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Halblinge haben es schwer unter Menschen. Lupina ist ein Halbling und lebt in Garbath, einer Handels- und Hafenstadt der Menschen. Hier muss sie sich zwischen Huren, Händlern und Halunken über Wasser halten. Stets ist sie in Geldnot und nimmt jede Arbeit an, die sie finden kann. Nun ja ..., fast jede. Als einem Bestatter zum vierten Mal eine Leiche gestohlen wird, soll Lupina Ermittlungen anstellen, aber bitte ganz diskret. So wird sie ganz unverhofft zur Detektivin. Mit Einfallsreichtum, bissigem Witz und spontaner Hochstapelei kommt sie der Lösung des Falls immer näher. Doch während sie dem Täter auf die Schliche kommt, begibt sie sich selbst in tödliche Gefahr. Ein Krimi, ebenso spannend wie heiter, im dichten Setting von epischer High Fantasy.
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Seitenzahl: 445
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Wichtige Personen
Lupina alias Lu
clevere Halblingsdame, Überlebenskünstlerin, betätigt sich detektivisch
Al da Rion
sympathischer Kapitän, Südländer
Bilgram
ein Tunichtgut
Dasal
Bestatter und Auftraggeber
Ghasal
ein zwielichtiger Fuhrmann
Gulmasal
Hilfsbereiter Meister der Heiler
Gulbuk
toter Orksöldner
Jaguris
Leichenwäscherin und Kräuterweib
Karal
Gastwirt, Vermieter, fast ein Freund
Karimba
toter Südländer
Mardilo
toter Matrose
Mirwal
Sarogos junger Gehilfe
Punto
Friedhofswärter und Säufer
Risa
Puffmutter
Sarogo
Bestatter am Bärenturm
Sorion
Nobelarzt aus Ranak
Spirek
hübscher Matrosemit Knackpo
Tim
toter Wächter
Ugulis
halbblinde Witwe und Zimmerwirtin
Wichtige Personen
Prolog
1
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Epilog
Noch Fragen?
Im Anfang gab es nur Lana, die Erde und Rasul, den Himmel. Und Rasul umspannte Lana und bedeckte sie. Da gebar Lana Rasul drei Kinder: Zuerst kam Firi zur Welt, die Lebensspenderin, die alles liebt, was wächst und gedeiht, später die Zwillinge Varon und Zamur. Klarheit und Licht lagen Varon am Herzen. Zamur aber gefiel nichts mehr als das Geheimnisvolle und das Verborgene.
Varon und Zamur liebten beide Firi. Schnell waren sie Rivalen um ihre Gunst. Doch Firi wählte sich schließlich Varon als Gatten und Zamur verschmähte sie. Von Firi und Varon stammt das Geschlecht der Götter ab, die sich auf der Erde niederließen. Die Götter endlich schufen hienieden die Vielfalt der Wesen und Dinge und ihre Ordnung. Sie wachen über die Erde und sorgen für alle Völker.
In Zamur jedoch brennt noch immer heiß der Zorn verschmähter Liebe. Er hasst und verfolgt seit jenen Tagen Varon und Firi. Für ihre Kinder erfand er die Versuchung. Seither verdirbt er die Völker der Welt, so dass sie die Götter und ihre Ordnung verachten. So schafft Zamur Chaos, um die verhassten Götter zu strafen.
So lehren es die Priester von Garbath seit Alters her.
Ich war nie sonderlich religiös. Mein Vater hatte stets gesagt, Boden- und Wetterkunde wären genug für unsereins. Wir bräuchten keine Tempel und Priester wie die Trampelfüße.
Er war ein typischer Halbling, ein nüchterner Bauer mit praktischem Verstand und einfachen Wünschen. Er lebte, wie fast alle Halblinge, in den grünen Hügeln am Rande der Rotsteinberge. Auch ich habe nur einfache Wünsche. Seit zwei Jahren lebe ich in Garbath, einer Stadt voller Trampelfüße, die ich laut natürlich stets Menschen nenne. Einige leidvolle Erfahrungen zu Beginn meines Stadtlebens haben mich gelehrt, Spott- und Schmähnamen für mich hinzunehmen. Selbst benutzte ich natürlich keine. Zumindest nicht laut.
Meine Wünsche sind wahrhaftig nicht sehr anspruchsvoll: Ein Bett in einem Zimmer, das mir allein gehört, genügend Geld für zumindest annähernd regelmäßige Mahlzeiten mit etwas Bier und ein wenig Respekt für meine Person, auch wenn sie nur wenig mehr misst als drei Menschenellen. Aber die meisten dieser einfachen Wünsche schienen heute unerreichbar zu sein.
Ich kehrte dem Bravistempel, geweiht der üppigen Göttin des Wohlstandes und des Handels, den Rücken und konnte ich es kaum fassen. Hatte ich dort wirklich um Arbeit nachgefragt? In meinem Ohr hallte noch das Echo meiner eigenen Stimme: »Bitte, ich kann arbeiten! Ich bin bereit, alles zu tun! Ich bin viel stärker, als ich aussehe und ekle mich vor nichts …«
Du meine Güte! Da hatte ich aber dick aufgetragen! Genau genommen hatte ich sogar gelogen, denn inzwischen ekelte ich mich vor mir selber. Ich war bereit gewesen, für ein paar Scheiben vom Opferbraten meine Grundsätze zu verraten.
War ich inzwischen verzweifelt genug, um für diese schmerbäuchigen Schmarotzer in den bunten Roben bis zum Oberarm in zuckendem Tiergedärm zu wühlen, damit sie mit ihren Elfenbeinstäben auf die buntschillernden Darmschlingen zeigen konnten, um die Zukunft zu prophezeien? Nach meiner Überzeugung zeigt sich die Zukunft nur in den aller seltensten Fällen im Wirrwarr von Schafgekröse.Ich war sogar auf die Knie gesunken und hatte regelrecht um Arbeit gebettelt, doch der Fettsack im malvenfarbenen Gewand hatte für mich nur ein missmutiges Grunzen übrig. Als ich ihn nach einer Minute immer noch hoffnungsvoll ansah, antwortete er schließlich mit wippenden Schweinsbacken und meinte, der Tempel habe wegen der schlechten Zeiten leider keine Verwendung für mich. Auch die Diener der Götter müssten sparen, um so mehr, nachdem man nun wohl leider die schönen, geweihten Silberleuchter ersetzen müsse. Es sei unglaublich, dass heutzutage sogar die Tempel bestohlen würden. Er könne leider gar nichts für mich tun. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit seinen Fleischspießchen zu und ich mich ab.
Es war zum Verzweifeln. Ich brauchte Geld. Ich brauchte es dringend und hatte keine Ahnung, was ich noch versuchen sollte. Zwar gab es noch immer zwei lukrative Angebote, doch ich war weder gewillt, mich für Geld von betrunkenen Idioten zur Belustigung in Misthaufen werfen zu lassen, noch hatte ich vor, an die andere Option auch nur zu denken. Diese andere Möglichkeit hatte ich schon am ersten Tag in Garbath angeboten bekommen und sicher hätte ich damit stets genug verdient. Aber das wollte ich auf gar keinen Fall. Nie!
Ich kehrte zum »Alten Schild« zurück. Meine jämmerliche Barschaft ließ mir nur drei Möglichkeiten: Ich konnte ein paar Bier trinken oder etwas essen. Oder ich bezahlte wenigstens einen Teil meiner Zimmermiete.
Der »Alte Schild« war ein kleines Gasthaus und in dieser Stadt für mich das, was einem Zuhause am nächsten kam. Karal, der Wirt, war verträglich. Er war einer der wenigen Trampelfüße, mit denen man sich unterhalten konnte, als »Gleichgestellter« oder »von Mensch zu Mensch«, quasi »in Augenhöhe« oder »auf dem selben Niveau«. Sogar in ihrer Sprache sind die Trampelfüße diskriminierend. Mein Vater hatte mir geraten: »Halte dich von ihnen fern: Sie sind gemein, roh und ungeschickt.« Aber er war nur ein Halblingsbauer und sah nie weit über den Hintern seines Zugschweines hinaus. Er hatte nur die üblichen dummen Vorurteile.
Ich hatte nun zwei Jahre lang unter ihnen gelebt und wusste es besser. Sie waren gemein, roh, ungeschickt, und meist noch boshaft und dreckig. Um so angenehmer war es, einen zu kennen, der etwas liebenswerter war. Jemanden, der mich so nahm, wie ich nun mal bin. Doch Karal war Wirt und kein Wohltäter. Ich war schon eine Woche mit meiner Miete im Rückstand. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er mich darauf ansprechen würde. Dann hieß es betteln und um Aufschub bitten. Ich hasse es, mich zu erniedrigen. Ich bin schon klein genug.
