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Peter Lynch brauchte nur 13 Jahre – von 1977 bis 1990 –, um zu einer Wall-Street-Legende zu werden. Danach zog sich der Fondsmanager ins Privatleben zurück und gab sein Wissen fortan an Privatanleger weiter. Lynch möchte den Menschen zeigen, wie sie ein Vermögen aufbauen können, wenn sie in ihrem Leben die richtigen Weichen stellen. Mit "Lynch 3" wendet er sich in erster Linie an die Einsteiger. Er erklärt die ewigen Gesetze der Vermögensmehrung; welche Investmentmöglichkeiten es gibt; weshalb der Aktienmarkt die besten Chancen bietet; den Lebenszyklus eines Unternehmens und welche Schlüsse ein Investor daraus ziehen sollte; weshalb es sich lohnt, auf die Qualität des Unternehmens-Managements zu achten. "Lynch 3" ist der perfekte Einstieg in die Welt der Geldanlage: ohne Fachchinesisch, lebensnah, auf den Punkt.
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Seitenzahl: 453
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Peter Lynch – John Rothchild
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
Learn to Earn: A Beginner's Guide to the Basics of Investing and Business
bei Simon & Schuster, New York.
ISBN 0-684-81163-4
Copyright der Originalausgabe:
Copyright © 1995 by Peter Lynch. All rights reserved.
Copyright der deutschen Ausgabe 2020:
© Börsenmedien AG, Kulmbach
Übersetzung: Bernhard H. Steinebrunner, Walter Hofmann
Satz: Andreas Schubert
Lektorat: Egbert Neumüller
Korrektorat: Elke Sabat
Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86470-685-1
eISBN 978-3-86470-686-8
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Gewidmet den Lynch-Kindern (Mary, Annie, Beth),den Rothchild-Kindern (Chauncey, Berns, Sascha)und allen beginnenden Investoren, jung und alt.
Dank und Anerkennung
Vorwort
Einführung
1. Ein kurzer Rückblick auf die Geschichte des Kapitalismus
2. Die Grundlagen der Geldanlage
3. Der Lebenslauf eines Unternehmens
4. Die unsichtbaren Hände
Anhang 1Werkzeuge für die Aktienauswahl
Anhang 2Wie Sie die Zahlen richtig lesen – wie man eine Bilanz entschlüsselt
Die folgenden Personen verdienen besondere Erwähnung und Anerkennung für die Hilfe bei den Nachforschungen und der Überprüfung von Tatsachen, die sie für dieses Buch leisteten: Kathy Johnson, Charlene Niles, Deborah Pont, alle vom Stab des Magazins Worth; Peggy Malaspina und ihre Mitarbeiter bei Malaspina Communications: Lyn Hadden, Karen Perkuhn, Elizabeth Pendergast und Susan Posner.
Bei Fidelity und dessen verschiedenen Quellen: Robert Hill, Bart Grenier, Suzanne Connelly, Tim Burke, Evelyn Flynn, Shirley Guptill, Bob Beckwitt, Julian Lim, Debbie Clark, Jeffrey Todd und Denise Russell. Bei der Securities Research Corporation: Donald Jones und sein Stab.
Wir möchten auch dem Mitarbeiterstab der Wellesley-Bibliothek und der Bibliothek des Babson College danken; außerdem Joan Morrissey von der St. Agnes School; David Berson von Fannie Mae; Nancy Smith, Direktorin der Investoren-Weiterbildung bei der Securities and Exchange Commission; unseren beiden Agentinnen Doe Coover und Elizabeth Darhansoff sowie unserem Redakteur Bob Sender und seiner Assistentin Johanna Li.
Die Junior High Schools und High Schools in den USA haben vergessen, eines der wichtigsten Fächer in ihren Lehrplan aufzunehmen: das Investieren. Das ist ein himmelschreiendes Versäumnis. Geschichte ist ein Lehrfach, jedoch nicht die Teile über das enorme Voranschreiten des Kapitalismus und die Rolle, die große Aktiengesellschaften bei der Veränderung (meist Verbesserung) der Welt, in der wir leben, spielten. Es wird Mathematik unterrichtet, aber nicht ein Kapitel darüber, wie einfache Arithmetik herangezogen werden kann, um uns die Geschichte eines Unternehmens nahezubringen und herauszufinden, ob es mit seinen Bestrebungen Erfolg haben oder scheitern wird und ob wir einen Gewinn davon haben werden, Aktien dieses Unternehmens zu besitzen.
Es gibt Kurse in Hauswirtschaft: wie man näht, wie man einen Truthahn zubereitet, sogar wie man das Geld in der Haushaltskasse klug einteilt und nicht mehr Schecks ausstellt, als das Guthaben beträgt. Oft wird aber nicht erwähnt, dass das Sparen schon in jungen Jahren der Schlüssel zu späterem Wohlstand ist, dass das Anlegen des gesparten Geldes in Aktien neben dem Kauf eines Hauses den klügsten Schritt darstellt, den eine Person machen kann, und dass sich langfristig gesehen die Verhältnisse stets umso günstiger gestalten, je früher man mit dem Sparen und dem Investieren in Aktien beginnt.
Patriotismus wird den Schülern beigebracht, aber dabei wird mehr von Armeen und Kriegen, von Politik und den Regierungen erzählt als von den Millionen kleinen und großen Unternehmen, die der Schlüssel zu unserem Wohlstand und unserer Stärke als Nation sind. Ohne Investoren, die das Geld zur Verfügung stellen, um neue Unternehmen zu gründen, die neue Arbeitskräfte einstellen, oder die bereits lange bestehenden Unternehmen helfen, damit sie weiterwachsen, ihre Effizienz steigern sowie höhere Löhne und Gehälter zahlen können, würde die Welt, wie wir sie kennen, zusammenbrechen; es gäbe für niemanden Arbeit, und die Vereinigten Staaten und der Rest der Welt würden in eine schlimme Lage geraten.
Während der letzten fünf Jahre ereignete sich in dem Teil der Welt, den man den Ostblock nannte – in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang – etwas Gewaltiges. Die Bürger jener Länder erhoben sich, stürzten ihre Regierungen und jagten ihre kommunistischen Führer fort, alles in der Hoffnung, irgendwann einmal ihr Los und ihr Schicksal bessern zu können. Sie wünschen sich Demokratie, Redefreiheit und Religionsfreiheit; und neben diesen freiheitlichen Bürgerrechten verlangen sie auch Handlungsfreiheit. Dazu gehört das Recht, Dinge herzustellen, zu verkaufen, Dinge kaufen zu können; das Recht, ein Haus, eine Wohnung, ein Auto oder ein Geschäft als Eigentum besitzen zu dürfen; alles Rechte, die bis vor Kurzem für etwa die Hälfte der Menschheit nicht bestanden.
Die Sowjetbürger und die Osteuropäer marschierten, demonstrierten, riefen Streiks aus, organisierten, agitierten und kämpften, so hart sie nur konnten, um ein Wirtschaftssystem zu bekommen, das wir bereits lange besitzen. Viele Menschen wurden während dieser Kämpfe ins Gefängnis geworfen und viele verloren sogar ihr Leben. In unseren eigenen Schulen unterrichten wir aber nicht, auf welchen Grundlagen dieses System funktioniert, was gut daran ist und wie man es nutzen kann, indem man zum Investor wird.
Investieren macht Spaß. Es ist interessant. Mehr darüber zu lernen kann auf mehrfache Weise eine bereichernde Erfahrung werden. Die Geldanlage kann Sie auf den Weg zum Wohlstand für Ihr weiteres Leben bringen, aber die meisten Menschen finden erst dann ein wenig Geschmack daran, wenn sie schon die Mitte des Lebens erreicht haben, eine Lesebrille benötigen und öfter einen längeren Gürtel und größere Hemden kaufen müssen, weil der Leibesumfang zunimmt. Zu diesem Zeitpunkt entdecken sie die Vorteile des Aktienbesitzes, und sie wünschen sich, schon früher etwas darüber gewusst zu haben.
In unserer Gesellschaft waren es vor allem die Männer, die den größten Teil der Finanzen handhabten, und die Frauen standen an der Seite und sahen zu, welche Fehler die Männer machten. Aber alles, was ein Mann bei der Geldanlage kann, kann eine Frau auch. Investmentgeschick vererbt sich nicht über Chromosomen. Wenn Sie also hören, dass über jemanden gesagt wird, er sei „ein geborener Investor“, dann glauben Sie das nicht. Der geborene Investor ist eine Märchenfigur.
Die Grundlagen sind einfach und leicht zu begreifen. Grundsatz Nummer 1 lautet, dass Ersparnisse gleich Investments sind. Geld, das Sie in einem tönernen Sparschwein oder in einem Einmachglas aufbewahren, zählt nicht als Investment, aber jedes Mal, wenn Sie Geld bei der Bank einzahlen oder Anleihen oder Aktien einer Gesellschaft kaufen, investieren Sie. Irgendeine andere Person wird das Geld nehmen und es dazu verwenden, neue Läden, neue Häuser oder neue Fabriken zu bauen – Vorgänge, die Arbeitsplätze schaffen. Mehr Arbeitsplätze bedeuten mehr Lohnzahlungen. Falls jene Arbeitnehmer sich dazu durchringen können, einen Teil ihrer Einkünfte zur Seite zu legen und dann zu investieren, setzt sich der ganze Vorgang immer weiter fort.
