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Zeitgemäßes Marketing: digital statt traditionell Geschrieben von den weltweit führenden Marketingkoryphäen, beantwortet dieses Buch alle Fragen zu gelingendem Marketing im Zeitalter von Vernetzung und Digitalisierung. Es zeigt unter anderem, - wie man nach den neuen Regeln des Marketings spielt, - wie man WOW-Momente kreiert, die positive Aufmerksamkeit erregen, - wie man einen loyalen Kundenstamm aufbaut. Das unverzichtbare Rüstzeug für die Zukunft Ihres Unternehmens!
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Seitenzahl: 195
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PHILIP KOTLER, HERMAWAN KARTAJAYA, IWAN SETIAWAN
MARKETING 4.0
Der Leitfadenfür das Marketingder Zukunft
Aus dem Englischen von Petra Pyka
Campus VerlagFrankfurt/New York
Vorwort: Von Marketing 3.0 zu Marketing 4.0
Teil I Prägende grundlegende Trends im Marketing
Kapitel 1 Machtverschiebung zum vernetzten Kunden
Die Umstellung von exklusiv auf inklusiv
Die Umstellung von vertikal auf horizontal
Die Umstellung von individuell auf sozial
Zusammenfassung: horizontal, inklusiv und sozial
Kapitel 2 Das Paradoxe an der Vermarktung an vernetzte Verbraucher
Schluss mit den Mythen der Konnektivität
Erstes Paradoxon: Online- und Offline-Interaktion im Vergleich
Zweites Paradoxon: informierte und abgelenkte Kunden
Drittes Paradoxon: negative und positive Empfehlungen
Zusammenfassung: Marketing und seine Paradoxa
Kapitel 3 Die einflussreichen digitalen Subkulturen
Die Jugend: Meinungen beeinflussen
Frauen: Marktanteile steigern
Netizens: emotionalen Austausch fördern
Zusammenfassung: Junge Menschen, Frauen und Netzbürger
Kapitel 4 Marketing 4.0 in der digitalen Wirtschaft
Vom traditionellen zum digitalen Marketing
Von der Segmentierung und Zielgruppeneinteilung zur Bestätigung durch die Verbraucher-Community
Von der Markenpositionierung und der Differenzierung zur Klärung von Markencharakter und -code
Erst vier Ps, jetzt vier Cs
Von Kundendienstprozessen zu kooperativer Kundenbetreuung
Die Integration von traditionellem und digitalem Marketing
Zusammenfassung: Marketing in der digitalen Wirtschaft – neu definiert
Teil II Neue Systeme für Marketing in der digitalen Wirtschaft
Kapitel 5 Die neue Customer Journey
Verstehen, wie Menschen einkaufen: von vier As zu fünf As
Von der Wahrnehmung zur Empfehlung: die E-Zone (E3)
Zusammenfassung: aware, appeal, ask, act, advocate
Kapitel 6 Kennzahlen für Marketingproduktivität
Die Einführung von PAR und BAR
PAR und BAR – eine Analyse
Steigerung der Produktivität
1. Die Anziehungskraft erhöhen
2. Das richtige Maß an Neugier
3. Die Bindung stärken
4. Die Affinität erhöhen
Zusammenfassung: Purchase Action Ratio und Brand Advocacy Ratio
Kapitel 7 Branchen-Archetypen und bewährte Praktiken
Die vier großen Branchen-Archetypen
Erstes Muster: der Türknauf
Zweites Muster: der Goldfisch
Drittes Muster: die Trompete
Viertes Muster: der Trichter
Die Fliege: ein fünftes Muster
Vier bewährte Marketingpraktiken
Zusammenfassung: Was Sie aus verschiedenen Branchen lernen können
Teil III Taktische Marketinganwendungen in der digitalen Wirtschaft
Kapitel 8 Mehr Anziehungskraft für Marken durch menschenorientiertes Marketing
Wie der Mensch die digitale Anthropologie einsetzt
Social Listening
Netnografie
Empathische Kundenbeobachtung
Wie die sechs Attribute menschenorientierter Marken entstehen
Körper
Geist
Soziale Fähigkeiten
Emotionalität
Persönlichkeit
Moralität
Zusammenfassung: Wenn Marken menschlicher werden
Kapitel 9 Content Marketing macht neugierig auf Marken
Content ist die neue Werbung, #Hashtag der neue Slogan
Content Marketing Schritt für Schritt
