MAD MICK - EINER GEGEN ALLE - Franklin Horton - E-Book
NEUHEIT

MAD MICK - EINER GEGEN ALLE E-Book

Franklin Horton

0,0

Beschreibung

Für einen kampferprobten Auftragskiller und seine vorlaute Tochter ist das Überleben nach der Apokalypse keine große Sache. Sie haben genügend Essen, Waffen, erstklassige Ausrüstung und Verbindungen in die dunkelsten Winkel der Welt der Spezialeinheiten. Es sollte ihnen nur niemand in die Quere kommen, denn die Maguires kennen keine Gnade. Über fünfundzwanzig Jahre lang baute Conor Maguire im Auftrag der Regierung und zurückgezogen in seinem abgeschiedenen Anwesen in den Bergen Montanas maßgeschneiderte Waffen- und Sprengstoffsysteme. Als eine Reihe von verheerenden Terroranschlägen die Vereinigten Staaten in die Knie zwingen, wähnen sich Conor und sein Tochter Barb dort sicher. Sie haben alles, was sie zum Leben brauchen, sind bewaffnet und bestens ausgebildet. Doch dann wird Barb entführt … Die Kidnapper wissen nicht, dass Conor früher den Spitznamen »Mad Mick« trug. Sie ahnen nichts von dem Schrecken und dem Respekt, den sein Name in der düsteren Unterwelt geheimer Kampfeinsätze einst auslöste. Und sie wissen nicht, dass nichts und niemand Conor aufhalten kann, wenn es um seine Familie geht. Aber sie werden es herausfinden …  »Grundsolide Charaktere, knallharte Action und Hintergrundgeschichten, die eigene Bücher verdient hätten. Grandios …«  Amazon.com 

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 354

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MAD MICK

EINER GEGEN ALLE

Band 1

Franklin Horton

This Translation is published by arrangement with Franklin Horton Title: MAD MICK. All rights reserved.

Impressum

Überarbeitete Ausgabe Originaltitel: MAD MICK Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Nicole Lischewski Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-647-4

Sie lesen gern spannende Bücher? Dann folgen Sie dem LUZIFER Verlag auf Facebook

Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf Ihrem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn Sie uns dies per Mail an [email protected] melden und das Problem kurz schildern. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um Ihr Anliegen.

Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche Ihnen keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

MAD MICK
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Epilog
Danksagung
Über den Autor

Kapitel 1

Es war Frühherbst und in den Bergen wurden die Nächte kühl. Elf erschöpfte Frauen wurden über taunasses Gras geführt; ihre nassen Füße waren vor Kälte fast taub. Das war allerdings ein Segen. Hinter der Wiese fing der Steilpfad voller spitzer Schiefersteine an, der zu den Gewächshäusern führte. Die Schiefersteine schnitten wie Rasierklingen in ihre bloßen Füße.

Die Männer, die sie begleiteten – ihre Entführer –, teilten keine Schuhe unter ihnen aus, da sie hofften, dass die Frauen bei einem Fluchtversuch mit bloßen Füßen nur langsam vorankommen würden. Die Frauen wussten nicht, was sie machen würden, wenn es Winter war. Sie nahmen an, dass sie dann immer noch arbeiten würden – aber würde man ihnen Schuhe geben? Sie hatten keine Zweifel daran, dass die Männer sich etwas einfallen lassen würden, um sie weiterhin zu beschäftigen. Besser, wenn man ihnen irgendeine notwendige Arbeit auftrug, als dass sie der Gnade und Ungnade der gelangweilten Männer ausgeliefert waren. Denn gelangweilte Männer kannten keine Gnade.

Die Eskorte der Frauen bestand aus einem Team von zwei schwerbewaffneten Männern, die jeder ein AR-15-Sturmgewehr und eine Pistole trugen. Im Lager waren genügend Menschen erschossen worden, dass die Frauen die Gegenwart der bewaffneten Wächter nicht nur als leere Drohung verstanden. Die Männer würden mit dem Schießen keinen Moment zögern, wenn es sein musste.

Kellen ging den anderen vorweg, direkt hinter dem Wächter, den sie Buster nannten. Ihr entging nicht, dass Buster sein Gewehr lose am Schultergurt baumeln ließ, während er sich fluchend mit beiden Händen wie wild den Körper kratzte. Kellen konnte Busters geröteten Nacken und einen wässernden Ausschlag sehen, der sich über seinen Hals ausgebreitet hatte. Derselbe Ausschlag bedeckte seine beiden Arme und, so nahm sie an, den Rest seines Körpers. Seine Qualen zauberten ihr ein Lächeln ins Gesicht.

Seit drei Wochen hatten Kellen und ihre Kolonne während ihrer Arbeit in den Gewächshäusern unauffällig Giftsumach und Gifteiche gesammelt. Während ihrer Pinkelpausen steckten sie die Hände in Sandwich-Beutel, streiften eine Handvoll giftiger Efeublätter von den wilden Ranken ab und krempelten die Tüten dann über den Blättern um wie eine Ärztin, die ihre Untersuchungshandschuhe auszieht. Bevor die Terroristenangriffe passiert waren und der Staat zusammenbrach, hatte eine der Frauen im Lager ihr Einkommen mit dem Verkauf von ätherischen Ölen aufgebessert. Auf ihrem Grundverständnis von der Gewinnung ätherischer Öle aufbauend hatten sie den Plan geschmiedet, Uruschiol, den chemischen Reizstoff der Pflanzen, durch Erhitzen zu extrahieren.

Kellen drehte sich zu der im Gänsemarsch hinter ihr gehenden Frau um und sagte etwas Belangloses, um den Wächter am Ende ihrer Schlange mustern zu können. Erfreut stellte sie fest, dass er ebenfalls litt: Im Kampf mit dem Ausschlag, der seinen Körper überfiel, kratzte er sich mit den Fingernägeln den Hals. Die beiden Männer waren ganz in ihren eigenen Qualen versunken. Angesichts der Leiden, die sie regelmäßig austeilten, war das nur gerecht.

Die Frauen hatten angefangen, etwas von dem gewonnenen Öl der Wäsche beizufügen. Sie mussten die Kleidung der Männer mehrmals die Woche in Zubern waschen und zum Trocknen an einer Wäscheleine aufhängen. Im Laufe von zwei Wochen hatten sie die Unterwäsche und T-Shirts fast aller Männer mit dem Öl behandelt. Jetzt begannen sie, Resultate zu sehen. Die Frauen wussten, dass das Öl die Männer nicht krank machte, hofften aber, dass das Jucken sie zumindest ablenken würde. Der Moment, in dem Kellen herausfinden würde, ob das tatsächlich der Fall war, war jetzt gekommen.

