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"Feuerspuren im Eis" ist der 2. Band der Trilogie "Magie der Schatten" nach dem 1. Band "Barshim und Cashimae" Stille liegt über der Alten Welt. Wo einst Liebe und Hoffnung lebte, wird Cashimaé durch schwerwiegende Schicksalsschläge in den Abgrund ihres Hasses getrieben. Zerrissen im Inneren, schwankt sie zwischen ihrem eigenen Trotz und einem alten Geist, der in ihr weiterlebt. Wenn dieses alte Ich ihr Denken übernimmt, scheint es keine Gnade und keine Grenzen mehr in der Verwendung ihrer Magie zu geben. Das Verstehen von Gut und Böse existiert nicht mehr. Barshim, ihr Begleiter und zweites Ich, ist sich sicher, dass sie die Boten von Anfang und Ende sind. Die, die Waage zurückbringen, doch was ist die Waage? Was liegt in den verlorenen Erinnerungen des Kreisführers von Liyiell verborgen? Was bewegt Tamin, Savinama so sehr zu hassen? Immer auf Gerechtigkeit bedacht, fordert die Alte Welt das höchste Vergehen in der Magie vom Circanprefect. – Die Spuren wechseln die Farbe von Licht zu Schatten, Ecares Vigil. Weil ihr nicht bereit seid, zu sehen. Nuavera –
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Seitenzahl: 543
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C. S. Steinberg
Band 2
Feuerspuren im Eis
Manchmal vergehen die Jahre wie wenige Momente.Manchmal wünschte man sich, sie würden nie zu einem Moment führen …
© Cashimaé
Was bisher geschah …
Die Alte Welt, zwei Länder, in denen Magie so selbstverständlich ist wie das Atmen.
Dorthinein werden Barshim und Cashimaé gebracht – als Babys von einem Drachen.
Sie wachsen getrennt voneinander auf im Misstrauen alter Legenden. Cashimaé weitab, in Baitimes, und Barshim in Chintris. Cashimaé hält ihre Magie zunächst geheim. Als sie Tamin als Lehrer bekommt, interessiert sie sich nicht für die alten Lehren. Weltfremd und nicht richtig ausgebildet kommt sie eines Tages mit Barshim nach Comoérta, wo ein Mensch wegen ihr sein Leben verliert.
Als Strafe wird ihre Magie verbannt. Sie muss zu Tamin, um dort erneut die Grundausbildung zu lernen und Barshim wird nach Liyiell geschickt unter die Fittiche des Kreisführers Savinama, der wie das Paar ein Elementarmagier ist.
Während Barshim sich damit beschäftigt, die Ziehtochter des Circanprefect zu verführen und für seine Zwecke zu missbrauchen, erlebt Cashimaé die Schattenseiten ihres Lebens. Als sie fast ums Leben kommt, bringt Barshim sie in die Welt der Menschen, um dort die Zeit abzuwarten, bis der Bann verlorengeht und die junge Frau ihre Magie zurückbekommt. Doch mit der Magie kehrt auch etwas anderes in ihr zurück. Etwas uraltes.
Im Glauben Barshim für immer verloren zu haben, greift Cashimaé Comoérta an und schafft es fast, Tamin zu vernichten. Im letzten Moment begreift sie ihren Irrtum und findet Barshim in den Hallen Natriells. Doch ihre Erleichterung hinterlässt Schatten in der Alten Welt und auch wenn der Circanprefect Liyiells versucht, ihr Gewissen zu erreichen, scheint es, als beginne Cashimaé ihre Mauern gegen die Erinnerungen aufzurichten.
Am Rande sind es die magischen Wesen der Alten Welt, die leise eine Geschichte in den Straßen erzählen … denen zwar fast keiner zuhört, doch deren Ende unausweichlich wird …
Die Autorin
Geb. 1977 in Deutschland schrieb Frau Steinberg bereits mit 12 ihr erstes Buch. Schon immer zum Fantastischen hin gezogen, ob in der Musik oder der Kunst, schrieb sie mit 18 ihren ersten Fantasy-Roman mit dem Titel „The last Thoughts“. Beide hat sie bis heute an keinen Verlag gesendet.
Aufgrund diverser Ereignisse entsteht eine lange Pause in ihrem Schreibleben. 2013 erscheint dann erstmalig im mainbook Verlag Band 1 der Fantasy Saga „Magie der Schatten“ unter dem Titel „Barshim und Cashimaé“. 2014 folgt dazu die Vorgeschichte und damit ein eigenständiges Buch „Savinama – der Wächter“.
Frau Steinberg wird Mutter und legt eine Schreibpause ein, 2017 ist es soweit und die Trilogie um den ersten Wächter geht weiter. Im August erscheint der zweite Teil der Trilogie „Magie der Schatten“ mit dem Titel „Feuerspuren im Eis“. Geplant für 2018: der dritte und letzte Teil der Trilogie „Am Ende der Zeit“.
Grafik: Olaf Tischer
Lektorat: Gerd Fischer
eISBN: 9783946413684
Copyright 2017, mainbook Verlag, Gerd Fischer
Alle Rechte vorbehalten
Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de
Dieses Buch ist für Alex
und meinen Sohn.
Dass du mich so uneingeschränkt liebst
und mich sein lässt.
Dass du da bist und mich niemals in Frage stellst.
Dass du ein Vater bist, den sich ein Kind nur wünschen kann.
DANKE
Vos mea laternica Temané
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
– Su Nuavera – Epilog
Leseauszug: Magie der Schatten – Band 3 Am Ende der Zeit
Schattenpfade unserer SeelenIhr, die ihr meint zu bestimmen, wer wir sindWer hat euch je vorgeschrieben zu sein, wie ihr seid?Ihr, die ihr von uns verlangt, eure Wege zu gehen,wer hat euch je verboten den euren zu verlassen?Ihr, die ihr nicht wisst, wer wir sind,unsere Spuren sind tief, die wir hinterlassen.Denn ihr habt sie den Zorn gelehrt.
Nuavera Ecares Vigil, denn es ist Zeit,die Ewigkeit sucht euch in den Strömen.
Ein Morgen in sanften Pastellfarben, gesättigt mit goldschimmernden Akzenten, breitete sich über die Sanddünen Comoértas aus. Die Dächer ließen das Nachtblau in den Schatten versinken, um mit den Farben des Morgens ein neues Bild zu zeichnen.
Gefrorene Sterne leuchteten in den Fenstern, vom Atem der Schläfer.
Für Sekunden spiegelte sich die aufgehende Sonne darin, wie Diamanten, ehe sie zerrannen und in Tropfen die Scheiben hinunter liefen. Wie Träume, die man beim ersten Augenaufschlag vergaß. Nur noch ein Nebelschleier aus Gedanken blieb zurück, ganz nah und doch unwiderruflich vergangen.
Es war normalerweise die Stunde, in der das Leben in den Straßen begann. Händler schoben ihre vollbeladenen Karren. Fensterläden wurden geöffnet, Federbetten ausgeschüttelt, die Feuer entfacht. Stimmen erhoben sich, um in einem Gewirr nie enden wollender Klänge zu einer Symphonie des Lebens zu werden. Düfte von frisch Gebratenem vermischten sich mit der Seeluft und den Schreien der Möwen.
Nichts davon entsprach diesem Morgen, außer den Rufen der Möwen, die ihr Gelächter über die schweigende Stadt trugen. Die Fenster waren lange schon geöffnet, aber niemand belagerte die Pflastersteine. Kein Kind schrie laut nach seiner Mutter und kein Schmied bearbeitete mit dem Hammer das heiße Eisen. Die Esse war kalt.
So kalt wie die Luft, die den Winter noch nicht weichen ließ.
Den Blick auf das Meer gerichtet, erreichte man über eine der vielen Seitenstraßen die Sanddünen.
Hier erblickte man die ersten Anwohner der Stadt. Weit verteilt standen sie auf den Dünen oder am Strand. Menschen, magische Wesen, Magier, eine Zusammenkunft aller Wesen und Arten.
Comoérta war die Stadt, in der man keinen Unterschied darin machte, woher jemand kam, welcher Rasse er angehörte.
Wo sich auf der einen Seite das Meer wie eine Geliebte an die Stadt schmiegte, war es auf der anderen Seite die Stadt selber, die sich mit den Schatten der hohen Felswand verband. Als wäre es der Eifersüchtige, der die Geliebte beschützen wollte.
Eine Schlucht bildete den einzigen Weg, der in das Land hinein führte.
Das Land:
Die Westküste bot kaum Anlegemöglichkeiten für Schiffe. Weswegen die Besiedlung eher gering ausfiel. Zum Norden wurde die sonst grüne und gräserreiche Landschaft rau und abweisend. Fichten wuchsen hier in die Höhe, die in den Hügeln zur Mitte Natriells immer weniger wurden und den weiten Ebenen mit trockenen, roten Gräsern Platz machten.
In der Mitte funkelte der Sand der roten Wüste wie ein Meer aus Blut, da der Sand von Rubinstaub durchzogen war. Am Tage heiß wie die Hölle, in der Nacht so kalt, dass man sich kaum getraute nach Atem zu ringen. Nur ganz nah am Boden, fand man Wärme und zwischen dem großen Durst den Trost einer weichen und doch tödlichen Schlafstatt.
