Mama, beruhige dich! - Britta Hahn - E-Book

Mama, beruhige dich! E-Book

Britta Hahn

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Beschreibung

Kinder brauchen Eltern, die Gefühle regulieren können Emotionale Sicherheit in der Eltern-Kind-Beziehung ist Voraussetzung für eine stabile psychische Gesundheit im späteren Erwachsenenalter der Kinder. Viele Verhaltensweisen von Eltern beruhen jedoch auf Erwartungen und Haltungen, mit denen diese in ihrer eigenen Kindheit konfrontiert und die in der Ursprungsfamilie erwünscht waren. Diese unbewussten Muster boykottieren oftmals die Bemühungen, in einem herzlichen und echten Kontakt zu ihren Kindern zu bleiben. Ohne zu wissen, warum, wirkt das Geschrei oder ein „falscher Blick“ des Kindes wie ein Trigger. Er löst bei den Eltern Gefühle von Aggression oder Trauer aus, schnell eskaliert die Situation. In diesem Buch erläutert Britta Hahn verständlich die neuronalen und sozialen Grundlagen ungünstiger Eltern-Kind-Dynamiken und zeigt Wege auf, um auch in schwierigen Phasen, mit dem Herzen dabei zu bleiben, anstatt irrational oder gar gewalttätig zu reagieren.

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Seitenzahl: 334

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Britta HahnMama, beruhige dich!Wie Eltern ihre Gefühle regulieren und in guter Beziehung zu ihrem Kind bleiben

Über dieses Buch

Kinder brauchen Eltern, die Gefühle regulieren können

Emotionale Sicherheit in der Eltern-Kind-Beziehung ist Voraussetzung für eine stabile psychische Gesundheit im späteren Erwachsenenalter der Kinder. Viele Verhaltensweisen von Eltern beruhen jedoch auf Erwartungen und Haltungen, mit denen diese in ihrer eigenen Kindheit konfrontiert und die in der Ursprungsfamilie erwünscht waren. Diese unbewussten Muster boykottieren oftmals die Bemühungen, in einem herzlichen und echten Kontakt zu ihren Kindern zu bleiben. Ohne zu wissen, warum, wirkt das Geschrei oder ein „falscher Blick“ des Kindes wie ein Trigger. Er löst bei den Eltern Gefühle von Aggression oder Trauer aus, schnell eskaliert die Situation. 

In diesem Buch erläutert Britta Hahn verständlich die neuronalen und sozialen Grundlagen ungünstiger Eltern-Kind-Dynamiken und zeigt Wege auf, um auch in schwierigen Phasen, mit dem Herzen dabei zu bleiben, anstatt irrational oder gar gewalttätig zu reagieren.

Britta Hahn, selbst Mutter von vier Kindern, ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Homöopathie. Sie arbeitet und lebt in Villingen-Schwenningen. Dort hat sie den Waldkindergarten und in Trossingen das Lebenshaus im Verein für soziale Integration mitgegründet. Sie hält Vorträge und leitet Seminare.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2021

Coverfoto: © Rawpixel Ltd (www.istockphoto.com)

Illustrationen: Susanne Meiners, www.ateliermeiners.de

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2021

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0186-1

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0214-1 (EPUB), 978-3-7495-0216-5 (PDF), 978-3-7495-0215-8 (EPUB für Kindle).

Vorwort von Gunther Schmidt

Dieses Buch habe ich mit großer Freude und Zuversicht gelesen. Ich bin sicher, dass es allen Leser*innen zu einer Fundgrube dafür wird, in wertschätzender und ermutigender Weise die eigene innere Erlebnisdynamik gut und klar zu verstehen. Dies kann fundiert dazu beitragen, dass man seinen eigenen einzigartigen kongruenten Stil im Umgang miteinander findet, insbesondere auch im Umgang mit den eigenen Kindern und allen anderen Familienmitgliedern.

Für Eltern

Das Buch bietet sehr viele hilfreiche Anregungen dafür, wie sich Eltern in konstruktiver Weise selbst steuern können, wie sie sich auch in sehr turbulenten Situationen wirksam beruhigen und gleichzeitig handlungsfähig sein können. Es zeigt außerdem, wie Eltern im eben Genannten für ihre Kinder zu guten Vorbildern und damit auch im Sinne einer konstruktiven Zukunft unserer Gesellschaft zu sehr anregenden Modellen werden können.

In unserer postmodernen Gesellschaft heißt Elternsein für die meisten leider, in bleibender, praktisch nie ganz auflösbarer Ambivalenz oder sogar Multivalenz zu leben, ständig begleitet oder auch gehetzt von eigenen und äußeren Ansprüchen. Auch zu früheren Zeiten, wenn Eltern daran interessiert waren, ihre Kinder mit viel Liebe in bestmöglicher Weise zu fördern und dabei zu unterstützen, zu differenzierten Persönlichkeiten mit gesundem Selbstwert und viel Sozialkompetenz zu werden, war ihre Aufgabe sicher schon immer sehr herausfordernd und komplex. Doch in der heutigen Zeit, in einer Gesellschaft mit rasender Beschleunigungsdynamik und Wissenszuwachs, werden Eltern extrem perfektionistische Erwartungen aufgeladen. Wenn sie sich nur ein wenig informieren wollen, werden sie schon überflutet mit Ratgeberpublikationen unterschiedlichster Art und mit unüberschaubar vielen Stellungnahmen von Pädagogikexpert*innen, die beanspruchen, zu wissen, wie „es wirklich richtig ist“, mit Kindern umzugehen. Allerdings sind diese Meinungen in vielerlei Hinsicht auch widersprüchlich, was für alle Beteiligten in den Familien zu einer überflutenden Konfusion kommen kann. Am Ende fühlen sich Eltern – egal, was sie tun oder nicht tun – immer wieder so, als hätten sie es wieder falsch gemacht.

Diese „Suggestionen“ verarbeiten viele Menschen mit quälendem Stresserleben, mit dem ständigen Gefühl, nicht zu genügen. Dies allerdings, dass wissen wir insbesondere aus vielen hypnosystemischen Therapien und Beratungen, aktiviert auf unwillkürlicher und meist unbewusster Ebene genau die destruktiven, schwächenden und sehr hinderlichen Erlebnisnetzwerke, die in der eigenen Biografie in leidvoller Weise erfahren und verinnerlicht wurden. Nicht selten erhöht sich geradezu die Wahrscheinlichkeit, dass sich Eltern diesen dysfunktionalen Erlebnisnetzwerken entsprechend verhalten: Die angestrebten Ratgeberziele werden konterkariert und eine konstruktive Selbststeuerungsfähigkeit wird erschwert.

