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"Savinama - der Wächter" ist das Begleitbuch zur 2012 erscheinenden Trilogie "Magie der Schatten". Inhalt: Einst sandten Leben und Tod vier Wächter aus. Einen für jedes Element. Und sie sandten einen fünften Wächter, den Ecares Vigil, Mittelpunkt der Ewigkeit. Sein Name ist Savinama - die Legende des ersten Wächters, Waage der Ewigkeit, Bote von Anfang und Ende. Wenn er erscheint, droht der Untergang der Welt und aller Hoffnungen. Sein Weg trägt Asche unter den Füßen, sein Wort ist Geburt und Tod. Und doch steht sein eigenes Sein auf dem Spiel. Was ist, wenn die Elemente beginnen in Gut und Böse zu unterscheiden? Wenn Leben und Tod verbannt werden? Und was, wenn der Preis für das Überleben der Welt zu hoch ist? "Manchmal braucht es Liebe, um eine ganze Welt zu retten, manchmal reicht nicht einmal sie."
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Seitenzahl: 516
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C. S. Steinberg
Der Wächter
„Manchmal braucht es Liebe,um eine ganze Welt zu retten.Manchmal…reicht nicht einmal sie!“
Dieses Buch ist meinen Eltern gewidmet.
Ihrer Herzlichkeit und dem unerschütterlichen Glauben,den sie stets in mich hatten.Und meinen Geschwistern.Und den Menschen, die all die Zeit hinter mir standen.
Euch allen ein Deshpari in die ZeitWo immer ihr sein mögt
Das Buch:
Einst sandten Leben und Tod vier Wächter aus. Einen für jedes Element. Und sie sandten einen fünften Wächter, den Ecares Vigil, Mittelpunkt der Ewigkeit. Sein Name ist Savinama – die Legende des ersten Wächters, Waage der Ewigkeit, Bote von Anfang und Ende. Wenn er erscheint, droht der Untergang der Welt und aller Hoffnungen. Sein Weg trägt Asche unter den Füßen, sein Wort ist Geburt und Tod. Und doch steht sein eigenes Sein auf dem Spiel.
Was ist, wenn die Elemente beginnen in Gut und Böse zu unterscheiden? Wenn Leben und Tod verbannt werden?
Und was, wenn der Preis für das Überleben der Welt zu hoch ist?
„Manchmal braucht es Liebe, um eine ganze Welt zu retten, manchmal reicht nicht einmal sie.“
„Savinama – der Wächter“ ist das Begleitbuch zur 2012 erscheinenden Trilogie „Magie der Schatten“.
Zur Autorin:
C.S. Steinberg ist 1977 in Deutschland geboren. 2007 wagt sie die erste Veröffentlichung in der Autorenanthologie „Handverlesen“. 2009 präsentiert sie „Savinama – der Wächter“ erstmals im Internetradio und baut sich damit eine Fangemeinde auf. 2011 erscheint „Savinama“ als Buch. Mehr Informationen zur Autorin auf www.cssteinberg.de.
Grafik: Olaf TischerLektorat: Gerd FischerSatz: Anne FußISBN: 9783944124131
Copyright der ebook-Ausgabe 2012 mainbook Verlag, Gerd FischerAlle Rechte vorbehalten
Eine kleine Hilfestellung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Epilog
Lese und Ausdrucksweise der altmagischen Sprache:
Die alte Sprache ist sehr einfach in Wort, Schrift und Ausdruck. Um Missverständnissen vorzubeugen hier einige Grundregeln:
Im Altmagischen existieren ä, ö und ü nicht und auch Folgebuchstaben wie ae, oe und ue werden nicht als solche ausgesprochen, sondern einzeln betont. Auch ie wird nicht wie ein langes i gesprochen, sondern jeder Buchstabe steht für sich.
Beispiel das Wort: Nein Altmagisch: Nae – Aussprache: Na-e
Ebenfalls sehr vereinfacht ist SCH. Wird immer sh geschrieben.
Shorbo – Aussprache – Schorbo
Liyiell – Aussprache – Li-jell
Wobei, wenn ein Y allein steht, wird es i ausgesprochen.
Filyma – Aussprache – Fili-ma
Savinama – Aussprache – Savi- nama
Wobei man es nicht mit der Betonung übertreiben sollte. Altmagisch ist eine Sprache des Klanges. Die Buchstaben fließen ineinander und doch hat jedes seinen eigenen Wert.
Hier regelmäßig auftauchende Wörter:
Nae – Aussprache – Na-e – Bedeutung: Nein
Ae – Aussprache – A-e – Bedeutung: Ja
Timadenara – Bedeutung: Ehre eurem Weg, als Begrüßung.
Deshpari – Bedeutung: Ehre eurem Weg, als Abschied
Vieles erklärt sich durch den Aufbau:
Nae – Nein
Naema – Nie
Naishnema – Niemals
Non – Nicht
Nuavera – Erwache
Niavera – Erwache nicht, schlafe
Eine leichte Brise streifte das Land, bog die Grashalme der weiten Wiesen sacht zu Boden und spielte mit einzelnen Blütenblättern scheinbar Fangen. In der Ferne leuchteten die Spitzen der alten Berge in mattem Weiß, das vom hellen Sonnenlicht reflektiert wurde. Zwischen der Ruhe und dem Frieden Liyiells und leisem Vogelzwitschern war ein Lachen zu hören.
