Little Pearl - Madlen Schaffhauser - E-Book

Little Pearl E-Book

Madlen Schaffhauser

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Beschreibung

"Ich bin nicht er." "Nein, bist du nicht, aber das macht keinen Unterschied." Evan und Beziehung? Auf keinen Fall. Evan und Familie? Unmöglich. Er hält nichts von ernsthaften Bindungen, er hat der Liebe abgeschworen. Nur so bleibt er vor größerem Verlust verschont. Das dachte er sich zumindest, bis ihm Avery gegenübersteht. Avery, die das letzte Jahr durch die Staaten gereist war, um zu vergessen und um die schrecklichen Bilder ihrer Vergangenheit aus dem Kopf zu streichen, hat in Little Pearl endlich das Gefühl, angekommen zu sein. Und als sie dann noch Evan über den Weg läuft, erscheint es ihr, als würde sie wieder zu leben beginnen. Doch kann sie über ihren Schatten springen und Evan in ihr Herz lassen?

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Zu diesem Buch

»Ich bin nicht er.«

»Nein, bist du nicht, aber das macht keinen Unterschied.«

Evan und Beziehung? Auf keinen Fall.

Evan und Familie? Unmöglich.

Er hält nichts von ernsthaften Bindungen, er hat der Liebe abgeschworen. Nur so bleibt er vor größerem Verlust verschont. Das dachte er sich zumindest, bis ihm Avery gegenübersteht.

Avery, die das letzte Jahr durch die Staaten gereist war, um zu vergessen und um die schrecklichen Bilder ihrer Vergangenheit aus dem Kopf zu streichen, hat in Little Pearl endlich das Gefühl, angekommen zu sein. Und als sie dann noch Evan über den Weg läuft, erscheint es ihr, als würde sie wieder zu leben beginnen.

Doch kann sie über ihren Schatten springen und Evan in ihr Herz lassen?

Widmung

Für alle Averys und Evans da draußen.

Kapitel 1

Evan

Heilige Scheiße, mein linkes Auge ist praktisch zugeschwollen, ich kann im Moment nichts damit sehen. Dylan konnte zwar nur einen Haken landen, dafür aber einen recht schmerzhaften. Ihm dürfte jedoch viel mehr wehtun. Am liebsten hätte ich noch länger auf ihn eingeprügelt. Für das was er meiner Schwester angetan hat, waren meine Schläge verhältnismäßig milde. Wenn er nicht wie ein Schlappschwanz auf dem Boden gelegen hätte, nachdem ich ihm die Faust ins Gesicht gerammt hatte, würde er wahrscheinlich die nächsten Tage nicht mehr auf seinem Arsch sitzen können.

Cécile ist fast durchgedreht, als ich vorhin bei ihr war und sie erfahren hat, dass ich mich mit Dylan geprügelt habe. Wenn ich ehrlich bin, habe bloß ich auf ihn eingedroschen, während er nicht mal seine Hände zum Schutz gehoben hat. Unglaublich aber wahr, Cee hat sogar noch ihren Ex in Schutz genommen. Sie meinte, er hätte ihr nicht extra wehtun wollen.

Gott, wie kann sie nur so blind sein?! Allerdings dachte auch ich für eine kurze Zeit, Dylan wäre ganz in Ordnung. Er ist im Grunde genommen ziemlich witzig und klug, und versteht sein Handwerk. Dennoch, allem Anschein nach sollte man doch dem ersten Eindruck mehr Beachtung schenken.

Ich schleudere mein New York Yankees Cap zur Seite. Eigentlich habe ich auf die Couch gezielt, allerdings ist er knapp über die braune Kiste geflogen, die als Tisch dient, und zwischen ihr und der Couch zu Boden gesegelt. Statt ihn aufzuheben, gehe ich in die Küche, die gleich links neben dem Eingang ist, um mir ein Bier aus dem fast leeren Kühlschrank zu holen. Wäre vielleicht wieder mal an der Zeit einkaufen zu gehen.

Ich lehne mich an die weiße Arbeitsfläche und drehe den Kronkorken ab. Nachdem ich einen tiefen Zug genommen habe, halte ich mir die Flasche ans blaue Auge, um es zu kühlen. Das Veilchen wird Morgen bei der Arbeit nicht gerade einen guten Eindruck machen. Tja, auch egal. Jemand musste ja Dylan zeigen, dass man so wie er, meine Schwester nicht behandelt.

Nach einem weiteren Schluck schüttle ich den Kopf. Ich bin noch immer fassungslos, und das alles nur wegen diesem Scheißkerl Dylan. Ich muss mich irgendwie auf andere Gedanken bringen, Dampf ablassen. Ich kann nicht ständig an meine Schwester und an ihren verletzten Gesichtsausdruck denken.

Mein Handy steckt in meiner hinteren Jeanstasche, das ich jetzt hervorhole. Als ich das Display entsperrt habe, rufe ich meinen Freund Gordon an, mit dem ich schon seit der Highschool abhänge. Nach mehrmaligem Klingeln kommt die Mailbox. Ich hasse es draufzusprechen. Heute mache ich jedoch eine Ausnahme. »Hey, wo steckst du? Kommst du später ins Blue? Ich mach mich in wenigen Minuten auf den Weg.« Ohne Verabschiedung drücke ich auf auflegen und schmeiße das Telefon auf die Arbeitsfläche neben den Kühlschrank.

Mit der halbleeren Bierflasche gehe ich ins Bad und mache die Dusche an. Meine Wohnung ist kein Palast, sie hat bloß zweieinhalb Zimmer, dafür liegt sie an der beliebten Main Street von Little Pearl, und über meinem Fitnessstudio. Mehr brauche ich im Moment auch nicht, so wenig wie ich Zuhause bin.

Mein geschwollenes Auge schmerzt, als mir Seife übers Gesicht läuft. Ich ziehe scharf die Luft ein. Ich muss zugeben, Dylan hat einen harten rechten Haken. Wie würde ich wohl aussehen, wenn er sich gewehrt hätte? Ich denke besser nicht darüber nach, wie ich aussehen und mich fühlen würde, hätte er ein paar Mal richtig zugeschlagen.

Trotzdem frage ich mich immer wieder, warum er nicht seine Fäuste benutzt hat, um sich zu wehren. Warum er es sich gefallen ließ, wie ich auf ihn losgegangen bin. Doch dann sehe ich Cécile, und wie sie wegen ihm leidet. Und mein schlechtes Gewissen verpufft so schnell, wie es aufgetaucht ist.

Kurze Zeit später bin ich bereit, mich amüsieren zu gehen. Wer weiß, wenn ich eine gute Story wegen meinem blauen Auge erfinde, hat möglicherweise eine scharfe Braut Mitleid mit mir. Wenn ich es mir genau überlege, brauche ich gar nichts zu erfinden. Manche Frauen mögen es, wenn sich Männer prügeln.

Gerade als ich nach dem Smartphone greifen und in meiner Hosentasche verstauen will, taucht eine Nachricht von Kyle auf. Mein zweitältester Bruder will wissen, was ich heute noch für Pläne habe. Sein Date ist scheinbar ins Wasser gefallen.

Statt ihn anzurufen, texte ich ihm kurz, dass ich auf dem Weg ins Blue bin. Ich mag meinen Bruder - ich korrigiere mich: Ich mag meine Brüder. Leider leben mein ältester und mein jüngster in New York, sodass wir uns etwa bloß einmal im Monat sehen. Nur werden die Abstände zwischen ihren Besuchen hier meiner Ansicht nach immer größer. Coben, der älteste von uns Johnsons, ist wegen seiner Freundin weggezogen und Chase macht sein Medizinstudium dort.

Wenigstens machen Kyle und ich ziemlich oft was zusammen. Er arbeitet als Zimmermann und kommt regelmäßig in mein Fitnessstudio. Ich habe ja schon dicke Oberarme, aber der, der hat noch ein paar Zentimeter mehr.

