Die Menschen sind so gerne gut, und werden so gerne gut.
163. Worte einer Sterbenden.
164. Hier ist wahrhaftig ein Haus Gottes und eine Pforte des Himmels.
165. Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit übertreffen wird die Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht ins Reich der Himmel eingehen.
166.
167. Auch neben dem Treufaug ist er weise.
168. Zu beweisen, daß die Menschen das werden, was man aus ihnen macht.
169. Zu einem guten Ziel kommen ist besser als viele Wahrheiten sagen.
170. Lebensbeschreibung des Vogts Hummel.

Vorrede.

Inhaltsverzeichnis

Diese Bogen sind die historische Grundlage eines Versuches, dem Volke einige ihm wichtige Wahrheiten auf eine Art zu sagen, die ihm in den Kopf und ans Herz gehen sollte.

Ich suchte sowohl das gegenwärtige Historische als das folgende Belehrende auf die möglichst sorgfältige Nachahmung der Natur und auf die einfache Darlegung dessen, was allenthalben schon da ist, zu gründen.

Ich habe mich in dem, was ich hier erzähle, und was ich auf der Bahn eines tätigen Lebens meistens selbst gesehn und gehört habe, sogar gehütet, nicht einmal meine eigene Meinung hinzuzusetzen zu dem, was ich sah und hörte, daß das Volk selber empfindet, urteilt, glaubt, redt und versucht.

Und nun wird es sich zeigen; – sind meine Erfahrungen wahr, und gebe ich sie, wie ich sie empfangen habe, und wie es mein Endzweck ist, so werden sie bei allen denen, welche die Sachen, die ich erzähle, selber täglich vor Augen sehn, Eingang finden. Sind sie aber unrichtig, sind sie bloß das Werk meiner Einbildungen und der Tand meiner eigenen Meinungen, so werden sie, wie andere Sonntagspredigten, am Montag verschwinden.

Ich sage nichts weiter, sondern ich füge nur noch zwei Betrachtungen bei, welche meine Grundsätze über die Art eines weisen Volksunterrichts ins Licht zu setzen geschickt scheinen.

Die erste ist aus einem Buche unsers seligen Luthers, dessen Feder in jeder Zeile Menschlichkeit, Volkskenntnis und Volksunterricht atmet. Sie lautet also:

»Die Heilige Schrift meint es auch darum so gut mit uns, daß sie nicht bloß mit den großen Taten der heiligen Männer rumpelt, sondern uns auch ihre kleinsten Worte an Tag gibt, und so den innern Grund ihres Herzens uns aufschließt.«

Die zweite ist aus einem jüdischen Rabbiner, und lautet nach einer lateinischen Übersetzung also:

»Es waren unter den Völkern der Heiden, die rings umher und um das Erbteil Abrahams wohnen, Männer voll Weisheit, die weit und breit auf der Erde ihresgleichen nicht hatten; diese sprachen: Lasset uns zu den Königen und zu ihren Gewaltigen gehn, und sie lehren, die Völker auf Erden glücklich zu machen.

Und die weisen Männer gingen hinaus, und lernten die Sprache des Hauses der Könige und ihrer Gewaltigen, und redeten mit den Königen und ihren Gewaltigen in ihrer Sprache.

Und die Könige und die Gewaltigen lobten die weisen Männer, und gaben ihnen Gold und Seide und Weihrauch, taten aber gegen die Völker wie vorhin. Und die weisen Männer wurden von dem Golde und der Seide und dem Weihrauch blind, und sahen nicht mehr, daß die Könige und ihre Gewaltigen unweise und töricht handeln an allem Volke, das auf Erden lebt.

Aber ein Mann aus unserm Volke beschalt die Weisen der Heiden, gab dem Bettler am Weg seine Hand, führte das Kind des Dieben und den Sünder und den Verbannten in eine Hütte, grüßte die Zöllner und die Kriegsknechte und die Samariter wie seine Brüder, die aus seinem Stamme sind.

Und sein Tun und seine Armut und sein Ausharren in seiner Liebe gegen alle Menschen gewannen ihm das Herz des Volkes, daß es auf ihn traute als auf seinen Vater. Und als der Mann aus Israel sah, daß alles Volk auf ihn traute als auf seinen Vater, lehrte er das Volk, worin sein wahres Wohl bestehe; und das Volk hörte seine Stimme, und die Fürsten hörten die Stimme des Volks.«

Das ist die Stelle des Rabbiners, zu der ich kein einziges Wort hinzusetze.

Und jetzt, ehe ihr aus meiner Stille geht, liebe Blätter! an die Orte, wo die Winde blasen, und die Stürme brausen, an die Orte, wo kein Friede ist – nur noch dies Wort, liebe Blätter! (möge es euch vor bösen Stürmen bewahren!)

Ich habe keinen Teil an allem Streit der Menschen über ihre Meinungen; aber das, was sie fromm und brav und treu und bieder machen, was Liebe Gottes und Liebe des Nächsten in ihr Herz, und was Glück und Segen in ihr Haus bringen kann, das, meine ich, sei, außer allem Streit, uns allen und für uns alle in unsere Herzen gelegt.

Den 25. Hornung 1781.

Der Verfasser.

1. Ein herzguter Mann, der aber doch Weib und Kind höchst unglücklich macht.

Inhaltsverzeichnis

Es wohnt in Bonnal ein Maurer; er heißt Lienhard und seine Frau Gertrud. Ich muß hier melden, daß in der ganzen Geschichte ein alter angesehener Einwohner von Bonnal redend eingeführt wird. Er hat sieben Kinder und einen guten Verdienst; aber er hat den Fehler, daß er sich im Wirtshaus oft verführen läßt. Wenn er da ansitzt, so handelt er wie ein Unsinniger; und es sind in unserm Dorf schlaue, abgefeimte Bursche, die darauf losgehen und daraus leben, daß sie den Ehrlichern und Einfältigern auflauern, und ihnen bei jedem Anlaß das Geld aus der Tasche locken. Diese kannten den guten Lienhard, verführten ihn oft beim Trunk noch zum Spiel, und raubten ihm so den Lohn seines Schweißes. Aber allemal, wenn das am Abend geschehen war, reute es Lienhard am Morgen, und es ging ihm ans Herz, wenn er Gertrud und seine Kinder Brot mangeln sah, daß er zitterte, weinte, seine Augen niederschlug, und seine Tränen verbarg.

Gertrud ist die beste Frau im Dorf; aber sie und ihre blühenden Kinder waren in Gefahr, ihres Vaters und ihrer Hütte beraubt, getrennt, verschupft, Diese Geschichte ist schweizerisch. Die Szene davon ist in der Schweiz, und ihre Helden sind Schweizer. Man hat deshalb die schweizerischen Namen beibehalten und sogar schweizerische Provinzialworte, wie zum Exempel verschupfen, welches den Fall bedeutet, da ein Mensch von einem Orte zum andern mit einer Art von Druck und Verachtung verstoßen wird. ins äußerste Elend zu sinken, weil Lienhard den Wein nicht meiden konnte.

Gertrud sah die nahe Gefahr, und war davon in ihrem Innersten durchdrungen. Wenn sie Gras von ihrer Wiese holte, wenn sie Heu von ihrer Bühne nahm, wenn sie die Milch in ihren reinlichen Becken besorgte – ach! bei allem, bei allem ängstigte sie immer der Gedanke, daß ihre Wiese, ihr Heustock und ihre halbe Hütte ihnen bald könnten entrissen werden; und wenn ihre Kinder um sie her standen, und sich an ihren Schoß drängten, so war ihre Wehmut immer noch größer, und allemal flossen dann Tränen über ihre Wangen.