Ich ging auf die schmale Fachwerkfassade vom »Alten Schild« zu, als mir ein vertrauter, sehr angenehmer Geruch in die Nase stieg: Karal hatte wieder einmal seinen Eintopf mit Weißkraut auf dem Feuer. Mit etwas Glück konnte ich später, wenn Karal abgelenkt war, in der Küche für mich eine Portion abzweigen, ohne dass es ihm auffiel. Damit war die Entscheidung gefallen: Ich würde Bier trinken.
Wie so oft am späten Vormittag waren die wenigen Tische in der kleinen Gaststube leer. Das war mir nur recht, denn dann würde man mich wenigstens nicht anpöbeln. Karal stand hinter der kurzen Theke und putzte Gläser. Im Gegensatz zu mir war er gut gelaunt und strahlte mich freundlich an.
»Hallo Lu! Na, Glück gehabt bei der Arbeitssuche?«
»War nix! Diese Priester müssen zusehen, wie sie ohne mich zurecht kommen. Aber ich habe so dies und das gehört. Noch hab ich ein paar Eisen im Feuer. Heute Nachmittag werde ich noch einmal losziehen.«
Das war gelogen und ich wusste, dass sich auch Karal darüber im Klaren war. Trotzdem versuchte ich möglichst viel Ruhe und Zuversicht auszustrahlen, während ich auf meine Stammkissen auf der Bank am hintersten Tisch kletterte. Gerade wollte ich ein Bier bestellen, als Karal unaufgefordert mit zwei schaumbekrönten Krügen herüber kam und sich zu mir an den Tisch setzte.
»Durst? Du siehst aus, als könntest du etwas vertragen.«
Ich bedankte mich artig und sah vor meinem inneren Auge schon ein ernstes Gespräch über die Miete auf mich zukommen. War es Zeit, mein Bündel zu schnüren und in leeren Fässern am Hafen nach einem trockenen Platz für die Nacht zu suchen? Karal schob mir einen Zettel. Ich zögerte, doch als ich einen Blick darauf warf, sah ich mit Erleichterung, dass es ihm nicht um meine Schulden ging.
Es war eine Art Stellenanzeige.
Suche jemanden für diskrete Nachforschungen.
Absolute Verschwiegenheit und Zuverlässigkeit wird erwartet, angemessene Bezahlung geboten.
Bestelle am Waschtag zur Mittagsstunde in der Herberge »Zur Fähre« ein Glas Ochsenblut.
Karal grinste: »Das wird heikel. In der Stadt hat kein Gasthaus mehr Ochsenblut.«
Auch ich hatte natürlich gehört, dass dieser schwere Rotwein von der Halbinsel Ranak nicht mehr in die Stadt gekommen war, seit das räuberische Seefahrervolk der Milwinger Ranak erobert hatte. Das war vor mehr als drei Jahren gewesen. Der Wein war beliebt gewesen und inzwischen hatte die vielen Zecher der Stadt alle Vorräte ausgetrunken. Alle Versuche der Rückeroberung der Halbinsel waren bisher so halbherzig unternommen worden, dass sie stets gescheitert waren. So muss das Königreich Belgaria leider auf den guten Wein verzichten.
Ich begann laut nachzudenken: »Wer immer das geschrieben hat, ist clever. Er will sich die Bewerber in Ruhe ansehen. So kann er im Hintergrund bleiben und abwarten. Niemand mit Verstand bestellt mehr Ochsenblut. Es ist ja allgemein bekannt, dass es nirgendwo mehr welchen gibt. Jeder, der es doch tut, ist ein Kandidat. Und der Schreiber dieses Zettels kann die Interessenten beobachten und sich als Auftraggeber zu erkennen geben. Oder er lässt es, wenn ihm der Bewerber nicht gefällt.«
»Du bist ein Fuchs, Lu!«
»Wer hat dir den Zettel gegeben?«
»Ich war in der Küche, als ich die Tür hörte. Da habe ich nachgesehen. Es war aber niemand mehr da. Nur dieser Zettel hing an einem Reißnagel an der Tür. Ich hab´ gedacht, das könnte etwas für dich sein und habe ihn abgenommen.«
Ich dankte Karal für das Bier und den Zettel. Als die ersten Gäste kamen, zog ich mich in mein Zimmer zurück. Ein Streifen hellen Sonnenlichts fiel durch das winzige Gaubenfenster in die kleine Kammer unter dem Dach. Die Einrichtung war spärlich. Ein Bett, das – wie fast alles – viel zu groß für mich war, eine alte, wurmstichige Truhe, ein Stuhl und ein Tisch, den ich unter die Gaube geschoben hatte. Über den Stuhl kletterte ich auf den Tisch und stand, wie so oft, wenn ich Heimweh hatte, am Fenster. Von hier aus konnte man über das bunte Gewirr der Dächer blicken. Mit dieser Weite vor Augen fühlte ich mich nicht mehr so klein. Auch die Fachwerkhäuser sahen aus dieser Perspektive, von oben, stets einladend und gemütlich aus. Bei gutem Wetter konnte ich fern im Osten sogar das Rotsteingebirge erkennen.
Ich stand eine ganze Weile so da und dachte nach. Über Karal und die spröde Freundschaft, die uns verband, über meine Schulden, die dummen Trampelfüße und ihre billigen Gemeinheiten, die schäbige Stadt, die ihren Reichtum dem Flusshafen und dem Brückenzoll verdankt. Ich dachte nach und fasste einen Entschluss. Ich würde diesen Auftrag übernehmen.
Am nächsten Morgen schlief ich recht lang, dann machte ich mich in Ruhe zurecht und zog mich an. Ich fand, ich machte eine zwar kleine, aber gute Figur. Gestern Nachmittag hatte ich mir noch einen Eimer Wasser und etwas Eintopf aus der Küche geholt. Nach dem stibitzten Abendessen hatte ich mir die Haare gewaschen. Nun fielen sie üppig und seidenweich wie ein goldener Wasserfall aus der Haarspange im Nacken bis auf meine Taille herab. Mein kurzes, nachtblaues Lederkleid war robust, kleidsam und passte hervorragend zu meinen Augen. Ein schwarzer Ledergurt mit schwerer Schnalle, drei Finger breit, verlieh meiner Figur vorteilhafte Kurven. Die Füße steckten in frisch geputzten Stiefeln. Zwar meinen die Trampelfüße, wir würden stets barfuß laufen, doch im Winter ist das kaum empfehlenswert und auch nicht im Sommer in einer Stadt, in der jedermann seinen Nachttopf auf die Straße leert. Ich überlegte mir, ob ich meinen Dolch in den Gürtel stecken sollte. Ich entschied mich dagegen. Für Notfälle hatte ich ein kleines Messer im rechten Stiefelschaft. Das war ein weiterer Grund, Stiefel zu tragen.
Ich kletterte auf den Tisch. Das Fensterglas warf schwach mein Spiegelbild zurück. Was ich sah, gefiel mir: Eine hübsche Halblingsdame, schlank aber nicht mager, mit feinen Zügen, gesundem Teint, selbstsicherem Lächeln und neckischen Grübchen. Nicht zu jung für eine ernsthafte Aufgabe, aber jung genug, um jede Herausforderung anzunehmen. Wenn ich noch vor Mittag in der »Fähre« sein wollte, war es nun Zeit, aufzubrechen. Ich riss mich von meinem Spiegelbild los, sprang vom Tisch und machte mich auf den Weg.
Die Herberge »Zur Fähre« lag am anderen Ufer des Flusses Illman, der die Stadt durchfloss. Auf der besseren Seite. Das sagten zumindest die von drüben. Dort drüben, auf dem Ostufer, gab es die breiteren Straßen und die schöneren Häuser. Sie waren dort im Durchschnitt größer und auch teurer ausgestattet. Die Westseite der Stadt war dichter bebaut. Hier lebten die vielen Handwerker, die in ihren Werkstätten Glaswaren, Spitze, edle Tuche und feine Schmiedearbeiten herstellten. Doch obwohl am Westufer so fleißig gearbeitet und produziert wurde, sammelte sich der Reichtum der Stadt hartnäckig auf der anderen Seite des Illman. Fast alle bedeutenden Händler und Kaufleute hatten ihre Kontore auf der Ostseite und wohnten hier in ihren schmucken Häusern, die zu sagen schienen: »Sieh her! Hier sind Reichtum und Glück zu Hause. Armut und Elend sind hier nicht willkommen! Also troll´ dich besser und verunziere nicht unsere sauberen Straßen!«
Ich gehe nur ungern auf die andere Seite. Nicht so sehr, weil ich meinen würde, dort nicht recht hinzupassen. Aber der einzige Weg nach drüben führt über die Brücke.
