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Es sollte ein Zelt-Trip mit Freunden werden – Jungs und Mädchen, Bier und Lagerfeuer, mitten in der Natur. Was konnte schon passieren? Als Ashley in den Smoky Mountains verloren geht, weiß sie, dass sie ganz auf sich allein gestellt ist. Dass sie immer weitergehen muss, wenn sie jemals hier rauskommen will. Doch dann verletzt sie sich. Und ihre Kräfte schwinden. Eine Survivalstory, so wunderschön, atemberaubend und erschreckend wie die Wildnis selbst. «McGinnis' emotionale, beinahe körperlich nachempfindbare Erzählung zeigt uns eine starke, sturköpfige und überaus fähige Protagonistin mit einem unerschütterlichen Respekt für die Natur. Unmöglich aus der Hand zu legen.» (Kirkus Reviews)
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Seitenzahl: 278
Mindy McGinnis
In der Wildnis hört dich niemand
Roman
Die Natur ist nicht zahm oder lieblich. Doch Ashley, erfolgreiche Cross-Country-Läuferin, fühlt sich damit wohler als in jeder schicken Villa. Als sie mit ihren Freunden in die Smoky Mountains wandert, um dort zu trinken und zu feiern, fürchtet sie weder Dunkelheit noch das Rascheln im Dickicht. Doch auch Menschen sind nicht alle lieb oder zahm. Und als Ashley ihren Freund mit einer anderen erwischt, lassen Schmerz, Wut und Alkohol sie einfach loslaufen. Erst ein Sturz bremst sie ab. Am nächsten Tag stellt sie fest, dass sie sich nicht nur verletzt, sondern auch verirrt hat. Allein in unberührter Natur muss Ashley einen Weg zurück in die Zivilisation finden. Und bis dahin überleben: Denn ein roter Strich an ihrem Bein zeigt eine Blutvergiftung an …
Weitere Informationen finden Sie unter www.fischerverlage.de/kinderbuch-jugendbuch
Mindy McGinnis ist Autorin zahlreicher Jugendromane verschiedenster Genres, von Fantasy über realistische Romane bis hin zu Gothic Thrillern. Ihre Geschichten zeichnen sich durch Mut, Wahrheit und einen unerschrockenen Blick auf die Welt aus.
Für Marlo, Marnie & Ryan
Macht euch auf den Weg!
Die Welt ist nicht zahm.
Das vergessen die Leute immer. Die Hochglanzprospekte der State Parks zeigen die Natur von ihrer fotogenen Seite, so wie ein Schulabschluss-Foto, auf dem alle Hautunreinheiten wegretuschiert sind. Sie zeigen nie einen Kojoten, der die Schnauze tief im Bauch eines lebendigen Rehs vergraben hat, und auch kein Streifenhörnchen, das in den Fängen eines Adlers in der Luft hängt und jämmerlich verendet.
Wenn man sich da draußen in den Wäldern lange genug ruhig verhält, dann hört man, wie etwas stirbt. Gleich danach ist es wieder still. Es folgt keine Empörung über die Ungerechtigkeit, noch nicht einmal Trauer. Für ein Tier ist es der Tod, für das andere ein Abendessen; so ist der Lauf der Welt. Was bleibt, kehrt zurück zur Erde, die Knochen des gestrigen Tages versinken heute im Schlamm, als einziges Lebenszeichen bleiben nur die Nagespuren einer Maus, winzige Einkerbungen zum Zeichen, dass hier einmal etwas Wertvolles war.
«Eklig», sagt Meredith, als ich unter einer Schicht welker Blätter den Schädel eines Rehs hervorziehe.
«Ich dachte, es wäre nur ein Gehörn», sage ich und lasse ihr Zeit, am Wegesrand ein wenig zu Atem zu kommen, während ich nachsehe, ob auch noch etwas von der Wirbelsäule zu finden ist. Normalerweise werden die Wirbel von Mäusen und Eichhörnchen weggeschleppt, die sie als kleine Mitternachtssnacks in ihren Nestern einlagern.
«Ein was?» Sie streift die Riemen ihres Rucksacks ab. Währenddessen hat Kavita uns eingeholt, ihre pechschwarzen Haare hat sie zu einem losen Knoten oben auf dem Kopf zusammengebunden, Schweißperlen stehen auf ihrer Oberlippe.
«Ein Gehörn», erkläre ich. «Rehböcke werfen im Frühjahr ihr Gehörn ab, aber das ist normalerweise auf dem Waldboden kaum zu erkennen.»
Auch dieses hier hatte ich nur ganz zufällig entdeckt, zunächst hatte ich das Weiß für den ausgeblichenen, dürren Ast einer Esche gehalten. Als dann mit dem Gehörn auch noch der gesamte Schädel auftauchte, konnte ich meine Begeisterung kaum verhehlen, was den anderen nicht entgangen war.
«Warum bleiben wir stehen?», fragt Kavita und löst ihre Haare, sodass sie ihr über die Schultern fallen.
«Ashley hat gerade einen ihrer National Geographic-Momente», bemerkt Meredith.
«Allerdings», sage ich.
«Schon nicht so übel, dass sie so ’n Zeug weiß», verteidigt Kavita mich. «Sonst würden wir hier in der Wildnis kaum überleben.»