Bis jetzt konnte sie zwar ihr stilles Weinen vor den Kindern verbergen; aber am Mittwoch vor der letzten Ostern, da ihr Mann auch gar zu lang nicht heim kam, war ihr Schmerz zu mächtig, und die Kinder bemerkten ihre Tränen. Ach Mutter, riefen sie alle aus einem Munde, du weinst! und drängten sich enger an ihren Schoß. Angst und Sorge zeigten sich in jeder Gebärde; banges Schluchzen, tiefes, niedergeschlagenes Staunen und stille Tränen umringten die Mutter, und selbst der Säugling auf ihrem Arme verriet ein bisher ihm fremdes Schmerzgefühl. Sein erster Ausdruck von Sorge und von Angst, sein starres Auge, das zum erstenmal ohne Lächeln hart und steif und bang nach ihr blickte – alles dieses brach ihr gänzlich das Herz. Ihre Klagen brachen jetzt in lautes Schreien aus; alle Kinder und der Säugling weinten mit der Mutter, und es war ein entsetzliches Jammergeschrei, als eben Lienhart die Türe öffnete.

Gertrud lag mit dem Antlitz auf ihrem Bette, hörte das Oeffnen der Türe nicht, und sah nicht den kommenden Vater. Auch die Kinder wurden seiner nicht gewahr; sie sahen nur die jammernde Mutter, und hingen an ihren Armen, an ihrem Hals und an ihren Kleidern. So fand sie Lienhard.

Gott im Himmel sieht die Tränen der Elenden, und setzt ihrem Jammer ein Ziel.

Gertrud fand in ihren Tränen Gottes Erbarmen; Gottes Erbarmen führte den Lienhard zu diesem Anblick, der seine Seele durchdrang, daß seine Glieder bebten.

Todesblässe stieg in sein Antlitz, und schnell und gebrochen konnte er kaum sagen: Herr Jesus, was ist das! – Da erst sah ihn die Mutter, da erst sahen ihn die Kinder, und der laute Ausbruch der Klage verlor sich. O Mutter, der Vater ist da! riefen die Kinder aus einem Munde, und selbst der Säugling weinte nicht mehr.

So wie ein Waldbach oder eine verheerende Flamme endlich nachläßt, so verliert sich auch das wilde Entsetzen, und wird stille, bedächtliche Sorge.

Gertrud liebte den Lienhard, und seine Gegenwart war ihr im tiefsten Jammer Erquickung, und auch Lienhard verließ jetzt das erste bange Entsetzen.

Was ist, Gertrud, sagte er zu ihr, dieser erschreckliche Jammer, in dem ich dich antreffe?

O mein Lieber, erwiderte Gertrud, finstere Sorgen umhüllen mein Herz, und wenn du weg bist, so nagt mich der Kummer noch tiefer.

Gertrud, erwiderte Lienhard, ich weiß, was du meinst ... ich Elender!

Da entfernte Gertrud ihre Kinder, und Lienhard hüllte sein Antlitz in ihren Schoß, und konnte nicht reden.

Auch Gertrud schwieg eine Weile, und lehnte sich in stiller Wehmut an ihren Mann, der immer mehr weinte und schluchzte und sich ängstigte auf ihrem Schoße.

Indessen sammelte Gertrud alle ihre Stärke, und faßte Mut, um in ihn zu dringen, daß er seine Kinder nicht ferner diesem Unglück und Elend aussetze.

Gertrud war fromm, und glaubte an Gott, und ehe sie redete, betete sie still für ihren Mann und für ihre Kinder, und ihr Herz ward sichtbarlich heiterer. Da sagte sie: Lienhard, trau' auf Gottes Erbarmen, und fasse doch Mut, ganz recht zu tun!

O Gertrud, Gertrud! ... sagte Lienhard und weinte, und seine Tränen flossen in Strömen.

O mein Lieber, fasse Mut, sagte Gertrud, und glaube an deinen Vater im Himmel, so wird alles wieder besser gehen! Es geht mir ans Herz, daß ich dich weinen mache. Mein Lieber, ich wollte dir gerne jeden Kummer verschweigen. Du weißt, an deiner Seite sättigt mich Wasser und Brot, und die stille Mitternachtsstunde ist mir viel und oft frohe Arbeitsstunde für dich und meine Kinder. Aber, mein Lieber, wenn ich dir meine Sorge verhehlte, daß ich mich noch einst von dir und diesen Lieben trennen müßte, so wäre ich nicht Mutter an meinen Kindern, und an dir wäre ich nicht treu. O Teurer, noch sind unsere Kinder voll Dank und Liebe gegen uns; aber wenn wir nicht Eltern bleiben, so wird ihre Liebe und ihre gute Herzlichkeit, auf die ich alles baue, notwendig verloren gehen müssen. Und dann denke, o Lieber, denke auch, wie dir sein müßte, wenn dein Niklas einst keine Hütte mehr hätte, und Knecht sein müßte, er, der jetzt schon so gern von Freiheit und eigenem Herde redet; Lienhard, wenn er und alle die Lieben, durch unsere Fehler arm gemacht, einst in ihrem Herzen uns nicht mehr dankten, sondern weinten ob uns, ihren Eltern! Könntest du leben, Lienhard, und sehen, wie dein Niklas, dein Jonas, wie dein Liseli und dein Anneli – o Gott! – verschupft, an fremden Tischen Brot suchen müßten? Ich würde sterben, wenn ich das sehen müßte. So sagte Gertrud, und Tränen flossen von ihren Wangen.

Und Lienhard weinte nicht minder. Was soll ich tun, ich Unglücklicher? was kann ich machen? Ich bin noch elender, als du weißt – o Gertrud, Gertrud! – Dann schwieg er wieder, rang seine Hände, und weinte lautes Entsetzen.

O Lieber, verzage nicht an Gottes Erbarmen! O Teurer, was es auch sein mag, rede, daß wir uns raten und helfen!

2. Eine Frau, die Entschlüsse nimmt, ausführt, und einen Herrn findet, der ein Vaterherz hat.

Inhaltsverzeichnis

O Gertrud, Gertrud! es bricht mir das Herz, dir mein Elend zu sagen und deine Sorgen zu vergrößern: und doch muß ich es tun! Ich bin Hummel, dem Vogt, Vogt ist in der Schweiz, was in Deutschland der Schulze im Dorfe ist. noch dreißig Gulden schuldig, und der ist ein Hund und kein Mensch gegen die, so ihm schuldig sind. Ach, daß ich ihn in meinem Leben nie gesehen hätte! Wenn ich nicht bei ihm einkehre, so droht er mir mit den Rechten, und wenn ich einkehre, so ist der Lohn meines Schweißes und meiner Arbeit in seinen Klauen. Das, Gertrud, das ist die Quelle unsers Elends.

O Lieber, sagte hierauf Gertrud, darfst du nicht zu Arner, dem Landesvater, gehen? Du weißt, wie alle Witwen und Waisen sich seiner rühmen. O Lieber, ich denke, er würde dir Rat und Schutz gewähren gegen diesen Mann.

O Gertrud, erwiderte Lienhard, ich kann nicht! ich darf nicht! Was wollte ich gegen den Vogt sagen, der Tausenderlei anbringt, und kühn ist und schlau, und hundert Helfershelfer und Wege hat, einen armen Mann vor der Obrigkeit zu verschreien, das man ihn nicht anhört?

