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»Maßlose Gier« ist drastisch und gnadenlos.
Der Alltag eines jungen Paares wird zerstört, als der Sohn auf einem Ausflug in den Wald spurlos verschwindet. Keine Anzeichen und keine Spur, wie vom Erdboden verschluckt. In den folgenden Wochen erleben die beiden wie ihr Leben in einen Horrortrip verwandelt wird. Geplagt von lebendigen Albträumen und der eigenen Schuld werden sie schon bald der grausamen Wahrheit in das hässliche Gesicht blicken müssen …
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Johannes Fenring
Maßlose Gier
Unheimlicher Roman
Neuausgabe
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer nach Motiven, 2023
Korrektorat: Bärenklau Exklusiv
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
Die Handlungen dieser Geschichte ist frei erfunden sowie die Namen der Protagonisten und Firmen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht gewollt.
Alle Rechte vorbehalten
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Maßlose Gier
1.Teil
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
2. Teil
1.
2.
3. Teil
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
4. Teil
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
Von Johannes Fenring ist weiterhin erschienen
»Maßlose Gier« ist drastisch und gnadenlos.
Der Alltag eines jungen Paares wird zerstört, als der Sohn auf einem Ausflug in den Wald spurlos verschwindet. Keine Anzeichen und keine Spur, wie vom Erdboden verschluckt. In den folgenden Wochen erleben die beiden wie ihr Leben in einen Horrortrip verwandelt wird. Geplagt von lebendigen Albträumen und der eigenen Schuld werden sie schon bald der grausamen Wahrheit in das hässliche Gesicht blicken müssen …
***
Unheimlicher Roman von Johannes Fenring
Wie Türme ragen die Gebäude in den Himmel hinein. Sie zeichnen ihre schwarzen, einsamen Silhouetten an den Horizont, als wären sie Mahnmale. Ihre stummen, leeren Gesichter beobachten ohne viel Teilnahme, was um sie herum geschieht. Sie beobachten die unendlich vielen Wesen, die sich auf den Straßen umher schieben, die durch ihre Eingänge schreiten, die sich in ihnen bewegen. Die für einen kurzen Moment ein Teil von ihnen werden; nur um dann wieder zu verschwinden. Sie kommen und sie gehen. Ohne zu wissen, dass jeder Schritt ein Echo durch die Eingeweide eines Turmes wirft, das Stück für Stück an seiner Substanz nagt. Bis eines Tages ein einziger, großer Schritt die Wände zum Einstürzen bringt, die Böden aufreißt, die Decken zerbricht. Das ganze Bauwerk in sich zusammenfallen lässt. Und das von nur einem einzigen, kreischenden Echo.
»Ich kann es nicht mehr erwarten …«
»Ich weiß. Ich auch nicht. Irgendwann machen mich diese ganzen Snobs noch wahnsinnig …«
»Wahnsinnig? Das wäre viel zu schön …«
Er lacht. Und nimmt ihre Hand. Gemeinsam verlassen sie eines der Gebäude, die so penetrant in den Himmel hineinragen. Die nun mit grimmigen Blicken verfolgen, wie die Beiden zwischen den Schultern der Artgenossen verschwinden. Wie sie glauben, sie könnten davonlaufen ohne einen Splitter der Welt mit sich herum zu tragen, der sich tief in ihr Fleisch gebohrt hat.
Ihre Finger sind ineinander verkreuzt, die Handflächen aneinandergepresst. Sie glauben den Herzschlag des anderen darin zu spüren, dabei sind es nur die Vibrationen der Autos, die auf der Straße neben ihnen daher rattern.
»Haben wir alles?«, fragt er. Sie bleibt stehen, ein rotes Ampellicht befiehlt es. Er will weitergehen, doch ihr Griff um seine Finger hält ihn zurück. Sein gehobener Fuß macht keinen Schritt, er sinkt einfach ohne Zweck zu Boden.
»Alles erledigt.«, sagt sie.
Als das Licht grün wird strömen die Massen an ihnen vorbei. Klackernde Absätze auf dem zertrampelten Beton, hastige Schritte vorbei an den knurrend wartenden Autos. Wortfetzen, Handyklingeln, Motorenrattern. Der schneidend kalte Wind, der sich hierher verirrt hat und nun dem Labyrinth aus Häuserwänden nicht mehr entkommen kann. Zu rastlos und zu lange schon irrt er hier umher, dass er eisig und leer geworden ist.
