Lore-Roman 78 - Ruth von Warden - E-Book

Lore-Roman 78 E-Book

Ruth von Warden

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Beschreibung

Das Schicksal hat für die zierliche Marianne Bloch nur ein bescheidenes Heim gewählt. Gemeinsam mit ihrem Vater und der Tante lebt sie am Rand der Stadt. Die kleine Kate ist halb verfallen, und der Putz bröckelt ab.
Die kleine Marianne besitzt nichts weiter als ihre bezaubernde Schönheit, und dessen ist sie sich nicht einmal bewusst. Kaum eine freie Minute hat das arme Mädchen, denn die Tante führt den Haushalt mit strenger Hand und hält Marianne zur stetigen Arbeit an.
Doch die wünscht sich nichts sehnlicher, als wieder mal zu einem Fest zu gehen und zu tanzen. Sie hofft, dort auf Karl Rehmann zu treffen - ihre heimliche Liebe, ihr Idol. Was die Leute Schlechtes über ihn reden, das glaubt sie nicht. Sie weiß nur, dass sie ihn sofort heiraten würde. Dass Karl sich aber mit einer "armen Kirchenmaus" keineswegs belasten will, ahnt sie nicht.
Mariannes Leben soll sich schlagartig ändern, als sie eine große Erbschaft macht. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht, dass Marianne Bloch nun ein reiches Mädchen ist. Und plötzlich geht Karl bei ihr ein und aus ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Liebst du mich, auch wenn ich arm bin?

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Olena Serzhanova / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9697-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Liebst du mich, auch wenn ich arm bin?

Ergreifender Roman um das Schicksal der bezaubernden Marianne

Von Ruth von Warden

Das Schicksal hat für die zierliche Marianne Bloch nur ein bescheidenes Heim gewählt. Gemeinsam mit ihrem Vater und der Tante lebt sie am Rand der Stadt. Die kleine Kate ist halb verfallen, und der Putz bröckelt ab.

Die kleine Marianne besitzt nichts weiter als ihre bezaubernde Schönheit, und dessen ist sie sich nicht einmal bewusst. Kaum eine freie Minute hat das arme Mädchen, denn die Tante führt den Haushalt mit strenger Hand und hält Marianne zur stetigen Arbeit an.

Doch die wünscht sich nichts sehnlicher, als wieder mal zu einem Fest zu gehen und zu tanzen. Sie hofft, dort auf Karl Rehmann zu treffen – ihre heimliche Liebe, ihr Idol. Was die Leute Schlechtes über ihn reden, das glaubt sie nicht. Sie weiß nur, dass sie ihn sofort heiraten würde. Dass Karl sich aber mit einer „armen Kirchenmaus“ keineswegs belasten will, ahnt sie nicht.

Mariannes Leben soll sich schlagartig ändern, als sie eine große Erbschaft macht. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Nachricht, dass Marianne Bloch nun ein reiches Mädchen ist. Und plötzlich geht Karl bei ihr ein und aus …

Aus irgendeinem Grund hatte das Schicksal für die zierliche Marianne Bloch nur ein bescheidenes Haus gewählt. Ihr Vater war Steuerberater und lebte am Rande der Stadt mürrisch seinen Tag. Er war schon alt und arbeitete kaum noch. Den Haushalt versah ihm seine Schwester, die nach dem Tode seiner Frau einen herrischen Einzug gehalten hatte. Das kleine Haus, das einmal weiß gewesen war und hübsche grüne Fensterläden gehabt hatte, war halb verfallen. Der Putz bröckelte ab wie das Lachen verstummt war, seit Mariannes Mutter tot war.

Seit diesem Tage gab es kein Hoffen, kein Lachen, keinen Gesang mehr in dem Haus, denn Marianne war traurig gewesen – tief traurig, als sie der Mutter das letzte Geleit geben musste. Damals hatte sie an kein Lied gedacht – und heute? Nun, Irmgard Bloch, die Schwester des Vaters, kannte keine Lieder. Ihre Lippen waren verkniffen, ihr Haar straff zurückgekämmt, ihre Augen stechend. Sie liebte die Welt nicht, am wenigsten aber mochte sie Marianne.