Gertrud. O Lieber, ich habe noch mit keiner Obrigkeit geredet; aber wenn Not und Elend mich zu ihr führten, ich weiß, ich würde die Wahrheit gerade gegen jedermann sagen können. O Teurer, fürchte dich nicht! denke an mich und deine Kinder, und gehe!

O Gertrud, sagte Lienhard, ich kann nicht, und darf nicht; ich bin nicht unschuldig! Der Vogt wird sich kaltblütig aufs ganze Dorf berufen, daß ich ein liederlicher Tropf bin. O Gertrud, ich bin nicht unschuldig! Was will ich sagen? Niemand wird ihn vor den Kopf stoßen und aussagen, daß er mich zu allem verleitet hat. O Gertrud, könnt' ich's, dürft' ich's, wie gerne wollt' ich's! Aber tät' ich's, und mißläng's, denke, wie würde er sich rächen!

Gertrud. Aber auch wenn du schweigst, richtet er dich unausweichlich zugrunde. Lienhard, denke an deine Kinder, und gehe! Diese Unruhe unseres Herzens muß enden; gehe, oder ich gehe!

Lienhard. O Gertrud, ich darf nicht! Darfst du es, Gertrud – ach Gott! – darfst du es, so gehe schnell hin zu Arner, und sag' ihm alles!

Ja, ich will gehen, sagte Gertrud, und schlief keine Stunde in der Nacht; aber sie betete in der schlaflosen Nacht, und ward immer stärker und entschlossener, zu gehen zu Arner, dem Herrn des Ortes.

Und am frühen Morgen nahm sie den Säugling, der wie eine Rose blühete, und ging zwei Stunden weit zum Schlosse des Junkers.

Arner saß eben bei seiner Linde, vor der Pforte des Schlosses, als Gertrud sich ihm nahete. Er sah sie, er sah den Säugling auf ihrem Arme und Wehmut und Leiden und getrocknete Zähren auf ihrem Antlitz.

Was willst du, meine Tochter? wer bist du? sagte er so liebreich, daß sie Mut faßte zu reden.

Ich bin Gertrud, sagte sie, das Weib des Maurers Lienhard von Bonnal.

Du bist ein braves Weib, sagte Arner. Ich habe deine Kinder vor allen andern im Dorfe ausgezeichnet; sie sind sittsamer und bescheidener als alle übrigen Kinder, und scheinen auch besser genährt. Und doch höre ich, seid ihr sehr arm. Was willst du, meine Tochter?

O gnädiger Herr, mein Mann ist seit langer Zeit dem Vogt Hummel dreißig Gulden schuldig, und das ist ein harter Mann. Er verführt ihn zum Spiel und zu aller Verschwendung; und da er ihn fürchten muß, so darf er sein Wirtshaus nicht meiden, wenn er schon fast alle Tage seinen Verdienst und das Brot seiner Kinder darin zurücklassen muß. Gnädiger Herr, es sind sieben unerzogene Kinder; und ohne Hilfe und Rat gegen den Vogt ist's unmöglich, daß wir nicht an den Bettelstab geraten. Ich weiß, daß Sie sich der Witwen und der Waisen erbarmen; darum durfte ich es wagen, zu Ihnen zu gehen und Ihnen unser Unglück zu sagen. Ich habe aller meiner Kinder Spargeld bei mir, in der Absicht, es Ihnen zu hinterlegen, damit ich Sie bitten dürfe, Verfügungen zu treffen, daß der Vogt meinen Mann, bis er bezahlt sein wird, nicht mehr drängen und plagen dürfe.

Arner hatte längst einen Verdacht auf Hummel. Er erkannte sogleich die Wahrheit dieser Klage und die Weisheit der Bitte. Er nahm eine Schale Tee, die vor ihm stand, und sagte: Du bist nüchtern, Gertrud; trink diesen Tee, und gib deinem schönen Kinde von dieser Milch.

Errötend stand Gertrud da. Diese Vatergüte ging ihr ans Herz, daß sie ihre Tränen nicht halten konnte.

Und Arner ließ sie jetzt die Taten des Vogts und seiner Mitgesellen und die Not und die Sorgen vieler Jahre erzählen, hörte aufmerksam zu, und einmal fragte er sie: Wie hast du, Gertrud, das Spargeld deiner Kinder retten können in aller dieser Not?

Da antwortete Gertrud: Das war wohl schwer, gnädiger Herr; aber es mußte mir sein, als ob das Geld nicht mein wäre, als ob es mir ein Sterbender auf seinem Todbette gegeben hätte, daß ich es seinen Kindern aufbehalten sollte. So, fast ganz so sah ich es an. Wenn ich zuzeiten der dringendsten Not den Kindern Brot daraus kaufen mußte, so ruhete ich nicht, bis ich mit Nachtarbeit wieder so viel nebenhin erspart, und den Kindern wieder erstattet hatte.

War das allemal wieder möglich, Gertrud? fragte Arner.

O gnädiger Herr, wenn der Mensch sich etwas fest vornimmt, so ist ihm mehr möglich, als man glaubt; und Gott hilft im äußersten Elend, wenn man redlich für Not und Brot arbeitet, mehr als Sie, gnädiger Herr, in ihrer Herrlichkeit es glauben und begreifen können.

Arner war durch und durch von der Unschuld und von der Tugend dieses Weibes gerührt, fragte aber immer noch mehr, und sagte: Gertrud, wo hast du dieses Spargeld?

Da legte Gertrud sieben reinliche Päcklein auf Arners Tisch, und bei jedem Päcklein lag ein Zettel, von wem alles sei; und wann Gertrud etwas davon genommen, so stand es aufgeschrieben, und ebenso, wie sie es wieder zugelegt habe.

Arner las diese Zettel aufmerksam durch. Gertrud sah es, und errötend sagte sie: Ich hätte diese Papiere wegnehmen sollen, gnädiger Herr.

Arner lächelte und las fort; aber Gertrud stand beschämt da, und sichtbarlich pochte ihr Herz ob diesen Zetteln; denn sie war bescheiden und demütig, und grämte sich auch über den mindesten Anschein von Eitelkeit.

Arner sah ihre Unruhe, daß sie ihre Zettel nicht beiseite gelegt hatte; er fühlte die reine Höhe der Unschuld, die beschämt dasteht, wenn ihre Tugend und ihre Weisheit bemerkt wird, und beschloß dem Weib mehr, als es bat und hoffte, Gnade zu erweisen; denn er erkannte ihren Wert, und daß unter Tausenden kein Weib ihr gleich käme. Er legte jetzt einem jeden Päckchen etwas bei, und sagte: Bring' deinen Kindern ihr Spargeld wieder, Gertrud; und ich lege aus meiner Börse dreißig Gulden beiseite für den Vogt, bis er bezahlt ist. Gehe nun hin, Gertrud; morgen werde ich ohnehin in dein Dorf kommen, und da werde ich dir Ruhe schaffen vor dem Hummel.

Gertrud konnte vor Freuden nicht reden; kaum brachte sie stammelnd ein gebrochenes schluchzendes »Gott lohne es Ihnen, gnädiger Herr« hervor. Dann kehrte sie mit ihrem Säugling auf dem Arme und mit ihrem Trost im Herzen nach Hause zurück. Sie eilte, betete und dankte Gott auf dem langen Wege, und weinte Tränen des Dankes und der Hoffnung, bis sie in ihrer Hütte war.

Lienhard sah sie kommen, und las den Trost ihres Herzens in ihren Augen. Bist du schon wieder da? rief er ihr entgegen. Es ist dir wohl gegangen bei Arner.

Wie weißt du es schon? sagte Gertrud.

