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Eine kompakte Biographie des großen indischen Freiheitskämpfers. Neben den äußeren Lebensstationen werden auch die inneren Beweggründe und Anliegen Gandhis nachgezeichnet. In ausgewählten Texten zu wichtigen Themen kommt Gandhi selbst zu Wort. "Die kommenden Generationen werden es kaum glauben können, dass so ein Mensch auf der Erde gelebt hat." (Albert Einstein über Mahatma Gandhi) Der Autor, Richard Deats, ist Mitglied des Internationalen Versöhnungsbundes und gilt in den USA als profunder Kenner der Theorie und Praxis der Gewaltlosigkeit. Seine Martin-Luther-King-Biografie wurde in mehrere Sprachen übersetzt.
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Seitenzahl: 118
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RICHARD DEATS
MAHATMA GANDHI
Richard Deats
Mahatma
Gandhi
Ein Lebensbild
Ein Buch aus der Reihe: ZEUGEN UNSERER ZEIT
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Mahatma Gandhi. Nonviolent Liberator
© New City Press / Richard Deats, 2005
Übertragung ins Deutsche: Gudrun Griesmayr
© für die deutsche Ausgabe: Verlag Neue Stadt, München, 2009
Downloads und Zitate nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlags Neue Stadt.
E-BOOK-Ausgabe der gleichnamigen deutschen Ausgabe von 2005
© Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe bei
Verlag Neue Stadt, München
Umschlaggestaltung und Satz: Neue-Stadt-Graphik
ISBN 978-3-87996-901-2
Datenkonvertierung eBook:
Kreutzfeldt Electronic Publishing GmbH, Hamburg
www.kreutzfeldt.de
„Die kommenden Generationen
werden es kaum glauben können,
dass so ein Mensch auf der Erde gelebt hat.“
(Albert Einstein)
„Wenn die Menschheit
eine Zukunft haben soll,
dann kann sie sich Gandhi nicht entziehen.
Sein Leben, Denken und Handeln
waren inspiriert
von der Vision einer Menschheit,
die sich entwickelt
zu einer Welt des Friedens …
Wir können ihn ignorieren –
aber auf unsere Verantwortung.“
(Martin Luther King)
Inhalt
AUSGEWÄHLTE SCHRIFTEN
Vorwort
Mein Leben wurde von drei Personen entscheidend beeinflusst: von Muriel Lester, Martin Luther King und Mohandas Gandhi. Lester und King kannte ich persönlich; beide waren Gandhi durch seine Spiritualität und seine Lehre der Gewaltlosigkeit sehr verbunden. Sie waren es auch, die mich auf Gandhis Schriften und sein Wirken in Südafrika und Indien aufmerksam machten.
Dreizehn Jahre habe ich in Asien verbracht. Ich bin viel durch Indien gereist und habe dabei auch einige der Orte besucht, die mit Gandhi und der Freiheitsbewegung auf dem Subkontinent verbunden sind: Kalkutta, Bombay, Delhi, Madras, Kerala, Santiniketan. Ich war beim Birla House in Delhi (wo Gandhi ermordet wurde), während dort Dreharbeiten für Richard Attenboroughs Monumentalfilm „Gandhi“ liefen, und bin nach Rajghat in Delhi gepilgert, zu der Stätte, an der Gandhis Leichnam am 31. Januar 1948 verbrannt und ein Teil seiner Asche dem Fluss übergeben wurde. Ich habe an der Tagung des Internationalen Versöhnungsbunds (International Fellowship of Reconciliation, IFOR) teilgenommen, die 1981 im Christav-Ashram in Südindien stattfand, dem Hauptsitz der indischen Sektion. Diese wurde 1950 von dem indischen Sozialreformer K. K. Chandy gegründet, einem Freund Gandhis und anderer Aktivisten im gewaltlosen Kampf für Indiens Freiheit.
