Maaßlosigkeiten - Jörg Maaß - E-Book

Maaßlosigkeiten E-Book

Jörg Maaß

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Beschreibung

Mysteriöse Lichter, Zufluchtsorte, traumatisierte Mettbären, Blähterroristen. Der Autor führt den Leser in seinen Geschichten von bizarren fremde Welten, hin zu Todesplätzen, um dann in amüsanten Storys wie Die Gefahren des Krümeltabaks zu münden. Den Abschluss des kurzweiligen Buches bilden dann einige Gedichte. Eine Redakteurin schrieb in einem Artikel, dass ein Hang zum Schrägen und Skurrilen das Lesen der Bücher des Autors erleichtere. Diese Aussage ist sehr zutreffend. Ideenreich und kreativ mit zum Teil sehr ungewöhnlichen Themen, dabei etliche Genres abdeckend, ist das Buch äußerst unterhaltsam und absolut empfehlenswert.

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Dieses Buch ist allen Menschen gewidmet, die unter Mobbing leiden. Gebt nicht auf, denn dann haben sie (die Täter) gesiegt und fühlen sich bestätigt in ihren Handlungen!

Jörg Maaß

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Licht in der Dunkelheit

Flecken der Verdammten

Die letzte Zuflucht

Die Blase

Der Schlarr vom Affenland

Der Garten des Todes

Herr des Moores

Zwei Ewige Widersacher

Trauma des Mettbären

Die Invasion der Stinkussianer

Der Blähterrorist

Ängste eines Rauchers oder Die Gefahren des Krümeltabaks

No Answers

Verloren

Durch die Stadt

Rapsfeld

Gekillter Killer

Bar, Barbara, der Barbier und ein paar Bier

Nachwort

Vorwort

Es ist einige Zeit seit dem Erscheinen von Irritationen des Irrsinns vergangen und mehr als einmal habe ich mir seitdem die Frage gestellt, in was für einer kranken Welt ich lebe. Die Tendenz oder Richtung (wenn man es so bezeichnen will) wirkt bedrohlich. Werte wie Toleranz, Respekt, Wertschätzung, Vertrauen und Zusammenhalt scheinen bei vielen Menschen völlig verloren gegangen zu sein (waren bei einigen aber vielleicht auch nie vorhanden?). So viele Menschen, die über dich urteilen, obwohl sie dich nicht kennen und auch nie verstehen werden, aber ihre Ansichten über dich als Wahrheit verkaufen, dazu über das Privatleben anderer herziehen. Aber es gibt auch immer mal wieder welche, die einem Mut machen, weil sie eben nicht in diesen klein karierten Schema F-Bahnen denken. Leider viel zu wenige.

Die Storys sind wieder sehr unterschiedlich. Der Blähterrorist (mein persönlicher Favorit des Buches) ist eine sehr schräge Geschichte, mit der ich Ende 2015 begann und die ursprünglich schon Inhalt meines vierten Buches (Gefangene, Befreier und ein blutiger Platz) werden sollte, aber erst jetzt (Januar 2019) beendet wurde. Sie ist ziemlich überdreht und die Akteure haben mit Absicht sehr ungewöhnliche Namen bekommen. Mir kamen im Laufe der letzten Jahre so viele Ideen, sodass der Blähterrorist mit Abstand die längste Story wurde. Sie spiegelt deutlich in stark übertriebener Form meine Abneigung gegen spießige, intolerante Menschen wieder, zeigt allerdings gleichzeitig auch die Doppelmoral auf, die einige Menschen an den Tag legen. Die Inspiration zu der Story „Die letzte Zuflucht bekam ich während der USA/Nordkoreakrise 2017. Sie ist sehr freakig und tendiert ebenso wie Flecken der Verdammnis (hier nur sehr leicht) in Richtung Endzeitstory. Horror darf natürlich nicht fehlen, war ja in den letzten Büchern immer ein Bestandteil, diesmal etwas weniger dosiert (Garten des Todes, Herr des Moores) und eine Mysterystory (Das Licht in der Dunkelheit) ist auch Teil des Buches.

Die Gefahren des Krümeltabaks ist, streng genommen, eigentlich keine Kurzgeschichte, sonder eher ein für Poetry Slams geeigneter Text.