Zum Osten wuchsen blattreiche Baumarten. Farne und Gräser bis man die Stadt Chintris erreichte. Die Einwohner lebten vom Fischfang und das Meer bot reichlich davon.
Zum Süden standen stolz und imposant die Tendaren. Zu ihren Füßen lag eine Ebene und wenn man auf die Berge zuging, hatte man das Gefühl, als erhoben sie sich schlagartig, kerzengerade wie mahnende Wächter in den Himmel. Von dieser Seite aus führte nur an der Ostküste ein schwieriger Pfad hinauf. Es gab Erzählungen, dass sich irgendwo in den Bergen ein Tal befand, in dem die Drachen lebten.
Keine Bäume wuchsen zur Nordseite. Loses Geröll machte den Weg dorthin fast unmöglich. Deswegen nutzten Reisende lieber den Weg südwestlich, um in die dahinterliegende Ebene zu kommen.
Die Tendarenebene war eine sichelförmige Erhöhung, kurz vor dem Meer.
Auf der Südseite gaben die Berge ein anderes Bild ab. Während sich auf den Spitzen meist das ganze Jahr der Schnee hielt, fiel die Landschaft zum Meer hin sanft ab, durchzogen von einzelnen Baumgruppen, sobald man die alpine Waldgrenze hinter sich gelassen hatte.
Diese Ebene war den Menschen zugewiesen, die sich der Hexerei verschrieben hatten. Menschen, die in die Alte Welt kamen, von denen keiner wusste wie und warum. Menschen, die sich nicht damit zufriedengeben wollten, von den Magiern nur geduldet zu werden. Sie wollten Rechte, sie wollten mitbestimmen, was in der Alten Welt geschah. Ihre Kinder sollten auf die Schulen der Magier gehen und die Magier sollten auch Menschen als Lehrer und Gleichwertige annehmen. Doch dies war ein Krieg. Denn niemals würde ein Magier akzeptieren, dass ihnen ein Kopfblinder gleichgestellt wurde.
Sie waren Eindringlinge. Sie besaßen eine eigene Welt. Grün, reich von Flüssen, Bergen. Reich an Nahrung und Platz und doch zog es sie immer wieder an jenen Ort, wo man von Magie erzählte. Von Drachen. Von fantastischen Wesen. Und immer wieder gelangten einige von ihnen in die Alte Welt und zum Leidwesen einiger Magier vermehrten sie sich auch.
Nicht bereit für Magie, erlernten sie die Kunst der Hexerei. Etwas, was den Magiern zwar nicht schaden konnte, doch war es für diese eine Art Hohn an die Natur. Sie nutzten Gegenstände und Riten, um Sachen zu beeinflussen. Sie zwangen den Dingen ihren Willen auf, um zu bekommen, was sie wollten. Während ein Magier auf die Welt kam und die Natur in sich spürte, jeder mit einer anderen Gabe gesegnet, musste sich der Mensch dieses aus Habsucht mit Gewalt aneignen. So interpretierten es die Magier.
Da es gegen ihre Gesetze verstieß, jemanden zu töten, verwiesen sie die Hexer und Hexen, die sich nicht fügen wollten, in die Tendarenebene. Ein großzügiges Geschenk aus ihrer Sicht. Doch es führte zu Feindschaft und Kriege wurden immer neu entfacht.
Nichts davon zählte an diesem Morgen an der Küste von Natriell.
In einem Halbrund, dem Meer zugewandt, standen die Kreismitglieder Natriells und Liyiells. Dahinter warteten die Anwohner, die der Zeremonie beiwohnten.
Das Meer war heute glatt, nur kleine Wellen zogen den feinen Sandstrand hinauf.
Karaz umfasste mit beiden Händen den schwarzen Stab. Die Gravuren darin begannen zu leuchten, während sich seine Energien aufbauten. Neben ihm führte der Kreisführer Liyiells den weißen Stab Liyfaniell.
Die Magier hinter ihnen schlossen die Augen und verbanden die eigenen Energien mit allen anderen. Zusammen sandten sie diese auf das Meer hinaus.
Die Sonne stieg höher und das Rot verlor sich immer mehr in Blau- und Goldtönen. Über dem Wasser waberten einzelne Nebelfetzen. Ansonsten herrschte Stille. Niemand sprach ein Wort, alle sahen nur wie gebannt auf das Wasser hinaus.
Eine gefühlte Ewigkeit lang geschah nichts. Bis etwas den Boden erzittern ließ. Ein Grollen erhob sich. Auf dem Meer bildeten sich Wirbel und Blasen kamen an die Oberfläche.
Dann war es für einen Atemzug lang wieder still, bis plötzlich etwas Gewaltiges aus dem Meer emporstieg. Die Fluten spritzte zu allen Seiten davon. Das Sonnenlicht brach sich in den Perlen des Wassers, die wie eine Welle aus Leuchtfeuer zu allen Seiten geschleudert wurde und auf goldschimmernder Haut ein Feuerwerk an Farben hinterließ. Lederartige Flügel breiteten sich aus. Die feine Haut zwischen den Spannen, schon durchzogen von kleinen Rissen. So alt war das Wesen, das sich in die Luft erhob.
Dornenartige Wüchse zogen sich über den Kopf bis zum Schwanz hinunter und Augen wie Lava wetteiferten mit dem Leuchten des Morgenlichts.
Das Maul umwoben von Barthaaren, die sich schlangenartig wanden und bewegten, während messerscharfe Zähne sichtbar wurden.
Ein Kunstwerk vollkommender Schönheit, festgewachsen am Himmel, schwebte das Tier über ihnen.
Die Macht, die von ihm ausging, ließ die magischen Wesen den Atem anhalten und die Magier schaudern. Das Brüllen, das sich aus der Kehle löste, hallte bis zu den Tendaren und Vogelschwärme stoben aufgeschreckt unter lautem Gezwitscher in die Lüfte.
Der Drache schwang die Flügel und sein Schweif peitschte die Wellen, eher er sich in einer Rückwärtsrolle fallen ließ. Kopfüber stieß er sich wieder in das Wasser, nur um darin umzukehren und direkt auf das Land zuzuschießen. In letzter Sekunde breitete er erneut die Flügel aus und zog den massigen Leib in die Luft.
Wie eine Regenwand fiel das Nass von ihm ab und auf die winzigen Lebewesen unter ihm, ehe er mit einer letzten Wende vor der Sonne in der Weite verschwand.
Karaz blickte an sich hinunter. „Manchmal habe ich das Gefühl, er macht das mit Absicht.“
Savinama lachte bei den Worten, während einer der Wassertropfen von seinem Bart fiel. Alle waren sie gründlich nass geworden. „Nein ehrlich, im letzten Jahr hat er mit dem Schwanz die Wellen in unsere Richtung getrieben und das Jahr davor die Regenwolken zu uns geweht. Heute Morgen hatte ich noch Hoffnung, als ich die Sonne sah.“
„Er ist ein Drache, Karaz, und hat den ganzen Winter auf dem Meeresgrund geschlafen, wenn wir ihn schon wecken, lass ihm etwas Spaß.“ Der Schwarzhaarige überreichte einer jungen Frau den Stab und entledigte sich des Mantels, den er ihr über den Arm legte.
Savinama tat dies ebenso, als Mineshka neben ihn trat. Als die Frauen fort waren, schritten die beiden zusammen auf die Sanddünen zu.
Es war der Tag, an dem der Frühling ausgerufen wurde und danach alle zusammen in den Dünen speisten. Hier gab es keinen Kreisführer, keine Magier oder Menschen, bei diesem Essen waren alle gleichgestellt. Savinama mochte diese Tage besonders. Jemand reichte ihnen je einen Becher Wein. „Das gefällt mir schon besser.“ Karaz nahm einen tiefen Schluck. In diesem Moment fiel Savinama auf, dass sich die Schläfen des Freundes grau färbten. „Was ist denn mit dir passiert? Fandest du den Bann der Zeit zu lästig?“
Karaz sah sich kurz um, ob jemand in Hörweite stand. „Naé, doch die Aufgaben des Kreisführers sind sehr anstrengend, vor allem wenn man ständig alles zu zweit entscheiden muss.“
Der Kreisführer Liyiells ließ seinen Blick schweifen, bis er denjenigen sah, den er suchte. Tamin stand mitten in einer Gruppe von Magiern und was dort erzählt wurde, stieß auf allgemeine Belustigung, denn alle lachten laut und schallend.
„Haben sie wieder nicht entschieden?“
„Nein, die Stimmen waren fünfzig zu fünfzig. Nun wird dieser Zustand noch ein Jahr so bleiben, bis die neuen Wahlen anstehen. Ich weiß immer noch nicht, wer auf die Idee kam, Tamin vorzuschlagen, aber ich habe das Gefühl, dass es genau das ist, was er sein will: Kreisführer!“ In Karaz Worten schwang ein Ton von Bitterkeit mit.
