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Und täglich grüßt der Hochzeitscrash: Ein Tag, ein vermeintliches Traumpaar und acht Möglichkeiten alles wieder gut zu machen Megan und Tom freuen sich auf ihr Hochzeitswochende. Aber mit zwei komplizierten Familien, nach zehn Jahren Beziehungsgeschichte und entsprechend vielen Geheimnissen geht sehr bald alles schief. Nach einem desaströsen Essen und einem noch schlimmeren Streit am Vorabend der Hochzeit beschließen die beiden, alles abzublasen – nur um am nächsten Morgen aufzuwachen und in einer Art Zeitschleife gefangen zu sein: Sie müssen den schlimmsten Tag ihres Lebens erneut durchmachen. Wie kommen sie da wieder raus? Und was passiert, wenn sie es tatsächlich schaffen? Stell dir vor, du musst den schlimmsten Tag in deinem Leben immer wieder erleben. Würdest du alles anders machen? Würdest du alles besser machen?
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Man liebt sich immer zweimal im Leben
ANNETTE CHRISTIE hat ein Studium in Theaterwissenschaften absolviert, bevor sie einen Jugendroman als Podcast sowie journalistische Texte veröffentlichte. Sie lebt in Kanada mit ihrem Mann und zwei Kindern.
»Es war völlig ausgeschlossen, dass Tom so viele Einzelheiten eines Tages, der noch gar nicht stattgefunden hatte, im Traum vorweggenommen hatte. Was bedeutete … Nein. Das war genauso unsinnig.Aber ihm fiel keine andere Erklärung ein. Konnte das möglich sein? Geschah es wirklich?Er ließ sich jede Einzelheit durch den Kopf gehen: Henry Winkler auf der Fähre. Sein steifer Nacken. Brodys Trinkspiel. Der ›kluge Rat‹ seines Vaters. All das zusammengenommen, konnte nur eins bedeuten, so unfassbar es auch schien: Tom erlebte ein und denselben Tag zum zweiten Mal. Ein Kribbeln ging durch seinen Körper, und die Welt geriet ins Wanken. Wie war so etwas überhaupt möglich? Sollte er ins Krankenhaus fahren? Sich an einen Psychiater wenden?Fast hätte er sich mitten aufs Grün gesetzt. Doch er wollte keine Szene machen. Niemand sollte wissen, wie groß seine Panik war. Wahrscheinlich wäre es das Klügste, einfach weiterzumachen wie gehabt, bis er die Situation besser einschätzen konnte. So zu tun, als wäre alles in bester Ordnung.
Obwohl davon wahrlich nicht die Rede sein konnte. Denn was auch immer hier gerade geschah, konnte nicht real sein.«
Annette Christie
Roman
Aus dem Amerikanischen von Sybille Uplegger
Ullstein
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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © Favoritbüro, München; © 2021 Hachette Book Group, Inc.Foto der Autorin: © Michael ChristieE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comISBN 978-3-8437-2723-5
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Titelei
Die Autorin / Das Buch
Titelseite
Impressum
Erster Tag
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Zweiter Tag
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Dritter Tag
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Vierter Tag
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Fünfter Tag
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Sechster Tag
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Siebter Tag
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Achter Tag
Kapitel 39
Anhang
Danksagung
Social Media
Vorablesen.de
Cover
Titelseite
Inhalt
Erster Tag
Für MLC –
ich würde mich immer und immer und immer wieder für dich entscheiden.
Wie du fortfahren willst, so beginne.
Das sagten sich Tom und Megan alljährlich an Silvester, nachdem sie sich um vierundzwanzig Uhr geküsst hatten und kurz bevor sie von der Party verschwanden, zu deren Besuch man sie überredet hatte, während die anderen Gäste, nicht unbedingt textsicher, noch das obligatorische »Auld Lang Syne« sangen. Denn eigentlich wollten sie das neue Jahr viel lieber zu zweit in ihrer gemütlichen Wohnung begrüßen, wo sie sich den Bauch mit Käse und Champagner vollschlagen und ihre Zweisamkeit genießen konnten.
Wie du fortfahren willst, so beginne.
Insofern war es wohl angemessen, dass dies die ersten Worte waren, die Megan in den Kopf kamen, als sie am Tag vor ihrer Hochzeit die Augen aufschlug. Im nächsten Moment fiel ihr ein, was bis dahin noch alles zu erledigen war, doch sie schob den Gedanken energisch beiseite. Zu diesem Zeitpunkt lagen sämtliche Details in den überaus fähigen Händen des hoteleigenen Hochzeitsplaners. Allein an diesem langen Septemberwochenende, das aufgrund des Feiertags ein beliebter Zeitpunkt für private Veranstaltungen war, hatte er fünf Trauungen zu organisieren. Da würde er sicherlich auch noch die Hochzeitsfeier Givens/Prescott stemmen können.
Megan rekelte sich noch einen Augenblick lang zwischen den luxuriösen Laken, ehe sie die Beine aus dem Bett schwang und mit nackten Füßen über den kühlen Parkettboden tappte, um so schnell wie möglich ins Bad zu kommen. Dort waren die Fliesen warm von der Fußbodenheizung, und wenn ihre Zehen erst einmal kalt waren, dauerte es ewig, bis sie wieder auftauten.
Innen an der Badezimmertür hing der flauschige weiße Hotelbademantel. Sie schlüpfte hinein, schob ihre marginal angewärmten Füße in die ebenfalls vom Hotel bereitgestellten Pantoffeln und kehrte ins Schlafzimmer zurück, wo sie die Vorhänge vor dem großen Fenster öffnete. Sie blinzelte ins helle Morgenlicht. In der Hochzeitssuite zu übernachten hatte gewisse Vorzüge. Der schönste war für sie der Ausblick auf Roche Harbor.
Es war noch früh, trotzdem herrschte draußen bereits reges Treiben. Kleine Kinder, noch in Schlafanzügen, Badetücher und Mini-Shampooflaschen in der Hand, gingen zusammen mit ihren Eltern über den hölzernen Steg der Marina zu den öffentlichen Duschen.
Vom Fenster aus konnte sie sogar das alte Segelboot ihrer Großeltern, die Happy Accident, mit ihrem verblichenen smaragdgrünen Rumpf und den morschen Holzverzierungen sehen. Unwillkürlich musste sie an die zahlreichen Sommerferien denken, die sie früher auf diesem Boot verbracht hatte. Solche Erinnerungen wärmten noch besser als die Fußbodenheizung. Segeln bedeutete für Megan die ultimative Freiheit. Dabei hatte sie ihre heimliche Abenteuerlust ausleben und wenigstens für eine Zeit lang alle Verantwortung an ihre Großmutter abgeben können, die an Bord das Kommando führte.
Auch deshalb war sie jetzt auf die Insel zurückgekehrt, auf der sie früher mit ihrer Familie jeden Sommer verbracht hatte. Sie war zwar in Montana aufgewachsen, hatte jedoch San Juan Island stets als ihr wahres Zuhause betrachtet und zeitlebens den Wunsch gehegt, eines Tages hier zu heiraten.
Die Insel bot in jeder Hinsicht die perfekte Kulisse für eine Traumhochzeit. Das Einzige, was noch fehlte, war ihr Verlobter.
