Lovecrafts Schriften des Grauens 29: Das Hexenhaus in Arkheim - Peter Stohl - E-Book

Lovecrafts Schriften des Grauens 29: Das Hexenhaus in Arkheim E-Book

Peter Stohl

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Beschreibung

Die Sammlung von insgesamt sechzehn dunkel-phantastischen Geschichten führt in Realitäten, die andersartig, fremd und meist erschreckend sind. Den Schwerpunkt bildet Lovecrafts kosmischer Schrecken. Während das mysteriöse Arkheim auf ehemals deutschem Boden liegt, führt der Arrandak-Horror in das dunkle Neuengland Anfang des 20. Jahrhunderts. Alle Geschichten führen den Leser in finstere, albtraumhafte Welten.

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Seitenzahl: 208

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Peter StohlDas Hexenhaus in Arkheim

In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 William Meikle Das Amulett

2102 Roman Sander (Hrsg.) Götter des Grauens

2103 Andreas Ackermann Das Mysterium dunkler Träume

2104 Jörg Kleudgen & Uwe Vöhl Stolzenstein

2105 Andreas Zwengel Kinder des Yig

2106 W. H. Pugmire Der dunkle Fremde

2107 Tobias Reckermann Gotheim an der Ur

2108 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Xulhu

2109 Rainer Zuch Planet des dunklen Horizonts

2110 K. R. Sanders & Jörg Kleudgen Die Klinge von Umao Mo

2111 Arthur Gordon Wolf Mr. Munchkin

2112 Arthur Gordon Wolf Red Meadows

2113 Tobias Reckermann Rückkehr nach Gotheim

2114 Erik R. Andara Hinaus durch die zweite Tür

2115 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo

2116 Adam Hülseweh Das Vexyr von Vettseiffen

2117 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 2

2118 Alfred Wallon Salzburger Albträume

2119 Arno Thewlis Der Gott des Krieges

2120 Ian Delacroix Catacomb Kittens

2121 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 3

2122 Tobias Reckermann Gotheims Untergang

2123 Michael Buttler Schatten über Hamburg

2124 Andreas Zwengel Finsternacht

2125 Silke Brandt (Hrsg.) Feuersignale

2126 Markus K. Korb Treibgut

2127 Tobias Reckermann (Hrsg.) Drommetenrot

2128 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 4

2129 Peter Stohl Das Hexenhaus in Arkheim

Peter Stohl

Das Hexenhaus in Arkheim

Der Autor wurde 1964 in einer mittelfränkischen Kleinstadt geboren und lebt mit Kindern und Familie in einem Vorort von Nürnberg. Nach Ablegung des Fachabiturs begann er die Ausbildung zum Rechts­pfleger und ist seither bei den Justizbehörden in Nürnberg beschäftigt.

Neben den Interessen für Photographie, Naturwissenschaft und Zeitgeschehen veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in den Anthologien verschiedener Verlage.

https://www.peter-stohl.de/blog

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KleudgenTitelbild: Mario HeyerUmschlaggestaltung: Mario HeyerLogo: Mark FreierVignette: Jörg KleudgenSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-939-3

Anstatt einer Einleitung: Devils Point

Es war verrückt, welche Bedeutung die Weird Talesin meinem Leben eingenommen hatten. Voller Ungeduld fieberte ich jeder neuen Ausgabe entgegen und konnte es kaum erwarten, sie in Händen zu halten! Alle Hefte hatte ich mir besorgt und hortete sie wie einen Schatz. Vor allem die Beiträge Lovecrafts hatten es mir angetan. Es war mehr als eine flüchtige Begeisterung, die mich für den Autor einnahm und mich seine Erzählungen wieder und wieder lesen ließ. Unzählige Male hatte ich im Dunkel meines Zimmers durch diese Seiten geblättert. Mit einer geradezu unsinnigen Hingabe verfiel ich den düsteren Fantasien des Verfassers und war allzu bereit, mich dessen bizarren Vorstellungen zu ergeben.