„So kenne ich dich nicht mein Freund. Ist er denn so schlimm?“
Karaz starrte Savinama überrascht an. „Fang du nicht auch noch an! Tamin ist machthungrig. Er geht über Leichen, wenn er ein Ziel erreichen will. Gerade du müsstest das doch schon lange bemerkt haben. Er treibt Keile gegen dich, wo er nur kann. Er ist geschickt darin, seine Nadeln zu setzen und die meisten merken zu spät, wenn es weh tut. Gerade seine Verachtung dir gegenüber ist kaum zu übersehen. Pass bitte auf. Wenn der Kreis ihn wirklich als Circanprefect bestimmen sollte, wird er sich nicht damit anfreunden mit dir Riten ausüben zu müssen.“
Zwei Kinder kamen herangeeilt und zogen die beiden an den Händen zu den Tischen und Bänken.
„Ich glaube nicht, dass er so bösartig ist, Karaz, doch ich glaube auch nicht daran, dass sich der Kreis am Ende gegen dich entscheiden wird.“
Savinama konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass jemand anderes als Karaz den Kreis Natriells leiten sollte. Shorbo hatte ihn damals als Serva ausgebildet und dem Land als seinen Nachfolger angeboten. Normalerweise wurden genau diese Magier am Ende auch als Kreisführer gewählt. Hier lag es jedoch anders. Irgendjemand hatte am Tag der Wahlen Tamin vorgeschlagen und der junge Magier bekam genau 50% der Stimmen, weswegen zwar Karaz derzeit das Meiste bestimmte, Tamin jedoch überall mit einbeziehen musste.
Dieses Spiel lief nun seit drei Jahren. Es musste ein Ende finden.
Die Priesterin Mineshka unterhielt sich noch mit zwei Freundinnen, ehe sie sich auf den Weg zu den Hallen machte, um den magischen Stab in Savinamas Zimmer zu bringen und den Mantel zum Trocknen. Er lag schwer in ihren Armen, während sie die stillen Straßen entlang schritt. Auf einmal kam ein kleines Mädchen auf sie zu gerannt. „Maman!“, rief sie mit heller Stimme. Das lange, schwarze Haar wippte in einem Pferdeschwanz an ihrem Hinterkopf und die Wangen leuchteten rot. Plötzlich ertönte aus einer Seitengasse ein merkwürdiges, schepperndes Geräusch. Abrupt hielt die Priesterin inne und lauschte.
Sie wollte ihren Weg gerade fortsetzen, als sie einen seltsamen Druck um sich herum spürte.
Verwirrt schaute sie sich um, da war nichts. Kein Mensch weit und breit, sie war allein in der Seitengasse. Über die Dächer konnte sie schon die große Halle erkennen. Doch der Druck nahm zu. „Lauf zu Savinama, Annalishandra!“ Etwas entzog ihr die Energie, verpackte die Umgebung in ein Vakuum.
„Warum?“
„Frag nicht, Lauf!“, fuhr sie das Kind an. Erschrocken drehte sich Annalishandra um und rannte den Weg zurück, den die Priesterin eben noch gekommen war.
Etwas wand sich Mineshkas Beine hinauf und umschlang ihren Brustkorb. Die Priesterin öffnete den Mund, doch zu ihrem Entsetzen kam kein Geräusch hervor, nicht einmal ein Röcheln. Mit beiden Händen umkrampfte sie den weißen Stab so fest, dass das Blut aus ihren Fingern wich und ließ den Mantel zu Boden fallen. Die Kälte und der Druck wanderten weiter, umschlangen sie wie eine Geliebte im Tod und pressten ihre Kehle zu. Schwarzer Rauch legte sich wie ein Ring um ihren Hals, strich die Seite hinauf und berührte ihre Lippen. Es fühlte sich an, als würde ihr der Gevatter selbst einen Kuss schenken. Sie kniff die Augen zusammen, versuchte sich zu konzentrieren und die Panik niederzukämpfen, die sich durch ihr Inneres fraß und ihren Verstand auszuschalten drohte.
„Nett“, flüsterte eine Männerstimme, dicht an ihrem Ohr. Erschrocken machte sie die Augen wieder auf. Der Unglaube stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.
Barshim grinste selbstgefällig, seine Züge wirkten im Schatten der Kapuze gefährlich dunkel. „Du wirst jeden Tag hübscher meine Liebe, aber auch immer unachtsamer. Stell dir vor, ich ging so meines Weges und auf einmal erblickte mein müdes Aug, eine heilige Priesterin Liyiells. Doch nicht nur dass dieses hübsche Bild es ist, das mir solch Freuden zuteilwerden lässt, nein, was muss ich sehen? Eben jene trägt schwere Last mit sich. Wie verantwortungslos.“
Seine Lippen strichen ihre Wange entlang, ehe er sich soweit zurückzog, dass ihm Mineshka in die Augen sehen konnte. Sie waren schwarz wie die Nacht. „Sag Mineshka, spielst du nun schon Laufbursche für deinen Ziehvater?“ Er legte seine Hände gegen ihre Brust und ließ sie langsam tiefer wandern, bis er die ihren umschloss. Dabei kam er ihr so nah, dass sich ihre Körper berührten. Ein klägliches Wimmern glitt über die Lippen der Priesterin. Doch es sorgte nur dafür, dass Barshim noch ein Stück näher kam. „Eine furchteinflößende Magie, nicht wahr? Weißt du, was dein Problem ist, Mineshka? Das du und euresgleichen in schwarz und weiß unterscheidet, in gut und böse. Weil nur richtig ist, was in euren alten, verstaubten Büchern steht. Deswegen wirst du solche Macht niemals besitzen. Doch ich möchte, dass du sie dir genau einprägst, damit du weißt, was euch blüht, wenn auch nur ein einziges Mal noch ein Kopfgeldjäger auf uns angesetzt wird.“
Barshim pustete ihr ins Gesicht, während er den Stab aus ihren Händen löste. Röchelnd entwich die Luft aus Mineshkas Lunge. Er konnte sehen, wie sich ihre Brust dehnte. Tadelnd hob er einen Finger und winkte damit von links nach rechts. „Na na, du wirst doch nicht schreien. War das eben deine Tochter? Aé, ich wette, es war dein kleiner, süßer Schatz. Soll ich sie besuchen? Ich würde sie gerne kennenlernen.“ Barshim lachte vergnügt und drehte sich mit dem Stab im Kreis. Für ihn war es ein Spiel.
„Bastard, Abschaum, du Sohn einer …“, brach es aus Mineshkas Mund.
Der Magier tippte ihr gegen die Lippen. „Schmutzige Worte und das, wo du das Sprechen gerade erst wieder erlernt hast. Weißt du, Mineshka, ich würde gerne noch etwas Zeit mit dir verbringen. Wirklich! Ich möchte allerdings das Glück nicht überstrapazieren. Du wirst bestimmt verstehen, wenn ich dir noch etwas Ruhe gönne.“ Die Priesterin wollte etwas erwidern, doch zu ihrem Entsetzen, versagte die Stimme aufs Neue.
Ihre Augen folgten dem Magier und ihre eben noch erzürnten Züge wechselten schlagartig in Panik um. Er ergriff die Zügel eines Pferdes, das an der Seite eines Gebäudes stand, stieg auf, winkte ihr ein letztes Mal zu und galoppierte die Gasse hinunter.
Nur wenige Sekunden nachdem er außer Sichtweite war, hörte Barshim ihren Schrei hinter sich hallen: „Barshiiiiiiiiiiiiim!“
Damit verließen Pferd und Reiter die Stadt.
Wie ein Häufchen Elend hockte Mineshka auf der Bank in dem großen Zimmer, die Hände im Stoff ihres Kleides vergraben. Einzelne Locken hatten sich aus den hochgesteckten Haaren gelöst und umrahmten ihr Gesicht.
Sie schürzte die vollen Lippen und wagte vorsichtig, wieder hochzusehen.
Ihr Ziehvater stand schweigend am Fenster, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
„Es tut mir wirklich leid“, flüsterte sie, dass man es kaum hören konnte.
Ein Seufzer und eine Bewegung der Schultern verrieten ihr, dass Savinama sie trotzdem gehört hatte. Er wandte sich um und schaute sie sanft an. „Mineshka, ich mache dir sicher keinen Vorwurf daraus. Wie hättest du ahnen können, dass Barshim dich angreift?“
Er lehnte sich an die Kante des großen Schreibtisches, der mitten im Raum stand. „Ich möchte dich nur dringend darum bitten, dass du niemandem von dem Vorfall erzählst.“
Mineshka riss die Augen auf und sprang auf die Füße. „Liyfaniell ist in ihrem Besitz, du musst etwas unternehmen.“
Der Kreisführer blätterte gedankenverloren die Seite eines Buches um, das neben ihm lag. „Es ist fast vier Jahre her. Wieso kommen sie ausgerechnet jetzt zurück?“ Der Magier überging damit ihren Ausbruch.
„Was weiß ich! Barshim plapperte etwas von Kopfgeldjägern. Du weißt genau, dass er ständig maßlos übertreibt.“
Savinama stieß sich vom Tisch ab und sammelte einige Unterlagen ein.
„Wir werden heute Abend nach Liyiell zurückkehren. Ich erwarte von dir, dass du schweigen wirst, bis ich dir erlaube, darüber zu sprechen. Haben wir uns verstanden?“ Bei diesen Worten richtete er die bernsteinfarbenen Augen direkt auf die Priesterin.
„Ich …“
„Haben wir uns verstanden?!“
Zerknirscht und etwas trotzig gab sie endlich ihr Wort. Als der Kreisführer den Raum verließ, konnte er ihr Missfallen noch weithin fühlen.