Megan warf einen Blick auf ihr Handy und spürte ein Kribbeln der Vorfreude, als sie sah, dass Tom ihr eine Nachricht geschickt hatte, während sie noch geschlafen hatte.
Maschine gelandet. Bin auf dem Weg zur Fähre.
Unwillkürlich musste sie lächeln. Wenn sie sich erst wieder auf derselben Landmasse befanden, würde es ihr noch besser gehen. Sag dem Fährmann, er soll auf die Tube drücken, schrieb sie ihm zurück und schickte gleich noch ein Selfie hinterher, weil sie wusste, dass er über ihre vom Bett verstrubbelten Haare lachen würde. Nach dem Aufstehen sah sie immer aus wie so eine Trollfigur aus den 90ern (»nur hübscher«, wie Tom zu betonen pflegte).
Von draußen drang das gedämpfte Piepsen einer Schlüsselkarte an ihr Ohr. Dieser hinterlistige Kerl, dachte sie überglücklich. Er war bereits angekommen und hatte sie mit seiner Textnachricht bloß in die Irre führen wollen. Megan ließ den Vorhang los und war drauf und dran, sich den Bademantel von den Schultern gleiten zu lassen, um ihren Verlobten mit einem Hauch vorhochzeitlicher Nacktheit zu empfangen, als ihre Mutter in die Suite gewirbelt kam. Hastig zog Megan den Bademantel wieder zu und verknotete den Gürtel.
»Es heißt doch immer, Amazon liefert am selben Tag, aber bei allen Kleidern, die ich mir angesehen habe, stand: Lieferzeit ein bis zwei Wochen.« Eine Hand ins Kreuz gestützt, die andere an den Busen gepresst, machte Donna Givens ihrem Ruf, gerne überzureagieren, alle Ehre.
»Mom.« Megan schlug den besänftigenden Tonfall an, den sie ausschließlich für den Umgang mit ihrer Mutter reserviert hatte. Donna mochte sie zur Welt gebracht haben, trotzdem nahm sie in ihrer Beziehung grundsätzlich die Rolle des Kindes ein. »Wieso hast du einen Schlüssel für mein Zimmer?«
»Beim Einchecken haben sie dir zwei gegeben, Liebes, also wirklich.« Donna riss die Vorhänge vollständig auf, sodass sie – und Megan ebenfalls – vom grellen Morgensonnenschein geblendet wurde.
»Die andere Karte ist eigentlich für Tom.«
»Aber Tom ist nicht hier, oder?« Donna ließ sich auf die Chaiselongue neben dem Kamin sinken. Man hätte ihre knallroten Haare tatsächlich für Flammen halten können.
»Er hatte gestern noch ein Geschäftsessen, das sich nicht verschieben ließ«, sagte Megan abwehrend. Sie selbst war auch nicht gerade erfreut über Toms verzögerte Ankunft, aber sie beide hatten anstrengende Berufe, die viel Zeit in Anspruch nahmen, und waren übereingekommen, dass die Arbeit im Zweifelsfall vorging. Tom hatte den Nachtflug genommen und würde eben etwas später eintreffen. Es war wirklich keine große Sache.
Donna rümpfte schnippisch die Nase und zupfte an ihrem Halstuch. »Wer zieht denn bitte die Arbeit seiner Frau vor? Das ist ein Verhalten à la Ehemann Nummer drei.«
Megans Ärger wuchs. Und das hatte nicht nur damit zu tun, dass ein solches Verhalten in Wahrheit eher an Donnas Ehemann Nummer vier erinnerte (einen Workaholic, der mittlerweile im benachbarten County eine brandneue Bilderbuchfamilie hatte) als an Nummer drei (den jähzornigen Alkoholiker, den Donna bereits nach zwei Wochen rausgeschmissen hatte und von dem sie oft vergaß, dass sie überhaupt mit ihm verheiratet gewesen war). Sie ärgerte sich, weil Tom nichts, aber auch gar nichts, mit den Ehemännern oder Liebhabern gemein hatte, die in Donnas Leben ein und aus gingen. Denn – und das war der noch viel wichtigere Punkt – Megan hatte ebenfalls nichts mit Donna gemein.
Sie rieb gedankenverloren ihren Verlobungsring mit dem Daumen. Tom arbeitete viel, ja, aber er war kein Workaholic. Er hatte einfach nur einen wichtigen Termin gehabt. Sie wusste nicht genau, was daran so wichtig gewesen war, und ehrlich gesagt, hatten Toms Antworten auf ihr Nachfragen hin ein bisschen ausweichend geklungen, aber sie vertraute ihm blind. Wenn er sagte, dass er einen Termin hatte, den er nicht aufschieben konnte, dann war das so.
»Was meintest du vorhin mit Kleidern und Amazon?«
»Ich brauche was zum Anziehen für das Probedinner heute Abend.« Donna blickte aus dem Fenster. »Man kann von hier aus Grans und Granddads Boot sehen.«
»Ich weiß. Ist mir auch schon aufgefallen.« Es war mühsam, ihre Mutter dazu zu bringen, sich so lange auf ein Problem zu konzentrieren, dass es auch tatsächlich einer Lösung zugeführt werden konnte. Aber Megan war kampferprobt und hatte im Laufe der Jahre eine ganze Kiste voller Tricks zusammengestellt, aus der sie nun den passenden heraussuchte, ehe sie sich neben Donna auf die Chaiselongue setzte. Sie nahm die Hände ihrer Mutter und wartete geduldig, bis diese ihr wieder ihre Aufmerksamkeit zugewandt hatte.
Donna schaute sie an.
»Du hast doch ein Kleid«, sagte Megan sanft.
»Es ist viel zu gewöhnlich.« Donna entzog sich ihrem Griff und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. »Ich brauche was Schickeres.« Donna sprach mit einem seltsamen Akzent – das tat sie manchmal, wenn sie aufgewühlt oder durcheinander war.
»Was klingst du so britisch heute Morgen?«
Das hätte Megan lieber nicht sagen sollen. Donna stieg die Röte ins Gesicht. Wenn sie eine ihrer Launen hatte, war es am besten, die Abwärtsspirale möglichst schnell zu unterbrechen, solange sie noch nicht allzu viel Fahrt aufgenommen hatte. Da Donna in der Regel nicht widerstehen konnte, wenn man ihr ein Kompliment machte, beschloss Megan, genau das zu tun. »Mom, dein Kleid ist wunderschön. Du bist wunderschön darin. Wickelkleider lassen jede Frau zehn Jahre jünger aussehen.«
»Ich habe es heute Morgen anprobiert, und Gran …«
»Was hat Gran gemacht?«
»Sie hat mich als Flittchen bezeichnet.«
»Gran hat Brianna und mich auch mal als Flittchen bezeichnet, weil wir im Schlafanzug einkaufen gegangen sind. Im Flanellschlafanzug, wohlgemerkt«, sagte Megan.
Ihre Großmutter und Donna gerieten ständig aneinander. Megan und ihre Schwester hingegen hatten schon vor langer Zeit gelernt, die Spitzzüngigkeit der alten Frau mit Humor zu nehmen. Außerdem: Was ihrer Großmutter an Taktgefühl fehlte, machte sie mit Umarmungen und leckerer Hausmannskost wett – zwei Dinge, in denen Donna sich nicht gerade hervortat und nach denen sich ihre beiden Töchter immer gesehnt hatten.