Da Irmgard Bloch schon als junges Mädchen ein verkniffenes Gesicht gehabt hatte, hatte sich kein Mann ernstlich um sie bemüht. So hatte sie damals zusehen müssen, wie alle ihre Freundinnen einen Mann fanden, ein – wenn auch bescheidenes – Glück erhaschten, aber doch glücklich wurden. Und sie? Sie hatte niemanden. Als dann noch ihr einziger Bruder heiratete und eine Frau in das kleine Haus brachte, war sie schier zersprungen vor Neid, hatte es sich aber nicht anmerken lassen. Und Herbert Bloch?

Er hatte viel zu tun gehabt, damals, hatte seine junge Frau geliebt und sich auf sein erstes Kind gefreut. Dieses Kind war Marianne, von den Eltern freudig erwartet, von der Tante aber schon neidisch betrachtet, als sie kaum das Licht der Welt erblickt hatte.

Marianne hatte alle Schönheit der Mutter mit auf den Weg bekommen. Sie war zierlich, fast klein zu nennen, und ihr Gesicht strahlte eine Ebenmäßigkeit aus – eine Reinheit, wie man sie nur ganz selten sieht.

Eine klassisch schöne Nase, ein lieblicher Mund und strahlende blaue Augen, die von langen, dunklen Wimpern überschattet wurden, gaben dem Gesicht den äußeren Rahmen.

Und Marianne war zwanzig Jahre alt.

Herbert Bloch kümmerte sich kaum um seine Tochter. Wohl liebte er sie, aber er wusste mit einem Mädchen nichts anzufangen. So verließ er sich auf den Rat seiner Schwester, die der Meinung war, dass ein Mädchen eben tüchtig arbeiten musste, wenn sie später einmal einen Haushalt leiten wollte.

Dass Irmgard Bloch sich bemühte, Marianne von allen Menschen fernzuhalten, dass das arme Mädchen kaum eine Minute freie Zeit hatte, das bemerkte der Vater nicht.

***

An einem strahlenden Morgen, der zum Fröhlichsein einlud, gellte die Stimme von Irmgard Bloch durch das Haus: „Marianne.“

„Ja, Tante?“

„Wo bleibst du denn nur? Du weißt doch ganz genau, dass wir noch schrecklich viel zu tun haben. Vor allen Dingen muss heute noch jemand nach Blessen hinüber, um der Schneiderin meinen Stoff zu bringen.“

Blessen war ein kleines Dorf, fast sieben Kilometer von der Ortschaft entfernt, wo Marianne ihr Zuhause hatte. Dort war eine alte Frau, die für billiges Geld Kleider anfertigte, und Irmgard Bloch hatte sich gerade diese Schneiderin erkoren.

Marianne nickte.

Die Tante aber fuhr fort: „Das Gemüse muss geputzt werden, das Futter für das Vieh gekocht, der Kaninchenstall gesäubert werden und …“

„Aber Tante, das schaffe ich doch gar nicht alles.“

Ruckartig fuhr Irmgard Blochs Kopf herum.

„Wieso nicht?“

„Hast du vergessen, dass heute das große Fest im Ort ist?“

„Was für ein Fest?“

„Erntedankfest – wie in jedem Jahr, Tante. Wir werden wieder tanzen und einmal richtig fröhlich sein. Buden sind aufgebaut worden, wo eine Kapelle aufspielt, wo man Würstchen frisch gebraten vom Rost bekommen kann und …“

„Wenn du deine Arbeit erledigt hast, kannst du ja auch von mir aus hingehen.“

Marianne schluckte einmal, dann hauchte sie: „Aber Tante, wenn ich alles tun soll und außerdem noch nach Blessen muss, dann werde ich kaum Zeit haben.“