Ich sehe es dir an, du Gute; du kannst dich nicht verstellen.

Das kann ich wirklich nicht, sagte Gertrud; und möchte auch nicht, wenn ich es könnte, dir die gute Botschaft einen Augenblick vorenthalten. Da erzählte sie ihrem Manne die Güte von Vater Arner, wie er ihren Worten glaubte, und ihr Hilfe versprach; dann gab sie ihren Kindern Arners Geschenke, und küßte ein jedes wärmer und heiterer, als es lange nicht mehr geschehen war, und sagte ihnen: Betet alle Tage, daß es Arner wohl gehe, Kinder, wie ihr betet, daß es mir und dem Vater wohl gehe. Arner sorgt, daß es allen Leuten im Lande wohl gehe; er sorgt, daß es auch euch wohl gehe; und wenn ihr brav, verständig und arbeitsam sein werdet, so werdet ihr ihm lieb sein, wie ihr mir und dem Vater lieb seid.

Von dieser Zeit an beteten die Kinder des Maurers, wenn sie am Morgen und am Abend für ihren Vater und für ihre Mutter beteten, auch für Arner, den Vater des Landes.

Gertrud und Lienhard faßten nun neue Entschlüsse für die Ordnung ihres Hauses und für die Bildung ihrer Kinder zu allem Guten, und dieser Tag war ihnen ein seliger Festtag. Lienhards Mut stärkte sich wieder, und am Abend machte ihm Gertrud ein Essen, das er liebte; und sie freuten sich beide des kommenden Morgens, der Hilfe Arners und der Güte ihres himmlischen Vaters.

Auch Arner sehnte sich nach dem kommenden Morgen, eine Tat zu tun, wie er tausend tat, um seinem Dasein einen Wert zu geben.

3. Ein Unmensch erscheint.

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Und da am gleichen Abend sein Vogt zu ihm kam, nach seinen Befehlen zu fragen, sagte er ihm: Ich werde morgen selbst nach Bonnal kommen; ich will einmal den Bau der Kirche in Ordnung haben. Der Untervogt aber antwortete: Gnädiger Herr, hat Euer Gnaden Schloßmaurer jetzt Zeit? Nein, erwiderte Arner; aber es ist in deinem Dorf ein Maurer Lienhard, dem ich diesen Verdienst gern gönne. Warum hast du mir ihn noch nie zu einer Arbeit empfohlen?

Der Vogt bückte sich tief, und sagte: Ich hätte den armen Maurer nicht empfehlen dürfen zu Euer Herrlichkeit Gebäuden.

Arner. Ist er ein braver Mann, Vogt, daß ich auf ihn gehen kann?

Vogt. Ja, Ihr Gnaden können sich auf ihn verlassen; er ist nur gar zu treuherzig.

Arner. Man sagt, er habe ein braves Weib; ist sie keine Schwätzerin? fragte hierauf Arner mit Nachdruck.

Nein, sagte der Vogt, sie ist wahrlich eine arbeitsame, stille Frau. Gut, sagte Arner; sei morgen um neun Uhr auf dem Kirchhof; ich werde dich daselbst antreffen.

Da ging der Vogt fort, ganz erfreut über diese Rede – denn er dachte bei sich selber: das ist eine neue Milchkuh in meinen Stall – sann schon auf Ränke, dem Maurer das Geld, das er bei diesem Bau verdienen möchte, abzulocken; und schnell eilte er heim und nach des Maurers kleiner Hütte.

Es war schon dunkel, als er mit Ungestüm anpochte.

Lienhard und Gertrud saßen bei Tische; noch stand der Rest ihres Essens vor ihnen. Lienhard aber erkannte die Stimme des neidischen Vogts, erschrak, und schob das Essen in einen Winkel. Gertrud ermunterte ihn zwar, daß er sich nicht fürchten, und daß er auf Arner vertrauen sollte; dennoch wurde er todblaß, als er dem Vogt die Türe öffnete. Dieser roch schnell wie ein gieriger Hund das verborgene Nachtessen, tat aber doch freundlich, und sagte nur lächelnd: Ihr laßt euch recht wohl sein, ihr Leute. So endlich ist's leicht, ohne das Wirtshaus zu sein; nicht wahr, Lienhard?

Dieser schlug die Augen nieder, und schwieg; aber Gertrud war kühner und sagte: Was befiehlt denn der Herr Vogt? Es ist ganz sonderbar, daß er einem so schlechten Hause näher als ans Fenster kömmt.

Hummel verbarg seinen Zorn, lächelte und sagte: Es ist wahr, ich hätte eine so gute Küche hier nicht erwartet; sonst hätte ich vielleicht mehr zugesprochen.

Das erbitterte Gertrud. Vogt, antwortete sie ihm, du riechst unser Nachtessen, und mißgönnst es uns. Du solltest dich schämen, einem armen Mann ein Nachtessen, das er liebt, und vielleicht im Jahr nicht dreimal hat, zu verbittern.

Es ist nicht so bös gemeint, antwortete der Vogt, immer noch lächelnd. Eine Weile darauf aber setzte er etwas ernsthafter hinzu: Du bist gar zu trotzig, Gertrud! Das steht armen Leuten nicht wohl an; du solltest wohl denken, ihr ginget mich vielleicht auch etwas an. Doch ich will jetzt nicht hievon anfangen. Ich bin deinem Manne immer gut, und wenn ich ihm dienen kann, so tue ich es. Davon kann ich Proben geben.

Gertrud. Vogt, mein Mann wird alle Tage in deinem Wirtshause zum Spiel und zum Trunke verführt, und dann muß ich daheim mit meinen Kindern alles mögliche Elend erdulden. Das ist der Dienst, den wir von dir zu rühmen haben.

Hummel. Du tust mir unrecht, Gertrud. Es ist wahr, dein Mann ist etwas liederlich, ich habe es ihm auch schon gesagt; aber in meinem Wirtshause muß ich in Gottes Namen einem jeden, der es will, Essen und Trinken geben. Das tut ja jedermann.

Gertrud. Ja, aber nicht jedermann droht einem unglücklichen, armen Mann mit den Rechten, wenn er nicht alle Jahre seine Schuld wieder doppelt groß macht.

Nun konnte sich der Vogt nicht mehr halten. Mit Wut fuhr er den Lienhard an: Bist du so ein Gesell, Lienhard, daß du solches von mir redest? Muß ich noch in meinen Bart hinein hören, wie ihr Lumpenvolk mich alten Mann um Ehr' und guten Namen bringen wollt? Hab' ich nicht jeweilen vor Vorgesetzten mit dir gerechnet? Gut, daß deine Zettel fein alle noch bei mir und in meinen Händen sind. Willst du mir etwa gar meine Anforderung leugnen, Lienhard?

Es ist ganz nicht die Rede hievon, sagte Lienhard: Gertrud sucht nur, daß ich ferner nicht neue Schulden mache.

Der Vogt besann sich schon wieder, milderte den Ton, und sagte: Das ist endlich nicht so gar übel. Doch bist du der Mann; sie wird dich nicht in ein Bockshorn hineinschieben wollen.

Gertrud. Nichts weniger, Vogt. Ich möchte ihn gern aus dem Bockshorn, darin er steckt, herausbringen; und das ist dein Buch, Vogt, und seine schönen Zetteln.

Hummel. Er hat mich nur zu bezahlen, so ist er augenblicklich aus diesem Bockshorn, wie es du heißest.

Gertrud. Das wird er wohl tun können, wenn er nichts Neues mehr macht.

