Lovecrafts Schriften des Grauens 39: Unbekannter Feind - Manuela Schneider - E-Book

Lovecrafts Schriften des Grauens 39: Unbekannter Feind E-Book

Manuela Schneider

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Beschreibung

Eine Mordserie erschüttert die Schürferstadt Jerome.Hat eine mysteriöse Fremde mit den Verbrechen zu tun? Gibt es eine Verbindung zwischen ihr und der Apachen-Legende über ein Monster im Mount Graham?Rancher Ben O´Connor sucht den Mörder seines besten Freundes. Ihm steht ein blutiger Kampf mit dem unfassbaren Grauen bevor.

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In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 William Meikle Das Amulett2102 Roman Sander (Hrsg.) Götter des Grauens2103 Andreas Ackermann Das Mysterium dunkler Träume2104 Jörg Kleudgen & Uwe Voehl Stolzenstein2105 Andreas Zwengel Kinder des Yig2106 W. H. Pugmire Der dunkle Fremde2107 Tobias Reckermann Gotheim an der Ur2108 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Xulhu2109 Rainer Zuch Planet des dunklen Horizonts2110 K. R. Sanders & Jörg Kleudgen Die Klinge von Umao Mo2111 Arthur Gordon Wolf Mr. Munchkin2112 Arthur Gordon Wolf Red Meadows2113 Tobias Reckermann Rückkehr nach Gotheim2114 Erik R. Andara Hinaus durch die zweite Tür2115 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo2116 Adam Hülseweh Das Vexyr von Vettseiffen2117 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 22118 Alfred Wallon Salzburger Albträume2119 Arno Thewlis Der Gott des Krieges2120 Ian Delacroix Catacomb Kittens2121 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 32122 Tobias Reckermann Gotheims Untergang2123 Michael Buttler Schatten über Hamburg2124 Andreas Zwengel Finsternacht2125 Silke Brandt (Hrsg.) Feuersignale2126 Markus K. Korb Treibgut2127 Tobias Reckermann (Hrsg.) Drommetenrot2128 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 42129 Peter Stohl Das Hexenhaus in Arkheim2130 Silke Brandt (Hrsg.) Das Kriegspferd2131 Anton Serkalow Berge des Verderbens2132 Klaus-Peter Walter Sherlock Holmes gegen Cthulhu2133 T. E. Grau Diese alten und dreckigen Götter2134 Anton Serkalow Träume im Heckenhaus2135 Michael Buttler Die Astronautenvilla2136 Jörg Kleudgen (Hrsg.) Cthulhu Libria Neo 52137 Anton Serkalow Das Fest2138 Julia A. Jorges Hochmoor2139Manuela Schneider Unbekannter Feind2140 Jörg Kleudgen & Uwe Voehl Halligspuk

Unbekannter Feind

Lovecrafts Schriften des Grauens

Buch 39

Manuela Schneider

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.

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© 2024 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a,  51570 Windeck

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

2139v1

ISBN: 978-3-7579-7577-7

Inhalt

Mount Graham

Ende des Viehtriebs

Opfer

Nachforschungen

Die erste Spur

Erinnerungen

Der Pakt

Spuren

Ein Geist aus der Vergangenheit

Alte Narben

Die Jagd beginnt

Mutprobe

Der Tod kennt keine Gnade

Die Suche nach Katharina

Eine Frage der Moral

Die Lehren des Medizinmannes

Das elfte Herz

Das Geständnis

Versagen wird bestraft

Ein Ritt in die Gefahr

Freund oder Feind?

Neue Verbündete

Der Kampf

Abschied

Historische Tatsachen hinter dieser Geschichte

Über die Autorin

Mount Graham

Kaetenna ritt am Fuße des Berges entlang. Obwohl er eigentlich seinem Vater dabei helfen müsste, ein frisch eingefangenes Wildpferd zuzureiten, hatte sich der junge Apache am späten Nachmittag davongeschlichen und war mit seinem Hengst hinaus in Richtung Mount Graham losgeritten. Der Berg faszinierte ihn, seit er denken konnte. Kaetennas Großvater hatte ihn aber stets davor gewarnt, dem Koloss aus Felsen zu nahe zu kommen.