Es ist immer dieselbe Geschichte, in jeder Familie, jedem Unternehmen und jedem Land. Ob es nun Belgien ist oder Botswana, China oder Chile, Mosambik oder Mexiko, General Motors oder General Electric, Ihre Familie oder meine: Diejenigen, die sparen und für die Zukunft investieren, werden in Zukunft wohlhabender sein als diejenigen, die einfach aus dem Haus gehen und alles Geld ausgeben, das sie in die Finger bekommen. Warum sind die Vereinigten Staaten so ein reiches Land? In einem bestimmten Zeitraum hatten wir eine der höchsten Sparquoten der Welt.
Ihnen haben sicher schon viele Menschen erzählt, wie wichtig es ist, sich eine gute Ausbildung zu verschaffen, damit man eine vielversprechende Karriere einschlagen kann, die wiederum mit einem guten Gehalt verbunden ist. Vielleicht haben sie Ihnen aber noch nicht erzählt, dass langfristig gesehen Ihr zukünftiger Wohlstand nicht nur davon beeinflusst wird, wie viel Geld Sie verdienen. Es kommt vielmehr darauf an, wie viel von jenem Geld Sie für sich arbeiten lassen, indem Sie es sparen und investieren.
Die beste Zeit, um mit der Geldanlage anzufangen, sind Ihre jungen Jahre, und das werden wir später noch im Einzelnen besprechen. Je mehr Zeit Sie zur Verfügung haben, während der Ihre Investitionen wachsen, desto größer wird das Vermögen sein, das Sie schließlich besitzen werden. Diese Einführung in das Finanzwesen ist jedoch nicht nur für junge Leute bestimmt. Es gibt in allen Altersstufen angehende Investoren, die Aktien als verwirrend empfinden und noch keine Gelegenheit hatten, die Grundlagen dieser Art von Investition kennenzulernen.
Die Menschen leben heute länger als früher, was auch bedeutet, dass sie während eines viel längeren Zeitraums Rechnungen bezahlen müssen, als man es früher gewohnt war. Wenn ein Ehepaar 65 Jahre alt wird, hat es gute Aussichten, auch 85 Jahre alt zu werden, und wenn sie es bis zum Alter von 85 schaffen, besteht durchaus die Möglichkeit, dass mindestens einer der Ehepartner ein Alter von 95 Jahren erreichen wird. Diese Menschen werden zusätzliches Geld brauchen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und der sicherste Weg, es zu bekommen, führt über das Investieren.
Es ist durchaus nicht zu spät, im Alter von 65 mit dem Investieren zu beginnen. Die Menschen, die heute 65 Jahre alt sind, haben möglicherweise 25 weitere Lebensjahre vor sich, in denen ihr Geld weiterwachsen kann, damit sie auch die zusätzlichen Rechnungen dieser 25 Jahre bezahlen können.
Falls Sie im Augenblick erst 15 oder 20 Jahre alt sind, können Sie sich vermutlich den Tag kaum vorstellen, an dem Sie 65 Jahre alt werden. Falls Sie aber das Sparen und Investieren zu einer Gewohnheit machen, dann wird Ihr Geld an jenem Tag rund 50 Jahre lang für Sie gearbeitet haben. 50 Jahre lang Geld zur Seite zu legen wird erstaunliche Ergebnisse liefern, selbst wenn Sie immer nur kleine Beträge sparen.
Je mehr Sie investieren, desto besser wird Ihre Lage sein; und die Nation wird auch besser dastehen, denn Ihr Geld wird neue Unternehmen und neue Arbeitsplätze schaffen.
Wenn zwei oder mehr Personen zusammen geschäftlich tätig sein wollen, gründen sie oft eine Gesellschaft. Die meisten Firmen in der ganzen Welt haben die Rechtsform einer Gesellschaft. In den Vereinigten Staaten und vielen anderen Ländern nennt sich eine Kapitalgesellschaft oft „Corporation“. Dieses Wort kommt von dem lateinischen Wort „corpus“, deutsch „Körper“. In unserem Fall bedeutet es etwa „Gruppe“, also eine Gruppe von Personen, die sich zusammenschließen, um Geschäfte zu betreiben. Wie die Organe und Glieder eines Körpers zusammenwirken, um eine lebende Person zu bilden, so arbeiten die Mitglieder einer Gesellschaft zusammen, um das Ziel der Geschäfte zu erreichen.
In den Vereinigten Staaten ist die Gründung einer Gesellschaft, einer Corporation, ziemlich einfach. Man braucht nur eine verhältnismäßig niedrige Gebühr zu entrichten und einige Anträge und Papiere in demjenigen der 50 Bundesstaaten einzureichen, in dem man den gesetzlichen Sitz der Gesellschaft errichten will. Der Staat Delaware, an der Ostküste in der Nähe der Bundeshauptstadt Washington, ist hierfür sehr beliebt, weil die Gesetze dieses Staates nicht so umfangreich und streng sind und deshalb die Gründung von Gesellschaften begünstigen. Jedes Jahr werden in den 50 Bundesstaaten der Vereinigten Staaten Tausende von Gesellschaften gegründet. Wenn dem Namen der Gesellschaft die Buchstaben „Inc.“ folgen, dann besagt das, dass diese Gesellschaft die Anträge und Papiere eingereicht hat, um eine „Corporation“ zu bilden. „Inc.“ ist die abgekürzte Schreibweise für „incorporated“.
Vor dem Gesetz ist eine Corporation eine sogenannte „juristische Person“, die auch für eine Übertretung der Gesetze, meist durch die Verhängung einer Geldstrafe, bestraft werden kann. Dieser Punkt ist einer der Hauptgründe, warum Geschäftsinhaber sich die Mühe machen, eine Corporation zu gründen. Wenn sie einen Fehltritt begehen und daraufhin Anklage erhoben wird, dann muss die Gesellschaft ihren Buckel hinhalten und die Geschäftsinhaber sind „aus dem Schneider“.
Erinnern Sie sich beispielsweise an die Umweltkatastrophe in Alaska vor einigen Jahren, als der Tanker „Exxon Valdez“ auf einen unterseeischen Felsen lief und sich aus dem entstandenen Leck mehr als 30 Millionen Liter Rohöl in den Prinz-William-Sund ergossen? Dieses Unglück verursachte eine gewaltige Verschmutzung des Meeres und der Küste, deren Beseitigung mehrere Monate dauerte. Der Tanker gehörte der Firma Exxon, der drittgrößten Gesellschaft der Vereinigten Staaten. Zu jenem Zeitpunkt hatte Exxon Hunderttausende von Aktionären, die alle Teilbesitzer des Unternehmens waren.
Wenn Exxon nicht „incorporated“ – also eine Aktiengesellschaft – gewesen wäre, hätten alle diese Leute einzeln verklagt werden können und vielleicht die ganzen Ersparnisse ihres Lebens oder einen Teil davon aufgrund einer Verschmutzung der Umwelt durch Öl eingebüßt, an der sie selbst gar keine Schuld trugen. Selbst wenn die Gerichte zu dem Schluss gekommen wären, dass Exxon unschuldig an der Angelegenheit gewesen sei, hätten die Aktionäre zumindest doch die Kosten für die Verteidigung bezahlen müssen. (In den Vereinigten Staaten und in vielen anderen Ländern ist man zwar unschuldig, bis die Schuld nachgewiesen wurde und ein Schuldspruch ergeht, aber die Rechtsanwälte muss man in jedem Fall bezahlen.)
Das ist das Schöne an einer Aktiengesellschaft: Sie kann verklagt werden, und auch gegen die Manager und Direktoren kann Klage erhoben werden, aber die Eigentümer – die Aktionäre – sind geschützt vor diesen Unannehmlichkeiten. Sie können zunächst nicht verklagt werden. In England setzen derartige Gesellschaften das Wort „Limited“ (abgekürzt: Ltd.) hinter ihren Namen, was deutsch „beschränkt“ heißt. Dieser Zusatz bedeutet, dass genauso wie in den Vereinigten Staaten die Haftung der Eigentümer beschränkt ist. (Jetzt wissen Sie, was die Buchstaben „Ltd.“ bedeuten, wenn Sie einmal jemand danach fragen sollte.)