Erster Schritt: Zielsetzung
Zweiter Schritt: Zielgruppenvisualisierung
Dritter Schritt: Content-Generation und -Planung
Vierter Schritt: Content-Erstellung
Fünfter Schritt: Content-Verbreitung
Sechster Schritt: Content-Verstärkung
Siebter Schritt: Bewertung von Content Marketing
Achter Schritt: Optimierung des Content Marketing
Zusammenfassung: Gesprächsstoff durch Inhalte
Kapitel 10 Markenbindung durch Omnichannel Marketing
Omnichannel Marketing auf dem Vormarsch
Trend 1: Fokussierung auf den mobilen Geschäftsverkehr in der »Now Economy«
Trend 2: »Webrooming« in Offline-Kanälen
Trend 3: »Showrooming« in Online-Kanälen
Optimierung der Omnichannel-Erfahrung durch Big-Data-Analyse
Omnichannel Marketing Schritt für Schritt
Erster Schritt: alle möglichen Schnittstellen und Kanäle auf der gesamten Customer Journey skizzieren
Zweiter Schritt: die entscheidenden Schnittstellen und Kanäle ausfindig machen
Dritter Schritt: die entscheidenden Schnittstellen und Kanäle optimieren
Zusammenfassung: Integration der besten Online- und Offline-Kanäle
Kapitel 11 Engagement Marketing für Markenaffinität
Die Optimierung digitaler Erfahrungen durch Handy-Apps
Erster Schritt: Nutzungsmöglichkeiten ermitteln
Zweiter Schritt: wichtige Funktionen und Nutzeroberfläche gestalten
Dritter Schritt: nachgeschaltete Integration
Lösungen durch Social CRM
Erster Schritt: Wahrnehmungs- und Reaktionskapazitäten aufbauen
Zweiter Schritt: Social CRM-Agenten aufbauen und ihren Einfluss steigern
Dritter Schritt: aktiv die Beteiligung der Community nutzen
Erwünschtes Verhalten durch Gamification
Erster Schritt: Trigger-Aktionen festlegen
Zweiter Schritt: Anmeldemodalitäten und Kategorien festlegen
Dritter Schritt: Anerkennungen und Belohnungen festlegen
Zusammenfassung: Handy-Apps, Social CRM und Gamification
Epilog Der Weg zum WOW!
Was ist ein WOW?
Enjoyment, Experience, Engagement: WOW!
Bereit für ein WOW?
Dank
Über die Autoren
Register
Der nächsten Generation von Marketingfachleuten und Verhaltensökonomen, die den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Beitrag steigern, den das Marketing zum Wohle der Menschen und des Planeten leistet.
Philip Kotler
Für Präsident Joko Widodo, Indonesiens Marketeer of the Year – Legislaturperiode 2010/2012 – und eine neue Hoffnung (»A New Hope«, Zeitschrift Time, 27. Oktober 2014)
Hermawan Kartajaya
Für meine Familie, meine Freunde und alle anderen um mich herum, die mir zum F-Faktor geworden sind und mich zu einem besseren Menschen gemacht haben.
Iwan Setiawan
In den vergangenen sechs Jahren haben uns Marketingfachleute auf der ganzen Welt immer wieder auf eine Fortsetzung von Die neue Dimension des Marketings. das im Original Marketing 3.0 heißt, angesprochen. Angesichts der dynamischen Entwicklungen im Marketing waren offenbar viele davon ausgegangen, dass Marketing 4.0 in der Pipeline sei.
In Die neue Dimension des Marketings ging es um die grundlegende Umstellung von produktorientiertem Marketing (1.0) auf verbraucherorientiertes Marketing (2.0) und letztlich menschenorientiertes Marketing (3.0). Mit diesem Buch zeichneten wir die Entwicklung vom Konsumenten zum ganzen Menschen nach – mit Kopf, Herz und Seele. Unserer Argumentation zufolge lag die Zukunft des Marketings daher in der Entwicklung von Produkten, Dienstleistungen und Unternehmenskulturen, die menschliche Werte verinnerlichen und widerspiegeln. Da das Buch bereits 2010 erschien, wurden die Prinzipien aus Die neue Dimension des Marketings inzwischen von vielen Marketingfachkräften übernommen. Das Buch fand allgemein eine solche Akzeptanz, dass es neben Englisch weltweit noch in 24 andere Sprachen übersetzt wurde.