Das dunkle Arkham, Dunwich, Innsmouth! Die unheimlichen Gegenden entlang der Küste! Wie klangen mir die fantastischen Namen in den Ohren! Mehr und mehr nahmen diese furchtbaren Orte in meinen Gedanken Gestalt an. Unmerklich geschah dies. Lange waren es für mich nur die Ideen eines wenngleich brillanten Autors gewesen. Doch jedes weitere Mal, wenn ich in Lovecrafts Werken über finstre Gottheiten und unsagbare Geschöpfe aus der Tiefe der Ozeane las und darüber sinnierte, was es zu bedeuten habe, wuchs in mir ein ungreifbarer, düsterer Schrecken heran.

Lovecrafts Geschichten hatten eine geradezu hypnotische Wirkung auf mich! Sie gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, wurden mir zur Besessenheit! Meine täglichen Verrichtungen begannen darunter zu leiden, und die Menschen, mit denen ich sprach, warfen mir seltsame Blicke zu. Nein, von Arkham und den dunklen Orten an der Küste hatte niemand gehört. Auch Lovecraft war niemandem ein Begriff. Nun gut, dachte ich. Es sollte mich nicht verwundern. Zu unbekannt war der Autor wohl. Gerne hätte ich ihm geschrieben, um mich zu vergewissern, dass es nur haltlose Gespinste waren, die unter seiner Feder eine so bezwingende Kraft entfalteten. Doch wie ich erfuhr, war er vor Kurzem gestorben. Was blieb mir da, als mich selbst in das ferne Neuengland aufzumachen und die fantastischen Orte seiner Erzählungen zu besuchen?

Ich nahm frei und lieh mir den Wagen meines Onkels. Es war eine lange Fahrt, bis ich in die dunklen Land­schaften Neuenglands eintauchte. Ein morbider Zauber lag über den weiten Hügeln und den dichten Wäldern, deren Anblick mich aufs immer Neue an die Welt Lovecrafts gemahnte. Die alten Städte zeigten eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem unheilvollen Arkham. Ich wanderte durch die düsteren Gassen, betrachtete die dunklen Häuser mit den eigentümlich gewölbten Dächern und den niedrigen Fenstern und stand an den Ufern von Flüssen, die dem mystischen Miskatonic aufs Haar glichen und deren Fluten dem nahen Meer in aller Eile ­entgegenflossen. Gut hätte ich mir vorstellen können, in der Dämmerung der alten Keziah zu begegnen. Doch all diese Geschichten sind ja nur Fiktion, sagte ich mir.

Mein eigentliches Ziel waren jedoch die verrufenen Orte an der Küste, von denen Lovecraft wusste, dass dort ein besonders rückständiger und abweisender Menschenschlag lebte. Auf meinem Weg dorthin gelangte ich auf eine schmale Straße, die mich durch eine einsame Landschaft führte, die trotz ihres Reizes eine ungewöhnliche Schwermut verbreitete. In endloser Abfolge reihten sich die Kurven aneinander. Verkrüppelte Bäume erhoben sich wie Schreckgespenster vor dem abendlichen Grau des Himmels. Mehrfach stieg ich aus und besah mir die von dürrem Gesträuch bedeckten Flächen, lauschte den Schreien der Ochsenfrösche und dem erregten Schnarren und Schnattern der Ziegenmelker. All dies hatte ­Lovecraft im Dunwich Horror so treffend beschrieben!

Endlich gelangte ich ans Meer. Meilen öden Marschlands lagen vor mir. Nur langsam kam ich auf der holprigen Straße voran, und es schien ewig zu dauern, bis sich meinen Blicken das Ortsschild eins kleinen Fischer­dorfes zeigte, das sich versteckt an die steinigen Ufer dieser Gestade legte, Devils Point. Der Ort war nicht groß, und die Straße schien hier zu enden. Vollkommen abgeschnitten war dieser vergessene Fleck vom Rest der Welt.