Sie zieht ihn zu sich heran, greift nach dem Kragen seines Hemdes und stellt sich auf die Zehenspitzen um ihn zu erreichen. Sie schließt die Augen, presst ihre Lippen auf seine, spürt die Wärme seines Blutes hinter der dünnen Hautschicht pulsieren; doch selbst hier kann sie den Lärm nicht vergessen.
»Warst du bei Joe?«, fragt er.
»Jap. Hat alles geklappt.«
Er lächelt entspannt, legt den Arm um ihre Hüfte und drängt sie voran, dass ihre Füße die Straße betreten und sie endlich weiterkommen. Nicht einmal zwei Schritte und die Ampel wirft wieder ihr warnendes rotes Licht auf sie herab. Die Autos, alle nebeneinander aufgereiht wie Pferde aus Metall, warten auf den Startschuss. Warten darauf, dass das Rot endlich verschwindet.
Zwischen den Beinen der Masse wirkt er beinah unwirklich. Als hätte man ihn da hinein montiert. Sie hat sich schon oft gefragt, aus welchem Bild man ihn herausgeschnitten hat. Welcher Kontext ist es, in dem er nicht wie ein Fremdkörper wirkt? Er sieht eingeschüchtert aus, wie er dort auf dem Gehweg steht. Auf dem Rücken einen kleinen Rucksack, dessen einer Träger über seine linke Schulter gerutscht ist. Seine Augen wandern über die Szenerien der Stadt und immer, wirklich immer schon, sahen sie dabei aus, als könnten sie all das Gesehene nicht aufnehmen. Er wirkt einsam, verloren, fremd in dieser Welt. Deplatziert. Seine Kleidung ist zu bunt für den grauen Asphalt und die tristen Häuserfronten. Sein Körper zu zart für die schnelle, harte Masse aus Menschen, die sich an ihm vorbeischiebt. Seine Augen zu fragend für eine Welt, die keine Antworten mehr geben will.
»Hey Tim …« Sie geht in die Knie und breitet die Arme aus, wartet darauf, dass er mit seinen unbeholfenen Schritten in ihre Umarmung fällt. Einen Moment lang sieht er sie verstört an, als erkenne er sie nicht. Als untersuche er sie, ob sie wirklich die ist, für die sie sich ausgibt. Sie kennt das schon. Dann, ohne längere Verzögerung, trippelt er los, fällt in ihre Umarmung, wie sie es sich vorgestellt hat und klammert sich für einen Moment lang fest. Seine dünnen Ärmchen hängen um ihren Hals, ziehen sie hinab.
»Tim …«, murmelt sie und versucht seine Umklammerung zu lösen. »Hey, hey, ist ja gut.« Der Moment ist noch nicht vorbei. Wie ein tonnenschweres Gewicht hängt er an ihr, sein Griff scheint immer enger zu werden, wie eine Kneifzange, die sich sicher ist, dass sie noch weiter zukneifen kann.
»Hi Kleiner.« Er zerstrubbelt mit seiner groben Hand das Haar auf Tims kleinem Kopf. Der Griff löst sich. Sie richtet sich wieder auf. Lächelt. Weil Mütter das so tun.
»Er war heute sehr still, aber dann hat er mir erzählt, dass er ganz aufgeregt ist wegen dem Wochenende. Sie fahren weg?« Die Tagesmutter sieht sie mit großen, neugierigen Augen an.
»Ja, genau. Wir wollten … wissen Sie, nur mal rauskommen hier. Ein bisschen raus aus der Stadt.«
»Oh schön.« Ihre Lippen spitzen sich zu einem entzückten Lächeln zusammen. Doch die Falten um ihren Mund herum verraten, dass sie das für profan hält. Davon fühlt sie sich nicht mehr verletzt, nein, nicht von diesen welken, strengen Falten.
»Er hat den ganzen Morgen vom Wald gesprochen.«
»Hat er das?«, fragt sie, beugt sich wieder zu ihm herunter und fragt: »Hast du das, Tim? Freust du dich schon?«
Er nickt, die großen, kugelrunden Augen auf sie gerichtet, als müsse er sich damit an ihr festhalten, um nicht vom Strom der Passanten mitgerissen zu werden.