Die soeben geschilderten Verhältnisse sind eine entscheidende Schutzvorkehrung unseres kapitalistischen Systems. Wenn nämlich die Aktionäre jedes Mal, wenn der Gesellschaft ein Fehler oder ein Versehen unterläuft, vor Gericht gestellt werden könnten, würden Sie und ich uns ganz gewaltig davor fürchten, Aktien zu kaufen und Anleger zu werden. Warum sollten wir uns auch dem Risiko aussetzen, verantwortlich gemacht zu werden für die nächste große Ölkatastrophe oder ein Rattenhaar in einem Hamburger oder für sonst irgendeinen der unzähligen Fehler und Irrtümer, die sich täglich im Geschäftsleben ereignen? Ohne beschränkte Haftung würde kein Mensch auch nur eine einzige Aktie kaufen wollen.
Die weitaus überwiegende Zahl von Unternehmen in der freien Welt sind Privateigentum. Sie sind im Besitz einer Einzelperson oder einer kleinen Gruppe von Personen, und oft handelt es sich um Familienbetriebe. Verstreut über Amerika und die ganze Welt können Sie in jeder größeren Straße in jedem Dorf oder jeder Stadt Geschäfte finden, die im Privatbesitz sind: Friseursalons, Fahrradhändler, Kfz-Reparaturwerkstätten, Gaststätten, Bars, Cafés, Schreibwarengeschäfte, Antiquitätenläden, Buchhandlungen, Fotogeschäfte, Uhrmachergeschäfte, Juweliere, Gebrauchtwagenhändler und viele andere. In den Vereinigten Staaten und manchen anderen Ländern sind auch die meisten Krankenhäuser und Universitäten in privater Hand.
Alle diese Geschäfte und Betriebe sind insofern Privatunternehmen, als sich die Allgemeinheit nicht mit Geld an ihnen beteiligen kann. Wenn Sie in einem Gasthaus in einer Kleinstadt oder in den Ferien auf einem Bauernhof übernachten, Ihr Zimmer gemütlich war, Sie gut geschlafen haben und das Frühstück einladend und fröhlich aufgetragen wurde, dann können Sie nicht gut an der Tür des Besitzers klopfen und darum bitten, dass er Sie als Geschäftspartner aufnimmt. Wenn Sie mit den Eigentümern nicht verwandt sind oder der Besitzer nicht einen Sohn oder eine Tochter hat, der/die Sie heiraten will, sind ihre Aussichten, in Zukunft an diesem Betrieb teilzuhaben, praktisch gleich null.
Ganz anders ist die Lage jedoch, wenn Sie in einem Marriott-Hotel oder in einem Hilton-Hotel übernachten und Ihnen die ganze Aufmachung und die Atmosphäre gut gefallen haben. Sie brauchen nicht an irgendwelche Türen zu klopfen und zu warten, bis „Herein!“ gerufen wird, und Sie brauchen auch nicht die Tochter oder den Sohn von irgendjemandem zu heiraten, um Miteigentümer zu werden. Sie brauchen nur die Wertpapierabteilung einer Bank oder ein Zweigbüro einer Börsenmaklerfirma anzurufen und einen Auftrag zum Kauf von entsprechenden Aktien zu erteilen. Die Aktien der Unternehmen Marriott und Hilton werden an der Börse gehandelt. Jedes Unternehmen, zu dem die Öffentlichkeit auf diese Weise Zugang und Zugriff hat, ist eine Aktiengesellschaft.
(In den meisten Ländern der freien Welt gibt es mehr Privatunternehmen als Aktiengesellschaften. Diese sind aber meist sehr viel größer als die Privatunternehmen, und deshalb arbeiten die meisten Menschen für Aktiengesellschaften.)
Von einer Aktiengesellschaft (AG) können Sie und Ihre Eltern und Tante Lisa und der Nachbar auf der anderen Straßenseite freizügig Aktien kaufen und dadurch Miteigentümer werden. Nachdem Sie den Kaufpreis bezahlt haben, erhalten Sie eine Aktie als Beweis dafür, dass Sie nun Miteigentümer sind. Dieses Stück Papier hat einen echten Wert. Sie können es beliebig wieder verkaufen.
Eine AG ist die demokratischste Einrichtung der Welt, wenn es darum geht, Miteigentümer zu werden. Sie ist ein sehr gutes Beispiel für den Spruch: „Gleiches Recht für alle.“ Es spielt keine Rolle, ob Sie Weißer, Farbiger oder Asiate sind, ob Sie Mann oder Frau sind, welche Religion Sie haben, unter welchem Tierkreiszeichen Sie geboren wurden, welche Staatsangehörigkeit Sie haben oder ob schwarze oder blonde Haare auf Ihrem Kopf wachsen.
Selbst wenn der Generaldirektor der Hamburger-Kette McDonald’s aus irgendeinem Grund wütend auf Sie sein sollte, kann er Sie nicht daran hindern, Anteilseigner von McDonald’s zu werden. Die Aktien werden frei an den Börsen der Welt gehandelt, an fünf Tagen der Woche, in den Vereinigten Staaten sechseinhalb Stunden je Tag, und jeder beliebige Mensch, der das Bargeld dafür hat und den gängigen Kurs bezahlt, kann so viele Aktien kaufen, wie er will. Das trifft für McDonald’s zu und auch für die 13.000 weiteren Aktiengesellschaften in den USA (und für 1.747 Firmen in Großbritannien, für 724 Firmen in Frankreich und für 690 Firmen in der Bundesrepublik Deutschland). Die Zahl solcher Firmen wächst ständig weiter, und vom frühen Morgen bis zum späten Abend kommen Sie mit ihnen in Berührung. Sie können ihnen meist gar nicht ausweichen.
Was haben Nike und Reebok, General Motors, United Airlines, The Gap, Coca-Cola, die Boston Celtics, Staples, Wendy’s, Harley-Davidson, Sunglass Hut, Kodak, Fuji, Wal-Mart, Rubbermaid, Time Warner und Winnebago gemeinsam? Sie sind alle Aktiengesellschaften. Sie können das Alphabet von A bis Z Dutzende Male durchgehen und für jeden Buchstaben Aktiengesellschaften finden.
Zu Hause, auf der Straße, in der Schule und in den Einkaufszentren können Sie es gar nicht vermeiden, auf eine große Zahl von Erzeugnissen von Aktiengesellschaften zu stoßen. Nahezu alles, was Sie essen, anziehen, lesen, dem Sie zuhören, mit dem Sie fahren, auf dem Sie liegen oder mit dem Sie die Zähne putzen und gurgeln, wird von einem solchen Unternehmen hergestellt. Das Parfüm, das Sie benutzen, der Nagellack, den Sie auftragen, und die Nüsse, die Sie essen, kommen von Aktiengesellschaften, die Sie mitbesitzen können. Beginnen wir einmal mit dem Aufwachen am Morgen: Die Bettlaken in Ihrem Bett kommen von einer großen Textilfirma, das Uhrenradio von Siemens oder Sony, die Toilettenschüssel und die Waschbecken von einer großen Keramikfirma, die Zahnpasta und das Shampoo von Procter & Gamble, die Rasierklingen von Gillette, die Seife von Colgate-Palmolive. Die Baumwolle und die Kunstfaser oder Wolle Ihrer Kleidung, die Sie dann anlegen, wurde in großen Spinnereien und Webereien verarbeitet, mit Farben großer Chemiekonzerne gefärbt und ausgerüstet. Vielleicht haben Sie die Dinge mit einer Visa-Kreditkarte der Citibank bezahlt.
Wenn Sie sich zum Frühstück niedersetzen, essen Sie vielleicht zuerst eine Banane von Chiquita und trinken Orangensaft von Seagram, besser bekannt für Whiskey als für Fruchtsaft. Die Pop-Tarts und Waffeln kommen von Kellogg’s und das Entenmann’s-Gebäck von Philip Morris, das neben den Marlboros außerdem auch noch Kraft-Käse und Oscar-Mayer-Wurst produziert. Der Toaster, die Kaffeemaschine und der Kühlschrank stammen vielleicht von Siemens oder sonst einer großen Aktiengesellschaft.
Zum Mittagessen trinken Sie vielleicht ein Getränk, das Brau und Brunnen geliefert hat. Coca-Cola und Pepsi-Cola sind Aktiengesellschaften, und Pepsi besitzt auch noch die Restaurantkette Pizza Hut. Wenn Sie nach Hause kommen und zum Telefon greifen, um einen Freund oder eine Freundin anzurufen, dann nehmen Sie die Dienste der Telekom, einer großen deutschen Aktiengesellschaft, in Anspruch. Am Abend treten Sie in ein Schnellrestaurant von McDonald’s oder von Burger King ein, einer Tochterfirma der britischen Aktiengesellschaft Grand Metropolitan. Ihr Fernseher, die Lampen und die Hi-Fi-Anlage, einschließlich der CDs, wurden jeweils von einer Aktiengesellschaft hergestellt. CNN, dessen Sendungen Sie im Fernsehen verfolgen, ist eine Tochterfirma der Aktiengesellschaft Turner Broadcasting.
Aktiengesellschaften stellen die meisten Artikel her, für die im Fernsehen geworben wird, und auch die Werbesendungen selbst werden oft von Aktiengesellschaften produziert.