Solange Megan denken konnte, war sie so etwas wie der emotionale Thermostat der Familie gewesen. Ihre Mutter stand immer kurz vor dem Siedepunkt, genau wie die Hälfte der Männer, die sie anschleppte. Die andere Hälfte war eiskalt. Fieber oder Schüttelfrost, dazwischen gab es praktisch nichts, und da Megan nicht auf die Hilfe ihrer notorisch unzuverlässigen Geschwister bauen konnte, war es ihre Aufgabe, für ein halbwegs angenehmes Klima zu sorgen. An manchen Tagen fiel ihr das besonders schwer.
»Hast du was von Alistair gehört?« Sie stellte diese Frage aus zwei Gründen. Erstens wollte sie ihre Mutter damit auf andere Gedanken bringen, zweitens musste sie noch im Restaurant Bescheid geben, wie viele Personen am Abend zum Essen kommen würden.
Donna machte eine wegwerfende Handbewegung. Sie hatte es längst aufgegeben, über Alistairs Eskapaden Buch zu führen. Stattdessen zog sie es vor, sich überschwänglich zu freuen, wenn er auftauchte, und ansonsten zu vergessen, dass es ihn gab.
»Er kommt mit jedem Tag mehr nach seinem Vater.« Donna rang nach Atem, als wäre sie die Heldin in einer Geschichte voller Erzschurken.
Sie hatte ihren Ehemann Nummer eins, Alistairs Erzeuger, auf der Highschool bei einer Party kennengelernt. Die beiden hatten sich im betrunkenen Zustand ineinander verliebt, sich entliebt, sobald sie wieder nüchtern waren, und wiederholten dieses Muster seitdem mit schöner Regelmäßigkeit. Er war der Einzige aus der Riege der Ehemänner, der gelegentlich zurückkehrte – nur um das Weite zu suchen, sobald Donna sich wieder an ihn gewöhnt hatte. Der Vater von Megan und ihrer Schwester Brianna, auch bekannt als Ehemann Nummer zwei, war Donnas Trostpflaster gewesen. Die Ehe mit ihm hielt immerhin lange genug, um zwei gemeinsame Kinder hervorzubringen, ging jedoch kurz darauf in die Brüche. Obwohl ihr Vater nach der Trennung weiterhin in derselben Stadt lebte, ließ er sich nie bei seinen Töchtern blicken. Irgendwann hatte sein Desinteresse auf Megan abgefärbt, und inzwischen dachte sie so selten an ihn wie er – höchstwahrscheinlich – an sie.
Sie trat zu ihrer Mutter und streichelte ihr die selbst gefärbten roten Haare. »Gran ist eben ein bisschen altmodisch. Ich wette, du siehst in deinem Kleid absolut atemberaubend aus.«
»Ihre Kritteleien sind an diesem Wochenende einfach zu viel für mich.« Donna schmollte, ganz so, als wäre sie diejenige, die heiraten wollte. Normalerweise hätte sie ihre Selbstmitleidsnummer noch mit dem Satz: »Du musst mich aufheitern, Moopy«, unterstrichen, doch Megan kam ihr zuvor, indem sie ein weiteres Werkzeug aus ihrer Trickkiste kramte.
Sie schloss ihre Mutter in die Arme. »Du siehst toll aus. Das Kleid ist perfekt. Ich garantiere dir, Toms Mutter wird grün werden vor Neid, weil du so bombastisch aussiehst.«
Donnas Miene erhellte sich schlagartig. »Das ist die Idee!«
»Was?«
»Du gehst zu Toms Eltern und erkundigst dich, ob es ihnen an nichts fehlt, weil du ja so eine fürsorgliche Schwiegertochter bist, und bei der Gelegenheit kannst du Carol fragen, was sie heute Abend anziehen will, damit ich mich darauf einstellen kann.«
»Ich werde ganz sicher nicht …«
»Ich liebe dich, Moopy.« Donna gab Megan einen Kuss auf die Schläfe und eilte, zum Abschied mit den Fingern winkend, zur Tür.
»Ich dich auch, Mom.«
Erschöpft schloss Megan die Tür hinter ihrer Mutter und warf einen Blick auf den Wecker. Immerhin würde Toms Fähre bald anlegen. Die Dusche konnte warten, stattdessen sprühte sie sich eine großzügige Ladung Trockenshampoo ins Haar, arrangierte es am Oberkopf zu einem kunstvollen Knoten und zog sich ein bequemes Jerseykleid an. Zum Schluss nahm sie lächelnd die Halskette mit dem Herzanhänger, die sie am Abend zuvor auf der Kommode bereitgelegt hatte, und legte sie sich um. Sie war ein Valentinstagsgeschenk von Tom gewesen – das allererste, das er ihr je gemacht hatte. Damals waren sie gerade mal achtzehn gewesen. Rückblickend betrachtet, war die Symbolik vielleicht ein bisschen platt, aber Tom hatte die Kette ausgesucht. In seinen Augen war sie der Gipfel der Romantik gewesen.
Und in ihren ebenso.
Beim Öffnen der Schatulle hatte er so feierlich und zugleich ängstlich ausgesehen, dass sie das überwältigende Bedürfnis verspürte, ihn genauso glücklich zu machen, wie er sie soeben gemacht hatte.
Später hatte er ihr gestanden, noch nie zuvor ein Geschenk für ein Mädchen gekauft zu haben. Megan war in vielerlei Hinsicht Neuland für ihn.
Sie hatte die Kette seit Jahren nicht mehr getragen, sie jedoch extra für das Wochenende herausgesucht, um sie beide daran zu erinnern, auf welch wunderbar unbeholfene Art und Weise sie sich damals ineinander verliebt hatten. Megan staunte, wie schnell der Anblick des Anhängers sie in die Vergangenheit zurückversetzte.
Sie hatte Tom im ersten Semester an der Uni kennengelernt, in einer Vorlesung über Naturkatastrophen, die sie beide nur belegt hatten, weil man darin leicht eine gute Note bekommen konnte. Vom ersten Tag an hatte sie immer wieder heimlich zu dem Typ mit dem sexy Haarschnitt und dem markanten Kinn hinübergeschielt, der die ganze Zeit zu lächeln oder zu lachen schien. Er war gutaussehend – sehr gut aussehend sogar –, aber das war nicht alles. Er hatte etwas unglaublich Sanftes und Liebenswürdiges an sich, und wenn sie ihn ansah, hatte sie das Gefühl, als wären sie durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden.
In der zweiten Woche setzte sie sich nicht wie sonst ganz nach hinten, sondern suchte sich einen Platz fünf Reihen weiter vorn. Direkt neben ihm.
Er schenkte ihr ein scheues Lächeln.
Sie machte einen Witz darüber, dass man ihrem Dozenten nur die Haare zerzausen und roten Lippenstift verpassen müsste, schon würde er aussehen wie Robert Smith von The Cure. Er begriff ihre Anspielung sofort, und sie verbrachten die restliche halbe Stunde der Vorlesung damit, sich gegenseitig ihre Lieblingszeilen aus Just Like Heaven und Pictures of You auf die Ränder der Schreibblöcke zu kritzeln. Danach war ihr Leben für immer verändert.