Die Brücke! Sie ist weit mehr als die Verbindung zwischen den beiden Ufern. Sie ist ein eigener Stadtteil und der belebteste Ort in Garbath. Ihre Planer hatten sie einst großzügig und breit angelegt, doch inzwischen ist die Brücke dicht mit schmalbrüstigen Holzhäusern bebaut. Sie stehen so eng aneinander gedrängt, dass ihre schmalen Fassaden der Straße Licht, Luft und Raum nehmen. Hier herrscht selbst mittags Zwielicht.
Fast jedes zweite Haus ist eine Taverne. Wo nichts zu trinken ausgeschenkt wird, kann man sich tätowieren lassen, überteuerte Waffen, nutzlose Amulette und willige Mädchen kaufen oder auf beinahe jede nur denkbare Art sein Geld verlieren. Die Brücke kennt keine Sperrstunde. Zu jeder Tages- und Nachtzeit finden hier die Seeleute vom nahen Hafen Schnaps, Glücksspiel und ähnlichen Zeitvertreib. Doch nicht nur Seeleute, sondern auch zunehmend Orks suchen hier Vergnügen und Ärger, worin viele Orks aber kaum einen Unterschied sehen. Seit die Stadtregierung in den Graubergen Orks als Söldner zur Befreiung Ranaks angeworben hat, haben auch sie freien Zugang zur Stadt, damit sie hier ihren Sold verpulvern können. Nur wenn die Stadt an den Orksöldnern mitverdient, kann sie sich diese Streitmacht leisten.
Seither ist die Brücke kein sicherer Ort mehr. Um unbelästigt die Ufer wechseln zu können, bedienen sich die betuchten Bürger verstärkt der Fähre, ein Stück flussaufwärts. Doch wem, wie mir, das Fährgeld zu teuer ist, dem bleibt nur die Brücke.
Ich bin ebenso flink und geschickt wie nur irgendein Halbling, doch wenn links und rechts der Weg von Mauern oder nassem Abgrund versperrt wird, kann selbst ich mich nicht beliebig verkrümeln. Und eine Prügelei mit betrunken Seeleuten ist ein Kirmestänzchen im Vergleich zu ein paar angetrunkenen Orks, die meinen, sie müssten ihren Jux mit dir machen.
Heute hatte ich Glück: Ein Stück vor der Brücke gelang es mir, unbemerkt von hinten auf ein Fuhrwerk springen. Ich duckte mich hinter die prallen Getreidesäcke, während die Zugochsen sich gemächlich und unaufhaltsam durch das Gedränge auf der Brücke schoben. Als der Wagen am anderen Ufer angelangte, sprang ich ab. Das Gasthaus zu finden war nicht weiter schwierig. Es lag, wie es der Name vermuten ließ, direkt am Ufer ein Stückchen flussaufwärts, gleich neben der Fähre. Ein zweigeschossiger Fachwerkbau unter einem breiten, behäbig wirkenden Dach und allerlei Anbauten. Es sah fast aus, als genieße das Haus die Frühlingssonne und hätte sich gemütlich zurechtgeräkelt, um möglichst viele Sonnenstrahlen aufzufangen.
Beim Eintreten blieb der einladende Eindruck erhalten: Sieben oder acht gescheuerte Holztische standen im Sonnenlicht, das durch die Butzenscheiben in die Gaststube fiel und helle Muster in gelblichen oder grünlichen Flecken malte. Saubere Binsen bedeckten den Boden und einige der Bilder an den Wänden waren weniger geschmacklos, als ich es aus anderen Lokalen gewohnt war. Der Raum war noch fast leer. Nur am hintersten Tisch saßen drei Trampelfüße, droschen Karten und waren intensiv mit sich selbst beschäftigt. Ich suchte mir einen Platz möglichst in der Mitte des Raumes mit guter Übersicht. Die dralle Kellnerin erschien, und die freundliche Stimmung erhielt einen Dämpfer.
»Was willst du denn hier? Kannst du überhaupt bezahlen? Zeig mir mal dein Geld!«
Diese Art der Begrüßung hatte ich schon in verschiedenen Gasthäusern erlebt. Deshalb trug ich stets einige eiserne Blechscheiben mit meinen wenigen Geldstücken in meiner Börse, die ich nun schwer und dumpf auf die Tischplatte fallen ließ. Ich zwang mich zu einem Lächeln.
»Hierin ist mein Geld. Wenn du nun so gut sein möchtest, mir Käse, Brot und Bier zu bringen, bin ich dir dankbar.«
Befriedigt, aber nicht wesentlich freundlicher, schob die Bedienung ihren Hintern zur Küche. Mittlerweile hatte ich gelernt, dass es oft besser ist, diesen großen Idioten nachzugeben. Trotzdem war mir erst mal die gute Laune verdorben. Wieder einmal wusste ich genau, wo in dieser Stadt mein Platz ist.
Nach einem guten Stück Käse und einer ordentlichen Scheibe Brot hatte ich mich wieder beruhigt. Die Sonne näherte sich dem Zenit. Für den Auftraggeber wurde es allmählich Zeit zu erscheinen. Zwei Kaufleute hatten sich inzwischen an ein Fenster gesetzt und sprachen sehr angeregt über irgendwelche Ladungen, Profite und Zinsen. Sie schienen nur wenig auf andere Gäste zu achten. Als die Kaufleute ihr Essen serviert bekamen, nahm ein dürrer Mann zwischen meinem Tisch und dem Schanktisch Platz. Als nächster betrat ein vierschrötiger Ork den Schankraum, pflanzte sich auf den erstbesten Stuhl und plärrte nach Ochsenblut. Ich grinste. Das war genau die richtige Methode, um sich für diskrete Nachforschungen zu empfehlen. Die zwei rotnasigen Gestalten, die als nächstes eintraten machten es schon besser. Sie warteten ab, tranken erst jeder ein Bier und bestellten erst dann den Wein, den es nicht gab. Doch die Art, wie sie ihrem Bier zusprachen und ihre Säufervisagen ließen ahnen, dass Verschwiegenheit von ihnen nur bedingt erwartet werden konnte.
Der dürre Mann am Tisch neben mir war anscheinend völlig auf seine Suppe konzentriert. Er blickte nicht auf, als ein drahtiger Rotschopf sich in die dunkelste Ecke des Lokales setzte, und sich dort so weit wie möglich in den Schatten zurückzog.
Wenn ein Halbling unter Trampelfüßen sein Teil bekommen möchte, darf er nicht warten, bis es angeboten wird. Er muss es sich beizeiten nehmen. Oft genug muss man es dann auch noch verteidigen. Als ich gestern beschloss, den Job zu übernehmen, war mir klar, dass ich mehr tun musste, als den Wein bestellen und zu hoffen, dass der Auftraggeber sich mir zu erkennen gibt. Das war für mich als Halbling eine todsichere Methode, abzublitzen und als ein weiblicher Halbling allemal. Deshalb hatte ich gestern beschlossen, selbst den Auftraggeber anzusprechen. Damit war sein Wunsch, unerkannt zu bleiben, bestens gewahrt und ich empfahl mich für den Auftrag mit einer Probe meines Scharfsinns.
Mit dem scheeläugigen Typen, der sich zwischenzeitlich an den Tisch mir gegenüber gesetzt hatte und links und rechts um sich linsend ein Bier trank, gab es im Moment fünf mögliche Auftraggeber: Mein schielendes Gegenüber, den Suppenlöffler, der weiterhin mit genussvollem Löffeln beschäftigt war, den rothaarigen Schweiger im Schatten und die Kaufleute. Sie unterhielten sich zwar immer noch, doch ich mochte nicht ausschließen, dass einer nur auf das Stichwort lauerte.