„Aha, dich stört also die kleine Fahrt nach Blessen, ja? Es ist dir zu viel, für mich einmal einen Weg zu machen? Ja, ja, gib es nur zu, dass es dir zu viel ist. Ich kann mich den ganzen Tag für dich und deinen Vater abschinden, ich habe kaum Zeit, einmal an mich selbst zu denken. Immer muss ich für euch auf den Beinen sein, habe keine eigene Familie, nichts, verzichte auf alles, nur um euch ein Heim zu bieten – und was tust du? Du willst nicht einmal meinen Stoff wegbringen, weil du tanzen willst. Ob ich endlich nach langen Jahren einmal ein neues Kleid bekomme – das ist ja gleichgültig, nicht wahr?“

„Aber Tante, so war es doch nicht gemeint. Vielleicht könnte ich nur den Kaninchenstall morgen machen?“

„Die Arbeit liegen lassen? Wo denkst du hin? Nein, daraus wird nichts. Wenn ich nicht auf alles aufpasse, dann würde hier alles verkommen. Geh endlich und fange an, steh hier nicht rum, und wenn du fertig bist – dann fährst du meinen Stoff nach Blessen.“

Marianne gab – wie sie es immer tat – nach.

„Ja, Tante“, seufzte sie, dann ging sie hinaus, erntete frische Mohrrüben, verputzte sie, sorgte für das Vieh und wollte sich auf den Weg nach Blessen machen.

Aber die Tante hatte Marianne beobachtet. Zu schnell war sie mit allen Aufträgen fertig geworden – viel zu schnell, und so gab sie dem Mädchen noch mehr Aufträge, wachte darüber, dass diese mit dem Stoff erst aus dem Haus kam, als sich die anderen Mädchen schon auf den Straßen versammelten, um das Erntedankfest zu feiern.

Marianne schob ihr Rad einen kurzen Weg, dann fuhr sie los.

Sie war den Tränen nahe. Sie hatte sich so sehr auf dieses Fest gefreut – hatte sie doch die Gewissheit, dass sie Karl wiedersehen würde. Karl Rehmann, den Sohn des Studienrates und selbst im Begriff, Lehrer zu werden.

Marianne liebte Karl Rehmann. Niemand wusste etwas davon. Es war ihr Geheimnis, und sie hütete es, als wäre es das Kostbarste, das sie auf der Welt besäße.

Während sie den langen Weg, der steil bergan ging, nach Blessen fuhr, hatte sie Muße, an den Tag zu denken, an dem sie Karl zum ersten Mal gesehen hatte.

Das war ein heißer Tag gewesen, und gemeinsam hatte sie mit vielen anderen gebadet. Auch Karls Bruder Paul war dabei gewesen und andere Jungen und Mädchen. An diesem Tag hatte Marianne begriffen, dass sie keine Kinder mehr waren und dass sie Karl liebte.

Früher, als Kinder, hatten sie zusammen getollt. Dieser Tag aber, an dem sie badeten, an dem Marianne erfasste, dass sie Karl Rehmann mit anderen Augen ansah, der erschien ihr als das schönste Erlebnis und lag nun schon einige Jahre zurück.

In all den Jahren hatte sie Karl Rehmann angebetet. Wenn sie ihm begegnete, bei einem Weg zum Kaufmann oder bei einem zufälligen Treffen, dann klopfte ihr Herz bis zum Halse. Sie versuchte, es zu verbergen, so gut sie konnte. Aber jedes Mal, wenn sie ihm die Hand reichte, fühlte sie einen Schwindel in sich aufsteigen.

Dass die Leute redeten, er hintergehe seinen Vater, er besuche nur zum Schein die Universität und treibe sich herum, das glaubte sie nicht. Dass die Leute erzählten, er nehme nichts ernst, er mache sich über alles und über alle Leute lustig – das glaubte sie ebenfalls nicht. Karl Rehmann war ein solider Typ, fand sie. Dass sie ihn in ihren Träumen so sah, wie sie ihn sehen wollte, erfasste sie nicht.