Von diesem Tag an waren Megan und Tom praktisch unzertrennlich. Sie gingen mittags zusammen in die Cafeteria und mopsten sich gegenseitig das Essen vom Teller. Sie spielten Frisbee im Park. Sie schlenderten auf Umwegen zu ihren Seminarräumen, während um sie herum das Herbstlaub zu Boden fiel. Bereits nach kurzer Zeit kam es Megan so vor, als wäre Tom schon immer ein Teil ihres Lebens gewesen. Und als würde er für immer bleiben.
Diese sorglosen Tage lagen lange zurück, und seitdem hatte sich vieles verändert, trotzdem hatten sie von Anfang an das Gefühl gehabt, verheiratet zu sein. Deshalb hatten sie es auch nie eilig gehabt, ihre beiden sehr unterschiedlichen Familien zu einem extrem stressigen, mit Erwartungen überfrachteten Hochzeitswochenende einzuladen. Erst jetzt, nach zwölf gemeinsamen Jahren, wollten sie es endlich offiziell machen. Mittlerweile waren sie dreißig, und der Zeitpunkt fühlte sich richtig an. Die Hochzeit war ein Anlass, all das zu feiern, was sie bisher gemeinsam erlebt hatten – und ausnahmsweise ihre zwei Welten zu vereinen.
Megan rieb den Herzanhänger liebevoll zwischen Daumen und Zeigefinger, dann schnappte sie sich den Schlüssel für den Leihwagen, um ihren Verlobten pünktlich vom Hafen abzuholen.
Vorher allerdings machte sie noch einen Abstecher zur Suite der Prescotts, um die Kleidersituation auszukundschaften. Sie war erleichtert, als auf ihr Klopfen hin niemand reagierte, und beschloss, frühstücken zu gehen und dabei nach Carol Ausschau zu halten. Das Resort war so klein, dass es keine große Herausforderung darstellen würde, ihre Schwiegermutter in spe ausfindig zu machen.
An den Sommerwochenenden strömten Kunsthandwerker und Verkäufer von der ganzen Insel nach Roche Harbor, weil direkt vor dem Hotel ein kleiner, aber erlesener Markt abgehalten wurde. Megan liebte diesen Markt. Er bot ihr eine Möglichkeit, mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen und in der Erinnerung an vergangene Sommer zu schwelgen.
Die salzige Luft war herrlich erfrischend, und es lag noch ein Rest morgendlicher Kühle über dem Tag. Sie kaufte sich an zwei verschiedenen Ständen Scones und einen Kaffee, und tatsächlich begegnete sie dabei Toms Mutter, die gerade das Gleiche tat.
»Guten Morgen, Carol.« Obwohl sie schon eine halbe Ewigkeit mit Tom zusammen war, kam sich Megan bei jedem Gespräch mit ihren Schwiegereltern immer wie ein junges Reh vor, das versuchte, zum ersten Mal auf eigenen Beinen zu stehen. Sie zwang sich, ein fröhliches Gesicht zu machen.
Carol, die eine kleine Papiertüte in der Hand hielt, deren verräterischen Fettflecke auf Gebäckteile hindeuteten, antwortete mit einem ebenso verkniffenen Lächeln. »Megan, Liebes, ich habe eben gehört, dass die Hochzeitsprobe doch nicht heute Nachmittag stattfinden soll. Wann willst du sie denn abhalten, etwa nach dem Dinner? Das halte ich aber für sehr ungünstig.«
Natürlich war das Erste, was aus ihrem Mund kam, eine Beschwerde. Megan lächelte dünn. »Es gab Terminprobleme vonseiten des Hotels, aber der Hochzeitsplaner meinte, wir können die Probe auch weglassen. Er sorgt schon dafür, dass jeder zur richtigen Zeit am richtigen Platz ist.«
»Hmm.« Carol war offensichtlich anderer Meinung. »Wenn du meinst. Aber was machst du eigentlich hier? Es gibt doch sicher noch tausend Dinge, um die du dich kümmern musst.« Irgendwie brachte sie das Kunststück fertig, gleichzeitig schroff und großmütig zu klingen. Das brachte Megan noch mehr aus dem Konzept. Alles an Carol war klein und zierlich, angefangen bei ihrem spitzen Kinn bis hin zu den winzigen Füßen, doch Megan wusste, dass in ihrem Innern eine Furcht einflößende Riesin schlummerte.
»Für frisch gebackene Scones ist doch immer Zeit!« Sie merkte sofort, dass sie zu überschwänglich geklungen hatte. Die Prescotts hielten nicht viel von Überschwang. Als sie fortfuhr, schlug sie einen etwas gemäßigteren Tonfall an. »Ich wollte gerade losfahren, um Tom von der Fähre abzuholen.«
»Wie schön. Obwohl er meines Wissens heute Vormittag mit den Jungs Golf spielen will?«
»Die Jungs«, das waren Toms Vater und sein Bruder. Beide waren mehrere Jahrzehnte zu alt, um noch als »Jungs« bezeichnet zu werden.
»Ich weiß. Ich verspreche, ich werde ihnen dabei nicht in die Quere kommen. Ich wollte ihn einfach noch mal sehen, bevor der ganze Trubel losgeht.« Als Carol keine Anstalten machte, darauf zu reagieren, redete Megan weiter, um die Millisekunde des Schweigens auszufüllen. »Ist es nicht wunderschön hier?«
»Ja, wirklich nett. Schade nur, dass man zwei Flieger und eine Fähre braucht, um hierherzukommen.« Carol taxierte Megan von oben bis unten. »Was hast du denn da an den Füßen? Sind das etwa die Hotelpantoffeln?«
Natürlich waren es nicht die Hotelpantoffeln. »Nein, das sind Sandalen, die ich mitgebracht habe.«
»Aha.« Carol rümpfte die Nase, als wäre Megan ein Pups entfahren. »Nun, ich will dich nicht länger aufhalten, aber bevor du losfährst – hast du daran gedacht, die Sitzordnung für heute Abend zu ändern, damit meine Tennisfreundinnen ein bisschen näher bei mir und John sitzen können?«
»Ja, darum habe ich mich schon gekümmert.« Auch wenn sie dafür ihre über alles geliebte Tante und ihren Onkel hatte umsetzen müssen. »Aber ich frage zur Sicherheit noch mal nach.«
»Gutes Mädchen.« Zum Abschied tupfte Carol rechts und links von Megans Wangen zwei Küsschen in die Luft.
Erst als Megan schon im Mietwagen saß und ihre Wangen brannten, weil sie in Gegenwart ihrer zukünftigen Schwiegermutter stets ein Gefühl von Erniedrigung verspürte, fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte zu fragen, was Carol zum Dinner anziehen würde. Aber immerhin konnte sie eine wohlbegründete Vermutung anstellen.
Gedeckte Farben. Nichts Außergewöhnliches. Du wirst auf jeden Fall besser aussehen, schrieb sie ihrer Mutter.
Nun, da die Kleiderkrise ihrer Mutter erfolgreich abgewendet worden war, konnte sie endlich aufatmen. Sie lächelte. Morgen würde sie in dem Städtchen am Meer, das sie so sehr liebte, den Mann ihres Lebens heiraten. Von jetzt an würde es nur besser werden.