Es ist leichter, tausend Namen von großen Firmen, die Aktiengesellschaften sind, herunterzurasseln, als zehn Weltfirmen zu nennen, die noch in Privathand sind. Die Süßwarenfirma Mars, die die Mars-Riegel, Snickers und Milky Way herstellt, ist eine solche, ebenso wie die Firma Levi Strauss, von der Jeans-Kleidung kommt.
Fast von jeder Kaufhauskette, von jedem großen Hersteller, von vielen Firmen für Markenartikel können Sie Miteigentümer werden. Das ist gar nicht so kostspielig, wie Sie denken. Etwa für die Eintrittsgebühr eines Tages im „Magic Kingdom“ können Sie sich bereits bei Disney einkaufen, und eine Aktie von McDonald’s gibt es schon für den Gegenwert von etwa 20 Big Macs mit Pommes.
Unabhängig davon, wie alt oder jung Sie sind und wie viele Aktien Sie während Ihres Lebens kaufen, können Sie immer daran Spaß haben, in ein McDonald’s-Restaurant oder ein Kaufhaus oder eine Tankstelle einzutreten und zuzusehen, wie die Kunden Schlange stehen, um die Waren zu erwerben. Sie können sich dann darüber freuen, dass ein Teil des Gewinns in Ihren eigenen Geldbeutel wandern wird.
Dies ist ein wichtiger Teil unseres „Way of Life“, von dem die Gründerväter vor mehreren Hundert Jahren kaum träumen konnten. In den Vereinigten Staaten sind über 50 Millionen Männer, Frauen und Kinder Miteigentümer von mehr als 13.000 verschiedenen Aktiengesellschaften. Die Möglichkeit, Miteigentümer zu werden, ist die großartigste Methode, Massen von Menschen am Wachstum und Wohlstand eines Landes teilnehmen zu lassen. Das funktioniert in beide Richtungen. Wenn ein Unternehmen Aktien anbietet und verkauft, verwendet es das eingehende Geld dazu, neue Läden zu eröffnen oder neue und modernere Fabriken zu bauen oder seine Herstellungsverfahren zu verbessern, damit es mehr oder bessere Erzeugnisse an mehr Kunden verkaufen und den Gewinn steigern kann. Wenn die Gesellschaft wächst und vermögender wird, dann steigen ihre Aktien im Kurs, und damit werden die Anleger dafür belohnt, dass sie einen Teil ihres Geldes in einer so sinnvollen Weise angelegt haben.
Eine blühende Gesellschaft kann auch ihren Beschäftigten höhere Löhne und Gehälter bezahlen. Sie wird auf die gestiegenen Gewinne auch mehr Steuern entrichten. Die Regierung wird dann mehr Geld für Schulen, Straßenbau, Umweltschutz und Kindergeld und für viele andere Vorhaben, die der Gemeinschaft nützen, zur Verfügung haben. Diese ganze Abfolge von günstigen Entwicklungen beginnt dort, wo Menschen wie Sie etwas Geld in eine Aktiengesellschaft investieren.
Die Investoren sind das erste Glied in der kapitalistischen Kette der Wirtschaft. Je mehr Geld Sie sparen können und je mehr davon Sie zum Kauf von Aktien guter Gesellschaften verwenden, desto besser wird es Ihnen später voraussichtlich ergehen; denn wenn Sie Ihre Gesellschaften klug aussuchen und nicht ungeduldig werden, dann werden Ihre Anteile in der Zukunft wesentlich mehr wert sein als die Summe, die Sie ursprünglich dafür bezahlt haben.
Kapitalismus liegt vor, wenn Menschen Dinge erzeugen und für Geld verkaufen. Vielleicht erbringen sie für Geld auch Dienstleistungen. Während des größten Teils der bisherigen Geschichte der Menschheit war der Kapitalismus unbekannt, denn die große Masse der Weltbevölkerung bekam nie Geld in die Hand. Über Tausende von Jahren hinweg lebte der durchschnittliche Mann oder die durchschnittliche Frau ein ganzes Leben lang, ohne jemals einen einzigen Gegenstand zu kaufen.
Die Menschen lebten als Leibeigene, Sklaven oder Diener und Dienerinnen für Herren, die das Land und alles, was es darauf und darunter gab, besaßen. Für ihre Arbeit bekamen die arbeitenden Menschen freie Wohnung in einer Hütte und vielleicht ein kleines Stückchen Land zur eigenen Bearbeitung, auf dem sie Gemüse ziehen konnten. Ein Gehalt oder einen Lohn gab es nicht.
Niemand beklagte sich über das fehlende Einkommen, denn es gab keine Gelegenheiten, das Geld auszugeben. Gelegentlich kamen fahrende Händler durch den Ort und hielten kurz einen Markt ab, aber das war ein sehr seltenes Ereignis. Die Könige, Königinnen, Prinzen, Prinzessinnen, Herzöge, Grafen und so fort, die alle Sachwerte besaßen – Schlösser, Gebäude, Möbel, Tiere, Ochsenkarren, Hausrat, einfach alles von Goldschmuck bis zu Töpfen und Pfannen –, hielten alles im Besitz der Familie. Es wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, ein Stück Land zu verkaufen, selbst wenn sie dabei einen großen Profit gemacht und außerdem weniger Rasen zu mähen gehabt hätten. Es gab keine handgepinselten Schilder mit der Aufschrift „Zu verkaufen“ im Rasen vor den Schlössern. Grundbesitz konnte man nur durch Erbschaft oder Krieg erringen.
In vielen Teilen der Welt, seit den frühen Tagen des Judentums und dann weiter im Christentum, war eine Tätigkeit zur Erzielung von Gewinn etwas anrüchig, und wer Zinsen verlangte, konnte aus der Synagoge oder der Kirche ausgestoßen werden und einen ewigen Aufenthalt in der Hölle erwarten. Bankiers hatten einen üblen Ruf, und die Menschen mussten sich heimlich zu ihnen schleichen. Der Gedanke an einen Nutzen aus einer Transaktion oder das Streben, im Leben voranzukommen, wurden als selbstsüchtig, unmoralisch und gegen Gottes Plan für ein wohlgeordnetes Weltall angesehen. Heutzutage will jeder seine Lebensumstände verbessern, aber wenn Sie im Mittelalter gelebt und den Wunsch, „voranzukommen“ oder „sich zu verbessern“ geäußert hätten, dann hätten Sie von Ihren Freunden nur einen Gesichtsausdruck der Verständnislosigkeit erwarten können. Den Begriff des Strebens nach oben gab es nicht.
Falls Sie weitere Einzelheiten über das Leben vor dem Vorhandensein von Märkten und dem Arbeiten für einen Gehaltsscheck sowie der Freiheit, ihn auszugeben, erfahren wollen, sollten Sie das erste Kapitel des Klassikers „Die Denker der Wirtschaft“ von Robert Heilbroner lesen. Es macht beim Lesen viel mehr Spaß, als es sein Titel verspricht. Etwa in den Jahrzehnten nach 1750 hatte sich in der Welt ein Geschäftsleben mit lebhaftem Handel zwischen den Nationen entwickelt. Überall wurden Märkte eingerichtet und genügend Menschen konnten Dinge kaufen, sodass die Kaufleute gute Geschäfte machten. Diese neue Klasse von Ladeninhabern, Hausierern, Spediteuren und Großhändlern wurde reicher und mächtiger als die Prinzen und Herzöge mit all ihrem Grundbesitz und ihren Armeen. Die Bankiers wagten sich ans Tageslicht, um Darlehen zu vergeben.
Die Geschichtsbücher enthalten viele Gründe für Amerikas gewaltigen Erfolg – das günstige Klima, das fruchtbare Land, die große Ausdehnung, die „Bill of Rights“, das zweckmäßige politische System, den endlosen Strom von arbeitswilligen Einwanderern, die Ozeane auf beiden Seiten, die uns vor Überfällen schützen. Tüftler und Erfinder, Träumer und Planer, Banken, Geld und viele Investoren gehören auch in diese Aufzählung.
Im ersten Kapitel der Geschichte unseres Landes als selbstständige Nation lesen wir von den Eingeborenen, den Indianern, von französischen Fallenstellern und Pelzhändlern, von spanischen Konquistadoren, Seeleuten, die in die falsche Richtung segelten, Glücksrittern, Entdeckern mit Mützen aus Waschbärfell und den Pilgervätern beim ersten Erntedankfest. Hinter der ganzen Szene musste aber jemand die Rechnungen bezahlen für die Schiffe, die Verpflegung und alle anderen Kosten dieser Abenteuer. Der größte Teil dieser Gelder kam aus den Taschen englischer, holländischer und französischer Investoren. Ohne sie wären die Kolonien nie kolonisiert worden.
Als die Stadt Jamestown in Virginia entstand und die Pilgerväter beim Plymouth Rock in Massachusetts landeten, gab es entlang der Ostküste der heutigen Vereinigten Staaten Millionen Hektar Land voller Wildnis, aber man konnte nicht einfach mit einem Schiff dorthin segeln, sich einen guten Platz aussuchen, ein Stück des Waldes darauf roden und anfangen, Tabak zu pflanzen oder mit den Indianern zu handeln. Man musste dazu von einem König oder einer Königin eine Erlaubnis erhalten.
