Schattenpfade - Teil 2 von 2 - C.S. Steinberg - E-Book

Schattenpfade - Teil 2 von 2 E-Book

C.S. Steinberg

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Beschreibung

Schattenpfade – Teil 2 von 2 "Es ist immer eine Frage der Perspektive, wer das Monster in einer Geschichte ist." Das Finale der schattenhaften Vorgeschichte: Im zweiten und letzten Band des Fantasyepos "Schattenpfade – Im Zeichen des Vigil" wird Savinama Merat mit den Abgründen des eigenen Ichs konfrontiert: Viele Jahre sind vergangen, seit Savinama in die Fänge des mächtigen Stadthalters und Schattenmagiers Solvat Lepove geriet und zu dessen Gefolgsmann wurde. Von allen gehasst, lautet sein Auftrag: Die Vigils, die Hüter der Alten Welt, zu finden und gefangenzunehmen. Während der Krieg mit den Rebellen unaufhaltsam näher rückt, treffen die vier Wächter eine Entscheidung, die alles verändert. Die Elemente schweigen, und die Hoffnung auf Frieden droht zu zerbrechen. Inmitten dieser chaotischen Zeiten steht Savinama vor der größten Herausforderung seines Lebens: Zu erkennen, wer er ist und der Entscheidung, wer er sein will. Nuavera Es ist an der Zeit!

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Seitenzahl: 567

Veröffentlichungsjahr: 2025

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C.S. Steinberg

Schattenpfade

Im Zeichen des Vigil

Teil 2 von 2

Fantasy-Roman

eISBN 978-3-911008-23-5

Copyright © 2025

mainbook Verlag

Sophienstraße 77

60487 Frankfurt

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Coverrechte: C.S. Steinberg

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher:

www.mainbook.de

Inhalt

Die Alte Welt

Die Charaktere

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

31.

32.

33.

34.

35.

Epilog

Die Autorin

Geb. 1977 in Deutschland, schrieb C.S. Steinberg mit 12 ihr erstes Buch, einen Jugend-Liebesroman. Mit 18 Jahren folgte ihr erster Fantasy-Roman mit dem Titel „The last Thoughts“. Beide hat sie bis heute keinem Verlag vorgelegt.

2013 wird der mainbook Verlag auf die Autorin aufmerksam und die Fantasy-Saga „Magie der Schatten“ erscheint mit Band 1 „Barshim und Cashimaé“ (2014), Band 2 „Feuerspuren im Eis“ (2017) und Band 3 „Am Ende der Zeit“ (2019).

Nach „Schattenpfade – Im Zeichen des Vigil“ Band 1 im Jahre 2021 legt C.S. Steinberg mit Band 2 im Jahre 2025 den Abschluss der Dilogie vor.

Neben dem Schreiben und der Familie beschäftigt sich die Autorin mit Fotografie, Kunst und Musik.

*

Widmung

Dieses Buch widme ich meinem Sohn.

Mit deiner Leichtigkeit hast du mich an Dinge erinnert, die ich mit dem Erwachsenwerden vergessen hatte.

Mich daran erinnert, wie wichtig es ist, den Mut zu finden, auch die eigene Vergangenheit zu betrachten, um dann mit ihr in den Frieden zu gehen.

Du hast mir gezeigt, wie wertvoll ein Lächeln ist.

Ich danke dir, für jeden Tag, wo du da bist.

Wo ich dich erleben darf, mit dir wachsen.

Dass wir miteinander lernen dürfen.

Ich danke dir, dass du bist.

*

„Mit dem Herzen zu sehen, erübrigt die Frage nach Frieden.“

Die Alte Welt

Die Alte Welt besteht aus zwei „Ländern“ (Liyiell und Natriell).

Die Bewohner leben in einfachsten Verhältnissen, ähnlich dem Mittelalter.

Sprache: Eigene Sprache

Aussprache: Die Alte Sprache wird gesprochen, wie geschrieben. ä/ ö/ ü existiert nicht.

Beispiel:

magic - magik

magico - magiko

Bezahlung: Der Handel beruht auf dem Austausch von Waren. Geld gibt es kleine Mengen und ist nur ein Äquivalent, wenn das Lagern von Gegenständen/Waren nicht sinnvoll oder nötig ist.

Die Bewohner:

Charfea (gesprochen Scharfe - a): Urvolk der Alten Welt. Sie leben im Einklang mit der Natur und sehen den wahren inneren Charakter einer Person.

Das Alte Volk hält sich vorzugsweise von den Magiern fern und siedelt in den wenig erschlossenen Teilen von Natriell.

Magier (betrifft fast alle Bewohner der Alten Welt): Bereits bei der Geburt verbindet sich das Kind mit einem Naturelement, solange das bewusste Denken noch nicht einsetzt.

Magie wird über die eigenen Körperenergien umgesetzt. Je kräftiger eine Person ist, desto intensiver kann die Begabung umgesetzt werden.

Bann der Zeit: Die Körperenergien können zur Gesundung des Körpers genutzt werden. Ebenso können sie das Altern des Körpers verlangsamen. Eine Umkehr (Verjüngungsprozess) ist nicht möglich.

Kopfblinde - Caraser: (Aussprache - Kara-ßer): Das sind alle Personen, die keine Verbindung zu einem der Elemente haben. Ihre Nähe empfinden Magier als störend aufgrund der Leere im Geiste. Magier sehen sie als minderwertig.

Vigil (Übersetzung - Wächter - Aussprache ähnlich dem Englischen „Virgil“ - nur statt ö ein i)

Es gibt vier von ihnen, einen für jedes Element. Sie sehen sich als Wächter / Waage der Elemente. Jeder Wächter besitzt besonders starke, magische Kräfte, die seinem Element entsprechen.

Die Länder:

Liyiell: Die meisten Bewohner der Alten Welt leben auf Liyiell. Es existieren diverse kleine Ortschaften über das ganze Land verteilt.

An der nordwestlichen Küste befindet sich die Hauptstadt – Dáima.

Dáima ist eine Hafenstadt und hat über die Schifffahrt Verbindung zu Natriell.

Natriell:

Natriell ist kaum erschlossen.

Im südwestlichen Teil entsteht die Hafenstadt Darabor (später Comoérta).

Politik:

Eine einheitliche Regierungsform und allgemeingültige Politik sind bisher nicht existent.

Auf Liyiell verwalten sich die kleinen Dörfer abseits von Dáima selbst.

Die Hafenstadt Dáima wird vom „Stadthalter“ (eigene Bezeichnung) diktatorisch geführt.

Seine Verwaltungsstruktur macht Dáima zum Zentrum und kontrolliert jeden Handelsweg.

Natriell organisiert sich in weiten Teilen selbst.

Ausgenommen die entstehende Hafenstadt Darabor, die einzige Handelsverbindung zu Liyiell. Den Aufbau der Stadt überwacht ein vom Stadthalter aus Dáima eingesetzter Verwalter.

Gegenspieler - die Rebellen: Sie agieren auf Liyiell. Ihr Ziel ist der Aufbau einer Demokratie.

Die Charaktere

Savinama Merat: Hauptcharakter der Geschichte. Elementar- und Schattenmagier. Hafenaufseher von Dáima. Handlanger von Solvat.

Mirame & Luter Merat: Eltern von Savinama (Vater verstorben)

Curat Merat: Bruder von Luter Merat

Siriame: Marassé aus Dáima (Marassé – Edelhure mit besonderer Ausbildung). Geliebte von Savinama. Zu den Rebellen geflohen.

Parou Persue: Anführer der Rebellen

Locan Persue: Bruder von Parou

Market Shorbes (später Shorbo): Rechte Hand und Begleiter von Parou. Vigil – Element: Luft

Solvat Lepove: Stadthalter von Dáima

Tessec: Rechte Hand vom Stadthalter

Laver: Ehemaliger Aufseher über den Hafen von Dáima

Gervan: Heiler und Vigil – Element: Erde

Valoria: Vigil – Element: Feuer

Riémm: Halbelf. Vigil – Element: Wasser

Was bisher geschah:

Savinama Merat wächst in Saantes ohne Magie und Freunde auf. Ein Sturz von den Klippen aktiviert seine Verbindung zu den Elementen. Außer ihm sieht niemand das Mädchen, das ihn von da an begleitet. Für den Jungen ist sie die Verkörperung der Natur. Er erzählt Erea davon. Sie missbraucht sein Vertrauen.

Bei einem Überfall auf das Dorf kommt sein Vater Luter Merat ums Leben. Savinama gibt sich die Schuld und lernt, dass Emotionen seine Fähigkeiten negativ beeinflussen. Seine Gabe ist für ihn ein Fluch.

Mit Ende 20 trifft er auf Siriame, eine Marassé aus Dáima. Nach einer ausgiebigen Nacht und dem Konsum von Gardanbeeren bemerkt er, dass die Droge seine Magie unterdrückt. Er wird abhängig.

Seine Mutter Mirame schafft es nicht, den Absturz ihres Sohnes zu verhindern. Sie schickt ihn mit Parou Persue, dem Anführer der Rebellen, und dem Vigil Market Shorbes auf die Reise. Mit der Hoffnung, dass er seinen Weg findet.

Ein Angriff trennt ihn von der Gruppe.

Savinama landet in der Hafenstadt Dáima, wo er neuerlich Siriame begegnet.

Er fängt gegen ihren Rat bei den Schiffbauern am Kai an und unterschreibt einen Vertrag, der ihn auf Lebenszeit an den Stadthalter, Solvat Lepove, bindet. Er hält sich nicht an das Abkommen und lernt die Schattenseiten seines neuen Lebens kennen. Ungewollt erregt er die Aufmerksamkeit des Anführers. Bei einem Zweikampf stirbt sein Freund Naiden. Savinama rebelliert. Der Tod eines Kindes ist die Folge. Durch Laela, einer Beauftragten des Stadthalters, nimmt seine Abhängigkeit ein neues Ausmaß an. Sein Leben gerät endgültig aus dem Ruder. Er schwankt zwischen Hass und der Liebe zu Siriame, die er aufgrund des Vertrages von sich stößt. Betrug, Enttäuschung, Selbstzweifel, Erpressung und die Spiele des Schattenmagiers Solvat zwingen Savinama die Position des Hafenaufsehers auf. Jeden Tag Verzug in der Produktion zahlt er mit Schmerzen, psychisch wie physisch. Es macht ihn endgültig zum Außenseiter. Weder der Vigil Gervan, der vor seiner Vergangenheit geflüchtet am Strand lebt, noch die Charfea Lassara schaffen es, ihn zu ermutigen, aus dem Kreislauf auszubrechen.