Das stimmt tatsächlich. Gerade erst hatte Meredith einen Pilz entdeckt. In der Annahme, dass alles, was in der zivilisierten Welt auf eine Pizza kommt, auch in der Natur essbar ist, war sie kurz davor, einen Knollenblätterpilz zu vertilgen. Wenn ich sie nicht daran gehindert hätte, hätte sie sich fünf Stunden später übergeben müssen und wäre ins Delirium gefallen. Aber da genau das ja der Plan für den heutigen Abend war – Kotzen und uns ins Delirium saufen –, wäre das Ganze wohl erst aufgefallen, wenn sie schließlich Krämpfe bekommen hätte.
Mit anderen Worten, zu spät.
Meredith hatte nur die Nase gerümpft und bemerkt: «Warum ist es dann überhaupt erlaubt, dass so was in einem State Park wächst?»
Glücklicherweise war Kavita zur Stelle gewesen, um die Situation zu retten und mich daran zu hindern, gemein zu werden. Sie ist die einzige nicht weiße Schülerin an unserer Schule, und vermutlich hat sie dadurch gelernt, gut mit Konflikten umzugehen. Ich dagegen werde einfach nur wütend. Ich hätte Meredith darüber aufgeklärt, dass wir uns hier nicht in einem State Park, sondern in einem State Forest befinden, was unter anderem auch bedeutet, dass die Wege nicht so gut in Schuss gehalten werden. Etwas, worüber sie sich ebenfalls schon beschwert hatte, als wir zum ersten Mal über einen umgekippten Baum klettern mussten, der quer über dem Weg lag. Und hier erklärt eben auch keiner den giftigen Pilzen, wo sie zu wachsen haben und wo nicht. Es ist unsere Aufgabe zu lernen, dass wir sie nicht essen können.
In der Gegend, in der wir leben, können die geografischen Gegebenheiten nicht nur über Leben und Tod entscheiden, sondern sie bestimmen auch, wer deine Freunde sind. Es gibt nicht sehr viele Menschen, die ich mag. Meredith hat es zwar irgendwie seit dem Kindergarten bis heute geschafft, aber das nur sehr knapp. Ständig regt sie sich darüber auf, dass meine Beine voller blauer Flecke sind, die höchstens mal von einem Ausschlag durch Giftefeu überdeckt werden. Mich dagegen nervt es, dass sie mit sorgfältig manikürten Händen und perfektem Augen-Make-up zu dieser Wanderung aufgebrochen ist. Aber im Grunde unserer Herzen haben wir uns gern, auch wenn ich mir das an Tagen wie heute manchmal in Erinnerung rufen muss.
Und ich vermute stark, dass es ihr mit mir ebenso geht.
«Und? Was hast du da?», fragt Kavita mit einer Kopfbewegung in Richtung des Schädels in meiner Hand.
«Ein totes Tier», antwortet Meredith an meiner Stelle. «Ash hat ein totes Tier gefunden. Bitte sag mir, dass du das nicht zu unserer Party mitbringst.»
Ehrlich gesagt, hatte ich es überlegt. Man findet nur selten einen in so gutem Zustand und es ist ein Achtender, die scharfen Spitzen des Gehörns sind alle intakt. Abwägend reibe ich mit dem Daumen über eine glatte Rundung, bevor ich mich entschließen kann, den Schädel zurück auf die Blätter zu werfen. Vielleicht wird jemand anderes ihn finden und in seinem Wohnzimmer aufhängen oder ihn mit Kabelbindern am Kühler seines Pick-ups befestigen.
Wir gehen weiter bergauf, wobei ich ein Tempo vorlege, bei dem Meredith ins Schnaufen kommen wird, während Kavita mir dicht auf den Fersen bleibt. Ich halte einen Zweig für sie zur Seite und sie erwidert mein Lächeln, aber keine von uns sagt etwas. Wir brauchen unsere Energie, unseren Atem für den langen Weg bis zu dem Zeltplatz, wo die Jungs und das Bier sind, irgendwo so abgelegen, dass wir es dort richtig krachen lassen können. Es wird laut werden, wenn wir den Beginn der Sommerferien feiern und uns darüber wundern werden, dass das nächste Schuljahr tatsächlich schon unser letztes sein wird, während wir dem bittersüßen Geschmack nachspüren von etwas Gutem, das zu Ende geht.
Aber jetzt ist noch alles ruhig und ich bin dankbar für die Stille, in der ich über das nachdenken kann, was ich im Weggehen gesehen habe: Eine perfekt ausgerichtete Wirbelsäule, die sich unverletzt von hungrigen Mäulern oder grabenden Pfoten, in die Erde schmiegte. Dieser Zustand zeigt, dass der Rehbock keines gewaltsamen Todes gestorben sein kann, sonst wären seine Knochen durcheinandergeschüttelt von den Zähnen, die ihn getötet haben. Stattdessen hat er sich hingelegt und ist still und leise an Altersschwäche gestorben, während Sonnenstrahlen über ihn hinweghuschten oder sich Schneeflocken auf seine Augen senkten.
Er ist ganz ruhig gestorben, dort unter den Bäumen.
Ich glaube, genau so möchte ich auch sterben.