Hier hebt sich dieses Buch ausgesprochen wohltuend ab und erweist sich als praktisch und sehr hilfreich. Ich kenne die Autorin schon seit langer Zeit, da ich die Ehre hatte, ihr die hypnosystemischen Konzepte in einigen meiner Weiterbildungen vermitteln zu dürfen. Ich habe sie dabei als eine sehr engagierte Kollegin kennengelernt, die mit unstillbarer Neugier und sehr wachem differenziertem Blick über den Horizont der vertrauten Konzepte hinausschaut. Sie investiert sehr viel Herzblut, gerade auch dafür, anderen Menschen eine immer bessere Unterstützung im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe anbieten zu können. Aus meiner Sicht ist ihr das mit diesem Buch hervorragend gelungen.

Will man als Eltern „Erziehung“ gut gestalten, braucht man dafür sehr viele Fähigkeiten, auch im Sinne von Kontextflexibilität in der sich ständig verändernden Entwicklungsdynamik der Kinder. Mit der ständigen Veränderung haben aber auch die Eltern selbst zu tun, ebenso alle anderen Familienmitglieder, und sie zeigt sich natürlich auch in gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die wir alle eingebettet sind und auf die auch wir einwirken. Gerade für Kinder muss man für klare Konstanz, für stabile Beziehungen und generell für das Erleben von Sicherheit sorgen. Auf diese Herausforderung der Balance zwischen Veränderungsbereitschaft und Stabilität weise ich in einem meiner Artikel hin, mit dem bezeichnenden Titel: „Wer einigermaßen der Gleiche bleiben will, muss sich ständig verändern“.

Ständig stellen sich Herausforderungen in der stimmigen Gestaltung von Nähe und Distanz. Es geht einerseits um Respekt für die Autonomie der Kinder und ihre Abgrenzungsbedürfnisse und andererseits um ihre Bedürfnisse nach Halt, an die Hand genommen zu werden und sich anlehnen zu können. Es geht darum, ihnen Selbstwirksamkeit zuzutrauen und sie auch manchmal zu fordern, und andererseits darum, sie zu schonen und Verantwortung für sie zu übernehmen.

Weiterführende Informationen, auch für Therapeut*innen und Berater*innen von Eltern

In unserem hypnosystemischen Konzept nennen wir das zuvor Genannte „bezogene Individuation“. Die zentrale Aufgabe ist hier, das eigene Wohl in gesunder Weise zu entwickeln und förderliche Interaktionen miteinander zu gestalten, die in Beziehungen auch zum Wohl der anderen beitragen. Zu diesem Konzept gehört auch, mit den vielfältigen Ambivalenzen der Kinder in der Beziehung zu den Eltern so umzugehen, dass die Eltern mit achtsamem Bezug zu eigenen Bedürfnissen gleichzeitig eine achtungsvolle Haltung dem Erleben der Kinder gegenüber zeigen können. Dabei sollten sie so klar und kongruent kommunizieren, dass auch die Kinder erleben können: Liebevoll stärkende Begegnungen bei bleibender Unterschiedlichkeit der Beteiligten sind möglich. Und dass gerade dadurch bereichernde Beziehungen erlebt werden können, in denen man sich wohl- und geachtet fühlen kann und ermutigt wird, seine eigene einzigartige Persönlichkeit mit Würde auszubilden und zu leben.

Das klingt gut und wahrscheinlich würden die meisten Menschen solchen Absichtserklärungen nachdrücklich zustimmen. Die praktische Umsetzung dürfte aber den allermeisten (wahrscheinlich sogar allen) ziemlich schwerfallen. Dies liegt aber nicht an einem grundsätzlichen Mangel an Fähigkeiten. Dysfunktionales und destruktives Verhalten wird oft darauf zurückgeführt, dass die betreffende Person nicht über die Ressourcen und Kompetenzen für „besseres“ Verhalten verfügt. Mit den von mir vertretenen hypnosystemischen Konzepten kann man jedoch immer schnell zeigen, dass die notwendigen Grundkompetenzen für gesundes und konstruktives Erleben und Verhalten sehr wohl im quasi „schlummernden“ unbewussten Erlebnisrepertoire eines Menschen vorhanden sind. Dies belegt auch die Forschung zum autobiografischen Gedächtnis (Episoden-Gedächtnis). Alle Menschen verfügen über sehr viele verschiedene Erlebnis- und Verhaltensvarianten, auch über sehr konstruktive und kompetente. Oft kann allerdings der Zugang dazu blockiert sein, sogar so weit, dass kaum noch Erinnerungen an ein Ereignis bestehen. Das liegt schon an der neurobiologischen Organisation unseres Gehirns und des gesamten Organismus. Um dies zu verstehen, müssen wir zwischen bewusst-willentlichem und unwillkürlichem Erleben unterscheiden. Unwillkürliches Erleben ist grundsätzlich immer schneller und stärker als alles Willentliche. Generiert wird es vor allem in den Bereichen von Stamm- und Zwischenhirn. Entwicklungsgeschichtlich sind diese viel älter als die Großhirnrinde (in der unser Bewusstes verortet ist) und sie funktionieren auch anders.

Die Hirnforschung kann uns heute zeigen, dass menschliches Erleben in jedem Moment neu erzeugt wird als Netzwerk unterschiedlicher sinnlicher Komponenten, und zwar abhängig davon, wie und wohin die Aufmerksamkeit ausgerichtet wird. In einer erlebten Situation genügen kleine Reize, um ein ganzes damit vernetztes komplexes Erleben blitzschnell wieder aufzurufen (Hebb‘sches Gesetz). Selbst wenn man es bewusst nicht wollte, werden (wie die Priming-Forschung zeigt) in der jeweiligen Gegenwart Reaktionsmuster aus ganz anderen Zeiten gebahnt und aktiviert. Damals hatte man in schwierigen Situationen, in einer verzweifelten Lage als Notlösung ein Muster aufgebaut. Mangels anderer Möglichkeiten war das damals sinnvoll, aber heute hat es unangemessene, oft sehr leidvolle Auswirkungen. Menschen reagieren dann oft so, als könnten sie nicht anders und als verfügten sie über keine hilfreichen Fähigkeiten. Letztere sind aber nur dissoziiert und wieder aufrufbar. Man muss also wissen, wie man sie a) gezielt ansteuern und aktivieren kann und wie man b) dabei auch die ungewünschten unwillkürlichen Prozesse so aufgreifen und transformieren kann, dass sie als „verschleierter Ausdruck wertvoller Bedürfnisse“ zieldienlich genutzt werden können (Utilisation). Dafür ist es zentral, eine innere Position aufzubauen, aus der heraus man mit Überblick sowie mit Achtsamkeit nach innen und außen die Vielfalt eigener (oft völlig widersprüchlicher) Strebungen zielorientiert steuern kann. Ebenso, wie man mit den vielfältigen (multivalenten) Prozessen anderer achtungsvoll umgehen kann, um eine konstruktive, tolerante Ko-Existenz leben zu können.