Zu spät begreift Savinama, dass Solvat auf mehr aus ist, als den Stolz des Magiers zu brechen.

Er zieht ihn in die Schatten ....

Nuavera

*

„Weißt du, wie es ist, die Furcht vor der Angst zu verlieren?

Hast du den Übergang von Furcht zu wirklicher Angst erlebt?

Ich kenne ihn.

Kenne ihn in- und auswendig.

Du merkst mit der Zeit, dass dieser Übergang größer wird.

Du hast seltener Angst.

Die Furcht nimmt die Angst und fängt an sie in etwas Harmloses zu verwandeln.

In etwas, das gegebenenfalls nochmals Furcht erzeugt.

Und irgendwann drehst du dich um ...

Schaust dir die Angst an, und lachst.

Du lachst, weil sie dich nicht mehr berührt.

Und soll ich dir sagen, was das Abstrakte an der Situation ist?

Du fängst an, dieses Gefühl zu vermissen.“

(Savinama Merat)

*

1.

Ein verendetes Schwein lag unter der Deichsel eines verwaisten Karrens. Qualm waberte über die aufgewühlten Wege, zog vorbei an zerbrochenem Handwerksmaterial, zertrümmerten Kisten und Fässern. Kleidung und Gegenstände lieblos aus den Stuben geworfen und von den Flammen angenagt.

Gänse flatterten zwischen ihnen hindurch. Sie flüchteten vor dem Feuer und den zerschmetterten Körpern, die aus glasigen Augen das Blau des Himmels nicht mehr wahrnahmen. Rötliche Lebensreste, die im ausgedörrten Erdreich versickerten und letzte Atemzüge, die mit den Funken in der Luft zerstoben.

In den Lärm eines zusammenbrechenden Lagerraumes mischte sich leises Wimmern und Schluchzen.

Wenige Meter entfernt standen aufgereiht die letzten hundert Überlebenden des Dorfes. Die Gewänder mit Ruß und Blut besudelt, die Gesichter gezeichnet von Verletzungen, Furcht und Tränen. Frauen, Männer, Jung und Alt. Kinder auf der Suche nach Schutz klammerten sich an die Röcke der Mütter. Der Heimat beraubt, Familienmitglieder und Freunde genommen.

Auf einer Erhebung harrten vierzig berittene Krieger aus. Mit Schwertern und Bögen bewaffnet.

Wie ein Orkan waren sie durch das Dorf gefegt und hatten Verwüstung und Tod hinterlassen.

Am Ufer des nahegelegenen Sees labte sich in der morgendlichen Hitze ein einzelnes Pferd am kühlen Nass. Sein Reiter nahm die Zügel auf. Mit einem Schnauben wendete das Tier. Savinama dirigierte es im gemächlichen Tempo auf die Dorfbewohner zu. An seinen Unterarmen Lederschienen mit dem eingestanzten Symbol eines Greifvogels. Das Haar aus der Stirn zurückgebunden, fiel bis über die Schultern. Die ergrauten Schläfen hoben sich vom Braun ab. Die Gesichtszüge bedeckt von einem kurzen gepflegten Bart, der ebenfalls erste Schattierungen aufwies. Ein dunkelbrauner Mantel, die Säume mit dezenten Stickereien versehen, ruhte auf den Schultern und breitete sich über die Kruppe des Tieres aus. Er ließ den Blick auf das blaue Band am Griff des Schwertes frei.

Die Waffe eines Anführers.

Vor der Gruppe angekommen lenkten die in Leder gehüllten Hände das Pferd nach links. Seine schwarzen Augen betrachteten die Reihe ängstlicher Gesichter.

Aus der Mitte wagte ein alter Mann sich dem Ross in den Weg zu stellen.

„Bitte Herr“, flehte er mit wässrigem Blick und brüchiger Stimme. Runzlige Finger fassten in den silberbeschlagenen Zaum. Aschfarbenes Haar umrahmte die eingefallenen Wangen. „Wir sind gewöhnliche Bauern, keine Rebellen.“

Savinamas Miene blieb ausdruckslos. Die Absätze der Stiefel drückten sich an den Leib des Hengstes. Unwillig schlug das Tier mit dem Kopf, entriss den dürren Fingern das Leder und bewegte sich drei Schritte zurück. Weg von dem nach Alter und Verwesung stinkenden Mann.

Die Gefangenen starrten ihn an. Verachtend, gepaart mit Hass und dem süßlichen Geruch aus Angst und Verzweiflung. Gewürzt mit einem Hauch von Hoffnung, die das Handeln des Gebrechlichen hervorbrachte.

„Wählt zwei aus“, sprach der Magier über den Alten hinweg.

„Aber ... Herr?“

„Zwei.“ Kein Spielraum für Diskussionen.

Die Zügel kamen auf dem Widerrist des Tieres zum Liegen. Savinama zog den Fuß aus dem Steigbügel und legte ihn auf dem Sattel ab. Die Hand wanderte in die Tasche am Gürtel, holte die Pfeife hervor, füllte den Kopf, entzündete den Inhalt und blies den Rauch aus.

Die Lippen des Alten öffneten sich. Verwirrt wandte er sich an die Dorfbewohner. Sie drängten zusammen.

Den linken Ellbogen gelassen auf dem höher liegenden Bein gestützt, hob der Magier die rechte Hand. Oberhalb der Schulter, nach hinten sichtbar, richtete er den Zeigefinger in die Luft. Die Krieger beförderten die Bögen von ihren Rücken, Pfeile aus den Köchern und spannten die Sehnen.

Panische Rufe.

Gleich einem aufgeschreckten Hühnerhaufen kehrten die Anwohner auf ihre vorherigen Positionen zurück. Verzweifelt wandte sich der Alte an den Magier. „Aber Herr, wir müssen darüber ...“

Savinama untermalte seine Ansage und fügte dem erhobenen Finger den Daumen hinzu.

Die runzligen Hände schlossen und öffneten sich hilflos. Der Greis humpelte zu einer Frau. Gleichsam eingefallen, vermutete Savinama, dass es sich um seine Partnerin handelte.

Die Bucklige besaß kaum Zähne im Maul. Graues Haar, Flecken auf der Haut, von Furchen und Falten übersät. Dürre Knochen, die sich durch das Leinen abzeichneten. Ihre Finger vergleichbar mit zerbrechlichen Spinnenbeinen. Alte, zu nichts mehr tauglich, außer Kindern stumpfsinnige Geschichten zu erzählen.

Wenn er den Bann der Zeit weiterhin nicht ablegte, wie lang würde es dauern, bis sein Körper gleichsam zerfiel? Verlebt und verbraucht, Alltägliches eine Last.

Eine Falte bildete sich auf seiner Stirn. Würde er in einem Dorf, weitab der Stadt, auf das Ende warten? Auf sein Leben zurückblicken, derweil sich am staubigen Marktplatz die Kleinsten zu ihm gesellten, um den Abenteuern vergangener Zeiten zu lauschen? Er besaß mit seinen sechsundvierzig Jahren eine Menge abendfüllender Erzählungen, die ohne Frage nicht für geruhsamen Schlaf sorgten.

Seine Mundwinkel zuckten bei der Vorstellung.

„Wir melden uns freiwillig.“

Aus den Gedanken gerissen, ließ Savinama den Blick auf die Pfeife wandern. Er klopfte die verglühten Reste am Stiefelabsatz aus und platzierte das Utensil in der Tasche.

Der Fuß kehrte in den Steigbügel zurück.

Das Paar war vor den Rappen getreten. Die Finger ineinander gekrallt, stellten sie sich mit einem Trotz, der amüsierte. Zwei klapprige Alte, in der Front für alle.

Der Magier hob die Hand. Mit Zeige- und Mittelfinger wies er zum Himmel, schwenkte nach links und rechts. Eine unweigerliche Erkenntnis breitete sich in ihm aus.

Im Grunde waren seine Gedankengänge zum Verfall des eigenen Körpers verschwendete Zeit. Er würde nie so alt werden. Er war vor neun Jahren in der Halle von Solvat gestorben.

Geräusche hinter ihm.

Aufgeregtes Raunen vor ihm.

Er kannte den Ursprung des Unglaubens und der daraus resultierenden Angst, die sich in den Gesichtern und Reaktionen der Dorfbewohner spiegelten.

Die Laute vorschnellender Sehnen ertönten, gefolgt von einem Surren. Ein Schatten formierte sich am Himmel. Er vermittelte den Eindruck eines Greifvogels, der die Flügel ausbreitete, die Beute im Visier. Die Streiter legten in altgedienter Erfahrung des Krieges nach. Dem ersten Schwarm folgte ein zweiter und dritter. Der Tod war gnadenlos und stürzte sich mit zischendem Geräusch herab. Kein Fuß, der sich in den Boden drückte, keine hilflos hochgerissenen Hände, die im sinnlosen Unterfangen Haut mit Haut vor den Geschossen zu schützen suchten, besaßen eine Chance.

Ein Pfeil pfiff am Ohr des Pferdes vorbei, ein weiterer verfehlte Savinama um Haaresbreite. Mit eisernen Zügeln hielt er das Tier an Ort und Stelle. Seine schwarzen Augen richteten sich ausschließlich auf den Greis und dessen Reaktion.

„Naé“, gellte das Heulen des Alten hervor. Wechselte der Trotz in Erkenntnis, in Schock. Das Aufschlagen der Spitzen auf Körper und Knochen tönte teilweise wie ein Pfropfen, der in einen Weinschlauch gedrückt wurde. Es verband sich zu einer Melodie aus Schmerz, die auf ihrem Höhepunkt vom Krächzen brechender Stimmen abgelöst wurde. Der Stolz, mit dem sich das Paar entgegenstellte, fortgeschwemmt.