Sie verstärkte ihren Griff um die Hacke, die sie trug, und warf einen schnellen Blick hinter sich. Der hintere Wächter starrte irritiert ins Nichts, während er eine Hand in der Hose versenkte, um sich seine bläschenbedeckten, wunden Genitalien zu kratzen. Kellen hustete. Es war das Signal für die Frauen, sich auf den Kampf vorzubereiten. Die Frauen wappneten sich, packten ihre Gartengeräte und fassten ihren Entschluss.

Am Ende der Kolonne stieß die Frau, die vor dem Wächter herging, ihm den Stiel ihrer Hacke in die bereits wunde Leiste. Nach Luft schnappend, klappte er vor Schmerz zusammen. Die Frau wirbelte ihre Waffe mit einer hunderte Male geübten Bewegung herum und schlug dem Mann das scharfe Ende der Hacke mit beiden Händen auf den Kopf. Er fiel zu Boden wie ein Stein.

Um zu sehen, was los war, drehte sich der Mann am Anfang der Kolonne gemächlich um. Sein Gewehr baumelte lose von seiner Schulter, als er sich die entzündete Haut unter seinem Hemd kratzte. Kellen hatte bereits weit ausgeholt, zielte auf seinen Kopf wie auf eine Piñata aus Fleisch. Der stabile Griff der Hacke traf ihn schon, bevor er sich überrascht fühlen konnte. Es klang wie der Aufschlag eines aus dem Park geworfenen Homerun. Der Wächter kippte vornüber auf die harte Erde um.

Kellen stürzte sich auf ihn und riss dem Wächter sein Gewehr weg. Sie stand auf, entsicherte die Waffe und gab einen einzigen Schuss in die Luft ab. Der Schuss hallte in lautem Echo wider, durchdrang das Tal und rollte über den nebelverhangenen See. Eine andere Frau lief an Kellen vorbei und zog die Pistole des Wächters aus dem schwarzen Nylonholster. Andere Frauen nahmen dem hinteren Wächter die Schusswaffen ab. Eine von ihnen, die mit ihm offenbar noch eine alte Rechnung zu begleichen hatte, blieb lange genug stehen, um dem auf dem Boden liegenden Mann mehrmals den Gewehrkolben an den Kopf zu schlagen. Falls er nicht tot war, würde er vermutlich für den Rest seines Lebens durch eine Gehirnverletzung behindert sein.

Der Schuss verkündete Frauen im ganzen Lager, den wochenlang ausgebrüteten Plan durchzuführen. Sie griffen ihre mit Fieberbläschen und Wundwasser bedeckten Entführer an. Mit Messern bewaffnete Frauen stürzten aus der Küche heraus, stachen auf die Wächter ein und versenkten ihre Schlachtermesser tief in den Bäuchen der Männer, die sie aus ihrem Zuhause verschleppt hatten. Die Wäscherinnen benutzten die Knüttel, mit denen die eingeweichte Wäsche durchgewalkt wurde, als Waffen. Die Frauen in den Gärten erhoben sich und schwangen ihre Hacken und spitzen Hohlspatel.

Die Männer im Lager standen nicht tatenlos herum und ließen es einfach zu. Die bewaffneten Entführer waren deutlich im Vorteil und nutzten ihn aus: Sie rissen ihre Gewehre hoch und feuerten Schüsse ab, um die Armee kreischender Furien niederzumähen, die quer durchs Lager auf die Freiheit zurannte. Auf der Krankenstation hatte eine entführte Krankenschwester sich zwei Wochen lang bemüht, den unbekannten Ausschlag zu behandeln, der den Männern im Lager solche Probleme bereitete. Natürlich strengte sie sich nicht allzu sehr an, ihre Schmerzen zu lindern, denn sie gehörte zu den Verschwörerinnen. Die grausig stinkenden Salben, mit denen sie die am schlimmsten Betroffenen so pflichtbewusst einrieb, waren keine Heilmittel, sondern eine entzündungsfördernde Lösung aus Tierfäkalien und Vaseline.

Auf das Schussgeräusch hin nahm die Krankenschwester ein Skalpell und ging zu ihrem ersten Patienten. Er lag auf einem Feldbett, das von den anderen durch ein altes, über eine Schnur gehängtes Bettlaken getrennt war. Als er die Augen aufschlug und seinen Engel der Barmherzigkeit anlächelte, stieß sie ihm das Skalpell in den Hals und verdrehte es, bohrte eine Wunde, deren herausströmendes Blut er nicht eindämmen können würde. Dann machte sie sich schnell daran, ihre zwei anderen friedlich schlafenden Patienten umzubringen.

Deren Leiden und Sterben bereiteten ihr nach dem, wie sie im Lager behandelt worden war, keinerlei Gewissensbisse. Als sie fertig war, schnappte sie sich einen versteckten Rucksack mit gefüllten Wasserflaschen und Essensrationen, die sie von denen der Patienten abgezweigt hatte. Sie warf sich den Rucksack über die Schulter und rannte aus dem Gebäude. Sie kam nur fünfzig Meter weit, bis sie entdeckt wurde. Als sie dem Befehl stehenzubleiben nicht gehorchte, schoss ein Wächter sie in den Rücken. Sie starb auf der nassen Wiese. Winzige Samen vom hohen Gras klebten an ihren feuchten rosa Wangen.

Kellen und die anderen bewaffneten Frauen ihrer Kolonne liefen zurück zum Lager. Sie hofften, dort auf eine komplette Revolte zu stoßen, in der die brutalen Männer umgekommen waren oder gerade starben. Stattdessen sahen sie mehr gefallene Frauen als Männer. Und der Kampf schien so gut wie vorüber zu sein. Die Männer schossen nicht mehr, sondern standen herum, starrten auf die Körper der toten Frauen und versuchten sich zu erklären, was zum Teufel soeben passiert war.

Das veränderte alles. Es gab Frauen, die befreit werden mussten – aber konnten sie überhaupt zu ihnen gelangen? Kellen und ihre Komplizinnen berieten sich. Sie konnten auf die Männer Feuer eröffnen, aber es strömten immer mehr ins Lager. Sie besaßen weder genügend Waffen noch Munition, um sie alle zu erschießen.

Und was würde passieren, wenn sie zu schießen begannen und damit ihre Position verrieten? Mit Sicherheit würden die Männer auf die Pferde steigen und sie tief in die Hügel jagen, wo sie sie töten würden – oder Schlimmeres. Wenn sie entkommen wollten, mussten sie sich jetzt davonschleichen. Die Frauen, die nicht fliehen konnten, würden eine andere Gelegenheit finden müssen.

Kellen gefiel es nicht, Entscheidungen für eine ganze Gruppe fällen zu müssen. »Was tun wir jetzt?«, zischte sie.