Tom erwachte vom Tuten des Nebelhorns und einer Durchsage des Kapitäns, der die Passagiere in Friday Harbor willkommen hieß. Unmittelbar danach folgte ein sehr munteres »Guten Morgen, Schlafmütze« von seinem Sitznachbarn, der dem Schauspieler Henry Winkler zum Verwechseln ähnlich sah.
»Morgen«, gab Tom mit belegter Stimme zurück und nickte. Ein stechender Schmerz fuhr von seinem Nacken bis in die Muskeln unterhalb seiner Schulterblätter.
Er war es gewohnt, zur Musik aufzuwachen, und ohne dieses kleine morgendliche Ritual fühlte er sich orientierungslos. Megs und er einigten sich allabendlich auf einen neuen Song, den sie am folgenden Morgen als Weckmelodie verwenden wollten. Musik war vom ersten Tag an ein wesentlicher Bestandteil ihrer Beziehung gewesen. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie gestrahlt hatte, während sie die Textzeilen ihres Lieblingssongs von The Cure auf seinen Block kritzelte und dazu sagte: »Ein guter Songtext erzählt eine Geschichte und gibt dir das Gefühl, als hätte dir jemand einen Faustschlag mitten ins Herz verpasst.«
Er war immer noch ein bisschen stolz auf seine schlagfertige Erwiderung: »Genau wie ein gutes Gespräch.«
Später hatte Megs ihm verraten, dass dies der Moment gewesen sei, in dem sie sich in ihn verliebt habe. Das freute ihn sehr, hatte er sich doch genau im selben Moment in sie verliebt.
Allein und mit steifem Nacken an Bord eines Schiffs aufzuwachen war nicht gerade der beste Start in sein Hochzeitswochenende. Genauso wenig wie der Nachtflug, den er auf sich genommen hatte, um es rechtzeitig zur Golfpartie mit seinem Vater und Brody zu schaffen. Aber wie pflegte sein alter Herr so schön zu sagen? »Jeder muss Opfer bringen, mein Sohn.«
Darauf folgte normalerweise ein Vortrag, in dem Tom detailliert erläutert wurde, welche Opfer es zu erbringen galt. Bestes Beispiel: Sein Vater hatte ihn zu dem Abendessen mit den steifen alten Säcken des Pharmakonzerns geschickt, den die Kanzlei Prescott & Prescott seit Neuestem vertrat. Es sei an der Zeit zu beweisen, dass er das Zeug habe, beruflich seinen Mann zu stehen und große Fusionen abzuwickeln, hatte John gemeint. Dass Tom weniger als achtundvierzig Stunden später vor den Altar treten wollte, spielte dabei keine Rolle.
Er war dermaßen übermüdet, dass er sich kaum noch daran erinnern konnte, wie er vor Morgengrauen in Seattle gelandet war und den Shuttlebus zum Fährterminal bestiegen hatte.
Er rieb mit der Hand die Bartstoppeln an seiner Wange und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Er brauchte dringend eine Dusche und eine Zahnbürste. Ein paar Liter starker Kaffee wären auch nicht schlecht. Er drehte den Kopf erst nach rechts, dann nach links, um seine Nackenschmerzen loszuwerden, und versuchte, an etwas Schönes zu denken: an Megs. In letzter Zeit waren sie beide durch Beruf und Hochzeitsvorbereitungen so stark eingespannt gewesen, dass sie einander kaum gesehen hatten. Deshalb waren sie dazu übergegangen, sich kleine Zettel zu schreiben. Ehe Tom zum Flughafen aufgebrochen war, hatte er eine herrlich kitschige Nachricht in seiner Unterwäscheschublade gefunden.
Diese Boxershorts wird fantastisch aussehen … auf dem Fußboden unserer Suite.
Er konnte es gar nicht erwarten, den Beweis dafür anzutreten.
Doch Gedanken an Megs brachten zugleich auch eine wachsende Unsicherheit mit sich. Er hatte ihr heute noch weit mehr zu sagen als nur »Ich liebe dich«, und spätestens nach dem Geschäftsessen war klar geworden, dass er es nicht länger aufschieben durfte.
Er wollte seine Krawatte lockern, ehe er merkte, dass er sie längst abgenommen hatte. Noch war es nicht zu spät. Er würde gleich heute mit ihr reden. Seine geliebte, warmherzige, vernünftige Megs würde es verstehen.
Und im Grunde genommen waren es ja gute Neuigkeiten.
Wahrscheinlich würde sie sich sogar freuen. Er würde es ihr gleich nach dem Wiedersehen sagen, dann konnten sie heute Nachmittag noch vor dem Probedinner darauf anstoßen.
Seine Gedankengänge wurden unterbrochen, als ein kleiner Ruck durch den Rumpf des Schiffs ging. Sie hatten angelegt. Tom träufelte sich ein paar Tropfen in seine blutunterlaufenen Augen (ein Gratispröbchen, das ihm die Ehefrau eines der Pharmabosse am Abend zuvor mit den Worten »Sie sehen müde aus« zugesteckt hatte).
Sobald er einen Fuß an Land gesetzt hatte, waren Ärger und Schmerzen vergessen. Die Sonne schien vom Himmel, das Meer leuchtete in tiefem Indigoblau. Er war erst ein paarmal auf San Juan Island gewesen, aber mit jedem Besuch verstand er besser, warum Megs es hier so mochte. Die ganze Insel war in einer Palette von Grüntönen gemalt. Sie wirkte so lebendig. Magisch. Ein Ort der Ruhe, nur einen Steinwurf vom Rest der Welt entfernt und doch unberührt davon. Hier fühlte man sich ein wenig freier – selbst Tom, der oft Mühe hatte, sich zu entspannen.
Er atmete die gesunde Seeluft ein und erspähte Megs, die ihm mit einer Hand aufgeregt zuwinkte, während sie in der anderen zwei Kaffeebecher balancierte. Er eilte zu ihr, ließ sein Gepäck fallen und schloss sie in die Arme, als hätten sie einander monatelang nicht gesehen, wobei er darauf achtgab, die Heißgetränke nicht zu verschütten. Der vertraute Duft ihres Shampoos stieg ihm in die Nase, und sein Magen machte vor Freude einen kleinen Satz. Irgendwie war er auch nach zwölf Jahren immer noch richtig in sie verknallt. Sie war klug und gütig, ehrgeizig und wunderschön. Sie liebte es, schlechte Filme zu gucken, weil die sie zum Lachen brachten, und sie hörte Songs nicht nur der Musik, sondern auch der Texte wegen. Wie hätte man in so eine Frau nicht verknallt sein sollen?
Während sie sich in den Armen lagen, spürte er, dass etwas Kleines, Hartes gegen sein Schlüsselbein drückte. Er machte sich los, und sein Blick fiel auf den Herzanhänger, den Megs um den Hals trug.
Als er ihn ihr mit achtzehn Jahren gekauft hatte, war er der Auffassung gewesen, dass er seine Gefühle für sie perfekt verkörperte. Inzwischen fand er ihn nicht mehr ganz so geschmackvoll wie damals, und dass Megs ihn trotzdem trug, rührte ihn tief.
