Mediative Kommunikation - Doris Klappenbach-Lentz - E-Book

Mediative Kommunikation E-Book

Doris Klappenbach-Lentz

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Beschreibung

Konflikt- und Handlungsfähigkeiten in Beruf und Privatleben erweitern Allen, die sich in einer Haltung wertschätzender Kommunikation in Beruf und Alltag weiterentwickeln wollen, bietet dieses Buch eine Fülle an Informationen und Anregungen. Die Autorin stellt ein theoretisch fundiertes und alltäglich anwendbares Konzept vor, mit dessen Hilfe sich aus der Mediation stammende Methoden – unabhängig von einem bestimmten Setting – verwenden lassen. Nach einem Einblick in das Konzept und seine Wurzeln erhalten die Lesenden Möglichkeiten, sich mithilfe praktischer Beispiele und Übungen das wesentliche Handwerkszeug der Mediativen Kommunikation zu erschließen. Hierzu werden Ansätze und Erkenntnisse aus Psychologie, Soziologie, Supervision, Beratung und Gesprächstherapie gezielt für die alltägliche berufliche und private Anwendung aufbereitet, u. a. Elemente aus GFK, Personzentrierter Gesprächsführung, TA, TZI, NLP und aus dem prinzipiengeleiteten Verhandeln nach dem Harvard-Konzept. Für die Neuauflage wurden die Inhalte dieses bewährten Grundlagenbuches überarbeitet und ergänzt.

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Seitenzahl: 528

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Doris Klappenbach-LentzMediative KommunikationMit Rogers, Rosenberg & Co. konfliktfähig für den Alltag werden

Über dieses Buch

Konflikt- und handlungsfähiger werden 

Allen, die sich in einer Haltung wertschätzender Kommunikation in Beruf und Alltag weiterentwickeln wollen, bietet dieses Buch eine Fülle an Informationen und Anregungen. Die Autorin stellt ein theoretisch fundiertes und alltäglich anwendbares Konzept vor, mit dessen Hilfe sich aus der Mediation stammende Methoden – unabhängig von einem bestimmten Setting – verwenden lassen. 

Nach einem Einblick in das Konzept und seine Wurzeln erhalten die Lesenden Möglichkeiten, sich mithilfe praktischer Beispiele und Übungen das wesentliche Handwerkszeug der Mediativen Kommunikation zu erschließen. Hierzu werden Ansätze und Erkenntnisse aus Psychologie, Soziologie, Supervision, Beratung und Gesprächstherapie gezielt für die alltägliche berufliche und private Anwendung aufbereitet, u. a. Elemente aus GFK, Personzentrierter Gesprächsführung, TA, TZI, NLP und aus dem prinzipiengeleiteten Verhandeln nach dem Harvard-Konzept. 

Für die Neuauflage wurden die Inhalte dieses bewährten Grundlagenbuchs überarbeitet und ergänzt.

Dr. Doris Klappenbach-Lentz, Ausbilderin / Mediatorin BM® / SDM-FSM und Coach / Trainerin / Gutachterin dvct, initiierte 2005 an der Freien Universität Berlin die erste integrative Mediationsausbildung Deutschlands. Sie ist Direktorin des Instituts für Mediative Kommunikation und Diversity-Kompetenz der Internationalen Akademie Berlin gGmbH.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2006 2., überarbeitete Auflage 2024

Coverfoto: © Marc-Antoine Jullo (Adobe Stock)

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2024

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0483-1

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0484-8 (EPUB), 978-3-7495-0485-5 (PDF).

In lebendiger Erinnerung an Helge Boekstegers,
der mich als Freund und Coachpartner unvergänglich bereichert hat.

Vorbemerkung zur 1. Auflage

Herzlichen Glückwunsch! Sie halten ein nützliches Buch in den Händen, in dem auf anschauliche Weise aktuelle Erkenntnisse aus dem Bereich der Kommunikation weiterentwickelt werden.

Ich bin dem Wunsch der Autorin, ein kurzes Vorwort zu diesem Buch zu schreiben, sehr gern nachgekommen. Denn die Möglichkeiten, die in der Mediation angewandten Techniken auf den Alltag zu übertragen, begeistern mich und bilden einen Schwerpunkt in unserer beruflichen Zusammenarbeit als Mediatorinnen und Ausbilderinnen für Mediation.

Mediative Kommunikation, so wie Doris Klappenbach sie in ihrem Buch beschreibt, ist eine praxisnahe Anleitung für den achtsamen Umgang mit uns selbst und mit unseren jeweiligen Gesprächspartner:innen. Sie eröffnet – wie in dem Buch nachvollziehbar dargestellt – großartige Möglichkeiten zu persönlicher Verständigung in alltäglichen Situationen, im Beruf und im Privatleben gleichermaßen. Media­tive Kommunikation kann uns auch dazu verhelfen, zielgerichtet zu kommunizieren und Ärger und gegenseitiges Nicht-Verstehen weniger dramatisch zu gestalten.

Eine freundliche, zugewandte Kommunikation zu entwickeln, funktioniert für die meisten von uns prima, solange wir auf ein höfliches Gegenüber treffen und es uns gelingt, ,über den Dingen‘ zu stehen. Was geschieht aber, wenn wir zufällig oder absichtlich auf eine Art angesprochen werden, die uns weniger behagt, oder uns jemand provozieren will? Wie reagieren wir auf unangenehme Fragen, auf Unterstellungen, vermeintliche Vorwürfe, wie verhalten wir uns in wichtigen Verhandlungen, wenn wir ein für uns wichtiges Ergebnis erzielen wollen? In der Mediation gibt es die allparteiliche dritte Person, die das Gespräch zu strukturieren und zwischen den Parteien zu vermitteln vermag. Im Alltag sind wir auf uns selbst gestellt, und genau da unterstützt uns effektiv die Mediative Kommunikation. Sie bietet uns einfach zu erlernendes Handwerkszeug, einleuchtende Sichtweisen und Ansätze, die mit ein wenig Übung unsere innere Haltung und unser sprachliches Ausdrucksvermögen erweitern. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, wie entlastend es sein kann, unsere Kommunikation durch die in diesem Buch beschriebenen Möglichkeiten zu bereichern. Viele Spannungen, Hindernisse und Konflikte tauchen gar nicht erst auf, unser beruflicher Umgang und unsere privaten Beziehungen erfahren Entspannung, neue Intensität und Leichtigkeit.

Doris Klappenbach beschreibt ausführlich Methoden und Techniken der Media­tiven Kommunikation – sie bietet uns in ihrem Buch theoretische Exkurse und unterstützende Übungen. Manches davon kennen Sie vielleicht bereits, anderes ist wahrscheinlich neu und macht Sie neugierig. Die Fülle des im Buch angebotenen Materials lädt Sie ein, das Konzept eingehend zu studieren und es komplett oder in Teilen zu übernehmen – so, wie es zu Ihrer Biografie und zu Ihrem persönlichen Umfeld passt. Entwickeln Sie auf der Basis des vorliegenden Materials Ihren eigenen ,mediativen‘ Stil!

Ich danke Doris Klappenbach für dieses inspirierende Buch und wünsche Ihnen als Leserin bzw. Leser viel Vergnügen beim Studium und Ausprobieren.

Sigrid Niemer1

Berlin, im Januar 2006

Vorwort zur überarbeiteten Neuauflage

Kommunikation ist und bleibt ebenso alltäglich wie herausfordernd, vor allem wenn es darum geht, unterschiedliche Interessen miteinander zu verbinden. Aktuell lässt sich vielfach beobachten: Verknappung von Ressourcen führt zu Verteilungskämpfen. Dialog und Mediative Kommunikation können an Grenzen stoßen, wenn die Bereitschaft der Handelnden fehlt. Es braucht alternative, kooperationsausgerichtete Wege – und nicht zuletzt Menschen, die sie erkennen und gehen können. Mediative Kommunikation als Arbeitsschwerpunkt gibt mir die Gelegenheit, dazu beizutragen, dass noch mehr Menschen sich in die Lage versetzen, sich an dieser Form des Dialogs zu beteiligen.

Mediative Kommunikation ist ein Ansatz, nicht mehr und nicht weniger: Sie umfasst eine Haltung, Einstellung, ein Mindset als Basis für Win-Win-Orientierung, Ergebnisoffenheit und Allparteilichkeit. Diese Haltung zu trainieren, hilft bei der Entwicklung und Umsetzung mediativer Schritte in der Kommunikation und im Handeln:

Sagen, was ist, statt was nicht ist – um den Fokus auf Wege zu lenken, die weitergegangen werden können. Transparenz im Sinne des Prozesses herstellen – und damit eine Kooperation zu ermöglichen, in der allen klar ist, was gebraucht und gewünscht wird, wenn es darum geht, gemeinsam Umsetzungsideen zu kreieren.

Auf das sprichwörtliche Tauziehen verzichten in der bewussten Entscheidung, das ‚Tauende einen Strick sein zu lassen‘ – statt es anzufassen, oder ‚daran zu ziehen‘. Loslassen, andere lassen, sich selbst lassen … die Vielfalt des Spektrums der Anerkennung durch Augenhöhe im Alltag wahrnehmen wollen, in aller Menschlichkeit. Mediative Kommunikation bedeutet, zwischen dem, was da ist, zu vermitteln und noch viel mehr: Alle Bestandteile als gleichwertig zu betrachten, hinter Positionierungen nach Interessen, Bedürfnissen, Wünschen und Strategien zu suchen und damit verbundenen Gefühlen empathisch zu begegnen – in der Wertschätzung dessen, dass alle Emotionen zum Menschsein dazugehören, ohne an sich ,gut‘ oder ,schlecht‘ zu sein: Alle Menschen haben Gefühle. Sie verbinden uns mit unserem Erleben. Wir bewerten sie situationsgerecht. Gefühle bewegen uns. Absolutheitsansprüche2 unterbrechen uns – auf dem Weg zu uns selbst und zu anderen oder auch bei der ‚Eroberung neuer Welten‘. Bewertungen dienen uns zur Orientierung; sie helfen uns bei der Entwicklung, wenn wir sie auf für uns wesentliche Werte zurückführen und dies im Alltag kommunizieren können3.

Das Buch Mediative Kommunikation habe ich im Sommer 2005 als Begleitbuch für meine Seminare an der Freien Universität Berlin geschrieben. Seitdem begleitet es meine Ausbildungen in anderen Zusammenhängen, wie sie am Ende dieses Buchs beschrieben sind. Die Inhalte erlebe ich heute als genauso aktuell wie damals. Sie sind in dieser Neufassung weitgehend authentisch belassen und werden durch dieses Vorwort, Kapitel 5.3 und ein Nachwort sowie ein Abbildungsverzeichnis ergänzt. Die Verweise habe ich aktualisiert. Mit einem Augenzwinkern verkünde ich stolz an dieser Stelle: Der so oft an mich herangetragene Wunsch nach einem Stichwortverzeichnis ist erfüllt: Herzlichen Dank dafür an die Mitarbeitenden des Junfermann Verlags, die mich in diesem Vorhaben unterstützt haben.