„Dieser Berg ist uns Apachen heilig. Unser Schöpfer Ussen lebt weit oben auf dem Gipfel und wacht von dort über seine roten Kinder. Aber er ist nicht der Einzige, der den Berg für sich beansprucht, Kaetenna. Hüte dich vor dem Bösen, das tief im Felsen gefangen ist. Unsere Götter haben einst zusammen mit den heldenhaften Zwillingen die Monster in dieser Welt besiegt, damit wir Apachen in Frieden hier im Gleichklang mit unserer Mutter, der Erde, leben können. Aber das Böse schläft nur und wartet darauf, dass jemand das Portal öffnet, damit es wieder mit Schrecken über uns alle herrschen kann. Wenn das Monster jemals aus seinem Felsengefängnis befreit wird, bedeutet es den Tod für uns alle. Selbst die zahlreichen Weißaugen würden nicht verschont bleiben.“

„Aber das wäre doch gut, Großvater“, widersprach Kaetenna dem alten Medizinmann. „Warum nutzen wir das Monster der Heldenzwillinge nicht, um den weißen Mann ein für alle Mal zu vertreiben?“

Doch Großvater schüttelte den Kopf. „Niemand kann es beherrschen. Es ist zu mächtig. Es braucht einen Gott, um einen anderen Gott zu bezwingen. Unterschätze nie die Macht der Geister und Götter, Kaetenna. Wir Menschen bilden uns zwar ein, es mit ihnen aufnehmen zu können, aber das wird nie der Fall sein.“

Früher hatten Großvaters Geschichten den jungen Krieger fasziniert, ja sogar eingeschüchtert. Aber heute war dies nicht mehr der Fall. Kaetenna hatte den Glauben an die alten Legenden längst verloren, nachdem mehr und mehr Weiße in das Land eingedrungen waren und sich einfach nahmen, was den Apachen gehörte. Sie waren zu einer tödlichen Gefahr für alle Ndé, wie sie sich selbst nannten, geworden.

Wo waren die Götter? Warum griffen sie nicht ein und verjagten den Feind, der zahlreich, wie die Ameisen auf dem Boden, von jenseits des großen Wassers kam, überlegte er, wenn er einsam auf dem Fels saß, um die Pferde des Stammes zu bewachen. Nein, er fürchtete sich nicht mehr vor dem Sitz der Götter. Er war ein ungestümer junger Krieger geworden, dem schon allzu bewusst war, dass man sich nicht vor dem Kampf verstecken durfte. So schlug er die Warnungen seines Großvaters in den Wind und ritt die einsamen Pfade, die zur Rückseite des Berges führten, entlang.

Als er an der Nordseite des Mount Graham ankam, tänzelte sein Pferd nervös und schnaubte aufgeregt. Kaetenna betrachtete das Geröllfeld zu seiner Rechten aufmerksam und bemerkte einen braunen Flecken in einiger Entfernung. Er ritt langsam darauf zu. Gestank von Verwesung hing in der Luft, und er erkannte den aufgedunsenen Kadaver eines Rehs. Das war zuerst nichts Ungewöhnliches, wenn man davon absah, dass das tote Tier unversehrt schien.

„Seltsam. Ich sehe keine Wunden. Warum haben die Coyoten sich nicht längst über das tote Wild her gemacht?“, rätselte der junge Krieger. Beute war um diese Jahreszeit rar, und die Coyoten sowie die Berglöwen würden sich normalerweise so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen. Nicht einmal Aasvögel machten sich an dem Reh zu schaffen.