Wandern ist – genau wie Alkoholgenuss – etwas, das sich für Uneingeweihte weitaus reizvoller anhört, als es eigentlich ist. Beides zu kombinieren, war Merediths Idee gewesen, und ich hatte von Anfang an bezweifelt, ob das so schlau war. Eine Party irgendwo in der Wildnis der Smoky Mountains, wo uns keiner stören würde, hörte sich gut an, aber sowohl beim Wandern als auch beim Trinken braucht man genügend gesunden Menschenverstand, um da ohne ernsthaften Schaden wieder rauszukommen. Und dass gesunder Menschenverstand nicht allzu weit verbreitet ist, habe ich leider schon oft genug feststellen müssen.
Ich versuche gerade, mir Merediths gute Eigenschaften in Erinnerung zu rufen, als ich das Kabel eines Lockenstabes aus ihrem Rucksack ragen sehe, während sie nach einem Müsliriegel kramt. Kavita bemerkt es ebenfalls und verkneift sich ein Grinsen. Ich beschließe, ihr nicht zu erklären, dass Bäume keine Steckdosen haben. Ich mag Meredith. Wirklich, ich schwör’s. Aber sie ist definitiv nicht in meinen Survival-Team für den Weltuntergang. Mich dagegen wollen alle im Team haben, obwohl ich ihnen klar und deutlich sage, dass ich mich im Fall der Fälle nur um mich selbst kümmern werde und sie nur Ballast für mich wären.
«Wie weit noch?», fragt Meredith und ich merke, dass sie diese Frage nur mir zuliebe nicht schon viel früher gestellt hat.
Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, jetzt das Handy zu zücken. Hier draußen gibt es keinen Empfang mehr, ebenso wenig wie den Strom, mit dessen Hilfe Meredith sich die Haare stylen will, sobald wir den Zeltplatz erreichen. Ich halte einen Augenblick inne, um mich zu orientieren. Die Strecke, auf der wir uns befinden, ist ein kleiner Abschnitt des Appalachian Trails und ich bin den Weg oft genug gegangen, sodass ich nach einem raschen Rundumblick sagen kann, wo ich bin. Später will ich irgendwann mal den ganzen AT laufen, wenn ich älter bin oder wenn ich das Geld für eine anständige Ausrüstung zusammenhabe. Was immer als Erstes der Fall ist. Vermutlich das mit dem Älterwerden.
«Die Jungs sind ja gestern schon aufgebrochen», erkläre ich ihr und mustere das dichte Unterholz, wo eindeutig jemand vom Weg abgewichen ist, vermutlich, um zu pinkeln. «Sie wollten noch angeln und dann die Zelte aufschlagen. Es kann nicht mehr weit sein, vielleicht noch eine Meile oder so. Bestimmt können wir sie bald hören, besoffen oder nüchtern.»
«Besoffen, wette ich», sagt Kavita.
«Solange sie was für mich übrig lassen», bemerkt Meredith und springt bei der Aussicht auf Bier voller neu gewonnener Energie auf die Beine. Sie lächelt mir zu und ich weiß, dass sie mir verzeiht, dass ich … bin, wie ich bin.
«Klar heben sie was für uns auf», versichere ich ihr, weil es so sein wird. Falls nicht, findet bestimmt einer von ihnen einen Weg, wie man es vor Ort brauen kann. Alle sind immer darum bemüht, es Meredith recht zu machen, vor allem die Jungs. Und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob ihre Haare perfekt gestylt sind oder nicht.
Nur sie selbst mag es lieber so.
Meredith ist nicht in meinem Survival-Team für den Weltuntergang, ich wiederum bin bestimmt nicht in ihrem Team für den nächsten Schönheitswettbewerb. Ich schätze mal, wir haben alle unsere eigenen Waffen. Ich wiege meine, bevor ich zu einer Wanderung aufbreche, damit ich kein Gramm mehr als nötig mit mir herumschleppe, sie hat ihre dagegen eher in ihrem BH stecken, aber wir schlagen uns beide durch, jede auf ihre Weise.
«Letzte Etappe», versichere ich ihr, als sie zusammenzuckt, weil sich die Blase, die sie sich schon auf den ersten zwanzig Metern gelaufen hat, offenbar wie eine heiße Nadel in ihre Ferse bohrt.
«Alles okay», sagt sie und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Und ich überlege, ob ich sie nicht vielleicht wenigstens als Ersatzfrau in mein Weltuntergangs-Team aufnehmen sollte.
Als wir ankommen, haben die Jungs schon eifrig vorgeglüht, was sich aber keineswegs auch auf das Feuer bezieht. Ihre Prioritäten sind klar – und zwar in dieser Reihenfolge: Bier, Gras, Titten, Feuer, Zelt. Für die ersten beiden haben sie selbst gesorgt, das Dritte haben wir mitgebracht und für alles andere bin ich verantwortlich. Wie es aussieht, waren sie gestern nicht mehr angeln und haben auch sonst nicht viel getan, außer bekifft und unter freiem Himmel in die Schlafsäcke zu kriechen.