Die Zeit verrann. Inzwischen hatten die Kaufleute gezahlt und waren gegangen und der Scheeläugige wurde zunehmend zapplig und nervös. Innerlich hakte ich ihn ab. Vermutlich würde er jeden Moment seinen Schoppen bestellen. Und selbst wenn er der Auftraggeber war: Für ihn würde ich nicht arbeiten. Ein Blick in seine Augen reichte, um zu wissen, dass eine Geschäftsverbindung mit ihm nicht gut gehen konnte. Der rothaarige Schattenfreund war geduldiger. Er war aufmerksam. Seine Augen glitten immer wieder von Gast zu Gast. Er konnte der Urheber der Anzeige sein. Allerdings sah seine Kleidung nicht gerade so aus, als hätte er einen lukrativen Auftrag zu vergeben. Der Suppenlöffler war besser gekleidet und hatte sich den Platz mit der besten Übersicht gewählt. Er war rechtzeitig gekommen. Er benahm sich nicht so auffällig unauffällig, wie der Schattenfreund. Er wirkte nur konzentriert, still und ernsthaft. Ich fragte mich, wie viel ungeteilte Aufmerksamkeit seine Lauchsuppe wohl verdienen mochte. Damit hatte ich meine Entscheidung getroffen. Es war inzwischen fast eine Stunde nach Mittag und Zeit für den nächsten Schritt.
Aus meiner Tasche holte ich einen kleinen Brief, den ich noch im »Alten Schild« geschrieben hatte. Er lautete:
Ich bin verschwiegen, scharfsinnig und zuverlässig.
Wenn sie mich brauchen können,
laden sie mich zu einem Bier ein.
Unauffällig, hinter der Deckung des Brotkorbes, ließ ich das Stück Pergament zu Boden gleiten, unter den Tisch des Löfflers. Dann, fünf ruhige Atemzüge später, stand ich auf und trat an den Nachbartisch.
»Verzeihung, ihnen ist da etwas heruntergefallen. Vielleicht ist es wichtig.«
Ich bückte mich und reichte dem verdutzten Mann mein Briefchen. Er überflog es, während ich mich an meinen Tisch setzte und mich scheinbar wieder ganz meinem Käse widmete. Hatte ich den Falschen erwischt, war ich ganz schön angeschmiert. Hatte ich mich gerade trickreich selbst überlistet hätte, vor lauter Schlauheit?
Zum Glück war der Suppenfreund weder erbost noch gelangweilt. Er war eher irritiert. Wenn ich den richtigen Mann gefunden hatte, dann war er vermutlich nicht darauf gefasst gewesen, dass jemand seine Spielregeln verändert. Nun überlegte er vermutlich, ob es zu seinem Nachteil war, das Spiel nach den neuen Regeln mitzuspielen. Andererseits war er aber vielleicht einfach nur einer von diesen trägen Trampelfüßen, denen man schon backtags in den Hintern treten muss, damit sie sich waschtags bewegen.
In meinem Geist formten sich auf einmal Worte, die ich wie eines der Schwachsinn erzeugenden Mantras im Tempel des Wimlo still für mich wiederholte, immer und immer wieder:
»Bestellmireinbierbestellmireinbier…«
Erst nach einer Ewigkeit von knapp zwei Minuten kam die Bedienung wieder vorbei. Der Löffler bestellte sich ein Bier. Ich hielt den Atem an. Als die Bedienung sich schon fast zum Gehen umgewandt hatte, wandte er sich an mich:
»Darf ich Euch auch ein Bier bestellen? Ich hätte einiges Geld verloren, hätten sie mir nicht mein Pergament zurückgegeben. Es war ein Schuldschein.«
Ich hätte jubeln können. Doch ich blieb äußerlich ruhig, bedankte mich artig und lud ihn ein, sich an meinen Tisch zu setzten. Er orderte noch ein Bier für mich und stellte sich als Dasal vor. Als er mir nun mit dem Rücken zu den übrigen Gästen gegenüber saß, begann er die übliche Menschenkonversation: Wetter, Politik, die müßige Klage, dass man bei beiden nichts ändern kann, dann wieder Politik und Wetter …
Mir war klar, dass er hier nichts erzählen würde. Ich spielte also mit und tat so, als sei ich an nichts mehr interessiert, als an den Sommergewittern und ihrem Einfluss auf die Getreideernte. Immerhin konnte ich diesen Dasal richtig betrachten. Er war »im besten Alter«, nicht mehr jugendlich, mit etlichen grauen Haaren, doch ziemlich mager, drahtig. Ich schätzte ihn etwa 45 Jahre. Die Kleidung, die er trug, war sehr schlicht.
Zur Zeit trägt ein Mann in Garbath, wenn er etwas auf sich hält und es sich leisten kann, leuchtende Farben und allerlei bunte Litzen, Stickereien oder zumindest Schneckenornamente aus aufgenähten Kordeln auf der Brust. Dasals Wams war, soweit ich das beurteilen konnte, nach einem modischen Schnitt aus sehr gutem Tuch geschneidert, in schlichtem taubengrau und nur sparsam mit dezenten Verzierungen besetzt. Offensichtlich wollte er nicht wie ein zu Wohlstand gekommener Gaukler wirken. Sein Gesicht trug feine Züge und wirkte sympathisch. Doch tief in seinem Blick erkannte ich Angst und verzweifelte Sorge.
Hinter Dasal bestellte nun der Scheeläugige lautstark einen Becher Ochsenblut und der rothaarige Schattenhocker natürlich im gleichen Atemzug ebenfalls! Die Bedienung verstand nun die Welt nicht mehr. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schimpfte los:
»Ochsenblut! Ochsenblut! Immer wieder nur Ochsenblut! Was ist denn mit Euch los, bei allen Göttern! Hört mal alle her! Ich sage es besser gleich laut für´s ganze Lokal! Wir haben kein Ochsenblut mehr! Wir haben überhaupt keine Weine mehr aus Ranak! Kein Ochsenblut und auch keinen Roten Tröster. Sogar die Göttertränen sind alle und ebenfalls der schwarze Garmel. Wir haben nur den Freudentrunk aus Niedertamul! Sonst nix! Klar? Wer Wein aus Ranak möchte, soll bitte erst mal hinunter gehen und diese Piraten vertreiben!«
Diese zornige Rede löste erst recht allgemeine Heiterkeit im Lokal aus. Auf einmal schrien sogar die Kartenspieler nach Ochsenblut und anderen flüssigen Leckereien, die es nur auf der verlorenen Halbinsel gab. Mit diesen Albernheiten brachten sie die Kellnerin nun erst richtig in Rage. Sie lief rot an und explodierte:
»Ihr dummen Saufnasen! Was soll denn der Unsinn? Könnt ihr nicht bestellen, was im Keller ist, wie sonst auch? Das ganze Jahr genügt Euch unser Bier! Aber heute, nur um mich zu foppen, muss es dieser Ranakwein sein! Lasst mich doch in Ruhe! Ich hab´ zu arbeiten. Bestellt gefälligst, was auch da ist!«
Nach diesem erneuten Ausbruch erschallten nun erst recht immer ausgelassener und lauter von allen Tischen unerfüllbare Bestellungen. In diesem munteren Trubel raunte Dasal mir seine Adresse zu und bat mich, ihn in zwei Stunden aufzusuchen. Noch bevor es in der Gaststube so richtig hoch herging, verdrückte ich mich und ließ Dasal mit meiner Zeche zurück.
Zwei Stunden später saß ich auf einem weich gepolsterten Stuhl in Dasals Büro. Mein Auftraggeber wirkte hinter seinem großen, dunklen Schreibtisch wie hinter einer Schutzmauer und musterte mich schweigend. Ich hatte mir bisher nie vorgestellt, wie es bei einem Bestatter aussehen würde und war deshalb auf vielerlei gefasst gewesen. Jedoch auf nichts wie diesen Raum. Er war violett gestrichen und mit dunklem Teppich ausgelegt. Alles war hier teuer plüschig und auf eine ausgesucht harmonische Art geschmacklos, die weißen Lilien in den großen Bronzevasen eingeschlossen. Auf einer Kommode neben dem Fenster stand, flankiert von dicken Kerzen, eine Statue von Alvaris. Sie zeigt diese mütterliche Totengöttin, wie sie die Seelen der Verstorbenen in ihrer Schürze über den Unterweltfluss Rummas trägt. Es war klar, dass Dasal mit seinem Gewerbe keine Not litt. Ich überlegte mir, wie hoch eine angemessene Belohnung bei dem hier zur Schau gestellten Luxus sein mochte und verdoppelte innerlich meine Erwartungen.