»Wir sollten nicht zusammen weglaufen«, meldete sich eine der Frauen zu Wort. »Wir würden eine Spur wie von einer ganzen Herde Kühe hinterlassen.«

Kellen nickte heftig. »Du hast recht. Gehen wir in zwei Gruppen?«

Sie ließ ihren Blick über die anderen Frauen schweifen und sah nickende Köpfe und verängstigte Gesichter.

»Die sind gerade dabei, in ihre Funkgeräte zu sprechen«, sagte eine von ihnen. »Wenn sie unsere Wächter nicht erreichen, werden sie uns suchen kommen.«

»Dann lasst uns loslaufen«, sagte Kellen. »Wir haben genug geredet. Sehen wir zu, dass wir den zwei Wächtern alles an Ausrüstung abnehmen, das wir können. Und dann teilen wir uns auf und verschwinden.«

Die Frauen rannten zu ihrer auf dem Boden liegenden Eskorte zurück und fielen wie ein Schwarm Geier über die bewusstlosen und verletzten Männer her. Die Rucksäcke der beiden Männer wurden unter den zwei Gruppen aufgeteilt. Sie leerten die Taschen der Wächter, nahmen sich Feuerzeuge, Messer und alles, was sie sonst noch fanden. Dann umarmten sie sich schnell und flüsterten sich Ermutigungen zu, und die Gruppen trennten sich voneinander. Jede Frau rannte so schnell, wie ihre bloßen Füße sie über die Steinpfade aus spitzem, zerbröckelndem Schieferstein und Karst tragen konnten.

Bryan schlief, als der erste Schuss fiel. Er war die letzte Nacht zu lange aufgeblieben und hatte zu viel getrunken. Eigentlich waren Schüsse nichts Außergewöhnliches. Die Männer schossen manchmal Rotwild, um ihre Mahlzeiten etwas zu bereichern, oder um neugierige Bären zu verscheuchen. Als immer mehr Schüsse fielen, gab es allerdings keinen Zweifel, dass etwas anderes vor sich ging. Bryans benebeltes Gehirn dachte sofort an eine Invasion – das Resultat seiner ständigen Angst, jemand könnte stehlen, was er hier aufbaute.

Verwirrt sprang er auf wackeligen Beinen aus dem Bett. Er wusste nicht, ob er nach einem Gewehr oder seiner Kleidung greifen sollte oder lieber versuchen sollte, in die Hügel zu fliehen. Für Letzteres hatte er einen Plan: In einem wasserdichten blauen Fass hatte er eine Survival-Ausrüstung gebunkert. Dann kam ihm der Gedanke, dass er wohl zuerst an sein Funkgerät gehen sollte. Er stellte es nachts ab, weil er nicht von den Unterhaltungen der Nachtwache und den Crews gestört werden wollte, die Frühschicht hatten. Er nahm das schwarze Motorola von seinem Nachttisch, stellte es an und hörte einen Moment lang in der Hoffnung mit, etwas Aufschlussreiches zu erfahren. Männer schnauzten sich gegenseitig an und schrien sich über Funk Befehle zu. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Nachdem er ein paar Minuten lang zugehört hatte, verlor er die Geduld und drückte auf die Sendetaste.

»Schnauze, alle Mann, verdammt noch mal. Was zum Teufel ist los?«

Die Funksprüche verstummten. Jeder auf dem Funkkanal wusste, wem die gereizte Stimme gehörte, und niemand wollte ihm die schlechten Nachrichten überbringen. Bryan nahm an, dass sie alle versuchten, so lange wie möglich mit der Antwort zu warten, um zu sehen, wer das Spiel verlor und zu reden beginnen musste.

»Jefferson, hier ist Top Cat. Sieht aus, als hätten wir es mit einem kleinen Fluchtversuch zu tun.«

Jefferson war der Funkrufname, den Bryan sich gegeben hatte. Er entsprang seiner Faszination mit Thomas Jefferson, dem Gründervater der Vereinigten Staaten und gebildeten Farmer, den er sich zum Vorbild nahm. Top Cat verwaltete Bryans Farm.

»Top Cat, Sie sprechen von einem Fluchtversuch. Verstehe ich das recht, dass ihr Vorhaben zu fliehen gescheitert ist?«

Ein langes Zögern verriet Jefferson, dass ihm die Antwort nicht gefallen würde.

»Ich habe noch nicht ganz durchzählen können, aber ich schätze, dass wir es mit mindestens zwölf bis fünfzehn Geflüchteten zu tun haben. Ein Dutzend oder mehr sind tot. Einige fehlen noch.«

»Und unsere Leute? Haben wir wen verloren?«

»Ich habe sechs Männer, die nicht an ihre Funkgeräte gehen«, gab Top Cat zurück. »Ich nehme an, dass sie entweder tot sind oder die Geflüchteten verfolgen. Ich habe Männer losgeschickt, die jetzt versuchen, diese sechs zu finden und aufklären sollen, warum sie nicht antworten.«

Bryan sah sich nach irgendetwas um, das er an die Wand werfen konnte, aber das einzig Griffbereite war sein Funkgerät und das brauchte er. »Verdammt! Schicken Sie den Ausreißern eine Pferdestaffel hinterher. Und hören Sie – ich weiß, dass es die Männer wütend machen wird, aber ich will nicht, dass diesen Frauen etwas geschieht. Wer etwas tut, das auch nur eine der Frauen arbeitsunfähig macht, der wird alle ihre Aufgaben übernehmen. Haben Sie verstanden?«

»Wollen Sie, dass ich mich dem Suchtrupp anschließe?«, fragte Top Cat.

»Nein«, fuhr Bryan ihn an. »Ich will Sie und Lester in fünfzehn Minuten in meinem Büro sehen. Ich erwarte einen vollständigen Bericht über alles, was Sie wissen.«

»Verstanden«, antwortete Top Cat, dessen versackende Stimme verriet, wie wenig er sich auf diese Unterredung freute.

Bryans Funkgerät fiel klappernd auf den Nachttisch. Er ließ sich nach hinten zurück aufs Bett fallen, rieb sich den Schlaf aus den Augen und seufzte schwer. In dieser schwierigen Zeit Land zu besitzen, war eine Last, und sie wog schwer auf ihm. Es gab mehr Arbeit zu verrichten, als er Leute hatte.

Sie mussten die Marihuana-Ernte einbringen. Sie hatten Mohn, der bald zur Opiumgewinnung abgeerntet werden konnte. Diese erste Opiumernte würde im Rohzustand eingetauscht und verkauft werden, aber Bryan hoffte, dass er nächstes Jahr vielleicht Heroin herstellen konnte, falls die Welt bis dahin nicht in normale Bahnen zurückgefunden hatte. Er besaß eine ungefähre Vorstellung davon, wie er es erzeugen konnte, und hatte vor, sich den Winter über das nötige Wissen anzulesen.

