13,99 €
Wie lässt sich Literatur abwechslungsreich vermitteln? Welche medialen Darstellungsformen sind relevant: Print, Hörbuch, Film etc.? Wie sind Lese- und Medienkompetenz gezielt zu fördern?Mit diesen Fragen sehen sich Lehramtsstudierende bereits zu Beginn ihrer Ausbildung konfrontiert, in Referendariat und Schulalltag stellen sie sich mit neuer Dringlichkeit. Swantje Ehlers hat ein Studienbuch verfasst, das gut strukturiert in Theorie und Praxis der Literaturdidaktik einführt. Auch aktuelle Bildungsfragen werden thematisiert, wie z.B. das Lesen im Kontext von Migration.Neben Zielen und Inhalten erläutert Ehlers die verschiedenen Methoden des Literaturunterrichts: Verfahren der Textanalyse und -interpretation, handlungs- und produktionsorientierte Verfahren, Projektplanung und Aufgabenkultur. Unentbehrliches Handwerkszeug für jede Lehrkraft. Außerdem: * Aufgaben & Lösungen als Online-Angebot * Glossar zentraler literaturdidaktischer Begriffe * Wertvolle Literaturempfehlungen
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 317
Swantje Ehlers
Literaturdidaktik
Eine Einführung
Reclam
[Direktlink]
Alle Rechte vorbehalten
© 2016 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Covergestaltung nach einem Konzept der ZERO MEDIA GmbH, München
Coverabbildung: Reclam Verlagsarchiv
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2016
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-960864-8
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011071-3
www.reclam.de
Das Ziel dieses Bandes besteht darin, in die theoretischen Grundlagen, Gegenstände, Ziele, Aufgaben und Methoden der Literaturdidaktik einzuführen. Er wendet sich vor allem an Lehramtsstudierende des Faches Deutsch und möchte ihnen ein systematisches Wissen über das Fach in verständlicher Form nahebringen. Lehrenden soll der Band die Möglichkeit bieten, fachwissenschaftliches und fachdidaktisches Wissen zu aktualisieren und zu vertiefen.
Aufgabe der Literaturdidaktik ist die wissenschaftliche Erschließung von Literatur, Gattungen, Medien, Literaturgeschichte und interpretativen Verfahren für Vermittlungsprozesse in Lehr- und Lernkontexten in der Schule, aber auch in außerschulischen Einrichtungen, die sich mit der Vermittlung von Literatur befassen. Die vorgestellten didaktisch-methodischen Konzeptionen beziehen sich auf den Sekundarbereich. Eine historische Perspektive auf das Fach soll den Wandel und die Kontinuität seines Selbstverständnisses, seiner Fragestellungen, Legitimationsprobleme und Begründungszusammenhänge für die Arbeit mit literarischen Gegenständen verdeutlichen. Außer der Darstellung der Geschichte und Entwicklung des Literaturunterrichts in Kapitel 2 werden in den folgenden Kapiteln Hinweise auf die fachgeschichtliche Dimension von Gattungen, Kanonfragen, Literaturgeschichte, Medien und methodischen Verfahren gegeben.
Veränderte Medienumwelten, neues Lese- und Medienverhalten, die Funktionsverschiebung von Bedürfnissen nach Fiktion, Unterhaltung und Wissen von literarischen Texten auf audiovisuelle Medien und die vielfältigen intermedialen Bezüge in der Literatur haben zu einer Erweiterung des Gegenstandsbereiches des Literaturunterrichts um Mediengattungen (Hörspiel, Film) und medienspezifische Rezeptionsformen geführt, dem auch dieser Band durch ein eigenes Medienkapitel Rechnung trägt.
Vor dem Hintergrund des Paradigmenwechsels im Bildungsbereich von einer Stoff- zu einer Kompetenzorientierung wird ein kompetenzbasiertes Bildungsverständnis für den Literaturunterricht vorgestellt. Der Begriff der Bildung umfasst sowohl Gegenstände als auch Kompetenzen des Lesens, Verstehens und Deutens von Texten verschiedener Gattungs-, Zeit- und Medienzugehörigkeit. Vorausgesetzt wird ein Verständnis von Bildung, das nicht nur die Kenntnisse von Fachinhalten in den Mittelpunkt des Lernens stellt, sondern das Verstehen von Gegenständen und Zusammenhängen, um das Verstandene für die Erschließung neuer Gegenstände zu nutzen und damit das eigene Weltverständnis zu erweitern. Die Auswahl bildungsrelevanten Wissens erfolgt nach fachwissenschaftlichen und didaktischen Kriterien und einer übergreifenden Bildungsperspektive, die auf eine Erweiterung individuellen Selbst- und Weltverständnisses und Teilhabe an einer kulturellen Praxis gerichtet ist. Das theoretische Fundament für die Beschreibung von Lesen, Verstehen und Interpretieren bieten Hermeneutik, Literatur-/Filmtheorien, Erzählforschung, Filmnarratologie und die kognitionspsychologische Leseforschung. Ein Analyse- und Begriffsinstrumentarium für die Erschließung und das Verstehen erzählender, dramatischer, lyrischer, auditiver und audiovisueller Texte (Hörbuch, (Spiel-)Film) soll Studierenden und Lehrenden eine Orientierungshilfe und Basis für die Strukturierung von Lernprozessen, der Aneignung literarischen Wissens, des Erwerbs interpretativer Kompetenzen und des Einübens in verschiedene Rezeptionshaltungen bieten.
Die wichtigsten Aufgabenfelder, Gegenstände, Systematiken und Verfahren der Literaturdidaktik werden jeweils in den einzelnen Kapiteln vorgestellt: Kapitel 2 fragt nach den Inhalten und Aufgaben der Literaturdidaktik und skizziert die Geschichte des Literaturunterrichts in ihren Grundzügen. Kapitel 3 schließt an den aktuellen Bildungsdiskurs an und legt einen bildungstheoretischen Rahmen für einen kompetenzorientierten Unterricht dar. Kapitel 4 wendet sich den hermeneutischen und kognitionspsychologischen Grundlagen des Textverstehens und Lesens und Prozessen der literarischen Sozialisation zu. Aus den Ergebnissen der Lesesozialisationsforschung werden Konsequenzen für die Förderung von Lesen in den Dimensionen von Lesekompetenz, Leseverhalten und Lesemotivation gezogen. Um migrationsbedingten gesellschaftlichen Veränderungsprozessen und der Heterogenität von Lernergruppen Rechnung zu tragen, werden die Spezifika des Lesens in der Zweitsprache herausgearbeitet und die Parameter einer interkulturellen Literaturdidaktik, die Lesen und Literatur im Kontext von Migration verortet, vorgestellt.
