Süße Verführung in Vernazza - Manuela Schneider - E-Book
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Süße Verführung in Vernazza E-Book

Manuela Schneider

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Beschreibung

Die junge Irin Samantha O`Neil erbt in Vernazza (Ligurien, Italien) ein Haus. Dort entscheidet sie, zu bleiben. Sie lernt den Weinbauern Antonio Bianchi (typischer Südländer, durchtrainiert, schwarze, halblange Haare, die er manchmal zu einem Zopf bindet, braune Augen) kennen, dessen Herz und Seele für die schöne junge Frau mit den roten Haaren verschlossen scheint. Warum Sam dieses Haus geerbt hat, weiß sie nicht. Ein gut gehütetes Geheimnis kommt im Laufe der Geschichte zutage. Sobald Samantha beginnt, es zu lösen, öffnet sich auch Antonios Herz für sie.

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Süße Verführung in Vernazza

Manuela Schneider

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß §44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

Texte: © Copyright by Manuela SchneiderUmschlag:© Copyright by Manuela Schneider

Verlag:Neopubli GmbHKöpenicker Straße 154a10997 Berlin

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Eins

Samantha holte tief Luft und versuchte sich innere Entspannung einzureden. Seit dieser Brief bei ihr angekommen war, fühlte sie sich wie von einem anderen Stern.

Nicht selten hatte sie sich in den letzten Wochen selbst dabei ertappt, geistig abwesend zu sein. Immer wieder hatte sie sich den rauen Wind um die Nase wehen lassen, der von der Irischen See in die pulsierende Stadt drückte. Am liebsten hatte sie sich in die Cave Hills im Norden von Belfast zurückgezogen, um in Ruhe über ihr Leben nachzudenken. Mit ihren 23 Jahren fühlte sich Samantha einsam. Irgendetwas fehlte ihr, doch sie wusste nicht so recht, was. Brian, ihr Ex, war es sicher nicht. Schließlich hatte sich Sam schnell von ihm getrennt, als sie erfuhr, dass er verheiratet war. Und auch wenn diese Tatsache und die Trennung schmerzhaft für sie waren, er war ganz sicher nicht der Grund für ihre Einsamkeit. Oder etwa doch? Immer wieder hatte sie stundenlang in den Cave Hills gesessen und darüber nachgedacht. Sie fühlte sich wie ein gebranntes Kind. Wie es wohl sein würde, wenn sie wieder einmal einen Mann kennenlernte? Würde sie ihm dann vertrauen können? Vermutlich nicht. Samantha hatte sich jedenfalls geschworen, ihre wahren Empfindungen niemals mehr einfach so zu offenbaren. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass etwas in ihrem Leben fehlte. Etwas, dass für sie im Moment nicht greifbar war.

Kurzentschlossen hatte sie sich dann doch vor einigen Tagen dazu bereit erklärt, der schriftlichen Aufforderung eines gewissen Avvocato Semino Russo aus Vernazza nachzukommen. Von ihrem Vater handelte sie sich dafür nur ein unwirsches Schulterzucken ein, während ihre Mutter nahe einem Nervenzusammenbruch schien. Einzig ihre jüngere Schwester Liz war begeistert. Doch Samantha hatte es erfolgreich geschafft, die zwei Jahre jüngere Liz davon abzuhalten, einfach mitzukommen.

Mit einem leichten Schmunzeln erinnerte sich Samantha an die Tage vor ihrer Abreise. Sie selbst hatte kaum Zeit zum Nachdenken gehabt, nachdem der Entschluss einmal gefasst war. Wie in einem Bienenstock war es in dem kleinen Haus an der Crumlin Road zugegangen. Nun aber saß sie in einem Zug und befand sich auf den letzten Metern ihrer doch recht langen Reise.