Ich bin noch nicht mal in meinem Chevy, da meldet sich Kyle mit einem blinzelnden Smiley und Daumen hoch.

Das Blue ist ein angesagter Club in der Gegend. Eigentlich ist es nicht so mein Ding, den ganzen Abend Bumm-Bumm-Musik zu hören, aber es gibt da ziemlich heiße Mädels, die nur darauf warten, von einem Gentleman wie mir angebaggert zu werden. Ja, genau, ich kann ein wahrer Gentleman sein. Zumindest für eine Nacht.

Der Türsteher lässt mich gleich rein, als ich vor ihm stehe. Er ist ein guter Kunde von mir und wir trainieren ab und zu miteinander.

Ich suche den Club nach bekannten Gesichtern ab. Doch das Einzige, was mir ins Auge springt, sind die halbnackten Weiber auf der Tanzfläche. Ich lehne mich an die Theke und schaue zu, wie sie sich zur Musik bewegen. Wie sie ihre Hüften schwingen und ihre langen Beine zeigen. Eine süße Blondine in einem kurzen engen Kleid streckt ihre Hände in die Höhe, wobei ihr schier die Airbags aus dem Ausschnitt kullern.

»Was darf’s sein?«, fragt mich der Barkeeper, womit er zu meinem Missfallen mein Spannen unterbricht. Es wurde gerade interessant.

»Ein Bier.« Gleich darauf schiebt mir der Typ hinter der Theke eine Flasche zu und ich ihm einen Zehndollarschein. Ich drehe mich wieder zur Tanzfläche, um mich umzusehen. Um mich wieder der Blondine zu widmen.

»Hey, Kumpel.«

Ich verschütte fast mein Bier, als ich von hinten angerempelt werde. Ich balle schon meine Faust, um dem Kerl, der es gewagt hat, mich zu stoßen, eine reinzuhauen. Mann, bin ich noch immer aufgeladen. Normalerweise bin ich nicht der, der gleich zuschlägt oder auf andere losgeht. Doch scheinbar habe ich Mühe damit, die Wut auf Dylan niederzukämpfen. Ich brauche unbedingt eine scharfe Ablenkung.

Als ich mich umdrehe, stehen Gordon und Kyle mit einem frechen Grinsen vor mir. Gordons blauen Augen funkeln amüsiert. Er begrüßt mich mit einem kumpelhaften Schulterklopfen. »Wir könnten noch lange in der Ecke da hinten stehen«, Gordon zeigt nach rechts, wo sich ein paar einzelne Tische befinden, »du hättest uns morgen noch nicht gefunden, so sehr warst du mit glotzen beschä-«

»Wow, was hast du denn da für ein Veilchen eingefangen?«, unterbricht Kyle meinen Freund. »Warst du mal wieder auf eine Schlägerei aus?« Mein Bruder, der wie ich Einsneunzig groß ist, verzieht seinen linken Mundwinkel zu einem fiesen Schmunzeln. »Tut es sehr weh?«, fragt er in leicht spöttischem Ton.

Bevor Kyle mit einem ausgestreckten Finger mein blaues Auge berühren kann, schlage ich seine Hand weg. »Du kannst auch gleich eins haben, wenn du willst.«

Uns haben schon viele für Zwillinge gehalten, was ich für totalen Schwachsinn halte. Zwar haben wir beide ein kantiges Gesicht und schwarze Haare, doch seine Augen sind milchschokoladenbraun, während meine irgendwas zwischen schwarz und braun sind.

»Warum sieht dein Gesicht aus, als wärst du direkt in eine geballte Faust gelaufen?«

»Na darum«, sage ich schulterzuckend.

Kyle stupst mich mit dem Ellbogen. »Na komm, sag schon.«

Obwohl Dylan eine weitere Abreibung verdient hätte, braucht er nicht auch noch Kyles Zorn zu spüren. Cee würde uns zum Teufel jagen. Ich muss mir also schnell etwas überlegen. Dummerweise bin ich nicht gerade ein Hirsch in Ausreden erfinden. »Die Faust war eine Hantel. Als ich mich aufrichten wollte, hat neben mir gerade einer meiner Kunden eine Hantel gesenkt.«

Schallendes Gelächter bricht aus. War ja klar.

Gordon krümmt sich vor Lachen, weshalb ich ihm eins an den Dutt haue. Er macht praktisch jede Trendfrisur mit. Momentan ist es der Samurai Bun. Seine dunkelblonden Haare sind an den Seiten kurz rasiert, die oberen hat er am Hinterkopf zu einem strengen Knoten gebunden.

»He, lass meine Frisur.« Gordon greift sich an den Kopf, um seine Haare zu richten.

»Selber schuld, du brauchst ja nicht so dämlich zu gackern.«

»Und du solltest vielleicht etwas vorsichtiger sein. Wäre wahrscheinlich besser, wenn du von jetzt an mit einem Helm rumlaufen würdest. Nicht, dass du morgen wieder gegen eine Hantel läufst.«

»Du bist so ein Arsch«, sage ich knapp und lege die Bierflasche an meinen Mund, um einen tiefen Zug zu nehmen.

»Nicht wahr?«, fragt er sarkastisch. »Besonders, nachdem ich mitten in der Nacht eurer Schwester zu Hilfe eilte, weil ihr Auto liegengeblieben ist.«

Vor zwei Tagen wollte Cee zu Dylan. Auf dem Weg zu ihm hat ihr alter Toyota den Geist aufgegeben. Gordon betreibt eine Autowerkstatt und hat einen Abschleppdienst, weshalb ich ihn gebeten habe, meiner Schwester zu helfen.

»Das ist dein Job.«

»Natürlich«, meint er mit einem Augenrollen. »Hat sich Cécile schon überlegt, was sie wegen dem Auto machen will?«

»Sie überlegt sich ein Neues zu kaufen. Wir werden morgen bei dir vorbeischauen. Reparieren hat ja keinen Zweck mehr, oder?«

»Nicht wirklich. Ein Gebrauchtwagen wird nicht viel teurer kommen, als wenn ich ihr die Klapperkiste wieder zum Laufen bringen würde. Ich habe da etwas, was ihr gefallen könnte. So wie ich sie kenne, will sie wieder etwas Ähnliches. Diese Krankheit muss sie von dir haben.«

Wie recht Gordon damit hat. Cee und ich teilen die Leidenschaft für alte Autos. Obwohl ... während ihre eher auf den Schrotthaufen gehören, ist mein Baby ein richtiges Schmuckstück. Und wenn meine Freunde und Brüder ehrlich wären, würden sie zugeben, dass sie neidisch auf meinen blauen Chevy Impala aus dem Jahr 1965 sind. Besonders auf die breite Rückbank.

»Wollt ihr auch noch ein Bier?«, fragt Kyle, der dem Barkeeper ein Zeichen gibt.

Gordon und ich nicken gleichzeitig. Ehe Nachschub kommt, leere ich meine Flasche und stelle sie auf die Theke.

»Dad hat am Sonntag wieder ein Rennen. Kommst du auch?«, fragt mich mein Bruder, während er auf die Getränke wartet.

Dad sitzt seit vier Jahren im Rollstuhl. Wir waren mit dem Rennrad unterwegs, als ein verdammter Autofahrer ihn angefahren hat. Ich denke nicht gerne an jenen Morgen zurück. Jedenfalls hat er seit da keine Gefühle mehr in den Beinen. Wenigstens kann er noch den Oberkörper und die Arme bewegen. Wenn er das nicht mehr könnte, dann ... Ich will gar nicht weiterdenken.

Die erste Zeit war besonders schwer. Nicht nur für ihn, auch für den Rest der Familie. Wobei wir uns große Mühe gaben, Dad unseren Schmerz nicht zu deutlich spüren zu lassen. Und die Schuldgefühle.