«Ka-vi-ta!» Jason schwenkt eine Flasche in ihre Richtung, als wir die Lichtung betreten. Er ruft ständig in aller Öffentlichkeit ihren Namen, seitdem sie vor zwei Jahren hierhergezogen ist. Was bedeuten soll, dass er sich für sie interessiert, wie Meredith und ich ihr schon lange klarzumachen versuchen.
Ihre Antwort ist immer «Ja-son!», in genau demselben Tonfall wie er. Er weiß nie so recht, was er damit anfangen soll, was dazu geführt hat, dass sie seit zwei Jahren nicht über die gegenseitige Vorstellung hinausgekommen sind.
«Hey», sagt Duke, sobald er mich entdeckt, und nickt mir zu, was mich offenbar gegenüber den anderen beiden Typen, die noch dabei sind, als seine Freundin ausweist, da sie sich sofort Meredith zuwenden, aber das hätten sie vielleicht ohnehin getan.
Man nimmt ihr den schweren Rucksack ab, bietet ihr einen Faltstuhl an und sie schafft es bloß mit ein paar Worten und einem spöttischen Lächeln, dass die notdürftig vorbereiteten Zelte aufgestellt werden. Ich danke ihr im Stillen und setze mich neben Duke in einen Liegestuhl. Vor unseren Füßen liegt ein halbherzig aufgetürmter Haufen mit Zweigen, wobei sie offenbar den wesentlichen Teil beim Feuermachen ausgelassen haben.
«Wer sind die?», frage ich und nehme das Bier, das er mir aus der Kühltasche zwischen uns reicht.
«Zwei Brüder. Cousins von Stephanie, soweit ich weiß», sagt er und schiebt seine Baseballmütze zurück, um sich die kalte Bierdose an die Stirn zu halten. «Sie sind zu Besuch da und ihre Mom hat gesagt, sie soll sie mitnehmen.»
«Und? Sind sie okay?», frage ich, während ich die beiden bei ihren Bemühungen beobachte, ein Mini-Zelt aufzustellen.
«Scheint so.» Er zuckt die Schultern und hält kurz inne, bevor er mit etwas herausrückt: «Natalie kommt später nach, mit Steph.»
«Natalie», wiederhole ich angespannt. Ich versuche, mich locker zu machen.
«Okay für dich?», fragt er.
«Keine Ahnung? Was sagst du?», gebe ich zurück. Es spielt keine Rolle, wie ich es finde, dass seine Exfreundin herkommt; mir geht es nur darum, was er empfindet.
«Hau ihr einfach keine rein, ja?», sagt Duke. «Ich weiß, dass das dein Mittel der Wahl ist.»
«Ein Mal», erkläre ich mit hoch erhobenem Finger. «Ein einziges Mal habe ich ihr beim Basketball eine reingehauen. Sie hatte mich den ganzen Abend lang behindert und keiner hat was gesagt.»
«Es war bestimmt gut, dass dein Dad sich gegen Kontaktsportarten für dich entschieden hat», bemerkt Duke und linst über seine Bierdose mit einem spöttischen Grinsen, das den Blick auf seinen schiefen Schneidezahn freigibt. «Cross-Country passt sowieso viel besser zu diesen Beinen.»
«Stimmt», pflichte ich ihm bei und kann ein Lächeln als Antwort nicht unterdrücken. «Und ein Stipendium springt auch noch dabei raus, also … Cheers!»
«Cheers», sagt er und stößt mit mir an, aber danach sagen wir nicht viel mehr. Die Tatsache, dass meine Beine mir einen Studienplatz bescheren und sein Geldbeutel das für ihn nicht zulässt, ist uns beiden bewusst, ohne dass wir bisher darüber gesprochen haben.
So ist das mit Duke – ein Freund seit Kindertagen, der plötzlich zu etwas anderem geworden ist und genau weiß, wie er unsere gemeinsame Geschichte ins Spiel bringen und mir zugleich ein bisschen weiche Knie machen kann. Meredith könnte genau dasselbe zu mir sagen, hat dabei aber nicht dieses Grübchen in der linken Wange und dieses Glitzern in den Augen, das sich ganz und gar auf mich konzentriert, sodass mir die bevorstehende Ankunft seiner Ex schon viel weniger ausmacht.
«Wann kommt sie?», frage ich und lehne mich in meinem Stuhl zurück.
«Sie hatten noch nicht mal fertig gepackt, als wir los sind, deswegen wollten Tom und Cory mit mir und Jason mitkommen.»
«Gepackt?» Ich ziehe die Augenbrauen in die Höhe und Duke lacht leise auf.
«Ja, allerdings. Alle tun so, als ginge es um eine Hardcore-Tour und nicht nur eine Nacht in der freien Natur. Shit, ich wette, dein Rucksack wiegt nicht mehr als vier Kilo.»
«Fünf», korrigiere ich ihn. «Und die Hälfte davon sind Tampons.»
Er kneift abwehrend die Augen zusammen. «O, Mann, Babe.»
«Hey, alle haben mal ihre Tage.»
«Ich nicht», bemerkt er.
«Aber ich wette, dass ich dich auch bluten lassen kann», erkläre ich und ernte dafür ein strahlendes Lächeln.
«Bestimmt», sagt er und streckt die Hand aus, um mir den Nacken zu massieren.
