Stone - Alexander Kühl - E-Book

Stone E-Book

Alexander Kühl

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Beschreibung

Ausgerechnet im Finale der deutschen Meisterschaft verliert Robert Stein seinen ersten Box-Kampf. Dabei zieht er sich eine schwere Kopfverletzung zu, die das Aus seiner Karriere bedeutet. Durch Zufall erfährt er von einem Auswanderer, der in Nordamerika Schaukämpfe veranstaltet und damit jede Menge Geld verdient. Stein nimmt den Namen Rob STONE an und geht einen Deal ein, der sein Leben für immer verändert. Während einem dieser Kämpfe wird Stone von der Organisation »Vanessa« rekrutiert, die vermissten Kinder aufspürt und ehemalige Kampfsportler zu erbarmungslosen Söldnern ausbildet. Stone soll eine dieser kaltblütigen Kampfmaschinen werden. Gerechtigkeit gibt es nur in der Hölle.

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Seitenzahl: 229

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch:

Ausgerechnet im Finale der deutschen Meisterschaft verliert Robert Stein seinen ersten Boxkampf. Dabei zieht er sich eine schwere Kopfverletzung zu, die das Aus seiner Karriere bedeutet. Durch Zufall erfährt er von einem Auswanderer, der in Nordamerika Schaukämpfe veranstaltet und damit jede Menge Geld verdient.

Stein nimmt den Namen Rob STONE an und geht einen Deal ein, der sein Leben für immer verändert. Nach einem seiner Kämpfe wird Stone von der Organisation Vanessa rekrutiert, die vermisste Kinder aufspürt und ehemalige Kampfsportler zu erbarmungslosen Söldnern ausbildet. Stone soll eine dieser kaltblütigen Kampfmaschinen werden.

Gerechtigkeit gibt es nur in der Hölle …

Über den Autor:

Alexander Kühl wurde am 4. Mai 1973 in Berlin geboren. Heute lebt er in Thüringen gemeinsam mit seiner Frau und zwei Kindern. Bereits als kleiner Junge entwickelte er apokalyptische Weltuntergangsgeschichten mit denen er nicht nur seine Eltern schockte. Ein denkwürdiger Strafaufsatz mit dem Titel »Eine Banane ist ein wundervolles Wurfgeschoss« motivierte den damaligen Schüler dazu, weitere Geschichten niederzuschreiben und an seinem Traum festzuhalten, der Schriftstellerei. In der Jugend wurde er von dystopischen Albträumen heimgesucht, welche er zum Zwecke der Verarbeitung schließlich niederschrieb. Seinen Debütroman „Runaways- Die Gesetzlosen“ veröffentlichte er 2017 allerdings im Hardboiled Genre. Dieser brachte ihm nicht nur den Titel des "Quentin Tarantino der Autoren" ein, sondern katapultierte ihn auch auf die Amazon Bestseller Charts bis auf Platz vier. Es folgten Science-Fiction Geschichten und diverse Thriller. Der mittlerweile etablierte Autor ist zudem Gründungsmitglied und Namensgeber des STRANGE TALES CLUBs, einem Autoren-Kollektiv, welches das „Miteinander statt gegeneinander“ exzessiv auslebt. Der Leiter eines Web-Radios für Künstler ist außerdem bekannt dafür, dass er Projekte auf die Beine stellt, welche die Leser mit einbeziehen. Sein bekanntestes ist hier wohl das "Stone-Projekt", in welchem Fans Charaktere in mehreren Bänden bekommen konnten.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Gedankenversunken saß ich an meinem Schreibtisch. Ich war mit Rob Stone unterwegs und durchlebte gerade Höllenqualen. Meine Gedanken mussten sich dem Unfassbaren stellen. Sie mussten Bilder erzeugen, die man sich nicht vorstellen vermag. Ich musste da durch. Es sehen, riechen und fühlen. Und es raubte mir die Kraft, nahm mir die Hoffnung. Unweigerlich wurde ich gezwungen, mich mit einem inneren Konflikt auseinanderzusetzen. Einem Konflikt, der mir vor Augen führte, dass mit dieser Welt etwas nicht stimmt, der Emotionen weckte, die ich nicht ertragen konnte. Der aufzeigte, dass wir Menschen sind.

