Irritationen des Irrsinns - Jörg Maaß - E-Book

Irritationen des Irrsinns E-Book

Jörg Maaß

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Beschreibung

Wem sein Leben zu langweilig, bodenständig erscheint und gerne mal etwas jenseits der Norm lesen möchte, ist mit dem Kauf dieses Buch gut beraten! Horror, freakige Fantasy, Mystery, Psychothriller und vieles mehr, zuweilen gepaart mit einem kleinen Schuss Gesellschaftskritik. Der überwiegende Teil des Buches besteht aus neun, teilweise sehr schrägen Kurzgeschichten. 5 Gedichte und ein Märchen schließen das Buch ab.

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Dieses Buch ist der liebenswerten Frau gewidmet, die mich zur Welt brachte.

Ich hoffe, du bleibst uns noch einige Jahre erhalten!

Jörg Maaß

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Tod der Giganten

Der Bussard

Variationen des Wahnsinns

Der Schrank

Kriege willenloser Heere

Die Zerstörungswut eines gescheiterten Herrschers

Hermann, komm her, man!

Das Ende des Befreiers

Die gelben Augen des Todes

Sinnlos

Leere

Gefangene

Durch die Stadt

Der Eunuch

Märchen

Nachwort

Vorwort

März 2017:

Ich war lange am Überlegen, ob ich noch mehr Shortstorys in das Buch „packe“, denn es harrt noch einiges Material in meinen virtuellen Ordnern. Letztendlich entschied ich mich aber dagegen und beließ es bei neun Kurzgeschichten, fünf Gedichten und einen Märchen. Im Vergleich zu den letzten Büchern ist das vorliegende aber trotzdem etwas umfangreicher geworden.

Ich drifte bei den Storys, wie ich feststelle, immer mehr in den Horror/Fantasy/Mysterybereich ab, was daran liegen könnte, was ich in letzter Zeit erlebt und gehört habe. Mir erscheint, dass unsere Gesellschaft immer kälter wird, bar jeglichen Einfühlungsvermögen. Allerdings treffe ich manchmal auch auf Ausnahmen, was mir wieder etwas Hoffnung gibt.

Zu den Storys:

Das Ende des Befreiers ist die Fortsetzung “Der Befreiung“ und „Die Befreiung des Befreiers“, also das Ende einer Trilogie, wenn man so will. Die Gelben Augen des Todes hat ein offenes Ende und lässt Raum für eine eventuelle Fortsetzung. Von den Gedichten ist „Gefangene“ aus meinem letzten Buch (Gefangene, Befreier und ein blutiger Platz).

Ich wünsche euch gute Unterhaltung und viel Spaß beim Lesen!

Jörg Maaß

Der Tod der Giganten

Starr und unbeweglich standen sich die beiden gegenüber. Es sah aus wie ein Duell zweier mächtiger Giganten, die nur das Ziel kannten, den anderen zu überleben.

Unzählige Gefährten verstarben in den Jahren, aber ihnen hatte das Schicksal ein relativ schadloses Dasein gegönnt. Ihre Leiber waren gewaltig, riesig und mit, für menschliche Augen und Seelen, faszinierenden Auren, die Verzauberungen gleichkamen.

Bei dem etwas Größeren zierten einige Verunstaltungen den Körper, missratenen Tätowierungen ähnlich, entstanden in Launen von Liebe, menschlichem Überschwang oder grausamer Gefühllosigkeit.

Im Laufe ihres langen Lebens gab es so manche Verletzung und auch Gliedmaßen gingen ihnen verloren, teilweise durch Ausschweifungen der Natur, einige mittels Amputationen der Menschen, doch insgesamt konnten sie auf ein relativ unbeschadetes Leben zurückblicken.

Standhaftigkeit war das Wort, welches viele Menschen bei ihrem Anblick am häufigsten nannten, wobei sich mancher fragte, ob die beiden insgeheim nicht manchmal den Wunsch der Flucht hegten. Oft bezeichnete man mit dieser Eigenschaft auch Humanoide, doch erschien ein Vergleich äußerst fragwürdig, da Menschen immer die Wahl und Möglichkeit hatten, ihren Standort zu verändern. Außerdem bezog sich das Wort hier meistens auf den Charakter, während es bei den Lebewesen durchaus wortgetreu zu verstehen war. Andere nannten sie Könige oder Kaiser, zwar mit nur sehr begrenztem Machtbereich und winzigem Gebiet, dafür aber mit äußerst prächtigen Kronen!

Unfähig miteinander zu sprechen, bestand dennoch auf beiden Seiten eine Art von Respekt. Wären sie humanoide Wesen, könnte man es vielleicht sogar als Freundschaft bezeichnen.