Um dies wirksam zu gestalten, ist ein systematisches Wissen hilfreich, wie man bewusst die schnelleren und stärkeren unwillkürlichen Prozesse beeinflussen kann. In wunderbar klarer und verständlicher Weise macht die Autorin auch sehr komplexe Zusammenhänge unserer Gehirnorganisation und -Dynamik für die Leser*innen leicht nachvollziehbar. Mit anschaulichen Metaphern für die diversen Teile des autonomen Nervensystems (AN) gelingt es ihr hervorragend, die unterschiedlichen positiven und auch die negativen (aus der Balance geratenen) Aspekte des AN verstehbar zu machen, und hier ganz besonders, wie wichtig es ist, diese Prozesse immer wieder in eine gute Balance zu bringen. Die Logik des AN lässt sich so gut nachvollziehen, und das wiederum trägt dazu bei, Eltern darin zu ermutigen, gerade im Dienste ihrer Kinder eine fundierte Selbstfürsorge zu beachten, anstatt allein und vorrangig das Wohl der Kinder im Blick zu haben.

Sehr differenziert legt die Autorin dar: Alle Emotionen weisen grundsätzlich sehr wertvolle Aspekte auf und können nützlich sein. Es gibt also keine „negativen“ Emotionen. Vielmehr kann jede Emotion verstanden und genutzt werden als wertvolle Botschaft über achtenswerte Bedürfnisse. Diese freilich müssen immer auch so kommuniziert und in Verhalten umgesetzt werden, dass sie kontextangemessen wirken können. Wie die Autorin das vermittelt, lässt den Systemiker und Hypnosystemiker in mir bewundernd lächeln.

Wenn man beachtet, dass alles menschliche Erleben immer nur autonom von innen heraus in autopoietischer (sich selbst erzeugender) Selbststeuerung gestaltet wird, dass man also von außen niemanden (natürlich auch kein Kind) zu irgendeinem Erleben zwingen kann, dann wird klar: Kein Therapeut kann jemals einen therapeutischen Erfolg „machen“. Dieser ist immer ein Ergebnis autonomer Selbststeuerung der betreffenden Klient*innen, drückt also immer vor allem deren Kompetenz aus. Menschen, die unter Problemen oder Symptomen leiden, wissen dies aber meist nicht (mehr) und sehen sich selbst nicht als die Kompetenten. Im Interesse einer optimalen Selbstwirksamkeit benötigen sie also auch das bewusste Wissen darüber, wie sie die beschriebenen Prozesse steuern können.

In allen meinen Weiterbildungen vermittle ich deshalb auch, dass eine gute Therapie oder Beratung erst dann gut ist, wenn sie den Klient*innen aufzeigt, wie sie eigenständig ihre Ziele erreichen können. Außerdem, dass sie verstehen und mit Stolz würdigen können, dass es immer Ausdruck ihrer Leistung und Kompetenz ist, wenn sie erfolgreich sind. Oberstes Ziel aller Konzepte, die sich um die Unterstützung von Menschen bemühen, ob in Therapie, Beratung, Coaching oder auf sonstige Art, muss also die Stärkung der Selbstwirksamkeit und der Selbststeuerung der betreffenden Menschen sein.

Der Autorin gelingt es mit diesem Buch und seinen vielen anschaulichen praktischen Beispielen ausgezeichnet, dieses Wissen für eine gelingende Steuerung der vielen, je nach Kontext oft auch widersprüchlichen inneren Strebungen so zu vermitteln, dass alle Leser*innen dies direkt und mit klarer Orientierung anwenden können. Dies halte ich für ein besonderes Verdienst ihrer Arbeit. Immer wieder bietet sie Hilfen dafür, dass Kinder geschützt werden, z. B. vor emotionaler Ausbeutung durch bedürftige Seiten von Eltern, die deren Verhalten dominieren. Die im Buch vermittelten Ideen helfen aber nicht nur den Kindern, sondern auch den bedürftigen Eltern. Erst dadurch, dass endlich ihre bedürftigen (und wertvollen) Seiten beachtet und geachtet werden, werden sie in die Lage versetzt, den Kindern erfüllende, förderliche Beziehungserfahrungen zu ermöglichen. Letztere sind wiederum die beste Voraussetzung für eine konstruktive Zukunft und ein gelingendes Miteinander. So legt die Autorin überzeugend dar, dass Liebe zu sich selbst und ein wertschätzender Umgang mit sich selbst die beste Basis und das beste Modell für die Kinder sind. Das wird vielen Eltern helfen, die dies bisher eher als Gegensatz erlebt und das eigene Wohlergehen hinter das Wohl der Kinder gestellt haben. Gerade damit haben sie die Kinder nicht so gut liebevoll gefördert, wie sie es so gerne getan hätten.

Sehr schön finde ich, dass die Autorin die Prozesse bei Eltern, die zu Belastungen für die Kinder werden können, klar beschreibt, ohne jemals anklagend zu werden oder einseitig nur Partei für die Kinderseite einzunehmen. Sie zeigt sich vielmehr allparteilich verstehend und weist gleichzeitig klar darauf hin, wo Veränderungsbedarf sinnvoll wäre – und das immer, auch als Autorin, mit genau der „Delphin-Haltung“, für die sie mit sehr guten Argumenten bei den Eltern wirbt. Dies ist wohltuend anders, als ich das aus den Anfangszeiten der Familientherapie kenne und manchmal leider noch heute in Supervisionen von Familientherapeut*innen erlebe (interessanterweise meist von denen, die selbst noch keine Kinder haben).

Unsere Kinder sind unsere Zukunft. Dieses Buch ist auf seine Art deshalb ein sehr wertvoller und äußerst nützlicher Beitrag für die Möglichkeit, eine immer besser werdende Zukunft zu gestalten. Und dies kann gerade dadurch gelingen, dass alle Beteiligten sehr liebevoll und achtungsvoll mit sich selbst und den eigenen Multivalenzen umgehen.

Ich wünsche dem Buch großen Erfolg, den es zweifellos verdient.

Heidelberg, im März 2021

Dr. med. Dipl.rer.pol Gunther Schmidt

FA für psychosomatische Medizin / Psychotherapie
Leiter des Milton-Erickson-Instituts Heidelberg
Ärztlicher Direktor der sysTelios-Klinik Siedelsbrunn
für psychosomatische Gesundheitsentwicklung

Vorbemerkung

Die Leserinnen und Leser werden gebeten, „Mama“ und „Papa“ gleichzusetzen. Auch wenn Elternkurse heute noch hauptsächlich von Müttern besucht werden, tragen Vater wie Mutter die gleiche Verantwortung für das Kind. Aus sprachlichen Gründen wird im Buch manchmal nur ein Elternteil genannt, es sind aber beide gemeint.

Ich gehe davon aus, dass die Gründe für ein emotionales Ungleichgewicht in der Begleitung von Kindern in der Geschichte und im Temperament der Eltern zu finden sind, nicht aber im Geschlecht des Erziehenden. Beide, Väter wie Mütter, können sowohl ruhig und ausgeglichen als auch unausgeglichen sein.