Die Tagesmutter streichelt Tim über den Kopf und sagt »Viel Spaß.«
»Was ist bloß los mit dieser alten Hexe?«
Er lacht. »Reg dich nicht auf, Katie. Du weißt doch, die glaubt wir sind irgendwelche Hippies die im Wald ums Feuer tanzen …«
Sie muss ebenfalls lachen. Kleine Grübchen, die Vorboten späterer Falten. »Die ist doch wirklich …«, bis ihr Lachen erstirbt, weil ein Gedanke ihn totgeschlagen hat. Sie sitzen im Auto. Er sitzt hinter dem Steuer, er fährt. Tim sitzt hinten in einem Kindersitz und stiert aus dem Fenster. Sie schweigt nun. Betrachtet die Pfeiler einer Brücke, die sie passieren.
»Mach dir wegen der keinen Kopf. Für die gibt es nur die Stadt.«
»Ja, ich weiß …«
»Letzte Woche hat sie mir erzählt, dass sie gar nicht verstehen kann, wieso wir immer extra aus der Stadt herausfahren. Hat mich gefragt, ob es nicht bequemer wäre einfach ein Apartment hier zu mieten …« Als Katie davon nicht amüsiert scheint und weiter die Brückenpfeiler zu zählen scheint, sieht er sie besorgt an. Nur im Augenwinkel. Ihre dunkelbraunen Haare, die nie so glatt und seidig sind wie bei den computermanipulierten Frauen aus der Werbung. Dabei liebt er es, wenn eine einzelne Strähne spröde und porös, aber voller Eigensinn absteht.
Er legt seine Hand auf ihren Oberschenkel »Das ist unser Wochenende, okay?«
»Ja …Ich weiß, Ben. Es ist nur …« sie wirkt in ihrer Hilflosigkeit wenig überzeugt. Der Druck seiner Hand wird fester. Sie muss auflächeln. »Ja.«, sagt sie diesmal, zuversichtlicher. »Ja!«, lacht sie schließlich, beugt sich zu ihm herüber und küsst ihn auf die Wange. Tim stiert aus dem Fenster.
Gemeinsam sitzen die drei an einem quadratischen Tisch in der Küche. Der Raum ist groß, die Vertäfelung der Einbauküche teuer. Durch ein großes Fenster gleich neben der Spüle wird der Blick auf eine Siedlung gewahr.
Tims Teller rutscht von der Tischkante und segelt zu Boden. Er nimmt sich Zeit dafür, rotiert wie ein Tänzer. Die Nudeln lösen sich vom Porzellan, nur das bisschen an roter Soße hält sie wie ein dünnes Band zusammen. Der Fall findet sein Ende auf dem gefliesten Boden, dort, wo der Teller in fünf große Bruchstücke zerschellt. Kleine Splitter stoben durch die Luft, die Nudeln verteilen sich in einem ungleichmäßigen Muster über den Boden.
»Oh nein …«, murmelt Katie. Sie ist nicht eine dieser Frauen, die hysterisch geifernd aufspringen und ihr Kind als dumm und lästig beschimpfen. Die es ohne Abendessen zu Bett schicken, obwohl das Kind noch gar nicht verstehen kann, wozu das ganze Theater gut sein soll. Katie hingegen steht bedächtig auf, stiert den zerbrochenen Teller an, bewundert für eine Sekunde das Muster, dass die Soße auf den Boden gezeichnet hat, bis sie sich erinnert, dass das kein Kunstwerk, sondern ein Abendessen sein sollte. Sie seufzt.
»Ich mach das schon …«, sagt Ben und will aufstehen. Katie schüttelt nur den Kopf, murmelt etwas vor sich hin und ist schon auf dem Weg hinaus aus der Küche. Zum Gästebad. Sie öffnet die Tür, dann einen Schrank, wühlt nach einem Handtuch. Gefiltert durch zwei Wände, die Tür und die Ferne hört sie Bens Stimme.