Die Kapitel 1 bis 5.2 spiegeln meinen eigenen Lernprozess im Umgang mit dem Thema Mediative Kommunikation. Sie sind entstanden mit meinem Anliegen, andere darin zu unterrichten und auszubilden und beinhalten das im Rahmen meiner Dissertation zu Diversity-Kompetenz (2002–2009)4 erhobene Datenmaterial und mit der damit verbundenen fachlichen Diskussion5. Es bietet eine Begleitung für Menschen, die in den Lernprozess zum Thema Mediative Kommunikation einsteigen. Für andere Lesende enthält es die Möglichkeit zur Vertiefung. Es knüpft an Grundlagen an, um dialogische Möglichkeiten zu erweitern. Entsprechende Rückmeldungen habe ich dazu durch Teilnehmende des Zertifikatsstudienprogramms „Mediation und Mediative Kommunikation für die Anwendungsbereiche Mediation, Coaching und Training“ bekommen. Es freut mich, wenn diese Neuauflage dies weiterhin bewirkt.

Beim Lesen erinnern auch mich die Inhalte dieses Buchs an Gespräche und Auseinandersetzungen, an Kommunikationselemente, die in meinem Alltag wichtig oder herausfordernd sind. Nach 15 weiteren Jahren mit Mediativer Kommunikation bin ich nach wie vor Lernende – und mein Wunsch ist es, dies im oben beschriebenen Sinn zu bleiben. Mediativ zu kommunizieren ist ein fortwährender Entwicklungsprozess. Herausforderungen machen aus meiner Sicht das Leben interessant: Uns aus unserer Komfortzone herauszubewegen, unterstützt uns dabei, uns weiterzuentwickeln. Es bewegt uns, unseren lebenslangen Lernprozess weiterzuführen. Im besten Falle wird uns so ein eindrucksvoller Rückblick auf unser Leben möglich, wie ihn viele Menschen genießen und Lebenserfahrung oder auch Weisheit nennen.

Das wünsche ich Ihnen und euch beim Lesen des Buchs: Anregungen für Herausforderungen kommunikativer und mitmenschlicher Art – wahlweise für Mut, Selbstbewusstsein und Offenheit zum Mediieren statt Verteilen; für Bewusstsein, Kreativität und Ideen über Gewohnheiten und Ansätze im Umgang mit Ressourcen und Herausforderungen hinaus.

Dr. Doris Klappenbach-Lentz

Berlin, im Sommer 2023

Einführende Worte in Buch und Thema

Der Begriff „Mediative Kommunikation“ entstand Ende 2001 als ein Ergebnis zahlreicher auffälliger Erfolgserlebnisse, die ich im Alltag mithilfe meiner erlernten mediativen Kompetenzen erfahren konnte. Im Vergleich zu den Jahren vor meiner Mediationsausbildung fiel mir auf, dass sich meine Erfolgsquote bei dem, was durch Kommunikation und zugewandte Ausstrahlung zu erreichen war, mindestens verdoppelt hatte. Dies galt für alltägliche Konfliktsituationen wie für so erzitterte große Momente wie die Erneuerung des TÜVs für meinen uralten, aber sehr treuen Nissan Micra. Bestärkt wurde dieser Eindruck immer wieder in meiner Arbeit im Institut für Streitkultur, ISK Consulting. Dort wurde mir zunehmend verdeutlicht, wie sehr gefragt eine derartige, interne Zusatzqualifizierung von Führungskräften und Mitarbeitenden diverser Wirtschaftsunternehmen war. Obwohl die Vorteile des Einsatzes von externen Mediierenden bei firmeninternen Konflikten doch sehr deutlich auf der Hand zu liegen schienen. Mehr und mehr festigte sich in mir die Einsicht, dass es dann nicht primär um den Einsatz qualifizierter Mediatoren und Mediatorinnen gehen konnte. Und dass stattdessen eine Qualifizierung in mediativem Konfliktmanagement zur Anwendung im unmittelbaren Arbeitskontext im Vordergrund stand. In Verbindung mit Evaluationen im Rahmen meiner Forschungsarbeit bestätigte sich mir dieser Eindruck: Sowohl in beruflichen als auch in privaten Kontexten war der Einsatz hilfreicher mediativer Effekte deutlich beobachtbar und erfolgreich, obwohl es häufig nicht einmal zur Durchführung eines Mediationsverfahrens kam. Ausschlaggebend für diese positive Bilanz war nicht das Grundkonzept zum Ablauf einer Mediation (das Phasenmodell), sondern das, was dahinterstand: die in der Ausbildung entwickelten mediativen Kompetenzen.

Durch die Integration mediativer Elemente in den Alltag wird Konfliktmanagement zu einem Arbeitselement, das bereits wirkt, bevor sich ein Konfliktstoff zu einem handfesten Konflikt verfestigt. Ergänzt durch weitere Kommunikations- und Verhaltensstrategien, durch Hintergrundwissen aus Psychologie, Kommunikations- und angrenzenden Geisteswissenschaften lassen sich die Aussichten auf Positiveffekte weiterhin steigern. Schon allein durch Aktives Zuhören kann man schier endlose Diskussionen zum Abschluss bringen: Jeder der Beteiligten hat vielleicht lediglich Sorge, missverstanden zu werden. Beide Seiten projizieren diese Befürchtung auf das Gegenüber. Das daraus resultierende Gefühl, von den anderen nicht verstanden zu werden, führt dazu, dass sie Schleife um Schleife immer wieder dieselben Inhalte reproduzieren. Dieser potenzielle Endloseffekt lässt sich leicht stoppen: Die Wieder­holung wird unnötig, wenn das Verständnis gesichert ist. Und dies kann man mithilfe einer einfachen, knappen Zusammenfassung des Gesagten an geeigneter Stelle tun.

In dem Bewusstsein, dass Verständnis nicht Einverständnis ist, können Positionen als solche akzeptiert werden. Eine mediative Hintergrundhaltung schafft eine Basis gegenseitiger Wertschätzung. Dies birgt die Möglichkeit, statt mit Abwehr der anderen Position mit Interesse für das Dahinterliegende zu reagieren. Denn mit zunehmender Erfahrung in der Anwendung mediativer Kompetenzen wächst auch das Vertrauen: die Erwartung der Bestätigung dessen, dass das andere in den tieferen Schichten seines Wesens ein Reservoir an Bereicherung für das Eigene enthält. Dies ermöglicht eine Würdigung der Auseinandersetzung, des Konfliktstoffs, als eine antreibende Kraft. Das traditionell erst im Konfliktfall ansetzende Konfliktmanagement tritt an die Stelle der Konfliktprävention. Konfliktelemente werden weder verneint noch vorgebeugt. Sie werden als Potenzial genutzt.

In Kooperation mit Sigrid Niemer (der Autorin des Vorworts) entstand im Frühjahr 2002 die Internetseite www.mediative-kommunikation.de. Dies war im Grunde die Geburtsstunde des hier ausführlich erläuterten Ansatzes. Im Verlauf unserer beruflichen Kooperation und meiner universitären Arbeit kristallisierte sich Mediative Kommunikation immer deutlicher als ein eigenständiges Konzept nicht nur zum Umgang mit Konfliktstoffen, sondern ebenso zur Effektivierung von Arbeitsabläufen und Intensivierung von Beziehungsprozessen heraus.

Unter dem Titel Mediative Kommunikation – ein Plädoyer zur erweiterten Anwendungmediativer Kompetenzen erschien die erste Veröffentlichung zum Thema. Sie fasst zusammen, was auch ein grundlegendes Anliegen dieses Buchs ist: die Erhöhung der konfliktbezogenen Handlungsfähigkeit für Berufs- und Alltagswelt, die sich aus der umfassenden Nutzung von Methoden und Elementen der Mediation ergibt. Das ,mediative Handwerkszeug‘ wird aus seinem traditionellen Rahmen, dem Dreier- oder Vierersetting, von den beiden Konfliktparteien und ein oder zwei Mediierenden gelöst. Es wird durch Erfahrungen und Ansätze aus Psychologie und Soziologie, Erkenntnisse aus der Arbeitspraxis in Supervision, Beratung und Gesprächstherapie sowie weitere vervollständigende Elemente aus Konflikttheorie und Konfliktmanagement ergänzt.

Mediative Kommunikation grenzt sich ab von jeglichem missionarischen Interesse: Es geht nicht darum, sich den Spaß beim Streiten verderben zu lassen oder in einer vermeintlichen Hinsicht ein ‚besserer Mensch‘ zu werden. Sie bietet vor allem professionelle Handlungsmöglichkeiten für Situationen, in denen es Ihnen sinnvoll scheint, darauf zurückzugreifen. Dann hilft Mediative Kommunikation, zerstörerische Prozesse zu beenden. Sie gibt Anleitung dazu, aus dem Streiten auszusteigen und die Situation zur größtmöglichen Zufriedenheit aller Beteiligten zu klären. Wer unter Konflikten leidet, wird dies als Erleichterung des Alltags erfahren. Für ihn oder sie erhöhen sich Sicherheit und Handlungsfähigkeit im beruflichen wie privaten Kontext. Dieses Buch ist also ein Hilfsmittel, ein Einstieg in eine mediative Form von Alltagskommunikation. Mediative Kommunikation nutzt all denen, die beruflich oder privat das Bedürfnis haben, in ihrem Alltag neue Umgangsformen zu entwickeln. Dies sind beispielsweise Lehrende, Erziehende, Managerinnen und Manager genau wie Projekt-, Abteilungs- und Teamleitende oder auch andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die repräsentieren, empfangen, terminieren, organisieren, kurzum vielseitige Situationen meistern und diverse Interessen zu vereinbaren haben. Mediative Kommunikation bedeutet eine Kompetenzerweiterung im Hinblick auf Vermittlung, Führung, Kooperation und Koordination (im weiten Sinne). Sie erhöht die sogenannten Soft-Skills und führt zur Professionalisierung im Arbeitsalltag. Darüber hinaus wirkt sie sich auf diejenigen aus, die mit ihnen in Beziehung stehen: auf Kinder, Angestellte, Familie, Freund:innen, Klient:innen etc.