Savinama wollte nicht sofort wieder den Krieg ausrufen. Er musste unweigerlich an die Toten denken. Kopfgeldjäger? Barshim mochte wirklich in vielen Dingen übertreiben, doch hier glaubte ihm der Magier.
Aber wer sollte Kopfgeldjäger auf sie hetzen? Der Alten Welt hatte man weißgemacht, dass das Pärchen damals vernichtet wurde. Eine bewusste Täuschung des Volkes. Es war nicht seine Idee gewesen, doch manchmal musste auch er sich dem Urteil der anderen beugen. Wenn die Mehrheit bestimmte, dann war das eben so.
Was Savinama mehr beschäftigte, normalerweise konnte er den magischen Stab rufen, doch dieses Mal erreichte er weder seine Energien noch reagierte die Waffe auf seine Magie. Schon lange stellte er sich die Frage, wer oder was Barshim und Cashimaé wirklich waren. Seit er Cashimaé damals auf dem Platz in Natriell in diese blutroten Augen blickte. Barshim, ihr ständiger Begleiter, immer darauf bedacht alles zu wissen und doch von ihr fernzuhalten. Ein sehr mächtiges Paar, das eine seltsame Magie umgab. Wenn sie jetzt wieder aufgescheucht wurden, fürchtete er einen neuen Krieg und dies galt es solange wie möglich zu vermeiden.
Er verachtete Gewalt.
Der Magier war so in Gedanken versunken, dass er fast mit jemandem zusammen gestoßen wäre.
„Hoho, ehrenwerter Circanprefect. Ihr solltet die Augen offenlassen, denn auf Dauer ist es für niemanden ratsam, blind zu sein.“ Tamin lächelte überzogen freundlich, verbeugte sich und ging dann einfach weiter. Am Tor angekommen warf er noch einen kurzen Blick aus seinen blauen Augen über die Schulter zurück.
Savinama verbeugte sich ebenso, ehe er ohne eine Antwort in die andere Richtung weiter schritt. Karaz Worte kehrten zurück: „Gerade seine Verachtung dir gegenüber ist kaum zu übersehen.“ Nein, das konnte einfach nicht sein.
Der Markt von Comoérta. Stimmengewirr, gleichzusetzen mit dem Summen eines Bienenstockes. Händler, Käufer, Schaulustige. Sie alle ergaben ein Gewimmel aus Leben, ließen die Straßen atmen und pulsieren.
„Tadeusz, kommst du jetzt endlich hier her!“ Eine Frau wirbelte herum und bekam den kleinen Jungen gerade noch am Arm zu fassen, ehe er sich zwischen zwei dickleibigen Männern hindurch quetschen konnte. Sie zog ihn zurück und hob ihn hoch. Das Haar so rot wie das der Mutter, umrahmten wilde Locken das herzförmige Gesicht. Grüne Augen lachten sie schelmisch an.
Mariella ergriff den Korb, der auf den Früchten stand. „Entschuldige Melissa.“
Die Händlerin mit auffallender Oberweite, geschnürt in ein ledernes Korsett, schwarzem Haar und roten Lippen zeigte sich amüsiert. „Meine Liebe, wer kann diesem Kinde böse sein? Ein Sonnenschein für die Herzen.“
Melissa reichte dem Jungen einen Apfel und Mariella setzte ihn wieder auf dem Boden ab, wo er zufrieden in das Fruchtfleisch biss, dass ihm der Saft das Kinn hinunter lief. Mit seinen fast drei Jahren besaß er eine hohe Auffassungsgabe und wusste mit seiner Unbeschwertheit, die nur ein Kind besitzen konnte, die Menschen um sich herum in seinen Bann zu ziehen. Mariella warf ihm noch einen prüfenden Blick zu, ehe sie sich erneut ihrem Einkauf widmete.
Lachend schwatzten die zwei Frauen miteinander und es reichte ein kleiner Augenblick der Unaufmerksamkeit, dass das Kind die Lust an dem Obst verlor, unter dem Holzgestänge hindurch krabbelte und sich erwartungsvoll auf die Beine erhob. Der Kopf schwenkte von links nach rechts. Bis sich die Aufmerksamkeit des Kindes auf den großen Platz konzentrierte, der sich vor ihm erstreckte und dem runden, mächtigen Gebäude, das sich dort erhob. Auf dem Platz selber waren nur wenige Passanten unterwegs und so blieb selbst für das Kind aus seiner niedrigen Position der Blick frei. Das Licht der Sonne spiegelte sich in den Fenstern und von einigen kam ein buntes Funkeln zurück. Tadeusz lachte und klatschte in die Hände.
Der Weg zu diesem bunten Wunder war nicht weit und doch eine Weltreise für seine kleinen Füße. Er kaute auf seiner Unterlippe, ehe Ernsthaftigkeit in die weichen Züge trat und damit machte er sich auf den Weg. Er wollte die Farben fangen, die ihn lockend riefen.
„… Von den Äpfeln nehme ich auch noch drei“, sprach Mariella. „Und von den Bananen. Auch die roten, süßen Beeren. Tadeusz, die magst du doch so gerne.“ Die Mutter blickte auf den Boden, in Erwartung, ihr Junge würde mit verklebtem Gesicht emporschauen, doch dort lag nur der rote, angebissene Apfel im Staub. Von dem Kind war nichts zu sehen.
„Tadeusz?“ Geschockt wirbelte sie herum. „Tadeusz?“ Ihr anfänglich zaghafter Ruf wurde lauter und ließ die Furcht darin erkennen. „Melissa?“ Die Händlerin beugte sich hinab, um unter die Kisten zu blicken, die achtlos hinter ihr standen und wunderbare Höhlen für die Fantasie eines Kindes darstellten. Doch wie sie sich erhob, musste sie den Kopf schütteln. Mariella schob sich in die Menge. „Tadeusz!“, rief sie nun, so laut sie konnte, das Gesicht gezeichnet von Furcht. Sie rannte den Weg einige Schritte hinunter, ohne einen Gedanken an diejenigen zu verschwenden, die sie anrempelte oder unsanft zur Seite stieß. „Mein Gott. Er spielt nur, er ist sicher ganz nah“, versuchte sie sich selber zu beruhigen, wirbelte um die eigene Achse und rannte wieder ein Stück zurück. Ihre Furcht wollte gerade in Panik umschlagen, als Melissa laut nach ihr rief und in Richtung des Platzes zeigte. Die junge Mutter eilte ein Stück weiter, bis sie die Menge hinter sich ließ. Suchend schweifte ihr Blick über den staubigen Platz, bis zu dem großen Gebäude. Und dann erblickte sie ihren Sohn. Er lief geradewegs auf den Eingang der heiligen Hallen zu. Mariellas Füße bewegten sich erst langsam und dann immer schneller. Tadeusz hatte die große, breite Stufe erreicht, kniete bereits auf dem Boden und kletterte hinauf. So sehr sich Mariella eilte, das Kind war schneller. Doch als der kleine Junge durch die Tür ins Innere der Halle laufen wollte, ergriffen ihn zwei Hände an den Hüften und schwangen ihn hinauf in die Luft, dass ein fröhliches Quietschen über seine Lippen entwich.
Mariella blieb abrupt stehen. Sie konnte gar nicht sagen, von wo die Gestalt in dem langen, dunklen Mantel plötzlich aufgetaucht war, so sehr galt ihre Aufmerksamkeit dem Kind. Sie verspürte Erleichterung, als sie sah, wie der oder die Fremde sich auf einem Knie abstützte, das Kind wieder auf den Boden setzte und zu ihr hinüber wies. Für jeden wäre offensichtlich gewesen, dass nur sie die Mutter sein konnte, wer stand sonst mitten auf dem Platz und beobachtete den kleinen Jungen. Tadeusz drehte sich tatsächlich um und kam lachend zurückgerannt. Mariella breitete die Arme aus und fing ihn auf, um sich gemeinsam mit ihm jauchzend einmal im Kreis zu drehen.
Wie sie sich umdrehte, um sich zu bedanken, war die Gestalt verschwunden und tauchte auch nicht mehr auf.
Mariella umfasste die Hand ihres Sohnes und schritt zurück zum Stand, wo immer noch ihr Korb stand. In einem war sie sich sicher, sie würde ihn heute auf keinen Fall mehr loslassen.
Am Rande des Platzes, geschützt von den niedrigen Dächern der Häuser an einer Seitenstraße, stand die Gestalt. Grüne Augen, warm wie die Wiesen an einem Frühlingsmorgen, beobachteten, wie Mariella mit dem Kind zu ihren Einkäufen zurückkehrte.
Ein leichter Wind streifte die Kapuze. Silberweiße Haarsträhnen lösten sich und umspielten die Hand mit dem kleinen, goldenen Ring, der nach oben griff um den Stoff wieder zurückzuziehen. Bisher zeigte das Gesicht nur abweisende Kühle, doch beim Anblick von Mutter und Kind erahnte man für wenige Sekunden eine Spur von Wärme.
Ein Möwenschrei riss sie aus den Gedanken zurück in die Realität.