Kaetennas Pferd scheute, als er versuchte, näher an das tote Tier heranzureiten. Er tätschelte seinen Hengst beruhigend, denn normalerweise war sein Reittier ein zuverlässiger Begleiter. Als er sich wieder aufrichtete, bemerkte er einen zweiten Kadaver in einiger Entfernung. Es war der eines Coyoten. Verdutzt starrte Kaetenna auf das struppige Tier. Anstatt das tote Reh zu fressen, war der Coyote selbst verendet. Der junge Krieger hatte so etwas noch nie gesehen. Er stieg ab und ging vorsichtig auf den Coyoten zu. Dieser schien noch nicht lange hier zu liegen. Keine äußeren Verletzungen waren erkennbar, genau wie bei dem jungen Rehbock.

Als Kaetenna sich umblickte, bemerkte er zum ersten Mal, das an diesem Hang kein einziger Kaktus wuchs. Kein Mesquite-Baum war zu sehen. Der gesamte Hang zeigte kein Grün, und nichts Lebendiges rührte sich. Kaetenna, der es gewohnt war, auch die primitivste Form von Leben in der Sonora-Wüste aufzuspüren, blickte verdutzt den Hang hinauf. Warum war ihm das vorher noch nie aufgefallen? Er schaute wieder auf die beiden stinkenden Kadaver, und ihm war plötzlich so, als ob etwas Bedrohliches in der Nähe lauerte. Ein Weißer? Ein mexikanischer Feind vielleicht? Er griff an sein Messer und betrachtete den Hang wachsam.

Sein Pferd wieherte ängstlich, scharrte nervös mit dem Vorderhuf und verdrehte dabei die Augen. Das Verhalten des Tieres bestätigte, dass etwas an diesem Ort beunruhigend war. Kaetenna hatte den Instinkt eines Kriegers entwickelt und spürte, dass hier etwas nicht stimmte. Zum ersten Mal hatte er Angst auf dem Mount Graham. Die Warnungen seines Großvaters fielen ihm wieder ein, und er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er diese so leichtfertig ignoriert hatte.

Kaetenna runzelte die Stirn und blickte sich noch einmal vorsichtig um. Rasch ging er zu seinem Hengst, schwang sich auf den Rücken und ritt zügig den steilen Pfad hinab.

Er drehte sich nicht noch einmal um. Und so sah er auch nicht, dass ein glitschiger, dunkler Tentakel über das Geröll auf den toten Coyoten zukroch und sich um das steife Bein des Tieres wickelte. Ein Ruck ging durch den Kadaver, und er wurde über den Erdboden geschleift, wo er schließlich binnen Sekunden gänzlich in einem Erdloch verschwand.

Ende des Viehtriebs

Ein Cowboy stolperte und versuchte, sich an der verwitterten Holzwand neben sich festzuhalten. „Junge, Junge, der letzte Whiskey muss wohl das berühmte Glas zu viel gewesen sein“, murmelte Jacob, während er neben dem primitiven Saloon aus Segeltuch stand und versuchte, Kontrolle über seine Trunkenheit zu bekommen. Er schwankte einen Moment und hielt sich an der Wand des Bretterverschlags neben ihm fest, bis er einigermaßen geradestand. Trotz dass er stark angetrunken war, drehte sich Jacob um und lief auf unsicheren Beinen langsam die Hauptstraße der Bergarbeiterstadt entlang. Der Lärm und die Musik aus den Saloons wurden bei jedem seiner torkelnden Schritte leiser.

Um diese Zeit scherte sich niemand um ihn. Ein betrunkener Cowboy mehr oder weniger fiel in Jerome nicht auf. Jeder in der Stadt war es gewohnt, Minenarbeiter und unzählige, johlende Vagabunden, die über die Stränge geschlagen hatten, zu sehen. Jerome war ein Minencamp und bekannt für ein ausschweifendes Nachtleben wie alle Städte des Gold- und Silberrausches. Männer verprassten ihr hart verdientes Geld für Whiskey, Frauen von fragwürdiger Moral oder beim Faro- und Pokerspiel.