Während ihrer, nun schon über zwei Jahrhunderte langen, Existenz ereigneten sich Geschichten, die dicke Bände füllten. Gestürzte Regierungen, zwei Weltkriege mit unzähligen Toten, Ozonloch, saurer Regen, Erderwärmung, Klimawandel, sie hatten alles überstanden! Auch ein drohendes Unwetter, das sich am verdunkelten Himmel abzeichnete, beeindruckte die beiden nicht besonders, denn ähnliche gab es im Laufe der Epochen schon des Öfteren.

Der heftige Wind fuhr jetzt durch ihre Häupter, löste lautes Rauschen aus und Teile ihrer „Bekleidung“ flogen über Felder und Kuhkoppeln, vollführten unter den immer stärker werdenden Böen ein wildes, tanzartiges Spektakel, als sie durch die Luft gewirbelt wurden. Im Vergleich mit Eröffnungsfeiern von großen Sportveranstaltungen wirkten diese dagegen wie fade, kreativlose Inszenierungen uninspirierter, talentloser Pseudokünstler!

Von dem nahen Feldweg her flatterte eine alte Eisverpackung durch die Luft und verfing sich im Haupt des kleineren Riesen. Diesmal war es nicht eines der unzähligen, üblichen Sommergewitter, sondern ein immer stärker anschwellender Sturm. Zwei der Ihren hatte das Unwetter schon zum Stürzen gebracht und auch der etwas kleinere Gigant geriet nun leicht ins Wanken. Riesige Blitze zuckten durch den fast pechschwarzen Himmel und der nahe See erleuchtete kurzzeitig unter deren Bestrahlung. Der Donner hörte sich an wie das tiefe Knurren eines riesigen, hungrigen Hundes! Unermessliche Wassermassen prasselten nun erbarmungslos auf sie nieder und Millionen von Tropfen prallten von ihren Körpern ab und fielen dann auf den Boden. Jeder Mensch hätte gestöhnt über die unerträgliche Tortur, der sie ausgesetzt waren, und dabei hatte der Orkan noch lange nicht seinen Höhepunkt erreicht.

Beide Kolosse knarrten ob des immensen Drucks, den die starken Windhosen auf ihren Stamm ausübten. Viele Stürme und Orkane hatten sie überlebt, aber beide fühlten, dass sie den heutigen nicht standhalten würden.

Die Eiche, der etwas kleinere der beiden Bäume, litt schon seit einiger Zeit unter der extremen Stärke des Sturms und plötzlich, gerade als die Windrichtung sich etwas von ihr abgewandt hatte, schnellte ein besonders großer Blitz aus dem pechschwarzen Himmel und schlug in den Stamm ein. Kurz danach ertönte ein schreckliches Knarren und der botanische Urgigant stürzte krachend in die nahe Rotbuche. Die Fagus sylvatica war zwar noch etwas breiter und höher als ihre Nachbarin, aber solch einen gewaltigen Druck konnte auch sie nicht widerstehen und so entwurzelte der mächtige Riese mit lauten Getöse, das sogar den Donner übertönte und den Boden kurzzeitig erzittern ließ. Keine neuen Blüten, Früchte, Blätter, Fotosynthesen mehr! Der Tod war in Form eines Orkans erschienen und hatte nun ihre mehr als zwei Jahrhunderte andauernde Ära abrupt beendet!

Etliche Tiere, die unter den Gehölzen Schutz gefunden oder in Baumhöhlen gewohnt hatten, wurden einfach zermalmt. Andere, unter ihnen eine Ringelnatter, konnten sich gerade noch hinaus winden und Zuflucht in einem nahen Gebüsch suchen.

Minuten später, es hatte den Anschein, als ob die Natur geschockt in tiefer Trauer versank, einsehend, dass sie für eine Tragödie mit unermesslichem Ausmaß für Flora und Fauna verantwortlich war, verstummte das Unwetter, der Wind ließ nach, der Himmel lichtete sich und von den beiden in sich verhakten, einst so prächtigen Bäumen, floss das Regenwasser in die zwei großen, durch die Entwurzelungen entstandenen, Löcher, in denen vielleicht einmal neue Giganten wachsen werden.

