Liturgie der Taumelnden - Olaf Euler - E-Book

Liturgie der Taumelnden E-Book

Olaf Euler

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Beschreibung

Eine frisch gewählte Präsidentin sinniert am Sternenhimmel über die Bedeutung der menschlichen Existenz. Ein achtsamer Uhrmacher versucht ganz im Augenblick zu verharren. Eine junge Aktivistin trifft während einer Kundgebung auf ihren friedensbewegten Onkel. In 18 Kurzgeschichten stoßen verschiedene Personen auf existentielle Lebensfragen und werden anschließend in einem Lied darin abgeholt. Daraus entsteht eine Liturgie der Taumelnden: Ein Ringen um Worte für die Orientierungslosigkeit im Hadern mit dem Unheil der Welt sowie dem berauschten Erhaschen eines glücklichen Augenblicks. Willkommen auf einer Pilgerreise durch die Schluchten des Herzens!

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mea divina

Inhalt

Vorwort

Prolog: Der Mann am Meer

Ein Rausch

Olaf

Komm Herz Leb

Ben & Nici

Déjà-vu

Sarah

Kreislauf des Lebens

Tim & Tom

Zwischen Heimat und Aufbruch

Friedhelm

Freifalllauf

Hanna

Von den Schreien und den Tränen

Torben

Straucheln

Ein Unglaubensbekenntnis

Robin

Senfkorn

Monolog über die Liebe

Summendes Herz

Katharina

Schrei nach Liebe

Lara, Leon & Wolf

Darfst Du?!

Sofia

Zweiseelenherz

Josh

Metanoia

Freya

Geschenk

Paul

Inspiration

Olivia

Komm Herz Leb Revue

Epilog: Zurück aufs Meer

Auf der Suche

Ausklang

Vorwort

Der Anblick des Sternenhimmels in einer klaren Nacht fasziniert mich schon immer. Ich weiß nicht, ob es die Dunkelheit oder das Leuchten der Sterne ist. Vielleicht sind es auch beide Eindrücke in ihrer Gleichzeitigkeit, die meinen Blick nach oben fesseln. Dieses Bild ist daher sehr passend für meinen spirituellen Weg in der Betrachtung des Facettenreichtums des Lebens. Da sind einmal die berauschenden Augenblicke des Glücks, die sich mir im Alltag immer wieder ereignen. Andererseits hadere ich häufig mit dem Unheil in dieser Welt, sehe mich mit einer Gottverlassenheit konfrontiert und ringe um Orientierung. Für mich ist dieser Weg wie ein Taumeln, ein zaghaftes Tasten durch die Nacht.

Mit der vorliegenden Sammlung an Kurzgeschichten und Liedtexten habe ich meinem Hadern und Staunen Worte und meiner Verzweiflung und Zuversicht einen Rahmen gegeben. Diese Liturgie soll zum Weiterdenken und Mitfühlen anregen. Aufgrund meiner Biografie geschieht dies in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben, den ich manchmal als destruktiv, oft aber auch als bereichernd erlebt habe. Mein Anliegen ist es dabei, mich auch Menschen mit anderen Weltanschauungen verständlich zu machen und sie für ihren Weg zu inspirieren. Dies geschieht aus einer Haltung heraus, welche die Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer Biografien, Überzeugungen und Lebensvollzüge in einer pluralistischen Gesellschaft wertschätzend anerkennt, ohne die Eigenart meiner Sicht auf das Leben zu leugnen.

Diese Liturgie besteht aus drei sich wiederholenden Elementen.

