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Eine neue Legende beginnt
Auf den ersten Blick ist Shaun ein ganz normaler Typ. Zusammen mit seiner besten Freundin Katy arbeitet er für den Parkdienst eines Hotels und verdient sich so seinen Lebensunterhalt. Was niemand ahnt: Shaun heißt in Wirklichkeit Shang-Chi und ist der Sohn von Wenwu, dem Anführer der legendären Organisation »Ten Rings«. Nach einem fürchterlichen Erlebnis in seiner Jugend hat er sich jedoch von seinem Vater und den Ten Rings losgesagt. Da werden Shang-Chi und Katy unerwartet von den Ten Rings in einem Bus angegriffen. Shang-Chi kann die Angreifer in die Flucht schlagen, ihm wird aber ein Amulett gestohlen, das einst seiner Mutter gehört hat. Zusammen mit Katy macht sich Shang-Chi auf die Suche nach dem Amulett und muss sich dabei seiner eigenen Vergangenheit stellen. Einer Vergangenheit, von der er dachte, sie längst hinter sich gelassen zu haben.
Basierend auf dem Megablockbuster "Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings" erzählt das Buch zum Film die Handlung altersgerecht für Kinder ab 10 Jahren.
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Seitenzahl: 142
Adaptiert von Cynthea Liu nach dem Drehbuch von Dave Callaham, Destin ;Daniel Cretton und Andrew Lanham Produziert von Kevin Feige und Jonathan Schwartz Regie: Destin Daniel Cretton
Aus dem Amerikanischen von Kerstin Fricke
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© 2022 MARVEL
Die englische Originalausgabe erschien 2022 bei Marvel Press, New York
unter dem Titel »Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings«
2022 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Übersetzung: Kerstin Fricke
Umschlaggestaltung: Geviert, Grafik & Typografie,
unter Verwendung eines Originalmotivs
sh · Herstellung: AR
Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN978-3-641-28898-3V001
www.cbj-verlag.de © 2022 MARVEL
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Die Legende der Zehn Ringe wird seit Tausenden von Jahren erzählt. Mit jeder Generation wächst die Geschichte. Aber in ihrem Mittelpunkt steht immer ein Mann – Xu Wenwu. Einige sagen, er hätte die Ringe in einem Krater gefunden oder aus einem Grab geraubt. Sie verliehen ihm die Kraft eines Gottes und schenkten ihm ewiges Leben. Er hätte die Ringe für etwas Gutes einsetzen können, doch alles, was er begehrte, war Macht.
Zu jener Zeit wurden Kriege zwischen Königreichen von Männern mit Schwertern und Schilden zu Pferde ausgefochten. Wachen beschützten ihre Burgen mit Pfeil und Bogen. Die zehn Ringe stellten den Gipfel der Waffentechnologie dar. Als Wenwu mit fünf Ringen an jedem Arm in die Schlacht ritt, kam der feindliche Pfeilhagel auf ihn zugeflogen. Wenwu schwang die Arme und schickte die Ringe in die Luft. Sie umkreisten ihn und sein Pferd und erzeugten eine Kuppel aus elektrisch-blauer Energie, die jeden Pfeil zerstörte, der mit ihr in Kontakt kam. Mit einer weiteren Armbewegung ließ Wenwu die Ringe auf den Boden sausen. Die zurückstrahlende Energie war so intensiv, dass er in die Luft geschleudert wurde, fast so als würde er fliegen. Wie Bumerangs kehrten die Ringe zu Wenwu zurück, während er sich noch in der Luft befand. Erneut ließ er die Ringe auf dem Boden aufkommen und eine gewaltige Welle aus konzentrischer Energie holte mehrere Hundert Soldaten von den Beinen.
Wenwu landete inmitten des Chaos in der Nähe der Burg. Die Ringe flogen in alle Richtungen davon und erzeugten Seile aus knisternder Energie, die er wie Peitschen schwingen konnte. Auf diese Weise schaltete er reihenweise feindliche Krieger aus. Im Flug durchschlugen die Ringe die Tore der Burg, sodass Wenwu und seine Männer den Thron leicht erobern konnten.
Daraufhin wurde Wenwu König und inspirierte während des Mittelalters Generationen von Männern. Er nannte seine Armee die Zehn Ringe. Im Laufe der Jahrhunderte breiteten sie sich bis in jeden Winkel der Erde aus. Sie agierten im Schatten, stürzten Regierungen und veränderten den Lauf der Geschichte.