Ein Jahr nach der Veröffentlichung gründeten wir in Ubub auf Bali das Museum of Marketing 3.0. Das Museum entstand mit freundlicher Unterstützung der drei Fürsten von Ubud Tjokorda Gde Putra Sukawati, Tjokorda Gde Oka Sukawati und Tjokorda Gde Raka Sukawati.
Ubud mit seiner spirituellen Aura ist in der Tat der ideale Standort für das erste Marketingmuseum seiner Art. In dem Museum haben wir inspirierende Fallbeispiele für Marketingfachleute, Unternehmen und Marketingkampagnen kuratiert, denen »Human Spirit« innewohnt. Die Inhalte werden in einem modernen Multiscreen-Setup präsentiert. In den letzten Jahren wurde das Museum durch fortschrittliche Technik wie Augmented Reality und Virtual Reality modernisiert – erweiterte und virtuelle Realität.
Tatsächlich ist eine Menge passiert, seit wir Die neue Dimension des Marketings geschrieben haben – vor allem im Hinblick auf die technische Entwicklung. Die Technologien, die wir heute haben, sind nicht neu. Sie sind jedoch in den letzten Jahren zusammengelaufen, und der kollektive Effekt dieser Konvergenz hat die Marketingpraxis in aller Welt stark beeinflusst. Daraus ergeben sich neue Trends: Die »Sharing Economy«, die »Now Economy«, die Omnichannel-Integration, das Content Marketing, Social CRM und viele andere.
Wir gehen davon aus, dass die technische Konvergenz letztlich zu einer Konvergenz zwischen digitalem und klassischem Marketing führen wird. In einer High-Tech-Welt sehnt sich der Mensch nach High Touch. Je sozialer er wird, desto stärker der Wunsch nach personalisierten Produkten. Im Zuge der Analyse von Big Data werden Erzeugnisse immer individueller und Dienstleistungen immer persönlicher. Wer diese Paradoxa für sich zu nutzen versteht, der hält den Schlüssel zum Erfolg in der digitalen Wirtschaft in der Hand.
In dieser Ära des Umbruchs ist ein neuer Marketingansatz erforderlich. Deshalb präsentieren wir Marketing 4.0 – als logische Fortsetzung von Die neue Dimension des Marketings Die Hauptprämisse dieses Buchs ist, dass sich das Marketing an die veränderte Natur der Customer Journey in der digitalen Wirtschaft anpassen muss. Aufgabe des Marketings ist es, die Verbraucher zu begleiten auf diesem Weg von der Wahrnehmung einer Marke bis hin zu ihrer Empfehlung.
Der erste Teil dieses Buches ist das Ergebnis der Beobachtung unserer Umwelt. Wir setzen an bei den drei Machtverschiebungen, die unsere Welt prägen. Im Weiteren loten wir aus, wie die Vernetzung das Leben der Menschen grundlegend verändert hat. Außerdem werfen wir noch einen genaueren Blick auf drei maßgebliche digitale Subkulturen: die Jugend, die Frauen und die Netzbürger – als Grundlage für eine ganz neue Verbrauchergeneration.
Der zweite und zentrale Teil des Buches erörtert, wie das Marketing die Produktivität steigern kann, indem es die Customer Journey im digitalen Zeitalter nachvollzieht. Darin führen wir ein neues Marketingkennzahlensystem ein und werfen einen frischen Blick auf unsere Marketingpraxis. Darüber hinaus tauchen wir noch tiefer in mehrere maßgebliche Branchen ein und erfahren, wie sich die Ideen aus Marketing 4.0 in diesen Bereichen konkret umsetzen lassen.
Der dritte Teil beschreibt schließlich detailliert die wichtigsten Taktiken von Marketing 4.0. Angefangen beim menschenorientierten Marketing, das auf die Humanisierung von Marken durch menschliche Attribute abzielt, befassen wir uns im Anschluss mit dem Content Marketing, um Verbrauchergespräche anzustoßen. Darüber hinaus verraten wir, wie Omnichannel Marketing umgesetzt werden kann, um den Umsatz zu steigern. Und schließlich beleuchten wir noch das Konzept des Customer Engagement im digitalen Zeitalter.