Bis sie kam, die Stille.

Das Pferd schnaubte, der Magier schaute zu Boden. Er verlagerte das Gewicht und stieg ab. Er zog den Pfeil aus dem Erdreich, schenkte den beiden Alten eine dezente Verbeugung und wandte ihnen und dem Feld aus Toten den Rücken zu.

Im gemächlichen Tempo kehrten Hengst und Reiter zu den Kriegern zurück.

Tessec thronte auf seinem Pferd, die Gedanken getarnt hinter einer Maske aus Gleichgültigkeit. Ihr Anführer hielt neben ihm.

„Non ver, warum?“, fragte Solvats Handlanger beiläufig.

Savinamas Aufmerksamkeit galt dem Pfeil in der linken Hand. Der Zeigefinger strich die Spitze entlang. „Wem gehört der?“ Seine Stimme laut genug, dass alle ihn hörten.

Verunsichert sahen sich die Kämpfer untereinander an. Der zur Rechten rutschte auf seinem Tier hin und her. „Ich glaube ... es könnte ... es ist meiner.“

„Sué.“ Savinama tauschte Pfeil und Zügel, schenkte den Toten hinter sich einen letzten Blick. Im Umdrehen holte er aus und rammte die tödliche Waffe in die Stirn des Sprechers. „Was wollt ihr mit denen? Mitnehmen? Durchfüttern? Es sind zwei übrig, lasst euch nicht aufhalten.“

Der Kämpfer rutschte aus dem Sattel und schlug auf den Boden.

Tessecs Brauen bewegten sich in die Höhe. „Was ist, wenn es nicht seiner war?“

Savinama wendete das Pferd. „Dann hätte er besser geschwiegen. Wir kehren nach Dáima zurück. Füllt die Schläuche am See. Den Rest lasst liegen. Wir sind keine Plünderer.“

2.

Savinama verstaute die Reithandschuhe im Bund seines Gürtels.

Von den Wänden des imposanten Gebäudes auf dem Hügel des Stadthalters erklangen Stimmen, vermischt mit Musik. Mit Wein und Essen bestückt, warteten dicht gedrängt die Anwesenden auf eine Audienz. Ein Haufen Arschkriecher, die sich die Beine in den Bauch standen, um für einen Augenblick die Füße des Stadthalters zu küssen.

Der Magier spürte die neidvollen Blicke, die ihm folgten, als er ohne Ankündigung durch die geöffneten Türen der Vorhalle den Arbeitsraum betrat. Ob sich einer dieser Maden vorstellen konnte, was ihn mit Solvat verband? Wäre es weiterhin Neid oder Mitleid, was er in ihren Augen vorfinden würde?

Vierzehn Schritte. Er blieb stehen und senkte den Kopf. Gedämpft klang die Stimme des Anführers herüber. Zu dezent, um einzelnen Wörtern einen Sinn zu geben. Wie bei jedem Besuch musterte Savinama den Boden. Er kannte den Verlauf der schwarzen Maserung im blutroten Marmor blind. Egal, wann er hierherkam, es war stets der gleiche Punkt, an dem er innehielt. Eine unausgesprochene Grenze. Sie hob ihn vom Rest des Pöbels ab, degradierte ausreichend, um die Rangordnung zum Stadthalter nicht infrage zu stellen.

Seine schwarzen Augen fixierten eine Linie vor sich. Wenn er den Fuß ein Stück vorschob, würde er diese Grenze überschreiten. Es gab keinen Zweifel, dass der kleinste Verstoß nicht unbemerkt bliebe. Wie würde Solvat reagieren?

Was brachte den Magier zu dieser Überlegung? Die Monotonie seines Daseins, das seit Jahren von einem einzigen Mann diktiert wurde?

Das Massaker unterhalb der Berge kam Savinama in den Sinn. Er rief sich die Details in Erinnerung. Es war der Anblick des Alten, der ihn dort fesselte. Der die Dunkelheit in ihm berührte, die seit dem Tag in der Halle ein Teil von ihm geworden war. Wenige Minuten von dem Moment, als er mit der Hand das Zeichen gab. Läppische Sekunden, bis sich die tödlichen Waffen in die Luft erhoben und jämmerliche Atemzüge, bis die Faszination, gleich der letzten Lebenszeichen der Bauern, in seiner Brust erlosch.

Hm, war es Langeweile?

Neben ihm verließen drei Händler den Raum.

Den Ablauf, bis der Stadthalter ihn rief, konnte der Magier im Schlaf beschreiben.

Der Anführer setzte sich, um eine begonnene Arbeit zu beenden. Sobald er zufrieden den Abschluss fand, räumte er die Dokumente zusammen, füllte einen Becher mit Wein und trank ihn bis zur Hälfte aus. Erst dann schenkte er dem Aufseher seine Aufmerksamkeit.

Savinama kannte die Geräusche zu diesem Ritual. Er spürte, wie sich die grauen Augen auf ihn hefteten. Trotz der Ruhe, die von dem Älteren ausging, empfand der Magier immerfort das Gefühl, zu seiner eigenen Hinrichtung eingeladen worden zu sein. Das Verworrene daran: Er folgte der Anweisung, wieder und wieder und wieder.

„Merat.“

Er setzte sich in Bewegung. Dreiundzwanzig Schritte bis zur Erhöhung. Eine ergebene Verbeugung. „Stadthalter.“

„Tretet näher.“

Erst jetzt hob er den Kopf. Solvat stand neben dem Tisch, den Becher in der Hand. Das Gewand aus dunkelblauem Leinen, an den Säumen dezente Stickereien. Darüber ein ärmelloser, schwarzer Mantel, der den Boden streifte. Das graue Haar zurückgekämmt, im Nacken zu einem dünnen Zopf geflochten, die Seiten kurz. Gepflegt und akkurat in Erscheinung und Auftreten.

Im Hintergrund verharrte Tessec. Gleich einem Pfeiler, der die Decke stützte. Trotz des eindrucksvollen Körperbaus des Kriegers war er ein Meister darin, ein Schatten zu sein.

„Ich habe euch früher erwartet.“ Solvat schwenkte den Becher und betrachtete den Inhalt.

„Ich habe Verpflichtungen, Stadthalter.“

„Verpflichtungen, aé, ich hörte davon. Sprecht!“

„Es gab keine Rebellen in den Dörfern unterhalb der Bergketten.“

Im Raum tönte das Surren einer Fliege. Savinama war sich im Klaren, dass Solvat detaillierte Erzählungen wünschte. Für ihn war es ein Spiel, den Hunger nach den gewünschten Informationen nicht zu stillen. Er beschränkte die Aussagen aufs Nötigste.

„Tessec berichtet, dass wir drei Lieferanten von Weizen und Mais verloren haben. Eine Gegebenheit, die mich nicht glücklich stimmt.“

Der Hafenaufseher zuckte die Schultern. „Ihr habt keine Auflistung zur Handhabung mitgegeben. Wenn es aber eurem Wunsch entspricht, werde ich beim nächsten Mal freundlich an die Türe klopfen und fragen, ob sich Rebellen im Dorf aufhalten.“

Mit einer schlichten Handbewegung winkte der Stadthalter Tessec hinaus und lehnte sich an den Tisch. Der Hüne verließ die Halle und zog die Flügeltüren hinter sich zu.

Das waren die Momente, die der Magier liebte und ihm ein angenehmes Prickeln verursachten. Wenn Solvat den Raum für Konversationen freigab, die keiner Achtsamkeit fremder Ohren unterlag.

„Verleiht euch diese Art ein Gefühl von Macht, Merat?“

Savinama versuchte nicht, das dezente Grinsen zu verbergen.

„Aé.“

Der Stadthalter trank einen neuerlichen Schluck. „Ihr tragt eine Menge unschuldiges Blut an den Händen.“

„Ich wüsste nicht, dass die euren geringfügiger besudelt sind.“ In dieser trauten Zweisamkeit verschwendete der Magier keinen Atemzug daran, ob Solvat seine Antwort als respektlos erachtete. Es war niemand da, vor dem er ihn bloßstellte. Eine Grenze, die selbst Savinama im Beisein von anderen wahrte. Warum eigentlich?

„Sterbende Kämpfer in einem Krieg sind nicht gleichzusetzen mit sinnlosem Gemetzel.“ Solvat beobachtete ihn, wie ein Falke seine Beute. „Ihr habt keine Magie angewendet.“

„Energieverschwendung.“

Das war es, worauf es hinauslief. Wen interessierten namenlose Bauern in den Weiten Liyiells? Er hatte den Stadthalter nicht teilhaben lassen. Ohne die Nutzung der Energieströme war Solvat ein Mann in Dáima, der keinen Einblick in das Handeln seines Aufsehers bekam.

Es war einer der Gründe, den Savinama nie aussprechen würde, warum er die Schatten in der Ebene nicht nutzte. Ein weiterer und vor allem der Wichtigere: Die Furcht, die letzten Emotionen würden in ihm verstummen, sollte er sie dauerhaft missbrauchen. Der einzige Funke, der ihm zeigte, am Leben zu sein.

Der Stadthalter ließ sich weiterhin keine übermäßige Reaktion entlocken. „Die Aktivitäten der Rebellen haben sich erhöht. Ich erwarte, dass ihr die Augen und Ohren in der Stadt offen haltet und mir bei jeglichen Unstimmigkeiten Bericht erstattet. Des Weiteren liegen mir Informationen vor, dass ihr euch kaum noch am Hafen blicken lasst und Laver jegliche Verantwortung über die Schiffbauer trägt.“

„Verzeiht, mir war nicht bewusst, dass ich noch Hafenaufseher bin. Ist schwierig zu händeln, wenn man dauernd irgendwelchen Hirngespinsten nachjagt.“

„Eure Aufgabe war es, die Aufenthaltsorte der Vigils ausfindig zu machen und nicht ein Blutbad zu hinterlassen.“ Ein Hauch von Missbilligung hallte in den Worten des Stadthalters nach.