In jenen Zeiten hing alles von den Königen und Königinnen ab. Falls man auf den königlichen Grundstücken, die den größten Teil der Ländereien der Erde umfassten, tätig werden wollte, musste man eine königliche Lizenz, die „Charter of Incorporation“ genannt wurde, erwerben. Diese Lizenzen waren die Vorläufer der modernen Gesellschaften, der „Corporations“, und die Geschäftsleute konnten ihre Tätigkeit nicht ohne eine „Charter“ oder einem Anteil an der Charter eines anderen aufnehmen.
Religiöse Gruppen wie etwa die Quäker in Pennsylvania, erhielten solche Charters. Gruppen von Geschäftsleuten, wie beispielsweise die Gründer der Stadt Jamestown, wurden ebenfalls Charters erteilt. Wenn man dann die königliche Erlaubnis, das Land zu besiedeln und eine Kolonie zu gründen, besaß, musste man sich nach Finanzierungsmöglichkeiten umsehen. Nun entstand die erste Börse.
Schon im Jahr 1602 kauften Menschen in Holland Aktien der Vereenigde Oostindische Compagnie. Dies war die erste der Allgemeinheit zugängliche Aktie der Welt, und sie wurde an der ersten allgemein zugänglichen Börse der Welt gehandelt. Diese befand sich auf einer Brücke über die Amstel in Amsterdam. Dort drängten sich lebhaft interessierte Investoren und versuchten, die Aufmerksamkeit eines Maklers auf sich zu ziehen; und wenn das Stoßen und Schieben außer Rand und Band geriet, wurde die Polizei gerufen, um die Ordnung wiederherzustellen. Die Holländer gaben Millionen von Gulden für das Vorrecht des Besitzes von Aktien der Niederländischen Ostindien-Kompanie aus. Heutzutage, wo viele Gesellschaften nur mit ihrer Abkürzung bekannt sind, wie zum Beispiel IBM oder VW, könnte man jene Gesellschaft kurzerhand VOC nennen.
Auf jeden Fall nahm diese holländische Gesellschaft diese Millionen Gulden, die sie beim Verkauf der Aktien eingenommen hatte, und gab das Geld dafür aus, einige wenige Schiffe auszurüsten. Diese Schiffe wurden nach Indien und in andere „Länder“ im fernen Osten geschickt, um die neuesten fernöstlichen Waren zurückzubringen, die damals in Europa groß in Mode waren.
Während Optimisten immer höhere Preise für die Aktien der Niederländischen Ostindien-Kompanie bezahlten, weil sie sich ausrechneten, dass die Gesellschaft ihnen ein Vermögen einbringen würde, wetteten Pessimisten mittels eines gewitzten Verfahrens, des sogenannten Leerverkaufs (auch als „Shorten“ oder „Shortselling“ bezeichnet), auf einen Kursrückgang der Aktie. Diese Masche wurde nach 1600 erfunden und wird auch heute noch von Pessimisten an den Börsen angewendet. Im Falle der Niederländischen Ostindien-Kompanie behielten die Optimisten recht. Der Kurs der Aktie verdoppelte sich nämlich während der ersten Jahre, in denen sie gehandelt wurde, und die Aktionäre erhielten regelmäßig einen Bonus ausbezahlt, der als Dividende bekannt ist. Die Gesellschaft bestand nahezu 200 Jahre lang, bis sie an Kraft verlor und im Jahr 1799 aufgelöst wurde.
Vielleicht haben Sie einmal davon gehört, dass Henry Hudson mit seinem Schiff, der Half Moon, den Hudson, an dem heute der Staat New York liegt, auf der Suche nach einer Passage nach Indien hinaufsegelte. Er wiederholte damit denselben Fehler, den Kolumbus schon begangen hatte. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, wer diese Suche nach einer goldenen Gans bezahlte? Wir alle wissen, dass Kolumbus von König Ferdinand und Königin Isabella von Spanien finanziert wurde. Hudson erhielt seine Mittel von der soeben besprochenen Niederländischen Ostindien-Kompanie.
Ein anderes holländisches Unternehmen, die Niederländische Westindien-Kompanie, schickte die ersten Europäer aus, die sich auf der Insel Manhattan niederlassen sollten. Als daher Peter Minuit den berühmtesten Landerwerb der Geschichte durchführte, indem er für Schmuck und Waren im Wert von 60 Gulden (24 Dollar) Manhattan kaufte, handelte er im Namen der Aktionäre der Niederländischen Westindien-Kompanie. Es ist schade, dass jene Gesellschaft nicht lange genug bestand, um Gewinn aus den vielen teuren Büroräumen im Stadtkern von New York zu ziehen.
Als sie sahen, wie die Holländer ihre Abenteuerzüge in der Neuen Welt finanzierten, folgten die Engländer ihrem Beispiel. Die Virginia Company in London hatte ausschließliche Rechte auf ein riesiges Gebiet, das sich von North und South Carolina durch den heutigen Staat Virginia bis hinauf in Teile des heutigen Staates New York erstreckte. Diese Gesellschaft bezahlte die erste Expedition nach Jamestown, während derer die verliebte Indianerin Pocahontas ihre wütenden Verwandten davon abhielt, dem Anführer der neu Angekommenen, Hauptmann John Smith, den Schädel einzuschlagen.
Die Siedler von Jamestown arbeiteten, aber sie erwarben keinen Landbesitz, was gleich von Anfang an eine heikle Frage war. Sie wurden angeheuert, um die Wildnis zu roden, die Felder zu bestellen und Häuser zu bauen, aber das ganze Land, die durchgeführte Kultivierung und alle neuen Läden und Gewerbebetriebe gehörten den Aktionären daheim in London. Wenn die Kolonie Jamestown Gewinn abwarf, sahen die Siedler keinen Penny davon.
Nach sieben Jahren heftiger Streitigkeiten und Klagen der Siedler von Jamestown wurden die Vereinbarungen abgeändert. Die Menschen konnten nun eigenen Privatbesitz, echtes Eigentum, erwerben. Es stellte sich heraus, dass dies nicht mehr so wichtig war, denn die ursprüngliche Kolonie ging bankrott. Aus der Sache mit der Kolonie Jamestown konnte man jedoch eine wichtige Lehre ziehen: Eine Person, die Eigentum besitzt und einen Anteil an einem Unternehmen hat, wird wahrscheinlich härter arbeiten, sich glücklicher fühlen und eine bessere Leistung erbringen als eine Person, die besitzlos ist.
Die ausschließlichen Rechte auf die restlichen Ländereien an der Ostküste Amerikas, vom heutigen Staat Maryland bis hinauf nach Maine, wurden einer weiteren englischen Gesellschaft, der Virginia Company of Plymouth, erteilt. In der Darstellung auf den Landkarten der damaligen Zeit gehörte der größte Teil der heutigen Neuengland-Staaten zum nördlichen Teil von Virginia. Als später die Pilgerväter bei Plymouth Rock ankamen und an Land stolperten, drangen sie in Land, das der Plymouth Company gehörte, ein.
Schon Schulkinder lernen, wie die Pilgerväter und ihre Familien ihr Leben aufs Spiel setzten, um religiöse Freiheit zu erlangen, wie sie den schrecklichen Ozean in einem kleinen Schiff, der Mayflower, überquerten, wie hart für sie die Winter im kalten Neuengland waren, wie sie mit den Indianern Freundschaft schlossen und von ihnen die Rezepte für die Zubereitung von Kürbissen erhielten; aber kein Wort über die bemerkenswerte Geschichte, woher sie ihr Geld bekamen.
Wir wollen einen Augenblick innehalten, um die einzelnen Kapitel dieser Geschichte kurz zu überprüfen. Die Pilgerväter hatten England verlassen und waren nach Holland gekommen, wo die erste Börse eingerichtet worden war – die Pilgerväter kümmerten sich jedoch nicht um Aktien. Nach einigen Jahren Aufenthalt in Holland missfielen ihnen die Lebensumstände aber immer mehr und sie beschlossen, irgendwo anders hin zu flüchten. Drei Landstriche auf der Erde hatten sie in die engere Wahl gezogen: die Gebiete am Orinoco in Südamerika, ein Stück des heutigen Staates New York, der im Machtbereich der Holländer lag, und eine Gegend, die ihnen von der Virginia Company of London angeboten wurde.
Der schwerwiegendste Grund, der sie noch zurückhielt, war Mangel an Bargeld. Sie brauchten Reiseproviant und ein Schiff und konnten sich beides nicht leisten. Ohne finanzielle Hilfe wären sie für immer in Europa stecken geblieben, und die Amerikaner hätten nie etwas von ihnen gehört. An diesem Punkt der Geschichte trat nun Thomas Weston auf.