So war es schon immer zwischen uns. Kleine Schlagabtausche, und irgendwo dazwischen gibt es einen Punkt, wo wir uns treffen, einen Ort, zu dem sonst keiner Zugang hat. Wir sind beide in der Natur aufgewachsen und wussten, dass unsere Freunde anderes Spielzeug hatten, Puppen, Autos und Videospiele, und teure Sportarten betrieben, die sich unsere Familien nicht leisten konnten. Wir hatten dafür Felsen und Zweige, Schlammlöcher und Tümpel, in denen die Mückenlarven brüteten.
Diese Gemeinsamkeit haben wir erst jetzt entdeckt, kurz nachdem wir vor drei Monaten zusammengekommen sind. Duke und ich sprechen zwar nicht so besonders viel miteinander, aber es geht mir mit ihm so wie mit der Natur. Man muss keine Laute von sich geben, um zu kommunizieren, und unter den Sternen und dem Laub der Bäume gibt es so viel, was uns verbindet und was ich mit keinem anderen Menschen teilen würde, weder in Worten noch sonst irgendwie.
Dukes Gedanken gehen wohl in dieselbe Richtung, denn seine Hand wandert meinen Arm entlang, um schließlich über die Innenseite meines Handgelenks zu streichen, wobei seine von der Arbeit schwieligen Fingerspitzen ein nur allzu vertrautes Kitzeln hinterlassen.
«Du hast also …» Er vollendet den Satz nicht und lässt ihn mit einem Anflug von Enttäuschung ausklingen.
«Genau. Ich habe meine Tage», erkläre ich. Nur mit meinem Dad allein zu Haus lebend, habe ich schon vor langer Zeit gelernt, dass ich ganz offen mit diesen Dingen umgehen muss, wenn ich möchte, dass Tampons mit auf der Einkaufsliste stehen.
«Blöd», sagt Duke. «Ich wollte vielleicht …»
«Du wolltest vielleicht?», necke ich ihn. «Also mit einem, der nur vielleicht will, fange ich gar nichts an …»
Er schneidet mir das Wort mit einem Kuss ab und zeigt mir damit, dass er mehr als nur vielleicht daran interessiert ist, mit mir alleine zu sein, und ich wäre auch sofort dabei, wenn nicht mein gegenwärtiger Zustand wäre und dazu noch die Tatsache, dass sich jemand um das Feuer kümmern muss und dass wir Publikum haben.
«Ash-ley!», ruft Jason zu uns herüber. Er sitzt hoch oben auf einem Felsen über dem Abhang und prostet mir mit seiner Bierdose zu. Ich schiebe Duke beiseite und strecke Jason beide Mittelfinger entgegen.
«Später», vertröste ich Duke, der skeptisch dreinschaut. «Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg», tröste ich ihn.
«O Mann», stöhnt er und zieht mich so nah an sich, dass ich das Kiefernharz an ihm riechen kann. «Verführung ist echt nicht deine Stärke.»
«Wir sind da, Mädels!», ruft Stephanie zwei Stunden später mit Natalie im Schlepptau.
«Immerhin habt ihr das mit dem Kartenlesen hingekriegt», höre ich Kavita leise murmeln. Steph und Kavita waren noch nie die besten Freundinnen, aber in einer so kleinen Schule wie unserer beschränkt sich der Freundeskreis eben auf Leute, mit denen man es zumindest zeitweise aushält. Zuneigung ist dabei nebensächlich.
«Hey», sagt Jason und erhebt sich ungelenk, um die beiden Mädchen zu begrüßen. Er ist bereits unsicher auf den Beinen und ich frage mich schon, warum er sich überhaupt die Mühe macht, bis ich Natalie bemerke. Sie hat schon letztes Jahr ihren Highschool-Abschluss gemacht und ist weggezogen, um eine Ausbildung als Kosmetikerin zu machen, und hat Duke sitzen gelassen. In der Zwischenzeit hat sie gute sieben Kilo zugelegt, das meiste davon obenrum. Natalie war schon immer hübsch, aber jetzt ist sie echt heiß. So was kriegt man hier in der Gegend nicht allzu oft zu sehen und damit meine ich nicht unseren aktuellen Standort im State Forest.
Die meisten Leute hier sehen mit dreißig schon ziemlich fertig aus, schlechtes Essen und billiges Bier hinterlassen ihre Spuren in den Gesichtern und auf den Hüften. Die Prom-Kings heiraten die Homecoming-Queens. Während sie gemeinsam altern, machen sie sich gegenseitig vor, sie wären noch immer heiß wie eh und je, während sie zugleich danach schielen, was die jüngere Generation zu bieten hat.
Aber letztlich sind es immer die gleichen Gesichter, alte Gene in neuer Verpackung. Wir sind es gewohnt, uns anzusehen und dabei zu überlegen, von welcher Seite der Familie diese Nase kommt oder wessen Augen man hat. Manchmal taucht eine Familienähnlichkeit auf, die theoretisch nicht in den Stammbaum gehört, was dann alle geflissentlich übersehen.