Im Grunde beschreibt Marketing 4.0 eine Vertiefung und Ausweitung des menschenorientierten Marketings – zur Einbeziehung aller Aspekte der Customer Journey. Wir hoffen, Sie gewinnen aus diesem Buch Erkenntnisse und Anregungen und werden mit uns in den kommenden Jahren das Marketing neu definieren.
Horizontal statt vertikal, inklusiv statt exklusiv, sozial statt individuell
Der Verschwörungstheoretiker Charlie Frost war fest davon überzeugt: 2012 würde die Zivilisation untergehen. 2009 befanden ein paar Geologen, dass Frost recht behalten könnte. Sie stellten fest, dass der Erdkern kurz vor der Explosion stand – und die Welt vor einer Katastrophe. Da setzten sich die Spitzenpolitiker aller Länder zusammen, um einen Ausweg zu finden, und beschlossen, riesige Schiffe nach dem Vorbild der Arche Noah zu bauen, um ausgewählte Gruppen der Weltbevölkerung zu retten. Die Überlebenden auf den Schiffen sollten eine neue Zivilisation begründen.
Diese Geschichte ist frei erfunden und stammt aus dem Film 2012. Doch viele der Szenen aus diesem Film symbolisieren genau den Wandel, den wir heute erleben. Der Film zeigt, wie die alten Grundsätze der Zivilisation – ob politischer, wirtschaftlicher, soziokultureller oder religiöser Natur – ausgelöscht und von einem eher horizontalen, inklusiven Katalog sozialer Normen abgelöst werden. Er demonstriert, wie die führenden Vertreter der westlichen Supermächte gezwungen werden, ihre Egos hintanzustellen und an einem Strang zu ziehen. Für den Bau der riesigen Schiffe muss man sich sogar an China wenden. Die Schiffe fungieren gleichzeitig als Symbole einer neuen Welt, in der die unterschiedlichsten Menschen zusammengespannt werden – ohne jede Rücksicht auf geografische oder demografische Grenzen.
Wir leben heute in einer ganz neuen Welt. Vertraute Machtstrukturen verändern sich drastisch. Für diese veränderten Machtverhältnisse ist in erster Linie das Internet verantwortlich, das Vernetzung und Transparenz in unser Leben gebracht hat.
Wir erleben, wie sich exklusive Mächte der Macht der Inklusivität unterwerfen. Die G7, eine exklusive Gruppe mächtiger Nationen, konnten die globale Finanzkrise nicht alleine stemmen. Sie musste die G20-Gruppe einbeziehen, zu der auch China, Indien und Indonesien gehören. Die Wirtschaftskraft ist inzwischen inklusiver verteilt. Großunternehmen fanden es ebenfalls schwierig, innerhalb ihrer exklusiven Organisationen innovativ zu sein. Unternehmen wie Microsoft und Amazon mussten am Ende kleinere, doch innovativere Unternehmen wie Skype oder Zappos aufkaufen. Selbst Millionären wie Bill Gates oder Mark Zuckerberg wurde die Notwendigkeit wirtschaftlicher Inklusivität bewusst. Sie spendeten ihre Vermögen, um Bedürftigen zu helfen – jeweils über die Bill and Melinda Gates Foundation und das Startup:Education (das inzwischen zur Chan Zuckerberg Initiative gehört).
Wir beobachten ferner, wie vertikale Machtstrukturen von einer eher horizontalen Kraft aufgeweicht werden. Nehmen Sie beispielsweise das bevölkerungsreichste Land der Erde: die »United States of Facebook« mit ihrer Bevölkerung von 1,65 Milliarden Menschen. Wir erleben, wie sich die Menschen heute auf Twitter von Bürgerjournalisten über aktuelle Geschehnisse informieren lassen statt wie früher von großen Fernsehsendern wie CNN. Selbst Hollywood wurde von YouTube im Sturm erobert: Laut einer von der Zeitschrift Variety in Auftrag gegebenen Umfrage sind YouTube-Stars bei 13- bis 18-Jährigen populärer als die Promis aus Hollywood. Der Unterhaltungsriese Sony arbeitete mit YouTube zusammen, um zu beweisen, dass sich horizontale Kräfte von vertikalen nicht aufhalten lassen. Sonys Komödie über Nordkorea, The Interview, wurde als Reaktion auf einen angeblichen Cyberangriff aus Nordkorea zunächst über YouTube auf den Markt gebracht.