Dieses Buch richtet sich an Eltern oder Berater für Eltern, die eine Vision von einer Welt haben, in der jeder Mensch, ob Kind oder Erwachsener, als Individuum gleichwertig wahrgenommen wird. Jeder hat eigene Gefühle, Bedürfnisse, Gedanken, seine eigene Spiritualität und auch eigene Sichtweisen der Welt. Erwachsene Menschen sind nach diesem Verständnis emotional ausreichend intelligent, sich als Teil einer Gemeinschaft zu erleben, in der sie die eigenen und die Bedürfnisse der anderen wahrnehmen und beachten können. Ihnen stehen Empathie und verantwortliches Handeln als Ressourcen zur Verfügung. Sie sind in der Lage, unterschiedliche Interessen und daraus resultierende Konflikte abzuwägen, bevor sie Entscheidungen treffen, die ihnen selbst dienen, wie auch anderen Menschen. Das macht für mich eine von Humanismus geprägte Haltung aus: Sie wertschätzt jedes Individuum als Teil einer Gesellschaft. Fehler sind Lernerfahrungen, sie werden nicht abgestraft. In der Familie wird eine humanistische Haltung vorgelebt und eingeübt.

Von totalitären Gemeinschaftsformen distanziere ich mich deutlich. Ich glaube visionär an eine Welt, in der wir einander mit Liebe für alles Lebendige begegnen können.

Ich freue mich, dass es Sie gibt und dass Sie dieses Buch lesen, ganz egal welchem Geschlecht sie angehören. Bitte fühlen Sie sich angesprochen, auch wenn ich in diesem Buch zugunsten der besseren Lesbarkeit auf eine vorgegebene Genderschreibweise verzichte. Als Leser betrachte ich Sie als fühlendes menschliches Wesen, unabhängig davon, mit welchem Geschlecht Sie sich identifizieren.

Einleitung

Im 21. Jahrhundert haben Eltern ausreichend Zugang zu Informationen darüber, wie sie einen gelingenden liebevollen Umgang mit ihren Kindern gestalten und pflegen können. Die Erkenntnisse aus der Achtsamkeits- und Gehirnforschung sowie die Wichtigkeit der Eltern-Kind-Bindung sind den meisten Eltern bekannt. Dieses Wissen wird jedoch schnell zu einer unsichtbaren Messlatte, die viele Eltern anlegen, um „Bestergebnisse“ zu erreichen.

Achtsamkeit

Achtsam zu sein bedeutet, nicht zu bewerten und sich auf das zu konzentrieren, was gerade außerhalb der Gedanken ist. Achtsamkeit ist u. a. bei Stress und Ängsten sehr wirksam. In speziellen Kursen lernen erwachsene Menschen (wieder), sich im Augenblick wahrzunehmen. Das ist etwas, das sie als Kinder bereits konnten. In unserer funktionalen Welt jedoch haben viele diese Fähigkeit verlernt.

Die Anerkennung der Achtsamkeitspraxis in der westlichen Welt geht ganz wesentlich auf Jon Kabat-Zinn zurück. Seine Methode der achtsamkeitsbasierten Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR) wird in Kursen gelehrt.

Auch in der Psychotherapie hat die Achtsamkeitspraxis inzwischen einen festen Platz.

In meinem beruflichen Umfeld als Ärztliche Psychotherapeutin begegnen mir Mütter und Väter, die in ihrem Engagement für ihre Kinder ihre persönlichen Grenzen erreicht haben und verzweifelt sind, weil sie nicht so liebevoll und zugewandt bleiben können, wie sie sich das wünschen. Eine Mutter wollte sich sogar das Leben nehmen, weil sie der Überzeugung war, andere Mütter könnten so viel besser mit ihren Kindern umgehen als sie selbst. Sie meinte, es wäre besser, ihre Kinder bekämen eine andere Mutter, um ein fröhliches Leben führen zu können. Im Gespräch mit dieser Frau zeigte sich, dass sie zwar theoretisch alles über das liebevolle Zusammensein mit Kindern wusste, sich aber als unfähig erlebte, dieses Wissen umzusetzen. Mehr noch: Sie hatte aus den gut gemeinten Erziehungsbeiträgen, die ihr untergekommen waren, herausgefiltert, was sie selbst bisher nicht hatte erreichen können, und sich mit einem Ungenügend beurteilt. Sie sah in vielen Begegnungen mit ihrem Kind ihr erneutes Versagen. Die bewusste Absicht, sich dem mitunter auch mal quengelnden Kind liebevoll zuzuwenden, war vorhanden. Im Inneren fühlte sich die Mutter jedoch angestrengt und genervt.

Gehirnforschung

Ich habe Anfang der 1980er-Jahre Medizin studiert. Im Anatomiekurs haben wir ein menschliches Gehirn zerlegt und die Namen jeder Windung gelernt, ohne deren Funktionen zu kennen. Erst in den 1990er-Jahren konnte mithilfe des Kernspins das Wunderwerk der Hirnfunktionen tiefer greifend erforscht werden.

Im 18. Jahrhundert entstanden Landkarten für neue Kontinente, Ende des 20. Jahrhunderts solche für das Gehirn.

Die Erkenntnisse aus der Gehirnforschung fanden auch Eingang in die Psychotherapie. Besonders wichtig für die Psychologie war die Entdeckung, dass das Gehirn plastisch ist. Da, wo es benutzt wird, verändert es sich lebenslang in seinen Strukturen: Jeder Mensch kann sich weiterentwickeln!

Die liebevolle Hinwendung zum Kind kann sich wie ein explodierendes Pulverfass entwickeln, wenn sie nicht aus dem Herzen, sondern aus dem Kopf heraus erfolgt. Jedes Kind verdient die ganze Liebe seiner Eltern, und diese sind in der Regel auch hoch motiviert, ihr Bestes zu geben. Doch: Wissen und gute Absichten allein helfen nicht. Gerade mal zehn Prozent unseres Handelns ist bewusst gesteuert. Deshalb werden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, hier auch nicht von mir erfahren, was Sie als Eltern methodisch besser machen können oder wo die Kinderbegleitung aus pädagogischer Sicht ggf. im Argen liegt. Ich gehe davon aus, dass Ihr Wissen für Ihr gutes gemeinsames Leben ausreichend ist. Sie wollen mit Kind und Partner, so gut es geht, und in Liebe zusammenleben. In diesem Buch geht es also weniger um ein „Wie mache ich es besser?“, sondern mehr darum, den Kontakt mit dem Kind zu halten, auch wenn gerade gemeinsam Konflikte ausgetragen werden müssen.

Zu sehr großen Teilen beruhen unsere Verhaltensmuster auf Erwartungen und Absichten, mit denen wir in der Kindheit konfrontiert wurden und die in der Ursprungsfamilie erwünscht waren. Es sind die Spielregeln des Überlebens in dieser speziellen Familie, in der wir aufwuchsen. Diese Regeln werden im späteren Leben unbewusst angewendet. Sie dienen der Bewertung von Situationen und der Handlungsentscheidung. Missverständnisse sind dabei eher die Regel als die Ausnahme.