„Einen habe ich gefunden. Soll ich ihn herschleifen?“

„Wo?“

„Hockt besoffen am Strand.“

Stille fraß sich in den Raum. Sekunden dehnten sich zur Unendlichkeit, bis Solvat an die Kante der Stufe trat. Er hob den Arm, der Inhalt des Bechers ergoss sich über Savinamas Kopf.

Mit undurchdringlicher Mimik sah er auf den Magier herab.

„Sollte es euch in irgendeiner Form Befriedigung verschaffen, spielt von mir aus eure Spiele, Merat. Einen Rat füge ich hinzu: Ihr solltet rechtzeitig bemerken, wenn ich ihrer überdrüssig werde.“

3.

„... Die Heulager sind bis zur Hälfte gefüllt. Der abzeichnende Überschuss wird morgen mit der Mariéss nach Natriell verschifft. Die Reparaturarbeiten an der Felania sind aufwendiger als erwartet und ...“ Laver hob den Blick von dem Buch, das auf einem Fass lag, zum Hafenaufseher. Dieser stand mit dem Rücken gegen das Tor gelehnt, die Arme vor der Brust gekreuzt.

„Merat, hört ihr mir zu?“

Savinamas Gesicht teilte mit, dass er nicht bei bester Stimmung war.

„Was? ... Aé, ich höre zu.“

Der Dicke senkte die Lautstärke. „Wart ihr beim Stadthalter?“

„Aé.“

„Gabs Ärger?“

„Haltet euch aus meinen ...“

„Herr?“ Eine Frau schob sich verschüchtert heran. Recht jung, sechzehn oder achtzehn Sommer alt. Die Kleidung offenbarte die Armut, in der sie lebte. Das brünette Haar mit einem Tuch gebändigt. Verschmutzte Finger mit abgebrochenen Nägeln nestelten im Stoff des zigfach geflickten Rockes, der dringend einer Wäsche bedurfte. Barfuß und zu dünn im Erscheinungsbild. Ermutigt, nicht angefahren zu werden, trat sie näher. „Herr, ich lebe mit meiner Familie am Ende der Stadt.“ Sie lispelte. „Der letzte Sturm ließ die maroden Bretter unseres Heimes zersplittern.“ Übergroße braungrüne Augen hefteten sich hoffnungsvoll auf Savinama. „Die Mutter liegt kränkelnd im Bett. Das Essen reicht nicht. Das Haus knirscht und knackt. Es zieht. Die Feuchtigkeit kriecht aus jeder Ritze. Wenn der Herbst kommt ...“

„Mädchen ...“, versuchte Laver den Redefluss zu bremsen.

Mit einer Handbewegung gebot der Magier ihm zu schweigen.

„Was willst du?“

„Holz, Herr. Für einen trockenen Schlafplatz. Ich biete meine Dienste. Bin fleißig. Koche, putze, nähe ...“, plapperte sie emsig.

„Zieh dich aus!“, unterbrach sie der Magier beiläufig, als gäbe er den nebensächlichen Befehl, eine Kiste abzuladen. Er konzentrierte sich auf seinen Gehilfen. „Wo waren wir?“ Der sah ebenso verwirrt wie die junge Frau aus. „Es ... Su, die, das ... der Stadthalter ...“

„Habt ihr die Karten geholt, wie ich es aufgetragen habe?“

„Aé. Die liegen im Arbeitsraum. Was ...“

Savinama stieß sich vom Tor, zog das Buch herum und überflog die Eintragungen.

Fahrig versuchte die junge Frau Blickkontakt mit ihm herzustellen. Er schien ihre Anwesenheit vergessen zu haben. Der Gehilfe zuckte verschämt die Achseln. Ihre Augen irrten den Platz entlang. Niemand beachtete sie. Handwerker erledigten ihre Arbeiten, Händler priesen ihre Waren an. Ein Trupp von Kindern schlich um die Stände. Ihre Lippen öffneten und schlossen sich hilflos. Die Ignoranz, die ihr vom Aufseher entgegenschlug, stellte klar, es handelte sich um keinen Scherz. Sie würde seine Aufmerksamkeit nicht mit Worten zurückerhalten. Ihre Schultern sackten zusammen. Zögerlich fassten die zittrigen Finger das Oberteil, ließen es gleichsam dem Rock zu Boden fallen. Sie entblößte beschmutzte Haut, die sich über die Knochen spannte. Mit den Händen suchte sie die kindhafte Brust und den Schritt zu verdecken, das Beben des Körpers mit gesenktem Kopf unter Kontrolle zu bringen.

Johlen, vermischt mit Pfiffen, brandete auf.

Anzügliche Rufe, vom Schiff, vom Platz und aus der Halle.

„Ähm, ich sollte euch an etwas erinnern“, stotterte Laver.

„Woran?“

„An Arios.“

Savinama blätterte zurück. Sein Finger fuhr die Zahlen hinunter und kam auf einer zum Ruhen. Er nahm die Kohle und korrigierte sie nach unten.

Er entdeckte den Zimmermann im Eingang zur Halle. „Arios!“ Der Blonde wandte sich mürrisch um. „Aé.“

„Du hast letztens angemerkt, dass die Qualität der Nägel nachgelassen hat. Bei der nächsten Bestellung gehst du mit Laver zur Schmiede und sorgst dafür, dass das nicht wieder vorkommt.“

„Wenn’s sein muss“, muffelte der Zimmermann.

Aus den Augenwinkeln sah der Magier das Mädchen an. Ein erbärmlicher Anblick. Fettige Haare, der bebende, unterernährte Körper. „Zieh dich an!“ Er klappte das Buch zu.

„Merat, wäre die Wahrheit gegenüber Arios nicht eine op...?“

Savinama beugte sich vor. „Nervt mich nicht, sonst fristet ihr den Rest eures Lebens als Eunuch!“

Der Dicke duckte sich. „Was ist mit der da?“ Das Mädchen klaubte die Sachen vom Boden. Verzweiflung im Gesicht, darum bemüht, sich aus der Hocke heraus anzukleiden. „Wenn ihr ... wenn ich euch ...“, lispelte sie mit piepsiger Stimme. „In der Nacht erfreuen ...“

„Gäbe ich ihr Holz, steht bald jeder Hungerleider von Dáima am Kai. Eine Gegebenheit, die wir uns nicht leisten können“, zischte der Magier.

Sie kam auf die Füße. Das Gesicht fleckig und feucht. „... würde ich zu Diensten stehen.“

Das wurde immer schlimmer. „Findet heraus, wo sie wohnt, Laver. Vom Rest will ich nichts wissen.“

„Wegen der Reparaturen“, setzte dieser an.

„Erzählt mir später davon, ich benötige jetzt einen Wein.“ Savinama ließ seinen überraschten Gehilfen stehen.

*

Vom azurblauen Himmel lachte die Sonne auf Händler und Kunden. Vor den Tavernen tummelten sich gesellige Gruppen. Sie fanden Unterhaltung bei Essen und Wein. Die Möwen hüpften keck über die Hafenmauer, im Versuch, der Leckereien habhaft zu werden.

Der sommerliche Wind blähte die weißen Segel eines Schiffes, das gleich einer Königin vom Pier ablegte. Die steigenden Temperaturen und der seichte Wind hoben die allgemeine Stimmung.

Savinama gingen die Berichterstattungen auf die Nerven. Egal, ob beim Stadthalter oder bei Laver. Aus seiner Sicht reichte eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Fakten, der Rest war reine Zeitverschwendung.

Er genoss es, nach den Wochen in den Weiten Liyiells, durch die Menge zu schreiten und die bunte Vielfalt auf sich wirken zu lassen. Dáima konnte den Eindruck einer heilen Welt vermitteln.

An den Häuserwänden und der Mauer zum Strand drängten sich dicht an dicht die Händler. Der Bäcker flirtete mit der Frau des Stoffhändlers. Der Kräutersammler stritt mit der Pilzsammlerin. Rechtsseitig gackerten Hühner in ihren Käfigen. Zwei Mädchen versuchten das Gefieder durch die Stäbe zu streicheln. Der Müller tauschte Mehl gegen Eier und die Stoffhändlerin präsentierte ihre neuesten Kreationen. Bisweilen blieb der Magier stehen, begutachtete die Waren und stellte Fragen.

Er schritt an einem Weinstand vorbei, an dem fleißig den Bechern zugesprochen wurde. Ein Musivatis, reisender Musiker, posaunte in schräger Art sein Wehklagen über die Ungerechtigkeit des Lebens in die Straßen.

Vorwiegend traf der Magier auf Zurückhaltung. Mancherorts auf Furcht. Er brauchte niemandem auszuweichen, musste nirgends warten.

„Herr, habt ihr ein Stück Brot?“ Eine junge Frau in zerschlissenem Gewand, mit einem Baby im Arm, hob ihm hoffnungsvoll die Hand entgegen. „Bitte, wir haben seit Tagen kaum zu Essen.“ Zumindest auf den ersten Blick wirkte die Stadt intakt. Er ignorierte ihre flehende Bitte und schlenderte weiter.

Zwischen Kisten und Säcken bemerkte er einen Greis, der in Lumpen gekleidet an der Mauer hockte. Umringt von einer Kinderschar. Vor ihm brannte eine rostige Öllampe auf dem Boden. Die schlaffe Haut, die unregelmäßigen Stoppeln am markanten Kinn, die mageren Arme und Beine, die aus dem kargen Stoff ragten, erzählten, dass der Mann keine Hilfe mehr auf den Feldern darstellte. Welches Alter mochte er haben? Ob er je den Bann der Zeit ablegte? Oder verzichtete er, wie Savinama, darauf, seine beschissene Existenz unnötig zu verlängern?

Der Magier lehnte sich mit der Schulter gegen die Hauswand, rauchte seine Pfeife und beobachtete das Geschehen.

Die Hände des Alten tanzten über die im Wind flackernde Flamme. Mit heiserer Stimme erzählte der Greis das Märchen der Feen. Mit Unterstützung von Magie entließ er, passend zu den Erzählsträngen, wundersame Lichtwesen in den Himmel. Nicht eindeutig, was sie darstellten. Die Kinder klebten an seinen Lippen.