Im nahen See schwammen zwei Frauen im kristallfarbenen Wasser. Immer wieder bespritzten sie sich gegenseitig und hatten Spaß dabei.
„Weg daaaaaaaa!“, ertönte eine laute Stimme und über einen Felsen kam ein junger Mann gerannt, der sich mit einem Aufschrei ins Wasser fallen ließ. Für Sekunden raubte das aufspritzende Nass den Frauen die Sicht.
„Jeras, du Idiot!“ Die Jüngere holte mit der flachen Hand aus und schleuderte ihm nun ebenfalls eine Ladung davon entgegen.
Er grinste sie frech an. „Sei nicht so zickig, Schwesterchen.“ Sie krauste die Nase und wischte sich mit einer Hand eine nasse Strähne ihres tiefschwarzen Haares aus dem Gesicht. Ihre blaugrünen Augen funkelten schelmisch auf. Sofort begannen sie sich zu balgen und den anderen unter die Oberfläche zu drücken.
„Hey, ich bin auch noch da.“ Die Ältere, ihre Mutter, war zurück ans Ufer geschwommen und den Felsen hinaufgeklettert. Das Haar genauso tiefschwarz wie das des Mädchens stand sie zitternd dort oben und wartete darauf, dass die Zwei unter ihr Platz machten. Nicht nur ihre große schlanke Gestalt fiel besonders auf, sondern auch die feinen Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen und ihre Augen, die von einem tiefen Smaragdgrün beherrscht wurden und denen einer Katze ähnlich waren. Sie schritt bis an die vorderste Kante und blickte hinunter zu ihren beiden Kindern.
Auf ihren vollen Lippen spiegelte sich ein verschmitztes Lächeln und um die Augen wurden kleine Fältchen sichtbar.
„Wenn ihr euch da nicht endlich weg macht, spring ich euch auf den Kopf“, grinste sie.
„Mach doch!“, kam als Antwort zurück. Sie breitete die Arme weit aus und machte sich zum Sprung bereit, als etwas hinter ihr hell aufleuchtete, doch ehe sie sich umdrehen konnte, wurde sie von etwas Großem, Schwerem angerempelt, verlor das Gleichgewicht und fiel kopfüber ins Wasser.
Prustend kam sie wieder an die Oberfläche.
„Was bei allen Welten war das?“ In diesem Moment tauchte jemand vor ihr aus dem Wasser und rang selber nach Luft.
„Was?“ Sie starrte verdattert in das Gesicht eines Fremden, der im nächsten Moment wieder unter die Oberfläche gezogen wurde.
„Wer geht auch mit Kleidung schwimmen?“, seufzte Jeras, strich kurz durch das dunkelbraune kurze Haar und tauchte dann unter. Nur Sekunden später kehrte er mit dem Fremden, den er stützte, zurück. Der Mann hustete schwer und zusammen versuchten sie an Land zu kommen. Die beiden Frauen folgten ihnen. Als sie endlich Halt unter den Füßen fanden, fluchte der Fremde und schlug wütend ins Wasser.
„Ihr solltet an Eurer Technik arbeiten.“ Alle drehten sich zur Seite. Auf dem Felsen, von dem sie eben noch gesprungen waren, stand ein Mann. Kurze blonde Haare, hellblaue Augen, die Arme spöttisch vor der Brust verschränkt. Er lachte definitiv den Fremden zwischen ihnen aus.
Der Mann machte zwei unbeholfene Schritte nach vorne, was in dem langen, weißen Mantel, den er trug, nicht einfach war, denn hatte dieser durch das Wasser extrem an Gewicht zugenommen, und warf einen bitterbösen Blick den Felsen hinauf, worauf es der eindeutig Jüngere vorzog zu verschwinden.
Jeras erfasste den linken Arm des Mannes und wollte ihm helfen, als dieser ruppig und herrisch jenen zurückriss.
„Non simasé“* , fuhr er ihn barsch an. Erschrocken machte Jeras einen Schritt zurück und starrte ihn überrascht an.
„Das ist wieder typisch, Mann! Erst rempelt ihr mich an und werft mich vom Felsen und nun werdet ihr noch unfreundlich gegenüber meinem Sohn!“ Er drehte sich um und blickte direkt in die Augen der Mutter, die gerade ihr dunkelgrünes Kleid übergezogen hatte und ihn herausfordernd ansah, beide Hände fest in die Taille gestemmt. Wollte sie ihn eben noch zurechtweisen, blieb ihr nun, als er sie anschaute, der Atem weg. Niemals zuvor hatte sie solche Augen gesehen. Innerhalb von Sekunden glaubte sie in einem goldfarbenen Sonnenaufgang zu ertrinken. Der äußere Ring tiefschwarz, den Augen eines Wolfes gleich. Der Rest in einem intensiven Gelb, dass ihr die Worte fehlten. Uraltes Wissen schien darin zu ruhen, wie etwas Ungesagtes.