»Macht doch nichts, Kleiner. Wir haben ja noch was übrig … aber diesmal musst du es auch wirklich essen. Ist ja kein Spielzeug, nicht wahr?«
Sie muss auflächeln. Lautlos schiebt sie die Tür des Bades wieder zu und nähert sich, nur ein, zwei Schritte. So kann sie Ben beobachten. Wie er Tim fürsorglich einen neuen Latz umbindet, ihm über den Kopf streichelt. Jeder einzelne seiner Finger fährt durch die dünnen, weichen Haare. Sie liebt seine Hände. Diese starken, groben Hände und die dazu so gar nicht passenden sanften Berührungen.
»Und hier eine neue Portion für den Herrn.«, sagt er und serviert Tim einen neuen Teller mit dampfenden Nudeln. Seine Stimme beruhigt sie. Immer wieder verspürt sie diese Wärme in sich, wenn er spricht. Jedes Wort ist wie ein Zündelholz für das Feuer in ihr, dass er damals entfacht hat, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Damals, so kommt es ihr heute vor, war sie eine ganz andere Person. Manchmal weiß sie nicht mehr, ob sie mit dieser Person befreundet war, oder ob sie ihr ein erbitterter Feind war. Sie war ganz neu in der Stadt gewesen, hatte keine Ahnung gehabt, welche Unwesen sich in den Schatten der Straßen umhertrieben und nur darauf warteten ihre Hand zu packen und sie fortzuziehen. Und sie haben sie fortgezogen. Für eine lange, dunkle Weile haben sie sie durch flackernde Stroboskoplichter gezerrt, hinein in die zwielichtigsten Clubs und immer wieder auf den versifften Boden des Abgrundes gestoßen.
»Katie?«
Bens Stimme holt sie zurück. Fort aus ihrer weit auseinander gefächerten Gedankenwelt. Sie zwinkert zweimal, um sicher zu gehen, dass die Bilder auch verschwunden sind, dann tritt sie wieder in die Küche und lächelt ihm zu.
Warmes Wasser fließt über seine Hände. Ein endloser Strom, der sich über seine Haut ergießt. Dann, aber nur langsam, taucht er sie hinab. Hinein in das heiße Wasser, das Schaumkronen trägt und nach Seife riecht. Zwischen seinen Fingern findet er einen Teller, in der anderen Hand hält er schon die Spülbürste und fängt nun an zu schrubben.
Im Hintergrund hört er Katie und Tim. Sie fragt ihn gerade, was er heute alles gemacht hat. Wie immer ist Tim nicht derjenige, der mit vielen, großen Worten um sich wirft. Das hat er noch nie getan.
Er schrubbt weiter. Kleine Kreise, große Kreise.
»Und habt ihr auch ein Bild gemalt?«
Er antwortet nicht, aber Ben weiß, dass er vermutlich gerade mit großen Augen nickt.
»Willst du mir es mal zeigen? Oder hast du es da gelassen?«
Hastige, trippelnde Schritte verraten, dass er nun zu seinem Rucksack rennt, den er unter der Garderobe hat liegen lassen, um das Bild hervorzuholen und es Katie zu zeigen. Er ist nicht wie andere Kinder, die mit Stolz in der Brust alles präsentieren, was sie erschaffen haben um sich dann in dem Lob der Eltern zu sonnen. Die dann losquasseln und aufgeregt von allem erzählen, was sie getan oder gelassen haben.
»Oh, das ist aber schön. Was ist denn das?«
»Ein Hisch.«
»Ein … meinst du einen Hirsch?«
»Ja, ein Hier…sch.«
»Der ist aber wirklich schön. Malst du mir auch so einen?«
Ben hebt den Teller aus dem heißen Spülwasser und stellt ihn auf eine Ablage neben der Spüle. Er taucht seine Hand wieder ins Wasser, findet aber nichts mehr. Er sieht auf die Ablage, auf der sich bereits alles Geschirr stapelt, dass sie heute benutzt haben. Und unter der Ablage steht die Spülmaschine einen Spalt breit und ungenutzt offen.
Er wirft einen Blick über die Schulter. Katie sitzt auf dem Boden und beobachtet Tim, wie er mit einem Wachsmaler ein Blatt Papier malträtiert. Er sieht, dass ihr Blick an dem Bild vorbeigeht. Irgendwohin. Solange sie hinfort schweifen kann. Als er sie damals getroffen hatte, kam es ihm vor als wäre sie im Kopf immerzu wo anders. Nie bei der Sache, nie wirklich da. Als spielte sie nur mit, weil sie nicht gewusst hätte, was sie sonst hätte tun sollen. Damals hatte sie viel zu viel schwarzen Kajal unter den erschöpften Augen, aber zu wenig Make-Up um die traurigen Augenringe zu verdecken. Sie sah aus wie all die anderen Mädchen, die er in der Stadt getroffen hatte. Aber ihre Tarnung war nur halbherzig. Das hatte er sofort erkannt. Und vielleicht nur deshalb daran gedacht eine Minute seiner Zeit für sie zu verschwenden.