Fast vier Jahre waren vergangen, seit Cashimaé mit Barshim zusammen die Stadt verlassen hatten. Vier ganze Jahre schon. Seitdem schlugen sie sich durch die Wildnis der Berge im Norden Natriells. Lebten von dem, was ihnen die Natur bot und blieben jeglicher Zivilisation fern. Es war die Hoffnung auf Ruhe und Frieden. Die Hoffnung, von der Alten Welt vergessen zu werden. Doch es stellte sich als Traum heraus, eine Illusion, die niemals wahr werden würde.
Immer und immer wieder tauchten Kopfgeldjäger auf und jagten die beiden wie wilde Tiere. Sie war es leid, ein wildes Tier zu sein. Die Zeit in der Einsamkeit hatte ihr keine innere Mitte geschenkt, sondern die Verachtung auf die Alte Welt nur vergrößert und den Blickwinkel wechseln lassen. Selbst Fehler, die Cashimaé selber einst beging, sah sie heute als Schuldigkeiten der anderen. Als Barshim vorschlug, die Vorräte in Comoérta wieder aufzufüllen und sich auf den neuesten Stand zu bringen, stimmte sie begeistert zu und bestand darauf, Mariella und Ilias zu besuchen. Denn immer noch glaubten die Freunde, wie der halbe Rest der Alten Welt, dass die beiden Magier tot waren. Doch hier, mitten in der Stadt, wo die Wände Ohren und Augen besaßen, konnte sie sich unmöglich zu erkennen geben. So beschloss die Magierin, Mariella einfach im Schatten bis nach Hause zu folgen.
Cashimaé registrierte eine Bewegung am Eingang zu den Hallen Natriells und widmete ihre Aufmerksamkeit den beiden Männern, die dort heraus kamen.
Sie zog die Kapuze tiefer ins Gesicht und achtete darauf, dass auch ihre Aura von der Magie verdeckt wurde. Oh ja, sie hatte in den letzten vier Jahren viel dazu gelernt und dazu gehörte es auch, die geistige Anwesenheit vor anderen Magiern zu verstecken.
Als Cashimaé Tamin erkannte, zog sie sich noch ein Stück weiter in den Schatten des Hauses zurück. Soweit sie dies von dieser Entfernung aus erkennen konnte, hatte er sich nicht verändert. Der Mann neben ihm war ihr fremd und somit unwichtig.
In ihrer Brust zog es. Doch ehe sich der Zorn, den sie für diesen Mann empfand, festigen konnte, drehte sich die Magierin um und verschwand in den Gassen, um das zu erledigen, weswegen sie hierher gekommen war.
Mariella stellte den Korb mit ihren Einkäufen auf dem Tisch ab, während Tadeusz draußen geblieben war, um am Strand zu spielen.
„Ilias!“, rief sie laut, während sie den Mantel in der Nähe des Ofens aufhängte.
„Ja, hier hinten“, ertönte die Antwort.
Mariella schritt in den Raum, der ihren gemeinsamen Schlafraum darstellte. Die Fensterläden standen offen und ließen den Blick auf eine Leiter frei, die direkt davor stand. Darauf befand sich ihr Ehemann, zumindest ließ das die untere Hälfte des Körpers, der noch sichtbar war, erahnen.
Mariella beugte sich etwas vor und schaute nach oben. Ihr Mann hielt einen Hammer in der Hand und versuchte, unter den Dachschindeln eine Leiste zu befestigen. Sie sollten im Frühjahr den Weinreben als Wachstumsstützen dienen. Mit dem Ellbogen versuchte er, das rechte Ende gegen die Wand zu drücken, damit es nicht verrutschte.
„Was zur Hölle treibst du da, Mann!?“
„Wonach sieht es denn aus, Frau!?“, erklang Ilias‘ entrüstete Antwort. In diesem Moment schlug er sich mit dem Hammer auf den Finger, jaulte laut auf und fiel rückwärts direkt in die Büsche. Mariella versuchte gar nicht erst ihre Belustigung zu verstecken.
„Wonach das aussieht? Das verkneife ich mir jetzt mal.“
„Ha, ha.“ Ilias kämpfte sich aus dem trockenen Gestrüpp und fluchte über eine Ranke an seinem Bein, als ob diese Versuche, ihn mit Absicht festzuhalten.
„Hm, wenn ich dein handwerkliches Geschick so betrachte, kann ich kaum glauben, dass du so ein guter Ausbilder und Kämpfer bist.“
„Ja, ja, mach dich ruhig lustig über den verletzten Stolz eines Mannes.“ Ilias legte das Werkzeug zur Seite. „Bring Feuerholz mit, wenn du rein kommst.“ Damit warf Mariella ihrem Mann noch einen Handkuss zu, ehe sie sich wieder ihren Einkäufen widmete.
Es verging einige Zeit, bis Ilias in der Tür auftauchte. „Mariella, kommst du bitte mal?“
Sie kniete gerade vor dem Ofen, um einen neuen Holzscheit nachzulegen. Mariella wischte sich die rußigen Hände an ihrer Schürze ab und erhob sich.
„Was ist denn?“, fragte sie, während sie zu ihm kam.
Der Rotbärtige machte einen Schritt zur Seite. „Weißt du, wer das bei Tadeusz ist?“ Damit wies seine Hand in die Richtung des Strandes hinunter.
Mariella folgte der Bewegung mit den Augen. Ein Stück entfernt stand Tadeusz und vor ihm hockte eine Gestalt in einem langen, dunklen Mantel. Mariella war sich sofort sicher, dass es sich um die gleiche Person wie auf dem Platz handelte. „Nein, ich habe keine Ahnung, aber ich werde es sofort herausfinden.“ Und damit ging sie mit weit ausholenden Schritten den Sandstrand hinunter.
„Tadeusz, komm sofort hierher!“, rief sie laut und energisch.
Augenblicklich drehte sich Tadeusz um und kam lachend zu ihr gelaufen.
Die dunkle Gestalt erhob sich. Der Wind wehte kalt vom Meer und als er dieses Mal in den Stoff griff, hob sich keine Hand, um die Kapuze festzuhalten. Mariellas Herz setze einen Schlag lang aus und der Unglaube stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Das kann nicht sein … sie sagten, ihr seid tot, beide!“
„Hallo Mariella“, antwortete Cashimaé und verbeugte sich dabei leicht. Ihre Augen leuchteten beim Anblick der alten Freundin. „Tot ist ein dehnbarer Begriff, aber in diesem Fall wohl eher der Wunschtraum einiger Magier des Kreises.“
Mariella schrie auf vor Freude, rannte auf die Magierin zu und warf sich ihr regelrecht in die Arme. „Ich bin so froh, dich zu sehen!“ Sie presste die junge Frau fest an sich, als wollte sie damit sicher gehen, dass es sich nicht nur um einen Traum handelt. Ihre Hände umfassten das schmale Gesicht und ihre Augen begegneten sich. „Du hast dich verändert, Cashimaé. Du wirkst … erwachsener, reifer. Aber vor allem, du lebst.“
Cashimaé umgriff liebevoll Mariellas Handgelenke. „Aé, aber ruf es nicht so laut hinaus, es wäre besser, wenn das außer euch keiner erfährt.“
Mariella drückte die Freundin erneut und wischte sich dabei verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
„Cashim?“ Beim Klang der tiefen Stimme sah sie an Mariella vorbei.
„Ilias.“ Der Krieger hatte sich in keiner Weise verändert. Noch immer zierte der rote volle Bart und das wollende, lockige Haar das Haupt. Sein Leib sprach davon, dass es ihm gut ging und er keinen Hunger leiden musste.
Auch seine Umarmung fiel herzlich und fest aus. Zusammen schritten sie zurück zur Hütte, während Tadeusz schon vorauslief.
Sie boten der Freundin etwas Warmes zu trinken an und setzen sich zusammen an den Tisch.
„Warum hast du dich niemals bei uns gemeldet? Wir waren voller Trauer und vor allem Mariella hat sich sehr schwer an dem Verlust getan.“
Mariella stimmte den Worten ihres Mannes zu, während Tadeusz auf ihren Schoß rutschte.
„Es war besser so, wenn alle glaubten, dass Barshim und ich vernichtet wurden. Vor allem weil Tamin immer noch lebt.“
Ilias stellte scheppernd den Becher auf die Tischplatte. Seine Augen nahmen eine Größe an, die dem Vollmond Konkurrenz geboten hätten. „Barshim? Bedeuten deine Worte, dass auch er lebt?“ Mariella schlug die Hände vor den Mund. In Ihren Augen konnte man deutlich die Hoffnung erkennen.
Cashimaé erhob sich und wanderte durch den Raum. „Aé. Auch er lebt. Wir sind nur in die Stadt gekommen, weil wir ein paar Dinge benötigten.“
Ilias nahm einen neuen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Bart ab. „Meinst du nicht, dass das etwas riskant war? Vor allem heute?“
Die junge Frau strich gedankenverloren eine Haarsträhne zur Seite. „Nein, kein Tag kann sicherer sein, als der, an dem viele Fremde hier verkehren. Wer achtet da schon auf uns? Ich wollte mich nur erkundigen, wie es euch geht und Barshim entschuldigen, aber das Risiko zu zweit erkannt zu werden, ist größer als alleine unterwegs zu sein.“
Mariella setzte Tadeusz wieder auf den Boden, sie wirkte enttäuscht.