Eintausend Jahre lang strebte Wenwu nach Geld und Macht.
Aber er wollte noch mehr.
Hoch in den Bergen Chinas lebten Wenwu und seine Männer in einem Anwesen, das sich an den Hang schmiegte. Ein Hof, auf dem Hunderte von Soldaten Platz fanden, war von Gebäuden mit Tempeldächern umgeben. Wenwu reiste häufig mit dem Hubschrauber, und als er von seiner letzten Reise zurückkehrte, stand seine Armee in Reih und Glied im Hof, um ihn zu begrüßen.
In seinem Arbeitszimmer setzte sich Wenwu mit seinem Ratgeber zusammen. Der Raum war lang und schwach beleuchtet und an den Wänden standen Regale voller Schriftrollen. Wenwu studierte eine antike Karte, die auf seinem Schreibtisch lag. »Kennst du die Legende von Ta Lo?«, fragte er auf Chinesisch. Dabei zeigte er auf die Karte und trug jeweils fünf Ringe wie Armreifen an jedem Handgelenk. »Ein verborgenes Dorf voller mythischer Wesen und uralter Magie. Seine Bewohner praktizieren eine Kampfkunst der Götter«, fuhr Wenwu fort. »Ich will es finden.«
Der Ratgeber beugte sich über die Karte. »Natürlich. Ich schicke einen Späher, der die Gegend erkundet und mehr darüber in Erfahrung bringt.«
Wenwu verlagerte das Gewicht auf seinem Stuhl. »Ich will sofort aufbrechen.«
Kurz darauf bewegte sich eine kleine Karawane aus Geländefahrzeugen auf einem schmalen Weg durch einen dichten Bambuswald. Wenwu und sein Ratgeber saßen auf dem Rücksitz des ersten Wagens, und Wenwu fuhr mit einem Finger über die Karte, die er im Schoß liegen hatte. Schon bald würden sie in Ta Lo eintreffen.
Der Ratgeber schaute aus dem Fenster. Draußen raschelten und wankten die Bambusstämme. »Der Wald … bewegt sich.« Das Geräusch der wandelnden Bäume wurde lauter.
Sie drehten sich beide um und starrten durch die Heckscheibe. Plötzlich knallten die Bäume gegeneinander und der Weg hinter ihrem Wagen verschwand. Sie waren vom Rest der Karawane getrennt.
Der Ratgeber drehte sich wieder nach vorn um und geriet in Panik. »Achtung!«, schrie er dem Fahrer zu. »Vor uns! Aufpassen!«
Doch es war zu spät. Die Bambusstämme versperrten ihnen den Weg. Der Fahrer riss das Lenkrad herum und der Wagen brach durch die Bäume. Er raste aus dem Wald heraus, prallte gegen einen Felsbrocken und wurde in die Luft geschleudert. Wenwu handelte sofort. Er nutzte die Macht der Ringe, um die Tür aufzubrechen, als sich der Wagen überschlug. Dann stürzte er auf den Boden, während der SUV über seinen Kopf hinwegflog. Wenwu rollte sich ab und kam dicht vor einer steilen Klippe zum Stillstand. Die anderen hatten nicht so viel Glück. Der Wagen stürzte in die Tiefe und zerschellte weiter unten zwischen den Bäumen.
Wenwu rappelte sich auf. Er wandte sich dem Bambuswald zu, der ihn und seine Männer rausgeworfen und sich wieder geschlossen hatte.
Nun war er allein.
Der Wald wartete.
Wenwu trat zwischen die Bäume. Er ließ sich nicht von seinem Plan abbringen. Außerdem gab es abgesehen von Ta Lo auf der ganzen Welt nichts mehr, was er erobern konnte.
»So kam er in meine Heimat«, sagte Li auf Chinesisch zu ihrem Sohn.
Shang-Chi, ein Junge von höchstens sieben Jahren, saß seiner Mutter gegenüber am Esstisch. Darauf stapelten sich Bastel-Utensilien, da sie die Kunst des zhézhˇı übten. Li hielt einen roten Papierdrachen in der Hand und dachte an den Augenblick zurück, in dem sie Shang-Chis Vater zum ersten Mal im Bambuswald gesehen hatte.
Als er auf die Lichtung trat, hatte sie neben einem Wasserfall, durch den man zu ihrem Dorf gelangte, Wache gehalten.