Schürfer, Cowboys, Spieler, alle waren sie unterwegs, sobald die Sonne hinter den Hügeln der Stadt verschwand. Es war eine tägliche Routine: Männer arbeiteten wie die Ochsen während des Tages und verprassten dann ihren Zahltag für Schnaps, Weiber von schlechtem Ruf oder verloren das meiste vom Verdienst wieder an den Spieltischen in den Saloons. Ab und an gönnten sich die Minenarbeiter und Männer von den Viehtrieben ein vernünftiges Steak. Es war jede Nacht dasselbe, und oftmals endete ein Saufgelage im Gefängnis und nicht selten in einer tödlichen Schießerei. Die Gier nach Bodenschätzen regierte das Bergbaucamp, und das Klima war rau und gefährlich. Wirklich reich wurden nur die Minenbesitzer und diejenigen, denen ein Saloon oder Bordell gehörte.

Jacob war nicht aus Jerome, sondern verdiente sein tägliches Brot als ein schwer arbeitender Ranch-Angestellter. Er war stolz darauf, die rechte Hand seines Bosses zu sein, und war verantwortlich dafür, dass die Viehtriebe in den Städten des Territoriums von Arizona ankamen, denn das Fleisch der Rinder wurde in den schnell wachsenden Orten des Silberbooms und Goldrausches dringend benötigt. Überall kamen täglich neue Schürfer an, und die wollten genügend zu Essen haben.

Das Team auf der Ranch mochte den attraktiven, jungen Mann, und der Besitzer schätzte ihn sehr, denn Jacob war ein vorzüglicher Cowboy. Er war Ende dreißig und von schlanker Statur. Die harte Arbeit hatte seinen Körper gestählt, und die Frauen empfanden ihn als attraktiv. Er hatte angenehme Gesichtszüge mit sinnlichen Lippen und großen grau-blauen Augen. Sein lockiges, braunes Haar reichte ihm weit über die Schultern. Seine langen Beine unterstrichen noch seine gut aussehende Figur. Es fiel ihm leicht, den einen oder anderen gefallenen Engel für sich zu gewinnen. Nicht, dass er übertrieben viel Zeit für solche Vergnügungen hatte. Die Ranch seines Bosses lief gut, und es mangelte nie an Arbeit.

Dennoch, in jedem Minencamp, wo Jacob mit seinen Männern Zwischenstopp machte, rissen sich die Frauen um ihn. Wie viel Spaß Jacob mit ihnen dann haben konnte, hing allerdings immer stark vom Status seines Zahltages ab. Er verdiente nicht schlecht, aber bei Weitem nicht so gut wie die Schürfer, wenn sie Gold oder Silber fanden, oder wie sein Boss, der eine große Herde vorzüglicher Rinder sein Eigen nannte.

Jacob war bekannt dafür, ein Händchen für Pferde und auch für die Frauen zu haben. Er wusste, wie er die vierbeinigen Schönheiten zu zähmen hatte und auch, wie man den Frauen Vergnügen bereiten konnte, und er war stolz darauf. Bislang war er noch keiner Einzigen begegnet, die sich ihm verweigert hätte.

Heute aber war er zu betrunken, um überhaupt in Erwägung zu ziehen, mit einer Frau ins Bett zu steigen. „Zeit, ins Lager zu gehen und mich in die Decken zu legen“, murmelte er. „Die anderen treiben sich sicher noch in irgendeiner Spelunke in der Stadt rum und versaufen ihren Zaster“, brummte er vor sich hin.

Aber er gönnte ihnen das Vergnügen. Sie würden noch früh genug sich abermals den Strapazen eines Viehtriebs stellen müssen. Die Tage waren lang und staubig, und die Nächte waren nicht nur einsam, sondern bargen ihre eigene Gefahr. Viehdiebe machten ihnen zunehmend das Leben schwer, und auch die Apachen, die gefährlichsten aller Krieger im gesamten Südwesten, überfielen die Cowboys mit ihren Herden regelmäßig. Es schien beinahe so, als ob die Apachen die Soldaten zum Narren halten konnten, obwohl diese verstärkte Präsenz im Territorium zeigten, um die Siedler zu schützen, und die Outlaws und Viehdiebe fürchteten weder Gesetz noch Teufel.