Samantha starrte angespannt nach draußen, obwohl sie nur dunkle Felswände ausmachen konnte. Der Zug verließ gerade einen der unzähligen Tunnel auf dieser Strecke und für einen kurzen Moment erhaschte sie einen Blick auf das malerische kleine Fischerdorf in der schroffen Felslandschaft von Ligurien. Einen Wimpernschlag später fuhr der Zug erneut durch einen Tunnel und Samantha musste tief durchatmen, um sich zur Ruhe zu zwingen. Nervös zupfte sie an ihrem Pony und überprüfte, ob sich aus dem Haargummi keine Strähne des roten langen Haares gelöst hatte. Während sie aufstand und zur Abteiltür ging, ließ sie den Blick über die Menschen im Zugabteil gleiten. Die meisten hatten Rucksäcke auf dem Rücken und machten sich ebenfalls zum Aussteigen bereit. Touristen, wie sie unschwer erkennen konnte. Sie selbst sah sich auch als solche, wenngleich der Grund ihrer Reise mit Sicherheit ein anderer war. Samantha war sich sicher, dass keiner der anderen hier einen so geheimnisvollen Brief in der Tasche hatte.

Als der Zug in den Bahnhof von Vernazza einfuhr, versuchte Samantha erneut etwas zu erkennen. Doch außer dem eher tristen Bahnhofsgebäude, bei dem der einst rosafarbene Anstrich abblätterte und einem schmalen Bahnsteig, konnte sie nicht wirklich etwas erkennen. Die Türen öffneten sich mit einem leisen Zischen und sie trat auf den überdachten Bahnsteig hinaus. Sofort umfing sie eine Mischung aus Gerüchen, die sich aus verbranntem Dieselöl und alten muffigen Holzbohlen zusammensetzte, und die ganz schwach von einer sanften Meeresbrise unterbrochen wurde.

Sie folgte der Karawane aus Rucksacktouristen, die offensichtlich alle genau wussten, wo der Ausgang lag. Über eine große Treppe führte der Weg nach draußen und im nächsten Augenblick fand sich Samantha auf der Via Roma wieder. Abrupt blieb sie stehen. Es störte sie herzlich wenig, dass die hinter ihr laufenden Menschen sie deswegen anrempelten. Stattdessen versuchte sie zu erfassen, was ihre Sinne jetzt alles wahrnahmen. Autolärm hörte sie keinen, dafür ein Gewirr aus Stimmen und Sprachen, das für sie wie auf einem orientalischen Basar klang. Die Luft war schwanger von dem salzigen Hauch des Meeres. Doch der warme Wind trug auch einen feinen Zitrusgeruch zu ihr, der mit Oliven und Thymian vermischt schien. Tief sog sie diesen fein würzigen Geruch in ihre Lungen.

Sie blickte die von Touristen fast verstopfte Via Roma hinauf und hinunter. Mittlerweile war sie die Letzte, die vor einigen Minuten aus dem Zug gestiegen war. Sie tastete in ihrer Manteltasche nach dem Brief des Avvocato Russo, den sie fast auswendig kannte. Dennoch zog sie ihn erneut hervor, um sich noch einmal zu vergewissern, dass die Adresse der Kanzlei Piazza Guglielmo Marconi lautete. Wenn sie die Wegbeschreibung aus dem Internet richtig in Erinnerung hatte, musste sie sich links halten, um zur Ortsmitte zu gelangen.

Als sie von dem Brief in ihrer Hand aufschaute, blickte sie geradewegs in die tiefbraunen Augen eines Mannes, der auf sie zukam. Wie gebannt schaute Samantha ihn an und versank förmlich in diesem Blick. Groß und offensichtlich durchtrainiert, schien er sie von Kopf bis Fuß zu mustern. Die zierliche Frau an seiner Seite nahm Samantha jedoch erst wahr, als diese sie freundlich anlächelte und sie mit einem „Buona giornata!“ begrüßte. Der Mann, der für Samantha der Inbegriff eines faszinierenden Südländers war, lächelte jedoch nicht. Ebenso wenig ließ er sich dazu herab, sie zu grüßen. Stattdessen zog er die Frau mit sich die Stufen hinauf. Doch für einen Augenblick schien er Samantha bis in die Tiefe ihrer Seele zu blicken und ihr wurde heiß und kalt. Ganz tief in ihrem Inneren schien eine Saite zu schwingen, deren zarte Vibration sie bei sich noch nie gespürt hatte. Samantha fühlte sich wie in Trance und konnte sich nicht dagegen wehren, den beiden hinterherzuschauen. Mit einem Seufzer drehte sie sich schließlich um und ging langsamen Schrittes die Via Roma hinab.