Die Machtverschiebungen wirken sich auf die Menschen aus. Inzwischen konzentriert sich die Macht nicht mehr auf Einzelne, sondern auf soziale Gruppen. Diktatoren wurden von Menschen gestürzt, deren Anführer unbekannt blieben. Die Protestbewegung Occupy Wall Street brachte die Wall-Street-Finanziers aus der Ruhe. Zur »Person of the Year 2014« der Zeitschrift Time wurden nicht US-Präsident Barack Obama oder der indische Premierminister Narendra Modi gewählt, sondern die Menschen, die gegen Ebola kämpften.
Solche Umgewichtungen haben unsere Welt drastisch verändert. In einer Welt, in der die horizontalen, inklusiven und sozialen Kräfte die vertikalen, exklusiven und individuellen verdrängen, gewinnen Verbrauchergemeinschaften immer stärker an Einfluss. Sie haben heute mehr Stimme. Sie fürchten sich nicht vor großen Konzernen und bekannten Marken. Sie erzählen gerne Geschichten über Marken weiter – positive wie negative.
Zufällige Gespräche über Marken sind inzwischen glaubwürdiger als gezielte Werbekampagnen. Das soziale Umfeld ist mittlerweile die wichtigste Einflussquelle, sogar noch wichtiger als externe Marketingkommunikation und selbst als persönliche Präferenzen. Konsumenten richten sich bei der Markenauswahl in aller Regel nach ihresgleichen. Es hat fast den Anschein, als wollten sich die Kunden vor falschen Markenversprechen und Werbetricks schützen, indem sie ihre sozialen Kreise zur Festung umbauen.
Vorbei ist die Zeit, als Exklusivität noch das erklärte Ziel war. Das neue Spiel heißt Inklusivität. Auf Makroebene stellt sich die Welt von einer Hegemonie auf multilaterale Machtstrukturen um. Die Supermächte, allen voran die Europäische Union und die Vereinigten Staaten, merken, wie sich die Wirtschaftskraft allmählich auf den Rest der Welt verlagert – insbesondere auf Asien, das seit Jahren stetiges Wachstum verzeichnet. Das soll keinesfalls heißen, dass die westlichen Supermächte nicht weiterhin mächtig bleiben. Es ist nur so, dass auch andere Länder mit der Zeit an Einfluss gewinnen. Die Wirtschaftskraft ist nicht mehr so stark konzentriert, sondern verteilt sich gleichmäßiger.
Die wirtschaftlichen Veränderungen werden oft dem demografischen Profil der Schwellenländer zugeschrieben: Deren Bevölkerung ist jünger, produktiver und erzielt steigende Einkommen. Das hat für rege Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen gesorgt, was wiederum das Wirtschaftswachstum ankurbelt. Neueste Daten lassen jedoch vermuten, dass der Grund dafür nicht ausschließlich demografischer Natur sein könnte.
Auch aus Innovationsperspektive sind in Schwellenländern positive Trends festzustellen. Den von Robert Litan erfassten aktuellen Daten zufolge geht die Innovation in den Vereinigten Staaten zurück. Dort entfielen nur mehr 8 Prozent der Gesamtzahl von Unternehmen auf Start-ups, während es 30 Jahre zuvor noch knapp 15 Prozent waren. Aus Litans Daten geht hervor, dass die Zahl der Konkurse die Zahl der Start-ups übersteigt.
Die Entwicklung in Asien verläuft entgegengesetzt. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird China die Europäische Union und die Vereinigten Staaten bei innovationsbezogenen Investitionen spätestens 2019 überholen. 2012 lag Südkorea in puncto Innovation international an der Spitze: Es investierte über 4 Prozent seines BIP in Forschung und Entwicklung.
Auch der politische Einfluss der westlichen Welt nimmt im Nachgang zur rückläufigen wirtschaftlichen Bedeutung ab. Militärische Kräfte, die früher effektiv Macht ausübten, werden heute nach und nach dem von dem weichen Ansatz der Wirtschaftshilfe und der Diplomatie verdrängt. So hat China beispielsweise großen Einfluss in Afrika, weil es bessere Regierungsführung und nachhaltigere Entwicklung fördert.