Der Mann wirkte modern auf sie, abgesehen von den seltsamen Metallringen an seinen Armen.
»Wo ist der Eingang nach Ta Lo?«, verlangte der Mann zu erfahren.
Li musterte den Mann von ihrem Posten neben dem Wasserfall aus. Ihr breitkrempiger Bambushut schirmte ihr Gesicht vom Sonnenlicht ab, das zwischen den Baumwipfeln hindurchdrang. Sie trug eine Gesichtsmaske, auf der ein Drachenmaul mit gebleckten Zähnen abgebildet war. »Du bist hier nicht willkommen«, sagte Li.
Der Mann ließ sich von der Tatsache, dass er einer Frau gegenüberstand, die die Kampfkünste von Ta Lo kannte, nicht beeindrucken. »Du hast keine Ahnung, mit wem du redest.«
»Es ist mir egal, wer du bist«, erwiderte sie. »Kehr um, dann muss ich dir nicht wehtun.«
Der Mann nahm augenblicklich die Pose eines geübten Kämpfers ein. Er breitete die Arme aus und wappnete sich für den Kampf. Dabei leuchteten die Ringe an seinen Armen blau – in der Farbe des Todes. Dann ballte er die Fäuste und schoss die Ringe eines Arms auf sie ab.
Sie wich der Attacke problemlos aus, schwebte durch die Luft, stieß sich an einem Baum ab und landete ganz in der Nähe des Mannes. »Ist das alles?«, fragte Li.
Als er auf sie losstürmte, schwebte sie abermals davon. Beim Landen warf sie ihren Hut in seine Richtung, der dicht an seiner Nase vorbeisegelte.
Nun war sie an der Reihe. Sie streckte die Hände zu den Seiten aus, bewegte ein Bein halbkreisförmig nach hinten und zog dabei die Zehenspitzen über den Boden, als wollte sie ihren Bereich der Erde markieren. Dabei wusste sie genau, dass ihr Kampfstil anders war als seiner – und besser. Sie war bereit, dem ignoranten Mann zu zeigen, wofür sie ausgebildet worden war. Li wirbelte die Arme umher und brachte die Luft dazu, sich wie der Wind zu bewegen. Bambusblätter stoben vom Boden auf, wurden vom Wind mitgetragen und bewegten sich im Einklang mit den flüssigen Drehungen ihrer Arme. Als sie innehielt, taten es die Blätter ihr gleich und verharrten noch einen Moment in der Luft, als würden sie von einer eigenen Magie dort festgehalten.
Wenwu sprang los und die Ringe flogen in Lis Richtung. Sie lehnte sich nach hinten, sodass die Ringe über ihren Kopf hinwegsegelten. Als er versuchte, sie mit den Ringen wie mit einem Lasso einzuholen, fing Li sie mit den Armen auf, als könnte sie sie kontrollieren, und die Ringe bewegten sich um die beiden Kämpfenden. Dann machte sie einen Schritt nach hinten und schleuderte die Ringe auf ihn, als wäre das ein Kinderspiel für sie.
Sie besaß die Anmut einer Tänzerin, und als sie gegeneinander kämpften, gelang es ihr trotz der beharrlichen Bemühungen des Mannes, ihn auf Armeslänge so festzuhalten, dass er nicht entkommen konnte. Sie traf ihn mit einem Schlag in der Magengrube, der ihn aufkeuchen ließ. Im nächsten Augenblick hatte sie ihn auch schon durch die Luft gewirbelt und mit einem Tritt von sich gestoßen. Tài jiˇandānle, dachte sie. Zu einfach.
Wenwu ballte wieder die Fäuste, zog die Arme zurück und ließ alle zehn Ringe auf Li zurasen. Sie wich ihnen mühelos aus. Die Ringe flogen in die Bäume. Wenwu machte eine Bewegung mit den Armen und die Ringe flogen erneut auf sie zu. Aber sie zähmte den Wind mit offenen Händen und fing die Ringe ein, die nun in der Luft schwebten. Da die Ringe jetzt ihr unterstanden, leuchteten sie golden. Mit einer weiteren Armbewegung beugte sie die Luft um sich herum und bewirkte, dass die Ringe ihren Bewegungen folgten. Sie verharrten vor ihr in der Luft.