Es war bereits dunkel geworden, als ich in den Ort einfuhr. Die Fassaden der Häuser sprangen in die Lichtkegel der Scheinwerfer, leuchteten grell auf und verschwanden sogleich in erneuter Finsternis. Die Mauern waren aus grobem Bruchstein und erweckten den Eindruck eines hohen Alters. Die tiefen Fenster waren nicht mehr als finstre Schatten, und die spärliche Nachtbeleuchtung tat das ihre, um die Verlassenheit des Ortes zu unter­streichen.

Ich war beeindruckt! Sollte dies einer der Plätze sein, über die Lovecraft in seinen Erzählungen so lebensnah berichtete? Fühlte ich nicht bereits das dunkle Geheimnis und den Schrecken, der mich umgab?

Ich parkte den Wagen gegenüber des Hafens vor einer kleinen Schenke. Gerne hätte ich mich noch ein wenig umgesehen, doch war ich nach der langen Fahrt zu erschöpft. Ich trat in den niedrigen Gastraum. In der Ecke saßen einige Gestalten, rauchten und tranken und blickten mit unverhohlener Neugier zu mir herüber. Jedoch konnte ich nicht viel von ihnen erkennen, denn die Luft in dem dunklen Raum war dicht und stickig. Schon erschien der Wirt hinter der Theke. Eine mürrische, wortkarge Gestalt war er, und nach einigem Zögern erklärte er sich bereit, mir für die nächsten Tage Unterkunft zu gewähren.

Die Tochter des Hauses entzündete eine alte Petroleumlampe, ging voraus und leuchtete mir den Weg. Ich folgte ihr über die engen, knarrenden Stiegen in den ersten Stock. Sie war von festem Körperbau, und benommen von Müdigkeit haftete mein Blick auf ihren ­ausladenden Hüften. Ihre Gesichtszüge waren von grober Art und wurden von dunkel wallender Lockenpracht umschlossen. Sie wies mir mein Zimmer, stellte die Lampe auf einen kleinen Beistelltisch und ließ mich wortlos zurück.

Hier war ich nun, in diesem Räubernest, wie es ­Lovecraft als Vorlage seiner Erzählungen gedient haben mochte und konnte es noch immer nicht glauben! Die Einrichtung war einfach, die Möbel schwarz vom Alter und die Menschen von grober Art, die wohl typisch für diese Gegend war. Ich blickte noch einmal aus dem Fenster zum Hafen hinüber. Einige Boote lagen dort vor Anker, und das Meer versank in tintenschwarzer Finsternis. Anschließend fiel ich ins Bett und hatte Träume, die voll wirrer und dunkler Fantasien waren.

Mitten in der Nacht wurde ich durch Schritte und das Knarren der Dielen vor meinem Zimmer geweckt. Ich vernahm ein zaghaftes Flüstern, doch war es wohl nur eine Täuschung gewesen, denn schon kurz darauf waren nur noch die Schreie der Ziegenmelker zu hören, die aus dem Dunkel der Nacht herüberdrangen. Etwas höchst Unheilvolles umgab diese sonderbaren Tiere.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, war es bereits heller Tag. Nach einem kargen Frühstück, das ich im Gastraum das Wirtshauses eingenommen hatte, brach ich auf, den unheimlichen Ort ein erstes Mal zu erkunden. Die Boote hatten den Hafen verlassen, und über dem Meer lag gräulicher Dunst. Ich lief über den gepflasterten Platz, vorbei an Häusern, die alle im gleichen ­altertümlichen Stil errichtet waren, hin zu der kleinen Kirche, die ein recht grober und unharmonischer Bau war.