Auch die Wirtschaft tendiert zu mehr Inklusivität. Die Technik ermöglicht Automatisierung und Miniaturisierung, was die Produktkosten senkt und Unternehmen erlaubt, die neuen Schwellenmärkte zu beliefern. Disruptive Innovationen in allen Wirtschaftssektoren haben billigere und einfachere Produkte für Arme hervorgebracht, die zuvor nicht als Markt galten. Produkte und Dienstleistungen, die einst als exklusiv erachtet wurden, stehen jetzt in aller Welt auf Massenmärkten zur Verfügung. Beispiele dafür sind unter anderem das 2 000-Dollar-Auto Nano von Tata und das Aravind Eye Care System, das für 16 Dollar Operationen des grauen Stars ermöglicht.
Das funktioniert auch anders herum. Durch umgekehrte Innovation lassen sich auf Schwellenmärkten neue Produkte entwickeln und einführen, noch bevor sie woanders angeboten werden. Genügsamkeit und Kostenbewusstsein in der Produktentwicklung werden zu neuen Treibern der Differenzierung. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das tragbare, batteriebetriebene EKG-Gerät Mac 400 von GE, das speziell für den Einsatz bei Dorfbewohnern in Indien konzipiert wurde. Es wurde aber auch in anderen Ländern vermarktet – mit der Tragbarkeit als zentralem Differenzierungsmerkmal.
Die vom Internet herbeigeführte Transparenz ermöglicht es auch Unternehmen aus Schwellenländern, sich von ihren Mitbewerbern in Industrieländern inspirieren zu lassen. Sie bauen Klonunternehmen auf, die sich durch lokalspezifische Abwandlungen in der Ausführung auszeichnen – zum Beispiel das von Amazon inspirierte Flipkart.com aus Indien, das Groupon nachempfundene Disdus aus Indonesien, Alipay aus China, das sich an PayPal orientiert hat, und die malaysische Uber-Variante Grab. Kunden in diesen Ländern können die entsprechenden Dienstleistungen in Anspruch nehmen und müssen nicht abwarten, bis amerikanische Unternehmen dort eine Präsenz aufgebaut haben.
Auch die Grenzen zwischen Branchen verschwimmen. Es gibt Tendenzen zur Konvergenz und Integration zweier oder mehrerer Industriezweige. Sie haben die Wahl: Entweder treten sie gegeneinander an oder sie setzen auf Synergieeffekte, um dieselben Zielgruppen zu erreichen. In den meisten Fällen entscheiden sie sich für die Synergien.
Viele Gesundheitszentren sind mittlerweile in Ferienanlagen integriert, damit Gesundheits- und Urlaubskosten optimiert werden können. Patients Beyond Borders aus Großbritannien hat nach eigenen Schätzungen 2013 rund elf Millionen Medizintouristen betreut. Beliebte Behandlungen und Ziele sind zahnärztliche Leistungen in Costa Rica, Herzoperationen in Malaysia und kosmetische Eingriffe in Brasilien.
In manchen Schwellenländern, in denen enorm viele Prepaid-Handys verwendet werden, arbeitet der Telekommunikationssektor mit der Finanzdienstleistungsbranche zusammen, um Zahlungsmethoden für Waren und Dienstleistungen anzubieten. Ein bekanntes Beispiel ist der handybasierte Geldüberweisungsdienst M-Pesa aus Kenia.
In etablierten Branchen wird es zunehmend schwerer, Teilsektoren zu unterscheiden. So verblassen die Trennlinien zwischen Bank-, Finanzierungs-, Versicherungs- und Fondsmanagementgeschäft sowie anderen Subsektoren. Deshalb müssen Finanzinstitute dringend neue Möglichkeiten finden, sich zu differenzieren. Die vertikale Integration in einer Branche sorgt dafür, dass Unternehmen entstehen, die umfassende Funktionen übernehmen, von der Materialbeschaffung über die Produktion bis hin zum Vertrieb. Das erschwert die Feststellung, in welchem Geschäft ein Unternehmen tätig ist.