Weston war ein reicher Londoner Eisenwarenhändler. Er hatte Zugriff auf Ländereien in Neuengland und außerdem Zugriff auf eine große Menge Bargeld. Er und seine Freunde waren zu der Ansicht gekommen, dass die Pilgerväter eine hervorragende Investition darstellen würden. Sie machten diesen daher ein Angebot, von dem sie hofften, dass die Pilgerväter es nicht ausschlagen könnten.
Westons Gruppe, die sich den Spitznamen „The Adventurers“ gab, obwohl diese Geschäftsleute gar nicht selbst auf Abenteuer ausziehen wollten, beschloss, das Geld bereitzustellen, um die Pilgerväter nach Amerika zu senden. Als Gegenleistung mussten die Pilgerväter sich verpflichten, sieben volle Jahre lang vier Tage in der Woche zu arbeiten, um die Kolonie gewinnbringend zu machen. Nach dem Ablauf der sieben Jahre würde die Partnerschaft beendet werden, beide Parteien würden die Gewinne unter sich aufteilen und die Pilgerväter würden frei sein und ihrer eigenen Wege gehen können.
Die Pilgerväter nahmen diese Bedingungen an, weil sie keine andere Wahl hatten, und begannen, ihre Koffer zu packen. In der letzten Minute spielte ihnen Weston einen Streich, indem er die Vereinbarung abänderte. Statt jede Woche vier Tage lang zugunsten des Unternehmens arbeiten zu müssen, wurden nun sechs Arbeitstage gefordert. Außer am Sonntag hätten sie dann keine freie Zeit mehr, um ihren Garten am Haus zu bestellen, ihre Kleider zu flicken oder sich ihrer Religion zu widmen.
Nachdem sie mit Weston herumargumentiert und nichts erreicht hatten, entschieden Sie sich, ohne einen schriftlich niedergelegten Vertrag die Segel zu hissen und ohne irgendwelches Reisegeld aufzubrechen, denn obwohl Weston bisher alles bezahlt hatte, weigerte er sich nun, auch nur einen einzigen weiteren Penny herauszurücken. Sie mussten einen Teil der Butter, die sie für den Reiseproviant hergestellt hatten, verkaufen, um die Hafengebühren zu bezahlen und den Hafen mit der Speedwell, dem Schiff, das sie in Holland ausgerüstet hatten, verlassen zu dürfen.
Die Speedwell war leck. Die Auswanderer waren daher gezwungen, in den Hafen zurückzukehren, und hatten dabei immer den Verdacht, dass der Kapitän und die Matrosen mit Weston unter einer Decke stecken würden und das Leck in der Schiffswand absichtlich verursacht hätten. Die meisten Pilgerväter und ihre Angehörigen zwängten sich nun in ein zweites Schiff, das kleiner und langsamer war als die Speedwell – die Mayflower.
Es ging sehr eng zu auf der Mayflower auf der Reise zu ihrem versprochenen Land in Virginia, wobei sie den richtigen Kurs verfehlten und über ihr Ziel hinausschossen. Als sie den Irrtum bemerkten, versuchten sie, wieder südwärts zu segeln, aber die Klippen und Untiefen von Cape Cod versperrten die Durchfahrt. Statt einen Schiffbruch in diesen fremden, rauen Gewässern zu riskieren, warfen sie im Hafen von Provincetown Anker.
Von dort segelten sie dann weiter nach Plymouth, wo sie schließlich ihre Blockhäuser bauten und Feldfrüchte anpflanzten. Da Weston den Zufluss von Geld unterbrochen hatte, brauchten die Pilgerväter eine neue Bargeldquelle. Sie handelten mit einer anderen Investorengruppe (die John Peirce leitete) und der Plymouth Company, der das Land gehörte, eine neue Vereinbarung aus.
Jeder der Pilgerväter sollte 100 Morgen (etwa 40 Hektar) zur eigenen beliebigen Verwendung erhalten. Peirce seinerseits würde für jeden Siedler ebenfalls 100 Morgen erhalten. Obendrein sollten Peirce und jeder der anderen Investoren für die Bezahlung der restlichen Umzugskosten und die Finanzierung der Ansiedlung pro Nase weitere 1.500 Morgen erhalten.
Zusätzlich zu ihren vielen sonstigen Sorgen, etwa wie man den Winter überleben könne und wie sich die Beziehungen zu den Ureinwohnern, den Indianern, gestalten würden, hatten die Pilgerväter die Sorge, wie sie die zwei Investorengruppen, die von Peirce und die von Weston, die schon ansehnliche Summen zur Verfügung gestellt hatten, um sie bis hierher zu bringen, bezahlen konnten. Wenn wir uns auch gern vorstellen, dass die Pilgerväter ihr ganzes Vertrauen in den Willen Gottes setzten, so hatten sie doch dasselbe Problem wie wir: fällige Rechnungen.
Nach dem ersten tätigen Jahr der Plymouth-Kolonie segelte die Mayflower zu einem Besuch mit leeren Laderäumen nach England zurück: ohne Pelze, ohne Ernteerzeugnisse, ohne irgendetwas, das die Investoren hätten verkaufen können. Plymouth verlor Geld und verlor weiter Geld, eine Ernteperiode nach der anderen, oder, wie man an der Wall Street sagt: ein Quartal nach dem anderen. Dies ärgerte die Investoren sehr, wie es immer bei Investoren der Fall ist, die mit ihrem Geld null Gewinn machen. Was die ganze Angelegenheit noch verschlimmerte, war die Notwendigkeit, noch weitere Hilfsgüter zu der Kolonie hinüberzuschicken, sodass die Kosten noch weiter anstiegen.
Im Jahr 1622 hatte Weston die Nase voll von Plymouth und der Unterstützung der „teuren“ Pilgerväter, ohne dass irgendein Ergebnis sichtbar war. Er übergab daher seinen Anteil an dem Geschäft an seine „Adventurer“-Genossen und zog sich aus der Sache zurück. In der Zwischenzeit versuchte John Peirce heimlich hinter dem Rücken der anderen Investoren, die Kontrolle über Plymouth allein an sich zu reißen, damit er der „Lord Proprietor of Plymouth Plantation“ (Herr und Gebieter der Plymouth-Plantage) würde. Damit kam er aber nicht durch.
Fünf Jahre lang wogten die Argumente zwischen den Pilgervätern und den Investoren hin und her: Die Pilgerväter klagten über den Mangel an Unterstützung, und die Investoren klagten über den Mangel an Profit. Im Jahr 1627 wurde die Partnerschaft schließlich aufgelöst. In ihrer Verzweiflung verkauften die Investoren den ganzen Betrieb für die bescheidene Summe von 1.800 Englische Pfund an die Pilgerväter.
Da diese die 1.800 Pfund nicht beisammenhatten, mussten sie die Kolonie auf Raten bezahlen: 200 Pfund pro Jahr. Dies war der erste „Leveraged Buy-out“ in Amerikas Geschichte, ein Vorläufer des berühmten Schachzugs mit der Firma RJR Nabisco in den l980er-Jahren, auf dem das Buch und der Film „Barbarians at the Gate“ beruhen. (Bei einem „Leveraged Buy-out“ – zu Deutsch „fremdfinanzierte Übernahme“ – wird eine Firma mit gepumptem Geld von Menschen gekauft, die sich das eigentlich gar nicht leisten können.) Der „Leveraged Buy-out“ der Pilgrim Fathers war der erste Fall in Amerika, bei dem die Arbeiter die Firma übernahmen.
Nun kommt der interessanteste Teil der Geschichte. Sobald die Pilgerväter sich ein wenig eingerichtet hatten, beschlossen sie, eine Art kommunistische Gesellschaft einzuführen. Sie legten all ihren Besitz zusammen und keinem Einzelnen war irgendein privates Eigentum erlaubt. Gouverneur William Bradford, der damals der Leiter der Pilgerväter war, sah gleich von vornherein, dass die kommunistischen Verhältnisse in einem Fehlschlag enden würden. Es war ihm klar, dass ohne Privateigentum die Menschen keinen Anreiz haben würden, schwer zu arbeiten. Warum sollten sie sich auch anstrengen, wenn alle Bewohner der Kolonie sowieso denselben Nutzen empfangen würden (Nahrung, Unterkunft und so weiter), ob sie nun arbeiteten oder untätig herumsaßen. Einige weitsichtige Bewohner der Kolonie baten Gouverneur Bradford, die Sache so einzurichten, dass es den Farmern und Fischern gestattet sein würde, ihre eigenen Farmen und Boote zu besitzen und einen Gewinn aus ihren Anstrengungen zu ziehen. Als Gegenleistung unterstützten sie die Gemeinschaft der Kolonie durch die Zahlung einer Steuer auf ihre Gewinne. Dieses System freier Unternehmer, das Bradford dann gründete, war im Grunde dasselbe wie unser gegenwärtiges System.