Seit fünfzig Jahren engagiere ich mich für den Frieden. In all der Zeit habe ich intensiv aus Gandhis Leben und Gedankengut geschöpft. In vielen Teilen der Welt habe ich Vorlesungen und Seminare über Gewaltlosigkeit gehalten; Gandhis Einfluss ist überall spürbar, wo Menschen gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung kämpfen. Während der Park-Diktatur 1977 in Südkorea begegnete ich dem „koreanischen Gandhi“ Ham Sok Hon, als ich Seminare im Untergrund hielt. 1985 gehörte ich zu dem Team der IFOR, das neun Wochen lang auf den Philippinen Seminare über Gewaltfreiheit durchführte. Während der Diktatur Ferdinand Marcos’ waren die Einheimischen besonders empfänglich für diese Botschaft. Der Hauptgegner Marcos’, Senator Benigno Aquino, hatte im Gefängnis durch die Lektüre der Bibel und der Schriften Gandhis eine tiefe Bekehrung erfahren. Nach seiner Ermordung (1983) griff das philippinische Volk seine Appelle auf und setzte eine gewaltfreie Revolution in Gang, die 1986 von Erfolg gekrönt wurde. Als die sowjetische Teilrepublik Litauen 1990 als erste im Angesicht sowjetischer Panzer für ihre Unabhängigkeit von der damaligen UdSSR eintrat, strahlte das litauische Fernsehen jeden Abend den Kinofilm „Gandhi“ aus. Im Jahr darauf organisierte ich ein Training für Personen, die dann im jungen unabhängigen Litauen Schulungen in Gewaltlosigkeit durchführten, um den gewaltfreien Widerstand gegen die andauernde sowjetische Kontrolle zu begleiten.
Ganz unerwartet wurde Gandhi im Jahr 2001 für mich persönlich noch einmal wichtig. Es war der zehnte Jahrestag seit Beginn der wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Irak, die den Hungertod von Abertausenden von Irakern mitverursacht haben. Ich nahm an einem Gottesdienst und einer Nachtwache vor der US-Gesandtschaft bei den Vereinten Nationen in New York teil. Wir luden den US-Botschafter ein, mit uns ein einfaches irakisches Mahl einzunehmen, das aus einer bescheidenen Portion Linsen und Reis bestand. Dazu gab es ungefiltertes Wasser zu trinken. Doch der Botschafter kam nicht. Stattdessen wurde unsere Gruppe von 16 Personen – Ordensfrauen, Priester, Geistliche, Menschen verschiedener religiöser Traditionen – wegen Hausfriedensbruch verhaftet und in Handschellen abgeführt. Man brachte uns in die berüchtigte „Gruft“ in der 100 Center Street in Manhattan, nahm unsere Fingerabdrücke und steckte uns zu mehreren in Zellen, wo wir bis zum nächsten Nachmittag blieben. Erst nachdem wir dem Richter vorgeführt worden waren, kamen wir frei.
In dieser schlaflosen Nacht betete ich für die Kinder im Irak, die ich während einer interreligiösen Friedensmission im Jahr 2000 auf den Krebsstationen und in den verarmten Gebieten um Bagdad und Basra gesehen hatte. Diese Stunden bleiben in meinem Gedächtnis eingeprägt als eine Zeit, in der Gandhi mit mir war, so wie er mit all denen ist, die auf gewaltlose Weise für eine gerechte und friedvolle Welt arbeiten. Wir sind ja von einer großen „Wolke von Zeugen“ umgeben, die uns vorausgegangen sind und uns den Weg bereiten (vgl. Hebräer 12,1), und Gandhi betrachte ich als einen von ihnen.
Mit der vorliegenden Biographie verbinde ich die Hoffnung, einer neuen Generation Leben und Botschaft Gandhis nahe zu bringen, Menschen, die eine Alternative zu Krieg, Intoleranz und Ungerechtigkeit suchen.
Richard Deats
Nyack, New York
Südafrika, 1893. Ein junger indischer Anwalt namens Mohandas Gandhi gewinnt in der neuen Umgebung langsam Vertrauen. Nach seinem Juraexamen in London und der Zulassung als Barrister, als Rechtsanwalt an höheren Gerichten, war er zunächst nach Bombay zurückgekehrt – mit mäßigem Erfolg: Seine extreme Schüchternheit hatte ihn im Gerichtssaal zum Gespött gemacht. Als eine muslimische Firma in Südafrika ihm einen Einjahresvertrag anbot, beschloss er, einen neuen Anfang zu wagen ...
Er hatte einen scharfen Verstand und legte ein ungewöhnliches Geschick an den Tag, fair vorzugehen und sowohl die Interessen des Angeklagten wie die des Klägers zu berücksichtigen.