Weiter ging die Straße bergan. Plötzlich tauchte ein Trüpplein junger Leute auf, die aus Blessen kamen, um an dem Fest teilzunehmen. Grußworte flogen hin und her, man lachte und fragte sie, warum sie denn in eine falsche Richtung fahre. Marianne lachte ebenfalls, betonte, dass sie bald zurück sei und trat die Pedale noch schneller.

Dann endlich hatte sie es geschafft und befand sich auf dem Rückweg. Jetzt konnte sie nichts mehr davon abhalten, zum Fest zu gehen. Leise huschte sie ins Haus, in dem sogar die Musik vom Marktplatz zu hören war. Langsam zog sie sich ihr schönstes Kleid an, das sie besaß. Es war weiß und hatte einen weiten Rock. Kurze Ärmelchen und ein für ihren Begriff tiefer Ausschnitt gaben dem Kleid die elegante Note.

Die Füße schmerzten, als Marianne sie in die hochhackigen Schuhe steckte, aber was machte das? Wenn sie mit Karl tanzen konnte, würde sie keine Schmerzen spüren. Hastig griff sie das kleine Täschchen und huschte aus dem Haus.

Ihr Gesicht strahlte, als sie die fröhlichen Menschen erreichte, als sie Hände schüttelte und verschämt nach dem einen – so geliebten – Gesicht Ausschau hielt.

Dann aber sah sie ihn.

Inmitten vieler junger Männer stand er am Schießstand und prahlte mit seinen Künsten. Tatsächlich schoss er einige Blumen herab. Als er sich umdrehte, sah er Marianne.

Karl Rehmann war zweiundzwanzig Jahre alt. Sein Haar war dunkel gewellt. Ein ovales, etwas hartes Gesicht, in denen zwei dunkle Augen lagen, eine kühne Nase, ein Mund, der zum Lachen geschaffen war, das war das Gesicht, in das sich Marianne verliebt hatte.

„Ei, sieh an – Marianne! Grüß dich.“

„Guten Tag, Karl.“

„Schon lange hier?“

„Eben gekommen.“

„Und schon die Königin des Festes“, lachte er. Mit einer etwas übertriebenen Verbeugung überreichte er ihr die geschossenen Blumen.

„Für mich?“, fragte sie errötend.

„Natürlich für dich“, rief er gönnerhaft, „Blumen sind immer für das schönste Mädchen.“

Blutrot im Gesicht senkte Marianne den Kopf auf die Blumen, als würden sie einen köstlichen Duft verbreiten. Das wirkte so rührend – irgendwie hilflos, aber Karl Rehmann schien das nicht zu merken, er lachte.

„Und mit wem tanzt du deinen ersten Tanz, Marianne?“

„Ich hab noch keinen Tänzer“, hauchte sie, aber ihre Blicke lagen forschend auf seinem Gesicht.

„Dem muss abgeholfen werden“, rief der junge Mann. Er ergriff Marianne, als wäre sie ein Teil von ihm und führte sie zum etwas erhöhten Tanzboden.

Marianne Bloch strahlte. Schüchtern legte sie die Hand in seine große Linke, fühlte seinen Arm um ihren Körper – dann aber schloss sie die Augen für einen Moment, weil sie wunschlos glücklich war.

„Du tanzt wunderbar“, lachte Karl und schwenkte das Mädchen zum Schluss der Takte wild im Kreise umher.

„Du führst ja auch wunderbar, Karl.“

„Ja? Nun, das sagen alle Mädchen – da muss es ja wohl stimmen, nicht wahr?“

Sie schwieg, weil sie nicht wusste, was sie darauf sagen sollte.

Karl Rehmann aber führte Marianne wieder vom Tanzboden hinab, blieb noch eine Sekunde bei ihr stehen, dann aber begab er sich wieder zu seinen Freunden.