Ich trat durch die breite Tür in das Innere des Kirchenraums. Anstatt der sakralen Einrichtung erhob sich im Altarraum das übergroße Bildnis eines tosenden Meeres und unerschrockener Seefahrer, die mit entsetzlichem Meeresgetier rangen. So lebendig war die Darstellung, das vielarmige, tintenfischartige Geschöpf so bedrohlich und lebensecht abgebildet, dass ich lange nicht den Blick abwenden konnte. Ich wusste nicht, wie lange ich so dagestanden hatte, vom unmäßigen Grauen erfasst und gefangen von der ungeheuerlichen Szenerie, dass ich es zunächst gar nicht bemerkte, als sich mir eine schwere Hand auf die Schulter legte.

„Die Bewohner fürchten die Kreaturen des Meeres!“, sprach der Pastor mit tiefer Stimme und beklagte den Aberglauben, der in dieser Gegend noch verbreitet war.

Er war ein älterer Mann mit grauem Haar und müden Augen. Wir verfielen in ein angeregtes Gespräch, und er berichtete aus der Geschichte des Ortes. Das Leben hier war nie einfach gewesen, die Gewässer und das Wetter oft tückisch. Immer wieder gab es Unglücke, und nicht wenige hatten im Lauf der Jahre ihr Leben auf dem Meer gelassen. Manche glaubten noch immer an die Ungeheuer und die unheimlichen Wesen aus dem Meer, und es gab Gerüchte über Rituale und Teufelskulte. Nein, von Lovecraft und den Großen Alten habe er noch nie gehört ...

Als wir uns vor der Kirche verabschiedeten, bemerkte ich ein altes Männlein, das am Stock ging und mit stierem Blick zu uns herübersah, doch sogleich mit unbeholfenen Schritten hinter einer der Hausecken verschwand. Wohl hatte er uns beobachtet, gar unser Gespräch belauscht. Wer in den Weird Tales las, den konnten solche Dinge kaum verwundern.

Tatsächlich verspürte ich auf meinem weiteren Weg durch das Dorf ein wachsendes Unbehagen. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass mir überallhin heimliche Blicke folgten. Womöglich hatte ich das Misstrauen der Bewohner bereits erregt. Unentwegt musste ich dabei an die Worte des Pfarrers denken. Waren sie nicht voller dunkler Andeutungen gewesen? Quälten nicht auch ihn die Ahnungen einer allzu entsetzlichen Wirklichkeit?

Auch hatte ich noch zu deutlich das Ungeheuer vor Augen, das mit unsäglicher Gewalt das Boot der Fischer in den Abgrund riss. Der entsetzliche Anblick ließ mich nicht los, und ich konnte den Gedanken kaum ertragen, dass in diesem Ort so manch dunkle Dinge vor sich gingen. Ich wollte mich umhören, vielleicht mit der Tochter des Wirts sprechen. Mit etwas Glück würde ich bald mehr erfahren. Zurück im Gasthof traf ich jedoch nur den mürrischen Wirt an und begab mich auf mein Zimmer, um bis zum Abend in den Geschichten Lovecrafts zu lesen.

Als es dunkelte, ging ich in den Gastraum, um das Abendessen zu mir zu nehmen. Die Tochter des Wirts bediente mich, und unversehens hatte ich eine riesige Platte mit allerlei merkwürdigem Meeresgetier vor mir stehen und musste erneut an das Ungeheuer aus der Kirche denken. Doch ließ ich mir nichts anmerken und verspeiste tapfer die gereichten Speisen. Die Fischer an den übrigen Tischen sahen mir gebannt bei meiner Mahlzeit zu.

Mit einem flauen Gefühl im Bauch ging ich schließlich auf mein Zimmer. Ich war gespannt, was sich in dieser Nacht noch zutragen würde und welche Geheimnisse sich mir offenbarten, doch war mir nach der überreichlichen Mahlzeit mit einem Mal so übel zumute, dass ich sofort in einen tiefen und unseligen Schlaf fiel.