Anmerkung: Fagus =Buche (lateinisch), Fagus sylvatica=Rotbuche

Der Bussard

Nicht zum ersten Mal staunte er darüber, was für eine Vielzahl von Tieren hier lebte. Rehe, Marder, Igel, Hasen, Füchse und jede Menge Vögel. Viele von ihnen gehörten zu alltäglichen Arten wie Blaumeisen, Spatzen und Amseln, aber zuweilen konnte man auch Zaunkönige, Bussarde und manchmal sogar einen Adler bei der Jagd beobachten. Die Spaziergänge im Naturschutzgebiet taten ihm sehr gut, denn seine Psyche war durch diverse Drogenexzesse stark angegriffen. Zwar lebte er seit einigen Monaten total abstinent, doch Körper und Geist litten zuweilen immer noch etwas unter den Nachwirkungen des ausschweifenden Lebenswandels.

Lebenswandel! Auch so ein Wort aus dem Sprachgebrauch der, ihm so anwidernden, Gesellschaft. Wenn er jetzt, mit etwas Abstand, über seine Drogenkarriere nachdachte, erschienen ihm die damaligen Beweggründe klar und offensichtlich: Es handelte sich dabei um nichts anderes als eine Flucht und Verdrängung des ganzen bourgeoisen Druckes und der spießigen Zwänge, die ihm schon als Kind und später (ab da noch viel ausgeprägter) als Jugendlicher verhasst gewesen waren! Dieses: "Du musst!", "Du sollst!", "Das macht man nicht!", "Das ist verboten!", hatte er in der Schule schon nicht begriffen, ebenso wenig die totale Intoleranz gegenüber Andersdenkenden und fremden Kulturen. Warum nur der Streit und Hass, die Kriege (selbst in den Mietshäusern gab es ja manchmal Kleinkriege zwischen Nachbarn und das aufgrund totaler Belanglosigkeiten)? Nein, er würde die Menschen wohl nie verstehen! Da gefiel ihm die Tierwelt doch wesentlich besser, denn hier gab es nur das klare Fressen und gefressen werden.

Dass wenigstens noch ein paar Naturschutzgebiete existierten, wo der Mensch (weitestgehend jedenfalls) nicht eingriff, stimmte ihn etwas fröhlicher. Inmitten seiner Gedankengänge wurde er von einem Schrei aufgeschreckt, der nicht aus dem Munde eines Humanoiden kam. Wer oder was konnte ihn ausgelöst haben? Da erblickte er an einer nahen Kuhkoppel einen Greifvogel, der sich im Stacheldraht des Zaunes verfangen hatte und verzweifelte Befreiungsversuche unternahm. Der Anblick des gepeinigten Tieres löste bei ihm Mitleid aus und er versuchte den gefiederten Jäger zu helfen, bevor der sich weiter seinen Körper aufriss. Doch genau in dem Moment, als er begann, den Stacheldraht herauszuziehen, hackte der Vogel ihm in den Unterarm. Trotz Schmerzen gelang es dem ehemaligen Rauschgiftkonsumenten das Tier von seinen Fesseln zu befreien, wonach der Bussard, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, eilig davon flog. Dabei fielen einige Tropfen des Vogelblutes auf seinem Arm und gelangten so von ihm unbemerkt in die offene Wunde!

Froh, etwas Sinnvolles getan zu haben, sah er wehmütig den gefiederten Räuber in die Weiten des blauen Himmels emporsteigen, bis er nach kurzer Zeit aus seinem Sichtfeld verschwand. „Der weiß nichts von Drogenproblemen, Hass und künstlichen Zwängen, der kämpft nur um sein Überleben“, dachte er und blickte auf den immer noch blutenden Arm. “Ich muss die Verletzung unbedingt auswaschen, sonst entzündet sie sich noch“, stellte der Vogelfreund fest und wickelte notdürftig ein Taschentuch um die Stelle. Zu Hause angekommen, reinigte und desinfizierte der Mann die Wunde und legte einen Verband aus Mullbinden an. Nach kurzem Nachdenken entschied er sich gegen einen Arztbesuch und hielt es stattdessen zunächst für sinnvoller abzuwarten, ob die Verletzung in den nächsten Tagen verheilen würde, da sie ihm merkwürdigerweise auch kaum noch Schmerzen bereitete.

In der folgenden Nacht hatte er einen sehr eigenartigen Traum. Dort stand er auf einer Kuhkoppel, umkreist von dem Bussard, der dabei laute Schreie aus stieß! Seltsamerweise verstand er im Traum die Sprache des Vogels. Der forderte ihn vehement auf, mit ihm fortzufliegen. Aber das war doch absurd, wie sollte er denn auf einmal fliegen können?