Die zusätzlichen Pfunde sind bei Natalie aber nicht nur am Busen gelandet. Sie hat Kurven, die früher nicht da waren, und sie stehen ihr verdammt gut. Sie hatte schon immer diese ausgeprägten Wangenknochen, aber inzwischen hat sie gelernt, wie man Eyeliner benutzt, und das hebt ihre genetischen Vorzüge nur umso mehr hervor. Die weit auseinanderliegenden Augen verleihen ihr einen unschuldigen Gesichtsausdruck – was früher vielleicht einmal zutreffend war, aber inzwischen ganz offensichtlich nicht mehr. Ohne Umschweife mustert sie Duke von oben bis unten und hält seinen Blick vielleicht eine Sekunde länger als nötig.
In der Natur ist die Balz Sache der Männchen, aber bei uns läuft es irgendwie falsch rum: Wir Mädchen sind es, die lernen, uns zu schmücken und zu präsentieren. Und man merkt sofort, dass Natalie in dem einen Jahr, seit sie fort ist, mehr gelernt hat, als nur Augenbrauen zu zupfen. Ich sehe das an der Art, wie sie sich in Pose wirft, sobald sie Duke bemerkt, ein lässiger Knick in der Hüfte und eine Drehung der Schultern, die ihre Vorzüge mehr als deutlich zur Geltung bringt.
Das gefällt mir nicht und noch weniger gefällt mir seine Reaktion. Da ist nichts, was ich ihm direkt vorwerfen könnte, ohne wie eine eifersüchtige Zicke dazustehen, aber etwas ist eindeutig da. Er bleibt ganz cool, nickt und hebt nur zwei Finger zum Gruß, nicht mehr. Aber in ihm drin rührt sich ein Urinstinkt, das spüre ich deutlich, weil der eigentlich nur auf mich gerichtet sein sollte.
Ich habe zwar ein gewisses Selbstbewusstsein, aber zum Tortendiagramm meiner Charaktereigenschaften gehört auch ein großes Stück mit der Bezeichnung Verstand und deswegen würde ich nie behaupten, dass ich besser aussehe als Natalie. Aber außerdem gibt es in diesem Diagramm noch ein ordentliches Stück mit der Bezeichnung Temperament, was vermutlich der Grund ist, warum Duke mit seiner Reaktion so zurückhaltend ist.
«Hast dir ja ganz schön Zeit gelassen, Cousinchen», bemerkt einer von Stephanies Cousins. Keine Ahnung, ob es nun Tom oder Cory ist, weil ich zu Beginn nicht darauf geachtet habe, wer wer ist, und seitdem schon ein paar Bierchen geleert habe.
«Wie es aussieht, haben wir ja noch nicht viel verpasst», gibt sie zurück und beäugt einen Haufen leerer Bierdosen neben dem Feuer, das ich irgendwann in Gang gebracht habe, nachdem ich mich von Duke befreit hatte.
«Ihr kennt alle Natalie, oder?», sagt Stephanie.
«Na-ta-lie!», sagt Jason, woraufhin Kavita ihm einen Tritt in die Kniekehle verpasst, der ihn zu Fall bringt. So viel Interaktion gab es noch nie zwischen ihnen und er scheint es als Kompliment aufzufassen, genau wie es gemeint war.
«Natalie … na wunderbar», sagt Kavita zu mir. Meredith auf meiner anderen Seite schweigt und nimmt stattdessen die Konkurrenz genau in Augenschein. Meine Freundin ist es gewohnt, überall die Hübscheste zu sein, und ich weiß genau, was sie tut, während sie Natalie Stück für Stück auseinandernimmt und versucht abzuwägen, ob ihre neuen Kurven besser sind als ihre eigenen, ob ihre Haut jetzt glatter und ihr Haar glänzender ist, seitdem sie rund um die Uhr Zugang zu einem Schönheitssalon hat. Und alle Bereiche, in denen Meredith sich selbst zur Siegerin erklärt, wird sie heute Abend besonders unterstreichen.
Wobei die Konkurrenz ansonsten ja nicht besonders groß ist. Tom und Cory hecheln schon die ganze Zeit hinter ihr her, aber ich kenne Meredith. Es ist ihr egal, ob alle Jungs nur hinter ihr her sind – sie will, dass Natalie das ebenfalls weiß. Und weil es zwischen Duke und Natalie noch immer knistert, geht es mir ebenso.
«Was geht?», fragt Stephanie und lässt sich in einen leeren Liegestuhl fallen.
«Bier», sagt Jason und steht vom Boden auf, wo er dank einer Mischung aus Bier und Kavita gelandet ist.
«Und das war’s?» Steph sieht sich fragend um, als wäre es unsere Aufgabe, für Besseres zu sorgen.
«Was hast du denn erwartet?», giftet Meredith sie leicht nuschelnd an. «Eine Tanz-Party? Wir befinden uns mitten in der Wildnis.»
«Was deine Idee war», gibt Steph zurück, während sie trotz der Enttäuschung darüber, dass es sich um die einzige Zerstreuung handelt, eine Bierdose öffnet.
«Wow. Ich freu mich, dass ich es hierher geschafft habe», sagt Natalie und schnappt sich den letzten Liegestuhl. «Ihr macht ja echt Stimmung.»
«War ja auch knapp», bemerkt Tom (oder Cory) und deutet in Richtung Horizont und das schwindende Licht dort. «Nach Sonnenuntergang ist man auf diesem Trail verloren.»
«Der ist doch markiert, Dummie», sagt sie und kippt ihr Bier hinunter.