Das vorliegende Buch erläutert das Grundkonzept der Mediativen Kommunikation. Es basiert auf bereits vorhandenen Ergebnissen meiner Forschungsarbeit in der Universität und dem sogenannten freien Aus- und Weiterbildungsmarkt, ist allerdings ausdrücklich für die praktische Anwendung geschrieben6. Im ersten Kapitel werden einführend einige mediative Elemente benannt. Es geht vorrangig darum, grundlegende Informationen zu Konfliktmanagement und Mediation für das erweiterte Verständnis der Mediativen Kommunikation zusammenzustellen. Das daran anknüpfende Kapitel beschäftigt sich mit deren Hintergrundhaltung. Diese umfasst zum einen das, was sich in der Mediation bereits an Haltungsmaterial finden lässt: die Mediationsformel, die Win-Win-Perspektive und die Allparteilichkeit; zum anderen Haltungselemente wie die Metaebene, das Konzept des Inneren Teams und die Personzentrierung, die es ermöglichen, die Sicherheit, die das traditionelle Mediationssetting bietet, auf den flexiblen Kontext auszuweiten. Vor allem die Personzentrierung trägt dazu bei, dass sich der Anwendungsbereich ausdehnen lässt, ohne dass die Beteiligten sich schutzlos fühlen und den Prozess abwehren oder blockieren müssen. Kapitel 3 gibt einen Einblick in Theorie und Praxis mediativer Elemente, die aus dem Bereich der Mediation und den bereits erwähnten Ergänzungen aus dem psychologischen Bereich und aus weiteren geisteswissenschaftlichen Bereichen stammen. Es wird ausführlich dargestellt, wie sich mithilfe der Mediativen Haltung Bedürfnisse und Interessen als Material zur Lösungsfindung herausfiltern lassen. In der Unterscheidung von Zuhören und Aktiv Zuhören findet sich ein Wegweiser zur praktischen Umsetzung. Die Gewaltfreie Kommunikation bietet eine Möglichkeit, das Gedachte und Gesagte sowohl für sich selbst als auch im Zuhören sprachlich auf den Punkt zu bringen. Schließlich stellt das Harvard-Konzept das Handwerkszeug, um dies alles einzubeziehen und im Integrativen Verhandeln der Interessen und ­Optionen sowohl der Sache als auch allen Beteiligten gerecht werdend zu einer Lösung zu gelangen. In einem weiteren Teil sind ausgewählte methodische Ergänzungen aus dem Repertoire der zahlreichen Gesprächs- und Moderationstechniken zusammengestellt, die im Rahmen der Mediativen Kommunikation angewandt werden können.

Nachdem alle Elemente benannt und erörtert sind, bleibt die Frage, wie es aussehen kann, wenn das Gesamtpaket Mediative Kommunikation zur Anwendung kommt. Es ist wichtig, sich zu verdeutlichen, dass ein mediativ Kommunizierender an die Situationen zwar mit der entsprechenden Hintergrundhaltung herangeht und in seinem Rucksack auch das gesammelte Methodenmaterial mitnimmt, er aber dennoch sein ganzes Können nicht wahllos in die Situation hineinschütten wird. Die Mediative Kommunikation ist situationsgerecht anzuwenden. Das Material ist für jeden Kontext individuell angemessen zusammenzustellen. Das dazu notwendige Fingerspitzengefühl entwickelt sich im Prozess der fortschreitenden Übungspraxis. Auch Erfahrungen, die man selbst mit den verschiedenen Methoden sammelt, sind hilfreich. Daher und weil sich manche Ansätze so besser nachvollziehen lassen, finden sich in den einzelnen Kapiteln Übungen, die es ermöglichen, die jeweilige Methode auszuprobieren und im Verlauf des Buchs nicht nur eine Wissens- und Erkenntnisbasis, sondern darüber hinaus eine Grundlage auf der Erlebnisebene schaffen. Während die ersten vier Kapitel den Überblick über Mediatives Handeln, die Hintergrundhaltung und schließlich das Handwerkszeug der Mediativen Kommunikation erstellen, wird Kapitel 5 einen Ausblick auf Anwendungsmöglichkeiten geben. Das Buch legt eine Grundlage zum Weiterlesen und Vertiefen. Es geht also darum, eine Art kognitive Landkarte zu erstellen, die dann mit Leben zu füllen ist. Es bietet eine Zusammenstellung von verschiedenen Ansätzen und Methoden, über die man auch einzeln Bücher verfassen könnte. Viele Autor:innen haben dies bereits getan, denn die Methoden sind (wie Sie vielleicht schon bemerkt haben) in ihrem Ansatz alle nicht neu. Sie sind lediglich neu gerahmt und an einigen Stellen dementsprechend erweitert oder auf den Punkt gebracht. Wie zu jedem Überblick eröffnen sich auch hier bisweilen viele kleine Unterthemen. Um diese nach- und weiterverfolgen zu können, finden Sie am Ende des Buchs zahlreiche Anmerkungen und Literaturverweise.

Wie inzwischen fast jede Kommunikationstrainerin weiß: Gelingende und wirkungsvolle Kommunikation ist neuro-, psycho- und sozio-logisch. Neuro-logische Kommunikation orientiert sich an Erkenntnissen der Neurologie: Sie berücksichtigt die Arbeitsweise unseres Gehirns, indem sie sowohl analog (die rechte Gehirnhälfte stimulierend) als auch digital (die linke Hemisphäre ansprechend) ausgerichtet ist. Im Alltag finden sich gewöhnlich eine Menge Daten, Fakten, Zahlen oder Namen. Die linke Hemisphäre ist also in der Regel gut trainiert. Da dieses Buch zugleich Begleitbuch der gleichnamigen Lehrveranstaltung ist, ist wohl auch hier ausreichend für sie gesorgt. Wer über eine besonders wissbegierige digitale Anlage verfügt, kann sich anhand der Hinweise auf Primärliteratur und wissenschaftliche Untersuchungen mehr Stoff besorgen. Damit die oftmals unterforderte rechte Gehirnhälfte mediativ (wertschätzend, allparteilich und gewinnbringend) einbezogen wird, bietet dieses Buch ebenso eine Vielzahl kreativer Aspekte, die Fantasie, Sinneseindrücke und Gefühle anregen.7 Dies erhöht den allgemeinen Lerneffekt, da die rechte Hälfte des Gehirns die bildlich vermittelten Inhalte nachhaltiger im Langzeitgedächtnis speichert, als es die linke Hemisphäre mit abstrakten Beispielen tut. Dieses Buch gestaltet sich in einer Kombination aus theoretischen Erörterungen und praktischen Beispielen für Verständnis, Vertiefung und Nachhaltigkeit. Um das Lesen kurzweiliger zu gestalten, wird deren Auswahl stellenweise durch den Grundsatz „In der Übertreibung liegt die Anschaulichkeit“ bestimmt. Anhand des reichlichen Angebotes an alltäglichen Vorlagen für Konflikte, Kommunikationsfallen und Möglichkeiten zu deren Bewältigung werden sie humorvoll zusammengestellt.

Und dennoch: Alle Beispiele sind aus dem realen Leben entnommen und in ihrer jeweiligen Aussage authentisch geblieben. Lediglich die Namen und Kontexte sind so weit verändert, dass ihr wahrer Ursprung nicht mehr erkennbar ist. Ähnlichkeiten zu realen Situationen und Personen sind also reine Zufallsprodukte. Dieses Buch begrenzt sich auf einen fiktiven Freundeskreis: Dazu gehören Anna und Bertram, die verheiratet sind und einen fast erwachsenen Sohn namens Paul haben. Außerdem Lara und Martin, die seit eineinhalb Jahren zwar kein Paar mehr, aber noch Freunde sind. Ihre beiden Kinder (Lars und Phine) leben bei Lara. Martin ist in seiner Vaterrolle trotzdem sehr aktiv. Zum engen Freundeskreis gehört noch der Single und Geschäftsmann Gerald. Anna, Bertram, Lara und Martin kennen sich seit vielen Jahren. Zu gemeinsamen Treffen bringt Martin jetzt manchmal seine neue Freundin Lisa mit. Die nachfolgende Kurzvorstellung der einzelnen Personen soll es erleichtern, im Verlauf des Buchs den Überblick zu behalten.

Abbildung 1: Der beispielhafte Freundeskreis

Weiterhin wird noch die Rede sein von dem achtjährigen Peter, einem Schulfreund von Lars: Er hat einen älteren Bruder, der ihn wegen seiner Ungeschicklichkeit oft hänselt. Seine Eltern empfindet er als streng. Auch die Lehrerin von Lars und Peter findet Erwähnung. Außerdem erzählt das Buch an einigen Stellen aus der Arbeitspraxis der Supervisorin Gabriele Lamm: Sie ist eine ehemalige Kommilitonin von Anna, hat gerade ihre Ausbildung beendet und sich selbstständig gemacht. Nicht zu vergessen sind hier Laras Großtante Georgette und das Kollegium des Unternehmens, in dem Gerald (Herr Groß) arbeitet: seine Kollegen Herr Gleichgroß und Herr Mittelgroß, die noch in Probezeit befindliche Sekretärin Frau Klein und die langjährig erfahrene Sekretärin Frau Informell-Riesengroß.

Um die Lesbarkeit zu vereinfachen, werden die männlichen und weiblichen Formen im Verlauf des Texts abwechselnd benutzt. Mithilfe von Übungen soll auch der Erlebnis- und Selbstreflexionsaspekt seine Umsetzung finden. Es empfiehlt sich, das Buch von vorne nach hinten zu lesen. In der jeweiligen Einleitung werden die wichtigen Begriffe und Grundrichtungen erklärt, und es wird an diversen Stellen auf vorangegangene Ausführungen Bezug genommen. Es ist durchaus sinnvoll, sich anhand des Selbstreflexionsmaterials und der vielen im Alltag zu probierenden Ansätze auf einen längeren Leseprozess einzulassen. Damit Sie die Orientierung im Buch behalten, auch wenn sie es nicht am Stück lesen, finden Sie zahlreiche Verweise, die Ihnen ein verständnisförderndes Zurückblättern erleichtern: Die umklammerten Zahlen bezeichnen das Kapitel, in dem auf das jeweilige Thema ausführlich Bezug genommen wird.

1  Sigrid Niemer studierte Kunst und Pädagogik, arbeitet als Referentin für Kultur und Kommunikation. Sie ist vom Bundesverband Mediation anerkannt als Mediatorin und Ausbilderin für Mediation und leitet Seminare mit dem Ansatz Mediative Kommunikation.

2  Zum Thema Absolutheitsansprüche lohnt sich die Lektüre von Dittmar 2017.

3  Werte lassen sich nicht verhandeln. Sie in Situationen interkultureller Begegnung transparent zu machen, ist ein Schlüsselfaktor von Diversity-Kompetenz (Klappenbach 2009a, 2010). Zur weiteren Vertiefung empfohlen werden Stuber 2004, 2014 sowie Genkova & Ringeisen 2016a und 2016b.

4  Klappenbach 2009a

5  insbesondere zu Argumenten für die Implementierung von Mediationsverfahren und zur alltagsbezogenen Relevanz von Inhalten aus dem Rahmen von Mediationsausbildungen (vgl. Klappenbach 2012a: „Perspektiven Mediativer Kompetenzentwicklung“)

6  Die Veröffentlichung der wissenschaftlichen Studien erfolgte nach deren Abschluss im Rahmen meiner Dissertation „Diversity-Kompetenz in der Erziehungswissenschaft“ (Wissenschaftsverlag Peter Lang, 2009). Das der ersten Auflage dieses Buchs zugrunde gelegte Material umfasst die ‚Nebenprodukte‘: wertvolles Material, das im Zuge der Hauptuntersuchung entstanden ist, aber nicht in deren begrenzten Rahmen fiel.

7  Einen weiteren Einblick in die Grundlagen wirkungsvoller Kommunikation gibt der gleichnamige Band der Friedrich Ebert Stiftung (2008).