Kapitel 5 behandelt erzählende, dramatische und lyrische Texte in ihren grundlegenden Strukturen und Elementen. Die Ausführungen zielen darauf, gattungsspezifische literarische Kompetenzen herauszuarbeiten, die Lernende zu einer sinnkonstituierenden Lektüre befähigen und ein Verstehen von Literatur und ihren Weltentwürfen ermöglichen. Der Kanon und Prozesse der Kanonisierung von Texten sind Inhalt von Kapitel 6, das sich auch mit der Literaturgeschichte und historischem Verstehen befasst. Kapitel 7 gilt den Medien im Literaturunterricht. Das Lesebuch wird in seiner Funktion als Bildungs- und Wissensmedium und in seiner historischen Entwicklung, die eng mit der Fachgeschichte verbunden ist, vorgestellt. Von den auditiven und audiovisuellen Medien werden das Hörspiel, Hörbuch und der Spielfilm und deren medienspezifische wie medienübergreifende Eigenschaften untersucht und Kategorien zu deren Erschließung entwickelt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem filmischen Erzählen und seiner Analyse mittels filmnarratologischer und filmischer Kategorien.
Abgeschlossen wird dieser Band mit einem Kapitel über die Methodik des Literaturunterrichts, die sowohl systematische Ansätze der Analyse und Interpretation als auch produktive, handlungsbezogene Verfahren umfasst. Des Weiteren werden Aspekte einer Aufgabenkultur in einem kompetenzbasierten Literaturunterricht thematisiert.
Jedes Kapitel endet mit einer Empfehlung ausgewählter Titel der Sekundärliteratur. Eine ausführliche Auswahlbibliographie, ein Glossar zentraler literaturdidaktischer Begriffe und Definitionen und ein Sachregister schließen den Band ab. Übungsaufgaben mit Lösungsansätzen werden als Online-Zusatzmaterial angeboten. Sie sind unter folgender URL abrufbar:
www.reclam.de/material
Zur Verschlankung des Textes wird die Nutzung des maskulinen Plurals bevorzugt.
Die Geschichte des Literaturunterrichts und der Lehrerausbildung stehen in einem engen Literaturunterricht und GermanistikBezug zur Germanistik, die sich mit den ersten Professuren für deutsche Philologie zu Beginn des 19. Jahrhunderts als eine universitäre Disziplin zu etablieren begann. Mit der Einrichtung des ersten philologischen Seminars 1787 in Halle durch Friedrich August Wolf wurde die deutsche Philologie für die Berufsausbildung von Lehrern zuständig. Ein Examen an der Universität für künftige Lehrer wurde 1809 in Preußen und Bayern eingeführt. Etwas später folgte das Referendariat mit dem zweiten Staatsexamen. Sehr früh hatten literatur- und lesedidaktische Konzeptionen bereits fachliche und didaktische Elemente im Unterricht verbunden, nicht zuletzt aufgrund von Textverständnisproblemen von Schülern, die eine Erklärung von Texten notwendig machten. Damit wurden Fragen verhandelt, die auch heute noch von Relevanz sind und je nach Gewichtung dieser Elemente zu unterschiedlichen Bestimmungen des Faches führen.
Auch wenn der Literaturunterricht inzwischen auf eine lange Tradition zurückweist, so hat sich die Institutionalisierung der LiteraturdidaktikLiteraturdidaktik erst in den 1970er Jahren im Zuge der Reformierung des Schul- und Bildungswesens und der Philologie als ein universitäres Fach institutionalisiert. Die ersten Professuren für Fachdidaktik wurden an den Universitäten eingerichtet. Überholte bildungsbürgerliche Konzepte und Lesebücher, ein veralteter Schulkanon und die Diskrepanz von Lehrplänen und Unterrichtspraxis führten zu einer Neuausrichtung der Germanistikausbildung im Hinblick auf berufliche Anforderungen künftiger Lehrer und einer Neubestimmung von literarischer Bildung im gesellschaftlichen Kontext. Die Literaturdidaktik hat sich im Laufe ihrer Entwicklung in ihrem Selbstverständnis als wissenschaftliche Disziplin, ihrem Verhältnis zur Germanistik, ihrer Verortung innerhalb des universitären Fächerkanons und in der Konturierung ihres Gegenstandsbereiches immer wieder neu definiert. Konträre Positionen bewegen sich im Spannungsfeld von Gegenstands- vs. Lernerorientierung, fachwissenschaftlicher vs. pädagogischer Ausrichtung.
Literaturdidaktik als WissenschaftLiteraturdidaktik ist die Wissenschaft vom Lehren und Lernen von Literatur und literarischen Erzählmedien im institutionellen Rahmen von Schule, die Literatur und Erzählmedien unter dem Aspekt ihres Bildungswertes für Schüler und ihrer Lehr- und Lernbarkeit betrachtet. Sie befasst sich mit der Funktion von Literatur im schulischen und außerschulischen Kontext, ihrem Wandel angesichts veränderter Medienumwelten. Sie begründet, welche Kenntnisse über Gattungen, Medien, Epochen, Autoren und Stile Schülern vermittelt werden sollten und welche Themen und Texte im Hinblick auf angestrebte Bildungsziele relevant sind. Sie prüft, wie literarische Strukturen und Lese-/Deutungsfähigkeiten von Schülern unterschiedlicher Altersstufen angeeignet und erworben werden können. Die normative Grundlage ihrer Selektionsentscheidungen und Begründungszusammenhänge für einen Lektüre-, Wissens- und Methodenkanon muss sie immer erneut hinterfragen. Zu ihrem Aufgaben der LiteraturdidaktikAufgabenspektrum gehören die Erarbeitung von Konzepten der Literaturvermittlung, die Prüfung ihrer Anwendbarkeit in der Praxis und der Entwurf curricularer Einheiten, die zu Bildungsprozessen anleiten, die über die Schule hinaus eine Wirksamkeit haben. Die Literaturdidaktik untersucht, durch welche Methoden die Ausbildung von literar-ästhetischen und hermeneutischen Kompetenzen effektiv erfolgen kann und welche Lernwege geeignet sind, um Schüler an Texte und Medien heranzuführen und Neugierde und Interesse zu wecken. In ihrem Praxisbezug zielt sie darauf, Ergebnisse ihrer Forschung für praktisches Handeln fruchtbar zu machen, theoretisch zu fundieren und handlungsleitende Normen und Werte, die oft aus gegenstandsfremden, bildungspolitischen und ideologischen Zusammenhängen stammen, transparent zu machen. Allgemeine Bildungsziele sind durch das Erziehungssystem und staatliche Vorgaben in Lehrplänen, Curricula, Prüfungsordnungen und Bildungsstandards kodifiziert. Sie steuern die Selektion von Bildungswissen.