Zu beiden Seiten erhoben sich, dicht aneinandergedrängt, mehrstöckige Häuser, die vor langer Zeit einmal in den unterschiedlichsten Farben gestrichen waren. Jetzt blätterte bei vielen der Putz ab und der Anstrich war verblasst. Dennoch empfand Samantha den Anblick der schmalen Bauten mit drei oder vier Stockwerken als besonders charmant. Im Vergleich zu den kompakten Ziegelbauten aus ihrer Heimat, bei denen diese Farbenfroheit nicht zu finden war, schienen ihr die Häuser in Vernazza trotz ihres zum Teil schlechten Zustandes als ausgesprochen einladend. Überhaupt versprühten sie ein Flair, bei dem ihr plötzlich klar wurde, was Lustwandeln wirklich bedeutete. Obwohl die Reisetasche mit jedem Schritt ein wenig schwerer wurde, fühlte sie sich leicht und frei.

Vorbei an kleinen Restaurants, Cafés und Souvenirläden führte ihr Weg direkt in die Mitte des kleinen Fischerdorfes. Je näher sie der Piazza Guglielmo Marconi kam, desto lauter wurde das Stimmengewirr wieder. Immer mehr Menschen schienen sich auf der Straße zu drängen, die geradewegs hinunter zum Hafen führte. Fasziniert blieb sie stehen. Auf dem Treppenabsatz eines Hauses stand ein alter Fischer, der seine Netze ausbreitete und einige davon ausbesserte. Samantha nahm den Fischgeruch wahr und spürte plötzlich, wie hungrig sie war. Doch erst musste sie dem Anwalt ihre Aufwartung machen. Danach konnte sie über ein schmackhaftes Essen nachdenken.

Signor Russo hatte seine Kanzlei in einem wunderschönen alten Gebäude, direkt gegenüber dem Hafen. Im ersten Stock empfing er Samantha, nachdem seine Sekretärin ihr die Tasche abgenommen hatte. Das Büro war groß und der schwere Schreibtisch aus dunklem Holz schien der Mittelpunkt der Welt zu sein. Für Semino Russo, dem einzigen Anwalt hier in Vernazza, war er das mit Sicherheit auch. Bei ihrem Eintreten schob er seine massige Gestalt um dieses Ungetüm von Schreibtisch herum und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu.

„Ah, Signorina O´Neil, schön Sie endlich hier bei uns begrüßen zu dürfen.“ Er schob ihr einen Stuhl hin, der offensichtlich so schwer war, dass man ihn schlecht anheben konnte. „Mein aufrichtiges Beileid hatte ich Ihnen ja bereits ausgesprochen.“ Dann fuhr er fort: „Hatten Sie eine gute Reise?“

„Danke Signor Russo. Ja, ich habe gut hergefunden. Wenngleich ich aus unserem Telefonat neulich nicht wirklich entnehmen konnte, worum es nun tatsächlich geht?“ Samantha lehnte sich zurück und blickte dem Anwalt über den Tisch hinweg geradewegs in die kleinen dunklen Augen, die durch die große Brille umso größer wirkten.

Signor Russo lehnte sich ebenfalls zurück und musterte sie aufmerksam. „Nun, wie ich schon sagte, geht es um ein Erbe, das Ihnen zuteilwerden soll. Aufgrund des mir vorliegenden Testaments weiß ich natürlich, dass Sie Salvatore Maggiani vermutlich gar nicht kennen und nichts über ihn wissen, oder?“

Samantha schüttelte den Kopf und spürte, wie ihr Herz bis zum Hals schlug. Das Erbe eines alten Italieners? Das konnte doch nur eine Verwechslung sein. „Sind Sie denn sicher, dass wirklich ich erbberechtigt bin?“, fragte sie mit leiser Stimme.