„Ich habe nie verstanden, warum man euch jagt. Ich habe am Ende nur dich gesehen, Cashimaé, und du hast viele sterben lassen.“
Die Magierin blickte die Freundin an. Sie hatte deutlich den Vorwurf in der Stimme gehört.
„Aé und warum? Weil man mir das Liebste nahm, nur um unsere Magie zu bekommen.“
Ilias sog scharf die Luft ein. „Das gibt dir aber noch lange kein Recht, Unschuldige zu töten.“
„Wer ist schon unschuldig?“ Verbitterung schwang in ihren Worten mit.
Das Ehepaar wechselte kurz einen Blick miteinander, ehe Ilias erneut ansetzte. „Wir verstehen euren Zorn Cashimaé, doch du kannst mir nicht erzählen, dass es der richtige Weg ist, wenn ihr Gleiches mit Gleichem vergelten wollt. So wird das nie aufhören.“
Verärgert zog die Magierin die Kapuze über den Kopf. „Wir haben uns zurückgezogen. Wir haben niemanden angegriffen und wollten unsere Ruhe haben. Doch diese gönnt man uns nicht, denn wir werden immer noch gejagt wie räudige Hunde. Man versuchte, uns in den Wäldern umzubringen, damit die Lügen der Kreise bestehen bleiben können. Dort können sie uns im Unterholz verrotten lassen und brauchen niemandem Abbitte zu leisten. Mehr sind wir der Alten Welt nicht wert. Sprecht nicht von Unschuld, wenn ihr keine Ahnung habt, um was es geht. Ich kam, um Freunde zu besuchen, und habe das Gefühl, nur auf Abneigung zu stoßen!“
Ilias schlug mit der Faust auf den Tisch, worauf scheppernd die Tasse zu Boden viel. Sein Gesicht lief rot an vor Ärger. „Wie kannst du es wagen, uns nach allem, was wir gemeinsam erlebt haben, so etwas zu unterstellen? Ihr solltet schlauer sein und wissen, wer eure Freunde sind.“
Cashimaé ging mit großen Schritten zur Tür. „Es wird sich zeigen! Deshpari Mariella, Deshpari Ilias.“ Damit ging sie einfach hinaus.
Sie konnte hören, wie Mariella hinter ihr her rief, doch die Magierin drehte sich nicht um. Die beiden sollten nicht sehen, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Selbst ihre besten Freunde schienen sich gegen sie verschworen zu haben. Die Enttäuschung saß tief.
Aus einem so freudig erwarteten Besuch blieb nun ein bitterer Geschmack zurück.
Ilias zog seine Frau in den Arm und traurig schauten sie Cashimaé hinterher, bis diese in den Sanddünen verschwunden war.
„Ihr Herz ist voller Zorn und dieser Zorn macht sie blind gegenüber denen, die nur helfen wollen.“ Mariella stimmte den Worten ihres Mannes zu.
Die Reaktion, der einst so sanften Frau, bereitete ihr Furcht, denn in diesem Moment ahnten sie beide, dass sich mehr zusammenbraute.
Nach dem Ärger schlenderte Cashimaé durch die Gassen Comoértas. Ehe sie zurückkehren würde in die Einsamkeit der Wälder, sehnte sich ihr Inneres nach Unterhaltung. Nach Menschen und etwas Zivilisation. Sie bewegte den Kopf zur Seite und sog den Duft von frisch gebratenem Fleisch tief in die Nase ein. Dabei schloss sie verzückt die Augen. Es war nicht das Fleisch alleine, das sie fast in Ekstase fallen ließ, sondern die Gewürze, die sich im Feuer mit dem Fett vermischten und diese unsagbaren Düfte verbreiteten.
Ihre Augen sahen dabei zu, wie die großen, schwieligen Hände eines Mannes den Spieß drehten, auf dem die Sau hing. Hypnotisierend sammelte sich die Flüssigkeit gleichermaßen in ihrem Mund, wie es von dem Braten ins Feuer tropfte. Jemand rempelte sie an und unbeholfen stolperte sie zwei Schritte nach vorne.
„Willst du etwas kaufen? Oder nur mit deiner Spucke mein kostbares Fleisch beflecken?“, fuhr sie der speckige Mann mit dunkler, grollender Stimme an.
„… Es ist mir so gleich, wenn ich ihn in die Finger bekomme“, ertönte eine lautstarke Stimme hinter Cashimaé. Noch ehe sie reagieren konnte, wurde sie äußerst unsanft zur Seite gestoßen, dass sie endgültig das Gleichgewicht verlor. Der Bulle mit dem Fleisch sah das Desaster schon kommen und stieß sie noch rechtzeitig zur Seite, ehe sie in die Flammen und damit in sein heißgeliebtes Verkaufsinventar fallen konnte.
Was dem Händler daneben allerdings nicht vergönnt blieb. Voller Wucht knallte die junge Frau in eine Ansammlung von kleinen Holzkisten, die unter ihrem Gewicht zusammen brachen. Lautes Schreien vermischte sich mit aufgeregtem Gegacker und Flügelschlagen. Die Menschenmenge sammelte sich um das Schauspiel. Cashimaé versuchte, sich aus dem Gewirr von Federn und Stoff zu befreien, doch der aufgebrachte Besitzer des Standes packte sie grob am Mantel und riss sie damit erneut von den Füßen. „Du kleine Diebin. Glaubst du, dir so dein Essen stehlen zu können?“, maulte er sie an.
Cashimaé konnte nichts mehr sehen, außer Stoff. Spürte die Hennen, die um sie herum stoben, und hörte lautes Gelächter. „Bezahlen wirst du das. Jede einzelne Feder.“ Ein neuer Ruck an dem Mantel und sie landete unsanft in einer weiteren Kiste. Dabei schlug sie sich die Hand an und ein stechender Schmerz schnellte ihren Arm hinauf. Mit dem Schmerz kam der Ärger. Diebin? Sie war sicherlich keine Diebin.
„Was ist hier los?“, erklang eine tiefe Stimme und augenblicklich herrschte Ruhe.
„Dieses Ding hat versucht, meine Hühner zu stehlen“, erscholl die Antwort von der Stimme, die sie eben noch lautstark beschimpft hatte.
„Ist aber eine ziemlich dumme Art dabei gleich deinen ganzen Stand zu zerstören.“ Allgemeines Gelächter begleiteten die Worte des Schweinefleischverkäufers, während der Hühnerbesitzer wütend schnaufte. „Meine Existenz hat sie zerstört und alles wird sie mir ersetzen und wenn sie nichts hat, wird sie es abarbeiten, bis alles ersetzt ist.“
„Ich denke, wir sollten sie einfach selber sprechen lassen.“ Wieder die Stimme des Fremden.
Cashimaé zerrte an ihrem Mantel und bekam ihn endlich aus ihrem Gesicht. Wütend schlug sie auf die Erde und hob dann den Kopf. Im nächsten Moment verschlug es ihr die Sprache. Direkt vor ihr stand der Kreisführer Liyiells. Er starrte ihr für Sekunden in die Augen und sie war sich sicher, ebensolche Überraschung zu sehen, ehe er sich dem Händler wieder zuwandte. Er griff in die Innentasche seines Mantels und beförderte einen kleinen Lederbeutel hervor. Diesen warf er dem Mann zu.
„Ich denke, das sollte euren Schaden decken.“
Damit drehte er sich um und ging langsam Richtung Hafen.
Cashimaé starrte den Händler an. Was sollte das? Warum mischte sich der Kreisführer ein und rief nicht gleich ganz Comoérta zusammen, denn es war deutlich im Gesicht des Magiers zu sehen gewesen, dass ihm bewusst war, um wen es sich hier handelte.
Egal, besser als weiter hier im Dreck zu sitzen und darauf zu warten, dass doch noch etwas geschah, dachte sich Cashimaé. Hastig sprang sie auf und eilte dem Magier hinterher. Während sie im Laufen versuchte, die Federn aus Kleidern und Haar zu entfernen, schloss sie zu ihm auf. „Was soll das? Warum mischt ihr euch ein?“
„Ich grüße euch, ehrwürdige Elementarmagierin.“
„Euren Spott könnt ihr euch sonst wohin stecken.“
Savinama schaute sie, ohne eine Regung, kurz von der Seite an. Sein Gesicht verriet keinerlei Mienenspiel.
„Warum sollte ich spotten? Seid es nicht ihr beide, die sich über uns lustig machen?“
Cashimaé blieb abrupt stehen und lachte, als wenn es ihr im Prinzip egal wäre, in welch einer gefährlichen Situation sie sich befand. „Netter Scherz, also ich bin mir sicher, dass ich die letzten Monate nicht versucht habe, euch aus euren Büschen zu beobachten, im Gegensatz zu euresgleichen.“
Savinama wandte sich nicht einmal um. Sie konnte nur ein kurzes, gleichgültiges Zucken mit den Schultern bei ihm erkennen. Sie zögerte. Barshim hatte ihr erzählt, dass der Kreisführer Liyiells scheinbar auch ein Elementarmagier sein musste. Immerhin hatte er ihr damals auf dem Platz geholfen. Hatte er doch, oder? Sie grübelte darüber nach und folgte ihm, denn es erklärte immer noch nicht, warum er sie jetzt nicht verpfiff.
Savinama stand am Rande des Piers und blickte zu den Schiffen hinaus. Vor einem der Segler herrschte Aufbruchsstimmung.