Hummel. Du bist stolz, Gertrud; es wird sich zeigen. Gelt, Gertrud, du willst lieber mit deinem Mann daheim allein bröselen, Sich gütlich tun. als ihm ein Glas Wein bei mir gönnen?

Gertrud. Tu bist niederträchtig, Vogt; aber deine Rede tut mir nicht weh.

Hummel konnte diese Sprache nicht länger aushalten. Er empfand, daß etwas vorgefallen sein müsse, das dieses Weib so kühn mache;, darum durfte er nicht seinen Mut kühlen, und nahm Abschied.

Hast du sonst was zu befehlen? sagte Gertrud.

Nichts, wenn es so gemeint ist, antwortete Hummel.

Wie gemeint? erwiderte Gertrud lächelnd, und sah ihm steif ins Gesicht. Das verwirrte den Vogt noch mehr, daß er sich nicht zu gebärden wußte. Er ging jetzt, und brummte bei sich selbst die Treppe hinunter, was doch das sein möchte.

Dem Lienhard war zwar nicht wohl bei der Sache, aber dem Vogt noch viel weniger.

4. Er ist bei seinesgleichen, und da ist's, wo man Schelmen kennen lernt.

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Es war jetzt fast Mitternacht und doch war er kaum heim, so sandte er noch zu zweien von Lienhards Nachbarn, daß sie des Augenblicks zu ihm kämen. Sie waren schon im Bette, als er nach ihnen schickte; aber doch säumten sie sich nicht. Sie standen auf, und gingen in der finstern Nacht zu ihm hin.

Und er fragte sie über alles, was Lienhard und Gertrud seit einigen Tagen getan hätten. Da sie ihm aber nicht gleich etwas sagen konnten, das ihm Licht gab, stieß er seine Wut gegen sie aus. Ihr Hunde! was man von euch will, ist immer nichts mit euch ausgerichtet. Wofür muß ich immer euer Narr sein? Wenn ihr Holz frevelt, und ganze Fuder raubet, so muß ich nichts wissen; wenn ihr in den Schloßtriften werdet, und alle Zäune wegtraget, so muß ich schweigen. Du, Buller, mehr als ein Dritteil von deiner Waisenrechnung war falsch, und ich schwieg. Meinst du, das bißchen verschimmelt Heu stelle mich zufrieden? Es ist noch nicht verjährt. Und du, Krüel, deine halbe Matte gehört deines Bruders Kindern. Du alter Dieb, was habe ich von dir, daß ich dich nicht dem Henker überlasse, dem du gehörst?

Dieses Gerede machte den Nachbarn bange. Was können wir tun, was können wir machen, Herr Untervogt? Weder Tag noch Nacht ist uns zu viel, zu tun, was du uns heißest.

Ihr Hunde! ihr könnet nichts! ihr wisset nichts! Ich bin außer mir vor Wut! Ich muß wissen, was des Maurers Gesindel diese Woche gehabt hat, was hinter diesem Pochen steckt. So wütete er.

Indessen besann sich Krüel. Halt, Vogt, ich glaub', ich könne dienen; erst fällt's mir ein. Gertrud war heute bis Mittag über Feld, und am Abend hat ihr Liseli beim Brunnen den Schloßherrn sehr gerühmt. Gewiß war sie im Schloß. Am Abend vorher war ein Geheul in ihrer Stube, aber niemand weiß warum; heute sind sie alle ganz besonders fröhlich.

Der Vogt war nun überzeugt, daß Gertrud im Schloß gewesen sei. Zorn und Unruhe wüteten nun noch gewaltiger in seiner Seele. Er stieß greuliche Flüche aus, schimpfte mit abscheulichen Worten auf Arner, der alles Bettelgesindel anhöre, und Lienhard und Gertrud schwur er, seine Rache empfinden zu lassen. Doch müßt ihr schweigen, Nachbarn; ich will mit dem Gesindel freundlich tun, bis es reif ist. Forschet fleißig nach, was sie tun, und bringt mir Nachricht; ich will euer Mann sein, wo es nötig ist. Da nahm er noch Buller beiseite und sagte: Weißt du nichts von den gestohlenen Blumengeschirren? Man sah dich vorgestern über den Grenzen mit einem geladenen Esel; was hattest du zu führen? Buller erschrak: Ich ... ich ... hatte ... Nu, nu, sprach der Vogt, sei mir treu; ich bin dir Mann, wo es die Not erheischt.

Da gingen die Nachbarn fort. Der Morgen aber war schon nahe, und Hummel wälzte sich noch eine Stunde auf seinem Lager, staunte, sann auf Rache, knirschte oft im wilden Schlummer mit den Zähnen und stampfte mit seinen Füßen, bis der helle Tag ihn aus dem Bette trieb. Er beschloß jetzt, noch einmal Lienhard zu sehen, sich zu überwinden und ihm zu sagen, daß er ihn Arnern zum Kirchbau empfohlen habe. Er raffte alle seine Kräfte zum Heucheln zusammen, und ging zu ihm hin.

Gertrud und Lienhard hatten diese Nacht sanfter geruht, als es seit langem nicht geschehen war, und sie beteten am heitern Morgen um den Segen dieses Tages. Sie hofften auf die nahe Hilfe von Vater Arner, und diese Hoffnung breitete Seelenruhe und ungewohnte wonnevolle Heiterkeit über sie aus.

So fand sie Hummel. Er sah es, und es ging dem Satan ans Herz, daß sein Zorn noch mehr entbrannte; aber er war seiner selbst mächtig, wünschte ihnen freundlich einen guten Morgen, und sagte: Lienhard, wir waren gestern unfreundlich gegeneinander; das muß nicht so sein. Ich habe dir etwas Gutes zu sagen. Ich kam eben vom gnädigen Herrn; er redete vom Kirchbau, und fragte auch dir nach. Ich sagte, daß du den Bau wohl machen könntest; und ich denke, er wird ihn dir geben. Sieh', so kann man einander dienen; man muß sich nie so leicht aufbringen lassen.

Lienhard. Er soll ja den Bau dem Schloßmaurer verdungen haben; das hast du längst an der Gemeinde gesagt.

Hummel. Ich habe es geglaubt, aber es ist dem nicht so. Der Schloßmaurer hat nur ein Kostenverzeichnis gemacht; und du kannst leicht denken, er habe sich selber nicht vergessen. Wenn du ihn nach diesem Ueberschlag erhältst, so verdienst du Geld wie Laub. Lienert, da siehst du jetzt, ob ich es gut mit dir meine.

Der Maurer war von der Hoffnung des Baues übernommen, und dankte ihm herzlich; aber Gertrud sah, wie der Vogt vom erstickten Zorn blaß war, und wie hinter seinem Lächeln verbissener Grimm verborgen lag, und freute sich gar nicht. Indessen ging der Vogt weg, und im Gehen sagte er noch: Innert einer Stunde wird Arner kommen; und Lienhards Lise, die an der Seite ihres Vaters stand, sagte zum Vogt: Wir wissen's schon seit gestern. Hummel erschrak zwar ob diesem Worte, aber er tat doch nicht, als ob er es hörte; und Gertrud, die wohl sah, daß der Vogt dem Geld, so beim Kirchbau zu verdienen wäre, auflauerte, war hierüber sehr unruhig.

5. Er findet seinen Meister.

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Indessen kam Arner auf den Kirchhof, und viel Volk aus dem Dorfe sammelte sich um ihn her, den guten Herrn zu sehen.