Jacob fröstelte, während er langsam auf die Stadtgrenze zulief. Die Nächte im Arizona-Territorium waren überraschend kalt, wenn man bedachte, welche Hitze tagsüber in der rauen Gegend herrschte. Der Mann war dank seiner Arbeit im Freien bei Wind und Wetter große Temperaturunterschiede zwar gewohnt, aber er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, um diese Zeit draußen herumzuspazieren, denn er fluchte leise, während er über seine Unterarme rieb, um sie zu wärmen.

„Ich hätte meine Jacke mitbringen sollen. Ich habe einfach nicht erwartet, überhaupt so lange in der Stadt zu bleiben.“ Allerdings war der Whisky ohne Pause geflossen, und der Abend war eine willkommene Abwechslung von den einsamen Tagen und Nächten auf dem staubigen Pfad des Viehtriebs gewesen, und so hatte er sich länger von Saloon zu Saloon herumgetrieben als geplant.

Gänsehaut zeichnete sich auf Jacobs muskulösen Unterarmen ab, und er rollte schnell die Ärmel seines Hemds runter, in der Hoffnung, es würde die beginnende Nachtkälte von seiner Haut fernhalten, zumindest so lange, bis er am wärmenden Lagerfeuer ankommen würde. Er unterdrückte ein Gähnen und schüttelte benommen den Kopf.

Der Cowboy ließ müde die Schultern hängen und schwenkte kurzerhand zur Abkürzung querfeldein rüber, anstatt der längeren, sich windenden Straße aus der Stadt hinaus zu ihrem Lager am Fuß des Hügels zu folgen. Offensichtlich machte es ihm nichts aus, dass er dafür über den Friedhof gehen musste, denn er betrat das Feld mit den Gräbern, ohne zu zögern.

Jacob war nicht als abergläubisch bekannt, und man behauptete von ihm, dass er so gut wie nichts im Leben fürchtete. Tatsächlich war er bei seinen Freunden als ein harter Bursche verschrien, der sogar mit bloßen Händen einen Puma bekämpft hatte, um ein Kalb vor der Wildkatze zu retten. Die Narben, die das wilde Tier während des Kampfes an Jacobs Oberkörper hinterlassen hatte, trugen noch zusätzlich zu seinem verwegenen Aussehen bei. Jacob war definitiv ein ganzer Kerl, den Mut und Arbeitsmoral auszeichneten. Deshalb war er auch Vormann geworden, und sein Boss schätzte ihn wie einen eigenen Sohn.

* * *

Die kühle Nachtluft half ihm dabei, bis zu einem gewissen Grad nüchtern zu werden. Seine Schritte waren nun weniger stolpernd. Als er um die Ecke bog, sah er die ersten Grabkreuze, die wie stumme Zeugen vergangener Leben im blassen Mondlicht standen.

„Ich frage mich, welche Schicksale und Geschichten hinter den Grabmalen in den Pionierstädten stehen. Woher kamen die Leute? Was hatten sie wohl für Träume?“, murmelte er vor sich hin, während er weiterging und über den einen oder anderen Stein stolperte. Es war bekannt, dass mehr Menschen in den kleinen Pionierorten starben als in den großen Städten an der Ostküste. Viele wurden erschossen, andere wiederum starben an Krankheiten wie Pocken, Cholera oder Tuberkulose. Frauen von fragwürdigem Ruf nahmen sich oft das Leben mit einer Überdosis Laudanum oder Gift, andere wurden von einem brutalen Liebhaber erstochen. Die Männer, die während ihres Knochenjobs unter Tage nach Silber, Gold oder Kupfer gruben, atmeten mit dem Staub den langsamen Tod ein. Nein, das Leben war nicht einfach hier im Arizona-Territorium, und der Tod lauerte hinter so mancher Ecke.