Außerdem hatten sie Gemüse, das haltbar gemacht werden musste, und für den Winter mussten sie noch Feuerholz schlagen. Es gab buchstäblich Hunderte von Arbeiten, die verrichtet werden mussten, und ohne Benzin und Elektrizität mussten sie allesamt von Menschen erledigt werden. Es gab nichts mehr, das leicht war. Mit seinen freiwilligen und unfreiwilligen Arbeitskräften gab es auf Douthat Farms insgesamt über einhundert Mägen zu füllen. Diese Zahl war dank der auf dem Grundstück verstreuten Toten jetzt leider geschrumpft.

Bryan Padowicz war an einem kleinen geisteswissenschaftlichen College in der Mitte von Virginia Geschichtsprofessor gewesen. Er war Ende vierzig. In seinem dichten Bart und Hipster Männerdutt zeigten sich die ersten Spuren von Grau. Der Zusammenbruch der Vereinigten Staaten hatte Bryan aus seinem Leben gerissen und ihm sein Dasein schwergemacht. Normalerweise drehten seine Sommertage sich immer um dieselbe Routine: Er rauchte ein paar Joints und saß dann philosophierend in den Cafés der Main Street, um junge Studentinnen zu beeindrucken. Abends fand meist irgendwo eine Party statt, wo er ebenfalls reichlich Gelegenheit hatte, junge Frauen mit seinem Verstand und seiner Intelligenz zu blenden.

Obwohl Bryan wie ein sozialistischer Professor aussah und auch oft so tat, als wäre er einer, war das nur eine Front. Er war durch und durch Kapitalist. Marihuanapflanzen hielt er sich schon seit seiner eigenen Collegezeit und kannte sich damit inzwischen verdammt gut aus. Seinen Eltern hatte er erzählt, dass er aus Umweltschutzgründen an seinem malerischen viktorianischen Haus Solarzellen und Regenfässer installiert hatte. Aber er nutzte seinen Solarstrom, um in seinem Kellergewächshaus eine nicht über den Zähler laufende Elektrizitäts- und Wasserversorgung zu haben.

Da eine Professur in den Geisteswissenschaften nur lächerlich bezahlt wurde, verhalf ihm sein Marihuana-Anbau zu dem Lebensstil, den er meinte, verdient zu haben. Er gab sich nicht wie zu seiner Studentenzeit damit ab, Haschisch grammweise zu verkaufen. Er verkaufte jetzt nur pfund- und viertelpfundweise, und der Ertrag erlaubte ihm, auf Reisen zu gehen, wann immer ihn das Fernweh überfiel. Das Geld ermöglichte ihm, in obskuren Galerien teure Kunstwerke zu kaufen. Und sein ständiger Vorrat von ausgezeichnetem Gras war ein weiterer Weg für ihn, junge Frauen kennenzulernen und zu umwerben.

Als Geschichtsprofessor kannte Bryan sich mit dem Zusammenbruch von Zivilisationen gut genug aus, um die Anzeichen dafür zu erkennen. Er wusste, dass die USA nach den Terroristenangriffen, die die Nation aus dem Gleichgewicht gebracht hatten, eine Weile brauchen würden, um wieder auf die Beine zu kommen. Es war ein kleiner Angriff gewesen, der aber gut geplant worden war. Die Terroristen hatten genau die richtigen Stellen der Infrastruktur angegriffen, die der modernen Gesellschaft den Teppich unter den Füßen wegzogen. Ein Dominoeffekt hatte eingesetzt, den man im Fachjargon kaskadenartiger Netzausfall nannte, und der andere Systeme mangels Benzin, Strom und Kommunikation zum Einsturz brachte. Jetzt waren sie kaum anders als Pioniere, die von den nutzlosen Gerätschaften der modernen Gesellschaft umzingelt waren.

Bryan begriff auch die Möglichkeit, dass das Land aus dieser Katastrophe als eine Nation wiederauferstehen würde, die den bisherigen Vereinigten Staaten kaum mehr ähnelte. Er wollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Sein Verständnis von Geschichte machte ihm deutlich, dass Männer, die den Handel und Kommerz kontrollierten, Erfolg hatten, während die, die sich von der Gesellschaft abspalteten und sich in Bunkern versteckten, für sich bleiben und in Armut leben würden. Er wollte sich etablieren, sich zu einer Position verhelfen, in der er zu einem der Financiers der neu entstehenden Welt werden konnte. Eines Tages würde man von Padowicz vielleicht mit demselben Respekt wie von Carnegie, Vanderbilt, DuPont, Westinghouse und vielen anderen sprechen.

Seit Jahren hatte er in Collegenähe in derselben Wohngegend gelebt, von der aus er zu Fuß zu seinen Seminaren und in die Kneipe gehen konnte. Und es lag nahe genug am Zentrum des Studentenlebens, dass junge Frauen bequem bei ihm vorbeikommen konnten. Obwohl so kurz nach dem Zusammenbruch des Staats kaum an Informationen heranzukommen war, kam es in Bryans studentischem Umfeld weder zu Panikausbrüchen noch zu Unruhen. Er saß jeden Abend mit seinen Freunden herum, kiffte und diskutierte den aktuellen Stand der Dinge. Während einer dieser Debatten hatte Bryan den Plan entwickelt, der dazu führte, dass er den Douthat State Park besetzte und ihn in Douthat Farms umtaufte.

Douthat State Park lag in den Bergen von Virginia und war ein Produkt der Works Project Administration gewesen; einer Maßnahme aus der Depressionszeit, die Amerikanern durch Infrastrukturprojekte Arbeit verschaffte. Die Works Project Administration und das Civilian Conservation Corps hatten in den ländlichen Regionen von Virginia mehrere Parks angelegt. Bryan kannte den Douthat State seit seiner Kindheit, wo er dort mit seinen Eltern campen gegangen war. Es war einer der Orte, die ihm auf der gesamten Welt am meisten gefielen. Er war auf den verzweigten Pfaden wandern gegangen, hatte Wildtiere beobachtet, war am See angeln und paddeln gegangen und hatte am Strand der Badebucht im warmen Sand des Nachmittags gelegen.

Seinen ursprünglichen Plan hatte Bryan im Laufe vieler verkiffter Nachmittage geschmiedet. Er überlegte sich, wie er an einem geeigneten Ort zu einem Gentleman-Farmer wie zur Kolonialzeit werden konnte. Seine Kumpels – hauptsächlich leicht zu beeindruckende junge Männer – waren von seinem Plan fasziniert. Er erklärte, dass die ideale Gegend abgelegen sein und bereits einen Teil von Infrastruktur besitzen musste.