»Ich mag deine Halskette.« Er hob ihr Kinn an, um ihr einen schnellen Kuss auf die Lippen zu geben.
»Ich mag dein Gesicht.« Sie erwiderte den Kuss.
Dann schnappte sie sich die Anzughülle, die er auf den hölzernen Planken des Anlegers hatte fallen lassen, während er seinen Koffer aufhob, und sie gingen gemeinsam an Land. Nun, da der erste Moment des Wiedersehens vorbei war, beschlich Tom erneut ein ungutes Gefühl. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Ein Fahrradtaxi hielt vor ihnen am Straßenrand. Am Lenker saß eine Frau mit langem silbergrauen Haar und Beinmuskeln, die dicker waren als seine.
»Mitfahrgelegenheit gefällig? Wo soll’s denn hingehen?«
»Nein, danke.« Megs klimperte mit ihren Autoschlüsseln.
Tom zückte sein Smartphone, das zuvor kein Netz gehabt hatte, und stellte fest, dass in der Zwischenzeit mehrere Nachrichten sowie einige Anrufe eingegangen waren. Auch Megan nahm ihr Handy heraus, vermutlich wollte sie sich vergewissern, dass sie keine wichtigen Mails von der Arbeit bekommen hatte. Eigentlich hatten sie sich das Wochenende freigenommen, aber ihr Job war genauso fordernd wie seiner.
Tom tippte auf das Voicemail-Icon, und die Stimme seines Bruders dröhnte aus dem Lautsprecher.
»Hier ist Brody. Wir sind schon auf dem Grün, du Ersatzteillager. Beeil dich. Wir erwarten dich vor fünf Minuten.«
Ersatzteillager. Den Spitznamen würde er vermutlich nie loswerden. Er wusste gar nicht mehr, wer als Erster behauptet hatte, seine Eltern hätten nur aus einem einzigen Grund noch ein zweites Kind bekommen: für den Fall, dass ihr erstgeborener Goldjunge Brody eine neue Niere oder Ähnliches brauchte. Irgendwie war die Bezeichnung kleben geblieben.
»Liegt es an mir, oder ist das Baby da ungewöhnlich stark behaart?« Megs zupfte ihn am Ärmel, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, während sie zugleich ihr Handy zurück in die Handtasche steckte. Halblaut über seinen steifen Nacken fluchend, drehte Tom sich um und erblickte einen Mann mit einem riesengroßen Fischerhut auf dem Kopf und einer Babytrage vor dem Bauch.
In der Trage saß eine Katze.
Megs biss sich so fest auf die Lippen, dass sie weiß wurden. Sie tauschten einen vertrauten Blick, der sagen sollte: Die Welt ist verrückt geworden, aber wenigstens haben wir uns. Sobald der Katzenmann außer Hörweite war, ließen sie ihrem Gelächter freien Lauf.
»Komm, lass uns nach Roche fahren, damit du einchecken kannst«, sagte Megs. »Deiner Mutter war es sehr wichtig, dass ich bei eurer Golfpartie heute Morgen nicht dazwischenfunke.«
Tom schob die Schuldgefühle beiseite, die an ihm nagten, weil er sie mit ihren Familien alleingelassen hatte. Aber wenn jemand mit so einer Situation fertigwurde, dann Megs. Sie war ungemein effizient. Außerdem hatten sie vor langer Zeit eine stillschweigende Vereinbarung getroffen, die Familie des anderen nicht zu kritisieren. Er hielt sich daran – ganz egal, wie gern er Donna manchmal für ihren Umgang mit Megs die Meinung gesagt hätte.
»Hört sich gut an.« Auf dem Weg zum Wagen streichelte er ihr den Rücken. »Ich muss unbedingt duschen.«
Die Fahrt von Friday Harbor nach Roche dauerte nicht lange. Unterwegs erzählte Megs ihm von dem hysterischen Anfall, den ihre Mutter (erwartungsgemäß) gehabt und den sie (ebenfalls erwartungsgemäß) abgewendet hatte. Ihren Fragen über das Geschäftsessen wich er aus. Er wusste noch nicht, wie er das Thema ihr gegenüber ansprechen sollte. Sollte er es mit dem altbewährten Eröffnungssatz »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht« versuchen, oder war es besser, ohne Umschweife zur Sache zu kommen?
Megs war bereits dabei, den Wagen zu parken. Panik stieg in ihm hoch, und in seiner Not entschied er sich für die zweite Option. Er würde es ihr einfach sagen.
»Megs, ich …«, setzte er an. Zur gleichen Zeit gab ihr Handy mehrere Signaltöne von sich. Statt ihm zuzuhören, begann sie, durch ihre Nachrichten zu scrollen.
»Verdammt. Ich muss mich um meine Schwester kümmern. Ich soll sie in der Lobby treffen.« Ihr Dutt war bereits ein bisschen verrutscht. Mehrere Strähnen hatten sich daraus gelöst und umrahmten ihr Gesicht.
»Will ich überhaupt wissen, worum es geht?«, fragte er, als sie ausstiegen. Brianna hatte ihn vor einer unangenehmen Situation bewahrt. Er schämte sich für seine Erleichterung, aber jetzt konnte er es Megs auf keinen Fall sagen, das wäre schlichtweg unsensibel gewesen. Es gab eine Krise, die dringend ihrer Aufmerksamkeit bedurfte. Sie würden sich später in aller Ruhe unterhalten. Wenn sie nicht mehr so gestresst war.
Sie schüttelte wortlos den Kopf. Dann gab sie ihm eine zusätzliche Schlüsselkarte für ihre Suite, die sie an der Rezeption besorgt hatte, und warf ihm den Autoschlüssel zu, damit er zum Golfplatz fahren konnte. Mit sorgenvoll gerunzelter Stirn musterte sie ihn. »Geht es dir gut?«
»Ja, ich bin bloß erledigt von dem Abendessen und dem Nachtflug. Ich gehe schnell rauf in unser Zimmer und springe unter die Dusche, das hilft bestimmt.«
»Bist du sicher, dass es ein Geschäftsessen war und kein geheimer Junggesellenabschied?«, fragte sie mit einem diebischen Grinsen.
»Erwischt. Es war ein Abend voller Ausschweifungen jeglicher Art. Leo sagt mir schon seit Jahren, ich soll lockerer werden, und endlich waren seine Bemühungen von Erfolg gekrönt.«
Sie lachte über die Absurdität dieser Vorstellung. Tom und Megan hatten sich darauf geeinigt, keinen Junggesellen- beziehungsweise Junggesellinnenabschied zu feiern. Stattdessen hatten sie mehrere Wochenenden in Folge durchgearbeitet, um danach umso länger in die Flitterwochen fliegen zu können. Außerdem hatte Tom in seinem ganzen Leben noch nicht einen einzigen Abend mit »Ausschweifungen jeglicher Art« verbracht – allen Bemühungen von Leo, seinem besten und wildesten Freund, zum Trotz.
Tom hatte nie mit einer anderen Frau geschlafen als mit Megs oder auch nur einen Stripklub von innen gesehen. Seine Freunde fingen reihenweise oberflächliche Affären an und schauten sich nach jeder hübschen Frau um, aber für ihn gab es nur die eine. Niemand außer Megs konnte ihn zum Lachen bringen, bis ihm die Tränen kamen, und niemand hatte ein so großes Herz wie sie. Sie kannte ihn besser als jeder andere Mensch auf der Welt und liebte ihn trotzdem.