Inzwischen gab ich Dasal Zeit, sich ein Bild von mir zu machen und wartete geduldig, bis er das Gespräch eröffnen würde. Da er so auf Geheimhaltung erpicht war, war es vermutlich besser, ihn sein Tempo selbst wählen zu lassen und zu warten, bis er von sich aus über sein Problem reden wollte. Als er dann mit leiser, weicher Stimme zu sprechen anfing, wehte der Wind aber plötzlich aus einer anderen Richtung:
»Ich weiß wirklich nicht, ob ich dich brauchen kann!«
Meine Gedanken fingen an zu rasen. Der Job war also noch nicht in trockenen Tüchern! Dasal wollte kneifen! Wenn ich ihm jetzt die Initiative überließ, war alles aus!
»Ich hatte mir eher vorgestellt, dass …«
»Meister Dasal«, unterbrach ich ihn und riss ich das Gespräch an mich, noch bevor er seine Vorstellungen zu Ende bringen konnte: »Ihr hättet diesen Zettel nicht geschrieben, wenn ihr nicht ein Problem hättet!«
»Ja …«
»Das Problem ist von delikater Natur! Sonst hättet ihr nicht so deutlich auf Verschwiegenheit bestanden.«
»Nun, – ja …«
»Und es wird eher Geisteskraft gebraucht, nicht so sehr Muskelkraft, denn sonst hättet ihr euch irgendeinen Seemann genommen, der nächste Woche wieder fort ist und womöglich nie mehr wiederkommt.«
»Das ist schon …«
»Meister Dasal! Ich bin genau, was ihr braucht! Ich habe euer Inkognito in der ›Fähre‹ vor den anderen Glücksrittern bewahrt. Glaubt ihr denn ernsthaft, sie wären euch nicht gefolgt, wenn ihr auch nur einen von denen angesprochen hättet, die Ochsenblut bestellt haben? Während wir nun hier in Ruhe in Eurem Arbeitszimmer sitzen und niemand etwas ahnt, hocken die anderen noch immer im Gasthaus und belauern sich gegenseitig! Habe ich meinen Scharfsinn nicht bewiesen, indem ich euch gefunden habe?«
Fieberhaft suchte ich nach weiteren Argumenten und ließ ihn damit zu Wort kommen.
»Aber woher weiß ich, dass du bei Nachforschungen so geschickt bist, wie du sagst? Vielleicht hast du gesehen, wie ich die Zettel aufgehängt habe. Dann wäre das Erkennen im Lokal keine Kunst gewesen!«
Ich konnte ihm unmöglich das Gegenteil beweisen und sah meine Felle davon schwimmen! Er wollte Referenzen! Ich hatte keine. Verzweifelt flunkerte ich wild drauf los, und hoffte, dass ich mich nicht in dem Lügengewebe verheddern würde:
»Es ist nicht das erste Mal, dass ich insgeheim Nachforschungen durchführe. Aber bei derartig sensiblen Aufträgen kann mir natürlich niemand ein Empfehlungsschreiben geben. Ich kann Euch nur bitten, mir zu glauben, denn Beweise kann ich leider nicht vorlegen. Aber trotzdem ist es wahr, dass die Skandalküche in Garbath um einiges heftiger gebrodelt hätte, wenn ich einer hochgestellten Person nicht kurz vor der Verlobung ein belastendes Angebinde wiederbeschafft hätte. Mir ist es ebenfalls zu verdanken, dass zwei Briefe, deren Adressen verwechselt wurden, nie am Bestimmungsort angelangten. Das rettete eine Ehe und ein völlig unbeteiligtes Leben, das anderenfalls unverschuldet dem Verdacht des Hochverrates ausgesetzt gewesen wäre.«
Ich sah ihm fest in die Augen, wechselte vom ehrerbietigen »Ihr« zum vertrauteren »Du« und legte all meine Überzeugungskraft in meine Stimme:
»Ich bin sicher, ich kann auch dein Problem lösen, wenn du mir nur Vertrauen schenkst. Hältst du die Galgenstricke und Tagediebe, die in der ›Fähre‹ nach Ochsenblut geplärrt haben, wirklich für zuverlässiger? Wie diskret sind sie wohl? Würdest du ihnen eher vertrauen als mir? Außerdem bedenke auch dies: Niemand außer mir weiß, dass du ein Problem hast. Ich bin also zumindest teilweise eingeweiht! Lass mich die Nachforschungen durchführen. So hältst du den Kreis der Mitwisser so klein wie möglich. Du hast den ersten Schritt schon begonnen. Fass´ jetzt Mut und vollende ihn. Vertraue mir!«
Nun stand es auf Messers Schneide. Mir war ganz flau im Magen. Meine ganze Argumentation, gespickt mit viel zu leicht durchschaubaren Lügen, kam mir sehr wackelig vor. Doch irgendwie musste ich den rechten Ton getroffen haben. Dasals Hände machten sich selbständig und begannen einen wilden Ringkampf mit sich selbst, während er verzweifelt einen Ausweg suchte. Schließlich gab er sich einen Ruck und stand auf:
»Du hast vielleicht recht. Die Angelegenheit muss absolut geheim bleiben. Da du ja schon ein wenig weißt, kann ich also genauso gut dich anstellen. Je weniger Leute etwas ahnen, um so besser!«
Gewonnen! Ich atmete auf. So geschäftsmäßig wie möglich stellte ich die nächste Frage:
»Wie kann ich dienen, Meister Dasal? Was ist geschehen?«
Da fing er endlich an zu berichten: »Ich bin Bestatter. Man vertraut mir die Hüllen der Hingeschiedenen an, damit ich sie möglichst würdig aussehen lasse und ihren Übergang in das Drüben so feierlich wie möglich gestalte. Mit Fleiß und Mühe habe ich mein Institut zu dem gemacht, was es heute ist: das angesehenste der Stadt. Viele hochgestellte Familien zählen zu meinen Kunden. Natürlich begrabe ich auch weniger Bemittelte. Schließlich gibt es deutlich mehr Arme als Reiche, und auch weniger Vermögende müssen würdig unter die Erde. Doch ich will nicht leugnen, dass gerade mein guter Ruf in den Kreisen der feinen Gesellschaft mir mein finanzielles Wohlergehen sichert.
Doch nun ist alles bedroht! Wenn das bekannt wird, bin ich ruiniert. Ein solcher Skandal würde den guten Ruf von ›Dasals feierlichen Übergängen‹ zerschmettern!«
Er blickte mich direkt an, holte tief Luft, schluckte und ließ schließlich die Luft hörbar durch die Nase entweichen. Dann sprach er es mit fast tonloser Stimme aus:
»Mir sind Anvertraute gestohlen worden!«
»Ihr meint …«
»Die Hüllen der Verstorbenen. Die Leichen!«
Das letzte Wort hatte er fast unhörbar geflüstert. Mein Vater meinte stets: »Die Welt ist groß genug, selbst für den größten Unsinn!« Damit kommentierte er die seltsamen Marotten und Probleme der Menschen. Was er wohl zu Dasals Problem gesagt hätte? Es klang grotesk, völlig absurd, doch mir war klar, dass der Bestatter ein ernstes Problem hatte. Diese Stadt war voller Neider und Klatschbasen. Diese Neuigkeit war, wenn sie in Garbath die Runde machte, sicher sehr schädlich für Dasals Geschäft. Deshalb war seine Sorge um Diskretion durchaus verständlich. Er tat mir Leid.
Doch wie konnte ich ihm bei seinem Problem helfen? Zunächst einmal, indem ich mir aufmerksam die ganze Geschichte anhörte. Ich tat also so, als würde ich gewohnheitsmäßig nach entwendeten Leichen suchen und fing an, die unvermeidlichen Fragen zu stellen:
»Wie viele Leichen sind verschwunden?«
»Es waren vier Anvertraute. Der erste wurde mir aus der Werkstatt gestohlen, die anderen auf dem Friedhof ...«
»Wann geschahen diese Diebstähle?«
»Der erste war vor knapp zwei Jahren. Der Verblasste hieß Karimba und war ein Südländer, der mit einer Karawane gekommen war. Er starb an Wundfieber. Ich sollte ihn für die Bestattung herrichten. Doch bevor er noch begraben werden konnte, wurde er aus meiner Werkstatt entwendet, samt der Bahre. Doch am nächsten Tag war nicht nur die Hülle verschwunden. Auch die Karawane war weg, weitergezogen. Ich dachte zunächst, dass seine Genossen es sich anders überlegt hätten. Vielleicht wollten sie für seine Bestattung kein Geld ausgeben und hatten ihn mitgenommen, um ihn unterwegs zu begraben. Ich ärgerte mich über den Einbruch und über die Betrüger, die mich um mein Geld prellen wollten. Aber es war eine recht einfache Behandlung gewesen. Da kein allzu großer Schaden entstanden war, habe ich nichts unternommen.«
Dasal schwieg einen Moment und schloss die Augen.