Plötzlich fiel ihr auf, wie unverschämt sie ihn anstarrte. Aber auch er löste nicht seinen Blick. Sie erwachte aus ihrer Erstarrung, zuckte zusammen und blickte zu Boden. Im gleichen Atemzug breitete sich ein Prickeln auf ihrer Haut aus. Ein helles Licht blendete sie kurz und als sie wieder aufsah, war der Fremde fort.
„Wer war das?“ Sie schaute ihren Sohn an.
„Ich weiß es nicht, doch lasst uns lieber zurückkehren, euer Vater wird schon auf uns warten und ich muss noch etwas arbeiten. In drei Tagen ist das Fest der Sonnenfeuer.“ Sie suchten ihre Sachen zusammen und machten sich auf den Rückweg.
In Gedanken aber war die Magierin woanders. Bei diesen Augen. Sie gingen ihr einfach nicht aus dem Kopf.
* Nicht anfassen
Mit leisem Kratzen glitt die Feder über das Pergament. Sanft zeichnete sie Linien und Punkte auf. Immer wieder hielt der Mann inne, betrachtete liebevoll das Werk, ehe er erneut die Spitze in die schwarze Tinte tauchte. Leise Schritte ließen ihn aufsehen und ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
„Ineana, hast du den Tag mit deinen Kindern genossen?“
Leichtfüßig kam sie herein und legte einige Bücher auf einen kleinen Tisch, neben den großen, auf dem die Karte ausgebreitet lag.
„Ja, war sehr schön und wie ich sehe, warst du in der Zwischenzeit sehr fleißig.“
Sie hatte das Kleid vom Morgen gegen ein weißes ausgetauscht, das ihre Figur umspielte wie ein luftiger Morgenwind, und ihr Haar war zu kunstvollen Zöpfen geflochten. Sie lief wie meist barfuß und um ihr schlankes Fußgelenk funkelte ein weiß schimmerndes Kettchen, das in einem Ring an ihrem mittleren Zeh endete.
Prüfend betrachtete sie die Skizze. „Eine wundervolle Arbeit, Arthol.“
Er seufzte und streckte sich. „Jedoch bekommt es meinem Rücken nicht, so lange in dieser Haltung zu verweilen.“
Wie Ineana hatte er lange schwarze Haare, die ihm glatt den Rücken hinunterfielen. Seine sturmgrauen Augen trugen etwas Warmes in sich. Der Kreisführer Liyiells legte die Feder zur Seite und sein Blick verweilte kurz auf den schwarzen Fingerkuppen. Bedächtig drehte er sich herum und trat ans Fenster, wo auf einer kunstvoll geschnitzten Kommode eine Schüssel mit Wasser stand.
„Nun wollen wir uns wieder den wichtigen Dingen widmen, den Vorbereitungen für das Fest der Sonnenfeuer.“
Sie lachte. Wer außer Arthol sollte seine Arbeit als unwichtig bezeichnen?
Sein Blick schweifte durch die großen Fenster, über den Balkon nach draußen. „Es ist so ein schöner Tag, lass uns im Park spazieren gehen und die Einzelheiten besprechen.“ Er hob vom Stuhl einen weißen Mantel und zog ihn über die naturbelassene Tunika. Ein schwerer Stoff, der seiner kräftigen Statur etwas Elegantes verlieh. Vom Hals bis zum Bauch mit kleinen geschmiedeten Halterungen versehen, die als Schließen dienten, und an den Säumen dezente Stickereien mit goldenem Garn.
Nur wenige Minuten später schritten sie langsam die kiesbedeckten Wege entlang. Um sie herum herrschte fröhliches Treiben. Kinder lachten, Vögel zwitscherten und zwischen alldem war man dabei die ersten Feuer aufzuschichten, die in drei Nächten entfacht werden sollten, um einen magischen Tag zu feiern.
Allen, denen sie begegneten, grüßten den Kreisführer freundlich. Stets nickte er leicht, hielt inne, wenn jemand eine Frage an ihn richtete, und hatte immer ein Lächeln auf den Lippen.
Am äußersten Rand, an der hohen Mauer, die das riesige Gebäude umfasste, blieben sie stehen. Arthol wandte sich um. Die Arme hinter dem Rücken leicht verschränkt, in stolzer Haltung, betrachtete er alles.
„Es wird ein gutes Fest.“ Arthol nickte und ließ seinen Blick über das große imposante Gebäude schweifen. Über die weißen Steine, die hell im Sonnenlicht leuchteten. Über die ausladenden Balkone und den Efeu, der sich an vielen Seiten die Steine hinauf rankte. Er nahm den eingemeißelten Drachen über dem Haupttor wahr, dessen Flügel sich wie schützend über jeden ausbreitete, der es durchschritt. Hier lebten die jungen Schüler Liyiells, hier wurden sie ausgebildet, direkt im Herzen der alten Welt. Er sog tief die Luft ein.