Was ich Ihnen in diesem Buch also vermitteln möchte, ist eine Synthese aus Herz, Verstand und körperlichem Erleben. Menschen sind vernünftig und emotional. Weil Emotionen vernünftige Begegnungen zwischen Menschen stören können, scheint es oft naheliegend, sie zu bekämpfen. Positiv erlebte Gefühle dürfen ausgedrückt werden: Das Kind ist dann artig und lieb. Negative Gefühle hingegen sind hinderlich, anstrengend und werden nicht selten rational zurückgedrängt – mit Worten, die dem Kind erklären sollen, was es tun kann, um zur Freude und damit auch zum „Liebsein“ zurückzufinden.

Die allein „vernünftige“ Begleitung von Kindern scheitert an der Realität der Emotionen und – wie wir heute wissenschaftlich nachweisen können – an der Biologie des menschlichen Nervensystems.

Kinder sind lebendig, sie haben mal gute und mal schlechte Laune, sie sind nörgelig, abweisend und dann wieder zugewandt, sie können zornig sein, lachen und im nächsten Moment weinen. Eltern können auf unterschiedlichen Ebenen auf diese Lebendigkeit reagieren:

Kopfgesteuerte Eltern wissen um den Reichtum einer liebevollen Beziehung und wenden sich dem Kind zu, weil „es so sein sollte“.

Herzgesteuerte Eltern bleiben in Beziehung mit ihrem Kind – sowohl in glücklichen Momenten als auch in unglücklichen, in denen das Kind sich gegensätzlich zu dem verhält, was den Eltern wichtig ist. Sie nehmen ihre Gefühle und die ihres Kindes wahr und beenden mehr und mehr das kopfgesteuerte Bewerten von Gefühlen. Eine lebendige Beziehung löst Empfindungen in den beteiligten Körpern aus. Das Erleben von Beziehung wird körperlich dem Herzen zugeordnet.

Bauchgesteuerte Eltern handeln und reflektieren aus dem Augenblick heraus. Die Wut, die aus dem Bauch aufsteigt, gilt es zu vermeiden. Kinder sollen den Vorstellungen der Eltern folgen, ansonsten gibt es Ärger.

Eigene Erfahrungen

Ich selbst bin bei einer bauchgesteuerten Mutter aufgewachsen und lernte die Devise kennen: „Wenn alles funktioniert, wie Mutter es sich vorstellt, brauchst du keinen Ärger zu befürchten, und ihre Liebe ist für dich da.“ So eine Mutter liest keine Bücher und braucht auch nicht zu reflektieren, wie es dem Kind geht, weil sie das Kind ganz einfach nach ihrer Façon liebt. Sie weiß gar nicht, wieso andere Eltern sich immer „so einen Kopf machen“.

In den 80er-Jahren gehörte ich zu den Müttern, die die Strenge ihrer Nachkriegseltern aus den 50er- und 60er-Jahren ablehnten. Ich wollte die Erziehungsprinzipien von Disziplin und Gehorsam der eigenen erlebten Kindheit verwandeln. Ich wusste, dass diese Kindheit mit Schlägen, Geschrei und Unterwerfung keine Startbasis ist, um im späteren Leben selbstbestimmt, mutig und einfühlend zu sein. Das Kennenlernen der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) von Marshall Rosenberg war eine wichtige Anleitung, um die Kinder als eigenständige Wesen zu sehen mit eigenen Gedanken, Bedürfnissen und Gefühlen, die sich auch von meinen unterscheiden durften. Berührende Begegnungen mit meinen Kindern fanden statt. Ich nahm wahr, dass die Kinder nicht in mein Leben gekommen waren, um es mir schwer zu machen. Sie folgten ihrer eigenen inneren Logik, die ich mehr und mehr zu verstehen und auch zu schätzen lernte. Wir fanden gemeinsam Lösungen mit dem Ziel, dass sich jeder wohlfühlt in der Familie mit unterschiedlichen Ansichten, Interessen und Beiträgen.

Die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation

Marshall Rosenberg hat herausgefunden, dass folgende vier Schritte helfen, uns klar, einfühlsam und gewaltfrei auszudrücken:

1. Was wir sehen

… und hören – was wir wie durch eine Videokamera wahrnehmen –, das ist eine Beobachtung. Und diese gilt es von jeglicher Bewertung zu trennen. „Hier liegen Bauklötze, Duplosteine und eine Jacke auf dem Fußboden“ ist eine Beobachtung, während „Hier liegt schon wieder alles rum“ eine Bewertung ist.

2. Was wir fühlen

… ist wie ein Messinstrument unserer Seele: Wenn es uns gut geht, lassen Gefühle uns das Leben genießen und in vollen Zügen auskosten. Wir fühlen uns dann glücklich, zufrieden, entspannt, liebevoll ... Wenn es uns schlecht geht, wir ärgerlich, traurig und erschöpft ... sind, geben die Gefühle uns ein Signal, etwas zu unternehmen, damit wir bekommen, was wir brauchen!

3. Was wir brauchen

… verbindet uns mit allen Menschen, denn wir teilen dieselben Bedürfnisse, wie Liebe, Respekt, Unterstützung und Autonomie ... Wer anfängt, sich damit zu beschäftigen, entdeckt, was er eigentlich alles braucht und wie reich das Leben sein kann! Bedürfnisse wollen erfüllt sein und sind an keine bestimmte Person oder Handlung gebunden.

4. Wenn wir bitten

… sprechen wir aus, womit der andere unser Leben bereichern kann, wenn er möchte. Die Bitte ist klar und konkret wie: „Kannst du die Spielsachen im Wohnzimmer jetzt aufräumen?“ Oder: „Was meinst du dazu?“ – Wenn ich eine Bitte ausspreche, weiß mein Gegenüber, warum ich ihm mitgeteilt habe, was ich fühle und brauche – er muss es nicht erraten! Dabei weiß ich, dass der andere mir ein Geschenk macht, wenn er meine Bitte erfüllt. Er kann auch Nein sagen.

(Ulrike Frey, in Hahn 2007, S. 163)

Lange Zeit später, erst nachdem die Kinder schon außer Haus waren, erkannte ich in vielen Gesprächen, wie oft ich in der Vergangenheit Begegnungen mit den Kindern aus dem Kopf gesteuert hatte. Vernünftig sagte ich dem Kind, was es zu tun hatte, weil „man“ das so zu tun hat. „Mach deine Hausaufgaben, alle tun das!“ Ich verbündete mich mit dem Lehrer gegen das Kind und insistierte, weil ich Konzepte im Kopf hatte, wie ein Kind in der Schule sich zu verhalten hat. Ich lebte teilweise eine Pseudobeziehung mit dem Kind, in der seine Vorstellung einer Lebensgestaltung bei mir kein Gehör bekam. Ich war verunsichert, wenn sie mir ihre Sicht von Schule präsentierten. Die Kinder sollten, ohne dass es mir bewusst war, kritiklos meine Vorstellungen übernehmen, damit ich mich sicher fühlte.