Dad war immer sehr sportlich. Er brauchte die Radtouren, sowie das morgendliche Jogging, um abzuschalten und Energie zu tanken. Jetzt ist er an den Rollstuhl gefesselt. Aber ich bewundere ihn, wie er heute die Tage meistert. Wie er mit seiner Behinderung umgeht. Mit der Zeit hat er eine Leidenschaft fürs Rollstuhlrennen entwickelt. Er macht sehr häufig an Wettkämpfen mit – und ist nicht mal schlecht. Wenn er so weitermacht, sehe ich ihn bald unter den ersten drei.

Außerdem geht er ab und an mit Cee schwimmen. Und Zuhause hat er einen ganzen Raum mit Sportgeräten, an denen er täglich trainiert. Ich habe ihm schon mehrmals angeboten in mein Fitnesscenter zu kommen, doch das lehnt er partout ab. In meinem Studio laufen ihm scheinbar Männer mit zu vielen Muckis herum. Darüber hinaus würden ihn alle blöd angaffen – meint er. Leider kann ich ihn nicht vom Gegenteil überzeugen.

»Klar. Wo denn?« Wenn es klappt, geht die ganze Familie an Dads Rennen. Wir unterstützen ihn, wo wir können.

»Hab’s vergessen. Ich werde ihn morgen fragen.«

»Dann kannst du ihm auch gleich sagen, dass ich ebenfalls dabei bin.«

»Coben und Chase meinten, sie würden auch kommen.«

»Wird auch Zeit, dass die sich wieder mal blicken lassen.«

»Wem sagst du das. Ich finde, wir sollten sie mal überraschen und nachsehen, was die in New York so treiben. Vor allem bei Coben. Glaubst du wirklich, Cathy ist die Richtige für ihn?«

Ich zucke mit den Schultern. »Das muss er schon selbst herausfinden.«

»Ich denke, die nützt ihn nur aus.«

Wieder zucke ich mit den Schultern. Coben lässt sich nicht reinreden, sobald es um seine Freundin geht. Außerdem kann er selbst auf sich aufpassen. Deshalb wechsle ich das Thema. »Und was ist mit unseren Schwestern, kommen sie auch ans Rennen?«

Ja, wir sind ein schön großer Haufen. Unsere Eltern waren ziemlich produktiv. Vier Jungs, zwei Mädchen. Dazu kommt noch, dass Hannah vierzehn Jahre jünger ist als ich, ein richtiger Spätling. Ich bin stolz auf eine so große Familie, aber ich denke lieber nicht daran, wie es meine Eltern miteinander ... Ich verziehe angewidert das Gesicht.

»Hannah ist auch dabei, Cee konnte ich bis jetzt nicht erreichen. Du kannst sie ja morgen fragen, wenn du mit ihr unterwegs bist. Wäre schön, wenn wir wieder mal vollzählig wären.«

Ich nicke bloß. Cee hat momentan bestimmt ganz andere Sorgen, als Dad bei seinen Wettkämpfen anzufeuern. Trotzdem werde ich sie fragen. Ablenkung von ihrem Ex würde ihr sicherlich guttun.

»Endlich«, meint Kyle, als unsere Getränke kommen. Ich möchte ihm einen Schein hinschieben, doch er winkt lässig ab. »Diese Runde geht auf mich.«

»Danke Bro.« Ich schlage meine Flasche gegen Kyles, dann an Gordons. »Prost.«

»Was ist eigentlich aus deinem Date geworden?«, wende ich mich wieder an meinen Bruder.

Der runzelt die Nase. »Sie hat mich angefangen zu nerven«, klönt er. »Wir waren im Hometown Diner.« Das ist das beliebteste Schnellrestaurant von Little Pearl. Dan, der Koch und Inhaber des Diners ist ein guter Freund unserer Eltern. »Anfangs war es noch amüsant, doch dann hat sie nur noch über ihre Schönheitskuren gefaselt. Schließlich bat ich Leyla, einen Notfall zu inszenieren.«

»Die liebe Leyla«, zwinkert Gordon, »hilft einem immer gerne aus der Patsche. Date doch mal sie.«

Mein Bruder stöhnt. Wir liegen ihm schon lange in den Ohren, dass er mal mit Dans Patentochter ausgehen soll.

Mit einem Schmunzeln um den Mund und meinem neuen Bier drehe ich mich zur Tanzfläche. Die süße Blondine von vorhin ist zwar weg, allerdings tanzt nun an ihrer Stelle eine vollbusige Rothaarige, die eine heiße Show abzieht. Sofort schießen mir Bilder in den Kopf, von ihr und mir und wie sie ihre Tanzeinlagen in ihrem Schlafzimmer ausführt. In meiner Hose regt sich was.

Irgendwann bemerkt sie meinen Blick und erwidert ihn mit einem Lächeln. Nach wenigen Minuten winkt sie mich mit dem Zeigefinger zu sich. Dieses Angebot kann ich nicht ausschlagen, drücke Kyle meine Flasche in die Hand und mache mich auf den Weg, geradewegs in ihre Arme. Kaum bin ich bei ihr, legt sie mir ihre manikürten Hände auf die Schulter.

»Amüsierst du dich?«

Ihre Stimme ist etwas quietschig. Egal, ihr Körper macht es wett.

»Und selbst?«, frage ich zurück, ohne ihr eine Antwort zu liefern.

»Jetzt, auf jeden Fall«, meint sie und fährt sich mit der Zunge unanständig über die Lippen.

Ich verfolge ihre Zunge, das könnte interessant werden. Ich lege meine Hände auf ihren Rücken und bewege mich mit ihr zur wummernden Musik. Dabei streift ihr Busen ständig meinen Oberkörper. Ich senke den Blick von ihrem Gesicht in ihren Ausschnitt. Was sich da nur halbwegs verbirgt, gefällt mir. Ich kann es kaum erwarten, ihr den kleinen Fetzen Stoff auszuziehen. Aber ich muss es langsam angehen – wenigstens ein wenig. Meine Linke wandert zu ihrem Hintern. Sie schnurrt wie eine Katze, als ich zudrücke und schmiegt sich enger an mich. Das ist mein Zeichen. Meine Hände gehen weiter auf Erkundung. Mein Daumen berührt die Unterseite ihrer Brüste.

»Was ist mit deinem Auge passiert?« Sie fährt mir zärtlich über das Veilchen.

»Es gab da eine kleine Meinungsverschiedenheit.« Ihr tische ich sicher nicht die blöde Lüge von der Hantel auf. Ich will mich ja nicht zum Idioten machen.

»Das sieht echt übel aus.«

»Du müsstest mal den anderen sehen«, gebe ich an. Plötzlich regt sich ein schlechtes Gewissen in mir. Aber warum? Dylan hat es verdient. Schnell verdränge ich das miese Gefühl. Lieber konzentriere ich mich auf das kurvige Bunny in meinen Händen.

Sie lächelt und fährt mir mit ihren langen Fingernägeln über die Brust. »Du trainierst viel«, stellt sie fest, dabei gibt sie wieder ihr Schnurren von sich.

»Ein wenig.« Dass ich ein Fitnesscenter betreibe, braucht sie nicht zu wissen. Ich bin bloß auf einen geilen Fick aus.

Ihre Nägel schlüpfen unter mein schwarzes T-Shirt und befühlen meine Bauchmuskeln. »Das fühlt sich gut an«, raunt sie dicht an meinem Ohr.

Ich kneife ihr zur Antwort in ihr Hinterteil. Mit der anderen Hand wandere ich unauffällig nach oben, wobei ich mit dem Zeigefinger einen harten Nippel berühre. Das gefällt meinem Schwanz.

Die Braut in meinen Armen stöhnt, als ich ihr leicht in die Knospe kneife. »Wollen wir uns einen ruhigeren Ort suchen?«, fragt sie mich mit heiserer Stimme.