Sie setzte ihre Kräfte ein, woraufhin sich die Ringe immer schneller drehten. Dadurch bildeten sie eine Kugel aus goldener Energie, die mit jeder Umdrehung zuzunehmen schien. Als sie die Hände abrupt nach vorn stieß, rasten die Ringe auf den Mann zu und trafen ihn an der Brust – und zwar mit voller Wucht. Der Aufprall schleuderte ihn durch die Luft und gegen einen Baum. Kurz bevor er auf dem Boden aufkam, schwenkte Li die Hände und veränderte die Richtung der Luft, die ihn trug, um ihn platschend in den Teich vor dem Wasserfall stürzen zu lassen.
»Das war das erste Mal, dass ich deinen Vater traf«, sagte Li zu ihrem Sohn. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mich in ihn verliebe. Aber die Liebe hatte andere Pläne.« Sie hielt den Papierdrachen in einer Hand und eine kleine Schere in der anderen. »Shang-Chi, es gibt viel zu wissen über die Legende der Ringe. Du wirst es lernen, wenn du älter bist.« Sie bastelte weiter am Drachen.
Shang-Chi war völlig fasziniert von der Geschichte, die ihm seine Mutter da erzählte. »Wenn Dads Ringe so mächtig sind, wie konntest du ihn besiegen?«
»Wo ich herkomme, wird uns Kraft verliehen durch die Magie der Großen Beschützerin«, erklärte Li. »Wenn du das Herz unseres Drachen hast, bist du zu erstaunlichen Dingen fähig.« Sie reichte Shang-Chi den fertigen Drachen.
Er nahm ihn seiner Mutter ab, fummelte daran herum und wusste nicht, was er von der Magie seiner Mutter halten sollte. Auf ihn wirkte sie wie ein ganz normaler Mensch, genau wie er. »Kannst du diese Dinge noch?«
»Ich ließ diese Kräfte in Ta Lo, bei unserem Drachen«, antwortete Li, »aber was ich dafür bekam, ist so viel besser.« Sie streichelte Shang-Chi lächelnd über die Wange. Dann griff sie nach einem kleinen Stoffbeutel und zog einen grünen Jadeanhänger an einem Band heraus. »Ich will dir das hier geben. Wann immer du dich verloren fühlst, hilft es dir, deinen Weg nach Hause zu finden.«
Sie legte Shang-Chi die Kette um den Hals und berührte den Anhänger ein letztes Mal, als wollte sie dafür sorgen, dass er diesen Zweck auch erfüllen würde. »Kannst du dir das merken?«
Shang-Chi umklammerte den grünen Anhänger mit einer Hand und starrte ihn an. Er wusste, dass seine Mutter ihm gerade etwas sehr Wichtiges geschenkt hatte, und vielleicht … befand sich darin ja auch ein wenig von ihrer Magie.
Er lächelte.
In den frühen Morgenstunden ging der Wecker des Handys los, das auf dem Nachttisch lag, und riss Shaun in seinem Garagen-Apartment aus dem Schlaf. Er drehte sich um und schaltete den Wecker aus. Dann schlug er die Bettdecke zur Seite und schwang die Beine aus dem Bett. Der Jadeanhänger, den er von seiner Mutter bekommen hatte, hing noch immer um seinen Hals. Während Shaun versuchte, den Schlaf abzuschütteln, fiel sein Blick auf die Postkarte auf seinem Nachttisch, und er griff danach. Auf der Vorderseite prangte das Bild eines roten Drachen. Auf der Rückseite hatte jemand handschriftlich seine Adresse sowie eine Absenderadresse in Macau, China, notiert. Das war alles. Keine Nachricht. Shaun fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und dachte an die Absenderin dieser Postkarte. Er glaubte zu wissen, wer sie ihm geschickt hatte, und wusste, dass er etwas deswegen unternehmen musste.
Aber nicht jetzt. Er war noch nicht bereit dazu.
Stattdessen fuhr er mit seiner üblichen Morgenroutine fort: Push-ups, Waschen, danach zog er sich eine schwarze Hose, ein weißes Oberhemd und eine schwarze Krawatte an.
Er musste zur Arbeit.
Ein weiterer wunderschöner Tag in San Francisco brach an. Auf der Golden-Gate-Brücke herrschte viel Verkehr. Autos fuhren über die steile, gewundene Lombard Street. Die Wolkenkratzer in der Innenstadt warteten auf den morgendlichen Ansturm.
Ein kirschroter BMW-M8-Sportwagen mit heruntergelassenen Fenstern hielt vor einem der besten Hotels von San Francisco. Ein Mann in teuren Slippern stieg aus und warf Shaun, der dort für den Parkdienst arbeitete, die Wagenschlüssel zu.