Meine Kinder haben mir als erwachsene Menschen erzählen können, wie sie ihre kopfgesteuerte Mutter erlebt haben. Sie waren dankbar, dass ich die GFK kennengelernt hatte, weil ich sie dadurch viel mehr als eigenständige Menschen wahrnahm. Als Kinder hatten sie aber auch spüren können, wie zwischen meinen Worten und deren Umsetzung eine Diskrepanz war. Worte beschrieben im korrekten GFK-Jargon meine Wunschwelt einer liebevollen Begegnung. Sie waren verwirrt, weil sie mich teilweise nicht „echt“ erlebten, funktional vernünftig, aber nicht verbunden mit meinen eigenen Gefühlen. Erst nach und nach lernte ich mit den Kindern, Gefühle zu fühlen statt zu denken, und entdeckte die Herzenskräfte in mir und in den Kindern.

Erst meine Enkelkinder geben mir die Gelegenheit, zu erfassen, was es bedeutet, mit dem Herzen emotional verbunden zu sein. Es geht nicht um Kopf oder Herz, sondern sowohl um den Kopf als auch um das Herz, es geht um die Verbindung von beidem.

Mein zweijähriger Enkel spielt. Ich bin mit dem Haushalt beschäftigt und verspreche, anschließend mit ihm einkaufen zu gehen. Zwischenzeitlich sind die Tante und deren Kinder da, alle spielen entspannt miteinander. So entscheide ich kurzerhand, allein zum Einkaufen zu gehen, und verschwinde heimlich. Ich verabschiede mich nicht aus für mich vernünftigen Gründen, um das gemeinsame Spiel nicht zu unterbrechen. Mein Versprechen habe ich halb vergessen, nicht aber das zweijährige Kind, wie ich bei der Rückkehr erfahre. Herzzerreißend habe er sich bei seinen ihn tröstenden Eltern ausgeweint, weil er doch zum Einkauf mitgewollt habe.

Früher hätte ich mir gesagt: „Es ist alles wieder gut, jetzt ist er wieder beruhigt.“ Doch in den Jahrzehnten mit meinen eigenen Kindern hatte ich gelernt, mehr und mehr auf mein Herz zu hören, das mir sagte: „Jetzt geh hin und nimm ihn wahr!“ Meine alten Muster meldeten sich auch vernünftig zu Wort: „Jetzt hat er sich doch beruhigt, reiß nicht die Wunde auf, es ist doch schon vorbei!“ Liebe auszudrücken fühlt sich für meine Generation fremd an und doch sagte ich zu ihm: „Luis, ich habe von deiner Traurigkeit gehört. Du wolltest mitgehen, und ich bin schnell fortgegangen, ohne dir Bescheid zu geben.“ – Pause: Ihn fühlen und ihn anschauen, ihn wahrnehmen, seine Augen sehen und mitbekommen, was in ihm vorgeht. – „Ich bedauere das und beim nächsten Mal sag ich dir Bescheid.“

Erst noch traurig, aber dann gleich strahlend antwortet er mir, er habe so geweint und freue sich jetzt, dass ich wisse, dass er beim nächsten Mal mitwolle. Ich nehme es mir fest vor und bestätige ihm, dass ich ihn ernst nehmen werde, wenn wir uns wieder verabreden.

Glücklich danke ich meinem Herzen, das dafür gesorgt hat, aus dem Kontaktverlust wieder in die Einstimmung mit ihm zurückzufinden.

Wenn wir bis heute von Erziehung sprechen, tun wir so, als wären Kinder erziehbar. Kinder sind lebendige Wesen, die uns beobachten und uns nachahmen. Das Gehirn stellt hierfür Nervenzellen – Spiegelneurone genannt – zur Verfügung. Sie spiegeln dem Kind alles an Verhaltensweisen seiner ihn liebenden und versorgenden Menschen. Kinder ahmen uns nach. Auf diese für mich heute selbstverständliche Erkenntnis hat mich ein Walldorflehrer aufmerksam gemacht, als mein erstes Kind seine erste Klasse besuchte. Vorher dachte ich völlig unbewusst, im Rückblick für mich beschämend, dass Eltern ihren Kindern die Welt erklären müssten. So hatte ich es selbst als Kind von Eltern der 50er-Jahre erfahren: Alles wurde erklärt. Aus Sicht der damaligen Eltern wussten Kinder nichts und die Eltern alles. Eltern waren in ihrer Selbstwahrnehmung die höchste richterliche Instanz: „Sei ruhig, du bist noch ein Kind, hier reden die Erwachsenen!“

Auch heute noch haben manche Eltern die Vorstellung, dass sich das Kind etwas mehr Mühe geben müsse, dass es vielleicht ein wenig mehr lachen, ein wenig mehr hilfsbereit sein könnte, den Bruder weniger angreifen oder etwas leiser, freundlicher, eben kooperativer sein könnte. Der Fokus liegt auf dem Kind und darauf, was es besser machen könnte. In der Theorie wissen die Eltern, dass das Kind ein eigenständiges Wesen ist mit eigenen Vorstellungen, Gedanken, Bedürfnissen und Absichten. In der Praxis erleben sie sich genervt, angestrengt und aufbrausend. Wie heißt es so schön: „Der Unterschied von Theorie und Praxis ist in der Praxis größer als in der Theorie!“

Sie werden auch nach dem Lesen dieses Buches die gesamte Palette Ihrer Gefühle in sich erleben. Sie bleiben ein unvollkommener Mensch, der sich, bei aller Liebe zum Kind, sowohl liebend als auch verletzend verhalten kann. Ich hoffe aber, dass es Ihnen zunehmend besser gelingt, sich selbst gegenüber freundlich zu bleiben, weil Sie gelernt haben, wie Ihre inneren Kritiker zu stoppen sind. Sie kennen dann vielleicht Ihre inneren freundlichen Begleiter, die Sie ermutigen, mit Ihrem Kind wieder in Kontakt zu gehen. Ich hoffe auch, dass Sie die in diesem Buch beschriebene Anleitung für inneren Frieden (siehe Teil II) verinnerlichen und an Ihre Lebensgeschichte anpassen können. Von Mal zu Mal steigen Ihre Chancen, dass Sie zusammen mit Ihrem Kind einen Vertrauensraum erschaffen, in dem sich alle Beteiligten emotional sicher fühlen, auch während Sie Unstimmigkeiten zwischen sich lösen.

Konflikte fördern dann in Ihnen und Ihrem Kind das Expertentum für menschliches Miteinander in Sicherheit und Verbindung.