In diesem Zustand saß ich nun vor meinem PC und arbeitete an diesem Buch, als ich plötzlich eine Stimme hörte, die mich aus meinen Gedanken riss: »Ist alles in Ordnung?«

Es war die Stimme meines Sohnes, der mich in Grübeleien vertieft am Schreibtisch vorfand. Wahrscheinlich war gerade mein Gesichtsausdruck kein fröhlicher. Ich sagte ihm, dass alles in Ordnung sei und ich zurzeit an etwas schreiben würde, was mir alles abverlangte. Er war beruhigt. Ich nicht.

Diese Gedankenverlorenheit begleitete mich über die gesamte Schaffensdauer dieses Projektes. Es blieb nicht aus, dass ich am Abendbrottisch mental abwesend war. Aber ich musste mich auf diese Geschichte einlassen. Es war nötig, diese inneren Konflikte auszufechten und mich mit Bildern in meinem Kopf zu quälen. Ich bin mit Stone da durchgegangen und suchte mit ihm nach einer Antwort auf die Frage: Warum? Warum sind wir Menschen so, wie wir sind?

Trotz dieser intensiven negativen Emotionen habt ihr mich durch dieses Projekt getragen. Denn ihr wart an meiner Seite, an der Seite von Stone. Ihr habt dafür gesorgt, dass er nicht aufgibt. Danke.

Alexander Kühl, April 2019

Ein stechender Schmerz drang über Robert Steins Stirn. Rasend schnell breitete sich dieser in seinem Kopf aus und schlug schließlich wie ein Blitz über die Wirbelsäule in seinen Oberkörper ein. Ein grauer Schleier legte sich über seine Augen und sein Blick wurde trüb. Er gab seine Deckung auf. Die nächste Schlagkombination seines Gegners nahm er kaum noch wahr. Sie hinterließ einen Cut über seiner rechten Augenbraue. Jeder Faustschlag von Arthur Abramczik landete mit voller Wucht in seinem Gesicht. Der letzte brach ihm das Nasenbein. Blut spritzte aus seiner Nase und sprühte in den Boxring der Max-Schmeling-Halle.

Robert hörte den immer lauter werdenden Jubel der Zuschauer, der sich in ein einziges Rauschen verwandelte. Eine dunkle Leere beherrschte seine Sinne, bis sein gepeinigter Körper leblos auf den harten Boden des Rings knallte. Die Menge war außer sich. Der Ringrichter begann zu zählen.

Arthur Abramczik zappelte wie ein aufgeregtes Kind. Ungeduldig konnte er es kaum erwarten, bis endlich die Zehn heruntergezählt wurde. Schließlich war es so weit, das Finale der deutschen Meisterschaft im Schwergewicht war vorüber. Genau wie Roberts Traum vom Titel.

Robert Stein blickte auf den Tropf über seinem Krankenbett und beobachtete, wie sich dicke Tropfen auf den Weg in den Schlauch machten, der zu seiner Vene führte. Er hatte zunächst keine Orientierung. Er wusste nicht einmal, wie lange er seine Augen offenhielt, geschweige denn wie lange er bereits in diesem Bett lag. Sachte versuchte er zu rekapitulieren, was geschehen war. Er erinnerte sich, dass er zu Boden ging, und da es das Letzte war, woran er sich erinnerte, vermutete er, den Meisterschaftskampf verloren zu haben.

Stein hatte bereits frühzeitig gegen den Außenseiter Abramczik Probleme bekommen, als dieser merkte, dass etwas gegen den Favoriten möglich war. Den gesamten Kampf über hatte Robert große Mühe gehabt, die Deckung aufrechtzuhalten. Seine Fäuste schienen aus Blei zu sein. Immer wieder sackten sie nach unten und boten Abramczik gute Möglichkeiten zu intensiven Kopftreffern. Immer wieder rauschte eine heftige Linke zwischen Steins Deckung hindurch und hinterließ ihre brachiale Wirkung.

Er kniff die Augen zusammen, als wenn er erneut jeden Schlag spürte. Es war nicht die Niederlage gegen Abramczik, die ihn schmerzte. Die Niederlage am Vorabend tat ihm weh. Seine Frau Sabine hatte die Scheidung eingereicht. Vor Wochen war er auf ihren Wunsch hin aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen und hatte sich in eine Pension eingemietet. Sabine gab vor, Zeit für sich allein zu brauchen. Robert versuchte, Verständnis für Sabine aufzubringen, da sie in ihrem Job eine schwierige Phase durchmachte. Sie stand mächtig unter Druck und musste sich permanent beweisen. Er wunderte sich nicht, dass sie die Nerven verlor. Es passte sogar ganz gut in seine Vorbereitungsphase des Boxkampfes, dass sie sich aus dem Weg gingen. Am Vorabend des Kampfes hatte es Robert für eine gute Idee gehalten, seine Frau aufzusuchen. Doch ihr Gespräch eskalierte und der Abend endete damit, dass Sabine einfach kundtat, sie wolle sich scheiden lassen. Er erinnerte sich noch genau an ihre Worte und wie unfähig er gewesen war, darauf irgendetwas zu erwidern. Regungslos hatte er auf der schwarzen Ledercouch gesessen und den Boden angestarrt, während sie mit den Scheidungspapieren wedelte.