„Was beschäftigt dich Ineana?“ Erschrocken hob die Magierin den Kopf. „Deine Gedanken sind weit fort und mir scheint nicht, als wäre es ein Gedanke, der das Fest betrifft.“
Sie schmunzelte etwas, wodurch ihre kleinen Lachfältchen um die Augen noch deutlicher zu sehen waren.
„Entschuldige.“ Nun drehte er sich zu ihr um.
„Du musst dich nicht entschuldigen, also was ist es?“
Kurz überlegte sie. „Am See heute Morgen ist etwas Seltsames geschehen, als ich mit den Kindern schwimmen war. Da war ein Mann, ein Magier.“ Sie suchte nach Worten.
„Und? Du wirst mir doch nicht erzählen, dass dich die Anwesenheit eines Mannes so aus der Fassung bringt?“ Verlegen scharrte sie mit der Fußspitze im weißen Kies.
„Nun, nein, ja, ich meine, es war nicht er, es waren seine Augen.“ Sie blickte ihn direkt an und etwas kindlich Verträumtes lag in ihren Zügen.
„Ich habe so etwas noch nie gesehen, es war unglaublich. Als ob man in der Sonne ertrinkt. So alt, so … ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich habe ihn noch nie gesehen. Und sein Aufzug.
Er trug fast den gleichen Mantel wie der des Kreisführers, wie deiner.“
Arthol fing plötzlich an zu husten. Besorgt fasste sie ihn beim Arm. „Was ist?“
Er winkte ab und doch musste er einige Male Luft holen, ehe das Husten nachließ.
„Wie sah er aus?“ Irritiert schaute sie ihm in die Augen.
„Wer?“
„Der Mantel!“
Sie verstand den energischen Unterton in seiner Stimme nicht.
„Er war, nun ja, wenn ich mich recht entsinne, wie der deine: weiß, etwas anders geschnitten und die Stickereien nicht goldfarben, sondern mehr wie, hm, wie…“ Sie überlegte.
„Fast unscheinbar?“ Sie nickte. „Was hat er getan?“ Seine Stimme klang nun ernst und Ineana war verwirrt.
„Ich weiß nicht, was du meinst? Er hat nichts getan, außer mich vom Felsen zu schubsen.“
Eine Zeit lang schwieg er und betrachtete ihr Gesicht, als wollte er sicher gehen, dass sie ihn nicht belog. Endlich schien Arthol sich deutlich zu entspannen. „Wirklich nichts?“
Heftig schüttelte Ineana den Kopf. „Nein, wirklich nicht. Er ist wie aus dem Nichts aufgetaucht und wir sind zusammen ins Wasser gefallen. Dann tauchte ein zweiter Mann auf. Mein Sohn hat ihm aus dem Wasser geholfen und kurz darauf ist er wieder verschwunden.“
„Hat er was gesagt?“
„Hm, nein, ich meine nicht, doch warte, ja, als mein Sohn ihm helfen wollte hat er zu ihm recht unfreundlich etwas gesagt, non sa, si … er hat einen seltsamen Dialekt, den ich kaum verstehen konnte.“ Arthol lächelte und unterbrach sie. „Gut.“
Damit wandte er sich um und schritt den Weg zurück zum Gebäude. Ineana zögerte kurz. Was sollte das? Endlich lief sie ihm nach.
„Mir scheint du weißt wer er war, willst du es mir nicht sagen?“
Sie konnte sehen, wie er grinste, und sie kurz von der Seite betrachtete, mit einem Blick, den sie nicht ganz einzuschätzen wusste. Zielstrebig ging er in die alten Bibliotheken und zog die Rollleiter ein Stück zur Seite, bis er hinaufstieg und aus einem der obersten Regale ein Buch holte. Es war in rotes Leder gebunden, mit feinen Goldfäden umspannt.
Dann schritt er wieder zur Tür, schaute kurz hinaus und drückte sie ins Schloss, ehe er den Schlüssel umdrehte. In der Mitte des Raumes legte er fast ehrfürchtig das Buch auf einen der Tische. Ineana trat neben ihn. Als er den Einband aufschlug, erkannte sie, dass es schon sehr, sehr alt sein musste, denn die Seiten waren stark vergilbt und wirkten brüchig. Sie versuchte die Schrift zu entziffern, doch entweder sie war schon zu sehr verblasst, dass es ihr nicht möglich war sie zu lesen, oder die Buchstaben zogen sich in einer Art, dass sie nicht verstand, was dort stand.
„So?“ Auf einer Seite konnte sie schwach eine Zeichnung erkennen. Sollte wohl einen Magier darstellen, doch war er nur grob skizziert.
Viel Wert jedoch war auf die Kleidung gelegt worden. Ein weit fallender Mantel mit hochstehendem Kragen und Verzierungen, die von den Schultern bis zum Brustbein ein V ergaben. Ornamente als Verschlüsse und wie schon im oberen Bereich endeten die Säume mit feinsten Stickereien.