Er wendet sich wieder dem Spülbecken zu. Mit der rechten Hand zieht er an der Kette aus vielen metallenen Kügelchen, an deren Ende der Stöpsel hängt, der das Wasser daran hindert durch den Abfluss zu fliehen. Nun bildet sich ein Strudel und all das heiße, verdreckte Wasser verschwindet irgendwo in die Nichtigkeit.
Damals, in diesem Club, hatte er geglaubt, dass eine Minute seiner Zeit genug für einen anderen Menschen wäre. Der neue Job, der neue Anzug, die neuen Kollegen, die neue Sekretärin, die ihm willentlich einen Blowjob in der Mittagspause gab und diese neue, große Stadt hatten ihn hektisch gemacht. Das Bild, welches er von sich selber im Kopf hatte, konnte keinesfalls das sein, das der Rest der Welt sah. Es sei denn die waren alle genauso verliebt in ihn und aufgegeilt von ihm wie er selbst.
»Hier…sch.«
Verwundert dreht Ben sich um. Tim hält ihm das Blatt Papier hin, dass er gerade eben noch mit dem Wachsmaler bearbeitet hatte.
»Für mich?«
Er nickt stumm. Und sieht ihn mit diesen großen, runden Augen an. Ben trocknet sich die Hände an einem Lappen ab, geht in die Knie und nimmt das Bild entgegen.
»Das ist ja richtig cool.«
Tim nickt eifrig, dann dreht er sich um und läuft mit seinen trippelnden Schritten davon. Ben richtet sich wieder auf, das Bild in der Hand, den Blick durch die offene Tür zu Katie, die noch immer im Wohnzimmer sitzt. Gerade steht sie auf, sie sieht aus, als würde es ihr nicht leicht fallen die trägen Knochen hochzuhieven. Der Tag steckt ihr in den Gliedern. Vielleicht sollte er ihr einen Tee kochen. Oder eine Flasche Rotwein entkorken. Oder …
»Mama?!« Tims Stimme dröhnt aus dem Flur. Ben sieht, wie Katie einen Moment lang innehält. Sie lässt den Kopf hängen, die Augen geschlossen, die Haare verdecken ihr Gesicht.
»Mama?!«
»Was ist denn Schatz?«, ruft sie zurück und folgt dem Rufen.
»Schläft er?«, fragt Ben mit hauchender Stimme.
»Ich glaube ja …« Katie schlägt die Decke zurück und legt sich neben ihm ins Bett. Sie seufzt »Dieses Wochenende habe ich echt mal wieder dringend nötig …« Sie bettet ihren Kopf auf das weiße Kissen und stiert für einen Moment an die Zimmerdecke über ihr. Der Raum ist hoch. In der Mitte steht das große Doppelbett, dem gegenüber nimmt ein Kleiderschrank die Wand ein. Zur linken eine große Fensterfront, die nur von ein paar schleierartigen Gardinen verhangen ist.
Ben streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie lächelt, dreht sich auf die Seite und sieht ihn an. Selbst in der Dunkelheit, die nur durch ein bisschen kalkiges Mondlicht erheitert wird, welches durch die Fensterfront und die Gardinenschleier dringt, kann sie seine Augen erkennen. Darin liegt diese eigenartige Gutmütigkeit, mit der er sie immerzu betrachtet. Als würde er ihr alles verzeihen, einfach weil er gar nicht anders könnte. Sie legt die Hand auf seine Wange, streicht über die frisch rasierte, glatte Haut. Ihre Finger wandern in seinen Nacken. Sie hält sich daran fest, zieht sich zu ihm heran. Er lächelt. Sie spürt seine Hand über ihre Hüfte gleiten. Gemeinsam bringen sie ihre Körper so nah aneinander, dass sie sich mehr als nur berühren. Er drückt seine Lippen auf ihren Mund. Sie genießt diesen salzigen Geschmack. Mit einem Ruck hievt sie sich auf ihn, fährt mit den Händen unter sein T-Shirt, öffnet mit ihren Lippen seinen Mund und schlägt mir ihrer Zunge gegen seine.