Ich nehme ihre Hand und führe sie nach draußen zu meinem Chevy. Heute kommt wieder mal die Rückbank zum Zug.

Kapitel 2

Evan

Ich schrecke aus einem traumlosen Schlaf hoch, als der Wecker auf dem Nachttisch losschrillt. Müde reibe ich mir die Augen, dabei berühre ich das linke kaum. Obwohl ich gestern Nacht relativ früh nach Hause kam, nachdem ich einen ziemlich heißen Quickie hatte, fühle ich mich heute irgendwie antriebslos. Ich habe keine Energie. Es fühlt sich an, als fehle mir irgendwas. Nur habe ich beim besten Willen keine Ahnung was.

Ich falle zurück ins Kissen und schnauze mich an, weil ich meiner Schwester versprochen habe, mit ihr auf Autokauf zu gehen. Heute hätte ich ausschlafen und herumhängen können, denn ich muss erst am Nachmittag ins Fitnessstudio. Aber nein, weil ich ein so hilfsbereiter, lieber Bruder bin, muss ich jetzt schon raus aus den Federn.

Bevor ich mich noch länger selbst bemitleide, werfe ich die Decke zurück und gehe in die Küche, um mir ein anständiges Frühstück zu machen.

Na super, der Kaffee ist alle. Und als ich die Kühlschranktür aufmache, fällt mir wieder ein, dass ich unbedingt einkaufen gehen muss. Das kann nachher Cee für mich erledigen. Ich helfe ihr schließlich beim Autokauf, und der braucht bestimmt mehr Zeit, als schnell durch den Supermarkt zu springen.

Ich nehme alles, was der Kühlschrank hergibt und setze mich an den Tisch, röste ein paar Toastscheiben und bestreiche sie mit Butter und belege sie mit Schinken.

Nachdem ich mich satt gegessen habe, ziehe ich mich an und mache mich auf den Weg zu meiner Schwester. Ich parke vor dem Blue House Inn, dem Bed & Breakfast, das unseren Eltern gehört, und das seit Jahren von Cee geführt wird. Kurz nach Dads Unfall, hat sie es übernommen, weil es für Mom zu viel wurde, sich um das B&B und gleichzeitig um Dad zu kümmern. Cee macht es hervorragend, ihr liegt das richtig im Blut.

Meine Brüder und ich waren irre erleichtert, als sie die Aufgaben und Verantwortung des B&B bereitwillig angenommen hat, um Moms Kindheitstraum weiterzuführen.

Das Blue House Inn ist, wie es der Name schon sagt: Blau. Hellblau wie der Himmel. Die Veranda, die um das gesamte Haus führt und die Säulen, die das Dach über der Veranda halten, sind weiß. Ich nehme die Stufe auf die Veranda mit einem großen Schritt und gehe rechts herum auf die Rückseite. Wenn es so schönes Wetter ist wie heute, ist Cee meistens draußen am Wäsche aufhängen.

Hinter dem B&B gibt es eine große Grünfläche. Meine Eltern haben damals an verschiedenen Stellen ein paar Bänke aufgestellt, die zum Verweilen einladen. Am Rand des Grundstücks steht eine Baumgruppe, von wo man jetzt gerade Vögel pfeifen hört. Es ist wie ein kleiner Park.

»Hey Schwesterherz!«, rufe ich, als ich Cécile entdecke, die gerade ein Laken aus dem Wäschekorb hebt, um es an einer Leine aufzuhängen.

Wie vom Blitz getroffen, fährt sie herum, wirft dabei fast den Korb voller Laken um. Sie fasst sich erschrocken ans Herz. »Ich bring dich noch um, ich schwöre!«, faucht sie wütend und zeigt mit dem Finger auf mich. Doch als ich sie in eine herzhafte Umarmung ziehe, vergisst sie gleich wieder, was sie mir gedroht hat.

Cee kann es nicht ausstehen, wenn man sie erschrickt. Aber da ihr schon bei dem leisesten Huh das Herz in die Hose fällt, kann ich einfach nicht widerstehen, ihr ab und zu einen Schrecken einzujagen. Gemein, ich weiß, aber das ist eben echte Geschwisterliebe.

»Ich bin gleich fertig«, meint meine Schwester mit in den Nacken gelegtem Kopf, damit sie mir ins Gesicht sehen kann. Sie ist über einen Kopf kleiner als ich. »Das sieht übel aus. Hast du es gekühlt?« Cee sieht mich mit besorgtem Blick an, der, wie ich mir sicher bin, nicht nur von meinem zugeschwollenen Auge herrührt. Ihre blauen Augen, die sonst immer vor Freude leuchten, wirken heute traurig, fast leblos.

»Ich spüre es kaum mehr.«

»Okay«, sagt sie bloß und dreht sich zum Korb, um weitere Laken aufzuhängen.

Ich könnte eine Bemerkung bringen, wie zum Beispiel, dass es Dylan hundertprozentig mieser geht, doch ich halte mich zurück. Ich glaube nicht, dass ich ihr damit ein besseres Gefühl geben würde. Es tut weh, sie so erschöpft und freudlos zu sehen. Weshalb ich mir überlege, wie ich sie von ihrem Kummer ablenken kann. »Ich hatte was mit Em.«

»Was?! Nein!« Cees blonde Haare, die ihr knapp bis zur Schulter reichen, fliegen mir fast um die Ohren, als sie sich auf mich stürzt. »Sag, dass das nicht dein Ernst ist. Du nimmst mich nur auf die Schippe, stimmt’s?«

Als ich ihren entsetzten Gesichtsausdruck sehe, pruste ich los, dabei zucke ich unschuldig mit den Schultern.

Sie schüttelt lachend den Kopf und widmet sich wieder der Wäsche. »Du bist so ein Dummkopf.«

Ich sage nichts, denn ich habe gerade mein Ziel erreicht: Meine Schwester hat gelächelt. Und wenigstens für einen Moment ihren Kummer vergessen.

Emily ist Cees beste Freundin. Und obwohl sie ein heißer Feger ist, wird zwischen uns nie etwas laufen. Denn sie ist wie eine Schwester für mich. Außerdem ist Em auf etwas Festes aus, wozu ich nicht bereit bin. Ich brauche Abwechslung. Ich will keine Verpflichtungen eingehen. Ich will Spaß, so wie letzte Nacht.

Ich mache keinem Mädchen Hoffnung. Nicht wie Dylan es bei meiner Schwester getan hat, nur um sie dann zu betrügen. Und das noch mit einer guten Freundin von ihr.

Meine Gedanken schweifen in eine Richtung, die ich mir verboten habe. Ich darf nicht mehr darüber nachdenken, warum die Schultern meiner Schwester nach unten hängen, warum ihr Gesicht schon wieder einen betrübten Ausdruck angenommen hat, sonst steige ich in mein Auto und fahre mit überhöhter Geschwindigkeit zu Dylans Werkstatt, um ihn ein weiteres Mal spüren zu lassen, was ich von seinem Betrug halte.

»Drinnen hat es Kaffee, falls du noch keinen gehabt hast.«

»Oh, ja«, stöhne ich fast.

»Deiner ist wohl ausgegangen, hmmm?«, zieht mich Cee auf.

»Du kennst mich eben«, sage ich bloß und mache mich auf den Weg in die Küche.

»Ein Danke wäre auch nicht schlecht gewesen!«, höre ich sie gerade noch rufen, ehe ich ins Haus trete.

Die Küche des B&Bs ist fast so groß, wie mein Wohnzimmer und Küche zusammen. Es gibt eine riesige Arbeitsfläche, auf der auch die topmoderne Kaffeemaschine steht. Die Tasse ist noch nicht ganz voll, da kommt Cee herein.

»Machst du mir bitte auch einen?« Sie geht an mir vorbei in die rechte Ecke, wo Waschmaschine und Wäschetrockner stehen.