Eines Nachmittags stolperte er in seinem Abstellraum über einen Fahrradhelm und erinnerte sich daran, wie er mit ihm auf den Trails des Douthat State Park Mountainbike gefahren war. Er wusste sofort, dass das der ideale Ort sein würde. Er erkannte, dass der Zerfall des Staats noch zu frisch war, um seinen Plan sogleich in die Tat umzusetzen, aber er wusste, wie er es machen würde. Er würde einen Monat lang abwarten. Wenn die Beschäftigten des Campingplatzes merkten, dass sie nicht mehr bezahlt werden würden und keine Gäste mehr kamen, würde der Park für einen Übergriff reif sein. Die meisten der Beschäftigten würden fort sein. Die paar noch Dortgebliebenen würden sich leicht vertreiben oder töten lassen.

Er war sich darüber im Klaren, dass er es nicht allein schaffen konnte. Er würde eine bewaffnete Truppe brauchen – sowohl, um den Park einzunehmen als auch, um ihn zu behalten. Außerdem würde er Arbeitskräfte brauchen, wobei er sich darüber im Zwiespalt befand, ob es freiwillige Arbeiter oder Zwangsarbeiter sein sollten. Als Geschichtsexperte wusste er, dass die Gesellschaft versklavte Arbeiter zwar missbilligte, sie für die Umsetzung seines Plans aber vielleicht nötig waren.

Bryan hielt sich an den Leitsatz, dass das Glück mit den Starken ist und begann, ein Team zusammenzustellen. Er machte jedem potenziellen Mitglied klar, dass sie nicht bloß ein Bauernkollektiv sein würden, sondern eventuell eine Armee von Eroberern. Sie lebten in einer Zeit, über die ihre Nachkommen Geschichten erzählen würden. Sie würden zu einer Legende werden.

Bryan saß Top Cat und Lester an seinem Schreibtisch gegenüber. Sein Büro war sorgfältig darauf ausgelegt, Macht und Autorität auszustrahlen. Er wollte keinerlei Zweifel daran lassen, wer hier das Sagen hatte. Keine Zweifel aufkommen lassen, wer das Genie hinter all dem war, das sie dem Land abrangen.

Statt auf Opulenz hatte Bryan auf eine Ausstattung gesetzt, die den rustikalen Pionierstil mit dem widerstrebenden Krieger in sich vereinigte. Er versuchte, sich vorzustellen, ob Landbesitzer in der frühen Kolonialzeit vielleicht ein Büro weit draußen auf ihrem Grundstück hatten, einen Raum, den sie vielleicht nur einmal im Monat benutzten, und wie so ein Büro ausgestattet gewesen wäre. Sein Sessel war ein entsprechend bequemer, hochgepolsterter Lederfauteuil, während er für seine Gäste ungehobelte, unbequeme Holzstühle hatte. Die Wände waren mit Pionierwerkzeugen wie einfachen Landwirtschaftsgeräten, Breitäxten und Schrotsägen dekoriert. Auf seinem Schreibtisch standen zwei rustikale Öllampen und sogar eine Kerze. In einer Gewehrhalterung an der Wand hing eine kleine Auswahl von Waffen, von einem AR-15 bis zu einer Anzahl von Unterhebelrepetierern.

Das einzig Besondere, das ihm fehlte und das er schon immer hatte haben wollen, war ein echter menschlicher Totenschädel. Er stellte sich vor, wie der auf einem kleinen Stapel Bücher platziert sein könnte, vielleicht auf lauter von Jefferson geschriebenen Werken. Er hoffte, dass er irgendwann einen Ausflug zur University of Virginia machen und für seinen Schreibtisch ein paar von Jeffersons persönlichen Dingen stehlen konnte. Ein Tintenfass und Füller wären wunderbar.

Bryan saß an seinem Schreibtisch und wusste, dass Lester und Top Cat auf die Erlaubnis warteten, sich hinzusetzen, aber er hatte nicht vor, sie ihnen zu gewähren. Er wollte, dass sie sich nicht wohlfühlten. Ein Anführer musste seine Autorität manchmal unter Beweis stellen, und dies war eine solche Situation. Bryan stieß einen dramatischen Seufzer aus. Er wollte, dass seine Verärgerung offensichtlich war.

»Was ist da draußen passiert, verdammt noch mal?«

Top Cat fiel es schwer, seinen Boss aufmerksam anzusehen; allerdings nicht, weil er Angst hatte. Er war sich fast sicher, dass der Giftsumach-Ausschlag sich bis in seine Augen ausgebreitet hatte. Sie juckten wie verrückt und brannten. Allein beim Gedanken daran begannen seine Unterarme wieder zu jucken. Er schob eine Hand unter sein Hemd, um sich zu kratzen. Er merkte, dass seine Haut aufgesprungen war, blutete und unter seiner Berührung schmerzte. Es war grausig. Das schlimmste Leiden, das er je durchgestanden hatte.

»Können Sie mit dem Kratzen wenigstens lange genug aufhören, um mir zu sagen, was passiert ist? Sie sehen aus wie ein Orang-Utan, der nach Flöhen sucht.«

»Entschuldigung«, murmelte Top Cat. »Es juckt bloß so schlimm.«

Beim Wort juckt versenkte Lester eine Hand in seiner Hose und begann sich seine entzündete Leiste zu reiben. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Scham und die Bitte um Verständnis, aber auch Verzweiflung.

Bryan starrte die Männer angewidert an. »Verdammt, was ist das für ein Scheiß mit diesem ganzen Gekratze? Dieser nasse Ausschlag? Geht irgendeine Krankheit um? Syphilis?« Bryan bezwang den Drang, sich am Bauch zu kratzen. Auch er war von dem Ausschlag befallen und hatte den Großteil der Medikamente, die sie gegen Juckreiz im Lager hatten, für seinen Eigenbedarf an sich genommen. Hätte das Lager davon gewusst, wäre ein Aufstand durchaus möglich gewesen.

»Wir haben gerade herausgefunden, dass sie uns was in die Wäsche getan haben«, sagte Lester. »Wir glauben, dass das zu der Fluchtplanung gehört hat. Diese Informationen haben wir aus einer der Wäscherinnen herausbekommen können.«

Bryan stieß einen langen Atemzug aus und starrte auf seine Schreibtischplatte. »Sind alle Frauen entkommen?«

»Nicht alle«, antwortete Top Cat.