Er dachte an den Moment zurück, als er seine Scheu ablegte und diese hübsche Brünette mit den vollen Lippen an der Bar angesprochen hatte. Obwohl Robert bereits damals einen perfekt durchtrainierten Körper besaß und dadurch auf viele Frauen anziehend wirkte, tat er sich schwer. Auf viele wirkte seine Unbeholfenheit und Schüchternheit eher arrogant. Dadurch war sein Erfolg bei Frauen gleich null. Die Brünette mit der modischen Brille war ihm bereits öfter aufgefallen, doch hatte er nicht den Mut besessen, sie anzusprechen. Bis zu diesem Abend. Er sollte sein Leben verändern. Sabine schien wie für ihn gemacht zu sein. Sie himmelte den mit Muskeln bepackten ein Meter fünfundneunzig großen Hünen an. In seinen Armen konnte sie versinken, an seiner Schulter konnte sie sich anlehnen. Und er hatte endlich einen Menschen an seiner Seite, den er beschützen konnte. Immer wieder erinnerte er sich gern an diesen Abend zurück und doch verlor er ihn zunehmend aus den Augen. Seine Ziele nahmen immer mehr Platz ein.

Es herrschte eine ganze Weile beklemmende Stille, bis Sabine ihn aufforderte, zu gehen. Robert packte daraufhin einige Sachen in seinen Seesack und verließ wortlos die gemeinsame Wohnung. Hatte er seit Monaten keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken, so kehrte er in seine ehemalige Stammkneipe ein und ließ sich dort volllaufen. Dass er am nächsten Tag den schlechtesten Kampf seiner Karriere hinlegen würde, wunderte ihn später nicht.

Die Schmerzen in seinem Kopf wurden stärker. Er wollte die Tropfen der Infusion nicht länger beobachten und schloss die Augen.

Ganze sieben Tage vergingen, bis Roberts Managerin Antje Glämmer ihren Schützling das erste Mal im Krankenhaus besuchte. Robert Stein saß gemeinsam mit seinem Bettnachbar Kim Song am Tisch und aß zu Mittag. Glämmer stand am Fenster des Krankenhauszimmers und blickte nach draußen. In der Szene der Reichen und Schönen trug sie den Beinamen Miss Glamour. Sie hatte einige Stars und welche, die es werden wollten, unter ihren Fittichen. Die erfolgshungrige Geschäftsfrau hatte aber auch keine Skrupel, alles abzustoßen, was keinen Erfolg mehr versprach. Robert wusste das, hatte sich aber bis zu diesem Tage nicht damit beschäftigt. Die Option, keinen Erfolg zu haben, gab es in seinem Leben nicht. Daher passten beide von Anfang an zusammen wie die Faust auf des Gegners Auge.

Mittlerweile dämmerte es dem deutschen Vizemeister, warum Glämmer ihn besuchte. Niemand sprach. Lediglich das Klappern der Löffel in den Tellern war zu hören. Roberts Lieblingskrankenschwester Ulrike betrat das Zimmer, sie erfasste die Situation genau richtig.

»Ist jemand gestorben?«

Sie zog es vor, keinen weiteren kecken Spruch wie sonst zu bringen und das Zimmer wieder zu verlassen. Über Roberts unrasiertes Gesicht zuckte ein Schmunzeln. Er mochte den Humor von Schwester Ulrike. Dieser hatte ihm in den letzten Tagen geholfen, die Dinge anzunehmen, wie sie sind. Robert und Kim schwiegen weiter und aßen. Schließlich unterbrach Antje Glämmer die Stille und ignorierte, dass Stein nicht allein im Zimmer war.

»Diese Meisterschaft war fest eingeplant. Abramczik hätte dich niemals schlagen können, aber du musstest dir ja die Kante geben wegen Sabine.«

Stein reagierte nicht und löffelte seinen Milchreis.