Schweißgebadet und kopfschüttelnd wachte er auf. Was symbolisierte dieser merkwürdige Traum? Lag die Ursache vielleicht darin begründet, dass sich sein Unterbewusstsein so stark mit dem Bussard beschäftigt hatte? Und woher kam die große Feder auf dem Kopfkissen? Sie sah nicht so aus, als ob sie aus seiner Bettdecke stammte. Erstaunt rieb er sich die verklebten Augenlider und stand auf. Beim Rasieren wuchs die Verwunderung noch. Denn als er in den Spiegel blickte, stellte er fest, dass seine einst grünen Augen nun einen kleinen, bräunlichen Schimmer hatten. Eigenartig, die Augenfarbe der Menschen veränderte sich doch nach etwa einem Lebensjahr nicht mehr. Handelte es sich vielleicht immer noch um Nachwirkungen der Drogen? Aber nein! Es war jetzt vier Monate her, seit er zuletzt Rauschgift konsumiert hatte, und das war zudem nur Dope gewesen, synthetische Drogen wie LSD, Ecstasy, MDMA und andere „nette“ Stoffe nahm er schon seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr! Und trotzdem …! Er fand keine Erklärung!

Am Nachmittag begab er sich zum Naturschutzgebiet, um dort über die Ereignisse nachzudenken. Kurz bevor er die Kuhkoppel erreichte, sah er ihn. Hoch oben im Himmel kreiste ein Greifvogel. „Ob das der von mir befreite Bussard ist?“, fragte sich Bernd. Während der weiteren Wanderung blieb sein Blick die ganze Zeit an dem Tier haften, wobei er den Eindruck gewann, dass der Vogel ihn verfolgte. Als Bernd ein kleines Waldstück am Rande des Naturschutzgebietes erreichte, verlor er den Bussard plötzlich aus den Augen. Es schien fast so, als ob er sich in Luft aufgelöst hätte.

In der nächsten Nacht wälzte Bernd sich unruhig hin und her, und nachdem ihn der Schlaf schließlich doch noch übermannte, befand er sich wieder mit dem Greifvogel auf der Kuhwiese. Aber diesmal war der Traum anders, auch viel intensiver. Es schien so, als ob zwischen dem Bussard und ihm jetzt eine Freundschaft bestand. Das Einzige, was an diesem Traum exakt mit dem Vorherigen übereinstimmte, war die Aufforderung des Vogels, mit ihm fortzufliegen. Und er probierte es, was natürlich ohne Flügel völlig lächerlich wirkte. Doch bei seinen plumpen Versuchen in die Lüfte zu steigen, fiel ihm auf, dass sich auf den Armen etliche Federn befanden, die denen des Bussards sehr ähnelten! „Komm flieg mit mir davon“, flüsterte der Vogel. „Nie wieder Drogen, kein Hass, kein Streit mehr mit deinen Nachbarn, dafür: Freiheit!“

„Ja, Jaaaaaa!“, schrie er und wachte völlig durchgeschwitzt auf! Kopfschüttelnd richtete sich der Naturfreak in seinem Bett auf und strich seine langen braunen Haare, von denen einige Strähnen bedingt durch die nächtliche Transpiration an Stirn und Wangen klebten, aus dem Gesicht. Für einen kurzen Augenblick stieg in ihm der Wunsch auf, etwas Haschisch zu rauchen, der aber gleich wieder erfolgreich verdrängt wurde. Stattdessen nahm er sich vor, in den nächsten Tagen mal wieder den ihm behandelnden Psychiater Dr. Mind aufzusuchen, da die Ursachen für die Träume bestimmt darin begründet lagen, dass die Giftstoffe immer noch nicht vollständig abgebaut waren, so lautete seine Selbstdiagnose. Doch als er, um einen Termin zu vereinbaren, dessen Telefonnummer wählen wollte, überkamen ihm Zweifel. Er befürchtete, dass der Arzt ihn beschuldigen würde, rückfällig geworden zu sein. Die Vorstellung von Drogentests, eventueller Medikamentenumstellung und unzähligen Gesprächsterminen, wo er sich dann erneut das ganze psychologische Geschwafel anhören musste, schreckte ihn ab. „Ich könnte aber diesen Schamanen besuchen, vielleicht kennt der sich mit Traumdeutung aus! Ja, das ist eine gute Idee“, kam es murmelnd aus seinem Munde.

Im Badezimmer traute er sich kaum in den Spiegel zu schauen, als er es dann aber doch tat, erschrak er. Ein Paar braune Augen starrten ihn an und das war nicht die einzige Veränderung! Die Nase schien jetzt etwas kleiner zu sein und seine Oberlippe sah merkwürdig gebogen, fast krumm aus. Als er sie betastete, stellte er fest, dass sich auf ihr eine leichte Hornschicht gebildet hatte. „Aber das kann doch nicht wahr sein, wirst du jetzt wahnsinnig, Bernd?!!", schrie er. Da ihm natürlich niemand auf seine Frage antwortete, zog er sich nach einem kleinen Frühstück, das er ziemlich appetitlos herunterwürgte, Jacke und Schuhe an, um den nordamerikanischen Medizinmann einen Besuch abzustatten.