1. Ursprung der Mediativen Kommunikation

Dieses 1. Kapitel, das Sie gerade zu lesen beginnen, gibt Ihnen Einblick in ausgewählte, der Mediativen Kommunikation zugrunde liegende Ansätze zu Konflikt und Konfliktmanagement (1.1). Er soll einen Anknüpfungspunkt bilden an Ihre eigenen Erfahrungen und Kenntnisse zum Thema, die Sie mit großer Wahrscheinlichkeit bereits gewonnen haben. Mit diesem Einstieg lassen sich die weiteren Ausführungen zur Mediativen Kommunikation leichter betrachten. Im Anhang werden die angeschnittenen Themen durch Hinweise auf weiterführende Literatur ergänzt.

Im Grunde ist es unumgänglich, im Lauf seines Lebens ganze Berge an eigenem Material zum Thema anzusammeln. Verständlich wird dies, wenn man sich die genaue Bedeutung des Wortes Konflikt vor Augen führt: Abgeleitet vom lateinischen conflictio heißt es u. a. Zusammenschlagen. Die Nähe zum Begriff conflictus (zu Deutsch Zusammenstoß, Kampf) weist auf das Synonym conflictatio, das nicht nur Kampf, sondern auch Gedränge bezeichnet. Alles in allem legt dies nahe, dass eine Ansammlung von Menschen, und im weiteren Sinne ein Gedränge von menschlichen Ansinnen und allgemein Gedankengut, schon im wörtlichen Ansatz auf Konfliktstoff verweist. Im Rahmen dieses Buchs sind Sie offiziell eingeladen, das Ihnen bereits Bekannte und Vertraute wiederzuerkennen, zu vertiefen oder zu ergänzen und im Zusammenhang mit dem Thema Mediative Kommunikation neu zu überdenken.

Konflikte und Konfliktmanagement

Konflikte gibt es, seitdem es Menschen gibt. Wo zwei eigenständig denkende Köpfe, individuell fühlende Bäuche, sich verhaltende Personen sind, da gibt es eben Andersartigkeit, die bisweilen unvereinbar scheint. Konfliktmanagement ist also eine Aufgabe im sozialen Miteinander, die schon unsere Urahnen zu meistern hatten. Aus ihren unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturen heraus wurde eine gemeinsame Idee zum Konfliktumgang ermittelt, die je nach Kultur ihre konkrete Form und Anwendung fand. Über die Jahrhunderte hinweg entstanden in den verschiedenen Kulturkreisen diverse Verfahrensweisen zur Bearbeitung von Konflikten.

Je organisierter sich das Zusammenleben gesellschaftlich formierte, desto institutionalisierter gestaltete sich auch das Konfliktmanagement. Im sogenannten abendländischen Einzugsbereich wurden die uns heute geläufigen Rechtssysteme entwickelt: Gibt es einen Konflikt, der im alltäglichen Rahmen nicht gelöst werden kann, werden Entscheidungsinstanzen herangezogen. Diese bestimmen dann auf Grundlage allgemein gültig formulierter Gesetze, was zur Beilegung des Konflikts zu tun ist. Es bedarf einer gewissen Machtstellung, um derartige Verhaltensanweisungen und Sanktionen durchsetzen zu können. Solche Einrichtungen sind deshalb in der Regel hierarchisch (‚von oben nach unten‘) strukturiert.

Rechtssysteme bieten im Fall eines Konflikts eine grundlegende Orientierung im Dschungel von ‚Richtig und Falsch‘. Sie versuchen darüber hinaus, auch die allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen zu normieren. Rechtssysteme bergen, um all dies leisten zu können, in ihrem Kern eine gewisse ‚Festigkeit‘. Diese gewährleistet zwar einerseits die notwendige Sicherheit, andererseits ermöglicht sie dabei oft ein geringes Maß an Flexibilität. Das heißt: Ein solches institutionalisiertes Konfliktmanagement ist nicht darauf ausgerichtet, sich an gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Erst ein starker Veränderungsdruck von außen schafft die Notwendigkeit, vorhandene Ansätze neu zu überdenken.

Entwicklung der Mediation in den USA

Die 1960er-Jahre waren in den USA eine innovationsfördernde, spannungsgeladene Zeit: Vietnam-Proteste, Bürgerrechtsbewegung, Studentenunruhen und Diskussionen zur Neubestimmung der Geschlechterrollen. Impulse aus diesen Bewegungen, von Kulturanthropologen und diversen weiteren Wissenschaftlern ermöglichten die Entwicklung von Alternativen zu dem als unzulänglich empfundenen herkömmlichen Rechtssystem.

1964 gründete das amerikanische Justizministerium den ‚Community Relations Service‘ (CRS). Aufgabe dieser Einrichtung war, die Lösung von Konflikten und Diskriminierungen rassistischer, ethnischer oder nationaler Art durch Mediation und Verhandlungen zu unterstützen. Aktuelles Konfliktpotenzial bestand vor allem durch die Aufhebung der Rassentrennung.8 Dies sollte weder gewalttätig auf der Straße ausgelebt noch von den Gerichten aufgefangen werden. Der CRS leistete hinter den Kulissen einen wichtigen Beitrag zur Entschärfung eines Großteils der bedeutenden Konfrontationen jener Jahre.

Die Anwendung und Verbreitung des Mediationsverfahrens stiegen in den 1970er-Jahren beträchtlich an. Im kommunalen Bereich wurde durch die ersten ‚Neighbourhood Justice Centers‘ (NJC) ein Angebot an kostenlosen oder kostengünstigen Mediationsdiensten geschaffen. Anwendungsfelder der NJC waren vor allem ­Mieter-­Vermieter-Konflikte, Ehe- und Familienstreitigkeiten, Nachbarschaftsprobleme, ­gewalttätige Auseinandersetzungen und Vandalismus. Ende der 1990er-Jahre gab es bereits über 700 solcher Mediations-Zentren in den USA. Auch heute noch sind viele derartige Einrichtungen staatlich und arbeiten mit den Gerichten zusammen. Andere verstehen sich als Graswurzelprojekte9 und bieten eine unabhängige Alternative zum herkömmlichen Rechtssystem.

Der der Mediation zugrunde liegende Ansatz der Vermittlung durch eine nicht in den Konflikt verstrickte dritte Person reicht allerdings auf Jahrhunderte alte Traditionen verschiedener Kulturen zurück. Seine Wurzeln finden sich in China und Japan, dem antiken Griechenland, Afrika, Jordanien, Melanesien, Lateinamerika, Spanien – und in der Bibel. So wurde Mediation in den USA beispielsweise von chinesischen und japanischen Einwanderern, Quäkern, Mennoniten und anderen religiösen Gruppierungen bereits intern angewandt, bevor ihr die gesellschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwurde.10

Mediation und Mediationsausbildungen in Deutschland

Im Vergleich zu Deutschland fällt auf, dass die in Bezug auf die USA beschriebene breite und beliebte Anwendung der Gemeinwesenmediation nicht einmal ansatzweise vorzufinden ist. Hier entwickelte sich erst Ende der 1980er-Jahre ein öffentliches Interesse am Konzept der Mediation. Ähnliche Ansätze waren allerdings in den Bereichen Beratungsarbeit, Supervision, Gesprächstherapie und Konflikttheorie schon vorfindbar. Mediation etablierte sich relativ langsam. Sie wurde vor allem bei Scheidungen, in den Bereichen Schule, Jugendarbeit, Täter-Opfer-Ausgleich, im Umweltbereich und in politischen Konflikten eingesetzt. Die Anwendung und positive Einstellung zu der in Amerika so populären und grundlegenden Gemeinwesenmediation war in Deutschland zunächst gering.

Das im Folgenden erläuterte aktuelle Konzept der Mediation hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre auch in Deutschland zu einer anerkannten Methode im Konfliktmanagement entwickelt. Es gibt zahlreiche Institute und sonstige freie Träger, die Mediationsausbildungen anbieten. Mittlerweile findet sich Mediation darüber hinaus sowohl im Angebot von Aufbaustudien als auch in Form von modularen Elementen in bereits bestehenden oder im Rahmen der Studienreform neu konzipierten Studiengängen. Es gibt diverse akademische Abschlüsse, die im Zusammenhang mit Mediation erlangt werden können.

Meist sind die Ausbildungen in Form von sechs bis zehn berufsbegleitenden Modulen über die Dauer eines Jahres konzeptioniert. Die vermittelten Inhalte zu Konfliktmanagement und Mediation können durch das gleichzeitige Ausprobieren im Alltag verstärkt reflektiert und vertieft werden. Einen großen Teil der Ausbildung bestimmt das methodische ‚Handwerkszeug‘: das Aktiv Zuhören (3.2), die Gewaltfreie Kommunikation (3.3), das sach- und menschengerechte Verhandeln nach dem Harvard-Konzept (3.4) und weitere Elemente im Phasenprozess der Mediation. Damit eine Mediatorin allparteilich die Rolle einer außenstehenden vermittelnden Dritten ausfüllen kann, ist Selbstreflexion ein weiterer Hauptbestandteil der Ausbildung. Über den Zeitraum eines Jahres entsteht ein Prozess, der nicht nur ein fachliches Erlernen der Methode, sondern ebenso die nötige Persönlichkeitsentwicklung fördern soll.

Als Qualitätssicherungsorgane gründeten sich 1992 in Deutschland die beiden ersten Fachverbände Mediation: der Fachverband zur Förderung der Verständigung in Konflikten – Bundesverband Mediation e.V. und die Bundes-Arbeitsgemeinschaft für Familien-Mediation e.V. Seit 1996 gibt es zusätzlich den Bundesverband Mediation in Wirtschafts- und Arbeitswelt e.V. 1998 wurde ergänzend die Deutsche Gesellschaft für Mediation in der Wirtschaft e.V. gegründet.11 Die vier Verbände bilden mit ihren Standards und Richtlinien den gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Ansätze einzelner Anbieterinnen. Darüber hinaus stellen sie Anerkennungsverfahren für Mediatoren und Ausbilderinnen für Mediation, die deren qualifizierte und standardgerechte Arbeit bescheinigen. Auf europaweiter Ebene verbindet sie der Code of Conduct, der Ethische Verhaltenskodex, der der Arbeit einer jeden Mediatorin, die Verbandsmitglied ist oder werden will, zugrunde gelegt ist.

Das Konzept der Mediativen Kommunikation

Wenn man sich anschaut, wo die in den letzten Jahren zahlreich ausgebildeten Media­toren tatsächlich tätig geworden sind, dann fällt auf, dass eine Qualifikation in Mediation zu schätzungsweise 80 Prozent für das Privatleben und die situationsbezogene Einbindung in den Ursprungsberuf verwendet wird. Das Konzept der Mediativen Kommunikation möchte diese Entwicklung weiterbringen. Es bereitet Elemente des Mediationsverfahrens so auf, dass der Transfer in den Alltag bereits in das Lernen der Methode eingebunden wird. Was seit Jahren in der Praxis passiert, wird in der Mediativen Kommunikation also absichtlich erzielt: Das Anwendungsspektrum mediativer Elemente wird bewusst vom traditionellen Rahmen der Mediation gelöst und für den Einsatz in Beruf und Privatleben ergänzend erweitert.