Seid ihr so müßig, oder ist's Feiertag, daß ihr alle so Zeit habt, hier herumzuschwärmen? sagte der Vogt zu einigen, die ihm zu nahe standen; denn er verhütete immer, daß niemand vernehme, was er für Befehle erhielte. Aber Arner bemerkte es, und sagte laut: Vogt, ich habe es gerne, daß meine Kinder auf dem Kirchhof bleiben, und selbst hören, wie ich es mit dem Bau haben will. Warum jagst du sie fort? Tief bis an die Erde krümmte sich Hummel, und rief den Nachbarn alsobald laut: Kommt doch wieder zurück; Ihr Gnaden mag euch wohl dulden.

Arner. Hast du die Schätzung vom Kirchbau gesehen?

Vogt. Ja, gnädiger Herr.

Arner. Glaubst du, Lienhard könne den Bau um diesen Preis gut und dauerhaft machen?

Ja, gnädiger Herr, antwortete der Vogt laut; und sehr leise setzte er hinzu: Ich denke, da er im Dorfe wohnt, könnte er es vielleicht noch etwas wohlfeiler übernehmen.

Arner aber antwortete ganz laut: So viel ich dem Schloßmaurer hätte geben müssen, so viel gebe ich auch diesem. Laß ihn rufen, und sorge, daß alles, was aus dem Wald und aus den Magazinen dem Schloßmaurer zukommen sollte, auch diesem ausgeliefert werde.

Lienhard war eben wenige Minuten, ehe Arner ihn rufen ließ, ins obere Dorf gegangen, und Gertrud entschloß sich alsobald, mit dem Boten selbst auf den Kirchhof zu gehen und Arnern ihre Sorgen zu entdecken.

Als aber der Vogt Gertrud und nicht Lienhard mit dem Boten zurückkommen sah, wurde er todblaß.

Arner bemerkte es, und fragte ihn: Wo fehlt's, Herr Untervogt?

Vogt. Nichts, gnädiger Herr, gar nichts; doch ich habe diese Nacht nicht wohl geschlafen.

Man sah dir fast so was an, sagte Arner, und sah ihm steif in die roten Augen, kehrte sich dann zu Gertrud, grüßte sie freundlich, und sagte: Ist dein Mann nicht da? Doch es ist gleichviel; du mußt ihm nur sagen, daß er zu mir komme. Ich will ihm diesen Kirchbau anvertrauen.

Gertrud stand eine Weile sprachlos da, und durfte vor so vielem Volke fast nicht reden.

Arner. Warum redest du nicht, Gertrud? Ich will deinem Manne den Bau so geben, wie ihn der Schloßmaurer würde übernommen haben. Das sollte dich freuen, Gertrud.

Gertrud hatte sich wieder erholt, und sagte jetzt: Gnädiger Herr, die Kirche ist so nahe am Wirtshause!

Alles Volk fing an zu lachen, und da die meisten ihr Lachen vor dem Vogt verbergen wollten, kehrten sie sich von ihm weg, gerade gegen Arner. Der Vogt aber, der wohl sah, daß dieser alles bemerkt hatte, stand jetzt entrüstet auf, stellte sich gegen Gertrud, und sprach: Was hast du gegen mein Wirtshaus?

Schnell aber unterbrach Arner den Vogt und sagte: Geht diese Rede dich an, Untervogt, daß du darein redest? Dann wandte er sich wieder zu Gertrud, und sagte: Was ist das, warum steht dir die Kirche zu nahe am Wirtshaus?

Gertrud. Gnädiger Herr, mein Mann ist beim Wein leicht zu verführen, und wenn er täglich so nahe am Wirtshause arbeiten muß – ach Gott, ach Gott! – ich fürchte, er halte die Versuchung nicht aus.

Arner. Kann er denn das Wirtshaus nicht meiden, wenn es ihm so gefährlich ist?

Gertrud. Gnädiger Herr, bei der heißen Arbeit dürstet man oft; und wenn dann immer Saufgesellschaft vor seinen Augen auf jede Art mit Freundlichkeit und mit Spotten, mit Weinkäufen und mit Wetten ihn locken wird – ach Gott, ach Gott! – wie wird er es aushalten können! Und wenn er dann nur ein wenig wieder Neues schuldig ist, so ist er wieder angebunden. Gnädiger Herr, wenn Sie doch wüßten, wie ein einziger Abend in solchen Häusern arme Leute ins Joch und in Schlingen bringen kann, wo es fast unmöglich ist, sich wieder herauszuwickeln!

Arner. Ich weiß es, Gertrud, und ich bin entrüstet über das, was du mir gestern sagtest. Da vor deinen Augen und vor allem Volke will ich dir zeigen, daß ich arme Leute nicht will drücken und drängen lassen. Sogleich wandte er sich gegen den Vogt, und sagte ihm mit einer Stimme voll Ernst und mit einem Blicke, der durch Mark und Beine drang: Vogt, ist's wahr, daß die armen Leute in deinem Hause gedrängt, verführt und vervorteilt werden?

Betäubt und blaß wie der Tod antwortete der Vogt: In meinem Leben, gnädiger Herr, ist mir nie so etwas begegnet, und so lange ich lebe, und Vogt bin ... sagte er, und wischte den Schweiß von der Stirne, hustet, räuspert, fängt wieder an – es ist erschrecklich!

Arner. Du bist unruhig, Vogt; die Frage ist einfältig. Ist es wahr, daß du arme Leute drängest, in Verwirrungen bringest, und ihnen in deinem Wirtshause Fallstricke legest, die ihre Haushaltungen unglücklich machen?

Vogt. Nein, gewiß nicht, gnädiger Herr. Das ist der Lohn, wenn man Lumpenleuten dient. Ich hätte es vorher denken sollen; man hat allemal einen solchen Dank anstatt der Bezahlung.

Arner. Mache dir wegen der Bezahlung keine Sorge; es ist nur die Frage, ob dieses Weib lüge.

Vogt. Ja, gewiß, gnädiger Herr; ich will es tausendfach beweisen.

Arner. Es ist genug am Einfachen; aber nimm dich in acht, Vogt! Du sagtest gestern, Gertrud sei eine brave, stille, arbeitsame Frau und gar keine Schwätzerin.

Ich weiß nicht, ich ... ich ... besinne ... Sie haben mich ... ich habe sie ... ich habe sie ... dafür angesehen, sagte der keichende Vogt.

Arner. Du bist auf eine Art unruhig, Vogt, daß man jetzt nicht mit dir reden kann; es ist am besten, ich erkundige mich gerade bei diesen dastehenden Nachbarn. Und sogleich wandte er sich zu zwei alten Männern, die still und aufmerksam und ernsthaft dastanden, und sagte ihnen: Ist's wahr, liebe Nachbarn, werden die Leute in euerm Wirtshause so zum Bösen verführt und gedrückt? Die Männer sahen einander an, und durften nicht reden; aber Arner ermunterte sie liebreich: Fürchtet euch nicht; sagt mir geradezu die reine Wahrheit! Es ist mehr als zu wahr, gnädiger Herr. Aber was wollen wir arme Leute gegen den Vogt klagen? sagte endlich der ältere, doch so leise, daß es nur Arner verstehen konnte. Es ist genug, alter Mann, sagte Arner, und wandte sich dann wieder zum Vogt: Ich bin eigentlich jetzt nicht da, um diese Klage zu untersuchen; aber gewiß ist es, daß ich meine Armen vor aller Bedrückung will sicher haben; und schon längst dachte ich, daß kein Vogt Wirt sein sollte. Ich will aber das bis Montag verschieben. Gertrud, sage deinem Mann, daß er zu mir komme, und sei du wegen der Wirtshausgefahren seinethalben jetzt nur ruhig. Da nahm Arner noch einige Geschäfte vor, und als er sie vollendet hatte, ging er noch in den nahen Wald; und es war spät, da er heimfuhr. Auch der Vogt, der ihm in den Wald folgen mußte, kam erst des Nachts wieder heim in sein Dorf.