Auch am nächsten Morgen erwachte ich ziemlich spät. Ich hatte die ganze Nacht über von diesem unheimlichen Ort geträumt, von dunklen Versammlungen, die heimlich abgehalten wurden und böse Mächte heraufbeschworen. Tatsächlich meinte ich in der Nacht mehrmals seltsame Geräusche zu vernehmen, wiederkehrende Schritte, die vor meinem Zimmer verhielten, dunkle Stimmen und eigenartige Gesänge, die als unkenntliches Brummen und Rauschen durch die Mauern in mein Zimmer drangen. Sobald ich erwachte, waren es jedoch jedes Mal die Rufe der Ziegenmelker, die mir ein solches Grauen bereiteten!

Zerknirscht nahm ich mein Frühstück zu mir und lief anschließend zum Hafen. Die Boote waren erneut auf hoher See, und draußen auf dem Meer brachen sich die Wellen an Felsen, die aus dem Wasser ragten, nicht anders, als es Lovecraft im Schatten über Innsmouth so anschaulich beschrieb.

Ich spazierte durch den Ort und die Umgebung. Menschen sah ich keine. Sie schienen die Nähe von Fremden zu meiden, nur gelegentlich sah ich einige magere Kühe auf den Weiden stehen. Der Boden war überall steinig und gab nicht viel her. Selbst die wenigen Bäume, die hier wuchsen, waren klein und kümmerlich geblieben.

Auf dem Weg zu einem Aussichtspunkt, von wo aus ich den Ort und die Küste gut im Blick haben sollte, traf ich erneut auf den alten Mann und sprach ihn an. Er hatte hier einen kleinen Garten und versorgte soeben die Hühner. Es gelang mir, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Das Leben sei hier ein undankbares Geschäft, meinte er. Es gäbe ja nichts als das Meer, die salzigen Sümpfe und die schroffen Hänge, die zu den verwunschenen Höhen der Blackwoods führten. Dort sei es des Nachts oft nicht geheuer …

Der Alte lebte allein hier oben und wurde nach einiger Zeit recht redselig. Er sprach über die Familien, die seit Generationen hier zu Hause waren, erzählte eigenartige Geschichten über sie und das Meer, mit dem sie auf eine unheilvolle Weise verbunden waren. Seine Worte waren von beklemmender Eindringlichkeit.

Viele seien weggezogen, meinte er, und Kinder wurden hier kaum noch geboren. Der heftige Sturm, der vor einigen Jahren die Küste heimsuchte, tat das Seine. Jede Seele wiege hier schwer! Um den Niedergang zu ­vermeiden, bediene man sich unguter Mächte. Er habe mich beobachtet und rate mir, achtzugeben! Ich werde den Ort sonst nicht mehr verlassen! Rasch wandte er sich ab, als habe ihn, ob seiner freizügigen Worte, ein plötzlicher Schrecken ergriffen.

Nun gut, dachte ich mir. Das war doch etwas! Auch die Autoren der Weird Taleshätten es sich nicht besser ausdenken können. Bestimmt war auch er ein heimlicher Verehrer des Magazins und verbrachte seine reichliche Zeit mit der Lektüre manch finsterer Geschichte.

Aufgeheitert und frohen Mutes setzte ich meinen Spaziergang fort und kehrte gegen Abend zur Herberge zurück. Die Tochter des Wirts schien bereits auf mich gewartet zu haben und wies mir meinen Platz. Auch heute wurde ich mit einer überreichlichen Tafel allerlei fischartigen Getiers bewirtet, und die Wirtstochter setzte sich zu mir und bedachte mich mit aufreizenden Blicken. Auch die Fischer waren zugegen wie wohl jeden Abend und schauten mir unverblümt beim Essen zu.

Heute schien mir die Mahlzeit besser zu bekommen, obwohl ich mich trotz allem plötzlich sehr müde fühlte. Es lag wohl an der Seeluft und dem ausgedehnten Spazier­gang. Anders konnte ich es mir nicht erklären.