»Warum benutzt du eigentlich nicht den Wäschetrockner? Würde viel schneller gehen, als ständig die Wäsche draußen aufzuhängen.«

»Das ist ja mal wieder eine typische Männerfrage.«

»Eine berechtigte«, verteidige ich mich. Ich verstehe nicht viel vom Waschen, außer vielleicht, dass weiße Kleidungsstücke nicht unbedingt mit farbigen gewaschen werden sollten. Und dass man alles in den Trockner stecken kann.

»Sie duftet viel feiner, wenn sie an der frischen Luft trocknet.«

Ich hebe eine Augenbraue und rolle die Augen. »Wenn du meinst.« Ich jedenfalls mache das, was am einfachsten und schnellsten geht. Bevor ich mir die volle Kaffeetasse nehmen kann, schnappt Cee sie mir vor der Nase weg. »He, was soll das?«

»Das ist für das Danke«, sagt sie. Normalerweise würde sie jetzt schmunzeln, doch heute bleibt ihr Mund ein gerader Strich. Sie setzt sich vor ihren Laptop, der aufgeklappt auf dem Tisch steht. »Noch einmal auf den Knopf drücken, wirst du ja wohl schaffen.« Wenigstens schwingt ein wenig Ironie in ihrer Stimme mit. Andernfalls müsste ich mir ein Aufmunterungsprogramm überlegen.

»Du musst mir einen Gefallen tun«, fange ich an, als ich auch endlich einen Kaffee in den Händen halte und mich Cee gegenüber niederlasse.

Meine kleine Schwester zieht skeptisch die Augenbrauen hoch. »Und das wäre?«

»Mein Kühlschrank ist leer.«

Ich brauche gar nichts mehr anzufügen, Cee zieht bereits die richtige Schlussfolgerung. »Und du willst, dass ich für dich einkaufen gehe?«

»Jepp«, sage ich nickend und puste in meinen Kaffee.

»Nur, wenn ich ein Auto gefunden habe.«

Ich winke lässig ab. »Bei deinen Ansprüchen finden wir schnell eins.«

»He, was soll das denn wieder bedeuten?« Sie boxt mich voll gegen die Schulter, wobei ich mir fast Kaffee über die Hand schütte.

»Pass doch auf, oder soll ich mich verbrennen?«

»Sei kein Weichei. Und ich habe sehr wohl Ansprüche.«

»Allerdings. Es muss vier Räder haben. Türen wären von Vorteil, sowie ein Lenkrad. Wenn es geht um die hundert PS. Vielleicht noch ein Radio und Klimaanlage. Und es muss anspringen. Ja, Gordon hat bestimmt etwas Passendes für dich«, sage ich lachend in den Kaffee.

»Nicht jeder braucht ein solch extravagantes Auto, wie du es hast oder ... Dylan.« Sie verschluckt sich fast, als sie seinen Namen sagt und stiert auf die Tischplatte.

Ich glaube, ich habe sie genug gepiesackt, weshalb ich über den Tisch greife und meine Hand auf ihre lege. »Das wird schon wieder.«

»Ich kann nicht glauben, dass mir Pru ... Ich habe ihr nichts getan. Warum musste sie sich ausgerechnet an meinen Freund ranschmeißen? Sie weiß ganz genau, was ich für ihn fühle.« Eine Träne läuft ihr über die Wange, die sie rasch mit dem Handrücken wegwischt. »Sie ist doch meine Freundin. Wie konnte sie nur?«

»Vergiss sie, sie ist eine falsche Schlange.«

»Das sagst du schon lange. Trotzdem wollte ich es nicht glauben.« Eine weitere Träne läuft ihr übers Gesicht. Dieses Mal lässt sie sie fließen. »Wenn ich es wenigstens verstehen könnte.«

»Was dann? Würdest du den beiden verzeihen?«

Cee schüttelt traurig den Kopf. »Nein. Ich liebe Dylan. Ich weiß nicht, wie ich ihn vergessen soll. Und Pru? Wir haben schon so viel miteinander durchgemacht. Aber das was sie mir angetan haben, ist unverzeihlich. So weh es auch tut, die beiden nicht mehr zu meinem Leben zu zählen ... Ich lasse mich nicht zum Narren halten.«

Ich drücke ihre Hand. »Das ist meine Sis«, sage ich und versuche ihr ein Lächeln abzuringen.

Tatsächlich, ihre Mundwinkel zucken ein kleines bisschen.

»Wollen wir uns auf den Weg machen?«

»Je früher, desto besser. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, wenn ich wieder einen eigenen fahrbaren Untersatz habe.«

»Dann mal los.« Ich trinke meinen Kaffee aus und warte an der Hintertür. Als Cécile endlich ihre tausend Sachen in die Tasche gepackt hat, folgt sie mir zum Chevy.

Ich bin noch nicht mal auf der Straße, da macht Cee irgendein komisches Würgegeräusch. Sobald ich in ihre Richtung schaue, weiß ich auch warum. »Igitt, was ist das?«, fragt sie angeekelt. An ihrem Zeigefinger baumelt ein kleiner Slip.

Es ist mir ein wenig peinlich, dass ausgerechnet meine Schwester einen Beweis von letzter Nacht finden musste. Dennoch tue ich so, als wäre es das Normalste auf der Welt, einen gebrauchten Tanga im Fußraum zu haben. »Den hat wohl jemand vergessen.«

Manchmal ist es erschreckend, wie leichtsinnig Frauen sind. Sie wollen lediglich ihren Spaß, genau wie ich. Nur dass sie eine viel größere Gefahr eingehen als wir Männer, wenn sie mit einem Fremden in ein Auto steigen.

Wenn Cee oder Hannah das tun würden, würde ich ihnen den Hals umdrehen.

Statt mir eine Moralpredig zu halten, wirft Cee den Slip nach hinten auf den Boden. Ich atme erleichtert auf, als sie das Thema wechselt. »Hast du schon gehört, dass eine Journalistin einen Bericht über das Blue House Inn geschrieben hat und ihn im Travel and Leisure veröffentlichen wird?«

»Im Ernst?«

Cee lächelt. Es ist das erste richtige Lächeln seit Tagen.

»Wow, das ist ja fantastisch.«

»Finde ich auch. Wenigstens etwas, das in meinem Leben gut läuft.« Ihre Gesichtszüge verdüstern sich sofort wieder.

Aber ich lasse ihr gar keine Zeit, um über Dylan oder Pru nachzudenken, sondern löchere sie darüber aus, wie es dazu gekommen ist, dass in einem der bekanntesten Reiseführer der USA über das Bed & Breakfast berichtet wird.

Wenig später fahren wir vor Gordons Werkstatt, die er von seinem Vater übernommen hat. Sie liegt im Industriegebiet von Little Pearl. Es ist die einzige Autowerkstatt in dieser Gegend, weswegen schon Hans vor Jahren und jetzt auch noch Gordon anbauen mussten.

Das einst kleine weiße Haus mit einem Garagentor, ist mittlerweile einem Gebäude gewichen, das aus drei Toren und einem geräumigen Büroteil besteht. Rechts und links stehen auf geteertem Boden Gebraucht- sowie Neuwagen.

Kaum sind wir ausgestiegen kommt uns Gordon entgegen. »Hey ihr zwei.« Er gibt Cee einen Kuss auf die Wange, dann wendet er sich an mich und wir schlagen uns die Fäuste aneinander. »Krass, sieht dein Auge Scheiße aus. Siehst du damit eigentlich noch was?«, witzelt er und dreht sich zu meiner Schwester. »Hat er dir schon erzählt, wie er das hingekriegt hat?«, fragt er sie, deutet dabei auf mein geschwollenes Auge. Bevor Cee überhaupt etwas sagen kann, plaudert Gordon schon weiter. »Er ist gegen eine Hantel gelaufen. Kannst du dir das vorstellen?« Gordon kullert sich fast bei der Vorstellung, genau wie letzte Nacht. Ich würde ihn am liebsten verkloppen, aber ich habe diese dämliche Ausrede aufgetischt. Jetzt muss ich da auch durch.