Bryan warf seinem Verwalter einen scharfen Blick zu. »Habt ihr den Rest getötet?«

Lester schüttelte den Kopf. »Nein, neun oder zehn sind unverletzt und am Leben«, sagte er. »Um die zwanzig sind wohl tot, aber die sind alle erschossen worden, weil sie selbstgebaute Waffen hatten. Der Rest der Frauen ist in die Hügel geflüchtet.«

Bryan fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und merkte, dass er sie sich diesen Morgen nicht geputzt hatte. »Ich gehe davon aus, dass Sie sie verfolgen?«

Top Cat nickte. »Natürlich. Wir haben Männer, die zu Fuß und zu Pferde in die Hügel ausgeschwärmt sind, aber wie erfolgreich sie sein werden, weiß ich nicht. Dieser verdammte Ausschlag ist so schlimm, dass viele Männer kaum laufen oder reiten können. Dadurch sind wir definitiv langsamer.«

»Dann haben wir also noch zehn Frauen für die Arbeit übrig, die zuvor zehnmal so viele gemacht haben«, sagte Bryan. »Wir haben Gemüse, das geerntet und eingemacht werden muss. Wir müssen für den Winter Feuerholz schlagen und stapeln. Von den Gewächshäusern, in denen wir uns um das Marihuana und den Mohn kümmern müssen, ganz zu schweigen.«

Sie bauten auf der Farm mehr Gemüse an, als sie essen konnten. Den Überschuss verwendeten sie als Handelsgüter, die sie in den umliegenden Orten verkauften oder eintauschten. Das stimmte ihre Nachbarn milde und Bryan hoffte, dass sie deshalb ignorieren würden, was auf der Farm vor sich ging, wenn es zur Sprache kam. Nicht jede Ortschaft wollte Rauschgift anbauende Sklaven als Nachbarn. Aber es war erstaunlich, wie viel Nachsicht sich mit ein paar Zentnern Bohnen einhandeln ließ.

Außer Kartoffeln, Mais und Bohnen zum Tausch anzubauen, handelten sie auch mit Haschisch. Natürlich wollten Menschen, die daran gewöhnt waren, jeden Tag einen Joint zu rauchen, nicht damit aufhören, nur weil die Welt untergegangen war. Bryan betrieb ihr Gewächshaus noch nicht lange genug für eine große Ernte, aber er hatte einen Teil des Pots, das er mitgebracht hatte, gegen Gewehre, Munition, Werkzeuge und sogar Diesel eingetauscht.

Er hielt sich oft genug vor Augen, dass diejenigen auf der Welt zu Erfolg kamen, die Gelegenheiten nutzten. Wenn sich einem etwas anbot, das einem ermöglichte, besser als der Nachbar dazustehen, dann sollte man diese Gelegenheit beim Schopf packen. Bryan war sich darüber klar, dass das Leben eines Tages vielleicht wieder in normale Bahnen zurückfinden würde. Er würde Virginia vielleicht sogar seinen schönen Douthat State Park zurückgeben müssen, aber er hoffte, bis dann ein wohlhabender Mann zu sein.

»Wir haben Männer, die wir einsetzen können, die helfen können«, eröffnete Lester. »Wir müssen sie bloß von ihrer anderen Arbeit abziehen.«

Bryan musterte ihn, als wäre er ein Idiot. »Jeder Mann, den wir auf den Feldern einsetzen, ist einer weniger, der unsere Kommune beschützen kann. Ich brauche jeden verfügbaren Mann, um die Wege zu patrouillieren, die Straßen zu bewachen und die Außenposten zu besetzen. Gefällt Ihnen, was wir hier haben?«

Lester zeigte fragend auf sich selbst.

»Ja, Sie!«, sagte Bryan. »Gefällt Ihnen, was wir hier haben?«

»Ja. Natürlich.«

Bryan sah den anderen Mann an. »Und Sie, Top Cat?«

Top Cat nickte.

»Dann behalten Sie im Kopf, dass wir vielleicht kämpfen müssen, um es zu behalten«, sagte Bryan. »Die beste Verteidigung ist, jegliche Streitkräfte anzugreifen, bevor sie überhaupt bis hierher vorstoßen. Und das geht nur mit genügend Männern.«

»Wir könnten versuchen, in den umliegenden Ortschaften mehr zu rekrutieren«, schlug Top Cat vor.

Bryan schüttelte den Kopf. »Definitiv nicht. Ich will nicht, dass unsere Nachbarn sehen, wie viel wir zu essen haben und was für Werkzeuge wir haben. Ich will nicht, dass jemand von unseren Zwangsarbeitern erfährt. Ich will nicht, dass sie denken, sie müssten uns von hier verjagen, damit wir ihnen nicht die Frauen stehlen.«

Top Cat wusste, dass sein Führer recht hatte. Der Mann war mit seinen Gedanken allen stets zwei Schritte voraus. »Was schlagen Sie dann also vor?«

Bryan ließ seinen Blick von einem Mann zum andern schweifen. Er hatte sich bereits für einen Plan entschieden, bevor die beiden in sein Büro gekommen waren. »Ich will ein Überfallkommando. Um die zwanzig oder fünfundzwanzig Männer, so viele, wie wir hier entbehren können. Jeder Mann soll zwei Packpferde mitnehmen. Bringt Frauen zurück und sonst noch alles, was ihr finden könnt, aber vorallem Frauen.«

»Dann hätten wir nicht genügend Männer hier«, stellte Top Cat fest.

Bryan lächelte. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Sie werden nicht hier sein. Ich will sowohl Sie als auch Lester mitschicken. Sie beide hatten den alltäglichen Arbeitsablauf hier verwalten sollen. Sie hatten alles im Auge behalten sollen. Hätten Sie Ihre Pflichten nicht vernachlässigt, wäre dieser Mist heute nicht passiert. Ich halte Sie beide dafür verantwortlich. Ich will, dass Sie beide losziehen und das wieder gutmachen. Um mir zu beweisen, dass Sie es verdienen, weiterhin hier zu leben.«

Die Männer verlagerten ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen, wollten sich verteidigen, wollten aber nicht aus der Kommune ausgestoßen werden.

»Frauen aus der Nähe wollen Sie also nicht?«, hakte Lester nach.

»Nein«, sagte Bryan. »Das habe ich immer klar und deutlich gesagt. Sie reiten einhundert Meilen weit weg, bevor Sie auch nur damit anfangen, sich umzusehen. Und stellen Sie sicher, dass Ihnen auf dem Rückweg niemand folgt. Irgendeine Bürgermiliz, die hier aufkreuzt, um uns wegen Entführung aufzuknüpfen, ist das Allerletzte, was wir brauchen.«

»Wann sollen wir uns auf den Weg machen?«, fragte Lester.

Bryan sah Lester mit enttäuschtem Stirnrunzeln an. »So, dass Ihnen beim Rausgehen nicht die Tür auf dem Arsch zuklappt. Das bedeutet jetzt.«

Kapitel 2

Conor Maguire konnte das Nahen des Winters in der Morgenluft spüren. Er trug ein kurzärmeliges Hemd, aber ihm war kalt, bis ihn die Sonnenstrahlen auf seiner Veranda erreichten und ihm die Haut wärmten. Er trank Kaffee aus einer großen Tasse, seiner Lieblingstasse mit dem Aufdruck: Von Kaffee muss ich kacken. Es war ein Vatertagsgeschenk seiner Tochter Barb gewesen, die sich darauf verstand, Geschenke auszusuchen.