Ich legte mich aufs Bett, warf zuvor noch einen Blick auf die Boote, die im Hafen lagen. Leise schaukelten sie auf den Wellen, und die gleichmäßige Bewegung hatte einen noch ermüdenderen Einfluss auf mich. Mit einem Mal verspürte ich die eigenartige Verlockung, die von diesem Ort und dem weiten Meer ausging, hörte die beschwörenden Rufe, die aus der Tiefe zu mir drangen. Es war sicherlich nur meine Fantasie, die mir einen Streich spielte und mir auch diese Nacht unruhige Träume bescheren würde.

Ich dämmerte dahin, fiel in einem leichten Schlummer, träumte von den kalten Fluten und hatte den Geruch der Wellen in der Nase. Unvermittelt ergriff mich eine eigentümliche Erregung, und als ich die Augen auftat, stand die Wirtstochter vor mir, in ein dünnes Nachtgewand gehüllt, mit einem Lächeln auf den Lippen, dem ich unmöglich widerstehen konnte. Wortlos legte sie sich zu mir, und ihre Hände mit den zarten Häuten zwischen den Fingern waren so sanft, wie ich es nie erwartet hätte, ihre Haut so weich wie Samt und ihre Lippen voll unerträglicher Hitze!

Ich wollte sie nach Lovecraft und dunklen Kulten befragen, doch der Gedanke war mit einem Mal wie weggeblasen. In dieser Nacht hörte ich nicht die Schreie der Ziegenmelker und vernahm nicht die dunklen Gebete, die beschwörend durch das Haus hallten, und es geschahen Dinge, über die selbst der Meister nie zu schreiben wagte.

Die Tage, die folgten, verlebte ich wie in einem Traum. Wie in einer Traumsuche gingen die Stunden vorüber, erschienen Gesichter und Bilder in meinen Gedanken, lächelten und sprachen mir zu. Überreichlich verzehrte ich inzwischen die Meeresgeschöpfe und verspürte dabei eine Entfremdung, die mich meinem bisherigen Leben in den Steppen des Westens mehr und mehr entrückte.

Was soll ich sagen? Jede Nacht war die Erfüllung, ein Liebesakt, in dem wir uns verzehrten. Nie hätte ich es von der Wirtstochter erwartet. Nie hätte ich gedacht, so wehrlos zu sein, und bevor ich wusste, wie mir geschah, standen wir in der missgestalteten Kirche vor diesem schrecklichen Bildnis. Alle Bewohner des Dorfes hatten sich versammelt. Ich wusste nicht, dass in Devils Point noch so viele Leute lebten. Schon schloss der Pfarrer den Bund, und das Bildnis in seinem Rücken war mit einem Mal von unglaublichem Leben erfüllt. Iä-R’lyeh! Cthulhu fhtagn! Iä! Iä!

Vielleicht werde ich meine Geschichte eines Tages an die Weird Tales verkaufen.

Das Hexenhaus in Arkheim

Ich stehe in einem niedrigen Raum, zu meinen Füßen der staubige Bretterboden, über mir die wurmstichigen Balken der Decke. Die Wände sind von einem schmutzigen Grau, und vor den Fenstern, die sich klein und tief in das Mauerwerk fügen, liegt finstere Dunkelheit.

Unsicher trete ich an den grob gehauenen Tisch, der sich in der Mitte des Raumes befindet und beuge mich über die im Lampenschein ausgelegten Schriften. Meine Finger gleiten über das brüchige Papier und spüren dessen grobe Struktur. Schon blättere ich durch die vergilbten Seiten. Die Texte sind in einem alten, schwer lesbaren Deutsch gehalten. Beschwörungen und Hexensprüche sind es, deren unheilvolle Inhalte sich mir aufs Gemüt schlagen und während meine Augen über die finsteren Worte gleiten, ergreift mich ein jähes Entsetzen. Ich weiche zurück, schiebe das verwunschene Buch von mir. Ich will den Bann brechen, will aus diesem unseligen Traum erwachen. Doch es will mir nicht gelingen. Ich kann mich den schrecklichen Traumgespinsten nicht entziehen.