Skeptisch baute sich Cashimaé vor ihm auf und wandte so dem Treiben den Rücken zu. Sie musterte das graue Haar des Kreisführers mit den letzten, schwarzen Strähnen. Den kurzgeschnittenen Vollbart und die, von Fältchen umrahmten, bernsteinfarbenen Augen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, je eine solche Farbe gesehen zu haben. Er strahlte Freundlichkeit aus. „Nicht wir waren es, die von Anbeginn an unsere Wege mit dem Tod beschrieben“, sprach sie endlich etwas zurückhaltender. Der Mann löste in ihr eine andere Art von Respekt aus.
„Naé, vielleicht ist das wirklich so, nur scheinbar denkt ihr nun, Gleiches mit Gleichem vergelten zu müssen oder wie soll ich das verstehen, was heute passiert ist?“
Im Gesicht der Magierin spiegelte sich Unverständnis wieder. „Was meint ihr?“
Der Kreisführer hörte auf, über ihre Schulter zu den Schiffen zu blicken, und schenkte der jungen Frau vor sich seine volle Aufmerksamkeit. „Willst du mir sagen, du weißt nichts davon, dass Barshim heute Morgen Liyfaniell gestohlen hat?“ Die weiblichen Gesichtszüge wirkten verdutzt, dann plötzlich fing sie an zu grinsen. „Natürlich weiß ich das! … Oh, ihr vermisst einen eurer größten Schätze? Das tut mir aber gar nicht leid!“
Ein kurzes Lächeln huschte um die Mundwinkel des Magiers. „Du bist eine schlechte Lügnerin Cashimaé, nichtsdestotrotz ist es leider zu wichtig, dass der Stab zurückkehrt. Bitte verzeih mir …“
„Wofür?“ Damit bekam die Magierin einen harten Schlag auf den Hinterkopf, der sie bewusstlos zusammensacken ließ.
„Dafür!“, war das Letzte, was sie noch vernahm, ehe sich ihre Welt in der Dunkelheit verlor.
Cashimaés Sinne kehrten nur langsam zurück. Ihre Welt bestand aus schummrigem Licht und grobem Wollstoff, der sie fest einschnürte. Ihr Kopf fühlte sich schwer an und schmerzte. An ihrer Stirn spannte etwas und zog an ihrem Haaransatz.
Die Hände auf dem Rücken zusammen gebunden, lag sie auf dem Boden, der sich anfühlte wie Holz. Der Stoff kratzte rau über ihre Wangen und ihre Nase nahm den Geruch von altem, stinkendem Fisch wahr, der sie kurz würgen ließ. Nur nicht übergeben. Sie würde sonst im eigenen Erbrochenen liegen.
Geräusche drangen durch den Nebel ihrer Sinne, die sich langsam wieder klärten. Plätschern. Sie vernahm um sich herum unmissverständliche Geräusche von Wasser, das gegen einen Bug schlug. Leises Knarren von Holz, während es arbeitete. Das konnte nur eines bedeuten. Ein Schiff auf hoher See.
„Du Bastard, du elende verlogene Ratte!“, schrie Sie hinaus. Frieden? Was hatte es mit Frieden zu tun, sie niederzuschlagen und auf das Meer zu verschleppen. Für diese Lüge würde sie den Kreisführer zur Rechenschaft ziehen.
Die Stunden zogen sich endlos hin. Sie hatte versucht, die Fesseln zu lockern, doch es brachte ihr nur wunde Striemen an den Handgelenken ein. Das Haar klebte ihr von der Anstrengung mittlerweile in der schweißnassen Stirn und Cashimaé wagte kaum zu atmen. So abgestanden und stickig schmeckte die Luft unter dem grob gewebten Stoff, der bereits im Gesicht, wo er ihre Haut berührte, brannte.
Die Stimmen in ihr bettelten danach, die Magie anzuwenden. Ihre Angreifer hinfort zu fegen in einem Feuersturm und den Kreisführer Liyiells spüren zu lassen, was es hieß, die Elemente gegen sich aufzubringen, doch war ihr klar, dass Barshim es fühlen würde. Der Geliebte wüsste sofort, dass sie in Schwierigkeiten steckte, und würde ihr folgen. Dies war nur eine Falle. Cashimaé war erfahren genug, dies zu begreifen.
Savinama mochte ein großer Magier sein, doch das Mädchen war davon überzeugt, nichts konnte so machtvoll sein wie ihre Verachtung, die stetig wuchs.
Tamin pflanzte damals den Hass und den Zorn in ihr ein wie einen Samen und jene, die ihr zu der Zeit so nah erschienen, gaben dem Samen Wasser und nährten ihn.
Nur ein einziges Mal hatte sie die Düfte und das Leben Comoértas wieder erleben wollen. Nur ein einziges Mal! Nach all der langen Zeit in der Wildnis. Sie war weder gekommen, um jemanden anzugreifen und wusste auch nicht, dass Barshim Liyfaniell stehlen wollte. Sie war unschuldig. Niemand fragte jedoch danach, denn es war immer einfacher, Schuldige zu finden.
Cashimaé rollte sich auf die andere Seite und lauschte den schweren Schritten, die eine Holztreppe herunter kamen. Ihr Zähne gaben ein Knirschen von sich, so fest biss sie diese zusammen.
Sie war es leid, unschuldig zu sein!
Die Geräusche näherten sich und ein Knarren verriet das Öffnen einer Tür, die vermutlich zu ihrem Gefängnis führte. Dunkles Männerlachen schallte ihr entgegen und die Stiefel auf dem Holz verrieten ihr, dass es sich um mehrere Personen handeln musste.
„Dann wollen wir doch mal sehen, was die Flut uns in den Laderaum gespült hat“, tönte eine Stimme im Tenor. Grob wurde sie links und rechts gepackt und hochgezogen.
Im nächsten Moment erklangen die Worte direkt vor ihr. „Halt still, sonst könnte sich das Messer an Stellen platzieren, wo du es nicht spüren magst.“
Der Sack wurde grob in der Höhe ihres Halses gepackt und ein reißendes Geräusch erklang, als er mit einer scharfen Klinge aufgeschnitten wurde. Ohne Rücksicht zog man den Stoff zurück und Cashimaé sog tief die Luft ein. Der Geruch war nicht viel besser, doch wenigstens konnte sie frei atmen.
Eine schwielige Hand packte sie unter dem Kinn und drehe ihren Kopf von einer Seite zur anderen, wie ein Vieh, das man auf dem Markt musterte. Fehlte nur noch, dass er ihr den Mund öffnete, um die Beschaffenheit ihrer Zähne zu kontrollieren.
„Ein Täubchen. Schmutzig, stinkend mit gefesselten Flügeln.“ Vor ihr stand ein großer Mann mit kantigen Gesichtszügen und einem verhärmten, dunklen Zug um die Augen. Unter braunem, lockigem Haar, das ihm bis auf die breiten Schultern fiel, blitzen ihr zwei graugrüne Augen entgegen.
Doch am meisten stach ihr der weiße Mantel Natriells entgegen. Ein Kreismitglied.
„Täubchen? Ich bin mir da nicht so sicher.“ Der Typ links von ihr packte in ihr weißes Haar und zog kurz daran. Er schnupperte an ihr und drehte angewidert den Kopf. Er hatte das Auftreten eines unterbezahlten Seemanns, der Rum und Weib seinen Lebensabend nannte.
„Sie stinkt wie ein alter Fisch, das Haar ist klebrig, nass wie Seetang und trägt eine Farbe, als habe es die Sonne noch nie gesehen. Hol einen Eimer Wasser, den wollen wir ihr über den Kopf schütten, vielleicht ist sie ein Weib des Meeres und ihr wächst eine Flosse.“
Cashimaés Augenbrauen zogen sich nach unten und ihr Körper versteifte sich. Sie spuckte auf den Boden. „Und ihr seht aus wie armselige Bettler und Diebe und stinkt, als stammt ihr von einem Eber ab.“
In der nächsten Sekunde wurde sie brutal herumgedreht und mit dem Gesicht gegen die Holzwand hinter sich gedrückt. Die Hand war so groß, dass sie fast ihren gesamten Kopf zu umfassen schien. „Ich würde vorsichtig sein mit dem, was du sagst, Cashimaé.“
Das Holz der Wand stach schmerzend in ihre Wange. „Oh das Vieh weiß sogar, wer ich bin.“
Bei dieser Antwort drückten sich gute hundert Kilo gegen ihren schlanken Körper. Ein Arm schnellte um ihre Taille, presste so fest zu, dass die Luft mit einem leisen Röcheln aus ihren Lungen entwich.
„Du bist nur eine Elementarhure. Ein dummes Mädchen, das vom Leben keine Ahnung hat. Du kannst es dir ganz einfach machen. Wende Magie an. Rufe deinen Spielgefährten und gebt Liyfaniell zurück. Mehr wird gerade nicht gewünscht.“
Cashimaé lachte leise. „Ihr seid so lächerlich.“ Durch ihre ungünstige Lage waren die Worte nicht nur mutig, sondern auch kaum zu hören, doch im nächsten Moment wurde sie einfach losgelassen und sie konnte fühlen, wie sich der Mann ein Stück entfernte.
Vorsichtig drehte sie sich um und rieb sich dabei den schmerzenden Nacken.