„Ja, ich habe zu seinen Lebzeiten von Salvatore konkrete Angaben erhalten. Es ist tatsächlich Ihr Erbe, um das es hier geht.“ Dabei blätterte er in der vor ihm liegenden Akte und zog schließlich einen großen Briefumschlag hervor, der mit einem dicken Siegel versehen war.

Samantha schluckte. Ihr Hals fühlte sich plötzlich wie ausgedörrt an, die Zunge klebte am Gaumen und in ihrem Kopf begann es zu dröhnen. „Könnte ich bitte ein Glas Wasser haben?“

„Oh, selbstverständlich, verzeihen Sie mir meine Unhöflichkeit!“ Er drückte einen Knopf auf seiner Telefonanlage und sagte: „Guiseppa, bringen Sie der Signorina ein Glas Wasser und bereiten Sie einen Espresso vor!“ Dann schaute er sie eindringlich an und lächelte ihr aufmunternd zu.

„Wie läuft das denn jetzt alles so ab?“, wollte Samantha wissen, nachdem sie dankbar das Wasser in Empfang genommen und einige Schlucke davon getrunken hatte.

„Ich würde jetzt das Testament verlesen und danach können Sie in einigen Tagen entscheiden, ob Sie das Erbe annehmen oder nicht“, antwortete Signor Russo mit ruhiger Stimme.

Seine Stimme blieb genauso ruhig und fast emotionslos, als er das Testament verlas. Samantha aber verschlug es zunehmend die Sprache. Ihre Augen wurden immer größer und am liebsten hätte sie jetzt nach einem großen Whiskey verlangt. Oder wenigstens einen Grappa, als ihr wieder ins Bewusstsein drang, wo sie sich befand. In ihrem Kopf drehte sich alles und sie lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Ich träume, dachte sie.

„Alles in Ordnung mit Ihnen, Signorina?“

Nur langsam drang die Stimme des Avvocato zu ihr durch. Mühsam nickte sie und öffnete dann wieder die Augen. „Und was mache ich jetzt?“

Der Anwalt lächelte sie an und sagte mit ausgebreiteten Armen und dem Enthusiasmus, den wohl nur Italiener so offen zur Schau stellen können: „Genießen Sie Ihr Leben!“ Da sie nicht antwortete, setzte er hinzu: „Lassen Sie uns in die Trattoria gehen und eine Kleinigkeit essen und trinken.“

Mechanisch nickte Samantha, griff nach ihrer Tasche und folgte dem Anwalt.

Die Trattoria lag gleich um die Ecke der Kanzlei, sodass Samantha wenige Minuten später dem Anwalt gegenübersaß. Verstohlen blickte sie sich um und war erstaunt, wie angenehm kühl es im Gastraum war. Sie spürte, wie sie innerlich immer noch sehr angespannt war. Ihre Füße pochten leicht und ihr Kopf fühlte sich an, wie in Watte gepackt.

„Signorina?“. Der Anwalt legte ihr sanft seine klobige Hand auf den Arm.

Verwirrt schaute sie ihn an und Samantha war es fast peinlich, dass er sie offenbar etwas gefragt hatte, und sie hatte es schlichtweg überhört. Ihr fragender Blick schien für ihn als Erklärung zu genügen.

„Darf ich Ihnen die Spaghetti mit den Meeresfrüchten empfehlen? Sie sind besonders frisch und schmecken einfach fantastisch.“ Aufmunternd sah der Anwalt Samantha an und wartete auf ihre Entscheidung.

Sie nickte und nahm erst jetzt den jungen Kellner wahr, der offensichtlich schon eine Weile am Tisch gestanden hatte, um die Bestellung aufzunehmen. Samantha bestellte sich noch eine Flasche Wasser dazu und freute sich, gleich dem Knurren ihres Magens ein Ende setzen zu können.