„… die Vergangenheit, die niemals endet … die Zeit aufhört, das zu sein, was sie zu sein vorgibt … werden sich namenlose Mächte erheben … das alte Arkheim! Stadt der Finsternis! Stadt der Abgründe! Stadt des Schreckens und der Verdammnis!“

Erneut trete ich an den Tisch, blättere in den verwunschenen Seiten und blicke auf die Ansichten einer mittelalterlichen Stadt, die auf den blassen, schwarzweißen Photographien realer wirkt, als dies von solchen Aufnahmen zu erwarten wäre. Die Mauern und Gebäude zeigen sich in eigenartigen Proportionen, dass ich zunächst an eine Täuschung glaube. Es liegt wohl am Alter der Bilder, die zu einer Zeit entstanden, als die Technik noch am Anfang stand. Dennoch sind sie von einer bezwingenden Kraft. Es will mir scheinen, die Grenzen unserer Welt wollten sich darin verlieren.

Mir schwindelt, und ich finde keinen Halt. Mein Herz verkrampft sich, und doch kann ich nicht anders: Ich nehme das alte Buch und reiße die Seiten heraus. Ich halte sie in Händen und trage sie seither bei mir. Unmöglich kann ich mich ihrem Einfluss entziehen. Oh Gott! Was hat es zu bedeuten? Tage sind vergangen, vielleicht Wochen, gar Monate. Die Zeit ist wie verschwommen. Wie in einem Traum laufe ich umher und weiß nicht, was mit mir geschieht.

Und fortwährend muss ich an diese alte Stadt denken. Sie will mir nicht aus dem Sinn gehen. Jede Nacht träume ich von ihr, sehe die alten Häuser vor mir, die geneigten Mauern und das grobe Pflaster der Straßen. Unbegreifliche Schatten winden sich im Dunkel der engen Gassen, und mein Blick verliert sich ohne jedes Ziel. Immer größer wird der Einfluss dieser schrecklichen Bilder, und jeden Morgen erwache ich unter tausend Qualen und bin verrückt vor Angst. Stets finde ich die Seiten über das alte Arkheim neben mir liegen.

Ich war nie in dieser Stadt gewesen, habe nie den Namen Arkheim auch nur gehört. Ich bezweifle, dass es diesen Ort wirklich gibt! Und doch kann ich mich seiner Realität nicht entziehen. Mit jedem weiteren Tag wird er mir zur Gewissheit. Im Wachen wie im Träumen begleiten mich diese furchtbaren Seiten. Ich suche die Stadt auf Karten, beginne in den Archiven zu forschen, lese in alten Texten und Dokumenten, während die Tage haltlos an mir vorüberziehen. Ich werde schier wahnsinnig bei meiner Suche.

Und doch weiß ich nicht mehr als am Anfang. Ich kann das entsetzliche Geheimnis nur erahnen. Beharrlich betrachte ich diese unheilvollen Bilder. Ich kann den Blick nicht von ihnen nehmen, wundere mich über die Winkel und Perspektiven und lese in den wahnsinnigen Seiten aus diesem Buch.

Wie durch ein Wunder erfahre ich, dass die Stadt einen anderen Namen trägt. Sie liegt tief im deutschen Osten und ist umgeben von slawischem Gebiet. Doch mir scheint das so unwahr, als sei auch dies nur einer meiner Träume, nichts als eine flüchtige Eingebung, die sich in einem Augenblick verliert.

Mehr kann ich nicht erfahren. Nichts über diese Stadt dringt nach außen, und mir wird bewusst, wie wenig über sie bekannt ist. Mir scheint, jede Erinnerung an sie solle ausgetilgt sein, damit niemand mehr von ihr wisse.

Ich bin wie gelähmt und finde keine Worte. Meine Verwirrung wird immer größer, und aus dem Dunkel vernehme ich eine Stimme, die mich drängt, diesen unwahren Ort zu besuchen!