Ich schiele zu meiner Schwester, die mir einen ungläubigen Seitenblick zuwirft. Wahrscheinlich ist sie überrascht, weil ich niemandem von Dylans und meinem Zusammentreffen erzählt habe. Es verwundert mich ja selbst.

Cees Mundwinkel zucken leicht. Obwohl die Geschichte über mein blaues Auge eine Lüge ist, so bringt sie der Gedanke, wie ich mit einer Hantel zusammengestoßen sein könnte, doch zum Schmunzeln.

»Okay, wenn ihr genug über mich gelacht habt, hättest du dann mal die Güte und zeigst uns deine Autos?«

»Aber sicher doch«, meint Gordon immer noch grölend. Als er sich endlich beruhigt hat, zeigt er über den Platz zu ein paar Autos. »Ich dachte mir, dass du am ehesten wieder eines haben möchtest wie dein letztes. Da vorne habe ich gleich drei dieser Art.«

Cee und ich folgen ihm, bis er vor ein paar Gebrauchtwagen stehen bleibt.

»Ich habe einen Toyota, einen Honda und einen Ford. Das wären diese hier.« Er deutet auf drei Wagen, die auf den ersten Blick wie Cees alter Toyota aussehen. Als ich kritisch die Augenbrauen zusammenziehe, sagt er an Cee gewandt: »Ich habe auch noch weitere Modelle, falls du an etwas anderem interessiert bist.«

»Nein, die passen mir ganz gut.« Sie läuft an den Autos vorbei und wirft einen ersten Blick ins Wageninnere.

Ich folge ihr. Auch wenn Gordon ein gewissenhafter Autohändler und mich oder meine Familie niemals übers Ohr hauen würde, schaue ich auf sichtbare Schäden.

»Es sind absolute Babys«, höre ich Gordon hinter mir sagen. »Die machen dir in den nächsten Jahren bestimmt keine Probleme.«

»Ich finde alle ganz schnuckelig. Der vielleicht eine Spur mehr.« Cee zeigt auf den weißen Ford.

Wie ich muss auch Gordon ein Lachen unterdrücken. Ein Auto schnuckelig nennen, kann wohl nur eine Frau. »Willst du eine Probefahrt machen?«

Cee sieht mich an. »Hast du Zeit?«

»Sicher. Aber mach doch mit allen eine kurze Fahrt, dann kannst du vergleichen«, schlage ich vor.

»Das hätte ich ebenfalls gleich angeboten. Ich hole schnell die Schlüssel, dann könnt ihr eine Runde drehen.«

Nicht mal eine Stunde später hat sich Cee für den blauen Honda entschieden. Während sie darauf wartet, bis Gordon alle Papiere vorbereitet hat, mache ich mich auf den Weg ins Fitnesscenter. Jedoch nicht, bevor ich meiner Schwester eine Einkaufsliste überreicht habe.

Tyler ist gerade mit einem Kunden an der Klimmstange, als ich das Studio betrete. Eine Kundin ist auf dem Laufband und eine auf dem Hometrainer. Von der rechten Ecke höre ich, wie Gewichte gestemmt werden. Das Fitnesscenter ist nicht sonderlich groß, vielleicht mag meine Kundschaft gerade das. Denn über fehlende Mitgliedschaften kann ich mich nicht beklagen. Das Studio ist in drei Räume unterteilt. Im ersten stehen Geräte, um sich aufzuwärmen. Sowie zwei Klimmstangen und ein paar Matten für zum Beispiel Sit-ups zu machen. Im nächsten sind die Kraftgeräte. Dann gibt es links hinten noch einen Raum, in dem Sophia Bauch-Beine-Po und andere Aerobic Workouts durchführt. Nach der Musik zu urteilen, die durch die geschlossene Tür dringt, sind sich gerade ein paar Mädels am Abschwitzen.

Wie gesagt, nicht riesig, dafür habe ich noch den Hinterhof. Dort habe ich die Möglichkeit den neusten Trend anzubieten: Seilschwingen.

Ich winke Tyler und begrüße die Frauen auf den Aufwärmgeräten, als ich an ihnen vorbei in die Umkleide gehe, um mich umzuziehen. Obwohl ich nur einen Stock weiter oben wohne, habe ich hier die meisten meiner Sportsachen deponiert. Es hat sich einfach so ergeben. Womöglich auch, weil es unter der Dusche ab und an interessant wird.

Ich weiß, man sollte nichts mit Kundinnen anfangen, aber solange beide Seiten wissen, auf was sie sich einlassen, sehe ich das nicht so streng. Nicht wie meine Schwester, die mir deshalb schon mehr als einmal in den Ohren lag.

Als ich meine schwarzen Shorts und ein grünes Tanktop mit dem Schriftzug meines Fitnesscenters übergezogen habe, gehe ich wieder in den Trainingsraum hinaus. Gleich neben dem Eingang gibt es eine Bar, die als Anmeldung dient und an der wir gleichzeitig frische Fruchtsäfte wie auch Powerriegel und solches Zeug anbieten. Ich überlege mir schon seit längerem, ob ich dafür eine neue Hilfskraft einstellen soll. Lorena kann nur noch an drei Tagen die Woche. Die restliche Zeit müssen Tyler und Logan, meine zwei Fitnesstrainer, und Sophia und ich uns darum kümmern.

Bevor ich an die Bar gehe, um mir einen O-Saft zu machen, sage ich den restlichen Kunden noch hallo. Ich kenne praktisch alle mit Namen. Mit dem einen oder anderen führe ich Small Talk.

Ich habe noch nicht mal eine Orange ausgepresst, betritt Lucy das Studio. Eine heiße Schwarzhaarige Mitte dreißig, mit einem gigantischen Vorbau, den sie heute in einen rosa Sport-BH gequetscht hat. Mit ihr habe ich die nächste Trainingsstunde. Seit einem halben Jahr bin ich jetzt ihr Personaltrainer. Zwar finde ich, dass sie die Übungen auch gut ohne mich machen könnte, doch sie besteht darauf – besonders auf die Lauftrainings im nahegelegenen Wald, die ich auf Wunsch anbiete. Soll mir recht sein, gibt extra Kohle – und Spaß für meinen Schwanz.

»Hey Süßer. Machst du mir auch einen?«, fragt sie mich mit zuckersüßer Stimme und setzt sich auf einen der Barhocker.

»Klar.« Also presse ich noch weitere Orangen aus. Dabei entgeht mir nicht, wie sie meinen Bizeps anstarrt.

»He, was ist denn da passiert?« Sie zeigt auf mein demoliertes Auge. Da ich keine Lust habe, ihr eine Erklärung abzuliefern, zucke ich bloß mit den Schultern. Wie ich sie eingeschätzt habe, genügt ihr das als Antwort. »Und, hast du dir schon überlegt, wie du mich heute foltern wirst?« Mein Blick schnellt hoch. Lucy beobachtet mich mit einem lasziven Lächeln.

Ich versuche nicht zu stark auf ihren Flirt zu reagieren und darauf zu achten, wie ihre Zunge immer wieder über ihre Lippen fährt. Es hat mir zu viele Leute im Studio. Und ich will ja professionell rüberkommen, nicht wie ein notgeiler Hengst.

»Zuerst kannst du dich entweder auf dem Laufband oder dem Hometrainer aufwärmen. Danach gehen wir an den Butterfly.« Ich schiebe ihr ein Glas Saft über die Bar. »Hier, du kannst ihn ja mitnehmen.«

»Okay«, sagt sie lächelnd, zieht am Strohhalm, der im Glas steckt, ehe sie vom Stuhl hopst. »Bis gleich.«

»Bis gleich.«

Tyler stellt sich zu mir hinter die Bar. Wie immer stehen auch heute seine schwarzen Haare wie ein Igel vom Kopf ab. »Brauchst du mich noch?«, möchte er wissen und holt sich eine Dose Isostar aus dem Kühlschrank, während ich die Reste der ausgepressten Orangen in den Müll werfe.