Der Magier streifte gerade den weißen Umhang von seinen Schultern, legte ihn über eine Kiste neben einem Fass, das sich mitten im Raum befand. Darauf stand eine dunkle Weinflasche, eine Kerze flackerte und mit der Spitze ins Holz gesteckt ruhten dort sieben Messer. Die fleischige Hand schloss sich um einen der Griffe. „Ich danke dir! Hatte schon die Befürchtung, du würdest mir den Spaß nehmen und den leichten Weg wählen.“ Mit diesen Worten wirbelte er herum und genau so schnell blitzte die Klinge im fahlen Licht auf.
Cashimaé wurde von der Wucht wieder gegen die Wand katapultiert und schrie laut auf, als sich der Stahl in ihre rechte Schulter bohrte, auf der Rückseite wieder heraus trat und sie regelrecht an das Holz nagelte. Der Stoff ihres Hemdes färbte sich bereits rot.
Voller ungläubigem Entsetzen starrte sie den Magier an, der gerade sein Hemd bis zu den Ellbogen herauf krempelte, den Saum seines braunen Wamses zurecht zog und dann erneut nach einem Messer griff. „Ich habe versprochen, dass ich erst den sanften Weg versuche. Also hab keine Sorge, ich bringe dich nicht um, zumindest nicht sofort!“
Stunden später färbte die Sonne die Schaumkronen des Meeres bereits blutrot, als plötzlich eine Erschütterung das Schiff erfasste. Das Holz ächzte und ein Ruck ging hindurch wie bei einem Orkan.
Der Kreisführer bekam noch ein Seil zu fassen, sodass er nur mit der Hüfte gegen die Reling schlug. Andere hatten nicht so viel Glück. Sie stießen gegen Fässer, verloren das Gleichgewicht und prallten hart auf die Planken. Savinama sah gerade noch, wie ein Mann aus der Takelage in die See stürzte.
Wie ein Ring stob der Sturm ebenso plötzlich in alle vier Himmelsrichtungen davon und trieb eine zwei Meter hohe Welle kreisförmig von ihnen weg, ehe sie sich langsam in der Weite verlor.
Danach blieb alles still.
„Aua! Verdammt, was war das?“ Mineshka kam schwerfällig auf die Füße und rieb sich das schmerzende Knie. Die bernsteinfarbenen Augen des Kreisführers starrten noch kurz zum Horizont, ohne einen genauen Punkt zu fixieren, dann ließ er das Seil los und eilte zur Treppe, die unter das Deck führte.
Beltec kam strauchelnd hoch. Mit dem Handrücken wischte er sich über die zusammengekniffenen Lippen. Er hielt ein Messer immer noch fest in der Hand. Rot zeichnete sich sein Speichel auf der Haut ab. Die Augen betrachteten diesen kurz, dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder der jungen Frau, die zusammengekrümmt auf dem Holzboden lag. Auf ihrem unbedeckten Oberkörper, besonders auf dem Rücken, und an den Oberarmen zeichneten sich deutliche Schnittspuren und tiefe Wunden von den Wurfmessern ab.
„Du kleines, linkes Miststück.“ Der Magier bückte sich und hob etwas hinter dem Fass auf, ehe er zu ihr kam. Hart packte er die kraftlose Hand der jungen Frau. „Pech gehabt, Süße! Dein Hilferuf ist versendet, jetzt brauchen wir dich nicht mehr und damit du keine Magie anwendest …“ Es klirrte und etwas schnappte zu. „… Schenke ich dir diese wunderschönen Armbänder.“ Beltec zog hart ihr zweites Handgelenk heran und ließ auch dort die Ketten einrasten. Augenblicklich begann Cashimaé zu zittern. Ihr Körper, schwer verletzt und erschöpft, ihre Seele geschunden, flutete der Schmerz wie eine Brandung neu durch sie hindurch. „Ehe du dich wunderst, diese kleinen Wunderbänder sind magisch und sorgen dafür, dass ein Magier keine Magie anwenden kann. Oh, tut mir Leid, leider sorgen sie auch dafür, dass deine Magie deinen Körper nicht mehr heilt. Was aber nicht bedeutet, dass ich keinen Spaß haben darf.“
Dabei zog er ihren Kopf hoch. Seine Finger strichen ihren Hals entlang, über die Schulter, die Seite hinunter und ergriffen ihren Hosenbund.
„Wollen wir sehen, was du darunter trägst, ehe du dein Leben aushauchst? Ich wette meine zwei Helfer möchten auch eine kleine Belohnung.“ Wie zur Bestätigung kamen die Männer ein Stück näher.
Schwerfällig hob Cashimaé den Kopf an. Ihre Lippen bewegten sich. „Was sagst du?“ Beltec beugte sich zu ihr. „Näher …“, brachte sie mühsam hervor. Und nur einen Augenblick später schlug die Stirn der jungen Frau auf seinen Nasenrücken. Das Kreismitglied brüllte vor Schmerz und Wut, schlug ihr als Antwort erneut ins Gesicht, sprang auf die Füße und trat zu.
Cashimaé war bereits so betäubt, dass sie das Knacken der Rippen kaum wahrnahm. Ein leises Wimmern rang über ihre Lippen. Egal wie sehr sie versuchte, stark zu sein, sie besaß keine Stärke mehr.
Ihre letzte Chance bestand darin, all das, was geschah, auszublenden. Es nicht mehr zu sehen, zu fühlen, zu hören. Sich einzukapseln und alles, was Gefühl bedeutete, auszumerzen.
Sie hörte am Rande der blutroten Schmerzwellen eine Stimme. „Was bei allen Himmeln geht hier vor?“ Kurzes Schweigen, ehe die gleiche Stimme weiter sprach. „Beltec, was habt ihr getan?“
„Euren Befehl ausgeführt, werter Kreisführer.“ Damit verlor sich ihr Bewusstsein in der Dunkelheit.
Savinamas Gesichtsfarbe wirkte blass. Erneut starrte er auf die junge Frau am Boden. „Ich habe nicht von Foltern oder Vergewaltigung gesprochen!“
Beltec lachte verächtlich. „Soweit sind wir noch nicht, aber …“
Der Kreisführer glaubte, sich verhört zu haben. „Ihr seid über eure Kompetenzen weit hinaus geschossen, Beltec! Dies hat nichts mit der Ehre eines Magiers, geschweige denn eines Kreismitgliedes zu tun. Das ist einfach nur sadistisch!“
Beltec wirkte für Bruchteile von Sekunden überrascht. „Ihr sagtet, ich soll handeln, wie ich es für nötig halte.“
Mineshka war neben Savinama hereingekommen und betrachtete mit ausdruckslosem Gesicht die Frau am Boden. „Na zumindest können wir sicher sein, dass Barshim auftauchen wird.“
Der Kreisführer schenkte seiner Ziehtochter für diese Aussage einen undefinierbaren Seitenblick. „Raus hier, Beltec! Ich werde mit den anderen sprechen, ob ihr überhaupt noch als Kreismitglied geduldet werden könnt. Mineshka, bitte hilf mir.“
Savinama nahm den weißen Mantel, den Beltec auf der Kiste abgelegt hatte, und bedeckte damit Cashimaé. Vorsichtig hob er die bewusstlose Frau hoch. Sein eigener Mantel wurde von ihrem Blut beschmutzt, doch das interessierte ihn wenig. Mineshka hatte sich immer noch nicht bewegt.
Kurz hielt der Kreisführer neben ihr auf dem Weg nach draußen inne. „Du kannst keinen Frieden lehren, wenn du zum Auswaschen der Wunden Salzwasser nutzt.“ Damit schritt er hinaus.
Zurück blieb nur Stille.
Mineshka warf noch einen letzten Blick in die Runde. Auf Beltecs Gesicht konnte man deutlich den verletzten Stolz erkennen. Einen Ausdruck, den die Priesterin nur zu gut von Barshim kannte und deswegen floh sie aus dem Raum, so schnell sie konnte.
Barshim schreckte aus dem Schlaf hoch. Neben ihm kam eine Flasche durch die heftige Bewegung ins Rollen und zersprang schließlich an einem Stein.
„Verdammte Scheiße!“, brummte er und kickte die Scherbenreste mit dem Fuß zur Seite.
In seinem Kopf pochte es heftig. Vielleicht hätte er doch nicht gleich zwei Weinflaschen leeren sollen, als er am Morgen von seinem Ausflug zurückkehrte.
Doch wenn Cashimaé Spaß hatte, warum sollte er keinen haben?
Durch den dämlichen Nieselregen fühlte sich alles klamm und feucht an. Mit kalten Händen entfachte Barshim das Lagerfeuer neu, das bis auf ein paar Glutreste niedergebrannt war. So nah an Comoérta würde man es für das Feuer von Reisenden halten. Es war ungefährlicher, sich offen zu zeigen, als sich mit aller Gewalt verstecken zu wollen. Man schenkte Reisenden wenig Beachtung. Barshim erhob sich und gähnte ausgiebig. Während er sich mit der linken Hand am Bauch kratzte, ließ er den Blick über die Steilküste wandern, auf der er sich befand. Nachdem er eine falsche Fährte Richtung Südosten gelegt hatte, war er schließlich am Rande der Klippen gen Norden geritten, wie er es mit Cashimaé vereinbart hatte.