Ich will es nicht tun, doch ich kann nicht anders. Ich muss nach Arkheim fahren und mir diese finstere Stadt ansehen. Ich werde durch die engen Gassen schreiten und unter den Häusern stehen, die aussehen, als seien sie nicht von dieser Welt. Mit Schaudern werde ich über das grobe Pflaster gehen und mir diese unverrückbaren Mauern betrachten, die sich neigen, als wollten sie stürzen. Was passiert mit mir und meinem Leben? Mit jedem Tag, mit jeder Stunde habe ich das Gefühl, ein anderer Mensch zu sein!

Die Zeit gleitet an mir vorüber. Die Stunden und Tage eilen in wirrer Abfolge dahin, und doch scheinen mir nur Augenblicke vergangen, als ich mit Koffer und Tasche in der Kälte stehe. Schwere Dunkelheit umgibt mich, und ich verspüre umso mehr die ernste Bedrückung, die auf mir lastet. Hier bin ich nun und warte auf den Bus, der mich nach Arkheim bringen wird. Es ist spät, und ich frage mich, ob er noch kommen wird. Vielleicht ist auch dies nur ein Traum. Ich hoffe so sehr, dass es nur ein Traum ist. Aber meine Hoffnung ist vergebens.

Schon sehe ich aus der Ferne die Lichter herannahen. Die ersten Nebel legen sich über das Grau der Straße, und das Quietschen der Bremsen reißt mich aus meiner Betäubung. Die Türen des Busses öffnen sich. Ich steige zu und habe das Gefühl, dass die Welt hinter mir zurückbleibt. Der Fahrer betrachtet mich mit langen, kalten Blicken. Ich löse einen Fahrschein, gehe an ihm vorüber und setze mich auf meinen Platz.

Es sind nicht viele Fahrgäste, die mit mir in das verrufene Arkheim fahren. Plump sitzen sie auf ihren Plätzen, und ihre bleichen Gesichter stechen aus der Dunkelheit hervor. Ich bemerke, wie sie zu mir herübersehen, spüre ihre starren Blicke. Mir ist nicht wohl dabei. Ein klammes Unbehagen kriecht in meine Glieder, bis ich es nicht mehr ertrage. Ich sehe weg, will nicht länger in diese ungestalten Gesichter blicken, will nicht länger diesen kalten Blicken begegnen. Ich ahne nun, weshalb diese Stadt so sehr gemieden wird. Auch nehme ich diesen Geruch wahr, den ich aus meinen Träumen kenne und der mich begleitet, als sei es mein eigener.

Auf endlosen Kurven und Kehren steuert der Bus seinem Ziel entgegen. Der Weg führt durch eine Landschaft von beispielloser Ödnis. Die Bäume ducken sich im Licht der Scheinwerfer. Die Äste und Zweige sehen aus, als seien sie Gespenster und über allem spannt sich ein schwarzer, trostloser Himmel.

Mich ermüdet die lange Fahrt. Das monotone Brummen des Motors betäubt mich, und ich verspüre eine plötzliche Müdigkeit. Ich drücke mich in meinen Sitz und wende mich von den anderen Fahrgästen ab. Mir ist recht merkwürdig zumute, und schon gleite ich in eine Welt voller wirrer und hysterischer Träume.

Es sind die immer gleichen Träume, die mich verfolgen. Ich träume von dieser gottlosen Stadt, von den dunklen Gassen und den sich neigenden Mauern. Wieder höre ich die Stimme, die mich ruft. War sie bisher nur leise und verhalten, so sind die Worte nun klar und deutlich, und auch wenn ich ihre Bedeutung nicht kenne, so spüre ich ihren unheilvollen Einfluss. Bei alldem zeigt sich mir ein Hexengesicht, das mich voll böser Absicht ansieht, die Augen so stechend wie Messer, die Nase grob geformt und faltig. Immer mehr befällt mich ein eisiges Grauen.