Gerade wollte sie den Anwalt fragen, was er ihr noch über Salvatore erzählen konnte. Schließlich war er so etwas Ähnliches wie ein Erbonkel, wenngleich ein völlig unbekannter. Samantha wollte die Zusammenhänge besser verstehen. Immerhin erbte man nicht jeden Tag von einem Wildfremden ein Haus mit Grundstück an Italiens wunderschöner Küste. Es war eigentlich sehr unwahrscheinlich, dass man ein Erbe antreten konnte, bei dem man mit dem Erblasser weder verwandt noch weitläufig verschwägert war und es auch sonst keine Verbindungen gab. Aber irgendeinen Zusammenhang musste es geben, sonst säße sie jetzt nicht hier. Samantha öffnete den Mund, doch dann verschlug es ihr die Sprache.

Genau in diesem Moment trat ein Mann durch die Tür der Trattoria und stellte eine Holzkiste mit Weinflaschen auf den Tresen. Groß gewachsen, durchtrainiert und die halblangen Haare zu einem kleinen Zopf gebunden, stand plötzlich jener fremde Mann im Gastraum, der ihr bereits am Bahnhof aufgefallen war. Unwillkürlich schlug Samanthas Herz schneller und sie musterte ihn aus sicherer Entfernung. Er trug ein T-Shirt, das sich über seinen muskulösen Oberkörper spannte, während sein durchaus knackiger Hintern in einer verwaschenen Jeans steckte. In diesem Moment drehte er sich um und erneut durchfuhr es Samantha, als ihre Blicke sich trafen.

Wieder fühlte sie sich in diesem Blick gefangen. Als ihr bewusst wurde, dass sie den Mund immer noch offen hatte, senkte sie hastig den Blick und hoffte, der Mann hatte nicht gemerkt, dass sie ihn angestarrt hatte. Ihr war plötzlich unerträglich heiß und sie schob die Unterlippe ein wenig vor, um sich den Pony aus dem Gesicht zu blasen.

„Ah, Signore Bianchi. Es freut mich wirklich, Sie wieder einmal hier zu sehen. Wie geht es Ihrer Frau Großmama?“ Der Anwalt neben Samantha hatte sich trotz seiner Leibesfülle behänd vom Tisch erhoben und machte nun einen Schritt auf den Mann zu, der Samantha so irritierte.

„Danke der Nachfrage, Signore Russo, es geht ihr gut.“ Seine Stimme war dunkel und kraftvoll. Alles in Samantha schien plötzlich in Aufruhr. Sie konnte nicht anders, sie musste einfach aufschauen. Während sie angespannt auf ihre nervösen Hände im Schoss geschaut hatte, war er bei seiner kurzen Begrüßung nähergekommen und stand nun unmittelbar vor dem Tisch. Unverwandt hatte er seinen Blick auf sie gerichtet.

„Darf ich Ihnen Signorina O´Neil vorstellen? Sie ist heute erst angekommen und wird wohl nun eine Weile in Vernazza bleiben, habe ich recht?“

Samantha räusperte sich und antworte: „Ja, ich denke schon.“ Dabei schaute sie den Mann an, der ihren Seelenfrieden ganz schön in Aufregung versetzte. Doch auch jetzt hielt er anscheinend nicht sonderlich viel von einer Begrüßung, sondern nickte nur. Geflissentlich übersah er ihre entgegenstreckte Hand.

„Ich werde nächste Woche noch einmal bei Ihnen vorbeikommen, Avvocato.“ Damit reichte er dem Anwalt die Hand und verabschiedete sich eilig.

Samantha war enttäuscht, denn irgendwie schien dieser aufregende Mann etwas gegen sie zu haben. Oder war er zu allen Frauen so unhöflich? Langsam kroch Wut in ihr hoch, denn bisher hatte sich noch niemand ihr gegenüber so herablassend verhalten. Sie nahm ihr Wasserglas und trank gierig einen großen Schluck. Dann bemühte sie sich um eine ruhige Tonlage und fragte den Anwalt, wer dieser Mann war.