Alles in allem ein Buch mit Geschichten unterschiedlichen Genres (einige sind auch nicht einortbar, ich bin sowieso gegen dieses Schubladendenken)

Ich wünsche euch viel Spaß und Freude beim Lesen

Jörg Maaß

Das Licht in der Dunkelheit

Sie spürte weder den herabfallenden Regen auf dem Körper, der ihre Kleidung langsam durchnässte, noch den immer heftiger wehenden Wind, welcher die langen glänzenden schwarzen Haare durcheinanderwirbelte. Die gesamte Aufmerksamkeit der Frau widmete sich einen weit entfernten, leuchtenden Punkt. Schon gestern Abend und an Tagen zuvor war er ihr aufgefallen, doch heute ergriffen sie bei dem Anblick heftige Emotionen. Neugierde, Faszination und eine Art Appetenz wallten in ihr auf.

Doch was konnte der Auslöser der Lichtquelle sein und warum schien sie nur am Abend? Dort, jenseits des Stadtrandes, standen keine Häuser oder Bauernhöfe, es gab dort nur Felder, Wiesen und kleine Wäldchen, durch denen mehrere Wege führten, wo viele Hundebesitzer mit ihren vierbeinigen Freunden spazieren gingen. Auch sie hatte sich in der Vergangenheit, als Harald, ihr verstorbener Schäferhund, noch lebte, oft in dem Gebiet aufgehalten. An warmen Frühlings- und Sommertagen herrschte in der, weitestgehend Mutter Natur überlassen, Gegend eine geradezu idyllische Atmosphäre.

Wie ein Magnet wurde die Frau von dem fernen Schein angezogen und lenkte ihre, fast einen ferngesteuerten Roboter gleichenden, Schritte in die Richtung des mutmaßlichen Entstehungsortes. Sie ernte, ob ihres geistesabwesend wirkenden Benehmen, etliche argwöhnische Blicke von vorbeigehende Menschen, doch registrierte diese gar nicht, da ihre Augen einzig auf das Licht fokussiert waren. Plötzlich wehte eine starke Windhose ihre Mütze fort. Als sie die Kopfbedeckung endlich wieder eingefangen hatte, war es verschwunden. Nach einer kurzen Wartezeit, während der sie hoffnungsvoll zu dem Platz der, jetzt erloschenen, Lichtquelle, hinüber starrte, ging sie, tief in Gedanken versunken in den mittlerweile strömenden Regen nach Hause. Dort angekommen wechselte die Frau ihre Kleidung, legte die durchnässte auf die Heizung und dachte über die merkwürdige Erscheinung nach.

Seltsamerweise schien das Lichtphänomen von niemand anderem bemerkt worden zu sein, was zuerst große Verwunderung in ihr auslöste, sie anschließend aber zu der Annahme kommen ließ, dass es vielleicht ein Zeichen für sie war. Ein Zeichen? Aber von wem? Und warum verschwand das Licht plötzlich, so als ob jemand einen Schalter gedrückt hatte? Dann kam ihr der Gedanke, dass die Erscheinung nicht real, vielleicht ein Tagtraum oder Ähnliches war. Dies schien eine mögliche Erklärung zu sein, denn ihre Psyche wirkte der Frau, wenn sie ihren Gesundheitszustand selbstkritisch analysierte, bedingt durch die Erlebnisse der letzten Jahre, stark beschädigt.

„Beschädigt, welch absurde Bezeichnung für etwas, das man nicht anfassen und deformieren kann. Aber dennoch ist das eine gar nicht so abwegige Hypothese mit dem Tagtraum“, dachte sie, während sie den Wasserkocher nahm und heißes Wasser auf den Holundertee in ihrem Becher goss. Nach einigen kräftigen Schlucken verschwand der leichte Schüttelfrost, den das nasskalte Wetter bei ihr ausgelöst hatte. Vielleicht waren es Halluzinationen, hervorgerufen durch Fieber, kam in ihr eine weitere Vermutung auf, die der Frau aber nach kurzem Grübeln als zu weit hergeholt erschien, denn mehrere Tage die gleiche Fantasterei wäre allzu merkwürdig. Außerdem hatte sie mindestens an zwei der vorherigen Tage kein körperliches Unwohlsein verspürt. Kopfschüttelnd verwarf sie den Gedanken wieder, da er ihr als zu unsinnig erschien. Es wird wohl doch die Psyche sein, mein Gehirn, das mir etwas vorgaukelte, schlussfolgerte sie und legte sich auf die Couch, mit dem festen Vorsatz dort etwas zu relaxen und das Erlebte zu vergessen.