Sie kniff die Augen zusammen und betrachtete sie eingehend. Endlich nickte sie langsam und richtete sich wieder auf.
„Ja, so in etwa.“ Als würde er die Seite streicheln berührte die flache Hand von Arthol das Papier, ehe er den Band wieder schloss.
„Und sonst hat er oder der andere wirklich nichts gemacht?“
„Nein Arthol, haben sie nicht, könntest du mir nun erklären, was dein seltsames Benehmen soll?“
Der Magier lächelte. „Ich denke, Ineana, dir ist eine große Ehre zuteil geworden.“ Damit legte er die Hände übereinander und verbeugte sich leicht vor ihr, die Art der Magier einem anderen Respekt zu zollen. Als Ergebnis stieg eine leichte Röte in ihr Gesicht. „Was soll das? Nun hör schon auf, du machst mir Angst.“ Arthol lachte leise auf und stieg dann die Leiter wieder hinauf.
„Man nennt sie Vigils, die Wächter. Unsere Kindermärchen und Legenden sind voll von ihnen. Ich denke, dir war das Glück beschert einem von ihnen zu begegnen.“
Sie wartete bis er wieder heruntergestiegen war, schaute ihn erwartungsvoll an und sagte:
„Auch ich habe viele dieser Geschichten meinen Kindern erzählt, als sie noch klein waren. Aber Arthol, es sind Geschichten, oder?“ Entspannt ließ sich der Kreisführer in einen der tiefen Sessel fallen und faltete die Hände in den Schoß. Er wartete bis die Magierin ebenfalls Platz genommen hatte.
„Du musst mir ein Versprechen geben Ineana.“
„Welches?“
„Du darfst niemandem von unserem Gespräch erzählen. Nichts von dem, was ich dir nun an Wissen vermittle darf jemals an andere weitergegeben werden. Ich kenne dich schon so lange und deswegen weiß ich, dass ich dir vertrauen kann. Was ich dir jetzt erzähle, darf normalerweise nur von Kreisführer zu Kreisführer weitergegeben werden.“ Neugierig nickte sie und der Kreisführer lehnte sich gemütlich zurück.
„Die Wächter existieren offiziell nur in Legenden. Kaum einer hat jemals einen gesehen. Sie sind die Hüter der vier Elemente. Feuer – Erde – Wasser – Luft. Man sagt, das Leben selber sandte sie aus, um das Gleichgewicht unseres Seins in der Waage zu halten. Ohne sie gäbe es keine Magie. Sie leben zwischen den Grenzen der Welten. Ihr Wissen ist so alt wie das Leben selber. Es wird erzählt, dass die Begründer der Kreise, die Brüder Parou und Locan Beries, einen Eid gegenüber den Vigils abgelegt haben, als die Magier um die Macht kämpften und die Menschen, die Schutz in unserer Welt suchten, niedermetzelten.“
Ihre Augen wurden groß wie die eines Kindes.
„Du meinst, dass es Wächter waren, die uns begegnet sind?“
„Trugen beide diesen Mantel?“
Sie verneinte. „Der andere war definitiv jünger und ich hatte das Gefühl er mache sich lustig über den, der ins Wasser gefallen war.“ Arthol schmunzelte. „Ich denke es waren Schüler und Meister. Ein Vigil und sein Tesoré.“ Kurz dachte sie nach.
„Das erklärt mir aber nicht, warum du so besorgt warst.“ Nun beugte er sich etwas vor, sein Blick nahm etwas Ernstes an. Er stütze die Ellbogen auf seinen Knien ab und legte den Kopf auf die Hände.
„Du weißt aus dem Geschichtsunterricht, wie schwer der Weg war, den die Länder gingen, ehe die zwei Kreise, wie du sie Heute kennst, Frieden verbreiteten. Dort wird jedoch nicht erzählt, dass es diesen Eid damals wirklich gab. Aufgrund des Machtmissbrauchs der Magier hatte die Natur begonnen sich gegen die alte Welt zu stellen. Hungersnot, Krankheiten, all dies hätte dafür gesorgt, dass es uns heute nicht mehr gibt. Locan war immer schon ein gutherziger Mensch und er flehte den Kreislauf an, ihnen noch eine Chance zu geben. Die Wächter der vier Elemente erhörten seine Bitte und da sie selber, gegen ihre eigenen Gesetze, sich in das Leben einmischten, nahmen sie ihm das Versprechen ab, dass die Magie niemals mehr der eigenen Habsucht wegen eingesetzt werden durfte.“ Ineana lauschte gespannt seinen Worten.
„Und sie machten die Vernichtung der alten Welt rückgängig?“
„Sie selber konnten das nicht, Ineana, sie sind die vier Elemente, doch sie kennen Mitgefühl. Als sie sahen, wie die Natur missbraucht wurde, schlossen sie sich zusammen und sandten die Macht der Elemente aus, um jenen Wächter zu rufen, vor dem wir uns selbst in den alten Legenden fürchten.“ Er schaute sie nun sehr ernst an.