Sie gab ihm noch einen Kuss zum Abschied und wünschte ihm viel Erfolg auf dem Golfplatz.
»Da ist ja der Mann der Stunde!« Brody empfing Tom mit der für ihn typischen halbseitigen Umarmung. »Mann, siehst du scheiße aus.«
»Danke.« Verunsichert fuhr Tom sich mit den Fingern durch die Haare, die noch nass waren von seiner hastigen Dusche.
»Hallo, Junge.« Sein Vater begrüßte ihn per Handschlag, so wie er es schon sein ganzes Leben lang getan hatte. Die Prescotts hielten nichts von übermäßigem Körperkontakt. Brodys Pseudo-umarmung war das Höchste der Gefühle. »Wie lief es gestern Abend?«
»Ganz gut. Ich glaube, sie sind zufrieden.« Es war das Wochenende seiner Hochzeit, und Tom machte sich Sorgen, dass sein Vater die ganze Zeit nur von der bevorstehenden Fusion reden würde.
»Hast du dich hier mal umgesehen?«, fragte John als Nächstes, ohne auf die Antwort seines Sohnes einzugehen.
»Ja. Wunderschön, oder?«, gab Tom erleichtert zurück und ließ den Blick über die üppige Vegetation schweifen.
»Nicht mal ein anständiger Platz mit achtzehn Löchern.« Wieder tat John so, als hätte Tom nichts gesagt. »Obwohl sie das behaupten – wegen der zwei verschiedenen Tees. So ein Blödsinn. Das hier ist eine simple Neun-Loch-Anlage. Keine Ahnung, wie die Menschen so leben können.«
Mit diesen Worten machte sich John Prescott auf den Weg zum ersten Abschlag. Tom und seinem Bruder blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
»Hey.« Brody rückte seine Schirmmütze zurecht und grinste schelmisch. »Rate mal, wie oft Mom schon ›Ist es zu glauben, dass man zwei Flieger und eine Fähre braucht, um hierherzukommen?‹ gesagt hat?«
»Ich will es gar nicht wissen.« Tom rieb sich die Augen.
»Ich habe ein Trinkspiel draus gemacht.« Brody präsentierte ihm einen Flachmann, den er in der Tasche seiner sündhaft teuren Golfhose verstaut hatte.
»Perfekt«, sagte Tom und genehmigte sich einen Schluck.
Brody tätschelte ihm kameradschaftlich die Schulter. »Entspann dich, Ersatzteillager. Schließlich soll es das beste Wochenende deines Lebens werden.« Er strubbelte ihm durchs Haar, obwohl er genau wusste, wie sehr Tom das hasste.
Aber Brody hatte recht. Er nahm sich Johns Sticheleien über die Insel viel zu sehr zu Herzen.
»Und du hast einen weiteren Flug überlebt. Ich bin unglaublich stolz auf dich.«
Tom war es gewohnt, von seinem Bruder wegen seiner Flugangst aufgezogen zu werden. Er ließ die Bemerkung an sich abtropfen und griff ein weiteres Mal nach dem Flachmann. »Du meinst zwei Flüge und eine Fähre.«
»Du wirst noch ein richtig tapferer kleiner Junge.«
Der Rest des Vormittags verging unter weiteren Neckereien seines zunehmend beschwipsten Bruders und Bemerkungen seines Vaters, die sich fast ausschließlich um die Arbeit drehten. Eigentlich hatte er sich von ihrer gemeinsamen Golfpartie mehr erhofft, schließlich war dies sein Hochzeitswochenende. Irgendwann beschloss er, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
»So, Dad.« Er ordnete seine bereits perfekt sortierten Golfschläger, um seiner Frage nicht allzu viel Gewicht zu verleihen. Es war eine Frage, die Nähe erzeugen sollte. In der Familie Prescott waren Gefühlsäußerungen zwar verpönt, doch er nährte ein kleines Fünkchen Hoffnung, dass es heute anders sein könnte. »Hast du noch irgendwelche weisen Worte für mich, bevor ich zum Altar schreite?«
»Macht das nicht die Braut?«, mischte Brody sich ein. »Du stehst doch vorne und wartest auf sie.«
»Weise Worte …« John kratzte sich am Kinn, das er nicht einmal, sondern zweimal täglich rasierte. »Megan ist eine kluge Wahl. Das hast du gut gemacht.«
Tom spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Das war das größte Lob, das er je aus dem Mund seines Vaters gehört hatte. »Findest du?«
»Definitiv. Sie ist ehrgeizig. Fleißig. Hübsch genug, um an deiner Seite Eindruck zu machen, und gescheit genug, dass man mit ihr ein vernünftiges Gespräch führen kann.« Tom merkte, wie sich die Härchen an seinen Armen aufstellten, doch sein Vater war noch nicht fertig. »Trotzdem habe ich immer noch denselben Rat für dich wie damals, als ihr eure kleine Liebelei begonnen habt.«
Eine ungute Vorahnung beschlich Tom. Wahrscheinlich wäre es besser, das Thema zu wechseln. Wider besseres Wissen fragte er: »Wie meinst du das?«
»Selbst wenn man sich eine Partnerin nimmt, die auf dem Papier gut aussieht, gibt es immer noch Variablen, die man nicht kennt.« Er sah Toms Bruder mit hochgezogener Augenbraue an. »Broderick weiß, wovon ich rede.«
»Auf meine Frau Emmeline«, murmelte Brody und hob den Flachmann an die Lippen. Diesmal nahm er einen besonders tiefen Schluck. Mitunter war die Ähnlichkeit zwischen seinem großen Bruder und seinem Vater so frappierend, dass Tom das Gefühl hatte, einen dreißig Jahre jüngeren Klon von John vor sich zu haben.
»In Megans Fall«, fuhr John fort, »ist es ihre unsägliche Familie. Mein Rat an dich? In einer Ehe geht es keineswegs immer darum, Kompromisse zu finden.«
»Ich glaube, ich kann dir nicht ganz folgen, Dad.« Tom hatte sich so sehr auf diesen Moment gefreut. Ein so bedeutender Meilenstein wie eine Hochzeit, hatte er geglaubt, würde die Kluft zwischen ihm und seinem Vater wenigstens teilweise schließen und ihre Bindung zueinander vertiefen. Doch jetzt war er hin- und hergerissen. Einerseits wollte er wissen, was sein Vater meinte, andererseits wollte er das unangenehme Gespräch möglichst schnell beenden. Seine Hoffnung, durch eine Heirat in Johns Achtung zu steigen und endlich mit Brody mithalten zu können, kam ihm auf einmal unfassbar naiv vor. Am Ende griff er auf einen altbewährten Bewältigungsmechanismus zurück: Er biss sich auf die Zunge und schwieg, um nicht für Unfrieden zu sorgen.
»Hör zu. Wenn es um wirklich wichtige Dinge geht, zum Beispiel darum, wo ihr euren Urlaub verbringt oder wie viel Einfluss Megs’ hohlköpfige Mutter auf die Erziehung eurer zukünftigen Kinder hat, musst du deinen Willen durchsetzen. Hau mit der Faust auf den Tisch.«
Jetzt wünschte Tom, er hätte doch das Thema gewechselt. Das war nicht der Rat, den er sich erhofft hatte.