TEIL I: DER VAGUS, EIN NERV FÜR DIE SELBSTBERUHIGUNG GESTRESSTER ELTERN

1. Blick ins Gehirn: wie Emotionen entstehen

1.1 Die Polyvagaltheorie und ihr Nutzen für eine glückliche Eltern-Kind-Beziehung

Seitdem der amerikanische Professor für Psychiatrie und Biomedizintechnik Stephen Porges 1990 die sogenannte Polyvagaltheorie veröffentlicht hat, verstehen mehr und mehr Psychotherapeuten die biologischen Gründe dafür, dass eine gute therapeutische Beziehung zum Patienten wesentlich zu seiner psychischen Gesundung beiträgt. Porges Entdeckungen bestätigen auch, dass emotionale Sicherheit in der Eltern-Kind-Beziehung Voraussetzung ist für eine stabile psychische Gesundheit im späteren Erwachsenenalter der Kinder. Dies schafft eine Orientierung nicht nur für Therapeuten, sondern auch für Eltern, vielleicht bald auch für Lehrer, und zeigt auf, wie seelische Gesundheit von Kindern sich entwickelt und bestehen bleibt.

Der Name „Polyvagal“ hat nichts mit der Vagina (= weibliche Scheide) zu tun, sondern mit dem zehnten Hirnnerv, dem wichtigsten Nerv im autonomen Beruhigungssystems, der Vagus genannt wird. Die Anatomen fanden ihn im gesamten menschlichen Körper und fühlten sich daher an einen Vagabunden, einen Herumtreiber, erinnert. So kam es zu dem lateinischen Begriff Vagus (von lat. vagus = umherschweifend, umherirrend, umherziehend, heimatlos).

Vor Porges war bereits bekannt, dass der Vagus zum Stresssystem gehört. Ein Stresssystem hat bildlich gesprochen ein Gas- und ein Bremspedal: Da ist der Erregernerv, der Sympathikus, sowie der Beruhiger, der Vagus. Der Erreger hilft uns biologisch, angesichts von Gefahr wegzurennen oder – wenn wir uns stark genug wissen – den Gegner anzugreifen. Außerhalb einer Gefahr beruhigt der Vagus den aufgeregten Körper.

Stephen Porges entdeckte dann, dass es den Vagus zweimal gibt: einen vorderen (ventralen) und einen hinteren (dorsalen) Ast. Daher der Name „polyvagal“ = mehrere Vagusnerven. Beide entspringen (in benachbarten Gebieten) im Hirnstamm. Entwicklungsgeschichtlich gibt es den vorderen Ast noch nicht so lange wie den hinteren, weshalb manchmal auch von „altem“ und „neuem“ Vagus gesprochen wird. Wissenschaftler vor Porges hatten gar nicht gemerkt, dass der neue Vagus wie ein Kabel eine Isolierung trägt und der alte keine. Der neue leitet Informationen schnell weiter, der alte nur langsam. Die beiden Äste des Vagus haben völlig unterschiedliche Aufgaben:

Der vordere soziale Nerv sorgt dafür, dass wir uns mit anderen Menschen entspannt wohlfühlen können, wenn wir in Sicherheit sind. Er wird auch als Ruhe-Nerv bezeichnet, weil er der Erholung und der Gesundheit dient, indem er das Immunsystem stärkt.

Der hintere Vagus hilft bei Todesgefahr oder überwältigendem Stress, uns leblos zu stellen: Wichtige Körperfunktionen werden runtergefahren, die Muskulatur wird ganz schlaff und immobil wie bei einer Eidechse, die sich bei Bedrohung tot stellt.

Aufgrund der Forschungsarbeiten von Stephen Porges wissen wir nun, dass es drei schützende Sicherheitsnervensysteme gibt, die miteinander kooperieren und unser Überleben sichern. Sie steuern unsere Wahrnehmung und unser Verhalten bei Sicherheit, Gefahr oder Lebensgefahr.

1.2 Wie hilft Eltern das Wissen um den Vagus-Nerv?

Nur die Säugetiere, zu denen auch der Mensch gehört, haben zusätzlich zum alten auch den neuen Vagus. Er wird auch der kluge Vagus genannt. Klug ist dieser Nerv, weil er die Umwelt über die Sinnesorgane und die inneren Organe nach Gefahrenreizen abscannt und mit dem Gehirn kommuniziert. Die Hauptrichtung des Vagus verläuft mit vier Leitungen vom Körper zum Gehirn wie ein vieradriges dickes Kabel. Wenn der Vagus mit vier Leitungen dem Gehirn meldet, dass die Luft rein ist und dass weder innerlich noch äußerlich Gefahr droht, überprüft das Gehirn in Zusammenarbeit mit den Emotionen und dem denkenden Gehirn die Richtigkeit und beauftragt die umgekehrte einadrige Leitung, die wieder nach unten in den Körper führt, sich zu entspannen: „Keep cool!“ Ein entspannter Körper sendet Signale, die unbewusst vom Vagus anderer menschlicher Körper gelesen werden und diese auch entspannen lässt (wie Lächeln, eine ruhige freundliche Stimme und lockere zugewandte Körperhaltung). Umgekehrt gilt genauso: Ein angespannter Körper (laute dominante Stimme und mangelnde Gesichtsmimik) lässt andere Körper automatisch anspannen. Eine Mutter in einem entspannten Körper verhilft dem Körper ihres Kindes, ebenfalls zu entspannen. Diese Anspannungs- und Entspannungsprozesse laufen unterhalb der Bewusstseinsebene ab. Ein Kind in einem entspannten Körper beobachtet und hört neugierig seinen Eltern zu, was diese ihm über die Welt beibringen wollen. Es ist in einem kooperativen Zustand. Das Kind öffnet sich für soziale Prozesse mit seinen Eltern oder Freunden. Sein Körper ist in der Lage, sich einem anderen Menschen zu nähern, sich dabei sicher zu fühlen, und sein Gehirn kann leicht lernen. Eltern lieben diesen offenen Zustand ihrer Kinder. Zusammen mit ihrem eigenen zugewandten Zustand ergibt dies ein Gesamtpaket aus Kooperation und gemeinsamem Wohlfühlen.

Genau diese Fähigkeit der Annäherung hat schon der Säugling trinkend an der Brust der Mutter trainiert: In der Nähe von warmer Haut war er sicher, sättigende süße Milch belohnte ihn. In diesem wohligen Zustand der Verbundenheit erfährt der Säugling, was Menschen später Liebe nennen.

Was passiert auf den Nervenbahnen, wenn ein Mensch angespannt ist?

Ist ein Mensch entspannt, ist der vordere Vagus in voller Aktion. Er hemmt den Kampf-Flucht-Nerv, den Sympathikus. Lockert der Vagus in Gefahr seine Bremsfunktion, ist der Kampf-Flucht-Nerv augenblicklich zu 100 Prozent eingeschaltet. Der Sympathikus fährt nicht langsam hoch, er ist sofort mit voller Kapazität aktiv. In Lebensgefahr rettet ein sofort zur Verfügung stehendes leistungsfähiges Angriffs- oder Fluchtsystem den Bedrohten. Wenn das Kampf- oder Verteidigungssystem erst nach Erkennen der Gefahr hochfahren würde, wäre der Bedrängte durch diese Verzögerung vielleicht schon ernsthaft verletzt oder sogar getötet.