Während seines ersten Jahres in Südafrika war Gandhi einmal geschäftlich in der Provinz Natal unterwegs. Er hatte ein Erste-Klasse-Ticket für den Zug gelöst, nicht wissend, dass die Erste Klasse ausschließlich Weißen vorbehalten war. Als der Zug Martizburg, die Hauptstadt von Natal hoch in den Bergen, erreichte, betrat ein Europäer das Abteil, in dem Gandhi bis dahin allein gereist war. Er holte einen Bahnbeamten hinzu, der Gandhi darüber informierte, dass er in die Dritte Klasse wechseln müsse. Dieser zeigte seine gültige Fahrkarte, doch der Beamte blieb hart und wiederholte seine Aufforderung. Als Gandhi sich weigerte, wurde schließlich ein Polizist gerufen, der ihn kurzerhand samt Gepäck aus dem Zug warf. Gandhi saß die ganze Nacht zitternd vor Kälte in der verlassenen Bahnstation, gedemütigt durch die grobe Behandlung, der er wegen seiner Hautfarbe ausgesetzt gewesen war.
Doch der junge Anwalt gab sich durch diesen „Platzverweis“ nicht geschlagen. Vielmehr war er entschlossen, nicht noch einmal eine solche Entwürdigung seiner selbst oder eines anderen Menschen zuzulassen. Später bezeichnete Gandhi diese einsamen Nachtstunden auf dem verlassenen Bahnhof als die fruchtbarste Erfahrung seines Lebens, als Wendepunkt, der seine Zukunft entscheidend beeinflussen sollte.
Viele Menschen zerbrechen und verbittern angesichts einer harten, ungerechten Behandlung. Gandhi wurde dadurch geläutert und wie Metall im Schmelzofen gestählt.
Zunächst deutete nichts darauf hin, dass Mohandas Gandhi einmal eine besondere Rolle bei der Umgestaltung Indiens spielen würde. Geboren wurde er am 2. Oktober 1869 in Porbandar, einer Seestadt ziemlich genau in der Mitte zwischen Bombay und Karachi auf der Halbinsel Kathiawar (heute ist das Gebiet, der Bundesstaat Gujarat, ein ständiger Konfliktherd zwischen Hindus und Muslimen). Mohandas war der jüngste Sohn von Karamchand und Putlibai Gandhi. Die Familie war wohlhabend. Der Vater, der keine reguläre Schulbildung besaß, war Politiker geworden. Er galt allgemein als unbestechlich und loyal gegenüber Klan und Familie. Seine Frau Putlibai hatte nie lesen und schreiben gelernt. Gewissenhaft befolgte sie die religiösen Riten, was großen Eindruck auf die Kinder machte. Ihre Frömmigkeit hatte bleibenden Einfluss auf Mohandas’ Leben.
Wegen seiner extremen Verschlossenheit war Mohandas nicht besonders gut in der Schule. Er war so schüchtern, dass er nach dem Unterricht sofort nach Hause lief, um den Klassenkameraden aus dem Weg zu gehen. Als er älter wurde, schloss er auch Freundschaften; aber nicht alle verliefen positiv. In seiner Kindheit und Jugend war er nicht gerade ein Tugendheld. Mit zwölf Jahren begann er heimlich zu rauchen. Einmal stahl er einem Diener, ein anderes Mal seinem Bruder Geld, um Zigaretten zu kaufen. Später schämte er sich dafür und schrieb seinem Vater einen aufrichtigen Reuebrief. Entgegen Mohandas Befürchtung wurde der Vater nicht wütend. Aber er weinte. Diese Tränen des Vaters, so schrieb Gandhi später, hätten seine Sünde fortgespült und ihm die wahre Bedeutung von Ahimsa (Gewaltlosigkeit) gezeigt: „Wird Ahimsa erst zum allumfassenden Prinzip, dann verwandelt sie alles, was mit ihr in Berührung kommt. Ihre Macht kennt keine Grenzen“ (An Autobiography, 28).
Heiraten von Jugendlichen waren in Indien weit verbreitet, und so wurde auch Mohandas mit dreizehn Jahren mit der gleichaltrigen Kasturbai Makanji verheiratet. Das blutjunge Paar fügte sich in die Großfamilie ein. Mohandas versuchte seine (nach seiner Meinung „eigensinnige“) Frau „in den Griff zu bekommen“, doch sie widersetzte sich seinem autoritären Auftreten. So kam es immer wieder zum Streit, manchmal redeten die beiden tagelang kein Wort miteinander.