»Und falls Megan sich beklagt«, setzte sein Vater noch hinzu, während er sich zum Schlag bereit machte, »gibt es immer noch Golf.«
Mit diesen Worten beförderte er den Ball sauber ins letzte Loch.
Als Megans jüngere Schwester durch die Türen der Lobby gestürzt kam, brachte sie einen Windstoß und einen Hauch gepflegter Langeweile mit. »Megan, wo hast du gesteckt? Ich habe dir ungefähr dreißig Nachrichten geschrieben.« Um ihren Vorwurf zu unterstreichen, warf Brianna sich die wasserstoffblonden Haare zurück. In Megan löste der Anblick ihrer Schwester wie so oft widerstreitende Gefühle aus. Da war zum einen tiefe Zuneigung, die sich vor allem aus lustigen Kindheitserinnerungen speiste, aber zugleich auch Frust über die anstrengende Frau, zu der Brianna sich entwickelt hatte. Sie war eine echte Unruhestifterin und stolz darauf.
»Sorry, Bree, ich habe deine Nachrichten bekommen, während ich Tom von der Fähre abgeholt habe.«
»Mach dich fertig, wir müssen noch mal nach Friday Harbor. Mom will shoppen gehen, und du musst fahren.«
»Ich habe das Auto gar nicht. Hast du kein eigenes gemietet?«
»Ich habe vergessen, meinen Führerschein erneuern zu lassen.« Brianna verdrehte die Augen. »Na ja, eigentlich habe ich einen Kerl betrogen, der bei der Zulassungsstelle arbeitet. Die Sache ist ein bisschen kompliziert.«
»Aha. Und warum müssen wir shoppen gehen?« Die Strecke nach Friday Harbor war landschaftlich reizvoll, aber Megan hatte keine Lust, sich für eine nervenaufreibende Spontanaktion ihrer Mutter einspannen zu lassen. Und genau darum ging es, vermutete sie.
»Mom braucht ein neues Kleid. Außerdem hat sie zufällig gehört, wie deine Schwiegermutter in spe gesagt hat, das Hotel wäre ›düster‹, und jetzt will sie Kerzen und frische Blumen besorgen, um den Laden ein bisschen aufzupeppen.«
»Wieso braucht sie denn ein neues Kleid? Das Problem habe ich doch längst gelöst.«
»Anscheinend nicht.« Brianna holte einen Snickers-Riegel aus ihrer Handtasche und wickelte ihn geräuschvoll aus. »Sie hat ihr Kleid heute Morgen für mich anprobiert, und ich habe ihr gesagt, dass es für die Mutter der Braut nicht unbedingt angemessen ist.«
Die meisten Gespräche mit ihrer jüngeren Schwester endeten damit, dass Megan im Kopf bis zehn zählen musste, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Manche Dinge änderten sich offenbar nie.
»Was genau hast du zu ihr gesagt, Bree?«
Brianna schnaubte. »Ich glaube, meine Worte waren: ›Krass, Mom. In dem Teil sieht man ziemlich viel von deinen Möpsen.‹ Ist doch auch egal – jedenfalls will sie sich gleich hier unten mit uns treffen.«
Bree hatte nicht mal eine Minute gebraucht, um den Brand, den Megan gelöscht hatte, neu anzufachen.
»Sollen wir Gran fragen, ob sie mitkommt?« Brianna formte die Hand zu einer Pistole. »Könnte lustig werden …«
»Nein. Lass uns lieber dafür sorgen, dass Mom und Gran sich möglichst lange nicht begegnen.«
»Gott, bist du eine Spaßbremse.« Brianna runzelte kurz die Stirn, ehe sich ihre Miene wieder aufhellte. »Und? Hast du dir schon überlegt, ob ich bei dir und Tom wohnen kann?«
Während Megan stets den direkten Weg wählte, um ans Ziel zu kommen, nahm ihre Schwester normalerweise eine Route, die ähnlich verschlungen war wie ihre wilde Lockenmähne. In den letzten acht Jahren hatte sie viermal ihr Studium geschmissen, mindestens zwei Jobs gekündigt und war aus fünf weiteren gefeuert worden. Ihr neuestes Vorhaben war eine Filmakademie in New York. Sie wollte Regisseurin werden, was Megan besonders wurmte, da sie ihren großen Traum, Dokumentarfilme zu drehen, vor langer Zeit zugunsten eines geregelten Einkommens aufgegeben hatte.
»Ich habe dir doch gesagt, dass du gerne bei uns übernachten kannst, bis du was Eigenes gefunden hast«, sagte sie. »Ein, zwei Wochen müssten ja locker reichen.«
»Wow. Eine ganze Woche. Was bin ich doch für ein Glückspilz«, brummelte Brianna halblaut.
»Wie bitte?«
»Es ist ja nicht so, als ob ihr in beengten Verhältnissen leben würdet. Ihr habt eine Dreizimmerwohnung in Soho. Du weißt genau, wie teuer das Leben in New York ist, außerdem muss ich Schulden abbezahlen.«
»Das ist nicht meine Schuld, Bree«, sagte Megan im vergeblichen Versuch, ihre Schwester mit rationalen Argumenten zu überzeugen.
»Stimmt. Und es ist nicht meine Schuld, dass ich mich nicht in einen Anwalt aus einer stinkreichen Schnöselfamilie verliebt habe.«
»Jetzt reicht es aber. Glaubst du etwa, ich sitze den ganzen Tag nur zu Hause, drehe Däumchen und glotze Vormittagstalkshows? Ich arbeite hart, um zu unserem Lebensunterhalt beizutragen.« Sie musste sich ihrer chronisch erwerbslosen Schwester gegenüber nicht rechtfertigen. Und trotzdem musste sie sich gerade ihrer chronisch erwerbslosen Schwester gegenüber rechtfertigen.
»In deinem Fake-Job?« Brianna klimperte mit ihren angeklebten Wimpern.
»Ich bin Senior Visuals Editor bei GQ.«
»Was auch immer das sein soll.«
»GQ kennt doch wohl jeder.«
Zum Glück kam Donna, bevor es mit dem Gespräch noch weiter bergab gehen konnte. Sie wirkte deutlich gefasster als noch eine Stunde zuvor.
»Ach, Mädels, ihr streitet doch nicht etwa?«, fragte sie mit einem ebenso glockenhellen wie gekünstelten Lachen. Dann zischte sie ihnen zu: »Die Leute gucken schon. Wehe, ihr blamiert mich.«
Megans Herz schlug so schnell, dass es ein Atomkraftwerk hätte antreiben können. Sie atmete mehrmals tief durch, während ihre Wangen vor Zorn glühten. Aber was hatte sie erwartet? Brianna und sie hatten gar keine Chance, miteinander auszukommen.
Zwischen ihnen lagen vier Jahre Altersunterschied. Als Kind hatte Megan sich immer gern um ihre jüngere Schwester gekümmert, und Brianna hatte die Aufmerksamkeit genossen, zumal Donnas Mutterinstinkte nicht besonders stark ausgeprägt waren.