»Hallo, Sir«, grüßte Shaun den Mann. »Willkommen im Fairmont.«
Shauns beste Freundin Katy, die auch seine Kollegin war, starrte den glänzenden roten Sportwagen mit offenem Mund an. Sie riss Shaun die Schlüssel aus der Hand, kaum dass der Besitzer des Autos außer Sichtweite war. »Ich fahre!« Schon hastete sie zur Fahrertür.
»Hey! Lass das!« Shaun rannte hinter ihr her. »Gib mir den Schlüssel!«
Katy stieg ein und verriegelte die Tür. Shaun stützte die Hände gegen den Wagen. »Bitte mach die Tür auf.«
Aber Katy ließ den Motor aufheulen, der wie ein Tiger schnurrte. »Oh mein Gott!«
»Steig aus«, verlangte Shaun.
»Steig du ein!«
»Sollte dem Teil was zustoßen, sind wir unsere Jobs los und für immer verschuldet«, versuchte es Shaun erneut.
»Hab dich bloß nicht so«, protestierte Katy. »Der Schüssel geschieht nichts. Ich bin der asiatische Jeff Gordon.«
»Ich weiß nicht, wer das ist«, gab Shaun zu.
»Die meisten Siege der NASCAR-Geschichte?«
»Bitte steig aus dem Wagen«, wiederholte Shaun.
Katy seufzte. »Shaun. Wir sind seit zehn Jahren Freunde. Ich bin kein Idiot, das weißt du. Bitte steig ein. Ich fahr langsam.«
Doch das war gelogen.
Mit Shaun auf dem Beifahrersitz raste Katy im BMW durch den Verkehr, während sich Shaun verzweifelt festhielt. Katy überholte strahlend einen deutlich langsameren Wagen. Der BMW schleuderte auf die Gegenfahrbahn. Autos kamen ihnen entgegen.
»Katy!«, schrie Shaun. »Pass auf …«
Katy riss das Lenkrad herum, bevor der Gegenverkehr sie erreichte. Shaun muss sich wirklich mal locker machen!, dachte sie. Dann rasten sie einen Hügel hinauf und an Autos vorbei, die am Straßenrand parkten, bis sie zu einer Kreuzung gelangten, auf der Katy eine gewaltige – und vollkommen unnötige – Kehrtwende in halsbrecherischem Tempo hinlegte.
Die Reifen qualmten und hinterließen schwarze Spuren auf dem Asphalt.
Nach der Arbeit trafen sich Shaun und Katy mit ihrer gemeinsamen Freundin Soo und deren Mann John auf ein paar Drinks in einem Restaurant in der Stadt. Shaun erzählte John gerade, wie er Katy kennengelernt hatte. »Als ich Katy traf, wusste ich gleich, es wird turbulent«, sagte Shaun. »Ich wurde in der Schule immer schikaniert, aus denselben Gründen, aus denen wir eben schikaniert werden. Außerdem war ich grad erst hergezogen und konnte die Sprache nicht gut. Ich will eines Tages zum Essen, da ruft ein Typ, der doppelt so groß ist wie ich, durch die Halle: ›Was geht ab, Gangnam Style?‹ Und ich so: ›Ich bin kein Koreaner, du Idiot.‹«
»Und ich komm da lang und sehe, wie er seinen Rucksack wegwirft und sich Shaun vorknöpfen will«, schaltete sich Katy ein.
»Gerade als er mir eine verpassen will«, fuhr Shaun fort, »taucht Katy plötzlich auf, stellt sich zwischen uns und kreischt auf einmal den Song ›Hotel California‹.«
John grinste. »Was?!« Wie seltsam!
Soo schüttelte lachend den Kopf.
»Die Kunst der Verwirrung«, erklärte Katy. »Funktioniert bei dummen Menschen immer.«
»So haben wir uns kennengelernt«, schloss Shaun.
»Dann zog ich ihn zum Parkplatz …«, berichtete Katy weiter.
»Wo sie mir dann eröffnete, sie hätte sich die Schlüssel seines Mustangs geschnappt«, sagte Shaun.
Soo griff nach ihrem Drink und flehte innerlich, dass Katy die Geschichte nicht bis zum Ende erzählen würde.
»Genau«, meinte Katy. »Wir haben eine kleine Spritztour gemacht.«