1.1 Konfliktmanagement

Konfliktmanagement ist ein Thema, das sich in den letzten Jahren in die oberen Ränge der Hitliste meistbehandelter Diskussionsinhalte bewegt hat. Wie bereits beschrieben, ist dies im Zuge gesellschaftspolitischer Umstrukturierungen eine häufige Erscheinung. Zu verweisen wäre hier nur andeutungsweise auf die Wiedervereinigung Deutschlands, wo zwei Staaten zusammenprallten und der Versuch unternommen wurde, sie gesellschaftlich und wirtschaftlich zusammenwachsen zu lassen. Diese so benannten „Nachwendeerscheinungen“ beeinflussen bis heute einen mehr oder weniger großen Teil unseres Alltags. Wir bewegen uns in einer Gesellschaft, die durch zahlreiche Reformen und Reformansätze in ständigem Wandel ist. Zudem ist die öffentliche Diskussion geprägt durch das Thema Gewalt und Gewaltprävention, vor allem an Schulen und in der außerschulischen Jugendarbeit.

Nicht nur im pädagogischen Bereich, sondern auch in der Wirtschaft zählt der geschulte Umgang mit Konflikten und Konfliktpotenzial zu gefragten Schlüsselkompetenzen, die beispielsweise in den Bewerbungsunterlagen nicht fehlen sollten. Im Zeitalter der fortschreitenden Globalisierung bildet er eine hilfreiche Handlungsfähigkeit im Sog von Konkurrenzdruck und vermindert zur Verfügung gestellte Ressourcen. Verstärkt wird dies durch den Umstand, dass die individuellen Anforderungen gleichzeitig steigen. Die Entwicklung eines persönlichen Profils und der Drang nach Verwirklichung der eigenen Vision können wohl als Eckpunkte unserer heutigen Gesellschaft bezeichnet werden, sowohl in der Arbeit als auch im Privat­leben.12

Konfliktbegriff und Konfliktverständnis

Als ein Konflikt wird gemeinhin eine zumindest empfundene Unvereinbarkeit von Fühlen, Denken, Wollen und / oder Handeln bezeichnet.13 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Konfliktpotenzial heute reichlich vorhanden ist. Allein eine Konkurrenzsituation wird dieser Definition gerecht. Intra-individuelle Konflikte sind an sich hoch interessant und im Hinblick auf die Anwendung Mediativer Kommunikation im Alltag durchaus erörternswert (5.1). Dennoch bezieht sich dieses Kapitel vorrangig auf zwischenmenschliche Konflikte, um dem Thema Konfliktmanagement mehr Veranschaulichung einzuräumen.

Schier unvereinbare Positionen finden wir zwischen zwei oder mehr Einzelpersonen, zwischen verschiedenen Gruppen oder auch Einzelnen und Gruppen. Dies sind Konflikte im zwischen-menschlichen Bereich, auch interpersonale Konflikte genannt.14 Weiterhin gibt es Konflikte intra-individueller Art: widerstrebende Impulse, Wünsche oder Positionierungen innerhalb einer Person. Wir ringen innerlich um die Entscheidung für unser nächstes Ziel, vielleicht auch um den kommenden Schritt, uns für eine uns sympathische Person oder aber gegen ihren Widersacher einzusetzen. Wir wollen etwas haben, ohne wegzunehmen, oder Unliebsames abgeben, ohne aufzubürden. Und diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Die grundlegende und klassische Form eines Konflikts ist der Streit: ein inter-personaler Konflikt, der zwischen zwei Kontrahenten ausgetragen wird. Ein Beispiel bietet das folgende Schauspiel, das sich zwischen Anna und Bertram während eines gemeinsamen Essens unter Freunden abspielt: Lara, Martin, Lars und Phine, Gerald, Anna, Bertramund Paul sind um den Tisch versammelt. Anna erzählt lebhaft von einem Erlebnis auf einer ihrer letzten Dienstreisen, bei der ihr der Kellner zum Frühstück Quittengelee „auf dem Blazer serviert“ hatte. Grade sagte sie „… und Quittengelee ist ja gelb …“, als ihr Mann Bertram eingreift und laut tönend erwidert:„Nein, Quittengelee ist rot.“ Es entsteht daraufhin ein erbitterter Streitzwischen Anna und Bertram um die Farbe von Quittengelee. Sie verstricken sich unter anderem in wüste Zuschreibungen wie: „Du erzählst doch nurQuatsch, wenn der Tag lang ist!“, gefolgt von: „Was mischstdu dich eigentlich ein?! Du hast doch gar keine Ahnung! Du warst ja noch nicht mal dabei. Natürlich ist Quittengelee gelb – das mussich ja wohl am besten wissen“ und: „Na dann bistdu eben farbenblind!“ und so weiter.

Abbildung 2: Anna und Bertram im „Ich habe recht!“ – „Nein: Ich!“-Streit

Ein Streit ist allgemein gekennzeichnet durch zwei sich gegenüberstehende Personen oder Parteien, Gefühle oder Interessen. Die jeweils bezogenen Positionen erscheinen den Beteiligten als unvereinbar. Es ergibt sich ein Kampf ums Rechthaben und Recht-Bekommen-Wollen, der sich schnell zu einer Endlosschleife entwickeln kann. Wenn er dann doch ein Ende findet, gibt es eine Gewinnerin und eine Verliererin. Es gewinnt in aller Regel die stärkere Seite: die mit den besseren Argumenten und / oder Ressourcen, mit mehr Durchsetzungsvermögen, mehr Macht oder Manipulationsfähigkeit. Stärke leitet sich hier also von der Fähigkeit ab, sich durchzusetzen oder die andere Seite zum Nachgeben zu bewegen. Auch wenn es ein Ergebnis gibt, bestätigt es meist nur das, was bereits vorher an Unterschiedlichkeit und Unvereinbarem empfunden wurde. Es erfolgt kein wirkliches Konfliktmanagement: Die Auseinandersetzung wird gestoppt und nicht konstruktiv als Möglichkeit für eine Weiterentwicklung im Miteinander genutzt.

Eskalationsmöglichkeiten im Konflikt

Wenn die Beteiligten in einem destruktiven Gegeneinander verharren, verfestigt dies meist den hinter der Auseinandersetzung verborgenen ,eigentlichen‘ Konflikt, der häufig größer ist und den Hintergrund des aktuellen Streits bildet. Gibt es ihn nicht, trägt die Tatsache, dass das gemeinsame Streitthema nicht hinreichend behandelt wird, dazu bei, einen zu entwickeln oder / und das grundsätzliche Konfliktpotenzial der Beteiligten zu erhöhen. Das Gegenüber wird als Problem angesehen. Was anfänglich eine Meinungsverschiedenheit war, wird so schnell zu einem persönlichen Konflikt. Verschiedene Sichtweisen eines Problems oder Sachverhalts formulieren sich in Vorwürfen gegen die andere Person. Mit zunehmender Streitintensität und emotionaler Verwicklung nimmt die Bereitschaft zuzuhören auf beiden Seiten ab. Genauso verhält es sich mit der Kommunikationsfähigkeit. Dies vermindert drastisch die Möglichkeit, dass die Beteiligten in der Konfliktaustragung befriedigende Ergebnisse erreichen.

Nach einer der grundlegendsten Konflikttheorien lässt sich ein Konflikt in mehrere Eskalationsgrade einteilen: Angefangen bei der Verhärtung verschiedenartiger Positionen, die in einem Gespräch möglicherweise ihre Auflösung finden, steigert sich der Konflikt Stufe um Stufe bis hin zur vollständigen Eskalation. In der Parole „Gemeinsam in den Abgrund“ findet sich das Extrem: das Ansinnen der jeweiligen Kontrahenten, den Konflikt ein für alle Mal zu beenden und die Gegenseite zu vernichten – ganz egal, was es auch kostet.15 Eine Hilfe zur Einschätzung des aktuellen Entwicklungsstands eines Konflikts bietet das hier abgebildete Eskalationsstufenmodell (nach Glasl):

Abbildung 3: Die Konflikteskalationsleiter

Zum konstruktiven Umgang mit Konflikten

Ein konstruktiver Umgang mit Konflikten sucht eine Lösung für das Problem, ohne dass das Gegenüber angegriffen wird. Statt der Schuldfrage oder des Dualismus von Richtig und Falsch wird das Problem ins Zentrum des Interesses gerückt. Es kann aktiv angegangen und eine Lösung gefunden werden. Die gängigsten konstruktiven Formen im Spektrum üblicher Konfliktmanagementansätze sind die Problemorientierung und die Lösungsorientierung. Beide zeichnet aus, dass die Kontrahentinnen sich bildlich gesehen auf ein und dieselbe Seite stellen, um sich gemeinsam auf das Problem oder seine Lösung zu konzentrieren.

Problemorientiertes Konfliktmanagement

Ein problemorientiertes Konfliktmanagement setzt voraus, dass die Betroffenen ihren Blick aus einigem inneren Abstand gemeinsam auf die Sache oder das Thema richten, um das es geht. Sie fragen sich gemeinsam: „Was ist das Problem?“ und analysieren es dann.

In Bezug auf Anna und Bertram würde dies bedeuten: Sie bleiben nicht im Gefecht gegenseitiger Beschimpfungen stecken, sondern konzentrieren sich stattdessen beispielsweise auf die Diskussion um die Farbe von Quittengelee. Hierfür wäre naheliegend zu überlegen, wie die Frucht am Baum aussieht. Dann könnten sie eruieren, was genau von der Frucht in das Gelee kommt und wie dieses sich farblich im Lauf der Zubereitung ändert. Alle Beteiligten würden wohl im Prozess der Debatte mit Erstaunen feststellen, wie viel erörternswertes Material die farbliche Betrachtung von Quittengelee bietet. Nach und nach könnten die Umsitzenden sich in die Diskussion mit einbringen. Möglicherweise ergibt sich ein erheiterndes Gespräch der Versammelten, welches die ursprünglich anspannende Konfliktsituation in diesem Rahmen in Wohlgefallen auflöst. Vielleicht spricht Anna Bertram nach dem Essen auch noch einmal darauf an, dass es ihr unangenehm sei, von ihm so unterbrochen worden zu sein. Und er entschuldigt sich bei ihr dafür.

Abbildung 4: Anna und Bertram erörtern gemeinsam das Streitthema

Lösungsorientiertes Konfliktmanagement

In der Lösungsorientierung gehen die Beteiligten noch einen Schritt weiter und stellen nicht nur sich, sondern auch den Konfliktstoff zu sich nehmend auf eine Seite. Das gemeinsame Motto heißt: „Wir haben ein Problem. Was machen wir daraus?“

Vielleicht diskutieren Anna und Bertram bereits eine Weile über die Farbe von Quittengelee, während Paul, Martin, Lara und Gerald aus Desinteresse an diesem Thema das Gespräch mit ihren jeweiligen Tischnachbarn suchen und sich damit anderen Dingen zuwenden. Dann stellen Anna und Bertram gemeinsam fest, dass sie durch die weitere Erörterung des Themas allein zu keiner Lösung gelangen. Sie bitten ihren Gastgeber Gerald, doch das große Kochbuch mit den vielen hübschen Bildern herbeizuholen: „Da findet sich doch bestimmt eine Abbildung von Quittengelee, die dessen Farbe nun eindeutig definiert!“ Vielleicht würde man daraufhin feststellen, dass sich die Farbe über den ganzen Bereich von Gelb über Orangerot bis hin zu einem bräunlichen Ton erstreckt. Der Streit könnte so beigelegt werden und das allgemeine Gespräch am Tisch käme wieder in Gang.