Irgendwo im Haus ertönt ein Geräusch.
»Was war das?«, fragt er aufgeschreckt.
Katie zuckt mit den Schultern. Sie richtet sich auf und schaut auf die Zimmertür. Es folgt ein leiseres Geräusch. Wie Nebel sickert es unter dem Türschlitz her, quellt auf, wirft seine weißen Wolken in den Raum.
»Schon gut, ich schau nach …«, sagt Ben.
Katie wirft sich von ihm herunter, in die Decken. »Ich warte hier.«
Er lacht, während er aufsteht und sich die Schlafhose wieder zu Recht rückt. »Bis gleich.«, sein Blick klebt noch an ihrem Körper, der sich im Mondlicht räkelt, als er die Tür öffnet und im Flur verschwindet.
»Tim?«, fragt Ben in die Dunkelheit. Mit der Hand tastet er die Wand ab, findet aber partout den Lichtschalter nicht. Er setzt einen Schritt voran. Schwer. Eine Diele knarzt unter seinem Fuß. Am Ende des Flures, dort wo die Treppe hinunter ins Erdgeschoss führt, sieht er einen Lichtschalter im vagen Mondlicht. Mit drei Schritten hat er ihn erreicht und lässt die Glühbirne an der Decke erglimmen. Und als er sich umdreht …
»Oh Schei… Tim?!«
Tim steht am Ende des Flures. Wortlos. Den Schreck von sich schüttelnd geht Ben auf ihn zu. »Was machst du denn hier? Wir dachten du schläfst …«
»Da ist …« Tim zeigt in die Richtung, in der sein Zimmer liegt.
»Was denn?« Ben geht in die Hocke und greift nach Tims Arm. »Was ist denn?«
»Da ist …«
»Hm?«
»Eine Spinne.«
»In deinem Zimmer?«
Er nickt, den Blick gesenkt. Er schämt sich. »Schon okay, Kleiner.«, sagt Ben, nimmt ihn an der Hand und geleitet ihn zurück zu seinem Zimmer. »Zeig mir einfach wo sie ist und ich kümmere mich schon drum.« Tim nickt verunsichert.
Katie streckt sich. Dann fällt ihr Blick durch das Fenster. Von hier aus kann sie auf die Straße blicken, die vor ihrem Haus liegt. Vor jedem Haus stehen mindestens zwei Autos. Der Rasen ist geschnitten. Die Auffahrt gefegt. Sie sind die Jüngsten hier in der Gegend. Sie kennt das Getuschel der Leute, die sich fragen, wie sie sich so etwas leisten können. Sie hört auch noch die Stimme der Mutter in ihrem Kopf hallen. Für ein eigenes Haus sei sie doch noch viel zu jung und unerfahren. Und viel zu unverheiratet. Katie hatte sie gefragt, was sie sonst machen solle. Die Mutter hatte gesagt, dass sie sich ein Apartment suchen sollte und sich glücklich schätzen sollte, dass sie einen Mann an ihrer Seite hätte, der bereit ist für sie zu sorgen. Katie hatte gesagt, dass sie sich darauf nicht ausruhen wolle. Daraufhin fielen Wörter wie »Vernachlässigung« »Eigensinnig« und »Rabenmutter«. Nichts hatte Katie zurückgewiesen. Aber auch nichts davon sich angenommen. Das Problem war ein ganz anderes gewesen.
Ein Geräusch lässt Katie aufhorchen. Verwundert dreht sie sich auf die andere Seite, schaut zur Tür. Und bemerkt, dass diese nicht geschlossen ist. Aber hatte Ben nicht …?
Beunruhigt setzt sie sich auf.
Es folgt ein Knarren. Unheilvoll, durchdringend, nervenaufreibend. Ganz langsam schwingt die Tür auf. Dahinter sieht Katie nur hungrige Dunkelheit, die sie sofort verschlucken würde, sollte sie es auch nur wagen einen Schritt zu weit zu gehen.
»Ben?«, haucht sie.