»Abramczik hat dir so die Fresse poliert, dass die Schäden, die du davongetragen hast, dauerhaft bleiben werden. Der Boxverband wird dich nicht mehr zulassen. Du wirst nie mehr die Chance auf einen Meisterschaftskampf bekommen.«

Robert Stein reagierte immer noch nicht. Er hatte kein Bedürfnis, über dieses Thema zu sprechen, denn er wusste, dass er am Boden lag und seine Managerin, statt ihn aufzurichten, ihm womöglich den Todesstoß versetzen wollte. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte Glämmer die vergangenen Tage damit verbracht, auszurechnen, wie viel Geld ihr wegen seiner Niederlage durch die Lappen gegangen war. Robert hatte aber so viel mehr verloren. Er hatte viel Zeit gehabt, darüber nachzudenken und zu realisieren, was passiert war. Alles, was ihm etwas bedeutete, hatte er nun verloren. Seine Ehe war zerbrochen und das Einzige, was er konnte, nämlich Boxen, durfte er nicht mehr.

Doch es war nicht nur das. Ihm war so einiges bewusst geworden. Robert hatte nichts anderes zu tun, als im Krankenbett zu liegen, den Wolken beim Vorbeifliegen oder den Tropfen im Infusionsschlauch beim Wandern zuzusehen.

Boxen war sein Leben. Alles hatte sich dem unterordnen müssen. Auch seine Frau Sabine. Alles war auf seinen Erfolg abgestimmt, es gab einen festen Zeitplan, um diese Ziele, die er hartnäckig verfolgte, auch zu erreichen. Die deutsche Meisterschaft sollte da nur der erste Schritt sein. Robert wollte einmal im Ring so gefürchtet sein wie sein großes Vorbild Wladimir Klitschko. Dass er das Zeug dazu gehabt hätte, wusste er. Seine Rechte war bereits jetzt bei seinen Gegnern sehr gefürchtet. Wenn er nicht mehr in den Ring stieg, würde die Konkurrenz mit hoher Wahrscheinlichkeit aufatmen.

Die Tatsache, dass er all das verloren hatte, schmerzte ihn. Sein Leben war ihm komplett entzogen worden. Zudem hatte er nicht einmal mehr eine Bleibe. Er war heimat- und arbeitslos. Robert hatte keine Orientierung mehr. Ja, schlimmer noch, er war fest davon überzeugt, dass er seinen Lebenssinn verloren hatte.

Antje Glämmer wandte sich vom Fenster ab und legte die Hand auf die rechte Schulter ihres Schützlings. »Unsere Zusammenarbeit endet damit. Es gibt für mich nichts mehr zu tun.«

Ohne weitere Worte nahm sie die Hand von seiner Schulter und verschwand.

Kim Song verdrehte die Augen. Der südkoreanische Kickboxer hatte in seinem letzten Kampf ebenfalls einiges einstecken müssen. Doch beide Sportler hatten bisher nicht viel darüber gesprochen. Sie waren sich mit ihrer Wortkargheit ziemlich ähnlich.

Plötzlich stand Kim auf, lief zu seinem Nachttisch und holte aus seinem Portemonnaie eine Visitenkarte. Schließlich legte er sie vor Stein auf den Tisch.

»Wenn du in Deutschland nicht mehr boxen darfst, heißt das ja nicht, dass dieses Verbot auch für andere Länder gilt.«

Robert Stein musterte die Karte.

Tobias Schumacher North American Fight Club Roosevelt Road Chicago 60608 U.S.A

Fragend blickte er zu Kim Song. »Du meinst, ich soll zukünftig in Chicago boxen?«

»Sozusagen, ja. Obwohl der North American Fight Club durch die Staaten tourt und es sich damit nicht auf Chicago beschränkt.«

»Kein Gesundheitscheck?«

Stein schaute misstrauisch.

»Dein Gesundheitszustand interessiert dort niemanden. Die Zuschauer wollen nur harte Boxkämpfe sehen. Ich habe das Gefühl, dass du am liebsten das Land verlassen würdest, das hier wäre die Gelegenheit.«

Ein Lächeln huschte über Steins Lippen. Das war genau der Silberstreif am Horizont, nach dem er seit Tagen gesucht hatte. Diese Idee gefiel ihm immer besser. Einfach verschwinden, wie vom Erdboden verschluckt. Nach diesem Kampf könnte er sich ohnehin nirgends mehr blicken lassen und in diesem Fight Club könnte er sich vielleicht beweisen, dass er es immer noch draufhatte. Er lachte und klopfte dem Südkoreaner dankbar auf die Schulter.