Abbildung 5: Anna und Bertram lösungsorientiert

Institutionalisiertes Konfliktmanagement

Betrachtet man die erörterten Konfliktmanagementansätze genauer, so ließe sich vom Streit über die Problemorientierung bis zur Lösungsorientierung eine Entwicklung ausmachen. Alle drei Ebenen des Umgangs mit dem Konflikt finden sich beispielsweise in einem klassischen Gerichtsverfahren integriert. Die Ausgangssituation dabei ist, vereinfacht dargestellt, ein Streit zwischen zwei Personen. Sie können sich nicht einigen und ziehen ein gerichtliches Entscheidungsverfahren zu Hilfe, damit ihr Streit nicht zu einer Endlosschleife wird. Beide suchen sich Anwälte. Diese stellen im Gerichtssaal das Problem unter juristischen Gesichtspunkten dar. Die Richterin konzentriert sich auf die Lösung für den Konflikt. Die drei Ebenen Streit, Problem- und Lösungsorientierung ließen sich also, von unten nach oben betrachtet, wie in Abbildung sechs zuordnen:

Abbildung 6: Institutionalisiertes Konfliktmanagement am Beispiel des Gerichtsverfahrens

Das Setting eines Schlichtungsverfahrens kann dem eines Gerichtsverfahrens sehr ähnlich sein. Die genaue Ausformung in Problem- und Lösungsorientierung obliegt der Schlichtungsebene. Wenn keine einvernehmliche Lösung gefunden wird, dann wird vom Schlichter eine rechtlich verbindliche Entscheidung darüber getroffen, was die Einzelnen in der Konsequenz ihres Konflikts zu dessen Beendigung zu tun ­haben.16

Zur Auswahl der Interventionen: (Be)Handlungsansätze im Konflikt

Wenn ein Konflikt nicht unter den unmittelbar Beteiligten geklärt oder gelöst werden kann, ist im Allgemeinen Unterstützung von außen angebracht. Dazu gibt es viele und ebenso vielfältige Möglichkeiten. Beschrieben wurden bereits die institutionalisierten Formen des Gerichts- und des Schlichtungsverfahrens. Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit dem Konfliktlösungsverfahren der Mediation. Weitere gängige Konfliktinterventionen sind beispielsweise die Moderation, die Prozessbegleitung (auch Prozesskonsultation) und die sozio-therapeutische Prozessbegleitung:

Die Moderation ist eine Maßnahme zur Strukturierung eines Gesprächs. Ein Moderator wird beispielsweise hinzugeholt, wenn in einer Sitzung verschiedene Aufgaben besprochen und Tätigkeiten verteilt werden sollen. Oder wenn es einen Konflikt gibt, der sich auf den ersten drei Eskalationsstufen bewegt, wo die Beteiligten noch miteinander kommunizieren können. Moderator:innen unterstützen die Beteiligten, indem sie mit verschiedenen Methoden das gemeinsame Gespräch fördern. Einige davon sind in Kapitel 4 beschrieben.17

Die Prozessbegleitung richtet sich auf bereits länger bestehende, verfestigte Rollen und Verhaltensweisen in der Auseinandersetzung. Sie arbeitet gezielt an deren Auflockerung, damit der Konflikt sich so weit bewegt, dass er aufgelöst werden kann. In der Arbeit mit einer Organisation bedeutet dies gegebenenfalls deren Umgestaltung. Der Unterschied zwischen Prozesskonsultation und sozio-therapeutischer Prozessbegleitung liegt in der therapeutischen Vertiefung. Im zuletzt benannten Verfahren geht es vorrangig um die Durchbrechung neurotischer (angstgesteuerter) Rollenbindungen, die sich beispielsweise in der Furcht vor Gesichtsverlust im Konflikt verfestigen.18

Eine Auswahl dieser sechs Interventionsverfahren (Moderation, Prozessbegleitung, sozio-therapeutische Prozessbegleitung, Vermittlung, Schlichtung, Machteingriff) verdeutlicht nicht nur einen sinnvollen Ansatz im jeweiligen Eskalationsstand, sondern darüber hinaus die jeweils angegangenen Ebenen der Konfliktaustragung: Über Aufgaben, Funktionen und Verhalten wird im Zuge einer Konfliktintervention gesprochen und verhandelt. Die Ebene der Werte wird insofern einbezogen, als dass diese zur Erklärung verschiedener Standpunkte offengelegt und die daraus resultierenden Erkenntnisse zur Konfliktlösung genutzt werden können. Die Ebene der Persönlichkeit wird im Rahmen der Konfliktintervention nicht gezielt bearbeitet. Sie ist und bleibt therapeutischen Verfahren vorbehalten. In der sozio-therapeutischen Prozessbegleitung zeichnet sich deutlich die Grenze zwischen Konfliktintervention und Therapie ab. Sie richtet sich noch gezielt auf den Konflikt, bezieht die Ebene der Persönlichkeit aber bereits anteilig und gezielt in ihr Verfahren mit ein. Schaubild 7 zeigt eine konkrete Zuordnung der ausgewählten Interventionen zum Stufenmodell (Abb. 3).19 Unter den offiziellen Begriff Konfliktmanagement werden die Verfahren gefasst, die ab Stufe vier einsetzen. Die Konfliktparteien sind so in ihren Konflikt verwickelt, dass sie in dieser speziellen Situation auf das Eingreifen einer Konflikt­expertin angewiesen sind, wenn sie zu einer Kooperation gelangen wollen oder ­sollen.

Abbildung 7: Interventionen auf der Stufenleiter

Was im Konfliktfall noch von außen unternommen werden kann

Wenn die Beteiligten in ihren Konflikt so verstrickt sind, dass sie nur mit Unterstützung eines Konfliktexperten herausfinden können, gibt es Hilfeleistungen sowohl in institutionalisierter als auch in uneingebundener Form. Bei der Auswahl und dem Einsatz einer solchen Konfliktintervention ist, wie bereits beschrieben, zu berücksichtigen, auf welcher Eskalationsstufe sich der Konflikt befindet: Wenn die Beteiligten noch gut miteinander reden können, ist es vielleicht nicht notwendig, eine Respektsperson, wie es ein Richter ist, über die Lösung entscheiden zu lassen. Im Gegenteil: Die beiden Betroffenen hätten wahrscheinlich zusätzlich damit klarzukommen, dass eine fremde Person über sie bestimmt, obwohl sie selbst entscheidungsfähig sind. Eine für sie hilfreiche Unterstützung wäre vielleicht eher eine das Gespräch moderierende Person, die ihre Auseinandersetzung strukturiert und ihnen Methoden zur Anregung und Entwicklung von Lösungsideen an die Hand gibt. Andersherum betrachtet wäre es wohl wenig sinnreich, für die Bearbeitung eines stark eskalierenden Konfliktes, in dem die Betroffenen weder miteinander reden noch überhaupt an einem Tisch sitzen können, eine Moderation auszuwählen.

Um sich bewusst für einen Ansatz zur Konfliktbearbeitung zu entscheiden, ist es demnach wichtig, sich zu vergegenwärtigen, wie genau es um die jeweiligen Konfliktbeteiligten steht. Darüber hinaus ist zu beachten, wie welche ‚Konfliktmedikation‘ wirkt und was sich daraus für ‚Nebenwirkungen‘ ergeben können. Wird beispielsweise einem auch selbst zur Lösung findenden Konfliktpaar ein bestimmter Weg ‚aufdoktriniert‘, kann dies ihr Miteinander nachhaltig gefährden. Sie fühlen sich möglicherweise unangenehm bevormundet und zur Umsetzung einer fremdartigen Lösung gezwungen. Aus diesen Empfindungen heraus geben sie sich vielleicht gegenseitig die Schuld daran, dass dies mit ihnen geschehen musste. Die Nebenwirkung wäre dann ein Konflikt zwischen beiden, der schwerwiegender ist, als der hierarchisch beigelegte es war.

Moderation kann in einem Konflikt also eine hilfreichere und angemessenere Intervention darstellen als beispielsweise ein Gerichtsverfahren. Genauso verhält es sich mit den beiden Varianten der Prozessbegleitung. Und natürlich gibt es diverse weitere Möglichkeiten, in einem Konflikt zu intervenieren, die gemeinhin nicht unter Konfliktmanagement gefasst sind. Bei ihrem Einsatz ist ebenso zu überlegen, wo und mit welcher Perspektive, mit welchem Ziel in der Bearbeitung von außen angesetzt werden soll. Dazu ist es hilfreich zu wissen, dass auch noch verschiedenartige Ansätze über das Konfliktmanagement hinaus zur Verfügung stehen. In der Intervention zum Umgang mit einem Konflikt können die verschiedenen Ansätze das Konfliktpotenzial, den Konfliktprozess und die Konfliktfolgen fokussieren – einzeln oder überspannend. Das Konfliktmanagement setzt bei dem Material an, was den Konflikt konkret ausgelöst hat und ihn in seiner Eskalation voranschreiten lässt. Die Konfliktlösung bezieht darüber hinaus auch das Potenzial mit ein, was den Konflikt weiter anheizen kann. Sie konzentriert sich auf den Konfliktprozess, auf das gesamte Konfliktpotenzial und bezieht dazu wegweisend die möglichen Folgen mit ein.

Ist ein Konflikt am Ende seines Prozesses und möglicherweise schon stark eskaliert, dann ist er am besten durch konfliktbeherrschende Interventionen zu kontrollieren. Die Konzentration liegt auf dem Umfang der Konfliktfolgen. Solche ,Keulen von oben‘, wie beispielsweise das Eingreifen einer Machtinstanz, sind, wie bereits beschrieben, sinnvollerweise erst einzusetzen, wenn der Konfliktprozess so weit fortgeschritten ist, dass er sich nicht mehr in eine konstruktive Behandlung führen lässt. Eine Vorstufe ist die Konfliktregelung, die im Hinblick auf die Gesamtheit der Folgen im Konfliktprozess eingreift oder auch den Konflikt überbrückt. Eine gegensätzliche Variante ist die Konfliktreduktion, die das Eskalieren eines Konflikts unterbindet, indem sie ihn unterdrückt oder vermeidet. Man sollte sich darüber bewusst sein, dass ein solches ‚Deckeln‘ im falschen Moment den Topf zum Explodieren bringt (3.1). Besonders in der Begegnung mit Menschen, die man nie wieder sieht, kann dies aber auch durchaus sinnvoll sein. Hilfreich integriert findet sich eine solche intervenierende Richtung in Anti-Gewalt-Trainings, wo beispielsweise ein Motto heißt: ‚Nimm nicht die Faust, geh einfach aus der Situation heraus.‘ Ähnlich wirkt der Ansatz der Konfliktsubstitution: Er erzielt die Verschiebung von Konfliktpotenzial, der Konfliktaustragung oder auch von deren Folgen, indem ein Ersatz dafür geschaffen wird. In der Jugendarbeit etwa könnte man im Fall eines sich deutlich anbahnenden Konflikts entscheiden, ihn z. B. auf dem Basketballfeld auszutragen. Der Grundsatz wäre ‚Sport statt Mord‘. Allerdings sollte man dabei natürlich bedacht haben, dass Aggression auch im Sport schnell zu Gewalthandlungen führen kann. Ein solcher Effekt lässt sich beispielsweise durch die Grundlage und genaue Einhaltung von Regeln für ein faires Spiel begrenzen.