»Der zweite Vorfall geschah vor fast einem Jahr«, fuhr er fort. »Es war ein Matrose namens Mardilo. Der Arme spielte betrunken Karten. Als er verlor, nannte er den anderen Falschspieler, fing einen Streit an und landete bei mir. Ein dünner Dolch, ein sauberer Stich, direkt ins Herz. Es hat kaum geblutet. Er konnte sogar sein eigenes Hemd tragen, als er bestattet wurde. Zwei Nächte später war sein Grab aber geöffnet und er war weg.
Mein dritter Verlust war vor etwa 4 Monaten. Ein Ork war betrunken von der Brücke in den Fluss gefallen. Angeblich können Orks ganz gut schwimmen, zumindest wenn sie nüchtern sind. Der hier war jedenfalls betrunken und konnte es nicht. So lernte ich ihn kennen. Ich habe mir mehr Mühe gegeben, als bei den meisten meiner Anvertrauten, Alvaris ist meine Zeugin. Aber diese Orks mit ihren grünlichen Fratzen, ihren riesigen Zähnen und den Schweinsaugen, die sich nicht schließen lassen wollen! Man könnte verzweifeln! Ich tat an diesem Gulbuk – so hieß er – alles, was ich konnte, doch er wurde nicht viel schöner. All die Mühe war umsonst! Und auch er wurde auch binnen dreier Tage wieder ausgegraben.«
Er seufzte. »Vor drei Tagen geschah nun der letzte Vorfall. Diesmal war es Tim von der Wache. Nach langen Jahren redlichen Bemühens hatte er sich endlich ins Grab gesoffen. Der Mann war alleinstehend und mittellos. So kam der Magistrat der Stadt für seine Beerdigung auf. Natürlich nur ein einfaches Begräbnis ohne Extras. Trotzdem war es eine sehr würdige Zeremonie. Nur schade, dass so wenige zur Beerdigung kamen. Das war vor vier Tagen. Er ruhte nur eine Nacht und einen Tag lang ungestört. Denn vorgestern morgen war auch er ausgegraben und geraubt.«
»Die Abstände werden also immer kürzer«, stellte ich fest. »Was geschah mit den leeren Gräbern?«
»Sie wurden am nächsten Morgen vom Friedhofswärter entdeckt. Den Göttern sei Dank, dass er gleich zu mir kam. So konnten wir die Sache vertuschen, indem wir die Särge wieder zunagelten, die Gräber wieder auffüllten und unauffällig herrichteten. Zum Glück werden diese Gräber so gut wie nie besucht. Um der Tränen Alvaris´ willen! Stell´ dir vor, wie eine gramgebeugte Witwe das Grab ihres Gatten so vorfindet! Offen, leer, geplündert! Das gäbe einen ungeheuren Skandal!«
Ich war also nicht die Einzige, die von den verschwundenen Toten wusste. Ich stellte mir die Frage, wie lange wohl ein Friedhofswärter zuverlässig schweigen kann und vermutete, dass diese Antwort auf dem Grund von Dasals Geldbörse lag.
»Ich nehme an, du hast den Friedhofswärter ordentlich gespickt.«
»Er bekam natürlich etwas für seine Dienste …«
»… und für sein Stillschweigen noch eine Zulage«, vollendete ich den Satz.
Dasal nickte und nuschelte etwas Unverständliches. Dann gab er sich einen Ruck und fuhr fort:
»So geht es nicht mehr weiter. Diese Zulage wird nun von Mal zu Mal mehr. Der Mann beginnt natürlich, sich zu fürchten. Schließlich wohnt er auf dem Friedhof.«
»Er wohnt dort?«
»Ja, er hat im hinteren Winkel ein kleines Häuschen und einen Gemüsegarten.«
Auch nach Jahren unter Menschen brachten sie mich immer wieder zum Staunen. Ich versuchte, mir meine Verblüffung nicht anmerken zu lassen und entgegnete nur: »Vermutlich hat er es da schön ruhig! Was erwartest du nun genau von mir?«
»Der Spuk muss aufhören. Du sollst herausbekommen, wer mir meine Anvertrauten stiehlt. Doch es darf nichts bekannt werden, was mein Institut in schlechten Ruf bringen könnte. Deshalb kann ich nicht gut selbst losziehen und Leute befragen. Wenn ich weiß, wer hinter diesen Vorgängen steckt, dann finde ich sicher auch einen Weg, das abzustellen.«
»Ich soll den Täter nur ausfindig machen und dir nennen. Ich soll ihn nicht töten oder ausschalten. Und ich soll keinerlei Aufsehen erregen.«
»Genau das ist die Aufgabe. Traust du dir das zu?«
»Natürlich! Es wird aber nicht leicht sein. Die Diskretion, die ich wahren muss, erfordert einige Umwege und ich fürchte, es wird auch einiges kosten, diskret an Informationen zu kommen.«
Ich hoffte, dass ich damit elegant einen Vorstoß in die Ebenen der höheren Belohnungen getan hatte, indem ich darauf hinwies, dass nicht ich so viel Geld haben wollte, sondern der Auftrag dies erforderte.
Dasal schob mir einen kleinen ledernen Beutel zu. Ich öffnete ihn und sah eine lustige Schar Silbermünzen mir zuzwinkern. Das war mehr als nur zufriedenstellend. Ich war so von dem Reichtum geblendet, dass ich gar nicht bemerkte, wie Dasal fortfuhr: »… hoffe, dass das für die erste Zeit genügt. Falls du mehr brauchst, komm zu mir. Wenn du den Täter ausfindig gemacht hast, so bekommst du eine Belohnung von drei Goldkronen. Bist du einverstanden?«
Ich hörte meinen Mund automatisch »Ja!« sagen, während mein Verstand noch den Sinn dieser Worte zu begreifen versuchte. Konnte es sein, dass ich tatsächlich einmal auf die Butterseite gefallen war?
Der Weg zum »Alten Schild« zurück war unproblematisch gewesen. Angesichts meines neuen Reichtums hatte ich mir die Fähre geleistet. Als mich der Fährmann sah, grinste er und nahm nur den halben Fahrpreis. Lachend meinte er, das sei bei einem Halbling ein angemessener Tarif. Ich stimmte ihm gerne zu. Im Gegensatz zu den meisten Witzen, die ich ansonsten über meine Größe zu hören bekomme, ging dieser auf Kosten des Urhebers und zwar buchstäblich.
Kaum hatte ich meine Zimmertür zugeriegelt, leerte ich Dasals Beutel auf das Bett und machte Inventur. Ich zählte 15 Silberpfennige. Karal schuldete ich knapp zwei Pfennige für Miete, Kost und Bier. Die steckte ich sofort in meinen eigenen Geldbeutel, dann steckte ich drei weitere Pfennige dazu. Bei meinen Nachforschungen war es möglicherweise sinnvoll, mit etwas Silber zu winken. So erfuhr ich vermutlich mehr als mit einem freundlichen Augenaufschlag allein. Die Börse des Bestatters mit den restlichen zehn Silberpfennigen verbarg ich im Hohlraum unter einer losen Diele, die ich vor einiger Zeit unter dem Bett entdeckt hatte.
Noch immer war ich verblüfft über Dasals Großzügigkeit. In dieser Stadt herrscht üblicherweise der eifersüchtige Geist ihrer Schutzgöttin Bravis, also Geiz und Habgier. Der Betrag, den Dasal mir gegeben hatte, war beachtlich. Er reichte aus, um etwa einen Monat recht und schlecht mein Dasein zu fristen. Für die Erfolgsprämie von drei Goldkronen könnte man einen Monat lang fürstlich prassen, aber wenn ich bescheiden blieb, würde ich mich damit ein viertel Jahr lang über Wasser halten. Dasal musste schon sehr verzweifelt sein.
Oder rechnete er gar nicht damit, mir das Geld aushändigen zu müssen? Die Gefahr bestand natürlich. Wenn er sich weigerte, gab es für mich kaum ein Mittel, ihn zur Einhaltung der Abmachung zu zwingen.
Ein sehr unangenehmer Gedanke beschlich mich: Für einen Bruchteil des versprochenen Geldes würde er sicher jemanden finden, um mich still und unauffällig um die Ecke zu bringen. In dieser Stadt einen Mörder zu dingen, war gewiss leichter, als jemanden anzustellen, der diskret Nachforschungen betreibt, zumal ein toter Halbling kaum jemanden kümmert.