„Oh, verzeihen Sie mir meine Unhöflichkeit. Das war Signore Bianchi. Antonio Bianchi. Er hat die Weinkelterei seines Vaters übernommen und ist nun darum bemüht, den Einheimischen ihre wenigen Erträge auf den kleinen Weinbergen hier in etwas Trinkbares zu verwandeln.“ Der Anwalt trank einen Schluck seines Rotweins und fuhr dann fort: „Dabei hat er es wahrlich nicht ganz leicht. Doch er steckt mit seinen 28 Jahren voller Ideale. Sein Vater wäre stolz auf ihn gewesen.“

In diesem Moment wurde das Essen serviert und Samantha war froh, damit ihre aufgewühlten Gedanken in eine andere Richtung lenken zu können.

Zwei

Immer noch sprachlos stand Samantha einige Zeit später auf der Terrasse des geerbten Hauses, die im Schatten einer alten Kastanie lag. Sie ließ den Blick schweifen und konnte sich einfach nicht sattsehen. Zaghaft und mit kleinen Schritten war sie vor gut zwei Stunden Avvocato Russo auf dieses Anwesen gefolgt. Er hatte ihr die Schlüssel in die Hand gedrückt, sie zum Abschied überschwänglich umarmt und dann allein gelassen.

Das also war ihr Erbe von einem Mann, den sie nie im Leben gesehen hatte und von dem sie eigentlich nur den Namen kannte. Salvatore Maggiani. Ein einst angesehener Bürger dieses kleinen Fischerdorfes hier in Ligurien. Zumindest ging Samantha aufgrund der wenigen Informationen des Anwalts davon aus. Auf seinem Grundstück hatte Salvatore Zitronen und Oliven angebaut und geerntet, während eine Handvoll Ziegen in den terrassenförmigen Gärten hinter dem Haus grasten und vor sich hin meckerten. Samantha hatte durch die lebhafte Beschreibung von Signore Russo eine sehr klare Vorstellung davon. Nun gut, die Ziegen gab es nicht mehr. Wohl aber noch einige Zitronenbäume, wie sie unschwer erkennen konnte.

Die Luft war geschwängert von dem süßen Duft, der von den Oleanderbüschen ausging, die den Weg zum Zitronengarten säumten. Das Haus lag ein wenig abseits von der Strada Provinciale, doch durch den dichten Bewuchs nahm man kaum etwas von dieser Zufahrtsstraße nach Vernazza wahr. Samantha ließ ihre Finger sanft durch die Blätter und Blüten der Gartenpflanzen gleiten und konnte sich nicht entsinnen, wann sie das letzte Mal etwas so Wunderschönes gesehen hatte. Der Abend hatte für sie etwas Magisches an sich. Ihre Gedanken begannen, ruhigere Bahnen einzuschlagen. Das tat gut, gestand sie sich ein.

Langsam kehrte sie zum Haus zurück. Bei ihrer Ankunft hatte sie ihr Gepäck nur in die Eingangshalle gestellt. Richtig erkundet hatte sie das zweistöckige Haus jedoch noch nicht. Es war angenehm kühl im Haus, was an den dicht verschlossenen Fensterläden liegen musste. Jetzt, wo der Abend langsam etwas kühlere Luft mitbrachte, schien es Samantha angebracht, diese zu öffnen. Die Räume waren mit schweren dunklen Möbeln ausgestattet, die sich vornehm von den weiß getünchten Wänden abhoben. Langsam durchschritt Samantha jedes Zimmer. Obwohl alles adrett und sauber war, fand sie es ein klein wenig altmodisch. Doch das tat ihrer stillen Freude keinen Abbruch.