Kim freute sich, dass er seinem Zimmergenossen helfen konnte. »Tobias ist ein deutscher Auswanderer. Du wirst dich prima mit ihm verstehen.«

Vor Sprachbarrieren fürchtete sich der deutsche Vizemeister im Schwergewicht nicht. Während seiner Schulzeit hatte er an einem Austauschprogramm teilgenommen und ein Jahr in Los Angeles verbracht. Er war sich sicher, dass genug hängengeblieben war oder zumindest reaktiviert werden könnte. Robert Stein fühlte wieder so etwas wie Hoffnung. Das gab ihm einen Motivationsschub, alles zu geben, um so schnell wie möglich aus dem Krankenhaus entlassen zu werden.

Jetzt hatte er wieder ein Ziel vor Augen und hoffentlich die Ablenkung, die er brauchte, um Sabine aus seinem Leben auszublenden.

Robert bezahlte, schnappte sich seinen Seesack und stieg aus dem Taxi. Die Sonne stand tief, sodass er die Hand an die Stirn legte, um nicht geblendet zu werden, als er zu der gegenüberliegenden Halle blickte.

»North American Fight Club«, las er laut von der Leuchtreklame ab, die scheinbar auch am Tage in Betrieb war. Er zögerte nicht und ging über die Straße. Seit zwölf Stunden war er unterwegs und fühlte sich müde. Während des Fluges von Berlin nach Chicago hatte er kein Auge zumachen können. Vor ihm hatte eine Familie mit zwei entzückenden aber auch quirligen Kindern gesessen. Das Mädchen, etwa fünfzehn, war sehr wissbegierig gewesen und hatte Robert Löcher in den Bauch gefragt, nachdem sie ihn erkannte. Dass so junge Mädchen sich für den Boxsport interessierten, war für Robert neu, aber er beantwortete alle Fragen, obwohl er viel lieber geschlafen hätte. Doch das Mädchen war hartnäckig gewesen, auch als sich dessen Mutter einmischte und für die Neugier ihrer Tochter entschuldigte. Dabei lag Robert das Reden ganz und gar nicht. Er war kein Mann der großen Worte, er ließ lieber seine Taten für sich sprechen.

Den Flug hatte er nun überstanden, ohne dass sein Kopf geplatzt war. Jetzt stand er vor dem doppeltürigen Eingang und ging hindurch. Vor ihm erstreckte sich eine große Halle, in der Mitte befand sich ein Boxring, in dem gerade zwei Männer trainierten. Auf der linken Seite befand sich eine Bar. Hinter dem Tresen stand ein junger Kerl mit Pferdeschwanz und Cowboyhut, der Whiskeygläser polierte, am Ring ein kräftiger älterer Mann in einem Holzfällerhemd. Die Ellbogen hatte er auf den Boden des Ringes abgestützt, während er die Kämpfer beobachtete.

Robert näherte sich ihm und beobachtete ebenfalls den Kampf. Sie waren technisch nicht sonderlich ausgebildet aber kämpferisch sehr stark. Plötzlich drehte sich der Mann um. Seine Stimme klang tief und sein schwarzer Schnauzer tanzte dazu, als er fragte: »Kann ich helfen?«

»Mein Name ist Robert Stein. Kim Song hat mir diesen Club empfohlen. Er war der Meinung, ich passe hierher.«

Der rechte Mundwinkel des Mannes bewegte sich nach oben. Robert wusste nicht, ob dies als ein Lächeln zu deuten war oder sein Gegenüber den Spucknapf neben sich anvisierte. Doch schließlich streckte er ihm die Hand entgegen. »Tobias Schuhmacher. Mir gehört der Laden. Wie geht es Kim, hat er sich erholt?«

»Oh, es geht ihm gut. Ich glaube, er ist gerade in Seoul beim Fischen.«

Schuhmacher lachte. »Er ist ein guter Mann, aber alles hat seine Zeit.« Schließlich wandte er sich an einen der beiden Boxer im Ring. »Joe, mach Feierabend für heute!«

Dann drehte er sich wieder zu Stein und zeigte dabei auf eine Tür, die sich an der gegenüberliegenden Wand befand. »Na dann, zieh dich um und zeig uns, was du draufhast!«

Roberts Augen glänzten für einen Moment, dann ging er konzentriert der Tür entgegen und schritt schließlich hindurch. Er wollte diese Chance unbedingt nutzen und zeigen, was er konnte. Natürlich war er nicht im Training und die zwei Wochen im Krankenhaus steckten ihm immer noch in den Knochen, aber dennoch war er überzeugt davon, alles Nötige abrufen zu können.