Es wirkte spielerisch. Der angespannte Körper, die knochigen, schmerzvoll gekrümmten Finger verrieten, dass die banale Anwendung dem Alten die letzte Kraft entzog.

Wenn die Verbindung mit der Natur ein Geschenk darstellte, wie alle predigten, warum kostete es die einen das Leben und andere ...? Was kostete es ihn? Würde er am Marktplatz sitzen, die Kleinsten sich zu ihm gesellen, um den Abenteuern vergangener Zeiten zu lauschen?

In Savinamas Kopf gerieten die Sätze ins Stolpern. Zwischen den Augen bildete sich eine Kerbe. Ein Blick zurück, ein Obststand.

Vehement klopfte er die Reste der Pfeife aus und schob den aufkommenden Gedanken in die Kiste, aus der er gekrochen war. Weg von dem Schimmern, das den Höhepunkt der Geschichte präsentierte.

Er wählte einen leuchtend roten Apfel, rieb ihn am Mantel und warf der Händlerin eine Münze zu. Sie verbeugte sich übertrieben. Er war großzügig, wenn er bezahlte, obwohl er es nicht brauchte. Das Bild der Bettlerin mit dem Baby und dem alten Erzähler drängte sich auf. Sie hätten eher Unterstützung benötigt, wie die Frau vor ihm.

Er wandte sich ab und hielt inne. Ein Seitenblick neben die Auslage. Er hätte einen Eid darauf abgelegt, dass dort ein kleiner Junge stand, der ihn anstarrte.

Der Magier zuckte die Schultern, biss in den Apfel und setzte seinen Weg fort. Nach wenigen Metern bemerkte er eine Silhouette, die hinter dem Gewühle zwischen Marktständen und Häuserwänden folgte. Er blieb stehen. Versuchte, den Schatten zu fokussieren, suchte die Umgebung ab. Da war niemand.

War die letzte Dosierung der Droge zu hoch? Litt er unter Verfolgungswahn?

Savinama wandte sich der Straße zu. Zu seiner Überraschung harrte mitten auf dem Pflaster der Gesuchte aus und beäugte ihn ungeniert. Ein Atemzug Zeit zum Mustern. Er reichte ihm über den Bauchnabel. Sieben oder acht Jahre. Ein beigefarbenes Leinenhemd mit brauner Weste. Ärmel und Hose hochgekrempelt. Das Haar in gleicher Farbe fiel ins Gesicht. Oberhalb des Nasenrückens Sommersprossen. Es passte zu dem kecken Ausdruck. Die braunen Augen blitzten, zwei Grübchen zeichneten sich unter den Wangenknochen ab.

Eine Gruppe schwatzender Frauen verdeckte das Kind. Kaum aus dem Sichtfeld war er verschwunden.

„Was bei allen ...?“ Wenige Schritte zur verwaisten Stelle. Der Magier beugte sich hinab. Weder unter den Auslagen noch vor den Ständen oder bei einem der Händler, der Wicht blieb unauffindbar.

„Gibt es ein Problem, Aufseher?“ Der Fleischer hielt das Beil in der Luft und beobachtete verständnislos das Handeln.

Savinama strich sich über den Kopf. „Habt ihr einen Jungen gesehen?“

Das Gesicht des Birnenförmigen mit der blutigen Schürze ließ Verwirrung erkennen. Eine Gruppe schreiender Winzlinge rannte vorüber.

Der Magier winkte ab. „Vergesst es!“ Zeit, in die Suche eines einzelnen Balges zu investieren, wurde in Dáima als verschwendet eingestuft. Es gab zu viele von ihnen.

Ein Ruck am Gürtel. Seine Hand schnellte in die Tiefe und griff ins Leere.

Er wirbelte herum. Der braune Schopf verschwand in der Menge.

„Du Ratte!“ Savinama hinterher. Der Bengel flitzte in eine Seitengasse. Ein letzter Blick auf seinen Fuß, der am Ende des schmalen Weges über eine Holzwand verschwand.

Savinama wusste, was sich dahinter befand. Er rannte die Straße hinauf, vorbei am Kai und bog nach links ab.

„Idiot!“

„Raus hier!“ Aufgebrachte Rufe tönten aus der Halle der Würmer. Der Bengel kam von rechts, dicht gefolgt vom Aufpasser der Halle und seinen Helfern.

Geschickt wich der Junge den Hindernissen aus, verpasste einem größeren Arbeiter einen Hieb mit dem Ellbogen, flutschte zwischen zwei weiteren hindurch, rammte einen Stapel mit Kisten, die sich mit Getöse auf dem Boden verteilten und seine Verfolger auf Abstand brachten. Er ließ es sich nicht nehmen, rückwärts zu tänzeln und den verdutzten Widersachern eine lange Nase zu drehen. Lachend wirbelte der Winzling herum und ...

prallte gegen ein Hindernis.

Perplex hob sich das sommersprossige Gesicht in die Höhe und starrte in die schwarzen Augen des Hafenaufsehers. „Du ...“, knurrte Savinama und versuchte den Kragen zu erhaschen. Der Bengel duckte sich, legte einen eindrucksvollen Schlenker hin, sprintete zurück auf die Straße, auf die Marktstände zu. Den Magier im Nacken. Der Zwerg schubste einen Mann zur Seite, ließ sich zu Boden fallen und schlitterte unter einer der Auslagen hindurch. Der Schuh verhedderte sich im Leinen und riss die gesamte Ware mit. Die Füße krachten in einen Stapel Holzkisten. Von der Wucht zerbrochen, flatterten Gänse und Hühner schnatternd und gackernd auf die Straße. Eines der Tiere landete zwischen den Beinen einer Bäuerin. Vor Schreck warf diese ihren gefüllten Korb von sich. Der Händler brüllte, die Frau kreischte, dazwischen das panische Federvieh und das gemeine Volk, das sich zu einer Traube sammelte.

Ein einziges Chaos. Überall flogen Federn. Der Knirps krabbelte auf dem Boden und versuchte, im Durcheinander den Beutel zu greifen, den er fallen gelassen hatte. Er entdeckte den Aufseher, seine Finger schlossen sich um das Leder, er kam auf die Füße und quetschte sich durch die Menge.

Savinama gelangte nicht so leichtfüßig durch die Gaffer, die johlend den Tumult befeuerten. Sie jagten auf Hertos Taverne zu. Der schaffte es, den gefüllten Weinkrug zur Seite zu ziehen und vor dem Kind zu retten. Bei dessen Verfolger nicht. Ein heftiger Rempler, der Tavernenwirt taumelte, der Wein ergoss sich über den Gast am Tisch.

„Meraaaat!“, scholl es durch die Straße.

Der Junge verschwand hinter einer Hauswand. Savinama kam um die Ecke ...

Ein Knall. Eine grelle Explosion aus Schmerz.

Er fand sich auf dem Rücken liegend auf dem Pflaster wieder.

Die Welt, ein verschwommenes Nichts.

Zwei braune Augen schauten besorgt auf ihn herab.

„Bleib ... stehen ...!“, presste Savinama hervor. Er berührte die schmerzende Stirn und versuchte sich zur Seite zu drehen. Eine Welle aus Übelkeit zwang ihn erneut in die Rückenlage. Der Schalk kehrte in die Mimik des Jungen zurück, ehe er aus dem Sichtfeld des Aufsehers verschwand.

4.

„Ihr werdet immer absonderlicher. Habt ihr die Abgrenzung zum Hafen neu bemessen, Merat?“ Tessecs muskulöse Brust schob sich vor Savinama, der im Schneidersitz gegenüber der Schmiede auf der Mauer saß.

„Verschwindet aus meinem Sichtfeld, ich bekomme sonst den Eindruck, dass ihr mir eure Liebe gestehen wollt.“ Savinama lehnte sich zur Seite, um die Straße im Fokus zu behalten.

Auf der Stirn des Schlächters zeichneten sich Falten ab. Er schaute zurück. Überall Händler und Kunden. Auf den Wegen links und rechts keine Auffälligkeiten. Zwei Burschen, die vor dem Hoftor der Schmiede Fässer auf einen Karren luden. Im Innenhof ein Trupp zankender und schreiender Bälger.

„In Ordnung. Erwartet ihr, ein Zwergenkomplott zu entlarven, das eure Holzlieferungen sabotiert? Uh, eine Bande von Schnitzern, die auf dem Markt Baumfiguren verkauft. Spannend.“ „Idiot, ich suche ein Kind.“

Die Züge des Kriegers entgleisten. Die Hände ballten sich. Er beugte sich vor. „Ernsthaft, ein Kind? Was stimmt mit euch nicht?“

Der Magier fiel fast rückwärts von der Mauer. „Ihr habt eine abscheuliche Fantasie.“ Eine Bewegung gegenüber. Der angewiderte Ausdruck wechselte in ein zynisches Grinsen. „Ich suche eine Ratte, die ihre Pfoten nicht bei sich behalten hat.“ Savinama duckte sich hinter dem Hünen.

Ein braunhaariger Schopf lugte über die Fässer, prüfte wachsam die Umgebung, huschte wie ein Wiesel aus dem Versteck und verschwand im Innenhof.

Tessec starrte dem Jungen unverhohlen nach, bis sich die kantigen Gesichtszüge verblüfft umwandten. „Ein Balg hat euch beklaut?“ Die Augen rund, die Lippen pressten sich aufeinander.

Savinama erinnerte sich nicht, den Schlächter je mit einer solchen Grimasse gesehen zu haben. Ein Glucksen, wie ein Schluckauf. Der krampfhafte Versuch, die Mimik nicht entgleiten zu lassen. Unterdrückt, aufsteigend, bis der Vulkan haltlos zum Ausbruch kam. „Scura, da pisst doch die Möwe ins Essen ... ein Balg.“ Bebendes Gelächter schoss über die Straße. Tessec schlug dem Magier auf die Schulter, gegen den eigenen Oberschenkel. Bemüht etwas zu sagen, keine Chance.