Als gerade eine Phase der Entspannung einsetzte, liefen plötzlich traurige, teilweise noch unverarbeitete, Ereignisse vergangener Jahre in ihrem Kopf, wie ein schnell abgespullter Videofilm, ab. Der Tod des Schäferhundes Harald, ein jahrelanger treuer Freund und Beschützer, dann die Scheidung von ihrem Mann, nach sechs Ehejahren mit viel Streit und einigen gewalttätigen Auseinandersetzungen. Diese und andere, von ihr längst verdrängte, traurige und zum Teil auch tragische Vorfälle schossen urplötzlich in rasanter Geschwindigkeit wieder als Bilder aus ihrem Memoryspeicher an die Oberfläche empor.

„Wir tragen alle unsere Dämonen mit uns herum, in tiefen Verliesen eingekerkert. Du glaubst, dass du vor ihnen in Sicherheit bist, doch dann brechen sie plötzlich wieder aus und quälen dich“, sagte Großvater einst zu ihr. Diese Äußerung rief sie sich wieder aus der Erinnerung hervor. „Wie recht er damit hatte, damals, als Jugendliche, wusste ich mit dieser Aussage nichts anzufangen. Für Sigmund Freud wäre ich jedenfalls ein ausgezeichnetes Studienobjekt gewesen“, stellte sie mit einem kurzen Anflug von Galgenhumor fest, der aber sofort wieder von düsteren, traurigen Gefühlen verdrängt wurde. Tränen unterdrückend, versuchte die Frau ihre trüben Gedanken zu vertreiben, indem sie den Fernseher einschaltete, aber leider lief auf den Sender gerade eine Nachrichtensendung, die über verschiedene Kriegsgebiete berichtete. Schnell zappte sie weiter auf das nächste Programm, wo eine Reportage über ansteigende Jugendkriminalität gezeigt wurde, was die Melancholie noch verstärkte und sie veranlasste das Gerät auszuschalten, um sich stattdessen lieber schlafen zu legen.

In der Nacht träumte sie von dem Licht. Ohne zu zögern, ging die, vom Schicksal malträtierte, Frau über Feldwege direkt auf die Erscheinung zu. Kurz vor einem kleinen Wäldchen stoppte sie, denn dort war der Entstehungsort, das anfangs schwache Leuchten hatte sich nun zu hell strahlenden Licht gewandelt. Als sie den dunklen Forst betrat, zeichnete sich, erleuchtet von der Lichtquelle neben einem Baum die Silhouette eines Menschen ab. Laut schreiend erwachte sie und stieg nach Sekunden der Besinnung zitternd und kopfschüttelnd aus ihrem Bett. Die Frau spürte Schweiß an ihrem Körper herunterlaufen, paradoxerweise aber auch gleichzeitig unangenehmes Kältegefühl, das bei ihr Gänsehaut verursachte.

„Unheimlicher Traum“, kam es murmelnd aus ihrem Mund. Der Versuch einer Rekonstruktion, um sich zu erinnern, wer dort hinter dem Baum hervorgekommen war, misslang trotz intensiver Bemühungen, weil eine innere Blockade, ein Veto des Unterbewusstseins, dies verhinderte.

Da aufgrund des Traumes Furcht vor dem Schlaf von der Frau Besitz ergriff, ging sie zum Fenster, um den strahlenden Vollmond am Nachthimmel zu betrachten. Als ihr Blick sich dann nach unten richtete, konnte sie es für einen ganz kurzen Moment sehen: weißes Flimmern, ungefähr aus der Richtung, wo es die Tage zuvor auch erschienen war. Erneut kalte Schauer verspürend, zog sie die Vorhänge wieder zu und setzte sich auf die Bettkante. Was geschieht nur mit mir? Werde ich allmählich wahnsinnig? Diese und andere wirre Gedankengänge kursierten wild in ihrem Kopf, verursachten Panik und Angst, schlagartig tauchten aber auch Wissbegierde, Faszination und unerklärliche süße Vorfreude auf. Die völlig konträren Gefühle wirbelten ihren Verstand durcheinander und verursachten kurzzeitig emotionales Chaos. Der Blick auf dem Wecker veranlasste die Frau schließlich, sich wieder hinzulegen, um noch einige Stunden zu schlafen, was aber misslang, da sie wegen des Traumes den Rest der Nacht grübelte, ohne zu einem klaren Ergebnis zu kommen.