Sie beginnt jeweils mit einer Kurzgeschichte, die meistens mit einem Namen betitelt ist. Hier stoßen die Figuren in meist banalen Alltagssituationen auf Lebensfragen, worin sie anschließend in einem Lied abgeholt werden. Der Liedtext ist hier abgedruckt, das Stück kann aber auch parallel angehört werden. Es ist als LoFi-Aufnahme über folgende drei Kanäle abrufbar: Einmal auf meiner Soundcloud-Seite, der jeweilige QR-Code führt direkt dahin. Alternativ habe ich sie bei den gängigen Musikanbietern unter gleichnamigen Titel platziert oder sende auch gerne einen Link zum Download zu. Der Kontakt sowie der Link zu meiner Internetseite stehen im Impressum. Das dritte Element der Liturgie findet losgelöst von den Seiten dieses Buches statt: Es ist deine eigene Auseinandersetzung mit den Impulsen oder deren weitere kreative Verarbeitung, die ich bewusst nicht weiter anleiten will. Dabei wäre es mir eine große Freude, wenn Du das Bedürfnis sowie die nötige Zeit und den Mut hast, mich daran anteilnehmen zu lassen. Als ein Beispiel für eine solche kreative Auseinandersetzung habe ich ein Unglaubensbekenntnis mit aufgenommen, da es auch gut in den Themenkomplex passt.

Diese Liturgie der Taumelnden ist sicherlich nicht vollständig, sondern spiegelt einen Bruchteil meiner Erfahrungen der letzten 15 Jahre wider. Sie ist daher sehr persönlich und ich möchte sie in den kommenden Jahren ergänzen und weiterentwickeln. Auch da bin ich für Ideen und Anregungen dankbar.

Zu Beginn kannst Du dir gerne die Eingangsmelodie anhören:

Willkommen auf meiner Pilgerreise durch die Schluchten des Herzens!

Prolog: Der Mann am Meer

„Hallo. Hier bin ich. Da seid ihr ja endlich!“

Ich bin ein Mann am Meer. Oder besser: ich fühle mich so.

Stehe mit beiden Füßen fest im Sand und blicke auf das Wasser. Die gebrochenen Wellen schmiegen sich um meine Beine und ziehen sich anschließend wieder zurück. Diese Bewegung gleicht einem Tanz und so tanzt auch alles in mir.

„Hallo. Hier bin ich. Da seid ihr ja endlich!“

Ich könnte meinen Atem an der Bewegung der Wogen anzupassen versuchen, um meinen Puls runterzubekommen. Kleine Achtsamkeitsübung, die ich mir mal überlegt habe: Die Wellen schlagen ans Ufer und ich atme aus. Das Wasser zieht sich zurück in den Ozean und ich atme ein… Einen so langen Atem habe ich aber nicht, den hatte ich auch bei der größten Langeweile nie. Ist aber eine nette Idee und der Versuch hat einige Male für Ablenkung gesorgt.

Nun gut, so ist das halt als Mann am Meer. Da ist ständig was in Bewegung und da muss man dann einfach mitgehen. Den Strand auf und ab schlendern und dem Treiben der Fluten zusehen. Oder auch zuhören. Dem gleichbleibenden Rauschen, dem monotonen Singsang der Wogen, das sich dann doch von Zeit zu Zeit ändert und eine Variation – eine Sinfonie des Ozeans – demjenigen vorspielt, der sich die Zeit zum Lauschen nimmt. Oder besser: dem das Lauschen beschert worden ist.

„Hallo. Hier bin ich. Da seid ihr ja endlich!“

Nun gut, jetzt brechen andere Zeiten an, für mich, Mann am Meer. Und auch für euch, also wenn ihr wollt, herzliche Einladung! Ihr seid ja schließlich Gäste meiner kleinen Insel des Irrsinns mitten im Ozean des Alltags. Ich habe da einiges vorbereitet, genug Zeit hatte ich ja. Schaut dort: Tim & Tom, Hanna, Freya und wie sie alle heißen. Da steht ja auch meine Gitarre und hier, sssim, meine Mundharmonika, die kann ich mittlerweile sogar ganz passabel spielen. Ich weiß, deswegen seid ihr nicht hier, aber ich freue mich so…

Wisst ihr, während all der Zeit des Nichtstuns oder besser, des Wartens, denn Nichts getan habe ich ja eben nicht. Ich habe ja vieles getan neben dem Atmen und Lauschen. Zum Beispiel die ein oder andere Flasche geleert, ein paar Briefchen geschrieben, meine Post ins Wasser geworfen und ein paar Mal habe ich sogar den Himmel zum Leuchten gebracht. Und dann habe ich gewartet und es hat sich nichts getan. Und während des Wartens stand ich da und habe mir vorgestellt, wie es wäre, wenn sich dann mal was tut. Ein Rauschen, das die Monotonie durchbricht, sich staccato-gleich auftürmt und immer lauter wird. Und jetzt seid ihr ja endlich da, um mich Verschollenen von dieser Insel zu holen!