Auf Mikroebene schließlich begrüßen die Menschen soziale Inklusivität. Inklusiv sein heißt aber nicht, dass alle gleich sind. Es geht dabei vielmehr um ein harmonisches Miteinander trotz bestehender Unterschiede. In der Online-Welt haben die sozialen Medien neu definiert, wie Menschen interagieren. Sie können über geografische und demografische Grenzen hinweg Beziehungen aufbauen. Doch dort hört die Wirkung der sozialen Medien nicht auf. Sie ermöglichen auch globale Kooperationen bei der Innovation. Denken Sie an Wikipedia, das von unzähligen Mitwirkenden aufgebaut wurde, oder an InnoCentive, das Forschungs- und Entwicklungsaufgaben veröffentlicht und so die besten Lösungen sucht. De facto sind alle sozialen Medien mit Crowdsourcing-Ansatz gute Beispiele für soziale Inklusivität. Soziale Medien leisten sozialer Inklusivität Vorschub und vermitteln den Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinschaft.
Doch soziale Inklusivität vollzieht sich nicht nur online, sondern auch offline. Das Konzept der inklusiven Städte – Städte, die sich über die Diversität ihrer Bürger freuen – wird oft als vorbildhaft für nachhaltige Stadtentwicklung bezeichnet. Wie dem Konzept der sozialen Medien liegt auch dem Konzept der inklusiven Städte der Gedanke zugrunde, dass eine Stadt nur profitieren kann, wenn sie häufig benachteiligte Minderheiten positiv aufnimmt und ihnen ein Gefühl der Akzeptanz vermittelt. Soziale Inklusivität kann aber auch andere Formen annehmen – beispielsweise solche des fairen Handels, der Diversität auf dem Arbeitsmarkt und der verstärkten Mitbestimmung von Frauen. Diese Praktiken begrüßen durch Geschlecht, Rasse und wirtschaftlichen Status begründete Unterschiede zwischen den Menschen. Marken wie Body Shop setzen auf eine starke Verpflichtung zu sozialer Inklusivität mit Werten wie die Förderung des »Community Trade« und Kampagnen wie »Stoppt häusliche Gewalt!«
Globalisierung schafft gleiche Voraussetzungen für alle. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens wird nicht mehr durch seine Größe, sein Herkunftsland oder bisherige Vorteile bestimmt. Kleinere, jüngere und lokale Unternehmen haben eine Chance, gegen größere, ältere und globale Konkurrenten anzutreten. Am Ende gibt es kein Unternehmen, das im Vergleich zu stark dominiert. Stattdessen kann ein Unternehmen seine Wettbewerbsfähigkeit steigern, wenn es ihm gelingt, sich mit Gemeinschaften von Konsumenten, Partnern und Konkurrenten zu vernetzen, um Kooperation bei der Gestaltung und im Wettbewerb zu ermöglichen.
Der Innovationsfluss, der vormals vertikal verlief (nämlich vom Unternehmen zum Markt), strömt inzwischen horizontal. Früher gingen Unternehmen davon aus, dass Innovation von innen kommen sollte. Deshalb bauten sie eine starke Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur auf. Irgendwann merkten sie, dass das interne Innovationstempo nie ausreichte, um auf einem Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, der sich ständig veränderte. Procter & Gamble (P&G) erfuhr das beispielsweise Anfang 2000, als die Umsatzentwicklung bei neuen Produkten abflachte. Später baute das Unternehmen sein Forschungs- und Entwicklungsmodell zu einem Vernetzungs- und Entwicklungsmodell um. Dieses stärker horizontal ausgerichtete Modell greift bei seiner Suche nach neuen Ideen auf externe Quellen zurück, um diese dann mithilfe interner P&G-Kapazitäten kommerziell zu nutzen. Der Mitbewerber Unilever geht in dieselbe Richtung, indem er sein ausgedehntes externes Innovationsökosystem nutzt. Innovation ist heute horizontal. Der Markt liefert die Ideen, die Unternehmen kommerzialisieren sie.
Ebenso stellt sich das Wettbewerbskonzept von vertikal auf horizontal um. Hauptgrund dafür ist die Technologie. Chris Andersons Long-Tail-Hypothese trifft heute so zu wie nie. Der Markt schwenkt von volumenstarken Massenmarken auf volumenschwache Nischenmarken um. Durch das Internet gibt es keine physischen logistischen Einschränkungen für kleinere Unternehmen und Marken mehr.