Der fast zwei Meter großer Hüne mit schulterlangen, pechschwarzen Haaren öffnete ihn mit fragendem Blick die Tür. „Ich bin es, Bernd! Erinnerst du dich nicht? Der Kumpel von Martin!“ „Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein, woher ich dich kenne. Komm doch rein!“ Mit einer generösen Handbewegung deutete ihn der Schamane an, einzutreten!

Bernd kannte den Mann nur flüchtig von Martins Geburtstagsfeier, ihm waren dessen Wohnung und deren Einrichtung bis dato gänzlich fremd. Als er das Quartier des Medizinmannes betrat, weiteten sich seine Augen vor Erstaunen, denn so etwas hatte er noch nie zu Gesicht bekommen. Seltsame Emotionen überkamen ihn, es war fast so, als wäre er in eine ganz andere, sehr exotisch wirkende, Welt aus vergangener Zeit transformiert worden.

In den Ecken des großen Wohnzimmers lagen zwei zusammengelegte bunte Tipis. Neben den Zelten befanden sich mehrere Musikinstrumente, darunter zwei alte Trommeln, die heutige Schlagzeuger und Percussionisten als primitiv bezeichnen würden, aber noch voll einsatzfähig aussahen. Wahrscheinlich benutze sie der Besitzer noch regelmäßig, vielleicht für Zeremonien. Auf den völlig überfüllten Regalen standen unzählige alte Skulpturen. Eine von ihnen, die ihn besonders fesselte, war eine große hölzerne Schnitzerei. Sie stellte einen Raubvogel, der auf dem Bauch einer großen, auf den Rücken liegenden Schildkröte stand, dar. Aber auch sonst gab es viele interessante Antiquitäten, die der Schamane aus den USA importiert haben musste, vielleicht handelte es sich aber auch um Erbstücke von längst verstorbenen Vorfahren, zu bewundern. Unter ihnen mehrere verzierte Tomahawks, von denen einige Neuanfertigungen zu sein schienen, während man bei anderen erkennen konnte, dass es Reliquien aus der Zeit waren, in denen die nordamerikanischen Urvölker noch frei und unabhängig in den Wäldern und Prärien leben konnten. Jetzt wohnten die Meisten, wie Bernd aus Fernsehberichten wusste, in Reservationen ihres Stammes oder in Großstädten, was zur Folge hatte, dass bei vielen der jüngeren Generation die alten Gebräuche, Riten, Traditionen und die Einstellung zur Natur leider verloren gegangen waren. Dann fiel sein Blick auf die lange, mit obskuren, kleinen, bunt bemalten geschnitzten Holzköpfen, die denen einiger amerikanischer Tiere ähnelten, verzierte Friedenspfeife. Ein wahres Kunstwerk, aus dem, wie Bernd eindringlich riechen konnte, nicht nur Tabak geraucht wurde.

Der Indianer ließ ihn einige Minuten gewähren und fragte dann: „Sag, was führt dich zu mir, Bruder?“ „Ein Problem, ein ganz großes Problem! Ich befürchte, dass ich verrückt werde!“, antwortete er. „Verrückt ist ein sehr interessantes Wort, es bedeutet im Grunde genommen nur, dass sich etwas nicht an seinem üblichen Platz befindet, aber da es sich möglicherweise um einen Bestandteil des Gehirns handelt, kann diese Art von Unordnung sehr gefährlich sein. Erzähle mir von deinen Sorgen!“

Bernd berichtete ihm von den Ereignissen der letzten Tage und besonders ausführlich von den Träumen. „Hm, das sieht so aus, als ob du dich im Unterbewusstsein mit dem Tier identifizierst. Vielleicht sind es aber auch stark ausgeprägte Wunschvorstellungen, unterdrückte Sehnsüchte nach Freiheit und durch das Ereignis mit dem Vogel gelangen sie nun an die Oberfläche! Ein Bussard sagst du? Die Stämme Nordamerikas haben den Roten Habicht als Totem in ihrer Religion und den Raben, aber ein Bussard kommt da leider nicht vor. Man kann aber auch noch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen, die schlüssigste ist eine Wundinfektion. Warst du deswegen schon beim Arzt?“ „Nein, denn die Wunde ist fast verheilt, und zu meinem Psychiater gehe ich auch nicht, denn der behauptet bestimmt, dass ich wieder Drogen nahm und …!“

„D