Während der Arbeit, im Büro einer Versicherung, fiel es ihr sehr schwer, die Konzentration auf ihre Aufgaben zu wenden, immer wieder kehrten die Gedanken zu dem Traum und der Lichterscheinung zurück. Zweimal wurde sie von ihrem Vorgesetzten gefragt, was heute los sei, denn es waren ihr in einfachen Texten mehrere Fehler unterlaufen. „Ich weiß auch nicht, habe schlecht geschlafen letzte Nacht, ist wohl nicht mein Tag heute“, erwiderte sie. Der Chef schüttelte missbilligend den Kopf und murmelte etwas, das wie „Wohl zu lange gefeiert am Wochenende“, klang.

Am Abend, auf dem Nachhauseweg von ihrem Einkauf, erblickte sie das Licht erneut. Diesmal war es nicht nur ein schwacher Schein, wie an den vorherigen Tagen, sondern wesentlich größer und heller strahlend, dem des nächtlichen Traumes sehr ähnelnd. Und dann hörte sie, wie jemand ihren Namen rief. Sie erzitterte, denn die Stimme wurde nicht akustisch von ihren Ohren wahrgenommen, sondern ertönte in ihrem Kopf, wie ein telepathischer Lockruf! Evelyn! Evelyn, komm zum Licht! Die Worte wiederholten sich in immer kleiner werdenden Abständen in dem Gehirn der Frau. Mit zugeschnürter Kehle, in der Schreie tobten, die nach außen dringen wollten, presste sie die Hände an den Schläfen, um dann, nach einem kurzen inneren Kampf, zielstrebig die Lichterscheinung anzusteuern. Es war mittlerweile kurz vor Ladenschluss und zudem ein sehr trüber, kalter Novembertag, weshalb Evelyn diesmal auf dem Weg keinen Menschen begegnete. Weiter, immer weiter schritt die Frau den Feldweg entlang, nur noch auf dem Lichtschein konzentriert, den Rest der Umgebung kaum wahrnehmend. Je näher sie dem Wald kam, desto heller und größer wurden die Konturen der Energiequelle.

Die Frau beschleunigte ihren Gang und wechselte jetzt in einem leichten Laufrhythmus, die innere Anspannung stieg ins Unermessliche. Keine Furcht oder sonstige Bedenken waren in ihr, nur noch der Gedanke schnell den Entstehungsort der Erscheinung zu erreichen.

Kurz nach ihrer Ankunft am Waldrand trat jemand hinter einem großen Nadelbaum hervor. Es war ein junger, mit einem seltsamen hellen phosphoreszierenden Anzug, der einem Overall ähnelte, bekleideter Mann. Obwohl Evelyn ihn nie zuvor gesehen hatte, kam ihr das Gesicht trotzdem sehr bekannt, ja geradezu vertraut vor. Der Mann winkte ihr wortlos zu und forderte sie auf, ihm zu folgen. „Wer bist du?“, fragte sie.

Er ignorierte ihre Frage, ging stattdessen weiter in den Wald hinein, dem Licht entgegen. Von Zeit zu Zeit blickte er nach hinten, um sich zu vergewissern, dass Evelyn ihm folgte. Am Entstehungsort angelangt, erkannte sie, dass nicht, wie anfangs von ihr vermutet, Feuer das Licht verursachte, sondern es schien sich um eine grell flackernde Energiequelle zu handeln, deren Zentrum eine spaltförmige Öffnung preisgab. Als sie hineinsah, konnte Evelyn verschwommen Umrisse eines Pfades erkennen, auf dem der junge Mann zuging. Kurz vor der Lichtquelle stoppte er, wandte sich ihr zu und sprach: „Komm!“ Immer nur dieses eine Wort, das er mehrmals wiederholte. „Wer bist du?“, kam es erneut aus ihrem Mund.

Er sah sie mit einer undefinierbaren Mimik nachdenklich an, musterte eindringlich ihren Gesichtsausdruck, um dann Sekunden später auf den feuchten Waldboden nieder zu knien. Evelyn blieben weitere Fragen im Halse stecken, denn urplötzlich verschwammen die Konturen des Mannes, wurden kurzzeitig zu unzähligen transparenten Punkten, die Pixeln glichen, aber dennoch optisch zusammen immer einen Körper bildeten, der nun aber schrumpfte. Die Bekleidung verschwand gänzlich, doch konnte sie seinen nackten Leib nur für einen Sekundenbruchteil betrachten. Starr vor Furcht, aber gleichzeitig auch gepackt von prickelnder Faszination, wohnte sie der Transformation bei, die sich innerhalb einer Minute vollzog, ihr aber wesentlich länger vorkam.