Diese Inklusivität ermöglicht es Unternehmen inzwischen, sich Branchen zu erschließen, zu denen sie früher nie Zugang gefunden hätten. Das eröffnet Unternehmen Wachstumschancen, sorgt aber auch für erheblichen Wettbewerbsdruck. Weil die Unterschiede zwischen den Branchen verblassen, wird es für Unternehmen ausgesprochen schwierig, ihre Konkurrenten im Auge zu behalten. Die Rivalen der Zukunft können aus derselben Branche kommen, aber auch aus anderen maßgeblichen vernetzten Branchen. Vor ein paar Jahren hätten sich Taxiunternehmen und Hotelketten nicht vorstellen können, mit Technologie-Start-ups wie Uber und Airbnb, die private Transportmöglichkeiten und Unterkünfte anbieten, um Passagiere und Gäste zu konkurrieren. Um latente Konkurrenten zu erkennen, sollten Unternehmen bei den Zielen der Konsumenten ansetzen und potenzielle Alternativen in Betracht ziehen, die diese beim Erreichen ihrer Ziele akzeptieren könnten.
Außerdem sollten Unternehmen auch Mitbewerber berücksichtigen, die nicht aus ihrem heimischen Markt stammen. Solche Konkurrenten müssen keine multinationalen Konzerne sein. In den letzten Jahren haben wir den Aufstieg von Unternehmen aus Schwellenländern wie Xiaomi und Oppo erlebt. Solche Unternehmen sind innovativ, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Und sie entwickelten sich in schwierigen Heimatmärkten. Sie können bei der Qualität durchaus mit großen Marken mithalten, verlangen jedoch deutlich niedrigere Preise. Möglich wurde dies durch die Online-Markteinführungsoption. Solche Anbieter sind nicht nur höchst innovativ und robust, sondern sie bringen alles Nötige mit, um ihre Märkte auf die ganze Welt auszuweiten.
Das Konzept vom Kundenvertrauen ist nicht länger vertikal, sondern ebenfalls horizontal. Früher ließen sich Verbraucher leicht durch Marketingkampagnen beeinflussen. Außerdem hörten sie bewusst auf Autoritäten und Fachleute. Neuere Forschungsergebnisse aus allen möglichen Branchen belegen jedoch, dass die meisten Konsumenten heute mehr auf den F-Faktor geben (Freunde, Familie, Facebook-Fans, Twitter-Follower) als auf Marketingbotschaften. Die meisten Menschen holen sich über die sozialen Medien Rat von Fremden, denen sie mehr Vertrauen entgegenbringen als der Werbung und der Meinung der Experten. In den letzten Jahren hat dieser Trend für reges Wachstum von Community-Ratingsystemen wie TripAdvisor und Yelp gesorgt.
In diesem Kontext sollte eine Marke Verbraucher nicht länger als bloße Ziele betrachten. Bisher haben Unternehmen ihre Botschaft für gewöhnlich durch verschiedene Werbemedien verkündet. Manche Unternehmen erfanden sogar nicht ganz authentische Differenzierungen, um sich aus der Masse herauszuheben und ihr Markenimage zu stärken. Infolgedessen wird die Marke häufig als äußere Hülle betrachtet, die eine falsche Darstellung ihres eigentlichen Werts ermöglicht. Dieser Ansatz funktioniert nicht mehr, weil sich Konsumenten mithilfe ihrer Gemeinschaften vor schlechten Marken in Acht nehmen, die sie im Visier haben.
Eine Beziehung zwischen Marken und Verbrauchern sollte nicht länger vertikal, sondern stattdessen horizontal aussehen. Konsumenten sollten als Gleichgesinnte und als Freunde der Marke betrachtet werden. Die Marke sollte ihren authentischen Charakter offenbaren und ihrem eigentlichen Wert wahrheitsgetreu Rechnung tragen. Nur dann ist sie vertrauenswürdig.
Kaufentscheidungen treffen Verbraucher bisher in aller Regel aufgrund persönlicher Präferenzen, aber auch aus dem Wunsch nach sozialer Anpassung heraus. Wie wichtig diese Faktoren jeweils im Einzelfall sind, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch – und auch von Branche zu Branche und von Kategorie zu Kategorie.