Und ich bin ja auch da, Mann am Meer, ausgelassen und völlig aus der Rolle. Alles tanzt in mir und ich freue mich so…

Fühl mich wie ein Künstler, der nach langer Pause sein Werk einem Publikum vortragen kann. Oder wie ein Fußballteam, das als Underdog antritt und den Titel holt. Oder wie eine schrullige Großfamilie aus einer anderen Zeit, die im Wartesaal der Geburtsklinik sitzt und nach einer durchwachten Nacht endlich hört, dass die Kleine geboren ist und sowohl sie als auch die Mutter wohlauf sind. Oder wie ein verlassener, sich selbst bemitleidender Hund, der - nachdem er den Liebeskummer ertrunken und von seinem Kumpel ein anständiges „Jetzt halt mal endlich die Fresse!“ gehört hat - plötzlich wieder Schmetterlinge im Bauch empfinden kann.

Das Adrenalin flutet in Wellen den Körper. Das Herz hämmert in der Brust, ohne dass man was dazutut. Das Sausen und Brausen verdichtet sich in einem Augenblick, der mühelos und ungeteilt die gesamte Aufmerksamkeit einfängt und in einem Sprühen und Blühen wieder freigibt. Ein Rausch

Ein Rausch

Wir kannten Tage voller Bangen

Voller nichtsnutziger Wartezeit

Bis jemand kam und endlich rief: Es ist so weit

Der Schrecken ist vorbei, die Gedanken wieder frei

Und als die Last von unseren Schultern fiel

Dröhnte ein Freudenschrei

Auf! Auf! Ein Sausen! Ein Brausen! Ein Rausch

Auf! Auf! Ein Blühen! Ein Sprühen! Ein Rausch

Auf! Auf! Das ist unser Leben

Kostet dieses Leben in solchen Augenblicken aus

Auf! Auf! Das ist unser Leben

Saugt dieses Leben mit euren Atemzügen auf

Ich kannte Nächte voller Schwermut

Voller Selbstzweifel und feiger Apathie

Bis jemand kam und mich zurück ins Leben schrie

Scheitern birgt Fantasie, Aufbruch weckt Energie

Und als die Last von meinen Schultern fiel

Ergriff mich die Euphorie

Auf! Auf! Ein Sausen! Ein Brausen! Ein Rausch

Auf! Auf! Ein Blühen! Ein Sprühen! Ein Rausch

Auf! Auf! Das ist unser Leben

Kostet dieses Leben in solchen Augenblicken aus

Auf! Auf! Das ist unser Leben

Saugt dieses Leben mit euren Atemzügen auf

Olaf

Olaf öffnet seine Augen und hebt seinen Blick, der von den Füßen aufwärts seinen Körper hoch wandert. Er streckt seine Arme von sich und taxiert beide Handflächen. Er ist erwacht und befindet sich auf einem Weg, wie er soeben feststellt. Es ist neblig und er weiß nicht, was er hier soll und auch nicht, wie er hierhergekommen ist. Der Weg scheint ihm zwar vertraut und altbekannt, strahlt aber doch etwas Unberechenbares und Geheimnisvolles aus.

Eine Begleitmusik ertönt, als es in ihm zu pochen beginnt und sein Körper mit Leben durchflutet wird.

DI DÜDA düda DI DÜDA düda DI DÜDA düda

Level 1: Der Dschungel der Gefühle

Komm!

Schreit es tief in seiner Brust und er folgt begeistert dieser Stimme.

Sie führt ihn auf einen unebenen Trampelpfad durch das grüne Dickicht eines Urwaldes. Er tappt voran, hüpft über einige Baumstämme, duckt sich durch dichtes Gestrüpp und stößt dabei immer wieder auf unzählige Kreuzungen.