Die Unabhängigkeit der Pilgerväter löste leider ihr Geldproblem nicht. Obwohl sie hart arbeiteten, wuchs die Schuldenlast der Kolonie von 1.800 auf 6.000 Pfund. Zur Ausdehnung des Fischfangs wurden für die Fangflotte weitere Pilgerväter von Holland herübergebracht. Man hoffte, mit den Gewinnen aus dem Fischfang einen Teil der Schulden abzahlen zu können, aber es wurden nie genug Fische dafür gefangen. Zehn Jahre lang zogen sich die Verhandlungen zwischen der Kolonie und ihren Gläubigern hin, bis die Streitfrage im Jahr 1642 endgültig abgeschlossen wurde.
Die Pilgerväter trugen zum Aufbau der sozialen, politischen, religiösen und wirtschaftlichen Grundlagen des modernen Amerikas bei, aber für die Investoren waren sie nichts als ein Fehlschlag. Weston, Peirce und ihre Freunde waren die großen Verlierer bei diesem Unternehmen, dabei waren sie nicht dumm, sondern recht gewitzt. Dies zeigt, dass das Investieren ein heikles Vorhaben ist, bei dem selbst die besten Pläne oft schieflaufen können. Vielleicht geschah ihnen alles aber auch ganz recht, da sie so hinterlistig und raffiniert waren und versuchten, die ursprüngliche Vereinbarung zu ihren Gunsten zu verändern.
Die geschilderte Story ist einer der Fälle, in denen die Allgemeinheit froh sein konnte, keine Aktien des Unternehmens kaufen zu können. Die Pilgerväter waren keine Aktiengesellschaft, wie es die Niederländische Ostindien-Kompanie und die Niederländische Westindien-Kompanie gewesen waren. Es fanden sich aber anschließend weitere Gelegenheiten für die europäischen Massen, am Goldrausch der Neuen Welt teilzunehmen, und das mit ebenso katastrophalen Ergebnissen. Es gab die unselige Mississippi Company und die South Sea Company. Beide erschienen im frühen 18. Jahrhundert auf der Bildfläche und verkauften an den Börsen von Paris und London Zehntausenden von leichtgläubigen Kunden ihre Aktien.
Die Mississippi Company war das Lieblingsprojekt eines großspurigen Geschäftemachers namens John Law, einer der schillerndsten Personen seines Jahrhunderts. Law floh aus Schottland, seiner Heimat, nachdem er in einem Duell, dessen Anlass ein geplatztes Geschäft war, einen Mann getötet hatte. Er ging nach Frankreich und verschaffte sich eine Audienz bei König Ludwig XV., der minderjährig war und die königlichen Entscheidungen einem Regenten, dem Herzog von Orléans, überließ.
Bekanntschaft mit einer königlichen Familie war in jenen Zeiten der einzige gangbare Weg, aufzusteigen. Law beschwatzte den Regenten so lange, bis er ihn davon überzeugt hatte, dass er, John Law, das Problem der gewaltigen Staatsverschuldung lösen könne.
Der Plan Laws für Frankreich sah vor, eine Druckmaschine zu beschaffen und Papiergeld zu drucken, das man dann zur Bezahlung der Schuld verwenden könne. Papiergeld war weltweit noch eine verhältnismäßig neue Sache und der Regent war von der ganzen Angelegenheit sehr beeindruckt. Er war sogar so sehr beeindruckt, dass er dem aus Schottland stammenden Einwanderer die vollständige Leitung der Königlichen Bank von Frankreich, zusammen mit dem Verfügungsrecht über die königliche Papiergelddruckmaschine, übertrug.
Bald war das Papiergeld des Herrn Law überall im Umlauf. Fast über Nacht stieg er vom Stand eines unbekannten Ausländers zum Herrscher der französischen Finanzen und zum reichsten Bewohner von Paris, nach König Ludwig XV. höchstpersönlich, auf.
Als seine Beliebtheit in der öffentlichen Meinung nach den Angaben der Volksbefragung, oder was immer man damals zur Erforschung der öffentlichen Meinung benutzte, sehr hoch war, kündigte Law sein zweites Großprojekt, die Mississippi Company, an. Ihr Zweck sollte darin bestehen, fantastische Schätze aus der Umgebung des Mississippi herbeizuschaffen. Der Mississippi floss durch das Louisiana-Territorium, das französische Forschungsreisende (Colbert, Joliet, Marquette) zuerst durchquert hatten und das später von Frankreich beansprucht wurde. Daheim glaubten die Franzosen, Louisiana sei ein zweites Mexiko, reich an Lagerstätten für Gold und Silber, die nur darauf warteten, fortgeschafft zu werden. Law selbst war nie am Mississippi oder überhaupt irgendwo auf dem ganzen amerikanischen Kontinent gewesen, aber es gelang ihm dennoch, die Öffentlichkeit vom Wahrheitsgehalt der fantastischen Geschichten, die sie gehört hatten, zu überzeugen.
Wie die Fans bei einem Rockkonzert eilten die Einwohner von Paris in das Gewirr von engen Straßen in der Nähe des herrschaftlichen Hauses von Law. Man musste einen Antrag stellen, um Aktien kaufen zu können. Die Leute schwangen das neue französische Geld in ihren Händen und fielen fast übereinander her, um die Vertreter Laws zur Annahme ihrer Anträge zu bewegen. Der Kurs der Aktien stieg und stieg, bis die Gesellschaft des Herrn Law auf dem Papier mehr wert war als alles im Umlauf befindliche Gold. Und immer noch drängten neue Käufer herbei.
Es gab kaum jemanden in Frankreich, der nicht vom Mississippi-Fieber erfasst wurde und nicht vom Mississippi-Gold träumte, das es in Wirklichkeit gar nicht gab. Es waren keinerlei Angaben über die Gesellschaft des Herrn Law erhältlich außer denjenigen, die Law selbst veröffentlichte, und es gab damals noch kein Wall Street Journal, das der Öffentlichkeit mitteilen konnte, dass der Plan von Law nicht die geringsten Aussichten auf Erfolg habe. Wer immer Zweifel an Law oder seiner Gesellschaft äußerte, wurde aus der Stadt weggeschafft und in weit entlegene Gefängnisse gesteckt.
Wenn die breite Masse der Bevölkerung die Ersparnisse ihres Lebens auf hoffnungslose Vorhaben verwettet, nennt man dies einen „Massenwahn“ oder eine „Blase“. Der Ablauf der Angelegenheit ist immer derselbe. Sich wie verrückt gebärdende Investoren zahlen wahnsinnige Preise, um an einer nebulösen Gelegenheit teilzunehmen, und früher oder später stürzen die Kurse ins Bodenlose. Nachdem die Mississippi-Blase geplatzt war, wurde den Menschen klar, dass Laws Gesellschaft ein Schwindel und er selbst nur ein Taschenspieler war. Die Anleger versuchten, ihre Aktien wieder loszuwerden, aber es fanden sich keine Käufer mehr. Sie verloren die gesamten Ersparnisse ihres Lebens, die französische Wirtschaft brach zusammen und das Bankensystem mit dazu. So rasch, wie Law zu einem französischen Helden aufgestiegen war, wurde er nun zum Sündenbock Frankreichs.
In England gab es ein Gegenstück zur Mississippi Company, nämlich die South Sea Company, die 1711 gegründet wurde. Die Organisatoren ahmten in jeder Weise die Winkelzüge von John Law getreulich nach. Sie versprachen, die riesigen militärischen Schulden Englands zu bezahlen, falls ihnen der englische Monarch ein Monopol für den Handel mit den Ländern der „südlichen Meere“, insbesondere mit Mexiko und Peru, einräumen würde.
Im Jahr 1720 gab die South Sea Company einen neuen Plan bekannt. Die Gesellschaft sei bereit, der englischen Regierung genug Geld zu leihen, um die gesamte Staatsschuld, sowohl die durch militärische Ausgaben entstandenen als auch die sonstigen Verpflichtungen, vollständig bezahlen zu können, vorausgesetzt dass die Regierung bereit sei, fünf Prozent Zinsen auf dieses Darlehen zu bezahlen. Zur gleichen Zeit begann die Gesellschaft, weitere Aktien aus ihren Beständen zu verkaufen. Halb London machte sich in Pferdekutschen zur Exchange Alley, der dortigen Börse, auf, fest entschlossen zum Kauf von Aktien. Dieser Ansturm verursachte einen schlimmen Stau, die Straßen waren wochenlang verstopft.
Die Nachfrage nach den Aktien der South Sea Company war so groß, dass der Kurs sich über Nacht verdreifachte, noch bevor das britische Parlament das Vorhaben der Gesellschaft gutgeheißen hatte. Ein englischer Staatsmann verkündete sogar eine Warnung: Die Menschen sollten ihr Geld in der Tasche behalten. Aber beim Vorliegen eines Massenwahns wie hier hört niemand auf die einsame Stimme der Vernunft.