Plötzlich kommt etwas durch den Türspalt gesprungen, landet mit einem lauten Geräusch direkt vor dem Bett. Katie reißt erschrocken die Hände vor ihr Gesicht, ihr entfährt ein spitzer Aufschrei.
»AHH!« Es ist Ben.
»Oh Gott …« Katie atmet heftig ein und aus »Bist du bescheuert?«, flucht sie ihn flüsternd an. »Hast du nicht mehr alle …?«
»Hier.«
Dann erst sieht sie, was er ihr auf der Handfläche entgegenstreckt. Und wieder reißt sie die Hände vor ihr Gesicht und kann gerade noch so damit ihren erneuten spitzen Aufschrei ersticken. Eine riesige, Spinne mit dicken Beinen und einem pompösen Hinterleib sitzt auf Bens Hand und fängt nun an, angesichts der ganzen Panik, seinen Arm hinaufzukrabbeln.
»Ist die nicht putzig?«
»Scheiße man, du hast mich zu Tode erschrocken.«
»Ist doch nur ne Spinne …«
Katie fährt sich mit den Händen durchs Gesicht, lächelnd, vor Erleichterung.
Ben schreitet zum Fenster, öffnet es und lässt die Spinne nach draußen krabbeln. Als er das Fenster wieder geschlossen hat, hören sie Tims Stimme.
»Mama? Mama?«
»Du hast ihm Angst gemacht …« flüstert Katie.
»Mama …?«
»Wer kreischt denn hier rum wegen ’ner kleinen Spinne …?« Ben grinst sie an.
»Mama? Mama? Ben?«
»Na los. Sag ihm, dass du vorpubertärer unreifer kleiner Idiot seine Mutter zu Tode erschrocken hast. Aber sonst alles gut ist.«
Ben grinst weiter, beugt sich über sie und küsst sie. Sie greift wieder nach seinem Nacken. Erwidert den Kuss mit Inbrunst.
»Mama? Ben?«
»Na los.« Sie gibt ihm einen Klaps auf den Hintern, dann verschwindet er wieder aus dem Zimmer. Katie seufzt und schüttelt lächelnd den Kopf. Reibt ihre Lippen aneinander, weil sie darauf noch die Wärme seines Kusses spüren kann. Sie legt sich auf seine Seite, schmiegt das Gesicht an die Laken an, in denen sein Duft noch hängt. Zufrieden schließt sie die Augen.
Das Problem, dieses ganz andere Problem, dass Katie damals hatte, hatte sie ihrer Mutter bewusst verschwiegen. Sie hätte es einfach nicht verstanden. Sie wusste nicht, wie es in dieser Stadt war. Ihr ganzes Leben hatte sie an Orten verbracht, an denen die Welt noch Heile war, an denen man Moral und Anstand einfach so in den Tag hineinleben konnte. Sie hätte niemals verstanden, wie Katie von irgendeinem Mann, dessen Namen sie nicht einmal kannte, schwanger werden konnte. Und mit irgendeinem anderen Mann, den sie liebte nur weil seine Augen ihr das Gefühl gaben er würde ihr endlich alles verzeihen, was sie nicht richtig zu machen wusste, ein Leben aufbaute, dass sie selber nicht wirklich verstand.
Katie dreht sich auf den Rücken und schaut wieder an die Zimmerdecke. Als könnte sie dort oben finden, wonach sie verzweifelt, mit beiden Händen in der Finsternis wühlend, sucht.
»… das sie selber nicht wirklich versteht …«, murmelt sie.
Sie stopft die Sachen ungefaltet in die Reisetasche. T-Shirts, Blusen, Hosen, einfach alles rein, unsortiert, ungeordnet. Das warme Morgenlicht strömt durch die breiten Fenster, ein lauer Wind bauscht die Vorhänge auf. Und trotz all der Idylle wirken ihre Bewegungen hektisch, zu stark, zackig und rastlos. Als sie die letzte Bluse hineingestopft hat, bleibt nur noch ein kleines silbernes Kästchen auf dem Bett neben der Tasche übrig. Das Sonnenlicht hat sich seinen Weg bis zu dem blanken Metall gesucht und reflektiert sich davon wieder ab. Als hätte es auf einer ziellosen Suche nur dieses Kästchen gefunden, aber sofort wieder beschlossen zu fliehen. Katies Blick ruht darauf. Es ist ruhig. Nur die Ringe an der Gardinenstange klimpern leise, als der Wind die Stoffbahnen ergreift und sanft in die Höhe trägt und dann wieder fallen lässt. In das Metall sind Verzierungen eingelassen. Ranken, die sich hervorheben und über den Deckel schnörkeln. Aus einer Sekunde wird ein Moment. Aus dem Moment wird ein Zweifel.