Der Literaturunterricht ist ein komplexes Handlungsfeld, das aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht werden kann. Je nach Erkenntnisinteresse und Selbstverständnis als Erfahrungs-, Handlungs- oder Reflexionswissenschaft haben sich Forschungsschwerpunkte, Theorien und Methoden herausgebildet, die sich nach literatur- und bildungstheoretischen, handlungswissenschaftlichen, historisch-systematischen und empirischen Gesichtspunkten ordnen lassen. Entsprechend der Fachorientierung in Theorie-Praxis-BezugTheorie und Praxis und der Fundierung des zu vermittelnden Bildungswissens tritt die Literaturdidaktik in ein Verhältnis zu anderen Bezugswissenschaften:
Literatur- und bildungstheoretische Perspektive. Grundlegend für die Gegenstandsbestimmung der Literaturdidaktik ist die Fachsystematik der germanistischen Literaturwissenschaft. Die Frage, wie germanistisches Wissen für didaktische Zwecke konzeptualisiert und in Lehr-/Lerninteraktionen umgesetzt werden kann, stellt eine der Herausforderungen des Faches dar. Literatur-, Erzähl-, Dramen-, Lyrik- und Interpretationstheorien stellen wissenschaftliche Kategorien zur Beschreibung des jeweiligen Gegenstandes und Methoden der Texterschließung und Interpretation bereit. Neuere literaturwissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien, wie die Rezeptionsästhetik, haben die Literaturdidaktik entscheidend beeinflusst. Durch die Integration von Mediengattungen wie Hörspiel und Film in den Literaturunterricht besteht eine Literatur-/Medienwissenschaftenenge Verbindung zu den Medienwissenschaften. Hör-/Filmtheorien und die Filmnarratologie bieten ein Repertoire an Grundbegriffen für die Beschreibung von Mediengattungen und rezeptiven Vorgängen. Insbesondere der Spielfilm verdient als Erzählmedium und Sinnressource erhöhte Aufmerksamkeit.
Die Legitimation für die Behandlung von Literatur im Unterricht erfolgt erstens mit Blick auf die Funktion von Literatur im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext, z. B. die Tradierung von grundlegenden Erfahrungen, Menschen- und Weltbildern, zweitens auf Literatur als Medium der Erkenntnis und Erfahrung mit kognitiven, emotionalen, sozialen Gratifikationen, die der Leser aus der Lektüre gewinnt, und drittens auf den Bildungswert von Literatur für die Entfaltung der Persönlichkeit und der gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe. Literaturbezogene BildungsperspektiveBildungskonzepte stützen sich auf Bildungstheorien der humanistischen Tradition und ihre Neuformulierung im modernen Bildungsdiskurs und auf Annahmen über die bildende Wirksamkeit von Literatur. Eine Aufgabe der Literaturdidaktik besteht darin, das Spezifische literarischer Kompetenzen, aber auch medienübergreifende Kompetenzen herauszuarbeiten und nach Anforderungsniveaus abzustufen, wie die Konstituierung von fiktionalen Welten, Einnahme fiktionaler Rezeptionsmodi, das Erfassen des zeitlich und kulturell Fremden und die Beurteilung von Normen und Werten. Die übergeordnete Bildungsperspektive liefert einen Begründungsrahmen für den Erwerb der Vielfalt an literarischen Verstehens-, Interpretations- und Wissenskompetenzen.
Handlungswissenschaftliche Perspektive. In didaktischer Perspektive ist der Literaturunterricht nicht allein vom Gegenstand und der Fachsystematik her zu strukturieren, sondern auch vom Lernersubjekt und seinen Voraussetzungen und der Aufgabe, Aneignungs- und Verstehensprozesse zu organisieren. Für Fragen der Didaktik, Methodik und Unterrichtsplanung ist die PädagogikPädagogik die Referenzdisziplin; für Prozesse des Begriffsaufbaus und der Persönlichkeitsentwicklung die Entwicklungspsychologie und kognitive Psychologie. In ihrer Zuständigkeit für Fragen der Praxis und des pädagogischen Handelns im Unterricht hat sich die Literaturdidaktik in den 1970er Jahren als eine Handlungswissenschaft bzw. praktische Wissenschaft definiert (Müller-Michaels 1972), um sich von einer Konzeption der Literaturdidaktik als Abbilddidaktik, die lediglich die PraxisbezugGermanistik auf den Unterricht zuschneidet, abzugrenzen. Unter diesem Aspekt entwickelt und prüft die Literaturdidaktik theoretisch begründete Konzepte, Modelle und Anleitungen für den praktischen Unterricht, untersucht die Voraussetzungen und Bedingungen von Unterricht und entwirft Modelle für die Unterrichtsplanung.
Historisch-systematische Perspektive. In historisch-systematischer Perspektive wendet sich die Literaturdidaktik der eigenen Fachgeschichte zu. In historischer Sicht geht es um die Entwicklung des Literaturunterrichts, seiner Inhalte und leitenden Vorstellungen mit dem Ziel, das so rekonstruierte historische Wissen für Gegenwartsfragen zu erschließen. In systematischer Hinsicht geht es um die FachgeschichteErarbeitung von theoretischen und methodischen Grundlagen des Literaturunterrichts, um Analyse und Reflexion von Zielsetzungen und Begründungsformen und des Verhältnisses von Theorie und Praxis. In diesen Forschungsbereich ordnet sich auch die historische Schulbuch- und Kanonforschung ein, die die Genese des Schulbuchs als Wissens- und Bildungsmedium und die Kanonisierung von Werken, Autoren und Gattungen durch Schule, Lesebücher, Schulprogramme und Lehrpläne rekonstruiert (Korte/Zimmer 2006). Die historische literaturdidaktische Forschung gibt Einblick in die Geschichte von Normen und Werten, die in Theorie und Praxis handlungsleitend waren.
Empirische Perspektive. Als eine empirische Wissenschaft überprüft die Literaturdidaktik mittels empirischer (quantitativer, qualitativer) Verfahren die Wirksamkeit (den Lernerfolg) von unterrichtlichem Handeln, Unterrichtsmodellen, Methoden und Lehrmaterialien, um die schulische Praxis zu verbessern. In den 1970er Jahren wurden die ersten Studien zu realem Rezeptionsverhalten von Schülern (Eggert u. a. 1974), zum Lesen und zu einzelnen Lesetätigkeiten durchgeführt (Groeben 1977). Daran wurde in den 1990er Jahren wieder angeknüpft, indem Empirische Forschungumfassende Forschungsprojekte zur Lese- und Mediensozialisation durchgeführt wurden, die das Leseverhalten von Kindern/Jugendlichen, die Funktion von Lesen im Alltag und Mediennutzungsgewohnheiten unter gesellschaftlichen und situativen Bedingungen untersuchten (Hurrelmann u. a. 1993; Groeben/Hurrelmann 2004). Die PISA-Studie (2001), die Aufschluss über verfügbare Lesekompetenzen von 15-Jährigen gibt, hat der Fachdidaktik neue Impulse für Grundsatzdiskussionen über das Fach, Zielperspektiven und für empirische Studien zur Spezifizierung literarischer Lese-/Verstehenskompetenzen gegeben (Frederking u. a. 2008). In den vergangenen Jahren hat sich die Deutschdidaktik verstärkt auch der Schulbuchnutzung durch Lehrer und Schüler zugewandt.