Als dieser jetzt seinem Hause nahe war, und kein Licht in seiner Stube sah, auch keine Menschenstimme darin hörte, ahnete er Böses; denn sonst war alle Abende das Haus voll, alle Fenster von den Lichtern, die auf allen Tischen standen, erheitert, und das Gelärm der Saufenden tönte in der Stille der Nacht, daß man es zuunterst an der Gasse noch hörte, obgleich die Gasse lang ist, und des Vogts Haus zu oberst daran steht. Ueber dieser ungewöhnlichen Stille war der Vogt sehr erschrocken. Er öffnete mit wildem Ungestüm die Türe, und sagte: Was ist das? was ist das, daß kein Mensch hier ist? Sein Weib heulte in einem Winkel. O Mann, bist du wieder da? Mein Gott, was für ein Unglück ist begegnet? Es ist ein Jubilieren im Dorf von deinen Feinden, und kein Mensch wagt es mehr, auch nur ein Glas Wein bei uns zu trinken. Alles sagt, du seiest aus dem Wald nach Arnburg geführt worden.

Wie ein gefangenes wildes Schwein in seinen Stricken schnaubet, seinen Rachen öffnet, seine Augen rollt, und Wut grunzet, so wütete jetzt Hummel, stampfte und tobte, sann auf Rache gegen Arner, und raste über den Edeln. Dann redete er mit sich selbst: So kömmt das Land um seine Rechte. Er will mir das Wirtsrecht rauben, und den Schild in der Herrschaft allein aushängen. Bei Mannsgedenken haben alle Vögte gewirtet; alle Händel gingen durch unsere Hände. Dieser läuft jetzt allenthalben selbst nach, und frägelt jeden Floh aus, wie ein Dorfschulmeister; daher trotzt jetzt jeder Bube einem Gerichtsmann, und sagt, daß er selbst mit Arner reden könne. So kömmt das Gericht um alles Ansehen, und wir sitzen und schweigen wie andere Schurken, während er so an uns alle alten Landesrechte kränkt und beugt. – So verdrehte der alte Schelm die guten und weisen Taten des edeln Herrn bei sich selbst, schnaubte, und sann auf Rache, bis er entschlief.

6. Wahrhafte Bauerngespräche.

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Am Morgen aber war er frühe auf und sang und pfiff unter dem Fenster, auf daß man glaube, er sei wegen dem, so gestern vorgefallen war, ganz unbesorgt. Aber Fritz, sein Nachbar, rief ihm über die Gasse: Hast du schon so frühe Gäste, daß es so lustig hergeht? und lächelte bei sich selbst.

Sie werden schon kommen, Fritz. Hopsasa und Heißasa! Zwetschgen sind nicht Feigen! sagte der Vogt, streckte das Brenzglas Branntweinglas. zum Fenster hinaus, und rief: Willst eins Bescheid tun, Fritz? Es ist mir noch zu früh, antwortete Fritz; ich will warten, bis mehr Gesellschaft da ist. – Du bist immer der alte Schalk, sagte der Vogt; aber glaub' es, der gestrige Spaß wird nicht so übel ausschlagen. Es fliegt kein Vögelein so hoch, es läßt sich wieder nieder.

Ich weiß nicht, antwortete Fritz; der Vogel, den ich meine, hat sich lange nicht herunter gelassen. Aber wir reden vielleicht nicht vom gleichen Vogel. Willst mithalten, Vogt? man ruft zur Morgensuppe; und hiemit schob Fritz das Fenster zu.

Das ist kurz abgebunden, murrte der Vogt bei sich selbst, und schüttelte den Kopf, daß Haar und Backen zitterten. Ich werde, denk' ich, des Teufels Arbeit haben, bis das gestrige Henkerszeug den Leuten allen wieder aus dem Kopf sein wird. So sagte er zu sich selber, schenkte sich ein, trank, sagte dann wieder: Mut gefaßt! Kommt Zeit, kommt Rat! Heute ist es Samstag; die Kälber lassen sich scheren. Ich gehe ins Barthaus; da gibt sich um ein Glas Wein eins nach dem andern. Die Bauern glauben mir immer eher Zehen als dem Pfarrer ein Halbes. So sagte der Vogt zu sich selber und dann zur Frau: Füll' mir den Saublatter Schweinsblase. mit Tabak, aber nicht von meinem, nur vom Stinker; er – ist gut für die Bursche. Und wenn des Scherers Bub Wein holt, so gib ihm vom dreimal geschwefelten, und tu' in jede Maß ein halb Glas Brenz. Er ging nun fort; aber auf der Gasse, noch nahe beim Hause, besann er sich wieder, kehrte zurück, und sagte der Frau: Es könnten Schelme mitsaufen, ich muß mich in acht nehmen; schick mir vom gelbgesottenen Wasser, wenn ich zu La Cote Vin de la Côte. fordern lasse, und bring' das selber. Drauf ging er wieder fort; aber ehe er noch im Barthaus war, unter der Linde beim Schulhaus, trifft er Nickel Spitz und Joggli Rubel an.

Wo hinaus so im Sonnabendhabit, Herr Untervogt? fragte Nickel Spitz.

Vogt. Ich muß den Bart herunter haben.

Nickel. Das ist sonderbar, daß du am Samstag Morgen schon Zeit hast.

Vogt. Es ist wahr; es ist nicht so das Jahr durch.

Nickel. Nein, einmal seit langem kamst du immer Sonntags zwischen der Morgenpredigt zum Scherer.

Vogt. Ja, ein paarmal.

Nickel. Ja, ein paarmal, die letzten! Seit der Pfarrer dir deinen Hund aus der Kirche jagen ließ, kamst du ihm nicht mehr ins Gehege.

Vogt. Du bist ein Narr, Nickel, daß du so was reden magst. Man muß essen und vergessen; die Hundsjagd ist mir längst aus dem Kopf.

Nickel. Ich möchte mich nicht darauf verlassen, wenn ich Pfarrer wäre.

Vogt. Du bist nicht klug, Nickel; warum das nicht? Aber kommt in die Stube; es gibt wohl etwa einen Weinkauf oder sonst kurze Zeit.

Nickel. Du würdest dem Scherer aufwarten, wenn er in seinem Haus einen Weinkauf trinken ließ. Der Vogt, als Wirt, duldete nicht, daß in einem andern Hause als in dem seinen bei irgend einem Anlaß Wein ausgeschenkt wurde.

Vogt. Ich bin nicht halb so eigennützig; man will mir ja das Wirtschaftsrecht ganz nehmen. Aber Nickel, wir sind noch nicht da. Der, den ich meine, hat noch aufs wenigste sechs Wochen und drei Tage Arbeit, eh' er es bekömmt.

Nickel. Ich glaub' es selbst; doch ist's immer nicht die beste Ordnung für dich, daß der junge Herr seines Großvaters Glauben changiert hat.

Vogt. Ja, er hat einmal nicht völlig des Großvaters Glauben.

Nickel. Ich traue fast, er sei in keinem Punkt und in keinem von allen zwölf Artikeln mit dem Alten des gleichen Glaubens.

Vogt. Es kann sein; aber der Alte war mir in seinem Glauben ein anderer Mann.