Der junge Ehemann war von vielerlei Ängsten beherrscht; er hatte Angst vor der Dunkelheit, vor Geistern, vor Schlangen. Es beschämte ihn, dass die offensichtlich furchtlose Kasturbai auch nachts nach draußen ging. Da gab ihm Rambha, ein Diener der Familie, einen wichtigen Rat. Er sagte, vor der Angst davonzulaufen sei wahrlich nicht die beste Art, mit ihr fertig zu werden; stattdessen solle man versuchen, ihr standzuhalten, indem man immerzu das Mantra „Ram, Ram“, den Gebetsruf „Gott, Gott“, wiederhole. Ein Elefant greife auf dem Markt mit seinem Rüssel so lange nach Obst und Gemüse, bis man ihm einen Bambusstock zum Festhalten gebe. So werde der menschliche Geist durch Ängste, Zerstreutheiten und Gefahren sicher hindurchgeführt, wenn er das Mantra „festhalte“ (vgl. Eknath Easwaran, Gandhi The Man. The story of his Transformation, Tomales 1997, 117-119).
Dieser Rat legte den Grund für eine lebenslange Übung, die mit der Zeit das Herzstück von Gandhis Gebetspraxis wurde.
Der schlaksige und ungelenke Mohandas mochte keinen Sport. Doch er hatte gelesen, dass Spazierengehen gut für die Gesundheit sei. Also gewöhnte er sich an, viel zu Fuß zu gehen; das verlieh ihm Ausdauer und Kraft. In seiner Familie waren alle Vegetarier aus Überzeugung; Fleischessen war verpönt. Nun hatte Mohandas einen Freund, der kräftig und sehr sportlich war. Und der Volksmund sagte, der Verzehr von Fleisch mache die Menschen stark (deshalb, so eine populäre Schlussfolgerung, hätten die Briten das viel größere Indien erobern können). Also schloss sich Mohandas seinem Freund an und aß Ziegenfleisch. Ihm wurde übel davon, und er bekam schreckliche Albträume; dennoch aß er ein Jahr lang heimlich immer wieder Fleisch. Damals lehnte Gandhi den Vegetarismus ab, weil er glaubte, so mehr Körperkraft zu gewinnen. Zudem wollte er sich von strengen religiösen Regeln und zeremoniellem Gehabe frei machen. Eine Zeitlang betrachtete er sich selbst als Atheisten. Dennoch lauschte er aufmerksam den Freunden seines Vaters – Parsen, Muslimen und Jainas –, wenn sie über ihre religiösen Überzeugungen diskutierten. Religiöse Riten und Dogmen stießen ihn ab, doch die religiöse Ethik zog ihn an.
Als die Frage der Berufswahl aktuell wurde, entschied sich Gandhi, einer Tradition seiner Familie folgend Jura zu studieren, auch wenn er Zweifel hatte, dieses Studium erfolgreich abschließen zu können. Ein Freund der Familie erzählte ihm von der Möglichkeit eines dreijährigen Kurses in England. Das war nicht nur ein überschaubarer Zeitraum, sondern brachte auch noch das Renommee und die Faszination eines Auslandsstudiums mit sich. Die Idee sagte ihm zu, doch es gab auch Hindernisse. Einige Mitglieder der Familie befürchteten, Mohandas würde seine indische Identität verlieren, wenn er sich auf westliche Kleidung, Ernährung und Gebräuche einlasse. Diese Befürchtungen konnten beschwichtigt werden, indem Mohandas sich von einem Jainamönch das Gelübde abnehmen ließ, während seines Auslandsaufenthalts auf Fleisch, Alkohol und Beziehungen zu Frauen zu verzichten.
1888 wurde Kasturbais und Mohandas’ erster Sohn, Harilal, geboren. Einige Monate später schiffte sich Gandhi nach England ein; er war fast neunzehn. Für die Überfahrt hatte er ein Jackett im europäischen Stil und eine Krawatte gekauft, dazu ein wenig Obst und einige Süßigkeiten als Ergänzung zur Schiffskost. Die dreiwöchige Seereise bis Southampton erwies sich als wahre Tortur. Bei der fleischreichen Kost fand er für sich kaum etwas zu essen. Außerdem hatte er große Mühe, das Englisch, das gesprochen wurde, zu verstehen; dazu kam seine angeborene Schüchternheit, die seine Einsamkeit noch verstärkte.