„Du weißt, alles hat zwei Seiten, Ineana. Tag und Nacht, Sonne und Mond, Gut und Böse. Und doch ist alles ein und dasselbe.“ Wieder nickte sie eifrig. Natürlich wusste sie das, man lehrte es die Schüler jeden Tag. Arthol fuhr fort: „Es heißt, jede Ära findet einmal sein Ende, um den Weg freizugeben für eine neue. Dann und nur dann taucht der erste Wächter in dieser Welt auf, er trägt den mächtigsten Stab der Magie, eben jener Ecares Vigil, der Mittelpunkt der Elemente. Sein Erscheinen verkündet das Ende einer ganzen Welt. Die ganz Alten nennen jene Verbindung des Wächters das Tribunal, das Dreigestirn aus Leben, Tod und ihrem ersten Wächter. Er versteht Gefühle nicht, unterscheidet nicht in Gut und Böse. Er versteht nicht, wenn wir von Liebe oder Leid sprechen. Niemand ist ihm je begegnet und ehrlich gesagt möchte das auch keiner.
Die vier Wächter zogen damals die Elemente zusammen, um diese Macht der Waage zu nutzen, denn sie fürchteten mehr die Zerstörung, den die Magier verursachten, als die eigene Strafe durch Leben und Tod, indem sie in den Kreislauf eingriffen. Der Ecares Vigil vereinigt die Elemente. Er ist sie, sie sind er. Da er Fragen nicht versteht, handelte er, als die Vernichtung begann und ebenso als sie zurückgerufen wurde. Niemand weiß, ob die vier Wächter wirklich eine Strafe erhielten, doch ist eines sicher, irgendwann wird der erste Wächter erscheinen, weil die Ewigkeit selbst ihn aussenden wird. Irgendwann muss jeder gehen.“ Ineana holte tief Luft.
„Und du meinst, dass ich einem von ihnen begegnet bin?“ Ihre Stimme war kaum mehr ein Flüstern und doch war sie aufgeregt wie ein Kind. Arthol erhob sich wieder. „Aé, das denke ich. Deine Beschreibung des Mantels hat mich sofort daran denken lassen. Was meinst du, wem der Mantel des Kreisführers damals nachempfunden wurde und an jeden Nachfolger weitergegeben wird. Eine Erinnerung an das Versprechen, dass wir niemals wieder so egoistisch handeln.“ Er berührte kurz ihren Kopf. „Ich denke, du solltest heute Nachmittag ruhig nach Hause gehen, wir können den Rest morgen erledigen. Ich sehe, dass du viel zu aufgewühlt bist, aber …“
Und er setzte mahnend hinzu, obwohl er wusste, dass er sich bei ihr keine Gedanken machen brauchte: „Denk an dein Versprechen.“
Ineana genoss den Tag mit ihrer Familie. Schon bald würde ihr Sohn wieder nach Natriell reisen, um dort seine Ausbildung abzuschließen, und ihre Tochter würde wieder zu ihrem Ausbilder Nemereth zurückkehren, um eines Tages wie sie als Priesterin dem Kreisführer zu dienen.
Doch egal was Ineana tat, sie konnte diese Augen einfach nicht vergessen.
In der Nacht stand Ineana ein Stück vom Haus entfernt und blickte in die Ferne. Der Himmel war sternenübersät. Ein Stück weiter leuchtete zwischen den Bäumen das Wasser vom See im silbernen Mondlicht. Sie zog das Tuch enger um die Schultern, als sich zwei Hände darauflegten.
„Willst du nicht schlafen kommen?“ Sie lächelte ihren Mann von der Seite liebevoll an.
„Gleich, zu viele Gedanken beschäftigen mich. Ich werde noch etwas spazieren gehen und dann kommen.“ Bevorash betrachtete seine Frau, ehe er nickte und wieder im Haus verschwand.
Ineana dachte gar nicht darüber nach. Sicher führte sie ihr Weg wieder zum See. Sie tauchte unter einem herabhängenden Zweig hindurch und stand dann direkt am Wasser. Still war es und nur das leise Plätschern der Wellen, die sachte gegen das Ufer schlugen, konnte man hören. Manchmal raschelte es im Unterholz und von irgendwo erklang das Lied eines Nachtvogels.
Fast wie in einer Sage, einer Legende, dachte sie verträumt.
Noch einmal holte sie sich die Erinnerung des Morgens zurück und hielt sich dann an diesem Bild fest. Sie drückte die Faust fest gegen ihre Brust. Was war das für ein Gefühl? Seltsam warm. Sie musste etwas über sich selber schmunzeln. Fast wie ein kleines Mädchen, das zum ersten Mal Schmetterlinge im Bauch hatte. Wie töricht. Doch ja, sie musste sich eingestehen, sie hatte sich in diese Augen verliebt.
Der Wind wehte ihr dunkles Haar zur Seite. Streichelte fast schon sanft ihr Gesicht. Sie würde ihn gerne noch einmal sehen. Doch ihr war klar, dass es nur Wunschdenken war. Nun, Träumen durfte man, sie war schließlich eine verheiratete Frau, die zwei erwachsene, gesunde Kinder hatte, aber war es verboten manchmal wie ein kleines Mädchen zu denken? Nein.