Die Küche war geräumig und bot Platz für einen großen Tisch in der Mitte, an dem gut und gerne zehn Personen Platz nehmen konnten. Mit einem Lächeln verglich sie diese Ausmaße mit den winzig kleinen Küchen ihrer Heimat. Ihre Mutter wäre wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen, wenn sie so viel Platz zum Kochen und Backen gehabt hätte. Der gekachelte Fußboden glänzte, als ob jemand gerade eben frisch über diese Fliesen geputzt hätte. Samantha öffnete neugierig die Schränke und fand einige Vorräte. Selbst im Kühlschrank war alles, was man in den ersten Tagen eines neuen Lebens gebrauchen konnte. Sie griff nach einer Flasche Milch und trank einen genussvollen Schluck davon. Mit einem tiefen Seufzer kickte sie nun ihre Schuhe von den Füßen, zog den Haargummi aus dem Haar und ließ ihren roten langen Haaren nach einem anstrengenden Tag endlich die Freiheit, sich in wilder Ungezähmtheit um ihr zartes Gesicht zu ranken.

Im hinteren Teil der Küche gab es eine schmale Tür, die in den Garten führte. Samantha setzte sich auf die kleinen Stufen und ließ wieder den Blick über das gleiten, was laut Anwalt Russo nun ihr gehörte. Sie hörte das Vogelgezwitscher und nahm ganz aus der Ferne das Rauschen des Meeres wahr. Alles war so friedlich.

Ihre Gedanken begannen darum zu kreisen, was sie nun mit ihrem Erbe anfangen würde. Es einfach zu verkaufen, kam für sie nicht infrage. Doch wenn sie einfach hierbleiben würde, müsste sie auch von etwas leben. Vielleicht sollte ich mich morgen im Ort umhören, ob ich irgendwo einen Job bekomme, dachte sie. Bei dieser Vorstellung schob sich ein Gesicht in ihre Überlegungen, bei dem sie sofort wieder dieses aufregende Kribbeln verspürte. Unruhe würde es wohl besser treffen. Antonio Bianchi mit seinen dunklen Augen, dem durchdringenden Blick und der unglaublich tiefen Stimme. Nicht nur sein Blick war ihr unter die Haut gegangen. Warum nur schien er auf sie so negativ zu reagieren? Samantha wusste keine Antwort darauf. Dennoch kam sie von diesem Mann in ihren Gedanken nicht los. Dafür, dass sie sich erst vor wenigen Tagen geschworen hatte, einen Mann nicht so schnell wieder in ihr Leben zu lassen, nahmen die Gedanken an Antonio Bianchi dann doch einen recht großen Raum ein. Samantha war aber viel zu berauscht von all dem Neuen, um diesen Umstand bewusst wahrzunehmen.

Sie wusste nicht, wie lange sie an der kleinen Hintertür gesessen hatte. Ihr war kühl geworden und sie beschloss, ins Bett zu gehen. Der Tag war aufregend und anstrengend genug gewesen. Ab morgen würde sie ihr neues Leben in Angriff nehmen. Antonio aber, den versuchte sie aus ihren Gedanken zu verbannen. Wer brauchte schon einen Mann, dem es offenbar zuwider war, einer Frau wie ihr die Hand zu reichen. Samantha mochte sich gar nicht vorstellen, wie ungehobelt er erst zu seiner Frau sein musste.

Drei

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, als Samantha etwas unsanft von einem lauten Geräusch geweckt wurde. Sie schlug die Augen auf und blickte verwirrt um sich. Erst einige Atemzüge später drang es wieder in ihr Bewusstsein, dass sie in ihrem Haus in Ligurien war. Sofort überschlugen sich die Gedanken in ihrem Kopf, denn die Eindrücke des gestrigen Tages hatte sie offenbar immer noch nicht verarbeitet. Wieder hörte sie das Geräusch, doch nun konnte sie es einordnen. Da war jemand im Haus und schloss offensichtlich mit lautem Getöse die großen Fensterläden im unteren Stockwerk.