Wohin führt sein Weg?

Er spürt mal ein Ziehen nach rechts, mal ein Drängen nach links, mal ein Beharren im Geradeaus. Er läuft weiter drauf los, schwingt sich mit einer Liane über eine tiefe Schlucht, überquert Tümpel und erforscht Höhlen, es zieht ihn voran und wieder zurück, er stößt auf dieselben Kreuzungen und läuft Schleifen durch einen Irrgarten.

Bis er sein Spüren hinterfragt und einen ersten Schritt wagt entgegen seinem Fühlen:

Willkommen im Labyrinth des Lebens!

DI DÜDA düda DI DÜDA düda DI DÜDA düda

Level 2: Die Steppe der Gedanken

Das Panorama wechselt. Olaf erblickt kilometerweit nur Wüstensand, lediglich mit einigen Büschen und Kakteen gesäumt und einem zaghaft angedeuteten Pfad vor seinen Füßen.

„Die Gedanken sind frei!“ denkt er und überwindet so die Trugschlüsse einstiger Desorientierung, marschiert kühn drauf los und stößt auch hier auf unzählige, im Wüstensand angedeutete Kreuzungen.

Wohin führt sein Weg?

Er reflektiert alte Gewissheiten, analysiert möglichst präzise seine Ausgangssituation, konfrontiert sich mit aufkommenden Erklärungsmustern. Er wagt wohlbedacht den nächsten Schritt, kehrt nach einigen Metern aber wieder um, ihn dürstet und er nimmt einen Schluck aus einer aufgelesenen Feldflasche. „Ich denke, also bin ich!“ denkt er und so ist er zurückgeworfen auf sich selbst und zieht gestärkt durch den Trank weiter voran, läuft Schleifen durch einen Irrgarten.

Bis er sein Grübeln hinterfragt und einen ersten Schritt wagt entgegen seinem Denken:

Willkommen im Labyrinth des Lebens!

DI DÜDA düda DI DÜDA düda DI DÜDA düda

Level 3: Der urbane Markt der Möglichkeiten

Das Panorama wechselt erneut: Olaf befindet sich in der Fußgängerzone einer belebten Großstadt. Von überall her dröhnen Getuschel, Melodien und Marktschreie. Das Getümmel zieht ihn in mehrere Richtungen. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“ Und er will so vieles auf seinem Weg durch das urbane Treiben mit unzähligen Kreuzungen.

Wohin führt sein Weg?

„Tu Gutes!“ Und da gibt’s viel für ihn zu tun. Er trägt einer alten Dame die Einkäufe zu ihrem Taxi, teilt mit einem Bettler seine letzten Zigaretten, kauft eine dieser sonderbaren Wohnungslosenzeitungen und bastelt nach ausführlicher Lektüre damit Papierflieger für eine Kinderschar. „Tu Muße!“ Und er kostet mit einer Schale gebackener Maronen die Schönheit des Augenblicks, wärmt sich an den Sonnenstrahlen eines klaren Wintertages und erträgt dabei das Pochen der Stille. Denn die Zeit läuft weiter und holt ihn zurück, er läuft Schleifen durch einen Irrgarten.

Bis er sein Getriebensein hinterfragt und einen ersten Schritt wagt entgegen seinem Wollen:

Willkommen im Labyrinth des Lebens!

Komm Herz Leb

Komm

Komplett falscher Weg

Weggegangen ist was gefühlt

Gefühle tragen nicht - nicht mehr

Nimm sie als Leuchten wahr am Wegesrand

Fragst Du dich auch nach dem Sinn

Und sinnst nach über das Wohin

Um die Frage zu hören

Oder vielmehr die Antwort

Auch dazuzugehören

Ein fester Standort

Herz

Herzlich wenig bleibt

Wie es selbstverständlich war

Wahrheit trägt doch nicht - nicht mehr

Jonglier mit An-, Auf-, Ab-, Leer- und Verstand

Fragst Du dich auch nach dem Sinn

Und sinnst nach über das Wohin