Zu den Aufgaben der Literaturdidaktik gehört die Erforschung des Zusammenhangs zwischen Lehr- und Lernzielen, Gegenständen/Inhalten, Methoden, Medien, Sozialformen, Lernervoraussetzungen, Leistungsüberprüfung und institutionellen Rahmenbedingungen.
Verschiedene Lehr-/LernzieleLehr- und Lernziele umfassen zum einen allgemeine Bildungsziele der Entwicklung der Persönlichkeit (Individuation), der Sozialisierung und der Partizipation an der Kultur (Enkulturation), zum anderen literarische Bildungsziele, die sich auf das Wissen über literarische Texte, Gattungen, literarische Medien, Epochen und Autoren, auf Lese-/Interpretationsfähigkeiten, die Differenzierung einer ästhetischen Wahrnehmung und das Vermögen, das eigene Textverständnis zu artikulieren und sich darüber diskursiv zu verständigen, beziehen. In lesesozialisatorischer Sicht gilt es, Lesemotivation und Lesefreude aufzubauen, Leseverhalten zu stabilisieren und Schüler zu befähigen, über die Schule hinaus am literarischen Leben und kulturellen Praxen, wie Theater, Film, Lesungen, Buchmessen, Buchbesprechungen, Literaturkritik und Preisverleihungen, teilzunehmen. Neue Zielperspektiven sind in Bezug auf auditive und audiovisuelle Mediengattungen und Interkulturalität entstanden, die der gesellschaftlichen Realität von Mehrsprachigkeit und -kulturalität Rechnung tragen. Zur Dimension von Haltungen und Wertungen gehört die Ausbildung einer Urteils-/Reflexionsfähigkeit z. B. im Hinblick auf Weltbilder und ethisch-moralische Implikationen in den Texten.
Der derzeitige Bildungs-/Kompetenzdiskurs hat die Frage nach den Bildungszielen und -inhalten neu aufgeworfen und zu einer Reformulierung von Bildung als KompetenzerwerbBildung als Kompetenzerwerb geführt. Grundlegend für die Entwicklung von Kompetenzen ist die Operationalisierung von Wissen und Fähigkeiten des Lesens, Verstehens und Interpretierens von Texten unterschiedlicher Medien-/Gattungs-und Zeitzugehörigkeit. Um der Komplexität von Verstehens- und Deutungsprozessen gerecht zu werden und zu einer differenzierten Betrachtung der jeweiligen Tätigkeiten und Kompetenzen im Umgang mit Texten zu gelangen, bedarf es der Trennung von Lesen und Interpretieren und ihrer jeweiligen kognitionswissenschaftlichen und hermeneutisch-philologischen Konzeptualisierung (s. Kap. 4).
Die Frage nach den Gegenstände des LiteraturunterrichtsGegenständen und Inhalten des Literaturunterrichts steht in engem Zusammenhang mit Bildungszielen und Kanonfragen. Zu den Gegenständen gehören Texte unterschiedlicher Gattungszugehörigkeit aus Tradition und Gegenwart, Mediengattungen wie Hörspiel und Spielfilm, Gattungsstrukturen und Literaturgeschichte. Die Vermittlung von Gegenständen ist wiederum nicht zu trennen von Formen des rezeptiven Umgangs mit ihnen, so dass die Modalitäten Lesen, Hören, Sehen und Kompetenzen des Verstehens und Interpretierens mit zur Vermittlungsaufgabe des Literaturunterrichts gehören. Da ein adäquates Textverständnis die Einbettung von Texten in soziale, geschichtliche, politische und ästhetische Kontexte erfordert, müssen vielfach weitere Wissens-/Textquellen (theoretische Schriften, Programmatiken, Sekundärquellen) herangezogen werden. Damit gehört auch das Lesen/Verstehen von Sachtexten, ihre Auswertung und Nutzung für das Verstehen eines Primärtextes zum Aufgabenbereich des Literaturunterrichts. Der tradierte hohe Kanon ist ebenso zu vermitteln wie Gegenwartsliteratur, Kinder-/Jugendliteratur, Genres einer populären Kultur und auditive und audiovisuelle Medien.
Methodenentscheidungen im Literaturunterricht stehen in einem interdependenten Verhältnis mit den Zielen, der Lernergruppe und dem Gegenstand. Den kognitiv orientierten, systematischen Interpretations- und Texterschließungsverfahren stehen spielerische, kreative und produktive Handlungsformen gegenüber, die verstärkt emotionale, sinnliche und motivationale Prozesse bei Schülern in Gang setzen und ihrerseits zum Textverständnis beitragen. Durch Kombination Methoden und Sozialformenverschiedener Methoden können unterschiedliche Lektüremodi, wie distanziert-kritisches oder empathisch-identifikatorisches Lesen, und vielfältige Interpretationsfähigkeiten eingeübt werden. Das Interpretationsgespräch ermöglicht kooperative Formen des Austauschs und der Verständigung über verschiedene Lektüreerfahrungen und Deutungen und dient der Sicherung einer intersubjektiven Verständigung. Für die Unterrichtsplanung müssen nicht nur Entscheidungen über Ziele, Gegenstände/Inhalte und Methoden getroffen werden, sondern auch über Sozialformen (Einzel-/Partner-/Gruppenarbeit) und den Einsatz von Medien (Lehrmaterialien, Ganzschriften, elektronische Medien). Inhalte/Themen sind in Sequenzen anzuordnen und der Unterricht in einzelne Lernphasen zu untergliedern, die im Hinblick auf die Zielsetzung jeweils eigene Funktionen haben. Seit der PISA-Studie und der Standardisierung von Kompetenzen hat die Deutschdidaktik sich verstärkt der Konstruktion von Aufgaben und der Aufgabenkultur zugewandt.
Unter LernervoraussetzungenLernervoraussetzungen werden das Alter, Interessen, die Motivlage, mitgebrachte Kenntnisse und Fähigkeiten und der Begriffs- und Verstehenshorizont von Schülern verstanden. Je nach Schulform, die in enger Verbindung mit der sozialen Stratifizierung in der Gesellschaft steht, sind hinsichtlich literarischer Sozialisationsverläufe das soziale Milieu und vorhandene literale Ressourcen im Elternhaus in Betracht zu ziehen.