Wo sie recht hat, hat sie recht. Obwohl der Trail hier draußen nur noch sehr schmal ist, ist er doch in regelmäßigen Abständen mit weißen Zeichen an den Bäumen markiert. Auf dem Weg hierher musste ich mehr als einmal nach einem Zeichen in der Ferne schauen, weil der Weg selbst im Frühjahr zugewuchert war.
«Und wie willst du die sehen, wenn die Sonne weg ist?», wirft Stephs anderer Cousin ein, doch sie hebt nur ihr Handy und leuchtet ihm mit der Taschenlampen-App in die Augen.
«Und wenn der Akku alle ist?»
Das ist meine Stimme, todernst. Dukes Hand liegt auf meinem Knie und rührt sich ein klein wenig, ob in Zustimmung oder Warnung, weiß ich nicht.
«Na dann müsste mich wohl jemand suchen kommen.» Schulterzuckend lässt sie den Blick ganz unverhohlen zu meinem Freund gleiten.
«Kotz», bemerkt Meredith.
«Dito», sagt Kavita.
Ich sage nichts, sondern mache mir noch ein Bier auf und hoffe, dass diese idiotische Antwort ausreichend war, jedes Interesse auf Dukes Seite zu ersticken. Erst da bemerke ich, dass seine Hand nicht mehr auf meinem Bein liegt, und denke, dass die Survival-Skills eines Mädchens vielleicht nicht so viel zählen, wenn man ohnehin nur scharf darauf ist, sie zu vögeln.
Einer der Brüder – ich glaube, es ist Tom – räuspert sich und fragt Kavita. «Und wo kommst du her?»
«Äh, was?»
Wenn es seine Absicht war, die angespannte Stimmung in der Gruppe aufzulockern, hatte er sich die falsche Person und die verkehrteste Frage ausgesucht. Kavita sieht vielleicht anders aus als der Rest von uns, aber sie ist genauso aus Tennessee wie wir und ist es verdammt leid, wenn das ständig infrage gestellt wird.
«Woher kommst du?», wiederholt er.
«Von hier», erwidert Kavita kühl, während sie die Bierdose in ihrer Hand laut vernehmbar zerquetscht.
«Nein, ich meine ursprünglich.»
«Sie ist in Knoxville geboren, Arschloch», sagt Jason, zur Überraschung aller, die ihn kennen, weil es ein ganzer Satz ist.
«Woher weißt du das denn?», fragt Kavita.
«Das hast du irgendwann mal gesagt», antwortet er und es ist trotz der aufkommenden Dunkelheit nicht zu übersehen, wie ihm dabei die Röte ins Gesicht steigt.
«Okay, aber wo kommst du nun wirklich her?», bohrt Tom weiter, ohne zu kapieren, was wir anderen abzuwenden versuchen.
«Mein Gott, dann sag ihm doch einfach, dass du aus Indien kommst», sagt Duke und ich weiß nicht recht, ob das nun als Beleidung gegenüber Tom oder gegenüber Kavita gemeint ist. Und dass ich es nicht weiß, gefällt mir gar nicht.
«Tue ich aber nicht», erwidert Kavita steinern.
«Ich muss mal», sagt Meredith. «Wo ist hier das Klo?», fragt sie mich.
«Willst du mich verarschen?», frage ich zurück.
Natalie wirft einen Ast ins Feuer. «Jup», sagt sie. «Ich freu mich, hier zu sein.» Und dann lächelt sie Duke an.
Und ich wünschte wirklich, sie wäre es nicht.
Noch mehr Bier macht die Lage auch nicht besser und ein paar Stunden später merke ich, dass ich mal wegmuss vom Feuer, bevor ich handgreiflich werde. Dabei weiß ich noch nicht mal, gegen wen. Kavita schmollt still vor sich hin, obwohl sie ein kleines Stückchen näher an Jason herangerückt ist, woraufhin er anscheinend die Luft angehalten und seitdem nicht mehr ausgeatmet hat. Duke trinkt so viel und so schnell, dass die Blicke, die er Natalie zuwirft, nach und nach so lang werden, dass er sie quasi anstarrt und sich nicht einmal mehr bemüht, das zu verbergen. Meredith hat sowohl Tom als auch Cory in ihren Bann gezogen, was mich irgendwie tierisch nervt, und Stephanie und Natalie führen eine private Unterhaltung, die in erster Linie aus Kichern besteht.
Meredith wirft ihre Haare zurück auf eine Art, für die ich sie auf einmal hasse, dazu noch der frische Eyeliner, den sie insgeheim nachgezogen hat, bevor die Sonne untergegangen ist. Ich versuche, meinen aufsteigenden Ärger in den Griff zu bekommen und mich daran zu erinnern, dass Meredith eigentlich voll okay ist. Unter der ganzen Schminke ist sie meine Freundin und sie hat sich oft genug für mich eingesetzt, wenn ich nicht in meinem Element war. Letztes Schuljahr hatte mich jemand als Begleitung für die Homecoming-Queen nominiert und anscheinend waren genügend Leute damit einverstanden oder dachten, es könnte witzig werden, dass ich die Wahl tatsächlich gewann. Mit einem Rucksack auf dem Rücken fühle ich mich wohler als mit einer Schärpe, und deswegen machte es mir, nachdem Meredith mir geholfen hatte, ein Kleid auszusuchen, meine Frisur und mein Gesicht perfektioniert und mir gezeigt hatte, wie man mit Absätzen läuft, überhaupt nichts aus, dass die Parade ins Wasser fiel – und zwar buchstäblich.