Es hatte noch keinen Nachtfrost gegeben, doch der würde bald kommen. In der vorigen Nacht waren die Temperaturen bis auf 7 Grad heruntergegangen, aber falls das Wetter der letzten Tage sich noch hielt, würde es bis zum Ende des Tages noch um die 20 bis 23 Grad warm werden. Irgendwie war es schade, dass es keinen albernen Meteorologen mehr gab, der einem jeden Abend sagte, was man am nächsten Tag erwarten konnte. Es war wirklich schade, keine App auf seinem Handy zu haben, mit der er ein aktuelles Wetterradarbild einsehen konnte. Diese ganze Technologie war im Zuge des Zusammenbruchs der Vereinigten Staaten verschwunden.

Ziegen und Schafe wanderten über das eingezäunte Grundstück und knabberten an den Grasbüscheln, die aus den bröselnden Rissen im Asphalt herausragten. Unter ihren Hufen knisterte trockenes Laub. Hinter den Ziegen marschierten Hühner her, auf der Suche nach Insekten, Würmern oder irgendetwas Unbekanntem zum Fressen. In der Ferne krächzten Krähen und schmiedeten ihre Pläne für den Tag. Conor fürchtete sich vor dem Winter. Er fürchtete sich vor der Kälte und den unvermeidlichen Unbequemlichkeiten, die der Winter mit sich brachte. Er fürchtete sich vor dem Elend und der Not. Nicht so sehr aus Sorge um sich selbst, da er eine volle Speisekammer hatte und mit Holz heizte. Aber Regierungsanalysen und privat erstellte Studien hatten gezeigt, dass der erste Winter ohne Elektrizität zu einer hohen Anzahl von Todesfällen führen würde.

Als statistische Zahlen gesehen bedeuteten ihm diese Todesfälle wenig. Er war ein Einzelgänger. Aber wenn man die Zahlen aus der Nähe betrachtete, dann handelte es sich dabei um Menschen, die Nachbarn waren, um die Kinder in den Hintergärten der Häuser, an denen er immer vorbeigefahren war, und die Senioren, die ihm von ihren Verandas vor den einfachen, mit weißem Aluminium verschalten Häusern zugewinkt hatten, während gusseiserne Adler über ihren Garagentüren Wache hielten. Wenn der Frühling kam und die Krokusse sich aus der kühlen, feuchten Erde arbeiteten, würde die Welt anders sein. Conor konnte nicht anders, als sich große Sorgen um das zu machen, was zwischen der Welt, die er jetzt vor sich hatte, und der zukünftigen Welt lag, die er sich nicht einmal vorstellen konnte. Zwischen diesen beiden Punkten lag eine lange Strecke voller Tod, Krankheit, Leiden und unvorstellbaren Qualen.

Conors Freunde nannten ihn »Mad Mick« und wenn man ihn lange genug kannte, verstand man, warum. Er folgte seinem eigenen verrückten und trunkenen inneren Kompass. Er hatte seine eigenen Moralgesetze und kümmerte sich einen Dreck darum, was andere davon hielten. Er lebte mit seiner Tochter Barb oben auf einem Berg in Jewell Ridge, Virginia, in einem Haus, das er eine gemütliche Laube nannte. Seine Laube hatte einst die Betriebsleitung einer inzwischen bankrotten Kohlemine beherbergt. Es war ein großes, weitläufiges Gelände, das einst voller unterirdischer Minenschächte und Tagebaustätten gewesen war. In diversen auf dem Grundstück verstreuten Gebäuden waren Werkstätten und Büros untergebracht gewesen.

Als Conor sich das Grundstück zuerst angesehen hatte, fand er es fast lachhaft, dass ein Mann das Glück haben konnte, dort zu leben. Es erinnerte ihn an die Wohnstätte eines Bösewichts aus einem alten James-Bond-Film. Es war von einem drei Meter hohen Drahtzaun umgeben, der mit Stacheldraht gekrönt war. Es gab einen Hubschrauberlandeplatz und hatte mehr Grundfläche, als er jemals würde nutzen können. Es gab sogar einen Fahrstuhl, der ihn zu einer unter Tage liegenden Werkstätte brachte, in der die Minenbetreiber ihre Maschinen repariert hatten.

Das Verrückte war, dass das Grundstück, das die Kohlegesellschaft für Millionen von Dollar nutzbar gemacht hatte, für einen Bruchteil der Summe verkauft wurde, da es in dieser abgelegenen Gegend niemand haben wollte. Conor wurde schließlich der neue Eigentümer, ohne auch nur einen einzigen Penny dafür zu bezahlen. Sein dankbarer Arbeitgeber kaufte ihm das Grundstück. Das war allerdings keine rein altruistische Geste gewesen. Conor leistete sehr spezialisierte Arbeit und seine Arbeitgeber hätten so gut wie alles getan, um ihn verfügbar zu haben.

Um das Grundstück mehr wie ein Zuhause wirken zu lassen, hatte Connor an eins der mit Stahl verkleideten Bürogebäude eine lange hölzerne Veranda angebaut und vor die schwere Stahltür eine Fliegengittertür mit Holzrahmen gesetzt. Wenn man rein und raus ging, gab die Holztür jetzt jedes Mal ein befriedigendes Klack von sich.

Conor stellte seine Kaffeetasse auf einen Tisch, der aus einer alten Kabeltrommel bestand, und setzte sich in einen knarrenden Korbsessel. Barb kam rückwärts mit zwei Tellern aus der Tür heraus.

»Ich hoffe, du warst bei Bojangles«, sagte Conor. »Ich könnte Kekse und eine gescheite große Tasse süßen Tee vertragen.«

Barb sah ihn stirnrunzelnd an. »Du als Ire – und noch dazu als ein in Irland geborener Ire –, nennst deren Sirupsoße Tee?«

»Bei Bo weiß man, wie man Kekse macht. Bei Bo weiß man, wie süß Tee sein muss.«

»Wegen Bo kannst du jetzt auch nichts anderes mehr außer Jogginghosen anziehen«, sagte Barb. »Obwohl es dir auf den Keks geht, dass du in keine Jeans mehr passt.« Sie reichte ihrem Dad einen Teller mit Rührei aus frischen Eiern mit Zwiebeln und Schinken aus der Dose.

Conor runzelte bei ihren Worten die Stirn, doch das Stirnrunzeln wurde zu einem Lächeln, als er den Ziegenkäse sah, der über sein Frühstück gebröselt war. »Mann, das riecht lecker.«

»Barb weiß, wie man Eier kocht«, witzelte seine Tochter.