Im Hinblick auf institutionelle Rahmenbedingungen sind die Schulform, Schulzeit, Zeitparameter, Vorgaben durch Lehrpläne und Bildungsstandards und Prüfungsanforderungen für den mittleren und höheren Bildungsabschluss zu analysieren und für Planungsentscheidungen zu berücksichtigen. Leistungskontrollen im schulischen Kontext umfassen standardisierte Tests, Klausuren, Aufsätze und mündliche Prüfungen.
Die Beschreibung der Geschichte des Literaturunterrichts gewährt Einblick in Bedingungen und Voraussetzungen der Konstitution des Faches, die Ausdifferenzierung von Aufgaben- und Lernbereichen, die Kodifizierung von Lehrinhalten in Lehrplänen, die Abhängigkeit von der allgemeinen Geschichte und ideologische Verstrickungen. Grundlegende Fragestellungen nach Bildungszielen, Kanon, Schulbüchern, Literaturgeschichte, Lese-/Interpretationspraxis und Methodik kehren im Laufe der Fachgeschichte wieder, stehen jedoch in unterschiedlichen Begründungszusammenhängen. Entstehungsbedingungen des FachesKenntnisse über die historische Herkunft und theoretische Verortung von Bildungskonzepten, Lehrinhalten und Verfahren im Umgang mit literarischen Texten bieten der Gegenwart eine Basis für die kritische Reflexion von Begriffen, Bildungsnormen und dem eigenen Selbstverständnis gerade auch in Zeiten eines grundlegenden Wandels im Bildungsbereich, wie er sich seit der Jahrtausendwende vollzieht.
Der Deutschunterricht wurde in Preußen 1734 in den Stundenplan eingeführt, um formales Wissen in der Muttersprache und entsprechend den Bedürfnissen des Bürgertums Sachkenntnisse und praktische Fertigkeiten auszubilden. Deutschunterricht im 18. Jh.In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzog sich ein Wandel, indem rhetorische Kompetenzen nicht nur an lateinischen, sondern auch an deutschen Texten entwickelt werden sollten und zugleich die Lektüre zeitgenössischer deutscher Literatur vorgesehen war. Herders berühmte Schulrede von 1796 sah ausdrücklich die Lektüre und das Auswendiglernen vorbildlicher deutscher Texte vor.
Die weitere Entwicklung des Literaturunterrichts steht in engem Zusammenhang mit der Ausbildung und Funktion des Gymnasiums, das im 19. Jahrhundert zu einer Lehr- und Bildungsanstalt wurde, das repräsentative Funktion für das Bürgertum und dessen soziale Abschottung nach unten übernahm (Jäger 1973). Das neuhumanistische Bildungskonzept des GymnasiumsDas neuhumanistische Bildungskonzept, nach dem klassische Werke der Antike Vorbildcharakter hatten und zur Entfaltung einer humanen Bildung und einer allseitig entwickelten, selbständigen Persönlichkeit beitrugen, wurde um 1800 auch für die klassischen deutschen Werke der Gegenwart in Anspruch genommen, denen ebenfalls eine bildende Wirkung zuerkannt wurde. Das führte im preußischen Bildungswesen, das nach 1806 neu geordnet wurde, zur Aufnahme deutscher Werke in den Unterricht (Gellert, Gleim, Hagedorn, Klopstock, E. Kleist, Lessing). Das Abiturreglement von 1812 schrieb Kenntnisse deutscher Literatur vor. Vor dem Hintergrund des Bestrebens nach einer nationalen Identität und Einheit gewannen die deutsche Sprache und Literatur als nationale Bildungsmittel an Bedeutung. Der Pädagoge und Philologe Robert Heinrich Hiecke (1842) rückte die Klassische deutsche Dichtungklassische deutsche Dichtung als Bildungsgut in den Mittelpunkt des deutschen Unterrichts und etablierte damit Goethe, Schiller und Lessing im Kanon. Literatur begann sich von ihrer Zweckbindung an die Stilbildung, Denkschulung und Persönlichkeitserziehung zu emanzipieren und wurde selbst zum Gegenstand. Da die Sprache eines Klopstock oder Wieland für Schüler schwer verständlich war, bestand ein Bedarf an einer neuen Methodik für die Lektüre. Wesentliche Impulse dafür wurden im 18. Jahrhundert geliefert: Bereits damals wurden Lektüre, Erläuterung und Deklamation gegenüber einem Textumgang in der Tradition von Rhetorik und Poetik akzentuiert, der auf die Imitation von Mustern und das Verfassen von Reden und poetischen Texten zielte.
Die Zielsetzung des heutigen Literaturunterrichts, zur fiktionalen Lektüre mit ihrer Bandbreite von ästhetischen, unterhaltenden, belehrenden, affektiven Lesefunktionen zu befähigen (s. Kap. 4.3; Kap. 5.1.3), ist in klassischen Bildungsnormen mit einer hohen Wertschätzung einer Lese-/BuchkulturLese-/Buchkultur und eines Verständnisses von Lesen als einer sinnhaften kulturellen Tätigkeit, die zur Partizipation an der Kultur befähigt, fundiert. Für ein besseres Verständnis dieser Bildungsziele und ihrer normativen Implikationen hilft ein Blick zurück in die Geschichte des Lesens und der bürgerlichen Lesekultur, in der sich verschiedene Leseformen und -funktionen ausgebildet haben.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden ein Geschichte des Lesensneuer Lesertypus und Lektüremodus. Die vorherrschende Lesepraxis in der bürgerlichen Familie war gekennzeichnet durch die gemeinsame Rezeption der Bibel und erbaulicher, belehrender Schriften mit Praktiken des Vorlesens, Auswendiglernens und Besprechens. Diese Lesepraxis änderte sich mit dem Entstehen neuer bürgerlicher Leserschichten und deren Bedürfnis nach aktuellen und praktischen Informationen (Engelsing 1974). Die sich ausbreitende Romanliteratur mit ihren weltlichen Stoffen führte zu einer Säkularisierung der Lektüre und einem individualisierten Lesen mit vielfältigen Leseerfahrungen, eigenen Lesemotiven und innerer Beteiligung an Schicksalen von Heldenfiguren. Zudem vollzog sich eine Ablösung des lauten Lesens durch das leise Lesen (Schön 1987).