Sie machte die Augen ganz zu, drückte beide Hände fest an sich und ließ ihren Geist in die Ströme des Wassers und des Windes eintauchen. Wärme … am Rande ihres Denkens konnte sie ein Streifen erhaschen. Ineana lächelte und seufzte leise.
Auf dem Felsen leuchtete es auf und mit dem Wind wurde der weiße Mantel etwas zur Seite geweht. Den Kopf stolz erhoben betrachteten jene goldfarbenen Augen die Frau am Ufer unter sich. In der linken Hand hielt er einen Stab, an dessen Spitze ein mattes Licht glomm.
Gerade streckte die Magierin beide Hände von sich, legte den Kopf weit in den Nacken und wie der Wind nun ihr Kleid zurückwehte, lachte sie laut und glücklich auf. Ein für ihn unverständliches Bild. Was tat sie da? Etwas hatte ihn gerufen, eine Stimme, ganz sacht und vorsichtig, und als er den Strömen folgte, war er überrascht jene Frau wiederzusehen, die ihn am Morgen so seltsam angeschaut hatte. Er legte den Kopf zur Seite und tauchte für Sekunden in ihren Geist ein. Was er fand, kannte er nicht.
In diesem Moment hob sie den Kopf und in einem letzten Aufleuchten verschwand der Wächter wieder. Ineana blickte zum Felsen hinauf. Da war etwas gewesen, weit weg, etwas Fremdes, doch nun war es wieder fort.
„Warst du das?“, flüsterte sie leise.
Die nächsten zwei Tage hatte sie so viel zu tun, dass sie keine Zeit fand abends noch an den See zu gehen, auch wenn ihr Innerstes sich danach sehnte. Sie musste immer wieder an jene Augen denken, was ihr in mancher Stunde mit ihrem Mann peinlich war.
Erst in der Nacht vor den Sonnenfeuern schaffte sie es, sich für wenige Stunden vom ganzen Stress abzusetzen. Ihr Ziel war der See.
Sie verharrte schweigend am Ufer, sandte immer wieder ihre Gedanken hinaus. „Ich gehe nicht eher, bis ich dich wiedersehe, Vigil“, flüsterte sie bestimmt und legte den Wunsch und all ihre Energien in die Ströme der Elemente.
„Was ist es, dass deinen Wunsch so sehr nach mir rufen lässt, Magicera?“ Ineana wirbelte bei der tiefen Stimme fassungslos herum.
Da stand er, direkt vor ihr.
Die Schultern zurückgezogen, etwas zur Seite gedreht, im Blick etwas Abweisendes. Hastig legte sie die Hände übereinander und verbeugte sich.
„Ich danke euch Vigil, dass ihr meinem Ruf gefolgt seid.“ Die Priesterin konnte ihr Glück nicht fassen, hatte sie ihn wirklich rufen können?
„Euer Ruf?“ Er sprach mit einem intensiven, schweren Akzent, dass sie genau hinhören musste, um ihn zu verstehen. Als sie nichts weiter sagte, drehte er sich plötzlich um und wollte scheinbar wieder gehen. Ineana erkannte es, eilte zu ihm und erfasste seinen linken Arm. Augenblicklich blieb er stehen und drehte sich langsam wieder zu ihr. In seinen Augen lag etwas Kaltes und ihr Fehler wurde ihr bewusst, als er mit einer rüden Bewegung ihre Hand abschüttelte.
Was tat sie hier? Er war ein Wächter, eines der ältesten und weisesten Wesen der alten Welt und sie schaffte es nicht einmal geringförmige Achtungsregeln einzuhalten.
Sie trat einen Schritt zurück. „Verzeiht mir!“, flüsterte Ineana und blickte zu Boden. Der Wächter zögerte. Was gab er sich mit einer Magierin ab? Sein eigentlicher Weg lag im Verborgenen.
Das Schweigen wurde langsam erdrückend. „Was wünscht ihr, Magicera?“ Seine Stimme nahm jetzt etwas Ruhiges an und sie wagte wieder aufzusehen.
„Ich wollte, ich habe ... „, stammelte sie.
Ja was wollte sie eigentlich? Es war ein Wunsch gewesen, von dem man doch wusste, dass er niemals in Erfüllung gehen würde. Sie betrachtete den Mantel eingehender, musste an die Worte von Arthol denken. „Sie sind die Wächter der Elemente.“ Niemals begegnete man ihnen, es sei denn eine Änderung stand bevor. Nein, er war nicht ganz so wie auf der Zeichnung, doch die Abweichungen waren nur minimal.