Wenn ich mir aber Dasal hinter seinem dunklen Schreibtisch vorstellte, wie er die Hände rang, konnte ich es mir nicht recht vorstellen, dass er zu derart unfeinen Mitteln greifen würde. Trotzdem war ein gewisses Misstrauen sicherlich gesünder.
Wie ich über Dasal nachgrübelte, erinnerte ich mich wieder an das Ende unserer Unterredung. Bevor ich ihn verließ, wollte ich von ihm wissen, ob er irgend einen Verdacht hatte oder sich vorstellen könnte, warum jemand seine »Anvertrauten« entführen sollte. Er hatte natürlich keinen Verdacht. Die Frage nach dem Grund konnte er auch nicht zufriedenstellend beantworten. Seine vage Idee, dass jemand vielleicht sein Geschäft schädigen wolle, hielt ich für falsch.
Wenn jemand sein Institut in Misskredit hätte bringen wollen, hätte dieser jemand bestimmt dafür gesorgt, dass die Leichen auftauchten. Ein Skandal ist nun einmal einer, wenn er ans Licht kommt. Diese Affäre wäre nur dann geschäftsschädigend, wenn das Verschwinden der Toten publik wird.
Auch die Wiederholung und der lange Zeitraum sprach dagegen. Selbst wenn ich den ersten Diebstahl aus der Werkstatt beiseite ließ, unter Umständen waren es ja tatsächlich die Karawanenbrüder gewesen, so war mit mehr als einem Jahr seit dem ersten Friedhofsraub sehr viel Zeit vergangen. Wenn jemand Dasal in Verruf bringen wollte, wieso sollte er warten? Wollte jemand erst viel später die Leichen gegen Dasal verwenden? Vielleicht gab ja jemanden, der mit Dasal im Streit lag, doch im Moment noch aus irgend welchen Gründen Frieden hielt, auch wenn er heimlich noch immer grollte.
Doch andererseits stellte ich mir die Frage, wie lange wohl die Leichen frisch genug blieben? Wenn man Dasal mit ihnen in Verruf bringen wollte, mussten sie von irgendwem wiedererkannt werden. Ein anonymes Skelett würde nicht unbedingt ausreichen, um Dasals Ruf zu zerstören. Zumindest nicht ohne viel Aufwand. Bei genauerer Betrachtung war die Theorie der Rufschädigung leider voller Löcher. Deshalb entschloss ich mich, auch Dasal ein wenig abzuklopfen. Vielleicht ergab das einen brauchbaren Hinweis.
Der wichtigste Kontakt schien mir zunächst der Friedhofswärter zu sein. Den wollte ich morgen befragen. Zuerst sollte aber Karal sein Geld bekommen. Danach gab es noch eine Besorgung, die ich machen wollte, solange es noch hell war.
Ich fand Karal in der Küche in seinen Töpfen rühren. Möglichst unbekümmert fragte ich ihn:
»Schulde ich dir eigentlich noch Miete? Ich glaube, ich bin etwas im Rückstand.«
Karal spielte die Komödie mit und holte das Buch heraus in dem er seine Einnahmen verzeichnete. Er blätterte darin vor und zurück und entgegnete dann fröhlich:
»Oh ja! Danke, dass du mich erinnerst. Ich habe es fast vergessen. Das sind …«
Er klemmte die Zungenspitze in den linken Mundwinkel und zählte flink mit den Fingern.
»… zusammen 12 Schilling für die Kammer. Die Zeche aus der Gaststube macht …«
Er blätterte erneut in seinem Buch.
»… 6 Schilling, 5 Heller und 3 Kreuzer.«
Ich rechnete nach und kam ziemlich genau auf den Betrag, den ich erwartet hatte:
»Das sind zusammen 18 Schilling, 5 Heller und 3 Kreuzer. Hier hast du 2 Silberstücke. Behalte den Rest als Zinsen. Ich hätte ja schon viel früher zu dir kommen sollen.«
»Ist ja nicht so tragisch, Lu! Ich weiß ja, dass du zuverlässig bist. Ich bin doch genauso schuld. Ich hätte mich früher melden sollen. Wenn nur alle Schuldner so wären wie du!«
Ich verabschiedete mich und war wieder einmal froh, dass Karal so ein feiner Kerl war. Ich war meine Schulden los und hatte meine Würde behalten. Er hatte sogar mein Trinkgeld von über einem Schilling angenommen. Inzwischen schlenderte ich durch die Straßen auf der Suche nach einem Buchbinder. Zwei Straßen weiter fand ich einen.
Mein Vater hat nie begriffen, dass ich Lesen und Schreiben lernen wollte und auch mein Bruder hielt es für Verschwendung von Zeit und Geld. Doch ich setzte meinen Willen durch und erlernte die »Tintenkleckserei«, wie mein Bruder es nannte.
Als ich mich vor zwei Jahren nach Garbath aufmachte, dachte ich, ich könne auf dem Markt für andere Leute Briefe schreiben und damit meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich träumte sogar von einem kleinen Laden: »Lupina, die Schreiberin!« Das sollte auf einem grünen Schild am Eingang stehen. Also kaufte ich mir als erstes beste Gänsefederkiele, Tinte und einige kleinere Bogen Pergament, als ich in der Stadt ankam. Es war mein letztes Geld gewesen und eine böse Fehlinvestition. In Garbath dürfen nur Schreiber der Gilde für Geld ihre Dienste anbieten. Die Gilde aber lehnt es strikt ab, mich aufzunehmen, weil „Halblingsmädchen, wie ja jeder weiß, nicht schreiben können.“ Schon gar nicht gewerbsmäßig.
Seither habe ich mehr Schreibmaterial als für meine paar Briefe nach Hause nötig ist. Doch wenn ich mir bei meinem Auftrag unterwegs Notizen machen will, sind einzelne Pergamentblätter, Feder und ein Tintenfass zu unhandlich.
Der Laden, vor dem ich nun stand, hatte nicht nur Notizbücher im Fenster sondern auch in Holz gefasste Stifte. Das Schild verkündete, dass Meister Gramil Bücher fein bindet und Schreibutensilien für alle Zwecke und jeglichen Bedarf verkauft. Der Laden machte zwar einen gepflegten, aber keinen übertrieben vornehmen Eindruck. Das Läuten eines bronzenen Glockenspiels begleitete mein Eintreten. Hinter der Ladentheke stand ein untersetzter Mann mit schütterem, grauen Haar. Er warf mir einen kurzen Blick zu und rief:
»Einen Augenblick, ich habe gleich Zeit für dich.«
Damit wandte er sich wieder seinem Gegenüber zu. Dieser Mensch war groß und hatte breite Schultern. Seine Haut war nicht so hell, wie bei den Bewohnern von Belgaria üblich. Sie hatte eher einen warmen Olivton. Aus seiner kurzen Tunika ragten kräftige Arme mit feingliedrigen Händen. Um die Hüfte trug er einen riesigen braunen Ledergürtel geschlungen, der eine erstaunliche Anzahl aufgesetzter Taschen hatte, in denen man wohl allerlei Kleinigkeiten aufbewahren konnte. Ein abgetragener Umhang, der einst wohl in einem leuchtenden Blau erstrahlt war, vervollständigte seine Erscheinung.