Savinama kreuzte die Arme vor der Brust. „Fertig?“

Zu seinem Leidwesen nicht. Eine gefühlte Ewigkeit, bis Tessecs Humor schlagartig verpuffte. Er packte den Magier beim Kragen und zog ihn wie ein Fliegengewicht auf die Beine. „Solvat ist stinksauer. Wegen eurer verschissenen Ausuferungen bei den Bauern laufen die Verwalter bei ihm auf und beschweren sich. Herzlichen Dank. Jetzt muss ich durch Liyiell reisen und mit jämmerlichen Spenden um Vergebung betteln, damit sie nicht gegen den Stadthalter rebellieren. Hört auf ihn zu provozieren, sonst schleife ich euch eigenhändig in die Halle und bitte darum, dass er euren Schwanz kürzt.“

Die Drohung traf auf Gleichgültigkeit. „Ist das so?“ Savinama schätzte den Schlagabtausch mit dem Hünen, es brachte Abwechslung in seinen Alltag, heute störte er.

Bei der Art, wie er die Worte aussprach, musterte Tessec ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck. Er löste den Griff. „Das ist so.“

Der Magier rückte seine Kleidung zurecht. „Besser als ein Speichellecker zu sein.“

„Im Gegensatz zu euch besitze ich wenigstens ein Gesicht, Merat. Dessen ungeachtet überlege ich, wer das größere Übel ist: ein Stadthalter, bei dem klar ist, dass die einzige Regel beinhaltet, seine Regeln einzuhalten oder ein Magier, der versucht, etwas zu befriedigen, von dem er selbst nicht weiß, was es ist.“

Ein Lachen entrann Savinama. „Ihr erwartet nicht, dass ich mich geistig mit jemandem duelliere, der der Einbildung unterliegt, ein eigenes Antlitz vorzuweisen. Ich sehe einen Schatten. Es ist schwierig, einzuschätzen, wessen Bild ihr beim Waschen seht. Eures oder jenes, bei dem ihr am Hintern klebt.“

Tessec grub die Daumen in den Gürtel. „Oh, keine Sorge, wenn ich euch statt meiner erkenne, werde ich berichten. Wird aber nie geschehen. Ich besitze nicht die Charakterzüge des Mannes, den ich verachte. Mir bleibt zumindest die Ausrede ein Schatten zu sein. Ihr?“ Die Stimme des Kriegers wurde eindringlich. „Ich bin mir bewusst, dass ich ein Speichellecker bin. Ihr versucht euch die Lüge zu verkaufen, dass er euch zu dem formte, der ihr seid. Stellt euch die Frage, was verlogener ist.“ Ein abfälliges Mustern, ehe sich Tessec abwandte.

Der Magier schaute dem Schlächter mürrisch hinterher. „Dem sollte lieber einer in die Stiefel pissen.“

Er besann sich auf den Grund, weswegen er auf der Mauer gewartet hatte und näherte sich zielstrebig dem Tor der Schmiede.

„Welch glanzvoller Besuch in unserem bescheidenen Zuhause. Der Hafenaufseher beglückt das gemeine Volk mit seiner Anwesenheit.“ Der grauhaarige Schmied schob sich vorbei, beladen mit Holzkisten voller Äpfel. „Es ist keine Lieferung fällig, Merat. Aber wenn ihr schon dasteht, seid so nett und nehmt mir eine ab.“ Savinama tat Marico den Gefallen und packte die oberste Kiste.

„Ein alter Mann dankt. Bitte zu den nimmersatten Winzlingen.“ Der Magier musterte die Horde Kinder, die sich mit unvorstellbarer Lautstärke um den Tisch sammelte. Zu jeder Mondwende bekochten Lassara und ihr Mann die Straßenkinder von Dáima. Deswegen hatte er vor der Schmiede gewartet. Wo sonst als hier besaß er eine Chance, den Bengel zu finden?

Der Junge quetschte sich in eine Lücke auf der Bank.

Lassara positionierte eine Schale vor der sommersprossigen Nase. Begierig schnappte sich der Knirps den Löffel und stürzte sich aufs Essen. Der Schmied stellte sein Mitbringsel auf die Platte. Wie Heuschrecken leerten sechzehn Kinder die Früchte. Die Augen des Jungen strahlten dankbar zu Marico hinauf, an ihm vorbei und ... stoppten entgeistert.

„Iss.“ Lassara strich sanft das braune Haar und wandte sich mit zwei leeren Tellern um. „Ich freue mich, dass ihr uns nach so langer Zeit beehrt, Savinama. Das Gesetz von Comare habt ihr gewiss nicht vergessen?“ Offenkundig, dass der erstarrte Ausdruck des Bengels und der finstere des Aufsehers zusammenhingen.

Gesetz von Comare? Mist, da war was. Der gleiche Grund, weswegen der Magier am Strand lebte. Comare, die Gleichsetzung aller, ohne dass sich die dort Lebenden in die Politik von Solvat einmischten. Keine Verurteilung für Sachen, die außerhalb der Grenzen geschahen.

„Gibt es keine Ausnahmen?“ Er nagelte den Jungen mit dem Blick fest. Marico schob sich mit weiteren gefüllten Schalen an Savinama vorbei. „Naé, keine.“

Lassara unterstrich die Worte mit einem Nicken. „Setzt euch! Esst!“ Eine Spur von Strenge in der Stimme.

Der Bengel gewann seine Selbstsicherheit zurück. Hemmungslos stopfte er den Eintopf in den Mund. Kaum geschluckt, zwängten sich Brotstücke hinzu, mit Wasser nachgespült. „Der Herr Aufseher hat andere Verpflichtungen, als bei hungrigen Welpen zu sitzen und sich ums Essen zu zanken, breda, Geliebte“, witzelte Marico.

Ein Tessec am Tag reichte Savinama. Entschieden schritt er auf die gegenüberliegende Seite des Tisches, platzierte mit einem Knall die Kiste auf dem Holz, schob die Bälger auseinander und setzte sich.

„Eff, if firlif Fut“, sprach der Junge mit überfülltem Mund. Er schnappte sich einen Apfel, rieb das Obst ausgiebig am Hemd und legte ihn vor den Aufseher. Der nächste landete in der eigenen Manteltasche.

„Hat mal jemand erwähnt, dass es schwierig ist, ohne Zähne zu kauen?“, knurrte der Magier. Die braunen Augen weiteten sich. Das Schmatzen und Schlucken setzten aus.

„Mein Beutel, mit Inhalt!“

„Hab if nift mehr.“ Der Mund verlor beim Sprechen an Fülle.

Savinamas Hand schnellte vor, packte den Knirps am Kragen und zog ihn mit dem Oberkörper auf den Tisch. Ihre Nasenspitzen berührten sich. „Lügen ist nicht deine Stärke, Kakerlake. Er hängt an deinem Gürtel.“ Der Griff des Magiers verstärkte sich.

„Was soll das? Comare, Merat, Comare!“, platzte der Schmied dazwischen und schob die beiden auseinander. „Hier wird gegessen, nichts anderes.“

„Ich fordere mein Eigentum zurück.“

Marico schaute den Jungen an. „Sarian?“ Das Kind offenbarte eine bunte Vielfalt an Beweglichkeit seiner Gesichtszüge. Die Brust hob sich, gefolgt von einem tonnenschweren „Aeeé.“ Er schob den Löffel in die Schale, nestelte das Band ab und legte den Beutel auf den Tisch.

„Diebstahl ist ein Merkmal, das ich nicht sonderlich schätze“, tadelte der Schmied. Für Savinamas Geschmack zu freundlich.

„Habs geborgt.“

„Ich borg dir eine Ohrfeige, du ...“

„Savinama!“, unterbrach der Grauhaarige den Magier. Dieser lehnte sich zurück und entließ seinerseits ein genervtes „Aeeé.“

„Esst und gebt euch die Hand!“ Maricos Worte waren unmissverständlich. Kaum war der fort, platzte es aus dem Jungen. „Bist du echt so gefährlich, wie alle sagen?“

Die kecke Frage überrumpelte Savinama. Angst oder Reue? Keine Spur. Pure Neugierde schlug ihm entgegen. „Du weißt, wer ich bin? Das hinterlässt einen düsteren Eindruck auf deine Intelligenz. Sarian, aé?“

„Zeigst du mir die Schiffe? Die sind Funomänal.“ Der Bengel steckte den Löffel in den Mund.

„Das Wort heißt phänomenal.“ Unauffällig musterte der Magier das Äußere des Kindes. Hemd und Hose fleckig, aber nicht annähernd so verschlissen wie bei den restlichen Winzlingen. Stiefel, die einen hochwertigen Anschein unter dem Staub und Schmutz vermittelten, ließen den Vergleich zu den Straßenkindern hinken.

„Wie alt bist du?“, fragte er knapp.

„Acht“, kam es mit stolzgeschwellter Brust.

„Acht.“ Der Magier erhob sich. Er nahm den Beutel und verstaute ihn auf der Innenseite seines Gürtels. „Wenn der erste Flaum im Gesicht sprießt, komm vorbei, Hosenscheißer.“

„Heiji“, begehrte dieser entrüstet auf.

Savinama hielt inne. „Ein gutgemeinter Rat.“ Er stützte sich mit beiden Händen auf die Platte und beugte sich vor. „Vergreif dich nochmal an meinen Sachen, dann wirst du dieses Alter nie erreichen.“ Er wies mit dem Zeigefinger nachdrücklich auf ihn, schnappte sich den Apfel, richtete sich auf und biss hinein.

„Was ist jetzt mit den Schiffen?“, tönte es in seinem Rücken.

Savinama schritt zu Lassara, die in einem Bottich die benutzten Schüsseln wusch. „Habt ihr alles geklärt?“ Zusammen leerten sie das trübe Wasser auf den Boden.

„Entschuldigt. Ich versuche, den Bengel seit Wochen zu erwischen, und trug die Hoffnung, dass er bei euch auftaucht.“ Sie beobachteten, wie sich die Kinder um ein letztes Brot zankten. Der Schmied hatte Schwierigkeiten in dem Gewusel, die Schalen einzusammeln.