1.2 Mediation

Mediation ist eine Form der Konfliktlösung, die im Konfliktfall ansetzt und sich in ihrer Umsetzung auf Konfliktpotenzial, Konfliktprozess und Konfliktfolgen konzentriert. Wie in der Einleitung zu diesem 1. Kapitel schon deutlich wurde, entwickelte sich das heutige Mediationsverfahren in Zeiten starker gesellschafts-politischer Bewegung als Alternative zu kostspieligen Gerichtsverfahren. Ausgangssituation für eine Mediation ist wie in den bisher bereits beschriebenen Konfliktmanagementansätzen ein Streit oder eine sonstige gegensätzliche Positionierung. Es können dabei zwei oder mehr Parteien beteiligt sein. Mittels einer dritten, außenstehenden Person oder Partei wird eine außergerichtliche Lösung oder Einigung erzielt. Sie setzt Konsequenzen aus dem Konflikt nicht richtend oder schlichtend fest, sondern begleitet die Beteiligten vermittelnd und unterstützend in ihrem Lösungsfindungsprozess.

Die Frage nach dem eigentlichen Konflikt

Weil bei der bereits beschriebenen Problem- und Lösungsorientierung die Energie so stark auf Problem, Sache, Thema oder Lösung gerichtet ist, fallen die beteiligten Gefühle meist aus dem Blickfeld (1.1). Übrig bleiben Groll, Ärger, Wut, Verletzungsgefühle und dergleichen. Dies ist vor allem der Fall, wenn im Konfliktmanagement zwar der augenscheinliche Streit beigelegt, nicht aber der zugrunde liegende Konflikt bearbeitet wird.

So liegt in Bezug auf unser Streitbeispiel am Essenstisch die Vermutung nahe, dass es mehr um Rechthaben und -behalten geht als um die Farbe von Quittengelee. Und es hat den Anschein, dass sich hinter der ganzen Debatte etwas ganz anderes verbirgt, als durch den zur Schau gestellten Konflikt zu sehen ist. Mögliche konfliktfördernde Gefühle im Hintergrund sind bei Bertram Ärger und Neid: Seine Frau Anna ist Psychologin und arbeitet als Beraterin bei einer Zeitarbeitsagentur. Da sie im Außendienst häufig Kunden besuchen muss, fährt sie oft auf Dienstreise. Von denen erzählt sie dann begeistert, während er zu Hause bleiben und einer Arbeit nachgehen muss, für die er keine derartige Leidenschaft entwickeln kann.

Bei Anna könnte eine Rolle spielen, dass sie sich von Bertram Unterstützung statt Neid und Ärger wünscht: Die häufigen Dienstreisen strengen sie trotz aller positiven Aspekte auch bis zur Entkräftung an. Bertram verdient nicht viel Geld. Er ist ein geschickter Tischler, aber schon seit einiger Zeit arbeitslos. Und die Reparaturen, die er hier und da übernimmt, bringen kaum etwas ein. Die Hypothek auf das gemeinsame Haus ist noch immer nicht abbezahlt. Da Außenaufträge mit einem besonderen Honorar vergütet werden, nimmt Anna daher möglichst viele an. Auch wenn dies für sie Strapazen bedeutet, die sie sich häufig gern ersparen würde. Anna wünscht sich, endlich wieder für längere Zeit zu Hause bleiben zu können. Sie stellt dies aber zurück, bis ihrer beider Schulden getilgt sind. In einem gemeinsamen Gespräch über diese eigentlichen Hintergründe der Quittengeleefarbdebatte könnten sie eventuell eine Lösung für die konfliktträchtige Situation finden. Dies würde zumindest das Konfliktpotenzial vermindern, welches die Beziehung auf Dauer ernsthaft gefährden kann.

Eine Mediation bezieht die Hintergründe eines Konflikts wesentlich mit ein. Begrifflich abgeleitet von media (aus dem Latein: zentral; media pars ist die Mitte) konzentriert sich die Mediation auf den zwischenmenschlichen Prozess in Konflikt und Konfliktlösungsfindung. Dabei stößt sie in der Regel auf den eigentlichen Konflikt hinter dem ausgetragenen Streit. Die mediierende Person arbeitet als allparteiliche Vermittlerin die Gefühle, Bedürfnisse, Interessen, Wünsche und Erwartungen hinter den anfänglich eingenommenen Positionen der Konfliktparteien heraus. Sie unterstützt das Aushandeln einer von beiden Seiten akzeptierten Lösung.

Selbstverantwortung der Konfliktparteien in der Mediation

In der Mediation geht es zentral darum, eine Lösung zu finden, die den Konfliktbeteiligten und ihren jeweiligen Interessen und Bedürfnissen entspricht. Im Gegensatz zu Gerichts- und Schlichtungsverfahren belässt sie daher die Verantwortung für die Lösung während des gesamten Prozesses bei den Betroffenen: Es ist ihr Konflikt, also sind sie die Experten, wenn es um ihre individuelle Lösung geht. Ein solcher Ansatz der Selbstverantwortlichkeit beginnt seitens der Beteiligten mit der Einsicht „Es ist unser Problem“ und der aktiven Bewegung eines „Was machen wir jetzt daraus?“, wie sie bereits in der Lösungsorientierung zu finden ist (1.1).

Um die manchmal hoffnungslos in den Konflikt verstrickten Beteiligten hilfreich zu unterstützen, leiten die Mediatoren das Herausarbeiten des gemeinsamen Lösungspotenzials an. Ihre Aufgabe besteht darin, dass sie dem Konflikt durch (Nach-)Fragen, Zuhören und Umformulieren oder „Übersetzen“ der Äußerungen aller Streitenden eine neue Dynamik geben. Diese Bewegung entsteht nicht durch Belehrung oder Schiedsspruch. Sie gelingt durch den sensiblen Umgang mit den Gefühlen und inneren wie äußeren Anliegen der Mandantinnen.

Die Win-Win-Perspektive im mediativen Konfliktmanagement

Häufig geht man davon aus, dass es zur Beendigung eines Konflikts zwangsläufig Verlierende oder wenigstens kompromisshafte Verluste auf beiden Seiten gibt. Die Mediation nimmt Abstand von diesem Glaubenssatz. Sie hält es grundsätzlich für möglich, dass eine Lösung gefunden wird, aus der alle Beteiligten als Gewinner:innen hervorgehen können. Diese Haltung ergibt sich durch das Erfragen der Interessen, Gefühle und Bedürfnisse, die sich hinter den von den Streitenden bezogenen Positionen verbergen. Ein in diesem Zusammenhang oft angeführtes Beispiel ist

„Der Streit um die Orange“, eine sehr plakative Geschichte zur Verdeutlichung des Win-Win-Ansatzes, der in Kapitel 2 ausführlich erläutert wird (2.6):

Zwei Schwestern streiten sich um eine Orange. Beide möchten sie unbedingt. Die ältere sagt: „Ich bestimme hier, und deshalb bekomme ich die Orange!“ Die jüngere erwidert: „Du hast mir überhaupt nichts zu sagen. Du hast gestern schon eine Orange genommen!“ usw. Die Auseinandersetzung eskaliert, weil keine der beiden nachgeben will. Schließlich einigen sich die Schwestern doch auf einen Kompromiss: Sie schneiden die Orange durch. Jede bekommt eine Hälfte. – Hätten die beiden die Idee gehabt, ihre eigentlichen Interessen zu erfragen, dann wäre dabei Folgendes herausgekommen:

Die ältere Schwester wollte sich einen Saft pressen, die jüngere einen Kuchen backen. Eine Win-Win-Lösung wäre gewesen, die Orange erst auszupressen und dann die Schale zu reiben. Beide hätten also ohne Schwierigkeiten bekommen können, was sie wollten.

Die Mediation folgt dem Prinzip des Win-Win: Ein gemeinsamer Konflikt zeigt bei genauer Betrachtung viele beteiligte Interessen und Bedürfnisse. Ein individuell entworfenes Lösungskonzept birgt die Chance, ihnen so gerecht zu werden, dass alle Seiten als Gewinnende aus dem Konflikt hervorgehen können.20 Zusammenfassend ist hier festzuhalten, dass eine befriedigende und nachhaltige Lösung eines Konflikts voraussetzt, dass in dessen Bearbeitung sowohl die Sach- als auch die Emotionsebene gleichwertig einbezogen werden. Dieses Verständnis drückt sich unmittelbar in der sogenannten Mediationsformel (2.1) aus:

Die Mediation geht davon aus, dass eine wirkliche Konfliktlösung das Potenzial zur Zufriedenheit aller Beteiligten enthält. Die Chance eines Win-Win-Ergebnisses liegt in der ressourcenorientierten, vollständigen Betrachtung des Konflikts.21

Das Mediationsverfahren

Praktisch gibt es sehr unterschiedliche Modelle zur Durchführung eines Mediationsverfahrens. Denkbar sind mehrere Sitzungen à eineinhalb Stunden, wie es in der Familienmediation oft zu beobachten ist. Genauso gibt es aber auch Blockverfahren, in denen dann beispielsweise vier Stunden oder auch zwei oder mehr ganze Tage durchmediiert werden. Besonders in der Wirtschaft22 oder auch in der Arbeit mit Teams und Gruppen kommt dies häufig vor. Wie genau eine Mediation sich gestaltet, definiert sich durch die individuelle Situation und Befindlichkeit der Beteiligten. Das alle Formen verbindende methodische Verfahren wird gemeinhin in einem Phasenmodell dargestellt. Es variiert von Quelle zu Quelle zwischen vier und sechs Verfahrensschritten. Das am häufigsten verwendete Kreislaufdiagramm der Harvard-Schule skizziert als vier Phasen der Mediation:

Abbildung 8: Kreislaufdiagramm der Harvard-Schule

Dieses Diagramm zeigt das allgemeine Grundgerüst des Prozessverlaufs. In anderen Modellen wird ergänzend in einer Vorphase ein sicherer Rahmen geschaffen, der unter anderem durch das Aufstellen von Gesprächsregeln und die Zusicherung von Diskretion entsteht. Einige fügen als abschließenden Schritt die schriftliche Vereinbarung hinzu. Eingebettet wird der Mediationsprozess üblicherweise in Vor- und Nachgespräch.