Bereits im 17. Jahrhundert hatte von pädagogischer und theologischer Seite eine polemische Kritik an der ViellesereiKritik an der Romanlektüre eingesetzt. Die Vorbehalte richteten sich gegen den Fiktionscharakter von Romanen, die diesen Texten unterstellte Unmoral und Gottlosigkeit sowie gegen die Vielleserei. Man befürchtete, dass die Lektüre untauglich mache für das wirkliche Leben und Fiktion und Wirklichkeit verwechselt würden. Auch die Schule stand der neuen Lesehaltung und einem durch Romanlektüre sozialisierten Lesertypus ablehnend gegenüber, so dass der Roman noch bis ins späte 19. Jahrhundert hinein vom Deutschunterricht ausgeschlossen wurde und erst nach dem Ersten Weltkrieg zum festen Bestand des gymnasialen Deutschunterrichts gehörte.
Robert Heinrich Hiecke trat in seinem Handbuch Deutscher Prosa für obere Gymnasialklassen (1835) Hieckes Leselehrefür eine Leselehre auf dem Gymnasium ein, die durch Analyse von sprachlichen Mitteln und Gedankengängen zum logischen Denken und selbständigen Verarbeiten erziehen sollte, um ein Textverständnis zu ermöglichen und Fertigkeiten im Lesen auszubilden. Er grenzte sich damit von einer Rationaler Textumgangunreflektierten und allein dem Lesevergnügen dienenden Lesepraxis seiner Zeit ab. Hiecke plädierte für die Anwendung zweier Leseformen, deren Unterscheidung bereits Johann Matthias Gesner im 18. Jahrhundert getroffen hatte: das statarische Lesen, bei dem eine Textstelle genauer untersucht wird, und das kursorische Lesen, das zügig und übergreifend größere Sinnzusammenhänge in den Blick nimmt (s. Kopp 1994, S. 678). Beide Lesemodi sind bis heute fester Bestandteil von Lesedidaktiken. Eine weitere methodische Erneuerung betraf die Produktion. Nach Hiecke sollte die Eigentätigkeit des Schülers gestärkt und die Themen aus der Lektüre deutscher Literatur gewonnen werden. Dies stand im Gegensatz zu einem am klassischen Altertum und an Rhetorik und Poetik ausgerichteten Bildungskonzept für das Gymnasium, wie es u. a. Friedrich Thiersch (1826) in Bayern vertrat.
Von dem Verfahren Hieckes grenzte sich eine antihermeneutische Richtung ab, deren stärkster Vertreter Philipp Wackernagel war. Im 4. Teil seines Deutschen Lesebuches (1843) distanzierte er sich von einem rationalen und reflektierenden Textumgang und betonte das affektive Lernen. Nach Wackernagel sollte ästhetische Bildung nicht durch ein systematisches Studium, sondern durch ein gefühlsmäßiges Erleben von Literatur und Verinnerlichung von Wert- und Verhaltensmustern in den Texten erfolgen. Gegen die Analyse und inhaltliche Behandlung deutscher Klassiker votierte auch der Erlanger Germanistikprofessor Rudolf von Raumer (1852), der die Zweckbestimmung von Dichtung auf ihre Wirkung auf das Gefühlsmäßiger TextumgangGemüt und die Phantasie festlegte. Das Mittel dazu sah er im Memorieren, Vorlesen und Deklamieren von Texten. Mit diesem Verständnis von Literatur vollzog sich ein Bruch mit dem humanistischen Bildungskonzept und der analytischen Methode. Für eine ästhetische Bildung setzte sich Johann Friedrich Deinhardt 1859 ein: Sie bestand für ihn in der Fähigkeit zur Identifikation mit dem Künstler und Nachempfinden seiner Vorstellungen (Deinhardt 1859, S. 229). Die Muster dafür sah er allerdings in den klassischen Werken der Antike und nahm darin eine Gegenposition zu Hiecke ein.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte sich ein Bildungskonzept durch, das nicht mehr formal wie in Rhetorik und Poetik, sondern historisch orientiert war. Als Folge dieser historischen Ausrichtung wurde die LiteraturgeschichteLiteraturgeschichte als neuer Lehrgegenstand in die Lehrpläne aufgenommen und das Studium des Alt- und Mittelhochdeutschen gefördert. Karl August Koberstein verfasste 1827 eine erste deutsche Literaturgeschichte als Leitfaden für den Unterricht. Doch wurden die Einwände an der »Mediatisierung der Lektüre« durch die Literaturgeschichte (Jäger 1973, S. 145), die eine Auseinandersetzung mit den Texten selbst verhinderte, immer stärker, so dass in den preußischen Lehrplänen für höhere Schulen von 1882 Literaturgeschichte kein eigener Lehrgegenstand mehr war.
Im Wilhelminischen Kaiserreich wurde die nationalistische Bildung und Erziehung zum Deutschtum zur zentralen Aufgabe des Deutschunterrichts erklärt. Für eine Integration Nationale Bildungnationaler Inhalte in den Deutschunterricht traten u. a. die Pädagogen Ernst Laas und Rudolf Lehmann ein. In der Kontroverse um einen rationalen vs. einen emotionalen Zugang zur Literatur setzte sich Laas (1872) für eine anschauliche Textbehandlung auf den unteren Klassen und eine analytische auf den oberen Klassen ein. Er teilte mit Hiecke die Auffassung, dass das Lesen zu lehren sei, warf dessen Lektürestunden jedoch Reflexionssüchtigkeit vor (1872, S. 123). Lehmann (1890) vertrat einen ähnlichen Ansatz, behielt jedoch die kritische Reflexion der Universität vor.
Aufgrund der gesellschaftlichen Umbrüche nach 1871, der Entwicklung Preußens zu einem Industriestaat und dem Entstehen einer neuen Beschäftigungsstruktur bestand ein Bedarf an Realistische Bildungrealistischen Bildungsinhalten und einer lebenspraktischen Ausbildung, den jedoch der altsprachliche Unterricht mit seiner formalen Ausrichtung nicht bedienen konnte. In den späten 1880er Jahren galt daher das humanistische Bildungsideal als nicht mehr zeitgemäß. Realistische Bildungsziele verbanden sich wiederum mit nationalen Interessen, so dass der neue Lehrplan von 1892 neben der Ausbildung von Syntax, Formenlehre und rhetorischen Fähigkeiten das Wissen um die wichtigsten Werke der Nationalliteratur vorsah (Lüke 2007, S. 120 ff.). In der Methodik setzte sich die Tendenz einer anti-intellektuellen Textbehandlung fort. Der Deklamationsunterricht wurde neu begründet: Er sollte die Wirkung der Dichtung auf das Gemüt im gesprochenen Wort entfalten. Die Reformpädagogik und Kunsterziehungsbewegung griffen diesen Gedanken auf und betonten das erlebnis- und gefühlsorientierte laute Lesen gegenüber dem stillen Lesen. Die Mündlichkeitgesprochene und gehörte Sprache wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts gegenüber der geschriebenen und gelesenen Sprache privilegiert. Diese Hinwendung zum Mündlichen blieb richtungsweisend bis 1945.