Den sehnsüchtigen Blick, den das Mädchen ihm nachschickte, sah er nicht. Verlassen stand sie da, die Marianne. Sie zuckte zusammen, als eine dunkle Stimme plötzlich neben ihr sagte: „Guten Tag, Marianne.“

„Oh, Paul, du bist es.“

„Hattest du einen anderen erwartet?“

„Nein, nein.“

„Warum bist du so allein?“

„Ich bin gerade erst gekommen, habe noch keine richtige Zeit gehabt, Freundinnen zu entdecken.“

„Hast du nicht schon mit Karl getanzt?“

„Ja, einen Tanz, eben.“

„So. Darf ich auch um einen bitten?“

„Gern, Paul.“

Vertrauensvoll, weil sie Paul ja genauso lange kannte wie Karl, lehnte sie sich fest in die Arme des Mannes, der sie sicher, aber etwas zarter durch die Musik führte.

Von Zeit zu Zeit warf er dem Mädchen einen Blick zu, den Marianne nicht verstand, den sie nicht einmal zu deuten versuchte, denn sie dachte nur an Karl. Sie versuchte, ihn im Menschengewühl zu erspähen, aber es gelang ihr nicht.

„Du hast ein wunderhübsches Kleid an, Marianne.“

„Findest du?“

„Ja, ich glaube, du bist das schönste Mädchen weit und breit.“

Ahnungslos, weil sie von der Liebe des Mannes nichts wusste, lachte sie auf.

„Hast du schon einen festen Tänzer heute Abend, Marianne?“

„Nein.“

„Willst du dich auf diesem Fest einmal meiner Führung anvertrauen?“

„– – Ja.“

„Warum sagst du das so zögernd? Erwartest du jemanden?“

„Nein, nein“, antwortete sie, aber ihr Blick ging wieder durch die Reihen der Leute, die die Tanzfläche umstanden.

Paul Rehmann schwieg. Er versuchte nicht weiter, in das Mädchen zu dringen. Ihm genügte es, wenn er nur bei ihr sein durfte. Zärtlich ergriff er ihren Arm, und gemeinsam schlenderten sie dann durch die Buden, an den fröhlichen Menschen vorbei.

Als Paul Rehmann ihr ein Eis kaufte, als er sie beobachtete, wie sie aß – da wusste er, dass sie einen Mann gesucht und ihn nun anscheinend entdeckt hatte. Er versuchte, ihrem Blick zu folgen – schaute sich um – dann wurde er blass. Es gab keinen Zweifel. Marianne richtete ihre Blicke durchdringend auf Karl, der mit einem Bier in der Hand neben einem Mädchen stand.

„Paul?“

„Ja?“

„Schau mal dort hin, dort, wo dein Bruder steht, dort drüben. Hast du ihn entdeckt?“

„Ja, ich sehe ihn.“

„Dort ist ein Mädchen dabei. Wer ist das?“

„Hilla Albes, die Tochter von unserem neuen Doktor.“

„So.“

„Hast du sie noch nicht gesehen?“

„Doch, einmal auf der Straße, aber ich wusste nicht, wer sie ist.“

„Was ist mit ihr? Warum willst du es wissen?“

„Nur so.“

„Marianne, dein Eis zerläuft.“

„So? Ach ja. Danke, Paul.“

Marianne schleckte weiter an dem Eis, aber ihre Blicke weilten bei dem Mädchen.

„Wollen wir nicht weitergehen, Marianne?“

„Ja, ja, natürlich.“

„Schau, dort drüben ist ein Riesenrad. Möchtest du fahren?“

„Ja, gern.“

Während die kleine Kutsche sie hoch in die Lüfte hob, kreischte Marianne wie ein kleines Kind. Sie jauchzte und hatte für einen Augenblick Karl Rehmann vergessen.