Die im Folgenden dargestellte Fünf-Phasen-Übersicht eines Mediationsverfahrens enthält diese wesentlichen Schritte. Sie bleibt der Grunddefinition treu und ist so elementar, dass sich andersartige Modelle integrieren oder wiedererkennen lassen. Sie orientiert sich am traditionellen Setting von zwei Konfliktparteien und ein oder zwei Mediierenden. Die Mediierenden begleiten die jeweiligen Streitparteien dabei, im Mediationsprozess ihre Positionen darzustellen. Sie unterstützen bei der Beleuchtung der Interessen und Bedürfnisse hinter den jeweiligen Standpunkten. Sind die Interessen klar, werden mithilfe kreativer Methoden wie etwa Brainstorming (4.3) Ideen gesammelt. Aus diesem Tool von möglichen Lösungen werden die geeignetsten herausgesucht und konkretisiert. Am Abschluss stehen klare Vereinbarungen, die bereits auf ihre Umsetzbarkeit geprüft sind.

Im Vordergrund der Aufmerksamkeit stehen die Gemeinsamkeiten statt, wie sonst im Konflikt oft üblich, der Unterschied zwischen den Beteiligten. Der Konflikt wird demnach nicht diskutiert, sondern in seine einzelnen Bestandteile zerlegt. Sichtweisen, Hintergründe, Interessen, Bedürfnisse, Ziele werden benannt und zu einem neuen Gebilde zusammengesetzt, das aus dem Gegeneinander ein Miteinander werden lässt.

Phasenmodell zum Ablauf einer Mediation

Vorgespräch

Meist telefonisch

Rahmeninformation (Beteiligte, Auftraggeberinnen etc.)

Kostenverhandlung und Terminvereinbarung

Phase 1: Den sicheren Rahmen schaffen

Begrüßung / Warming-up

Empfang und Little Small Talk

Getränke anbieten etc.

Information

Ablauf der Mediation

Rolle der Mediierenden

Organisation

Dauer und Termine

Kosten (wenn nicht schon geklärt)

Vereinbarungen

Gesprächsregeln

Geschützter Rahmen durch Diskretion / Vertraulichkeit, Selbstverantwortlichkeit

Phase 2: Konfliktdarstellung

Konfliktschilderung

Alle Beteiligten schildern ihre ­Sichtweise

Positionen werden dargestellt

Gefühle werden sichtbar

Zusammenfassung

Gehörtes auf den Punkt bringen

Themen benennen

Über Vorgehen einigen

Themenwahl

Thema gemeinsam festlegen

Phase 3: Interessen und Bedürfnisse hinter den Positionen

Mediierende erfragen

Interessen hinter den Positionen

Gefühle

Bedürfnisse

Konkrete Wünsche aneinander

Unterstützung der beidseitigen Verständigung

Gemeinsamkeiten feststellen (Interessen, Bedürfnisse, Wünsche)

Gegenseitiges Aktives Zuhören anleiten

Phase 4: Lösungsfindung und Vereinbarungen

Brainstorming

Freie Ideensammlung

Mediatoren halten sie am Flipchart fest

Konkretisieren der Ideen

Verhandlungs­moderation

Ideen werden verhandelt

Gemeinsame Lösung der Konflikt­parteien wird ermittelt

Vereinbarungenund Vereinbarungssicherung

Konkret und schriftlich

Memorandum im Einverständnis aller Konfliktparteien

Evtl. Termin zur Auswertung festlegen

Nachgespräch

Aktueller Stand

Auswertung der Vereinbarungsumsetzung

Zu Formen und Anwendungsmöglichkeiten der Mediation

Wie in anderen Verfahren können natürlich auch in der Mediation anhand ihrer Anwendung und Durchführung weitere Unterscheidungen getroffen werden. Der Verlauf einer Mediation kann in der Praxis stark variieren. Wird eine Phase nach der anderen durchgeführt, ist das Verfahren monochrom. Es kann aber auch sein, dass in mehreren Phasen gleichzeitig oder auch in Phasensprüngen mediiert wird. Dies kennzeichnet einen polychromen Verlauf. Der skizzierte Prozess würde dann auf verschiedenen Ebenen oder in Themenbereiche unterteilt durchgeführt werden und nicht geradlinig und vollständig von oben nach unten verlaufen. Die Praxis zeigt, dass es in der Regel nicht sinnvoll ist, die Verfahrensweise für eine Mediation vorab festlegen zu wollen. Wichtig ist und bleibt das Grundprinzip der durch den sicheren Rahmen ermöglichten Auflösung der Positionen in dahinter liegende Interessen und Bedürfnisse. Auf deren Basis wird eine individuelle Lösung ermittelt – egal, ob ein Konfliktpaar diesen Prozess in einem Ganzen oder Stück für Stück anhand einzelner Themen durchläuft.

Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit ergibt sich aus den vielfältigen Einsatzbereichen der Mediation. So klassifiziert man nicht nur die anfänglich am Beispiel der USA beschriebene Gemeinwesenmediation und die in Deutschland so grundlegende Familienmediation, sondern ebenso die Umweltmediation, Mediation in der Politik, die Schulmediation, die Interkulturelle Mediation und die Wirtschaftsmediation.

Familienmediation

Familienkonflikte

Scheidungsregelung

Erbkonflikte

z. B. Erziehungs- oder Gewaltkonflikte

z. B. Unterhalts- und Sorgerechtsfragen

z. B. Erbschaftsstreit

Nachbarschaftsmediation

Nachbarschafts- und Mietkonflikte

z. B. Konflikte zwischen Mietenden und Vermietenden oder in der Nachbarschaft

Gemeinwesenmediation

Gemeinwesen

z. B. Stadtteilkonflikte

Umweltmediation

Umweltkonflikte

z. B. Naturschutz, Industriestandorte

Mediation in der Politik

Öffentlicher Dienst

Verkehrspolitik

(Internationale) Politik

Kommunalpolitik

z. B. Konflikte zwischen Mitarbeitenden und / oder Vorgesetzten

z. B. Standortfragen

z. B. klassische politische Konflikte, diplomatische Kontroversen

z. B. Planungsfragen

Schulmediation

Schulen

z. B. Schüler als Konfliktlotsen für andere Schüler

Interkulturelle Mediation

Interkulturelle / ethnische Konflikte

z. B. Konflikte zwischen ethnischen Gruppen, Konflikte in interkulturellen Projektgruppen, Friedensarbeit

Wirtschaftsmediation

Wirtschaft

z. B. Personalkonflikte, Fusionen, Tarifkonflikte, Abfindungsfragen

WeitereAnwendungsbereiche

Justiz

Institutionen / Organisationen

Online-Mediation

z. B. Anwendung im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs (TOA)

z. B. Mediation im Bauwesen, Mediation in der Architektur23

z. B. Mediation im Internet24

Grundsätzlich unterschieden wird zwischen der Mediation als juristische Methode, eine konkrete Alternative zu einer kostenintensiveren Gerichtsverhandlung, und der Konfliktmediation im Allgemeinen, die sich dem psychologischen Fach zuordnen lässt.25 Eine weitere Unterteilung kann zwischen einer Mediation durch externe oder interne Mediatoren getroffen werden. Um die Frage ,intern oder extern?‘ ranken sich zahlreiche Diskussionsschleifen. Der Zyklus um den immer wiederkehrenden Ausgangs- und Endpunkt ,Heimvorteil versus Betriebsblindheit‘ kann wohl weder in diesem Rahmen noch in der weiteren Öffentlichkeit in nächster Zeit beendet werden. Der folgende ,Krakel‘ (4.6) ist in diesem Zusammenhang als ein Kategorisierungsangebot zu verstehen.

Abbildung 9: ,Krakel‘ zu externer und interner Mediation

Richtlinien zur Durchführung einer Mediation

Mediatorin ist bis heute keine geschützte Berufsbezeichnung. Bezüglich der zu formulierenden Richtlinien für das konkrete Verfahren der Mediation wird in der fachbezogenen Öffentlichkeit rege diskutiert. Um das nötige Maß an Qualitätssicherung zu gewährleisten, wirken in Deutschland die vier Bundesfachverbände Mediation. Sie arbeiten mit Standards und Anerkennungsverfahren, die sich auf Grundlage ihrer Interessen und ihrer anwendungsfeldbezogenen Ausrichtung stellenweise voneinander unterscheiden (1.0).

Um hier einen allgemeinen Überblick zu geben, werden die im Zusammenhang dieses Buches als wesentlich erachteten Grundregeln zur Durchführung einer Mediation knapp zusammengefasst. Diese Liste ist als eine Ansammlung von Grundsätzen zu verstehen. Die Praxis vereitelt bisweilen die Realisierung sämtlicher Punkte. So ist bei den sogenannten verordneten Mediationen nicht einmal der außerordentlich wichtige Grundsatz der Freiwilligkeit garantiert. In solch einer beispielsweise von der Geschäftsführung anberaumten Mediation ist zu klären, ob und wie eine Mediation unter diesen Umständen sinnvoll und erfolgreich sein kann. Dennoch ist es bei allen Besonderheiten, die die Praxis birgt, von großer Wichtigkeit, die benannten Prinzipien in jeder Mediation anzustreben.

Grundsätze zur Durchführung einer Mediation

Freiwilligkeit in Teilnahme und Weiterführung der MediationEinbeziehung statt Ausschluss von möglichst allen vom Konflikt betroffenen PersonenAllparteilichkeit bzw. Achtung unterschiedlicher Interessen: Unterschiedliche Interessen und Werte werden geachtet. Die ihnen zugrunde liegenden Bedürfnisse sollten transparent sein oder möglichst transparent gemacht werden. Der Mediierende hat die Interessen aller Konfliktparteien gleichwertig zu behandeln.Übernahme der jeweiligen Verantwortlichkeit: Die Verantwortung für sich selbst und die Gestaltung der Lösung bleibt in den Händen der Konfliktpartner. Sie wählen das Thema der Mediation und sprechen für sich selbst. Wenn Teilnehmende einer Mediation Vertreter einer Gruppe sind, brauchen sie die Möglichkeit, sich mit der Gruppe, für die sie sprechen, zu beraten, um deren Interessen im Prozess der Mediation einbringen zu können.Prozessorientierung und Flexibilität: Die Mediatorin ist verantwortlich für den Vermittlungsprozess. Eventuelle Rückmeldungen und Anregungen durch die Mediandinnen sind in den Prozess zu integrieren und für den Verlauf der Mediation zu nutzen.Chancengleichheit: Alle Parteien sind in Bezug auf die Gestaltung des Mediationsprozesses gleichberechtigt. Dies bedeutet, dass sie auch das gleiche Recht auf Kenntnisstand und Zugang zu Informationen haben.Zielorientierung: Wenn die Konfliktpartnerinnen einen Konsens oder eine Kooperation zumindest hinsichtlich eines ihrer jeweiligen Ziele anstreben (z. B. im Falle einer Scheidung das Wohl der gemeinsamen Kinder), begünstigt dies in der Regel das Verfahren zur Lösungsfindung. Ein weiteres Element dabei ist die zeitliche Perspektive. Die Beteiligten sollten vorab reflektieren, bis wann sie den Konflikt gelöst haben wollen. Dabei und in den Mediationsprozess sind einzelne Zwischenschritte mit einzuplanen.Umsetzbarkeit der Vereinbarungen: Es ist wichtig, in der Mediation zu klären, ob und wie genau getroffene Vereinbarungen umgesetzt werden. Mögliche Probleme sind in den Prozess einzubeziehen.

Was abschließend noch zu sagen wäre