Als er in den Ring stieg, war Robert auf den Moment fokussiert. Während Schuhmacher ihm half, die Handschuhe anzulegen, erklärte er ihm einige Grundregeln. Seine Stimme klang ruhig und doch gab die Tiefe der Klangfarbe ihm etwas Ernstes mit auf den Weg: »Wer sich als Zuschauer zu uns begibt, erwartet einen kompromisslosen Kampf. Er hat die ganze Woche gearbeitet und Überstunden machen müssen, jetzt möchte er einfach nur unterhalten werden. Er will nicht nachdenken, er will gutes Entertainment. Nicht durch diese Kämpfe, die er im Sportkanal zu Hause verfolgen kann, nein, er will den echten Straßenkampf ohne Kompromisse sehen. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Blut wird abgewischt oder ausgespuckt, bis einer von euch nicht mehr kann. Das heißt, dass ein Kämpfer auf die Bretter geschickt wird. So sind die Regeln.«

Kaum hatte Schuhmacher seinen Monolog beendet und den Ring verlassen, flog auch schon der erste Faustschlag in Roberts Gesicht. Sein Gegner, ein Afro-Amerikaner, der von Tobias mit Don angesprochen wurde, hatte auf eine Unkonzentriertheit Steins gehofft. Vergebens! Blitzschnell hatte dieser seine Fäuste hochschnellen lassen und somit die perfekte Deckung aufgebaut, in der nun die Faust des Schwarzen landete. Als wäre in Robert die Erinnerung an den verlorenen Kampf gegen Abramczik wachgerüttelt worden, legte er einen Schalter um und schlug mehrmals mit voller Wucht auf den dunklen Hünen ein. Seinen ganzen Zorn legte er in seine Schläge und obwohl Don seine Arme ebenfalls gekonnt nach oben bewegte, drangen die Hiebe durch die Deckung und hinterließen ihre Spuren. Ein lautes Knacken war zu hören, bevor in einem Schwall Blut aus der Nase des Afro-Amerikaners spritzte.

Schuhmacher riss die Augen auf, als er sah, mit welcher Kraft Stein agierte. Er war sich sicher, dass vor ihm im Ring das größte Talent stand, das er jemals hatte boxen sehen. Ein weiterer Schlag landete genau an der Schläfe. Benommen ließ Steins Gegner nun die Arme sinken. Seine Beine wirkten instabil. Robert unterließ es, zum finalen Schlag auszuholen, da er sah, dass sein Kontrahent ihm nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Seinem Mitstreiter sanken endgültig die Beine weg.

»Mach Schluss für heute, Don!« Schuhmacher warf ein Handtuch in den Ring und applaudierte Robert Stein. »Sehr gut! Deine Rechte ist unglaublich. Zieh dich um und dann kommen wir zum Geschäftlichen.«

Robert war zufrieden. Der Silberstreif am Horizont nahm deutliche Konturen an. Er hatte gehofft, dass sein Plan funktionieren würde. Sicher konnte er nicht davon ausgehen, dass alles wie ein Selbstläufer funktionieren würde, obwohl er natürlich von seinen Fähigkeiten überzeugt war. Das Duell gegen Abramczik hatte ihn gelehrt, dass man sich niemals sicher sein konnte.

Auf dem Schreibtisch lag ein Vertrag zur Unterschrift bereit. Schuhmacher lächelte zufrieden, als Stein das Büro betrat. Er war sich sicher, dass der Chef des North American Fight Club glaubte, mit ihm einen großen Fisch an Land gezogen zu haben. Wahrscheinlich zählte er in Gedanken das viele Geld, wenn die Hallen auf der Tour durch die USA und Kanada ausverkauft wären.

»Hast du schon eine Übernachtungsmöglichkeit?«

Robert schüttelte langsam den Kopf, griff nach dem Kugelschreiber, der neben dem Vertrag lag, und unterschrieb.