„Darf ich euch eine Frage stellen?“
Er gab keine Antwort, aber ging auch nicht. Also sammelte sie all ihren Mut:
„Seid ihr erschienen, weil es Zeit für das Ende unserer Welt ist?“
„Es gibt Dinge, die einer Antwort nicht bedürfen, denn ist es besser im Unwissen zu ruhen.“
Etwas Überhebliches lag in seiner Stimme, was Ineana sofort auf Abwehr gehen ließ. Jedenfalls glaubte sie das, denn sie war noch niemals einem Wächter begegnet. Wie also sollte sie wissen, dass er nicht mit Emotionen sprach, sondern stets mit Wissen und Stolz der alten Magie? Dass Gefühle für ihn fremd waren und er keinen Unterschied in Gut und Böse kannte?
Dies wusste sie nicht und deswegen war ihre Reaktion normal. Die Priesterin ballte die Hände zu Fäusten und funkelte ihn plötzlich böse an.
„Wenn unsere Tage gezählt sind, dann würde ich schon gerne wissen, ob es das letzte Sonnenfeuer ist, das ich erleben werde, und wie lange ich noch ein Teil meiner Familie bin.“
Nun drehte er sich ganz ihr zu. Sie konnte sehen, wie er eine Augenbraue nach oben zog und sie eingehend musterte.
„Familie?“ Die Überraschung war ihr deutlich anzusehen.
„Ja, meine Familie, meine Kinder, mein Mann. Sie, mit denen ich mein Leben teile, mit denen ich lache und weine, eben das Leben sehe.“
„Magicera ...“
„Mein Name ist Ineana“, brauste sie auf.
Er konnte mit ihrer Reaktion nicht viel anfangen und langsam begriff sie, dass er nicht verstand, wenn sie ihre Sätze mit einer solchen Menge an Gefühlen ausdrückte.
„Habt ihr keine Familie?“ Ihre Frage klang nunmehr kindlich. Irgendwo erklang Froschgesang in der Nacht. Sie sah, dass er nachdachte und ließ ihm Zeit.
„Ihr sprecht vom Leben ... Ineana“, setzte er zögerlich hinzu. „Wie etwas, das ihr kennt. Ich verstehe nicht, wenn ihr von Familie sprecht.“
„Habt ihr denn keine Freunde?“ Nun kam sie sich schon etwas lächerlich vor.
„Freunde?“
Etwas Trauriges trat in ihre Augen. „Ihr wollt mir sagen, ihr kennt weder Freund noch Familie? Ihr müsst ein sehr einsames Leben führen. Vielleicht muss das so sein, denn sonst könntet ihr nicht Teil einer Zerstörung sein, die wir Leben nennen.“ Sie dachte, wie sollte er es auch verstehen, wenn die Vigils nicht an ihrer Art zu leben teilnahmen. Der Vigil antwortete darauf nicht mehr. Er blickte sie nur schweigend an, mit diesen unergründlich tiefen Augen.
„Ich würde es euch gerne zeigen, möchtet ihr nicht mit zum Sonnenfest gehen und erfahren, was Freunde sind, was Freude ist, damit ihr überhaupt versteht, wovon ich rede?“ Es war eine törichte Frage, dessen war sie sich bewusst. Warum sollte ein Wächter zu einem Fest gehen, nachdem sie Jahrhunderte lang eine Legende waren? Und ausgerechnet mit ihr? Sie war nur eine Priesterin, sonst nichts. Nach einigen Minuten verbeugte er sich leicht und verschwand augenblicklich in einem kurzen Licht, ehe Ineana noch reagieren konnte.
„War das jetzt ein Ja oder ein Nein?“, rief sie ihm nach, keine Ahnung ob er sie überhaupt noch hören konnte.
Als sie später neben ihrem Mann im Bett lag, dachte sie über die etwas einseitige Unterhaltung nach und kurz vor Morgengrauen fing sie leise an zu kichern. Sie hatte sich angestellt wie ein dummes Kind. Alles hätte sie ihn fragen können, nach dem Sinn des Lebens, nach der Entstehung und was tat sie? Sie fragte nach seinen Freunden und seiner Familie. Sie zog sich die Decke über den Kopf, damit ihr Mann nicht wach wurde. Es stand außer Frage, dass er einer der Wächter war, von dem Arthol gesprochen hatte. Alles an ihm war so anders, als das, was sie bisher je erlebte.
Der Nachmittag war schon spät und die Schatten standen tief. Ineana lief summend durch das Haus, während Jeras seiner Schwester Failess die Haare zusammenband.
„Ich habe das Gefühl, dass Mutter heute etwas seltsam ist.“ Failess blickte zu ihr hinüber.
„Ja, fast wie ein kleines Mädchen. Ich denke, sie freut sich einfach auf das Fest, denn es ist das erste, für das sie alle Vorbereitungen geführt hat.“ Ihr Bruder nickte. Failess band die kleinen Glöckchen um ihre Fußgelenke und kurz darauf machten sie sich auf den Weg zu den Schulgebäuden Liyiells.
Mit lautem Gesang und Gelächter unter einem sternenklaren Himmel wurde die Sommersonnenwende gefeiert. Der Wein floss in Strömen und alle tanzten um die Feuer, deren Funken weit in die Nacht stoben. Ineana tanzte mit ihrer Tochter inmitten einer der Ringe, doch sie tat dies schon viel zu lang zu den lauten Trommelschlägen.
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