Ich versuchte, allen auf dem Wagen klarzumachen, dass ich ein aufziehendes Gewitter riechen konnte und man vielleicht lieber eine Plane aufspannen sollte, aber die anderen Mädchen wollten unbedingt von allen Seiten gesehen werden. Dass sie nicht unbedingt wie begossene Pudel dastehen wollten, war dann eben ihr Problem. Ich freute mich einfach, dass ich recht behalten hatte. Scheiß auf meine Frisur.
Zähneknirschend trinke ich den letzten Schluck Bier und versuche, mir nichts daraus zu machen, dass Duke im Laufe des Abends immer weiter von mir abgerückt ist. Wir haben noch nie ständig aneinandergeklebt und er hat immer gesagt, dass er es besonders an mir mag, dass ich nicht so mädchenhaft bin. Ich spiele nicht mit meinem Haar herum, während ich rede, und versuche nicht, beim Biertrinken besonders sexy zu wirken. Ich trage die Haare normalerweise zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und das Bier gehört in meinen Magen, um da seine Wirkung zu entfalten, was soll also das Getue?
Aber alles, was er bei mir immer gut fand, dass ich nicht tue, scheint ihm bei Natalie ziemlich gut zu gefallen, denn sie hat seit ihrer Ankunft dauernd ihre Haare durch die Gegend geworfen und am Aluminium herumgeleckt, als hätte es irgendeinen ernährungsphysiologischen Wert. Eine Show, die sie eigens für meinen Freund inszeniert. Und er schaut zu.
Ich kann cool bleiben und es vorüberziehen lassen. Duke mag es, dass ich kein Theater mache und nicht gleich ausraste, wenn er mal ein anderes Mädchen anschaut, und er erwidert diesen Gefallen, indem er mir keinen Stress macht, wenn ich während der Saison beim Stabhochsprung der Jungs rumhänge. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Arme und die Jungs da haben einfach die besten Muskeln, die ich je gesehen habe. Sogar besser als die von Duke, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich seine Arme am liebsten mag, die einzigen, in denen ich je gelegen habe oder die mich Haut auf Haut berührt haben.
Draußen in der Dunkelheit raschelt etwas.
Es ist nichts, ich schätze, da ist nur irgendwo ein trockener Ast abgebrochen, und auch Duke denkt offenbar dasselbe, denn er bleibt ganz entspannt neben mir. Aber Meredith schießt in die Höhe, als hätte sie auf einmal Feuer unterm Hintern, und Natalie rutscht tatsächlich zu Duke hinüber, so als wäre es seine Aufgabe, sie zu beschützen.
«Fuck, was ist das?», fragt Jason besorgt, ist aber nicht mehr nüchtern genug, um ebenfalls aufzuspringen.
«Da ist nichts», erkläre ich.
«Meinst du mit nichts wirklich nichts?», fragt Natalie. «Oder so ein Nichts wie damals, als Duke mir gesagt hat, da wäre nichts, während ein Bär unsere ganzen Vorräte verspeist hat?»
Der Gedanke daran, dass Duke mit Natalie zelten war und sie vermutlich nur einen Schlafsack dabeihatten, gefällt mir gar nicht. Noch weniger gefällt mir, dass Duke über diese Erinnerung lachen muss.
«O mein Gott», sagt er und lässt sein Grübchen aufblitzen. «Wie du geschaut hast, als ich morgens das Zelt aufgemacht habe.» Er tut total schockiert und sie beugt sich vor, um ihn auf den Arm zu klatschen. Ich verziehe das Gesicht bei dem Geräusch ihrer Berührung.
«Es ist nichts», wiederhole ich. «Wirklich nichts.»
«Woher willst du das wissen?», fragt Cory – bei dem ich vor den letzten beiden Bieren nun endlich Gesicht und Namen verknüpft habe. Und so wie er mich ansieht, denke ich, dass er es bedingungslos geglaubt hätte, wenn Duke es gesagt hätte. Nur bei mir wird es infrage gestellt.
«Weil ich es einfach weiß», erkläre ich und lasse das, was ich denke – Ich bin hier in der Wildnis zu Hause, Hosenschisser –, in meinem Unterton mitschwingen.
Das gefällt seinem Bruder nicht.
«Könnte aber doch etwas sein, irgendwas», bemerkt Tom. «Was sagt ihr denn zum Thema Bären?»
Ich schaue Duke an, um zu bestätigen, dass das, was wir soeben gehört haben, kein Bär war, und ertappe ihn dabei, wie er Natalie schmachtend und inbrünstig in die Augen schaut. Was mir die Erinnerung daran aufdrängt, dass sie es war, mit der er zum ersten Mal Sex hatte.
«Bären», wiederholt Cory. «Scheiße, hier gibt’s ja Bären! Die haben sich doch auch Davey Beet geholt, oder?»
«Halt jetzt endlich die Klappe.»