Die 1920er Jahre sind im Bereich der Literaturpädagogik durch mehrere Strömungen gekennzeichnet. Zum einen ist es die Deutschkundebewegung, die ein Gesamtbild der Kultur des deutschen Volkes und national-deutsche Werte vermitteln wollte. Walther Hofstaetter (1917) hat diesen Begriff in die Pädagogik eingeführt und damit ein sehr einflussreiches bildungspolitisches Konzept entwickelt. Zum anderen war der Erlebnisbegriff von Wilhelm Dilthey, der Ende des 19. Jahrhunderts bereits zu einem Modebegriff geworden war, von hohem Einfluss auf die Literaturdidaktik. Walter Schönbrunn (21924) war einer der Hauptvertreter eines Erlebnispädagogikerlebnisbezogenen Ansatzes. Er lehnte einen rationalen und verstehenden Zugang zur Literatur ab zugunsten eines subjektiven Gefühlserlebnisses. Die geeignete Methode für das Erlebnis von Dichtung sah er im Vortragen bzw. ausdrucksvollen Lesen. Eine progressive Position nahm Walter Schönbrunn (1929) hinsichtlich des Kanons ein. Angesichts des Aufkommens neuer Medien (Rundfunk, Kino, Film, Kleinkunstbühne), der Amerikanisierung von Lebenswelten und des Desinteresses von Schülern am tradierten Kanon empfahl er die Behandlung moderner Literatur in der Schule.
Die Vorgaben für den Deutschunterricht im Dritten Reich zeigen deutlich eine Negierung einer rationalen Beschäftigung mit Literatur. Formen des Gesprächs, Meinungsvielfalt, Argumentation und Partnerarbeit wurden nicht zugelassen. Unterricht und Schulfeiern nutzten Techniken der Theatrale Inszenierungtheatralen Inszenierung und Ritualisierung, um Gemeinschaft kollektiv erlebbar zu machen und eine populäre Kultur zu schaffen. Der Lektürekanon wurde im Dritten Reich über das Lesebuch vorgegeben. Er war durch Ganzschriften, für die amtliche Listen existierten, zu ergänzen.
Die Entwicklung der Literaturdidaktik nach 1945 vollzog sich in mehreren Phasen, in denen sich das Fach jeweils neu definierte.
Lebenshilfe und Werkimmanenz. Nachdem die Literaturdidaktik zunächst auf Konzepte und deutschkundliche Lesebücher der Weimarer Zeit zurückgegriffen hatte, fand in den 1950er Jahren eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Positionen und Konzepten der Didaktik statt, die zu neuen Ansätzen der Literaturvermittlung führte. Es erfolgte eine dezidierte Abgrenzung von einem als Lebenshilfe-DidaktikLebenshilfe-Didaktik genannten Ansatz, der die Bedeutsamkeit von Dichtung für das Leben und einen methodischen Umgang mit Literatur, der mit den Dilthey’schen Kategorien des Erlebens und Nachempfindens begründet wurde, in den Mittelpunkt rückte. Hauptvertreter dieser Richtung waren Robert Ulshöfer (1952) und Erika Essen (1956), die mit ihren Prinzipien der Anschaulichkeit und Produktivität an die Methodik der 1920er Jahre anschlossen. Jedoch orientierte Essen sich vor allem an der Sprachlichkeit des Kunstwerks. Prägend für diese Zeit war zudem eine Richtung, die als Werkimmanenz in die Geschichte der Germanistik eingegangen ist und die MethodikMethode der Interpretation bis zur Gegenwart in Form der Textanalyse prägt. Bezeichnend für eine werkimmanente Interpretation ist die Konzentration auf das als autonom geltende Kunstwerk unter Ausblendung seiner sozialen und historischen Bezüge.
Eine Zäsur bildete das Jahr 1966, in dem Hermann Helmers einen ersten systematischen Entwurf zu einer Didaktik des Literaturunterrichts vorlegte. Der Rekurs auf das Gegenstandsspezifische (literarische Strukturen, Formen, Gattungen) kennzeichnen seinen Ansatz. Innovativ war Helmers bildungstheoretische Fundierung des Deutschunterrichts, insofern als er den Schritt von der Methodik als Theorie der Unterrichtsverfahren zur DidaktikDidaktik als Theorie der Bildungsinhalte ging. Literarisch-ästhetische Bildung gehört für ihn zum eigentlichen Lernbereich des Literaturunterrichts.
Eine Neukonturierung der Literaturdidaktik begann mit der Ablehnung der Lebenshilfe-Didaktik und der Methodik der Werkimmanenz mit neu konzipierten Lesebüchern und einer umfassenden Kanondiskussion. Gegenüber einem identifikatorischen Lesen, das die methodische Konsequenz einer im Erleben wurzelnden Literaturdidaktik war, forderte Rolf Geißler (1970) ein kritisches, distanziertes Lesen und eine rationale Vermittlung von Literatur im Unterricht.
Lernzielorientierung. Die curriculare Wende von der Orientierung an Bildungsinhalten zur Festschreibung von LernzielenLernzielorientierung führte zu Beginn der 1970er Jahre zu einer Revision der Lehrpläne und Forderungen nach einer Erneuerung des Literaturunterrichts mit einer neuen wissenschaftstheoretischen Begründung. Bildungspolitische Entscheidungen sollten auf eine rationale Grundlage gestellt werden. Es entstanden streng formalisierte Curricula, die Ziele und die Organisation von Lernprozessen vorgaben. Eine Lernzielbeschreibung für den Deutschunterricht hat Hubert Ivo 1969 vorgelegt.
Kritische Didaktik und kommunikative Wende. Eine zweite Phase der Reformbewegung begann in den späten 1960er Jahren; sie stellte den etablierten literarischen Kanon grundlegend in Frage und sprach sich für eine Kritischer Deutschunterrichtkritische Methodenlehre aus. Literatursoziologische Ansätze, Rezeptionsästhetik und Untersuchungen empirischen Rezeptionsverhaltens, die das Verhältnis von Literatur und Lebensnähe neu bestimmten, prägten die Literaturdidaktik der 1970er Jahre. Vertreter des Bremer Kollektivs, das der Bildungsreformer Heinz Ide zusammen mit Lehrern gegründet hatte, lehnten bildungsbürgerliche Ziele, identifikatorisches Lesen und literarisch-ästhetisches Lernen ab und forderten einen ideologiekritischen Umgang mit literarischen Texten.