Seine Arme wurden zu Beinen, die Hände zu behaarten, mit Krallen besetzten Pfoten. Haare sprossen auf seiner Haut, die kurz danach völlig von einem Fell überzogen war. Der Mund hatte nun nach einer sekundenschnellen Verformung das Aussehen einer Schnauze, die einst runden Ohren nahmen die Form von behaarten Dreiecken an und dann, nach Abschluss des Verwandlungsprozesses, schrie Evelyn auf, denn vor ihr stand Harald. Doch sie kam nicht dazu, den Hund zu streicheln, ihm von ihren vielen vergossenen Tränen und der quälenden Trauer nach seinen Tod zu erzählen, da nur wenige Sekunden später eine Rückverwandlung einsetzte und aus ihrem geliebten Schäferhund wieder der junge Mann wurde. Merkwürdigerweise war sein Anzug trotz der Verwandlung völlig unbeschädigt geblieben.

„Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte sie ihn. „Komm!

Komm mit mir, dann wirst du verstehen“, sprach er, betrat den Pfad und deutete der Frau mit einer Geste an ihn auf seinen Weg zu begleiten.

Evelyn konnte es nicht fassen. Jetzt direkt vor dem Licht stehend, verschwanden schlagartig letzte Reste von Melancholie der vergangenen Tage. Stattdessen bereitete sich Ruhe in ihr aus, gepaart mit völligem Wohlgefühl, das durch jedes ihrer Körperteile strömte. So etwas hatte sie in dieser Form und Heftigkeit noch nie verspürt. Der Anblick des nahen kleinen Baches mit den leise plätschernde Lauf des Wassers, das unter der Einwirkung des Lichts eine wunderschöne goldene Farbe angenommen hatte, verstärkte diese Emotionen noch. Von einigen alten kolossalen Bäumen fiel buntes Laub und wurde von dem böigen Wind durch die Luft gewirbelt. Die Natur inszeniert Konfettiregen, als Auftakt einer speziellen individuellen Gala für mich, dachte Evelyn gerührt. Sie empfand nun ein völlig neuartiges, überdimensionales Gefühl des Glücks und gleichzeitiger Entspannung, eine extreme positive Emotionsüberflutung, die Freudentränen auslöste, von denen mehrere auf eines der flatternden Blätter tropften. Dann blickte Evelyn in das lächelnde, zärtliche Gesicht des wartenden jungen Mannes und folgte ihm auf den ausgetretenen Pfad, wo deutlich zahlreiche, verschiedene Fährten von Menschen und Tieren sichtbar waren, während in weiter Ferne, am Ende des Weges, sich ganz schwach die Umrisse von Gebäuden einer Stadt abzeichneten.

Kurz, nachdem sie den Weg betreten hatte, erlosch das Licht und aus dem Platz wurde jetzt wieder der von Moos und Blättern bedeckte Waldboden, ohne dass Spuren oder andere Zeichen des Geschehens zurückblieben. Nur die Bäume blieben als stumme Zeugen des Ereignisses, das sich über Epochen hinweg in verschiedensten Varianten und unregelmäßigen Zyklen wiederholte, zurück.

Flecken der Verdammnis

Mühsam schleppte er sich durch die Stadt, bei jedem Schritt schmerzvolle Auswirkungen seiner Krankheit in den Beinen spürend. Vorbei an unzähligen gestrandeten Individuen mit ausdruckslosen oder von Qualen verzerrten Gesichtern, alten Häusern, deren Fassaden etliche Risse aufwiesen und ihn an Runzeln und Falten auf den Stirnen von Greisen erinnerten, durchquerte er Straßen mit Schlaglöchern im Asphalt von der Größe einer Wassermelone. Welch ein Kontrast zu dem Zentrum mit seinen verführerisch funkelnden, neonlichtstrahlenden Konsumtempeln. In ihnen herrschte ein Gewimmel von Menschenmassen, das an Ameisenhaufen erinnerte. Unzählige angelockte Suchende, alle gierig nach neuen materiellen Gütern, von denen viele doch nur als reine Statussymbole dienten, hasteten durch die Shoppingmeile. Zwischen ihnen sah man zwielichtige Gestalten, deren Habitus deutlich von denen, die dem Kaufrausch verfallen waren, abwich. Sie beobachteten aufmerksam den Menschenstrom, auf günstige Gelegenheiten wartend, um einen der unbedachten, süchtigen Konsumpilger dessen Geldbörse zu entwenden.