Leise schob sie ihre schlanken Beine aus dem Bett und schlich zur Tür des Schlafzimmers. Mit angehaltenem Atem öffnete sie die schwere Eichentür einen Spalt weit, um auf den Flur zu schauen. Jetzt konnte sie auch die Schritte hören, mit welchen der Eindringling offenbar von Fenster zu Fenster ging. Samantha schob ihren schlanken Körper, der mit einem langen Schlafshirt bekleidet war, durch den Türspalt. Langsam bewegte sie sich auf das Treppengeländer zu. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Suchend blickte sie sich um, ob da nicht etwas wäre, was sie zu ihrer Verteidigung benutzen konnte. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie hoffte, der oder die Unbekannte würde es nicht hören können. Zaghaft setzte sie einen Fuß vor den anderen und kam so Stück für Stück dem Geräusch näher. Ein leises Gebrabbel drang an ihr Ohr. Doch sie konnte nicht verstehen, was da gemurmelt wurde. Sie war auf der letzten Stufe angekommen und schob sich nun langsam im unteren Flur vorwärts. Die Geräusche kamen jetzt eindeutig aus der Küche. Beherzt streckte Samantha nun den Rücken durch, griff nach dem alten Schirm am Garderobenständer und stürmte nun aufgeregt dem Eindringling entgegen.

„Was wollen Sie hier?“, rief sie mit zitternder Stimme und schwang dabei den Schirm durch die Luft.

Ihr blickten zwei dunkle Augen in einem rundlichen Gesicht entgegen, in denen sich eindeutig die Angst abzeichnete. Vor Samantha stand eine Frau von etwa 50 Jahren, die sie an eine kleine rundliche Großmutter erinnerte. Abwehrend hob die Frau die Hände, während sie mit immer noch angstgeweiteten Augen den Kopf schüttelte.

„Bitte, bitte, tun Sie mir nichts, Signorina!“

„Wer sind Sie und was suchen Sie hier?“

„Verzeihung Signorina. Mein Name ist Sofia. Sofia Catalano. Und ich kümmere mich um das Haus, seit Salvatore nicht mehr unter uns weilt“, erklärte die Frau, indem sie sich immer wieder bekreuzigte.

Samantha ließ den Arm mit dem Schirm sinken und atmete tief durch. Ihr wurde bewusst, dass sie den Atem angehalten hatte, um ihr aufgeregt klopfendes Herz zu beruhigen. Langsam begriff sie, dass Sofia wohl die gute Seele dieses Hauses war und zudem für all die Vorräte gesorgt hatte. Samantha ging ein paar Schritte auf Sofia zu und versuchte, ein Lächeln aufzusetzen.

„Entschuldige bitte Sofia, ich wusste nicht, dass es hier eine gute Seele gibt, die nach dem Rechten schaut.“

Hörbar atmete nun auch die dralle Italienerin aus. Die Angst in ihren dunklen Augen wich einer herzlichen Freundlichkeit, während sie auf Samantha zukam. „Herzlich willkommen!“

Etwas ungestüm drückte sie Samantha an ihren üppigen Busen, bevor ein neuerlicher Wortschwall erklang. „Ich bin aber auch dumm. Wie konnte ich nur so einen Krach machen? Mamma Donna! Sicher hast du noch geschlafen nach der langen Reise. Hast du Hunger?“ Ungefragt ging Sofia zum vertraulichen du über, was Sam aber keineswegs störte.

Samantha hatte schon befürchtet, Sofia würde nie wieder Luft holen und mit den Fragen aufhören. Sie lächelte und nickte nur. Damit war Sofias letzte Frage beantwortet. Prompt drehte sie sich um und begann mit Töpfen und Tellern zu hantieren, während sie Samantha über die Schulter zurief: „Mach dich nur in Ruhe für den Tag fertig, meine Schöne. Ich werde dir ein wunderbares Frühstück machen, dass dich stärken wird. Alles andere kannst du mir später erzählen.“

Sie wirbelte durch den Raum, was in Samantha die Erkenntnis erzeugte, dass die italienischen Küchen eindeutig groß genug sein mussten, um solchen Energiebündeln ausreichend Platz zu verschaffen. Samantha lachte und ging nach oben, um zu duschen.