„Aé, ich verstehe. Was hat er gestohlen?“

Der Magier hievte einen neuen Eimer hinauf, die vor dem Tisch standen, und schüttete frisches Wasser nach. „Mein Medaillon. Es ist bewundernswert, was ihr jede Mondwende für die Straßenkinder ermöglicht.“ Seine Stimme klang ungewohnt weich.

Sie widmete sich der Arbeit. „Die Händler helfen mit Spenden, sonst bekommen wir sie nicht satt.“

„Ich habe das Gefühl, es werden immer mehr“, sprach er grüblerisch.

Die Antwort amüsierte die Frau vom Schmied. „Eure Suche war länger von Erfolglosigkeit begleitet, als ich glaubte, wenn ihr solch tiefe Einblicke in die Gassen von Dáima erhalten habt. Es freut mich, dass ihr neben euren zeitfüllenden Aufgaben den Blick für das Wesentliche behaltet.“ Die Worte hinterließen den faden Beigeschmack einer Rüge.

„Danke, das war sooooo lecker.“ Sarian drückte sich rücksichtslos unter Savinamas Arm hindurch und ließ die Schale ins Wasser fallen.

Lassara schenkte ihm ein gütiges Lächeln. „Nimm dir Obst mit. Hast du einen Schlafplatz?“

„Aé.“ Er grinste den Aufseher kess an und huschte zum Tor hinaus.

„Dáima beherbergt zu viele von ihnen, nochmal meinen Dank, aber ...“, seufzte der Magier und schaute die Charfea erneut an, „… wenn ihr für einen Tag ihre Mägen füllt, verbessert es ihre Lage nicht.“

„Ich widerspreche euch, Savinama. Es ist nicht die Nahrung. Es ist das Gefühl von Wärme und das Gefühl, willkommen zu sein. Keine Flucht, keine Angst gefasst zu werden. Für einen Tag dürfen sie sein, was sie sind, Kinder. Alles davon ist eine Bereicherung für ihr Leben. Eventuell solltet auch ihr öfter vorbeischauen?“ Ein dezentes Zwinkern begleitete die Worte. Sie ließ einen Stapel Löffel in das Wasser fallen. „Und dankt uns nicht. Es ist schlussendlich das Gleiche, was ihr für die Würmer macht. Ihr habt die letzten Jahre eine Menge von ihnen aufgenommen. Sie haben Essen, einen Schlafplatz, Kleidung. Was unterscheidet uns?“

Der Magier verspannte sich. „Ist Mittel zum Zweck.“ Die vertraute Kühle trat in den Vordergrund. Warum schaute sie ihn so an? „Sie arbeiten dann besser.“

„Aha.“ Ihre Hände ruhten auf dem Rand des Bottichs. „Dann ist der Zweck für beide Seiten erfüllt. Besucht ihr uns wieder?“

„Ich denke darüber nach. Deshpari.“ Der Grund, weshalb er hierhergekommen war, hatte sich erledigt. Es benötigte niemanden, die Begründung seiner Entscheidungen zu hinterfragen. Auf dem Weg zum Hoftor winkte er dem Schmied, trat auf die Straße und blieb stehen.

Er seufzte in sich hinein. Im Grunde war die Jagd nach seinem Medaillon eine willkommene Ablenkung von den stetigen Anfeindungen der Schiffbauer und der Stadtbewohner. Die Begegnung mit Tessec hinterließ allerdings einen fahlen Beigeschmack. Der Stadthalter hatte Savinama ausgesandt, um die Vigils zu finden und musste sich jetzt mit den Hinterlassenschaften seines Aufsehers auseinandersetzen. Trat bei Solvat das Gefühl auf, sich nicht auf seine Leute verlassen zu können, wurde es unleidlich.

Savinama hakte die Daumen hinter den Gürtel und beobachtete die Händler bei der Arbeit. Von dem Jungen war nichts mehr zu sehen. Eine ungewohnte Erkenntnis breitete sich in ihm aus. Er würde die Verfolgungsjagden vermissen. Irgendwie mochte er den Zwerg. Die freche Art, der Schalk, das Grinsen. Wie der Bengel es schaffte, ihn zu überlisten.

Der Daumen rutschte tiefer.

Überlisten?

„Du elende Ratte, wenn ich dich erwische!“

5.

Es gab sie, die Nächte, in denen alles friedlich erschien. Wo außer dem Rauschen der Wellen und einem seichten Nieselregen nichts die Stille störte. Die sogar einen Magier schlafen ließ, fernab jeglicher Gedanken und Anfeindungen.

Es mussten keine Erwartungen eines Stadthalters zur Auffindung der Vigils erfüllt werden. Savinama benötigte keine Erklärung, warum er sich seit Jahren weigerte, dem Auftrag gewissenhaft nachzugehen. Noch spielte Solvat mit, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis er dessen Geduld überstrapazierte. Spielt von mir aus eure Spiele. Ihr solltet rechtzeitig bemerken, wenn ich ihrer überdrüssig werde.

Aber in dieser Nacht war ihm der Schlaf vergönnt, ohne störende Gedanken.

Sie waren so rar wie der Schnee im Sommer.

Nuavera

„Merat.“

Savinama schreckte durch die dröhnende Stimme von seinen Fellen auf und entdeckte das Gesicht eines Mannes im Zelteingang. „Einer eurer Schiffbauer sucht euch.“ Hastig griff er seine Sachen.

Eine Traube verschlafener Bewohner hatte sich mit Fackeln im Nieselregen um einen Einzelnen geschart. Rotschimmerndes Haar, Perlen im Bart.

„Tibor?“ Was verschlug den ins Lager?

Der Schiffbauer rang nach Atem. Mit beiden Händen auf die Knie gestützt, Streifen auf den Wangen, die Kleidung fleckig. Oberhalb der Schläfe sickerte Flüssigkeit aus der Haut. Blut? „In der Stadt ... angegriffen ... Hilfe.“

Das Adrenalin schoss durch Savinamas Adern. Grob packte er den Arbeiter bei den muskulösen Oberarmen.

„Wo?“ Sie würden ihn nicht wegen einer Bagatelle holen.

Tibor streckte den Finger Richtung Stadt. „Bei den Färbebecken.“

*

Die schmale Seitengasse, die zu der großen Färberei führte, ließ spärliches Licht der Straßenlaternen herein. Die Mauern schimmerten in der Feuchtigkeit. Hitzige Rufe hallten aus dem am Ende liegenden Innenhof. Auf der linken Seite der nackten Hauswand kniete Arios.

„Was ist passiert?“

Der Handwerker sah auf. Das nasse Haar umrahmte das bleiche Gesicht. „Es ist zu spät. Zu spät.“ Es ließ sich nicht benennen, ob das Entsetzen Savinama, der mit Mantel und Schwert neben ihm auftauchte, oder dem Geschehenen galt. Es gab eine Gewissheit, der Schiffbauer sah verloren aus. Die blauen Augen richteten sich auf einen Körper, der vor ihm lag. Zittrig presste Arios einen durchtränkten Lumpen auf den Bauch der Gestalt. Der Lappen, die Hände, die Kleidung, das Pflaster, alles bestand aus einer einzigen Blutlache.

„Barec.“ Der Magier landete auf den Knien. Ein Röcheln. Rötliche Speichelblasen auf den farblosen Lippen des Alten. Die Lider öffneten sich unter größter Anstrengung. Die Finger krallten sich in den Kragen des Aufsehers und zogen ihn herunter. Der rote Fluss rann die Wange hinab. „Wir ... deine Rechnung begleichen. Du ... keiner ... von uns ... Bastard!“ Die Augen bohrten sich wie Dolche in Savinamas Herz. Sie spiegelten die gleiche Verachtung wie die Worte. Ein langgezogenes Ausatmen, die Hand glitt ab. Der Kopf rollte auf die Seite.

„Are debra. Arios, verdammt, setz deine Energien ein.“ Grob schob Savinama den Schiffbauer weg. Den matschigen Lumpen ... Eine klaffende Wunde offenbarte freie Sicht auf die Innereien.

„Du bist der beschissene Schattenmagier. Er ist tot, verstehst du? Tot. Deinetwegen.“

Die Worte verteilten sich wie Glassplitter in Savinamas Kopf.

Dumpfe Schimpfeskapaden drangen durch einen dichten Nebel zu ihm. „Bleib bei Barec.“

Die Gasse öffnete sich zu einem breiten Innenhof, gesäumt von vier Wasserbecken. Unter den überstehenden Dächern baumelten Laternen. Sie tauchten das Szenario in gespenstisches Licht. Das Bild, das sich offenbarte, zeigte, dass der Kampf bereits länger stattgefunden hatte. Verwüstung, soweit das Auge reichte. Rechtsseitig ein umgestürzter Tisch und zerschmetterte Gefäße. Beschmutzte Stoffe, die verteilt auf dem Boden lagen. Der Magier entdeckte den sommersprossigen Parvel. Mit dem Rücken an der Wand, die Hand gegen die linke Schulter gedrückt. Neben ihm lag blutverschmiert der schmächtige Tiridos. Savinama erinnerte sich, wie er den Zimmermann vor Jahren mit einem Schlag in die Bewusstlosigkeit befördert hatte.

Heute handelte es sich nicht um einen Straßenkampf. Erst recht nicht um einen Streit, der regelmäßig zwischen den Tavernenbesuchern und den Schiffbauern entstand. Niemand weidete Organe aus, aus Frust über ein verlorenes Würfelspiel. Selbst er nicht.

„Komm her, du feige Ratte! Ich spieß dich auf wie ein Schwein.“ Den Rücken dem Magier zugewandt, zum Angriff bereit, stand Karel. Daneben Amade. In ihren Händen Dolche.

Gegenüber fünf Männer. Jeder mit Blessuren im Gesicht.

Ein breitschultriger Kerl, der den Eindruck vermittelte, der Anführer zu sein, fixierte abfällig die zwei Schiffbauer. Mit kurzgeschorenem, schwarzem Haar, oben mit einem Lederband zu einem Strang gebunden, der Ähnlichkeit mit einer festgezurrten Wurst besaß. Das kurzärmlige Hemd offenbarte die ausgeprägte Muskulatur. „Kommt ihr doch, ihr Hurensöhne. Fehlt Mami, damit ihr euch an ihrem Rockzipfel festhalten könnt?“ Über die Köpfe der Handwerker hinweg entdeckte er den Aufseher. „Oh, Mami ist da.“

Grölendes Gelächter schloss sich den Worten an. Karel wandte sich um. Seine Mimik war von Hass geprägt. Sie traf mehr Savinama als die Fremden.