Dennoch kamen mehr und mehr Menschen in dieses Gebiet, getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben und Reichtum durch Bodenschätze. Wenige hatten wirklich Glück und machten ein Vermögen. Zahlreiche junge Minenarbeiter verloren das meiste wieder und am Ende sogar ihr Leben. Sein Boss hatte es schlauer angestellt. Es war sicher verdientes Geld, diese Glücksritter mit Fleisch zu versorgen, als selbst nach Reichtum zu buddeln.

Jacob schüttelte den Kopf gegen die dunklen Gedanken und konzentrierte sich auf den schmalen Pfad, der kaum im blassen Mondlicht erkennbar war. Da hörte er plötzlich eine Stimme, die aus dem Nichts zu kommen schien.

„Jacob, wohin gehst du? Warum gönnst du mir nicht das Vergnügen deiner Gesellschaft und bleibst noch ein bisschen bei mir?“ Jacob wirbelte erschrocken herum und verlor dabei beinahe die Balance. Er hatte zuvor niemanden gesehen und ihr Näherkommen auch nicht gehört, und dennoch stand sie dort im Mondlicht wie eine Fata Morgana.

Jacob blinzelte und versuchte, in dem diffusen Licht mehr zu erkennen. Was er sah, wirkte beinahe unwirklich. Eine Frau stand nicht weit von ihm entfernt und lehnte sich entspannt an ein schmiedeeisernes Gitter, welches ein Grab auf dem Friedhofshügel von Jerome einrahmte.

„Was um Himmels willen hat diese Frau in der Nacht auf dem Friedhof zu suchen?“, flüsterte Jacob. Vielleicht trauerte sie um jemanden.

Die Haut der Fremden wirkte so blass, dass sie beinahe in Konkurrenz zum Mondlicht zu leuchten schien, und stand in starkem Kontrast zum purpurroten Kleid mit einem tief ausgeschnittenen Mieder. Ihr schwarzes Haar war zu einer kunstvollen, hohen Lockenfrisur aufgesteckt, und dennoch hatten sich einige vorwitzige Strähnen aus den Kämmen befreit, die ihre Haarpracht zusammenhielten. Die Strähnen streichelten über ihren Schwanenhals und erschienen beinahe mädchenhaft.

Dennoch war es bei näherem Betrachten offensichtlich, dass sie eine Liebesdienerin war, denn ihr gewagtes Kleid und die Tatsache, dass sie sich mitten in der Nacht allein hier draußen befand, waren klare Indizien dafür. Keine anständige Frau wäre um diese Zeit allein in der Dunkelheit unterwegs, sondern würde sich zu Hause um Mann und Kinder kümmern.

Jacob ging einen Schritt vorwärts, aber sie schwieg. Die Unbekannte stand einfach nur da und wartete darauf, dass er nähertreten würde. Angst schien sie keine zu haben. Der junge Cowboy starrte sie fasziniert an und schluckte schwer. Ihre offensichtliche Schönheit war selbst hier im Halbdunkel der mondbeschienenen Nacht zu erkennen. Jacob setzte unbewusst einen Fuß vor den anderen, und als er endlich bei ihr ankam, spürte er die Kälte der Nacht noch deutlicher als zuvor, und er runzelte die Stirn, als er bemerkte, dass sie nichts als ein Kleid mit kurzen Puffärmeln anhatte. Sie trug kein Cape und war der zugigen Nachtluft noch stärker ausgesetzt als er selbst, und ihn fröstelte es, obwohl er die kühlen Nächte des Territoriums gewohnt war. Erstaunt bemerkte er, dass sie nicht einmal zitterte.