Dieser dunkelhäutige Mann war aber offenbar kein Kunde. Eher schien er Gramil etwas verkaufen zu wollen und redete mit seiner dunklen Stimme auf den Krämer ein:
»Mit diesem Ztein kann man sehr feine Tusche machen. Man zerreibt ihn und vermischt das Pulver mit Essig. In einem fernen Land in Ozten verwenden sie nur solche Tusche und malen die schönzten Bilder damit. Die Tusche izt sehr zparsam im Verbrauch und man kann sie lange aufheben.«
Trotz seines weichen und melodischen Akzents, der ihn als Südländer auswies, sprach er flüssig und wortgewandt. Nur bei harten Klangfolgen geriet seine Zunge ins Straucheln und erzeugte eigentümliche Zischlaute
»Ich mach´ dir einen Vorschlag: Du gibzt mir fünf Schilling für drei Tuschzteine. Sie sollten mindestens fünf Maß voll Tusche ergeben. Es kann sein, dass die Zteine doch weniger Tusche ergeben. Deshalb lege ich sogar noch einen Ztein drauf.«
»Ich brauch´ deine Steine nicht! Wir in Garbath machen unsere Tusche genau so, wie wir sie immer gemacht haben. Auch deinen übrigen Krimskrams kann ich nicht kaufen. Warum suchst du dir nicht woanders einen Käufer für deine Kinkerlitzchen. Du hältst mich von meiner Arbeit und meine werte Kundschaft vom Einkaufen ab.«
»Wie wäre es mit einem ganz, ganz glatten Halbedelztein? Er izt ganz hervorragend geeignet zum polieren und …«
»Nein, herzlichen Dank!«
Der Buchbinder trat erstaunlich flink hinter dem Ladentisch hervor, fasste den Fremden mit freundlicher Bestimmtheit an der Schulter und führte ihn zur Tür:
»Ich würde ja gerne helfen und dir etwas abkaufen. Aber ich brauche leider nichts. Bitte versuche woanders dein Glück. Auf Wiedersehen!««
Die Bronzeglocken bimmelten aufgeregt, als sich die Tür hinter dem Hausierer schloss. Der Buchbinder wandte sich mir zu und seufzte:
»Seit einer geschlagenen halben Stunde wollte er mir etwas verkaufen. Er scheint hunderterlei Kleinigkeiten zu besitzen, die entweder praktisch oder kurios sein sollen. Wärst Du nicht gekommen, hätte ich kaum einen Vorwand gefunden, ihn loszuwerden. Ich bin Gramil, der Buchbinder. Was kann ich für Dich tun, mein Kind?«
Ich finde es nicht sehr angenehm, immer wieder für ein Kind gehalten zu werden, nur weil mein Gegenüber kurzsichtig, begriffsstutzig oder beides zugleich ist. Trotzdem habe ich es aufgegeben, jedes mal darauf hinzuweisen, dass auch ein Halbling durchaus erwachsen sein kann. Man würde sich sonst den Mund fusselig reden. Also überhörte ich die unpassende Anrede und wurde sofort sehr geschäftsmäßig:
»Meister Gramil, ich brauche ein Notizbuch, klein und stabil gebunden, nicht allzu dick und einen Stift, mit dem ich unterwegs schnell und ohne Aufwand einige Notizen machen kann.«
Ich sah den dicken Buchbinder an und merkte, wie es hinter seinen Gesichtszügen arbeitete. Einen Moment schien er fragen zu wollen, ob die liebe Kleine denn schon alle Runen kenne. Dann bemerkte er seinen Irrtum. Nach zwei kurzen Grimassen der Ratlosigkeit, beschloss er offenbar, dass für seine Kunden Körpergröße kein Kriterium war und plötzlich ging in seinem Gesicht ein Lächeln auf. Eifrig kehrte er hinter den Ladentisch zurück.
»Ein kleines Notizbuch. Mal sehen, was ich da habe …«
Aus einem Schubfach hinter sich holte er eine halbes Dutzend hervor. Ich wählte eines, das etwas größer war als meine geöffnete Hand.
»Die Blätter sind aus feinstem Ziegenpergament. Mein Schwager hat es hergestellt. Seht, die Seiten sind wunderbar gleichmäßig und herrlich dünn.«
Offensichtlich hatte er recht. Das Büchlein war von sehr feiner Qualität. Doch ich konnte ihm natürlich nicht zustimmen, wollte ich nicht selber den Preis hochtreiben. Statt dessen bemäkelte ich ein paar unwesentliche Verfärbungen im Einband, während ich überlegte, ob das Büchlein auch genügend Platz für meine Aufzeichnungen bot. Ich schätzte es auf etwa 60 Seiten. Das war genug. Ich drückte den Preis auf ein erträgliches Maß, bevor ich die Frage nach dem Stift anschnitt.
»Ich habe allerhand Stifte. Wie wäre es mit Kohle, garantiert aus Buchenholz …«
»Zu grob!«
»Rötel …«
»Nein!«
»Ich kann Euch einen holzgefassten Stift zeigen.«
Er holte aus einem anderen Fach einen daumendicken Holzstab hervor. Er war der Länge nach durchbohrt und irgend etwas gefüllt. An einem Ende war er so angeschnitzt, dass die Füllung bloß lag. Sie war schwarz und glänzte.
Ich bat darum, ihn testen zu dürfen. Er reichte mir ein Stück minderwertiges Pergament, auf dem schon viele Hände verschiedene Schreibgeräte erprobt hatten. In einem halbwegs freien Eck begann ich ein paar Zeilen eines Trinkliedes aus meiner Heimat zu schreiben. Der Stift war weich und hinterließ auch bei wenig Druck kräftige, fettig schimmernde Zeichen.
Während ich schrieb, sah Gramil interessiert zu.
»Ihr habt eine sehr kleine, zierliche Schrift. Ich glaube, Ihr braucht ein feineres Gerät. Das passt dann auch besser zu dem kleinen Büchlein. Probiert das hier!«
Er reichte mir einen dünnen Holzgriffel mit einer glänzenden Metallspitze. Er war leicht und lag gut in der Hand, als ich ihn über das Pergament gleiten ließ. Damit ließen sich auch kleine Runen sehr flüssig und sicher schreiben. Aber der Stift hinterließ keine Zeichen auf dem Untergrund.
»Die Spitze ist aus Silber und nutzt sich nicht so schnell ab. Seht ihr den dünnen Schimmer, dort, wo der Stift entlang gefahren ist?«
Erst als ich das Pergament schräg gegen das Licht hielt, konnte ich eine ganz feine Spur erkennen. Ich hatte also doch meine Runden geschrieben. Aber konnte ich sie so auch bei schlechtem Licht lesen? Gramil beeilte sich, meine Zweifel auszuräumen:
»Es ist natürlich möglich, die Runen deutlicher erscheinen zu lassen. Nehmt einfach hiervon etwas.«
Im Nu hatte er eine kleine braune Flasche in der Hand und befeuchtete damit einen Lappen. Wie er damit über die Schrift wischte, färbten sich die schimmernden Spuren in ein zartes Braun. Auch die feinsten Zeichen waren klar und deutlich zu erkennen.
»Habt Ihr auch etwas, das die die Schrift verblassen lässt?«
»Aber natürlich! Auch die könnt ihr bekommen.«
Die andere Flüssigkeit war in einem blauen Flakon. Die Demonstration war überzeugend. Für Notizen in einer diskreten Untersuchung schien mir diese Art der Aufzeichnung ideal.
Die Verhandlungen über den Preis waren zäh, doch schließlich hatte ich den Zauberstift, das Notizbuch und beide Flüssigkeiten für 8 Schilling erworben.
Später am Abend, in meinem Zimmer, schob ich meine Truhe vor den Stuhl, setzte mich auf sie und machte die erste Eintragung in meinem Buch, indem ich die Sitzfläche des Stuhles als Schreibtisch benutzte. Ich begann mit einer Zusammenfassung des Gesprächs mit Dasal.
Ein wenig vor dem Stadtwall, in südlicher Richtung, zwischen der Straße in die Westerlande und dem Fluss lag der Friedhof. Als ich dort eintraf, war die Sonne schon soweit ihre Himmelsbahn hinaufgeklettert, dass sie wärmte, worauf sie schien, doch noch immer blinkte der Morgentau in den schattigeren Winkeln auf den Gräsern. Zu dieser frühen Stunde konnte ich hoffen, den Friedhofswärter allein anzutreffen.
Eine Mauer umgab den Friedhof. Sie war etwas höher, als ein Trampelfuß groß ist. Entlang der Straße standen jedoch genügend Bäume, die ein bequemes Überklettern der Mauer ermöglichten. Den offiziellen Zugang gewährte ein einfaches, geschmiedetes Gittertor. Ein knapp kopfgroßer Stein hielt einen Flügel des Tors offen. Ich rollte mir den Stein zurecht und kletterte darauf, um das Schloss zu inspizieren. Kratzer waren nicht erkennbar. Es war ein großes Kastenschloss, gut geschmiert und robust, jedoch sehr einfach im Mechanismus. Wie schon die Mauer, so bot das Schloss hauptsächlich Schutz vor zufälligem, unbeabsichtigtem Eindringen. Wenn jemand tatsächlich in den Friedhof gelangen wollte, würden weder Mauer noch Schloss ihn dabei aufhalten.
Was hatte ich erwartet? Ein Friedhof wird nicht sonderlich gegen Einbrecher geschützt. Warum auch? Irgendwann kommen zwar alle hierher, doch bis dahin wird dieser Ort im allgemeinen gemieden. Hier gibt es auch nichts zu stehlen. Das hatte ich zumindest bis gestern gedacht.