Nickel. Ich denk' es wohl. Der erste Artikel seines Glaubens hieß: Ich glaube an dich, meinen Vogt.

Vogt. Das ist lustig; aber wie hieß denn der andere?

Nickel. Das weiß ich gerade jetzt nicht. Ich denke, er hieß: Ich glaube außer dir, meinem Vogt, keinem Menschen ein Wort.

Vogt. Du solltest Pfarrer werden, Nickel; du würdest den Katechismus nicht bloß erklären, du würdest noch einen aufsetzen.

Nickel. Das würde man mir wohl nicht zulassen. Tät' ich's, ich würde ihn so deutsch und so klar machen, daß ihn die Kinder ohne den Pfarrer verständen, und dann würde er ja natürlich nichts nütze sein.

Vogt. Wir wollen beim alten bleiben, Nickel. Es ist mir mit dem Katechismus wie mit etwas anderm; es kömmt nie etwas Besseres hintennach.

Nickel. Das ist so ein Sprichwort, das manchmal wahr ist und manchmal nicht; für dich, scheint es, trifft es diesmal ein mit dem neuen Junker.

Vogt. Es wird erst für andere nachkommen, wenn ihr ordentlich wartet. Für mich fürchte ich mich nicht so übel vor diesem neuen Herrn; es findet jeder seinen Meister.

Nickel. Das ist wahr; doch ist deine alte Zeit mit dem vorigen Sommer Man begrub im vorigen Sommer Arners Großvater. Sein Vater war viele Jahre vorher in einem Treffen in preußischen Diensten gestorben. unter dem Boden.

Vogt. Nickel, ich habe sie doch einmal gehabt; suche sie ein anderer jetzt auch.

Nickel. Das ist wahr, du hast sie gehabt; und sie war recht gut; aber wie hätte es fehlen können, da der Schreiber, der Weibel und der Vikar dir schuldig waren.

Vogt. Man redete mir das nach; aber es war deswegen nicht wahr.

Nickel. Wie magst du jetzt das sagen? Du hattest ja mit ein Paaren öffentlich Händel, daß das Geld nicht wieder zurückkommen wollte.

Vogt. Du Narr, du weißt auch gar noch alles!

Nickel. Noch viel mehr als das weiß ich noch. Ich weiß noch, wie du mit des Rudis Vater getrölt Mutwillig oder unredlich prozessiert. hast, und wie ich dich da neben dem Hundsstall unter den Strohwellen auf dem Bauche liegend vor des Rudis Fenstern antraf, als sein Anwalt eben bei ihm war. Bis um zwei Uhr am Morgen horchtest du auf deinem Bauche, was in der Stube geredet wurde. Ich hatte eben die Nachtwache, und eine ganze Woche war mir der Wein frei bei dir, damit ich schweige.

Vogt. Du bist ein Ketzer, daß du das sagst! Es ist kein Wort wahr, und du würdest schön stehen, wenn du es beweisen müßtest.

Nickel. Vom Beweisen ist jetzt nicht die Rede; aber ob es wahr sei, weißt du wohl.

Vogt. Es ist gut, daß du es einsteckst. Zurücknimmst.

Nickel. Der Teufel gab dir das in den Sinn, unter dem Stroh in tiefer Nacht zu horchen. Du hörtest alle Worte und hattest da gut, mit dem Schreiber deine eigene Aussage zu verdrehen.

Vogt. Was du auch redest!

Nickel. Was ich auch rede? Hätte der Schreiber nicht vor der Audienz Erscheinung vor dem Richter. deine Aussage verändert, so hätte der Rudi seine Matte noch, und der Wüst und der Keibacher hätten den schönen Eid nicht tun müssen.

Vogt. Ja, du verstehst den Handel, wie der Schulmeister Hebräisch.

Nickel. Wenn ich ihn nicht verstände, ich hätte ihn von dir gelernt. Mehr als zwanzigmal lachtest du mir ob deinem gehorsamen Diener, dem Herrn Schreiber.

Vogt. Ja, das wohl; aber das, was du sagst, tat er doch nicht. Sonst ist es wahr, es war ein schlauer Teufel. Tröste Gott seine Seele! Es wird nun zehn Jahre auf Michaelis, seit er unter dem Boden ist.

Nickel. Seit er hinabgefahren ist zur Hölle, wolltest du sagen.

Vogt. Das ist nicht recht; von den Toten unter dem Boden muß man nichts Böses sagen.

Nickel. Du hast recht; sonst würde ich erzählen, wie er bei Nöppis Kindern geschrieben hat.

Vogt. Er wird dir auf dem Todbette gebeichtet haben, daß du alles so wohl weißt.

Nickel. Ich weiß es einmal.

Vogt. Das beste ist, daß ich den Handel gewonnen habe. Wenn du wüßtest, daß ich denselben verloren hätte, dann wäre es mir leid.

Nickel. Nein, ich weiß wohl, daß du den Handel gewonnen hast, aber auch wie.

Vogt. Vielleicht und vielleicht nicht.

Nickel. Behüte Gott alle Menschen, die arm sind, vor der Feder.

Vogt. Du hast recht; es sollten nur Ehrenleute und wohlhabende Männer schreiben dürfen vor Audienz. Vor der richterlichen Behörde. Das wäre gewiß gut, und es wäre noch mehr gut, Nickel. Aber was machen? Man muß eben mit allem zufrieden sein, wie es ist.

Nickel. Vogt, dein weiser Spruch da mahnt mich an eine Fabel, die ich einst von einem Pilger aus dem Elsaß hörte. Dieser erzählte vor einem ganzen Tisch voll Leute, es habe ein Einsiedler in einem Fabelbuch die ganze Welt abgemalt, und er könne das Buch fast auswendig. Wir baten ihn, er möchte uns auch eine von diesen Fabeln erzählen, und da erzählte er uns eben die, an welche du mich jetzt mahnst.

Vogt. Nun, wie heißt sie denn, du Plauderer?

Nickel. Sie heißt – ich kann sie zum Glücke noch –

»Es klagte und jammerte das Schaf, daß der Wolf, der Fuchs, der Hund und der Metzger es so schrecklich quälten. Ein Fuchs, der eben vor dem Stalle stand, hörte die Klage, und sagte zum Schaf: Man muß immer zufrieden sein mit der weisen Ordnung, die in der Welt ist; wenn es anders wäre, so würde es gewiß noch schlimmer sein.«

»Das läßt sich hören,« antwortete das Schaf, »wenn der Stall zu ist; aber wenn er offen wäre, so würde es dann keine Wahrheit für mich sein.«

Daraus zog er die Lehre »es sei freilich gut, daß Wölfe, Füchse und Raubtiere da seien; aber es sei auch gut, daß man die Schafställe ordentlich zumache, und daß die guten, schwachen Tiere gegen die Raubtiere gute Hirten und Schutzhunde hätten.«

»Behüte mir Gott meine Hütte!« setzte der Pilger hinzu. Es gibt eben allenthalben viele Raubtiere und wenige gute Hirten. Heiliger Gott! du weißt, warum es so ist; wir müssen schweigen.« Seine Kameraden wiederholten: »Ja wir müssen wohl schweigen ...« und beteten dann: »Heilige Mutter Gottes! bitte für uns jetzt und in der Stunde unseres Absterbens, Amen!«

Es rührte uns alle, als die Pilger so beteten, sonst weiß man wohl, das: »Heilige Mutter Gottes, bitte für uns!« rührt uns Reformierte nicht viel; aber jetzt rührte es uns innig.

Vogt. Ich glaub's wohl.

Nickel. Es nimmt mich wunder, daß du's glaubst.