Als ob sie seine Gedanken lesen könnte, schaute sie ihm geradewegs in die Augen und flüsterte: „Du könntest mich wärmen, wenn ich anfangen würde zu frieren, ist es nicht so?“

Er schluckte, zu überrascht über ihre forschen Worte. Dann lächelte er, räusperte sich und sagte: „Ja, Ma’am. Ich denke, ich könnte das bewerkstelligen, oder was immer Sie sich sonst wünschen.“

„Sei vorsichtig mit dem, was du anbietest, Cowboy. Ich könnte dich beim Wort nehmen, und meine Wünsche übersteigen vielleicht sogar deine Vorstellungskraft.“

Jacob war verwirrt und runzelte die Stirn. Er war gerade noch so müde gewesen, aber diese Frau weckte seine Sinne, wie er es noch nie erlebt hatte. Ihre Stimme war tief und dennoch melodiös, ihr Körper wirkte wie eine perfekte Statue. Ihr Gesicht hatte eine delikate Kinnlinie, und die großen Augen waren unvergesslich. Sie waren mandelförmig und blickten ihn an wie die Augen einer exotischen Katze. Er hatte das Gefühl, als ob er sich darin verlieren könnte.

Der junge Mann war sich sicher, sie zuvor noch niemals in Jerome gesehen zu haben, aber das war nicht weiter verwunderlich, denn es kamen jede Woche neue Frauen in den zahlreichen Bordellen und Saloons an. Und das nicht nur in Jerome.

Genau wie die Schürfer und Spieler waren auch die Frauen von fragwürdiger Moral auf der Suche nach dem großen Glück. Sie alle wollten genügend Geld für ein bequemes Leben oder einen respektablen Ehemann unter ihren Liebhabern ergattern, und so folgten sie den Glücksrittern und Minenarbeitern von Stadt zu Stadt, wo immer das Silber und Gold reichhaltig zu sein schien. Mit den Bodenschätzen kamen die Männer und mit ihnen das sichere Einkommen für die Mädchen. So manch eine von ihnen brachte es sogar zu Ruhm und Reichtum, aber das waren eher die Ausnahmen. Krankheiten und die Brutalität mancher Liebhaber kosteten vielen der Mädchen ihr Leben.

Jacob selbst hatte schon so manche Erfahrung mit den gefallenen Engeln gemacht, und so ging er einen weiteren Schritt auf sie zu und starrte sie dabei unverblümt an. „Wie ist dein Name? Was tust du hier draußen allein um diese späte Stunde?“

„Ich heiße Katharina, und ich habe auf dich gewartet, Jacob.“

„Wie kommt es, dass du meinen Namen kennst? Wo kommst du her? Ich habe dich noch nie zuvor hier in Jerome gesehen. Eine Schönheit wie dich hätte ich bei meinem letzten Besuch in diesem Minencamp bestimmt nicht übersehen.“

Sie lachte und der kehlige Klang brachte ihn zum Schmunzeln. Es war ein angenehmes, ansteckendes Lachen. „Du stellst zu viele Fragen, mein gut aussehender Cowboy. Aber nun gut, ich werde sie beantworten, und vielleicht tue ich noch mehr für dich.“

Überraschung zeigte sich auf seinem Gesicht. Er war es gewohnt, das Spiel zwischen Mann und Frau zu führen, aber die unbekannte Schöne schien ihm auf ungewöhnliche Art überlegen zu sein. Er schwieg, aber runzelte die Stirn. Ihre Art zu sprechen unterschied sich grundlegend von all den anderen Frauen, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachgingen. Er konnte es beurteilen, denn Jacob hatte einige von ihnen im Lauf der letzten Jahre getroffen. Diese Frau schien gebildet zu sein. Ihre Stimme hatte einen außergewöhnlichen Akzent, den er noch nie zuvor gehört hatte, aber der dafür umso reizvoller klang. Sie wirkte mysteriös und faszinierend.

„Ich komme aus einem Land fernab von hier über den großen Ozean. Man nennt meine Heimat Ungarn. Es ist ein Land voller hoher Berge, rauschenden Flüssen und wilden Seelen. Es würde dir dort gefallen, denn die Puszta ist voller wilder Pferde, und die Ungarn können reiten wie der Teufel. Aber ich vermute, das kannst du auch, nicht wahr? Ich habe dich heute Abend im Saloon beobachtet, und mir gefiel, was ich gesehen habe, also habe ich kurzerhand beschlossen, dir zu folgen.“