»Barb weiß wirklich, wie man Eier kocht«, stimmte Conor zu und schaufelte sich die vollbeladene Gabel in den Mund.

Conor war in Irland zur Welt gekommen und als Kind mit seiner Mutter in die USA ausgewandert. In Irland hatte die Familie sich ihren Lebensunterhalt mit der Bombenherstellung verdient, und diese Karriere hatte seiner Familie viele Feinde eingehandelt, besonders unter Polizisten und Soldaten. Nachdem Conors Vater und Großvater im Nordirlandkonflikt festgenommen wurden, entschied Conors Mutter, dass der Rest ihrer Familie nur überleben würde, wenn sie in ein anderes Land übersiedelten. Ihr war nicht bewusst, dass Conor bereits die rudimentären Grundbegriffe des Familiengeschäfts gelernt hatte, indem er den Männern beim Bombenbasteln zugesehen hatte. In der Annahme, dass Conor den Kampf eines Tages weiterführen musste, hatten die Männer während ihrer Arbeit jeden ihrer Handgriffe und jedes Detail erklärt. Conor fand später auf dramatische und tödliche Art heraus, dass er während dieser Lektionen in seiner Kindheit eine überraschende Menge gelernt hatte.

Er und seine Mutter waren zuerst nach Boston gezogen und hatten sich dann in North Carolina niedergelassen, wo Conor zur Schule ging. In der Highschool belegte Conor Handwerkskurse und ging nach seinem Abschluss auf eine Fachhochschule. Er arbeitete gern mit seinen Händen und baute aus Einzelteilen präzise Maschinen zusammen, was zu einer Karriere als begabter Mechaniker und Maschinenbauer führte.

Den Großteil seines Lebens war Conor angepasst, fiel nicht auf und vermied es, in Konflikt mit dem Gesetz zu kommen. Dann heiratete er und die Höchst- und Tiefpunkte seines Lebens traten ein. Er und seine Frau bekamen eine kleine Tochter. Ein Jahr nach der Geburt kam seine Frau durch einen betrunkenen Autofahrer ums Leben, der fast auch Barb getötet hätte. Irgendetwas in Conor zerbrach, und der umgängliche Ire legte sich ein Waffenarsenal an. Er kombinierte die Lektionen seiner Kindheit in der Bombenherstellung mit der Maschinenbauexpertise, die er auf der Fachhochschule gelernt hatte, und trachtete nach Rache.

Wie hätte es anders sein können? Es hatte keine gerechte Strafe gegeben. Und tief in Conor gab es etwas, das ihm sagte, so etwas konnte man nicht einfach akzeptieren. Man kämpfte weiter. Es gab die Gesetze der Bücher und es gab die Gesetze der Menschen. Den Gesetzen der Menschen nach musste Conor für seine Frau nach wahrer Gerechtigkeit streben.

Als der betrunkene Autofahrer aus dem Gefängnis entlassen wurde – für Mad Mick nach einer lachhaft kurzen Zeit –, wurde dem inzwischen abstinenten Säufer von Gericht aus gestattet, wieder mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Conor nahm die Sache selbst in die Hand. Auf einem Schrottplatz besorgte er sich ein Duplikat der Kopfstütze, die der Mann in seinem Pick-up hatte, und baute eine Bombe darin ein. Während der Mann auf der Arbeit war, tauschte Conor die Kopfstütze aus. Ein entlang seines Nachhausewegs versteckter Sender löste den Zünder in der Bombe aus. Einen Moment lang sang er noch den Journey-Song im Radio mit und erfreute sich an seiner neuen Freiheit. Im nächsten Moment wurde sein Kopf von der explodierenden Kopfstütze pulverisiert.

Obwohl es keine anderen Verdächtigen gab, konnte sein Tod nicht mit Conor in Verbindung gebracht werden. Er hatte ein stichfestes Alibi. Der Fernzünder detonierte die Bombe, weil der Mann in Reichweite des Senders vorbeifuhr. Conor musste die Bombe nicht von Hand auslösen. Nachdem er alles vorbereitet hatte, ging Conor mit seiner kleinen Tochter in ein Einkaufszentrum, um ein paar Dinge einzukaufen. Der Witwer und seine Tochter wurden dort von Dutzenden von Überwachungskameras gefilmt.

Seltsamerweise führte seine Bombe dazu, dass ihm eine mit Terrorismus- und Spionageabwehr befasste Abteilung der US-Regierung Arbeit anbot. Ein Team von Männern, das sich seinen Lebensunterhalt mit solchen Dingen verdiente, war von Conors Methode beeindruckt. Sie erkannten in ihm einen von sich und wollten ihm zu einer Anstellung in ihrer außergewöhnlichen Arbeitswelt verhelfen. Er würde als Selbstständiger für sie arbeiten, gut bezahlt werden und für seine Arbeit eine Werkstatt zur Verfügung gestellt bekommen. Es gab keine Verträge zu unterschreiben, aber es wurden keine Zweifel darüber gelassen, dass jegliche Auskunft über seine Arbeit Zivilpersonen gegenüber seinen Tod nach sich führen würde.

Conor erkannte gute Aufstiegsmöglichkeiten, wenn sie ihm unterkamen. Er nahm das Angebot an und als er sich im Laufe der Zeit bewies, entschied sein Arbeitgeber, dass es sich lohnte, Conor auf dem Gelände in Jewell Ridge, Virginia, anzusiedeln, wo er niemandem auffiel. Nach außen hin gab Conor sich im Ort als halbpensionierter Maschinenbauer aus, der in die Berge gezogen war, weil er aus der Stadt wegwollte. Als Hobby, und um seinen Deckmantel glaubwürdig zu machen, nahm er von der umliegenden Kohle- und Erdgasindustrie ab und zu Reparaturaufträge an. Hinter dieser Fassade aber war Conor der Mann, an den sich gewisse Regierungsbehörden und Freiberufler wandten, die Sprengstoff und speziell entwickelte Waffen für Sondereinsätze brauchten.

Im Laufe seiner Karriere hatte Conor als Billardqueues getarnte Gewehre entwickelt, die mit einer 6,5 Creedmore-Patrone bis auf 250 Meter akkurat schossen. In einen zweiten Billardstock war ein Zielfernrohr eingebaut. Beide Queues zusammen wurden in einem Attentat in Houston benutzt, das es nie bis in die Zeitungen schaffte. Ein andermal baute er für einen zu einem Auftragsmörder gewordenen Klarinettisten einen Notenständer, der sich in eine Streitaxt verwandelte. Der wurde in Osteuropa bei einer besonders brutalen Eliminierung eingesetzt.