Sie kam sich wie ein Vogel vor, der hochgehoben wurde von einem unerklärlichen Zwang, sie schien zu schweben, dann aber schien sie in eine bodenlose Tiefe zu fallen. Der Magen revoltierte und wieder kreischte Marianne, wie fast alle Mädchen es über und unter ihr in den Gondeln taten.

Paul Rehmann saß ihr gegenüber. Er lächelte und konnte sich nicht satt sehen an dem strahlenden Mädchen, das dasaß und wie ein Kind jubelte.

Paul Rehmann, der zwei Jahre älter war als sein Bruder, liebte Marianne schon seit einiger Zeit. Immer hatte er sich zurückgehalten, weil er Marianne noch für zu jung hielt, weil er sie nicht drängen wollte. Jetzt aber, da sie voll erblüht vor ihm saß, da er daran dachte, welch einen Blick Marianne seinem Bruder zugeworfen hatte, da merkte er, dass er nicht mehr warten durfte, wollte er sein Glück nicht entfliehen lassen.

Er war als Lehrer an der Schule angestellt und konnte ohne Weiteres daran denken, einen Hausstand zu gründen. Seine Frau, das hatte sich Paul Rehmann vorgenommen, das sollte Marianne werden. Mit ihr wollte er ein gutes, ruhiges Leben leben, wollte Kinder haben und einen Garten, in dem sie spielen konnten. Mit ihr wollte er ein dauerhaftes Glück aufbauen.

Paul Rehmann war etwas kleiner als sein Bruder Karl. Auch war er bescheidener in seinem Auftreten, wusste sich nicht so geschickt in den Vordergrund zu rücken und erschien, wenn sein Bruder neben ihm stand, fad und farblos. Aber das täuschte, denn Karl blendete. Er nahm nichts ernst, machte sich über alle Leute lustig und wollte nur Erfolge haben.

„Möchtest du noch einmal fahren, Marianne?“, fragte Paul.

„Nicht gleich, bitte, mir ist ganz schwindelig im Kopf.“

„Gut“, sagte Paul und gab sich zufrieden. Er ergriff den Arm des Mädchens und führte sie von dem lauten Trubel weg.

Wie unbeabsichtigt zog er Marianne in ein Gespräch und ging langsam eine stille Straße entlang, die zu einem Waldstreifen führte. Dort setzten sie sich auf eine Bank.

„Magst du diesen Trubel, Marianne?“

„Einmal im Jahr finde ich es herrlich.“

„Erinnerst du dich noch, wie wir früher das Erntedankfest gefeiert haben?“

Ja, ich weiß es. Da war alles stiller und …“

„Und deshalb auch nicht weniger lustig. Heute, wo sie Buden zum Schießen aufbauen, wo das alles ein großer Rummel ist, da mag ich das gar nicht mehr so gern.“

„Ich finde es herrlich.“

„Wollen wir zurück?“

„Ja, bitte.“

Gehorsam erhob sich der Mann. Er zögerte einen Moment, weil er fühlte, dass es jetzt auf ihn ankam, aber er fand die rechten Worte nicht.

Schließlich fragte er: Wollen wir morgen Abend einen Spaziergang machen, Marianne?“

Erstaunt blickte sie ihn an. „Morgen Abend?“

„Ja.“

„Warum? Wir sind doch heute zusammen. Halte ich dich auch nicht auf, Paul?“

„O nein, wirklich nicht. Ich freue mich, wenn ich mit dir zusammen sein kann. Gern würde ich morgen wieder mit dir ein Stück spazieren gehen.“

„Ich weiß nie so recht, wann ich mit der Arbeit fertig bin.“

„Deine Tante ist nicht gut zu dir?“

„Oh, das möchte ich nicht sagen, eher, dass ich sie nicht verstehe. Sicher meint sie es gut, nur, ich begreife sie nicht. Immer wenn ich glaube, dass ich sie erkannt habe, dann ist sie wieder ganz anders.“

„Armes Mädchen.“

„Du musst mich nicht bedauern, Paul, ich bin nicht unglücklich, ich arbeite gern.“