Schuhmacher fragte verblüfft: »Willst du ihn nicht vorher durchlesen?«

»Du hast selbst gesagt, dass meine Rechte unglaublich ist. Ich glaube nicht, dass du versuchen wirst, mich übers Ohr zu hauen.«

Sein neuer Geldgeber lachte laut und verschluckte sich fast. »Sicher nicht. Wenn du keine Bleibe hast, kannst du ein Zimmer im Obergeschoß für die nächsten drei Tage beziehen.«

»Nur drei Tage?«

»Dann beginnt unsere Tour. Wir starten in Dallas, danach geht es nach Vegas, Nashville, Toronto und schließlich zum Finale sind wir wieder in Chicago.«

Robert war überrascht, dass er von Schuhmacher angeheuert wurde, obwohl die Vorbereitungsphase nur so kurz war. Der Chef des North American Fight Club schien seine Gedanken zu erraten und legte nach: »Keine Angst. Ich verheize dich nicht. Du fängst morgen mit dem Training an, nachdem du dich ausgeschlafen hast. Wir werden sehen, wann du so weit bist, als Kämpfer einzusteigen. Wann du bereit bist für jemanden wie Michael Green oder sogar Dennis Kane.«

Stone konnte mit den Namen nichts anfangen, doch ging er davon aus, dass es sich dabei um die Zugpferde des Clubs handelte. Natürlich war er neugierig, was das für Typen waren und vor allem, was diese so draufhatten.

Die Tür des Büros öffnete sich und eine Frau mit langen schwarzen Haaren trat ein. Sie lächelte. »Hast du wieder einen neuen Kämpfer gefunden?«

Schuhmacher gab der Dunkelhaarigen einen Kuss auf die Wange. »Das ist meine Frau Irene.«

»Freut mich. Mein Name ist Robert. Robert Stein.«

Irene kniff die Augen zusammen und überlegte. »Na, wenn wir daraus Rob Stone machen, lockt allein schon der Name die Zuschauer an. Wenn dann noch etwas dahintersteckt …?«

»Das tut es!« Schuhmacher rieb sich unbewusst die Hände. Im Geiste schien er erneut die Dollarscheine zu zählen. »Rob Stone. Genial!« Voller Stolz blickte er zu seiner Frau. Sie hatte wohl öfter Einfälle, die er dann umsetzte und zu Geld machte.

Robert nickte zufrieden. Rob Stone. Der Name gefiel ihm und er fragte sich, warum er nicht längst selbst auf die Idee gekommen war. Schuhmacher boxte ihm freundschaftlich gegen die Schulter und griff nach dem Telefon auf seinem Schreibtisch. »Ich werde meine Tochter Petra rufen. Sie führt dich herum und zeigt dir dein Zimmer.«

Während Stone die Durchschrift des Vertrages in seinem Seesack verstaute, rief Schuhmacher seine Tochter herbei. Petra ließ auch nicht lange auf sich warten und führte ihn schließlich durch den Club.

Der Aufgang zum Obergeschoss befand sich auf der gegenüberliegenden Seite des Büros, sodass sie einmal durch die komplette Halle mussten. Als sie an der Bar vorbeiliefen, bemerkte Stone eine Frau, die dort Gläser abwusch.

»Das ist Susann, unsere Barkeeperin«, kommentierte Petra, die Stones neugierigen Blicke gesehen hatte.

Die Barfrau schien beschäftigt und nahm von den beiden keine Notiz. Ihre roten Haare hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, der hin und her tanzend ihren Bewegungen folgte.

»Wenn du nachher Langeweile hast, kannst du dich ruhig an die Bar setzen. Die Getränke der Angestellten und Sportler gehen immer aufs Haus. Am Abend versammeln sich die Boxer gern hier.«

Petra musste schmunzeln und Stone blickte sie fragend an, als sie hinzufügte: »In der Nähe befindet sich ein Nachtclub und oft schauen einige Damen vor ihrer Schicht bei uns vorbei.«

Stone schluckte und fragte sich, ob er so aussah, als würde er es nötig haben. Petra realisierte seine Unsicherheit und fügte hinzu: »Nein, so meinte ich das gar nicht. Das sind nicht nur Nutten, sondern auch Tänzerinnen … äh … ich meine … ganz normale Frauen, die einfach nur nette Gesellschaft suchen.«

Rob nickte ihr zu. »Ja, klar. Warum auch nicht?«

Am liebsten hätte er ihr gleich gesagt, dass mit ihm heute nicht mehr zu rechnen wäre. Er wollte duschen und sich ausruhen, aber andererseits wäre es eine gute Gelegenheit, Kontakte zu knüpfen und vielleicht etwas darüber zu erfahren, wer Dennis Kane und Michael Green waren.