Als sich herumsprach, dass die Gründer der South Sea Company durch den Verkauf von Aktien sehr reich geworden seien, wurden von anderen Menschen, die auch reich werden wollten, ganz schnell weitere Gesellschaften gegründet. Für jede verrückte Idee, die man sich nur ausdenken konnte, gab es nun eine Gesellschaft: für ein Perpetuum mobile, für Salzgewinnung im Heiligen Land, für den Import von Walnussholz aus Virginia, für die Malztrocknung mittels heißer Luft, für die Herstellung von Möbelplatten aus Sägemehl oder für eine neu erfundene Seife. Eine der Gesellschaften weigerte sich sogar, den Investoren offenzulegen, was sie mit dem angelegten Geld anfangen würde. Sie beschrieb ihre Absichten wie folgt: „Die Ausführung einer mit großen Vorteilen verbundenen Aufgabe, die aber niemand wissen darf.“
Adlige und einfache Bürger, Kaufleute und Tagelöhner, Menschen aus allen Berufen und aus jeder gesellschaftlichen Stellung wurden von der Londoner Börse in der Erwartung angezogen, über Nacht reich zu werden. Als die Seifenblase schließlich platzte, traf die Engländer das gleiche Schicksal, wie es zuvor in Frankreich zugeschlagen hatte. Der Kurs der Aktien der South Sea Company machte einen Sturzflug nach unten, eine Menge Leute verloren die Ersparnisse ihres Lebens und das britische Finanzsystem war nahe am Zusammenbruch.
Ein Direktor der South Sea Company nach dem anderen wurde vor Gericht gestellt, sein Vermögen beschlagnahmt und er selbst ins Gefängnis gesteckt, manche in den berüchtigten Tower of London. Auch der große Naturforscher Sir Isaac Newton ließ sich etwas von dem Massenwahn anstecken und verlor bei dieser Gelegenheit eine Menge Geld. Er sagte einmal: „Ich kann die Bahnen von Himmelskörpern berechnen, aber nicht die Verrücktheiten der Menschen.“
Der Zusammenbruch der South Sea Company trug der englischen Börse einen so schlechten Ruf ein, dass das englische Parlament ein Gesetz verabschiedete, das den Kauf oder den Verkauf von Aktien irgendwelcher Gesellschaften als ungesetzlich erklärte, ganz gleich, was das Geschäftsziel der Gesellschaften sei. Die Börse wurde geschlossen und jeglicher Handel mit Aktien, der damals „Jobbing“ genannt wurde, kam zum Stillstand. Aktienhändler, die vorher die beliebtesten Personen der Stadt gewesen waren, wurden nun gesellschaftlich ausgestoßen und übler angesehen als Taschendiebe, Straßenräuber und Huren.
Das war ein schlimmer Anfang für die Wertpapiere, doch die Zustände haben sich seither bedeutend verbessert, besonders in den letzten Jahrzehnten.
Auf der amerikanischen Seite des Atlantiks begannen die Bewohner der Kolonien, die ursprünglich im Interesse der Geschäfte anderer nach Amerika gelangt waren, selbst Geschäfte und Firmen zu gründen.
Im frühen 18. Jahrhundert wurden Gesellschaften vielerlei Art gegründet. Kaufleute, die selbstständig oder mit Partnern tätig wurden, entdeckten bald die Vorteile der Gründung einer Corporation. Später, nachdem die Kolonien ihre Unabhängigkeit von England erstritten hatten, nahmen die Amerikaner die Idee der Unternehmensgründung sehr viel besser auf, als es in Europa der Fall gewesen war. Keines der anderen hochindustrialisierten Länder – Großbritannien, Frankreich, Deutschland oder Japan – brachte so viele Unternehmen hervor wie die Vereinigten Staaten von Amerika.
Tatsächlich sind einige der Gesellschaften, die vor nahezu 300 Jahren ihre Tore öffneten, heute noch im Geschäft! Wenn man alle Kriege, Panikausbrüche, Rezessionen und die vielen sonstigen Rückschläge, die die Vereinigten Staaten in jenen Jahrhunderten bis heute erlebt haben, bedenkt, ist das Fortbestehen jener Firmen eine sehr erstaunliche Tatsache. Generationen wurden geboren und sanken ins Grab, Waren und Erzeugnisse wurden modern und wieder altmodisch, Großfeuer verheerten Städte, Wälder wurden abgeholzt, blühende Stadtviertel wurden zu Slums, nahezu alles hat sich seit dem 18. Jahrhundert verändert. Aber J. E. Rhoads & Sons ist immer noch da, seit 1702, als das Unternehmen Peitschen für Pferdekutschen herstellte.
Rhoads & Sons wäre schon längst von der Bildfläche verschwunden, wenn nicht um 1860 herum die Manager so gewitzt gewesen wären und erkannt hätten, dass die Eisenbahnen im Kommen waren. In einer Welt ohne Pferdekutschen würden keine Zukunftsaussichten für die Hersteller von Kutscherpeitschen bestehen. Sie stellten die Fabrik auf die Herstellung von Förderbändern um.
Die Dexter Company war bei ihrer Gründung im Jahr 1767 eine Mühle im Ort Windsor Locks im Staat Connecticut. Mehr als zweieinviertel Jahrhunderte später ist sie immer noch erfolgreich tätig, aber nicht mehr im Mühlengeschäft. Wie Rhoads & Sons wurde sie von rasch entschlossenen Managern, die immer die Zeichen der Zeit erkannten und danach handelten, am Leben erhalten. Der Betrieb von Mühlen war ein schwindender Geschäftszweig, Dexter stellte daher auf die Erzeugung von Briefpapier und Umschlägen um. Vom Briefpapier wurde dann auf Teebeutel gewechselt und von den Beuteln auf Leim. Heutzutage produziert die Gesellschaft hochwertige Außenbeschichtungen und Erzeugnisse für Klebeverbindungen in Flugzeugen.
Eine Gesellschaft in Baltimore, D. Lameth Seed, erzeugt und vertreibt seit 1784 Gemüsesamen. Sie verkaufte schon Thomas Jefferson (dem dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten) Gemüsesamen für sein Landgut in Virginia, und nach mehr als zweihundert Jahren liefert sie immer noch Saaten für die von Jefferson entworfene und geschaffene Anlage, die nun zum nationalen Erbe gehört. Wenn eine Gesellschaft ein gutes Produkt herstellt, das immer gebraucht wird, kann sie ewig im Geschäft bleiben.
Da keines dieser frühen Unternehmen eine Aktiengesellschaft war, konnten die Bürger davon keine Aktien erwerben und besitzen (Dexter wurde zum 201. Geburtstag im Jahre 1968 eine öffentliche Aktiengesellschaft). Zum Zeitpunkt der amerikanischen Revolution gab es nicht eine einzige im Lande errichtete Aktiengesellschaft. Nach der Revolution erschien eine Bank als erste Aktiengesellschaft auf der Bühne – die Bank of North America, die im Jahr 1781 gegründet wurde. Die Bank of New York (gegründet 1784) war die erste Gesellschaft, deren Aktien an der New Yorker Börse, der New York Stock Exchange, gehandelt wurden. Sie werden dort immer noch gehandelt.
Die Bank of Boston folgte dem Vorbild, das die Bank of New York gegeben hatte, und bot, ebenso wie die Bank of the United States, der Öffentlichkeit ihre Aktien zum Kauf an. Die Hauptaufgabe letzterer Bank bestand darin, auszuknobeln, wie die durch den Revolutionskrieg aufgelaufenen Schulden bezahlt werden könnten.
Während der Zeit, in der die Siedlungen in Nordamerika noch eine britische Kolonie waren, gab es dort keine Banken, weil die Engländer dies nicht erlaubten. Dieses Problem wurde nach der Erringung der Unabhängigkeit und der Bildung der Vereinigten Staaten gelöst, aber selbst dann gab es noch viel Theater um die Frage, ob die amerikanische Bundesregierung eine Bank fördern sollte. Einige der Gründerväter der Republik, besonders Jefferson, hegten großes Misstrauen gegen Banken und deren Papiergeld.
Ähnlich wie die Europäer bei John Law in Frankreich und der South Sea Company in England habgierig hohe Preise für Aktien bezahlten, so bezahlten auch die ersten Aktionäre in den Vereinigten Staaten zu viel für ihre Bank-Aktien und wussten sehr wenig darüber, was sie da kauften. Immer mehr wurde für diese Aktien geboten, bis die Kurse unsinnig hochgetrieben worden waren. Auch heute noch ist es an der Wall Street so: Was unglaublich hoch steigt, muss stets wieder einmal herunterkommen. Beim Crash von 1792, dem ersten Crash in der Geschichte der Wall Street, landeten die Bank-Aktien mit einem mächtigen Bums auf einem viel tieferen Kurs. Sobald sich der Staub etwas gelegt hatte, erließ die gesetzgebende Versammlung des Staates New York ein Gesetz, das den Aktienhandel als kriminelle Tätigkeit unter Strafe verbot, ähnlich wie dies zuvor in London geschehen war. Aktien konnten nur noch unter der Hand erworben oder verkauft werden.
Das Schicksal dieser frühen Bank-Aktien war eine gute Lektion für die Anleger in einem jungen, neuen Land, und es ist auch eine gute