»Nein, ich komme schon alleine zurecht.«

»Sicher?« Er schielt zu Lucy, die sich aufs Laufband gestellt hat.

Er weiß, dass hie und da etwas zwischen uns läuft, doch sollte er auch wissen, dass für mich das Studio und die Arbeit an erster Stelle stehen. Statt ihm eine Antwort zu liefern, frage ich ihn nach seiner Schicht. »Gab es irgendwelche Vorfälle?«

Tyler schüttelt den Kopf, er ist etwas größer als ich. »Es war ziemlich ...« Plötzlich leuchten seine grünen Augen. »Scheiße, was hast du denn gemacht? Gegen eine Faust gelaufen? Vielleicht gegen eine vom Lover von deiner momentan Auserwählten?«

Ich atme genervt aus. Ich habe es satt, dauernd blöd angemacht zu werden, auch wenn ich wusste, dass es so kommen würde. »Wenn du nochmals so einen Spruch fahren lässt, bekommst du auch gleich eine geklatscht. Na, noch Fragen? Und hör auf so bescheuert zu grinsen.«

Tyler hebt beschwichtigend die Hände, kann aber nicht aufhören eine amüsierte Fresse zu ziehen. »Zurück zu deiner Frage. Es war alles ruhig. Wahrscheinlich wirst du gegen Abend ein volles Studio haben, wenn es draußen nicht mehr so heiß und die Sonne untergegangen ist.« Er nimmt einen Schluck von seinem Isostar. »Dann bin ich mal weg, okay?«

»Alles klar.«

Er ist bereits auf der anderen Seite der Bar, als er sich nochmals umdreht. »Ehe ich’s vergesse, ich habe meine nächste Schicht mit Logan getauscht. Ich habe ganz vergessen, dass meine Nichte morgen Geburtstag hat. Sie wäre enttäuscht, wenn ich nicht käme.«

»Kein Problem. Dann also bis nächste Woche.«

Er holt seine Tasche aus der Umkleide und hebt die Hand zum Gruß, als er an mir vorbeigeht. In diesem Moment geht die Tür zum Aerobic-Raum auf. Sophia tritt heraus. Sie hat ein Tuch um den Hals, mit dem sie sich den Schweiß von der Stirn wischt. Ihr blonder Pferdeschwanz wippt hin und her, als sie auf mich zukommt.

Sie fixiert mich mit ihren blauen Augen. »Hey Boss, auch schon da?«

»Nicht frech werden, Kleine.« Wir kennen uns seit dem College. Wir haben beide Sport studiert und uns auf Anhieb verstanden. Als ich plante, ein eigenes Fitnessstudio zu eröffnen, war sie die erste, die ich anrief, um ihr einen Job anzubieten.

»Was ist denn das?« Sie bleibt vor mir stehen und schaut auf mein geschwollenes Auge.

Ehe sie etwas sagen oder fragen kann, hebe ich einen Zeigefinger und lege ihn ihr auf den Mund. »Du nicht auch noch, bitte«, seufze ich.

Sie zuckt bloß mit der Schulter und schnappt sich einen Powerriegel. »Früher oder später werde ich es sowieso erfahren. Ist Tyler schon weg?«

»Ja, der ist eben raus. Wieso?«

»Ach, nur so«, meint sie mit einem selbstzufriedenen Lächeln und beißt von ihrem Riegel ab. »Ich werde mich dann für meinen nächsten Workout fertig machen.«

Gerade als ich sie zurückhalten und fragen will, was los ist, macht sich Lucy auf sich aufmerksam. Sie kann es nicht ausstehen, wenn sie warten muss - auch wenn es nur fünf Minuten sind. Und da ich meine Kundin nicht wütend machen will, sehe ich zu, dass Lucy ihr persönliches Training bekommt.

Kapitel 3

Avery

Ich laufe durch das Blue House Inn, bin auf der Suche nach der Inhaberin, Chefin, Angestellte. Keine Ahnung, was sie genau ist. Schlussendlich ist das auch egal. Aber womöglich habe ich Glück und sie kann mir weiterhelfen.

Wenn mich nicht alles täuscht, heißt sie Cécile. Ich war wohl in Gedanken, als sie sich mir gestern beim Check-in vorgestellt hat. Ich schätze sie etwas älter als mich. Drei, vier Jahre vielleicht.

Ich habe heute schon einmal versucht, mit – ich bleibe jetzt mal bei Namen Cécile – ihr zu reden, doch da kam gerade ein Typ zu ihr, und ich wollte sie nicht stören. Schließlich habe ich es nicht eilig. Zumindest nicht ganz so eilig.

Im Haus ist es ziemlich still, nehme mal an, dass die anderen Gäste unterwegs sind. Ich habe mich gestern ein bisschen im kleinen Little Pearl umgesehen. Es gefällt mir hier, die Leute, die Atmosphäre, das Kleinstadtleben, weshalb ich mich für den nächsten Schritt entschieden habe.

Ich komme an einem Spiegel vorbei. Aus Gewohnheit werfe ich einen Blick hinein. Ich bin gespenstisch blass. Das war nicht immer so, und liegt daran, dass ich mich mehr in den Häusern verkrieche, statt nach draußen zu gehen, um die Natur zu genießen, wie ich es früher getan habe.

Weil ich Cécile nirgends finden kann, gehe ich nach draußen, und laufe über die weiße Veranda ums Haus herum. Gerade als ich um die Ecke biege, zucke ich zusammen.

»Oh, habe ich sie erschreckt?« Ein Mann mit Glatze und einem weißen Rund-um-den-Mund-Bart steht urplötzlich vor mir. Nach seiner Kleidung und der Rosenschere in seiner Hand zu urteilen, muss er der Gärtner sein.

»Nein«, sage ich, obwohl ich fast zusammengeklappt wäre. Aber das braucht er nicht zu wissen. »Wissen Sie vielleicht, wo ich Miss ...«

Als ich den Satz nicht zu Ende führe, kommt mir der Gärtner zu Hilfe. »Wo Sie Cécile finden können?« Ich nicke und er lächelt mich an. Sein liebenswürdiges Lächeln sorgt dafür, dass meine Beine nicht mehr ganz so heftig zittern. »Sie nimmt gerade die Wäsche ab.« Er zeigt mit dem Daumen über seine Schulter. Als ich seinem Finger folge, sehe ich Cécile, wie sie soeben ein Laken zusammenlegt.

»Vielen Dank.«

»Nichts zu danken. Ich bin übrigens Mr. Moore, der Gärtner.« Er zwinkert mir zu. »Das hätten Sie nie erraten, stimmt’s?«

Ich schmunzle. »Nein, wahrscheinlich nicht.«

Er bückt sich und hebt einen Handschuh auf, der ihm runtergefallen sein muss. »Dann werde ich mal weiter meiner Arbeit nachgehen und Sie nicht länger aufhalten. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Aufenthalt in Little Pearl.«

»Danke, werde ich haben.«

Mr. Moore schenkt mir noch einmal sein angenehmes Lächeln und verschwindet in die Richtung, aus der eben ich gekommen bin.

Cécile kämpft mit einem Laken, als ich bei ihr bin. »Kann ich dir helfen?« Erschrocken dreht sie sich um, ihre Augen weit aufgerissen. »Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die so schreckhaft ist«, sage ich entschuldigend.

»Ah, hallo Avery. Macht nichts, ich habe dich nur nicht kommen hören.« Cécile lächelt, es wirkt jedoch ziemlich gezwungen. Sie scheint traurig zu sein.