In Abgrenzung zu Helmers sachstrukturellem Ansatz integrierte Jürgen Kreft (1977) den Schüler als Subjekt in die didaktische Fachstruktur. Kreft hat einen umfassenden Entwurf einer Literaturdidaktik vorgelegt, den er kommunikationstheoretisch, moralphilosophisch, entwicklungs- und kognitionspsychologisch begründet. Nach Kreft bilden sich in Auseinandersetzung mit literarischen Texten kognitive, sprachliche und interaktive Fähigkeiten heraus, die wiederum konstitutiv sind für die Ich-Entwicklung. Literatur ist in dieser Sicht ein Literatur als BildungsmediumMedium der Bildung von Ich-Identität und Weltorientierung. Die Begründung des Literaturunterrichts auf der Grundlage einer Theorie der Identitätsbildung ist ein nachhaltig wirksamer Ansatz bis zur Gegenwart. Kreft hat als Erster innerhalb der Literaturdidaktik den Kompetenzbegriff verwendet.
Der Einfluss der Linguistik leitete die kommunikative Wende (ca. 1969–79) ein, die die Ausbildung von Kommunikationsfähigkeiten zum Lernziel machte. Mit ihr ging eine Ausweitung des Text-/Medienangebots um Gebrauchstexte, Trivialliteratur, Kinder-/Jugendliteratur und Massenmedien und der Hinwendung zur Alltagskultur einher. Literarisch-ästhetische Bildungsziele und historisches Verstehen rückten dagegen in den Hintergrund.
Literaturdidaktik der DDR. Die Entwicklung des Literaturunterrichts in der früheren DDRDDR stand im Zeichen einer Schul- und Bildungspolitik, für die Literatur ein Mittel für die sozialistische Erziehung war. Sie vollzog sich in mehreren Phasen: einer politisch-ideologischen, vorwiegend kognitiven Betrachtungsweise in den 1950er Jahren, einer historisch-soziologischen in den 1960er Jahren, einer kommunikativ-ästhetischen zu Beginn der 1980er Jahre und einer rezeptionsästhetischen und produktionsorientierten der späten 1980er Jahre. Letztere rückte den Schüler als Lesersubjekt in den Mittelpunkt, ließ der Deutung von Texten mehr Spielraum und strebte eine Ausbildung von Lese-/Rezeptionskompetenzen an (Brekle 1992). Die Literatur der deutschen Klassik nahm einen hohen Stellenwert ein, weil sie dem sozialistischen Bildungsideal entsprach. Die Moderne mit Kafka und Musil wurde dagegen aus dem Lektürekanon ausgeschlossen.
Die Entdeckung des Lesers in den 1970er Jahren. Der Paradigmenwechsel von einer Produktionsästhetik, die das Werk und Autorintentionen in den Mittelpunkt rückte, zu einer Rezeptionsästhetik, die sich dem Leser und der Geschichtlichkeit des Verstehens zuwandte, war von weitreichendem Einfluss auf die Literaturdidaktik. Wolfgang Iser (1972) modellierte das Verstehen als Leserorientierungkonstruktive Sinnleistung des Lesers, die durch Perspektivität und Offenheit im Text gelenkt wird. Er konturiert den »impliziten« Leser als eine textuelle Größe. Leerstellen im Text regen den Leser zu einem Mitvollzug an, der wiederum von Leser zu Leser unterschiedlich realisiert wird, so dass verschiedene Lesarten entstehen. Die Literaturdidaktik hat aus der Rezeptionsästhetik und ihren Prämissen Konsequenzen gezogen, indem der Lerner als Lesersubjekt anerkannt und Deutungsvielfalt zugelassen wird. Die Fokussierung auf den Leser nimmt auch in der weiteren Entwicklung der Literaturdidaktik eine zentrale Rolle ein. Verschiebungen in der Schwerpunktsetzung betreffen das Spannungsverhältnis von rationaler Erkenntnis und eher produktiven, emotionalen Zugängen, von distanziertem und identifikatorischem Lesen.
Die 1980er und 1990er Jahre. Die Didaktik der 1980er Jahre distanzierte sich von lernzielorientierten Ansätzen und plädierte angesichts von Bildungsmängeln und Geschichtsverlust bei Schülern für einen offenen Kanon. Die ästhetische Dimension, das Lesersubjekt, und die zuvor verdrängte historische Dimension von Literatur wurden wiederentdeckt. Methodisch setzten sich Handlungs-/produktionsorientierte Verfahrenhandlungs- und produktionsorientierte Verfahren (HPV) durch. In ihrer engen Verbindung von Lesen und Schreiben knüpften sie an ältere rhetorische Traditionen an. Innerhalb produktiver Ansätze gab es unterschiedliche Akzente mit einer eher rezeptionsästhetischen (Waldmann 1984) und einer handlungstheoretischen Begründung (Müller-Michaels 1978). Die Rezeption der kognitiven Psychologie Jean Piagets hat der Didaktik neue Forschungsimpulse gegeben und eine Reihe von empirischen Studien zur Entwicklung literarischen Verstehens und einzelner Komponenten wie Fiktionsbewusstsein, Abstraktionsbildung und Perspektivenübernahme angeregt (u. a. Hurrelmann 1982; Willenberg 1987).
In den 1990er Jahren fand eine Neuformierung des traditionellen literaturgeschichtlichen Unterrichts und im Hinblick auf ästhetische Bildungsziele eine Anerkennung des tradierten Literaturkanons statt. Insgesamt gewannen Bildungsinhalte gegenüber der Methodik wieder an Priorität. In einer modernen Didaktik der LektüreDidaktik der Lektüre wurde der primären Leseerfahrung und individuellen Lektürezugängen eine Bedeutung zugesprochen, und es entwickelte sich eine neue Gesprächskultur mit kooperativen Formen des Sich-Verständigens über Lektüreerfahrungen und Lesarten. Ästhetische Bildungsziele, der Aufbau von Identität und die Befähigung zum Fremdverstehen (Spinner 1989) waren die Zielsetzungen dieser Jahre.
Gleichzeitig beeinflusste der Poststrukturalismus französischer und amerikanischer Provenienz die Literaturdidaktik und regte zu einer neuen Lektürepraxis an (Bark/Förster 2000; Kammler 2000). Dekonstruktive VerfahrenDekonstruktive Verfahren bilden ihrem Anspruch nach ein Gegenparadigma zur tradierten hermeneutischen Auslegungspraxis, die vom Werk als einer geschlossenen Ganzheit ausgeht und auf eine kohärente Interpretation zielt. Ihr gegenüber werden Topoi von der Polyvalenz der Texte, der Subversion von Sinn und Unabschließbarkeit des Interpretationsprozesses ins Spiel gebracht, die allerdings auch zum Erkenntnisstand der »alten« Hermeneutik gehören. An die Stelle der Interpretation tritt die Lektüre. Die Methode besteht darin, ein erstes naives Lesen, das um textuelle Bedeutungen bemüht ist, durch eine zweite Lektüre zu unterlaufen, die den Zugang zu einer kohärenten Struktur verwehrt (s. Kap. 8.1.3