Sie erreichten den Aufgang zum Obergeschoss. Hier befanden sich ein weiteres Büro. Die Wand war nahezu komplett verglast, an einem der Schreibtische saß eine Frau, die wild gestikulierend telefonierte.

»Das ist Pinky, unser Mädchen für alles. Sie ist so etwas wie die gute Seele unseres Clubs. Wenn du irgendwas brauchst, sag es Pinky und sie kümmert sich darum.«

Doch auch Pinky bemerkte die beiden nicht. So stiegen sie die Treppen hinauf und betraten einen schmalen und langgezogenen Flur, von dem wie in einem Hotel mehrere Zimmer abgingen. Petra blieb vor einer Tür stehen, auf der man die Zahl zwölf angebracht hatte. Während Schuhmachers Tochter nach dem Schlüssel suchte, öffnete sich die Tür des Nachbarzimmers. Eine Frau trat in den Flur und blickte neugierig zu den beiden hinüber. Ihre lange blonde Lockenmähne war beeindruckend. An den Armen, die sie verschränkt hielt, war sie tätowiert. Stone blickte in ihre grünen Augen, die durch die Lichtreflexion der Deckenbeleuchtung förmlich funkelten. Er fühlte sich unwillkürlich an eine Katze erinnert, denn so fixierte sie ihn und beobachtete misstrauisch das Treiben vor ihrer Tür.

»Hey, Cat!«, sprach Petra sie lächelnd an.

Die Katzenfrau wirkte, als wäre sie gerade aufgestanden, hob den Kopf und schaute mürrisch drein. »Hey!«

»Das ist Rob, Rob Stone. Er geht mit uns auf Tour.«

»Schön!« Cat lächelte, aber es wirkte alles andere als freundlich. Prompt verschwand sie auch wieder hinter der Tür, die mit einem lauten Krachen ins Schloss fiel.

»Silvia Kruger, genannt Cat, ist übrigens die Titelverteidigerin bei den Wettkämpfen der Frauen.«

Stone kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Dann werde ich wohl besser achtgeben.«

»Oh nein, ich denke, dass sie dich mag, denn normalerweise spricht sie nie mit Neuankömmlingen.«

Endlich hatte Petra den richtigen Schlüssel gefunden und drückte ihm Stone in die Hand. »Wenn du etwas brauchst, sag Bescheid. Mein Vater legt großen Wert darauf, dass seine Truppe immer bei Laune ist.«

Stone lächelte verschmitzt und nickte wortlos. Während Petra sich auf den Rückweg machte, schloss er die Tür zu seiner neuen Bleibe auf und blickte verwirrt zum benachbarten Zimmer. Cats Erscheinung hatte Eindruck bei ihm hinterlassen. Auf Anhieb erkannte er gewisse Parallelen im Wesen der Boxerin. Irgendwie war er jetzt doch fest entschlossen, noch einen Drink an der Bar zu nehmen – in der Hoffnung, dem Lockenschopf noch einmal zu begegnen. Vorher allerdings musste er unbedingt unter die Dusche.

Stone öffnete die Augen und blickte erschrocken auf seine Armbanduhr, die er neben das Bett auf den Nachttisch gelegt hatte. Es war bereits mitten in der Nacht. Für einen Moment ärgerte er sich, dass er eingeschlafen war. Nach der Dusche wollte er sich doch nur für einen winzigen Augenblick aufs Bett legen und ausruhen. Einfach nur mal kurz Luft holen. Seufzend rieb er sich den Schlaf aus den Augen und verspürte große Lust, nach unten an die Bar zu gehen, denn er wusste, dass die Zeit knapp war, bevor der ganze Zirkus hier beginnen würde, deshalb brauchte er jetzt ein paar wichtige Informationen.

Als er unten eintraf, wurde ihm klar, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. An der Bar saß eine Handvoll Frauen und Robert wusste, dass es nichts Redseligeres gab als Frauen zu später Stunde, bewaffnet mit Longdrinks. Ein Lächeln huschte über seine sonst eher harten Züge. Er blickte in die Gesichter der Frauen. Nein, sie hatten sein Lächeln nicht bemerkt.

Susann, die Barkeeperin, schob sich die Brille aufs Nasenbein und musterte den Deutschen. »Darf’s was sein?«

»Ja, warum nicht. Einen Whiskey, bitte.«