»Komm, gib mir einen Zipfel.« Ich strecke die Hände nach dem Laken aus. Doch ehe ich es in die Finger bekomme, zieht Cécile es schockiert weg.

»Kommt gar nicht infrage, du bist mein Gast«, sagt sie entsetzt.

»Ach was, das ist doch keine große Sache. Ich habe im Moment sowieso nichts Besseres vor. Außerdem wollte ich mit dir reden. Hast du Zeit?«

»Natürlich habe ich Zeit. Wie kann ich dir helfen?«

»Indem du mir das Laken reichst.«

Wieder taucht bloß ein vages Schmunzeln auf ihrem Gesicht auf. Doch dieses ist nicht mehr ganz so angespannt wie das vorherige. »Na gut.« Schon habe ich ein Laken zwischen den Fingern. »Wie gefällt es dir bisher hier?«

»Ganz gut, ist eine schöne Kleinstadt. Die Leute sind freundlich und zuvorkommend. Und ich habe den besten Burger aller Zeiten gegessen.«

»Im Hometown Diner?«, fragt sie mich.

»Ja, es ist wirklich lecker da. Danke für den Tipp.«

»Keine Ursache. Der Koch ist übrigens ein guter Freund meiner Eltern. Hast du Leyla kennengelernt?«

»Die Bedienung mit braunem, schulterlangem Haar?«

Cécile nickt und nimmt ein zweites Laken von der Leine. Daraufhin reicht sie mir wieder zwei Zipfel. »Sie ist die Adoptivtochter von Dan, dem Koch.«

Ich lache. »Hier kennt wohl jeder jeden. Das gefällt mir.«

»Leider bringt das auch jede Menge Tratsch mit sich und ...« Sie winkt schnell ab und setzt wieder ihr gekünsteltes Lächeln auf.

Ich würde sie gerne nach ihrem Kummer fragen, denn es ist ganz offensichtlich, dass sie etwas plagt. Aber wir kennen uns kaum. Obendrein ist sie meine Gastgeberin. Ganz bestimmt will sie nicht ihre Probleme einer ihrer Kundinnen anvertrauen. Wahrscheinlich ebenso wenig wie ich ihr meine Schwierigkeiten verraten will.

»Warum bist du überhaupt hier? Solltest du nicht Museen besuchen? Souvenirs kaufen? Die Gegend erkunden? An den Strand gehen oder etwas in der Art?«

Ich grinse. Wir wenden uns dem nächsten Laken zu. »Ich bin nicht so der Museums-Typ. Souvenirs verstauben bloß. Aber an den Strand werde ich auf jeden Fall noch gehen.« Mir rutscht fast der Stoff aus der Hand, als ich mich endlich dazu durchringe, ihr die Frage zu stellen, die mir schon längst auf der Zunge brennt. Ich werde etwas nervös. »Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du jemanden wüsstest, der einen Job für eine Zweiundzwanzigjährige ohne Ausbildung hat?«

Erst sieht sie mich verwirrt an, dann fragt sie mich freundlich: »Wäre es für die Saison, für ein paar Wochen oder hast du vor, in Little Pearl zu bleiben?«

Ich zucke gleichgültig mit den Schultern. Ich hoffe, es wirkt gleichgültig. »Ich dachte daran, hier sesshaft zu werden. Mir gefällt es in dieser Gegend und ich glaube, es könnte mir an diesem Ort durchaus gefallen.«

»Okay. Was schwebt dir denn so vor?«

»Ich bin nicht sehr wählerisch.« Mit abgebrochenem Studium kann ich das auch schlecht sein.

»Hmm, lass mich überlegen.« Sie legt das Laken zu den anderen gefalteten in den Wäschekorb. Als sie ihre Hände frei hat, klopft sie mit einem Zeigefinger an die Lippen, ehe sie am letzten Betttuch zieht, das noch an der Leine hängt.

Mir klopft das Herz bis zum Hals, während ich auf ihre Antwort warte, für die sie sich meiner Meinung nach viel zu viel Zeit lässt. Irgendwie hoffe ich, sie würde nein sagen und ich könnte weiterziehen. Andererseits, was bringt es mir, wenn ich weiterhin flüchte? Diese Frage hat mir mein Therapeut auch gestellt. Auch da hatte ich keine Antwort darauf.

Ich weiß, ich kann durch die ganze Welt ziehen, ich werde mich nirgendwo wohl fühlen, wenn ich nicht vergessen kann. Es wird also an der Zeit, mich irgendwo niederzulassen. Natürlich wäre es meinen Eltern und meiner Schwester Lea lieber, wenn ich in ihrer Nähe wäre. Aber dort wo ich aufgewachsen bin, erinnert mich zu viel an Andrew, und an das, was passiert ist. Und in all den Orten, durch die ich schon gereist bin, habe ich mich noch nirgends so gut aufgehoben gefühlt, wie in Little Pearl. Das muss ein Zeichen sein.

»Da gäbe es vielleicht jemanden«, meint Cécile und reicht mir einen Teil des Lakens. »Kennst du das Fit for Fun?«

Ich schüttle den Kopf. »Nein, was ist das?«

»Ein Fitnessstudio. Es liegt an der Main Street, ist sehr beliebt. Du musst eigentlich daran vorbeigekommen sein, als du ins Hometown Diner gegangen bist. Das Gebäude ist in viktorianischem Baustil gehalten und die Fassade aus rotem Backstein.«

»Okaaay«, sage ich gedehnt. In meinem Gedächtnis haben alle Häuser an der Hauptstraße rote Backsteinfassaden.

Scheinbar kann Cécile meine Gedanken lesen, denn sie lacht plötzlich und klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn, wobei ihr das Laken aus den Händen fällt. »Mann, wie kann ich nur so blöd sein?«, sagt sie mehr zu sich selbst, als zu mir. »Doofe Beschreibung, nicht?«

Darf ich eine freche Bemerkung machen? Lieber nicht, schließlich bin ich auf meinen Schlafplatz angewiesen. Zwar bin ich mir ziemlich sicher, dass Cécile nach dem Prinzip handelt: Der Kunde ist König. Trotzdem erlaube ich mir nicht, sie zu beleidigen, egal, ob es nur Spaß wäre.

»Ich werde es dir auf dem Stadtplan zeigen, falls du interessiert bist.«

»Weißt du denn, um was für einen Job es sich dabei handeln würde?«

»So viel mir ist, wärst du hauptsächlich hinter der Bar. Getränke machen und Anmeldungen annehmen, oder so.«

»Das müsste ich hinkriegen«, sage ich im Scherz.

»Dann lass mich dir zeigen, wie du hinkommst.« Wir falten das letzte Laken zusammen, danach hebt Cécile den vollen Wäschekorb hoch und ich folge ihr durch die Hintertür in die Küche. »Danke für deine Hilfe«, meint sie, als sie den Korb auf dem Tisch abstellt.

»Gern geschehen.«

»Warte kurz hier. Wenn du willst, kannst du dir einen Kaffee machen.« Sie deutet auf die Kaffeemaschine rechts von mir, schon ist sie verschwunden.

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Ich nehme eine der Tassen, die neben der Maschine aufgereiht dastehen und drücke auf einen der Knöpfe. Für Cécile lasse ich auch gleich einen raus. Irgendwas fällt auf der anderen Seite der Tür zu Boden. Dann höre ich Cécile leise eine Agenda oder so etwas zusammenstauchen. Ich grinse vor mich hin. Fluchen kann sie. Bald darauf kommt sie mit einem Stadtplan zurück. Weil auf dem Tisch kein Platz mehr ist, breitet sie die Karte auf der Arbeitsfläche aus, direkt neben der Kaffeemaschine.

Bevor sie sich über den Plan beugen kann, reiche ich ihr eine Tasse. »Ich habe dir auch gleich einen Kaffee gemacht. Du siehst so aus, als könntest du ebenfalls einen vertragen.«