Dann erledigt eine ihrer zackigen Bewegungen den Rest, das Kästchen verschwindet unter den Anziehsachen. Der Reißverschluss kreischt.
»Hast du alles?«, fragt Ben, der gerade eine Kühlbox in den Kofferraum ihres Autos hievt. Katie nickt nur, mit beiden Händen trägt sie die schwere Reisetasche aus dem Haus. Ben kommt ihr entgegen und greift nach den Trageriemen, will sie ihr abnehmen. Für einen Moment verharren sie in dieser Position. Und wir wissen ja alle, was aus einem Moment wird.
»Alles okay?«, fragt Ben flüsternd, die Worte in ihr Ohr hauchend.
Sie, die Haare sind ihr vor das Gesicht gefallen, nickt nur. Beugt sich vor, küsst ihn auf die Wange. Spürt seinen erhitzten Körper, will die Arme ausbreiten und sich daran festhalten und einfach nicht mehr loslassen. Das er sie weiterträgt, wohin auch immer, das ist ihr in dieser Sekunde egal. Sie will einfach nur nicht mehr weitergehen.
Ihre Finger fallen kraftlos von den Griffen ab, Ben fängt das Gewicht auf. Die Muskeln in seinen Armen spannen sich an. Er lächelt ihr zu, ein Kuss huscht von seinen Lippen auf ihren Wangenknochen.
Wasser strömt aus dem Hahn. Weiß und dicht, fast wie Schnee. Fällt in das Becken. Verschwindet gurgelnd im Abfluss. Katie steht davor, trocknet ihre Hände ab. Lässt das Wasser weiterlaufen. Durch das Fenster sieht sie Ben, der etwas in den Kofferraum packt. Er versucht mehr Platz zu gewinnen. Verwundert zieht er einen Fön hervor, fragt sich vermutlich was Katie damit an einem Wochenende im Wald will. Wundert sich vielleicht ein wenig, dass sie sich schon so sehr daran gewöhnt hat, dass sie glaubt ihre Haare würden nicht mehr ohne einen Fön trocknen.
Ein Surren.
Katies Blick löst sich von Ben und dem Kofferraum. Das Surren wird ein Rumoren. Es knattert über die Küchenzeile. Katie regt sich nicht. Ihr Blick fällt auf ihr Handy, das neben dem Waschbecken liegt und dessen Display aufleuchtet und dessen Vibrationen durch das Hartplastik der Küchenzeile rumoren. Sie schließt weder den Wasserhahn, noch streckt sie die Hand nach dem Handy aus. Nur ihre Augen kann sie nicht davon lassen. Drei Buchstaben erscheinen auf dem leuchtenden Display. »Joe.«
Mit beiden Händen drückt er gegen die Reisetasche, doch sie will keinen Zentimeter weiter in den Kofferraum sinken. Irgendwas klemmt dazwischen. Er lässt seinen Arm zwischen das Gepäck tauchen und bekommt etwas zu greifen. Zieht es hervor. Und schaut verwundert auf einen Fön, fragt sich, wieso Katie ihn eingepackt hat. Sie verbringen doch nur ein Wochenende im Wald. Er erinnert sich an eine Zeit, als es ihr egal war ob ihre Haare nass oder trocken waren. Ob sie glatt oder gewellt waren. Wo nur zählte, dass sie in seinen Armen lag und er konnte ihren Herzschlag gegen seine Haut pulsieren spüren. Es war kurz nach ihrem ersten Zusammentreffen gewesen. Diese Zeit wird er nie vergessen. Sie waren wie losgerissen von der ganzen Scheiße, die an den Leuten haftet wie schwarzer klebriger Teer. Wie schwerelos flogen sie einfach so über den Dingen. Hatten und brauchten auch nichts anderes als sich selber. Sie hatten sich auf der Arbeit krank gemeldet, immer mal wieder, und waren einfach weggefahren.