Das erklärt auch das Phänomen, von dem besorgte Eltern immer wieder berichten: „Ich verstehe nicht, wieso ich von jetzt auf gleich auf 100 bin. Das ist eine gewaltige Wut, die in mir aufsteigen kann, manchmal aus nichtigem Anlass.“ Die Antwort ist einfach: Die Vagusbremse hat sich gelockert. Das automatische schützende Nervensystem strebt danach, Sicherheit herzustellen und Gefahren zu erkennen. Körperliche oder psychische Gefahr wird gleichermaßen bedrohlich bewertet und führt zu Anpassungsreaktionen des Körpers an die Gefahrensituation.

Doch welche Gefahr wird da erkannt, wenn das Kind sich bloß in seiner Lebendigkeit zeigt und rational offensichtlich keine Gefahrensituation vorliegt?

Kinder können durch ihr Verhalten unbewusst dem Nervensystem ihrer Eltern signalisieren, dass Gefahr besteht und Kampf oder Flucht angeraten sind. Rational gesehen besteht keine Lebensgefahr. Doch der Vagus hat zusammen mit seinem Alarmsystem, welches unterhalb des denkenden Gehirns im Mittel- und Stammhirn liegt, anders entschieden.

Das Alarmsystem orientiert sich an allen biografischen Vorerfahrungen des Menschen, die in unbewussten Mittel- und Stammhirnarealen abgespeichert wurden. Wenn eine Mutter schneller schreit, als ihr lieb ist, dann kann der Teil ihres Gehirns, der dieses Verhalten auslöst, der sogenannte Mandelkern, mit einem Rauchmelder verglichen werden, der zu scharf eingestellt ist. Dieser meldet nicht nur, wenn sich Rauch in jenem Haus bildet, in welchem er montiert wurde, sondern auch, wenn sich im Nachbarhaus zwei Straßenzüge weiter jemand eine Zigarette anzündet. Während im echten Leben beim Verdacht auf ein Feuer die Feuerwehr gerufen würde, lockert im menschlichen Körper der vordere Vagus-Nerv seine Bremse und der Sympathikus veranlasst das Hormonsystem des Körpers, Erregungshormone für Flucht oder Kampf auszuschütten.

Mandelkern

Der Mandelkern sitzt im Zentrum des Gehirns. Bei Gefahr übernimmt er die Steuerung, was dazu führt, dass wir mit Angst oder Aggression reagieren. Noch bevor unser Verstand eine Situation beurteilen kann, reagiert er blitzschnell.

Seinen Namen hat dieser Teil des Gehirns aufgrund seiner Form, die einer Mandel gleicht.

Wäre der Sympathikus ein bellender, zum Angriff bereiter Kampfhund, dann wäre die Vagus-Bremse die Hundeleine, die ihn zurückhält.

Eltern benötigen selbst einen trainierten vorderen Vagus, um das Kampf- / Fluchtsystem zu bremsen, auch wenn das Kind das Bad unter Wasser setzt, den Bruder an den Haaren zieht oder sich wütend auf die Erde wirft. Die Katastrophe eskaliert völlig, wenn Eltern biologisch angetrieben wegrennen oder das Kind körperlich angreifen, um es unter Kontrolle zu bringen.

Wenn Sie als Eltern wissen wollen, wie Sie trotz widriger Lebensereignisse Ihre Vagus-Bremse im Umgang mit Ihrem Kind betätigen können, dann lohnt es sich für Sie, die Biologie des menschlichen Körpers besser kennenzulernen. Die Wahrscheinlichkeit steigt dadurch, dass Ihr Kind von Ihnen lernt, seine eigene Vagusbremse zu bedienen. Bis Kinder überschießende Impulse von Kampf und Flucht regulieren können, braucht es ein jahrelanges Training. Sich selbst zu beruhigen ist eine Fähigkeit, die Kinder von selbstberuhigten Eltern lernen, und zwar im gleichen Prozess, in dem sie die Muttersprache durch Nachahmung erwerben. Je besser Eltern sich selbst beruhigen können, umso leichter lernt es das Kind von ihnen.

Beruhigung im ganzen Körper

Neben der Beruhigung des Sympathikus leistet der Vagus noch viel mehr. Er nimmt Verbindung zu verschiedenen Körperorganen auf: Der vordere Vagus verläuft zu Herz und Lunge und von dort aus zum Kehlkopf, zur Gesichtsmuskulatur und zum Muskel des Mittelohres. Wenn der Vagus aktiviert ist, bewirkt er Beruhigung im ganzen Körper:

Die Frequenz von Herz und Atmung wird reduziert. Bei voller Vagus-Bremse sind der Atem und der Herzschlag langsam und ruhig.

Die Kehlkopfmuskulatur produziert eine freundliche Stimmlage, bei der sich andere Menschen sicher und wohlfühlen können. Mütter sprechen automatisch mit einer beruhigenden Wiegenstimme mit ihrem Säugling, ohne sich das bewusst vorzunehmen.

Der Vagus bewirkt, dass sich die Gesichtsmuskeln um die Augen bewegen, sodass die Mimik von anderen Menschen als freundlich erkannt wird. Eine vorgetäuschte freundliche Mimik wird unbewusst als eine solche wahrgenommen. Ein beschwindelter Mensch bekommt intuitiv durch seine vier Vagus-Leitungen mit, ob ein Lächeln echt oder vorgemacht ist.

Zudem beeinflusst der Vagus den kleinsten Muskel der drei Ohrknöchelchen, der in einen Spannungstonus geht, mit dem der Mensch den sprachlichen Hörbereich gut wahrnehmen kann. Wird ein Mensch angeschrien, ist er biologisch nicht fähig, gut zu hören. Die Antwort auf eine geschriene Frage: „Mensch, hörst du mich denn nicht?“, wäre biologisch zu beantworten mit einem einfachen: „Nein!“

Sich mit anderen Menschen sozial zu verhalten und sich verbunden zu fühlen, ist biologisch gesehen den Gehirnbereichen und Hirnnerven zu verdanken, die ein Gesamtnetzwerk bilden, welches von Stephen Porges den Namen „System des Sozialen Engagements“ (System of Social Engagement; SSE) bekam. Im SSE spielt der vordere Vagus eine entscheidende Rolle. Zur Vereinfachung vermeide ich im Folgenden weitgehend die wissenschaftlichen Begrifflichkeiten und beschreibe das System für Soziales Engagement für Sie als Eltern im nächsten Kapitel als „Delfinsystem“. Warum Delfin? Das erfahren Sie im nächsten Kapitel.

2. Das autonome System für Sicherheit und (Lebens-)Gefahr

2.1 Delfin, Wachhund und Schildkröte: drei Nervensysteme in Aktion

2.1.1 Der Delfin – Zustand körperlicher Entspannung und Kooperation