Die Stadt glich einer Hure, die ständig neue Freier suchte, sie aufsog, blendete, ihnen Glücksvisionen vorgaukelte, um sie dann später desillusioniert in Perspektivlosigkeit zu entlassen. Das Leben in ihr glich der Fahrt auf einer Achterbahn mit zum Teil verrosteten Schienen, für deren Instandhaltung sich niemand verantwortlich fühlte.

Jene, die eine Immunität gegen ihre Manipulationsversuche besaßen, wurden entweder zu Gebietern der Verdammten oder entflohen dem Sammelbecken verlorener, gequälter Seelen. Er war eines ihrer Kinder. Jemand, der den Zeitpunkt des Absprungs verpasst hatte und innige Hassliebe mit seinem Geburtsort verband.

In der Behausung, ein kleines Zimmer mit Bad und winziger Küche, die man ihm als Wohnung angepriesen und vermietet hatte, angekommen, legte er sich erschöpft in das alte, leicht marode Bett. Als der Blick des Mannes auf sein linkes Bein fiel, geriet er in ungläubiges Erstaunen. Anfangs hatte er es ignoriert, keinerlei Bedeutung zugemessen, aber jetzt, etwa zwei Wochen nach der Entdeckung, war das einst so kleine hellbraune Mal auf seinem Oberschenkel nun fast schon so groß wie die Fläche einer Hand. Zudem verdunkelte sich der Fleck und nahm eine merkwürdige, vielzackige Form an.

Am nächsten Tag konsultierte er seinen Hausarzt, weil er irrtümlich vermutete, die Stelle würde mit seiner Krankheit zusammenhängen. Der aber widersprach seiner Spekulation und stellte ihm mangels Wissen eine Überweisung für einen Dermatologen aus. Er hätte so etwas noch nie gesehen, es wäre für ihn ein absolutes Novum, sei aber mit ziemlicher Sicherheit nicht Hautkrebs und einen Zusammenhang mit der Arthrose bezweifele er auch. Ansonsten wolle er sich nicht festlegen und habe auch keinerlei Theorien, lautete die, für ihn nicht gerade besonders aussagekräftige, Diagnose des Mediziners.

Vier Tage später hörte der Fleck plötzlich auf zu wachsen. Er war jetzt zu einem sonderbaren symbolartigen Muster geworden, das ihm seltsamerweise irgendwie bekannt vorkam.

Und dann begann sie, die Episode, welche sein Leben komplett verändern sollte. Als er eines Abends wieder auf den seltsamen Fleck starrte, fing das Symbol an zu leuchten, verschwamm vor seinen Augen und wie aus dem Nichts erklangen Stimmen, anfangs nur sehr leise flüsternd und undeutlich. Zunächst kurzzeitig in dem Irrglauben steckend, von Schizophrenie befallen zu sein, wurde der Mann plötzlich, wie durch Magie, in den Flecken hineingezogen. Dort erblickte er längst erloschene Zivilisationen, die ihm älter als die Zeitrechnung der Erdbewohner vorkamen und seltsamerweise gleichzeitig auch futuristisch auf ihn wirkten. Diese Vision, kaum von seinem Versand verarbeitet, wurde von einer weiteren abgelöst, in der er ein altes verfallenes Bauwerk sah, vor dem die Besitzer der Stimmen standen. Männer mit denselben Zeichen, nur dass es sich bei ihnen an anderen Körperstellen befand. Der, dessen Stirn das Mal zierte, forderte ihn auf, sich heute Abend zu dem alten Kloster am Stadtrand, das Gemäuer in der Vision, zu begeben. Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, verschwand die Erscheinung und auf der Haut war jetzt wieder lediglich der Fleck zu sehen.

Verwundert starrte er kopfschüttelnd auf die Stelle, in Erwartung erneuter Visionen, doch nichts geschah. Schließlich setzte er sich auf seine Couch und fing an zu grübeln, wobei auf seiner Stirn etliche tiefe Runzeln sichtbar wurden. Das Kloster, oder präziser ausgedrückt, dessen Jahrhunderte alte,