„Ihr habt eure Röcke vergessen“, wieherte einer, dessen Erscheinungsbild trotz Regens den Gebrauch von Wasser und Seife vermisste.

„Verpiss dich! Wir regeln das“, spie der Schiffbauer dem Aufseher entgegen.

„Ich sehe, wie ihr das regelt. Barec ist tot.“

„Tiridos und ich bald ebenso, wenn nicht endlich einer hilft“, flehte Parvel kläglich von der Hauswand. „Bewegt euch!“ Die Worte des Magiers kühl. Die Anspannung verursachte ein angenehmes Prickeln in ihm.

„Scura, muss ich Angst haben?“, bellte einer der fünf Angreifer. Es war unwichtig welcher.

„Wir ...“, setzte Karel erneut an. Savinama senkte den Kopf. „Geht!“, knurrte er. Es war Parvels Gewinsel, das den Schiffbauer zögern ließ. Widerstrebend schlug er Amade gegen den Arm. Zusammen eilten sie hinüber. Die Verwünschungen, die sie in Savinamas Richtung ausstießen, waren nicht relevant. Zumindest jetzt nicht. Es zählte ausschließlich, dass sich in der aufgeheizten Stimmung die Schatten bewegten.

Freie Sicht auf den Abschaum. Der Wurstkopf baute sich vor ihm auf. Er überragte Savinama um einen ganzen Kopf. „Dein Ungeziefer war nötig, um dich aus deinem Loch zu locken.“ Unversehens schoss die linke Hand des Redners vor, packte den Hals des Magiers und bugsierte ihn wie eine Fliege zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Hauswand krachte. Die Kumpane sofort zur Stelle. Eine Faust von rechts, eine von der anderen Seite. Savinama kam nicht zum Luftholen. Die Finger des Wurstkopfes griffen seinen Kragen, rissen ihn hinunter. Zu seinem Leidwesen direkt in das entgegenkommende Knie.

Der Magier landete wie ein Sack auf dem Boden. Zusammengekrümmt brachte er ein klägliches „Autsch“ heraus. Der Anführer beugte sich hinab. Der Rest bildete einen Ring. „Ist ein wenig mau, was ihr bietet. Ich habe mir mehr Widerstand erhofft. Wo bleibt da der Spaß?“

Oh, ein Spieler. Savinama presste den Arm vor die Brust und schaffte es auf die Knie. Er wischte sich über die blutigen Lippen. „Ich mag unkonventionelle Treffen.“ Unverhohlen offenbarte er seine Belustigung. Er hievte sich auf die Füße. „Ehrlich, ihr brauchtet nur Bescheid zu geben. Eine Einladung an mich ...“, die Bewegung erfolgte vom rechten Arm. Der Magier bückte sich zum Erstaunen aller so schnell, dass er unter dem Haken hindurchtauchte. Seine Hand fuhr Richtung Hose von Wurstkopf und fand ihr Ziel. Er kam direkt vor der muskulösen Brust herauf. Seine Finger verstärkten den Griff. „Zeugt von dicken Eiern.“ Ein langgezogenes Heulen ertönte. Den nächsten Angreifer hebelte Savinama mit dem Ellbogen aus dem Gleichgewicht. Für den von hinten reichte ein minimales Ausweichen und die Faust hieb dem gepeinigten Wurstkopf mitten ins Gesicht. Zumindest befreite es jenen aus dem unpässlichen Zustand. Der von rechts erfuhr die gleiche Begegnung.

Ein gleißender Blitz traf Savinama. In seinem Kopf bildete sich ein Druck. Er taumelte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war, und schaffte es mit Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Mit einer Hand auf dem Knie registrierte er, dass seine Nase blutete. Gleichzeitig kroch die altvertraute Energie durch seine Adern. Lockend, fordernd.

Ein Blick zur Seite. Mit einem eindeutigen Geräusch zog er den übel schmeckenden Sud zusammen und spuckte aus. Versetzt stand ein hagerer Typ, die Arme vorgestreckt. Die im Dunkeln liegenden Augen von strähnigem Haar verdeckt.

Hatte der wahrhaftig gewagt, ihn mit Magie anzugreifen? Das glich dem Versuch, Feuer mit Öl zu bekämpfen.

Der Wurstkopf presste eine Hand in seinen Schritt. „Dafür schneide ich euch die Eier ab und verfüttere sie an die Schweine.“ Die restlichen Kämpfer nutzten die Zeit, um sich neu zu positionieren. Bewaffnet mit Dolchen, kreisten sie ihn ein.

Zwischen den Händen des Hageren bildete sich eine neue gleißende Kugel.

Auf ein stummes Kommando von Savinama bekam die Dunkelheit ein Eigenleben. Die von den Laternen verursachten Schatten bewegten sich zähflüssig die Wände hinab, krochen den lehmigen Grund entlang, über die Schuhe der Bande, geradewegs auf den Aushilfsmagier zu.

„Was bei allen Chrishkas ...?“

„Verflucht, das ist echt ein Schattenmagier.“

„Ich hielt es für eine Mär.“ Die Männer links und rechts wichen zurück.

„Oh, ihr besitzt nicht die geringste Vorstellung.“ Savinama ließ ihnen keine Zeit. Eine einzige Bewegung nach vorn. Eine Welle aus Dunkelheit schleuderte das Pack über den Innenhof. Zwei landeten in den Farbbottichen, ein dritter krachte gegen die Hauswand, der vierte schlug auf eine der niedrigen Steinmauern, die die Becken einfassten. Savinama registrierte hinter sich ein Geräusch und wirbelte herum. Seine Energien schossen durch die Gasse. Ein kläglicher Aufschrei. Ein kurzes Lauschen. Keine Gefahr mehr aus der Richtung.

Er nahm zufrieden die Hände herunter und schenkte seine ungeteilte Aufmerksamkeit den Angreifern. Zu seiner Enttäuschung war nur einer geblieben. Eine umfallende Kiste, ein Scheppern und ein Fluch aus einem der Seitengänge ließen vermuten, wohin es die Kumpane des Wurstkopfes gezogen hatte. Zumindest drei von ihnen. Der Vierte lag unverändert reglos zwischen den Becken.

„Wo waren wir stehengeblieben?“, fragte der Aufseher.

„Einzig Feiglinge nutzen die Elemente in dieser erbärmlichen Form. Wie sieht es mit echten Waffen aus, Mami?“ Das Großmaul warf den Dolch fort und hob herausfordernd die Fäuste.

Der Kerl holte zu einem rechten Haken gegen Savinamas Kiefer aus. Dieser drehte sich mit der Schulter leichtfüßig zurück. Ein Fausthieb von der anderen Seite, der Magier duckte sich, um im Hochkommen eine Linke auszuteilen, die mitten zwischen die Rippen des Fremden traf. Der verzog keine Miene und nutzte den unvorhergesehenen Effekt, erwischte Savinama beim Kragen und hebelte ihn nach hinten, dass dieser mit einem schmerzhaften Laut auf dem Boden landete. Sein Fuß schnellte hoch, hakte sich unter der Armbeuge des muskulösen Sprücheklopfers durch und legte sein ganzes Gewicht in die Drehung.

Positionswechsel.

Ohne Zögern krachten die Fäuste des Aufsehers abwechselnd in das Gesicht des Schwergewichts. Dem stand nicht der Sinn nach aufgeben, obwohl sich einer der Zähne lockerte und in den Tiefen seines Rachens verschwand. In einem der Schläge zog Wurstkopf den rechten Arm herauf und hieb mit der gleichen Bewegung unter Savinamas Schlagarm hindurch. Ein gefährliches Knacken im Ellbogen des Magiers. Sie kamen erneut auf die Füße. Die Stiefel des Aufsehers trafen zwischen die krummen Beine des Angreifers. Der verlor das Gleichgewicht und stürzte an die Mauer zu einem der Becken. Der Kopf schlug hart gegen die Kante. Mit beachtenswerter Schnelligkeit kämpfte der sich in die aufrechte Position zurück. Zeitgleich eine neuerliche Attacke. Wurstkopf wich nach hinten, stieß mit den Waden an die Umrandung und strauchelte. Aus einem Reflex riss er den Magier beim Fallen mit. Sie tauchten im violettfarbigen Wasser ab, mitten zwischen die Stoffe. Savinama versuchte Halt unter den Füßen zu finden, die Farbbottiche nur hüfttief. Der Unterarm des Fremden presste sich gegen seine Kehle, dessen Gewicht drückte ihn auf den Grund. Der Ellbogen des Magiers rammte nach hinten. Ein Zucken in dem kräftigen Körper verriet, dass es wehgetan haben musste. Seine Lungen verlangten nach Luft. Mit dem Kopf im Stoff verheddert, griff er blind hinauf und fand das Gesicht. Die Daumen erreichten die Augen, drückten hinein. Ein Aufschlag im Becken, ein Ruck. Eine Welle? Die tödliche Umarmung löste sich von Savinamas Hals. Keuchend kam er an die Oberfläche. Ein Tumult neben ihm, dass Wasser spritzte. Ein stechender Schmerz auf der linken Seite. Der Magier rutschte von den Beinen, landete erneut im Nass und verschluckte sich.

Dann bewegte sich nichts mehr.

Savinama kämpfte sich aus den Tüchern und griff mit der Hand über die Mauer. Mit lautstarken Würgegeräuschen zog er sich mit dem Oberkörper auf die Umrandung. Seine Lungen brüllten nach Luft. Das Husten beförderte die falsch gelandete Flüssigkeit auf den lehmigen Boden.

Der benötigte Sauerstoff fand seinen Weg.

Neben ihm stieg Karel aus dem Becken. Er blieb stehen und schaute auf ihn herab. In seiner Rechten blitzte im Laternenlicht die Klinge eines Dolches. „Wir regeln unsere Probleme ohne dich.“