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Georg Kramer erkennt nicht mehr den Sinn seines Lebens. Der einst lebensfrohe junge Mann ist zerfressen von Sehnsüchten, die ihn immer mehr in den Abgrund ziehen. Eine davon ist die Einsamkeiit. Die Todessehnsucht des verheirateten Mannes wird jeden Tag stärker. Pläne für einen Suizid reifen von Tag zu Tag heran und festigen sich. Er ist bereit zu sterben.
Eine Auskopplung aus der Kurzgeschichten-Anthologie "Ich will nicht sterben".
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Veröffentlichungsjahr: 2020
"Man muss die Menschen bei ihrer Geburt beweinen, nicht bei ihrem Tode."
- Charles de Montesquieu, Persianische Briefe
Mit ganzer Kraft trat Georg Kramer in die Pedale. Über die Kopfhörer seines MP3-Players drangen harte Metal Töne in seine Ohren. Die Autos, die an ihm auf der Landstraße vorbeirasten, hörte er nicht. Der kalte Wind presste sich in sein Gesicht. Plötzlich erfasste ihn tiefe Traurigkeit, als er an den Traum der letzten Nacht dachte. Er hatte von seiner Frau Franziska geträumt. In diesem Traum verbrachten sie eine schöne Zeit zusammen. Sie lächelte und in ihrer Stimme lag dieser sanftmütige Ton, den er schon so lange vermisste. Sie sagte ihm, wie sehr sie ihn liebe, und dass sie froh war, ihn als Mann an ihrer Seite zu haben. Georg weinte, als er diese Worte hörte. Es machte ihn unendlich glücklich. Schließlich küsste sie ihn und ihre Zungen tauschten Zärtlichkeiten aus, an die sich Georg schon gar nicht mehr erinnern konnte. Als er vom Traum auf der Wohnzimmercouch erwachte, hatte er feuchte Augen. Als er registrierte, dass es nur ein Traum gewesen war, durchdrang ihn urplötzlich das Gefühl der Einsamkeit. Er wusste, dass das, was er sich wünschte und was ihn glücklich machen würde, nur ein Traum und unerreichbar war. Georg hatte keine Erklärung dafür, wie es soweit kommen konnte. Es schien, als breite sich ein Gefühl der Einsamkeit in seinem ganzen Körper aus. Seine Beine hatten plötzlich keine Kraft mehr und es strengte ihn sehr an, sein Fahrrad auf Kurs zu halten. Wieder einmal wurde ihm bewusst, wie einsam war. Verheiratet mit einer attraktiven und klugen Frau, aber einsam. Sie war eine anerkannte Biomolekularchemikerin und er nur ein Phantast. Ein Träumer, der sich mit Kurzgeschichten in Tageszeitungen über Wasser hielt. Sie hatte ein langjähriges Studium hinter sich und er war froh, wenn der Unterricht vorbei war. Ihre Welt war klar strukturiert und alles erklärte sich in biochemischen Prozessen und er war ein Chaot mit der Auffassung, dass da noch so viel mehr war. Georg hatte die Vermutung, dass sie das, was sie am Anfang ihrer Beziehung als anders und eben deswegen spannend empfunden hatte, nun abstoßend fand. Wie sehr sehnte er sich nach dem Gefühl, wichtig zu sein. Jemandem etwas zu bedeuten. Er wünschte sich so sehr, dass seine Frau ihm das sagen würde, was sie im Traum der letzten Nacht von sich gegeben hatte.