Facilitation-Tools - Doris Klappenbach-Lentz - E-Book

Facilitation-Tools E-Book

Doris Klappenbach-Lentz

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Beschreibung

Facilitation bedeutet, in der Arbeit mit Gruppen Prozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Anlässe zum Einsatz dieses Formats können Konfliktklärungen oder -lösungen sein. Auch in der Gestaltung von Change-Prozessen haben sich Facilitation-Workshops bewährt, ebenso für das Teambuilding, z. B., wenn es darum geht, dass sich eine für eine Projektarbeit international zusammengestellte Gruppe schnell zu einem arbeitsfähigen Team entwickelt. Die Autorin gibt einen Überblick über verschiedene Facilitation-Anlässe. Sie erläutert, wie Kompetenzen und Elemente aus Mediation und Mediativer Kommunikation sowie weitere Tools dabei zum Einsatz kommen. Beispiele aus der Praxis fassen die Buchinhalte anwendungsbezogen zusammen und runden sie ab.

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Doris Klappenbach-LentzFacilitation-Tools Mit Mediativer Kommunikation und Mediation Prozesse in Gruppen ermöglichen

Über dieses Buch

Prozesse in Gruppen ermöglichen 

Facilitation bedeutet, in der Arbeit mit Gruppen Prozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Anlässe zum Einsatz dieses Formats können Konfliktklärungen oder -lösungen sein. Auch in der Gestaltung von Change-Prozessen haben sich Facilitation-Workshops bewährt, ebenso für das Teambuilding, z. B., wenn es darum geht, dass sich eine für eine Projektarbeit international zusammengestellte Gruppe schnell zu einem arbeitsfähigen Team entwickelt. 

Die Autorin gibt einen Überblick über verschiedene Facilitation-Anlässe. Sie erläutert, wie Kompetenzen und Elemente aus Mediation und Mediativer Kommunikation sowie weitere Tools dabei zum Einsatz kommen. Beispiele aus der Praxis fassen die Buchinhalte anwendungsbezogen zusammen und runden sie ab.

Dr. Doris Klappenbach-Lentz ist Ausbilderin / Mediatorin BM® / SDM-FSM und Coach / Trainerin / Gutachterin dvct. Sie initiierte 2005 an der FU Berlin die erste integrative Mediationsausbildung Deutschlands. Sie ist Direktorin des Instituts für Mediative Kommunikation und Diversity-Kompetenz der Internationalen Akademie Berlin gGmbH.

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Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2024

Coverbild: © studiocasper (iStock)

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2024

ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0566-1

ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0567-8 (EPUB), 978-3-7495-0568-5 (PDF).

Vorwort

Doris Klappenbach-Lentz leistet mit diesem Buch einen wesentlichen Beitrag zur theoretischen Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung sowie zur Verknüpfung von verschiedenen Konzepten als auch zur vielfältigen Praxis von Mediativer Kommunikation und Mediation. Das gelingt ihr auf der Basis und in Weiterentwicklung ihrer früheren Arbeiten, Publikationen und Praxiserfahrungen. Darüber hinaus besticht das Buch durch Klarheit, Differenzierung, innovative Inhalte, reiche Vielfalt und Fülle des angebotenen Materials sowie durch verständliche Sprache.

Aus Sicht des Institute for Youth and Community Empowerment (IYCE) an der Internationalen Akademie Berlin (INAgGmbH) und auf Basis meiner langjährigen Erfahrungen in diesem Arbeitsfeld bietet Doris Klappenbach-Lentz mit diesem Buch und den zahlreichen praxisorientierten Tools sowohl eine nachhaltige Unterstützung bei der Reflexion und Gestaltung von persönlichen Entwicklungs- und Professionalisierungsprozessen als auch von erfolgreichen Bildungsprozessen in Aus-, Fort- und Weiterbildung, von Konfliktlösungsprozessen, Gestaltungs- und Veränderungsprozessen. Aus meiner Sicht bieten ihre Ausführungen somit auch vielfältige Anregungen für die Begleitung von nachhaltigen Empowermentprozessen benachteiligter Kinder und Jugendlicher und den Communities, in denen sie leben, zum Beispiel in Hinblick auf aktive Teilhabe / Partizipation an individuellen, gruppenspezifischen und gesellschaftlichen Prozessen, an deren Gestaltung und Veränderungen.

Doris Klappenbach-Lentz Beitrag unterstützt auf vielfältige Art und Weise Praktiker:innen – zum Beispiel und prioritär Fachkräfte professioneller Kommunikation (wie Coach:innen, Mediator:innen, Supervisor:innen oder Trainer:innen), aber auch pädagogisches Personal in der Frühpädagogik, Jugend- und Sozialarbeiter:innen und Lehrkräfte – in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern, ihren Teams und Einrichtungen –, eigenes Verhalten und unterstützende Intervention („Hidden Curriculum“ und Curriculum) als ganzheitliche, interdependente Prozesse zu reflektieren und erfolgreich zu gestalten.

Nach 20 Jahren Forschungs- und Lehrtätigkeit ist es Doris Klappenbach-Lentz darüber hinaus mit diesem Buch ein zentrales Anliegen, Mediative Kommunikation und Mediationsprozesse auf gesellschaftliche Themen zu beziehen und Facilitation als Rahmen für Dialoge in gesellschaftlichen Prozessen zu entwickeln bzw. zu fördern. Mit Blick auf den Rahmen, wie Dialog zu gestalten ist, geht es ihr, unter Einbeziehung diverser Perspektiven und unter Beteiligung verschiedener Bevölkerungsgruppen, darum, wie man diesen Dialog nachhaltig erweitern kann.

Die Autorin hat hierfür ein umfassendes Kompetenzmodell (systemische Kompetenz, dialogische Kompetenz, Strukturierungskompetenz und Methodenkompetenz) entwickelt, das eine ganzheitliche Betrachtung eröffnet und Möglichkeiten zur Gestaltung von Dialog im gesellschaftlichen Kontext entfaltet.

Ich danke Doris Klappenbach-Lentz für ihre Arbeit und hoffe, dass ihr Buch eine breite Leserschaft erreicht und in der Umsetzung in aktive Praxis einen Beitrag zu gesellschaftlich so notwendigen dialogischen wie auch verändernden Prozessen zur Sicherung von Demokratie und Frieden leisten wird.

Angelika Krüger

Direktorin

Institute for Youth and Community Empowerment (IYCE)

Internationale Akademie Berlin für innovative Pädagogik,
Psychologie und Ökonomie (INA) gGmbH 

Einleitung

Facilitation bedeutet, in der Arbeit mit Gruppen Prozesse zu ermöglichen und zu gestalten. Dies kann eine Konfliktklärung oder Konfliktlösung sein. Manchmal geht es um Veränderungen, wenn beispielsweise in einer Organisation mit den Mitarbeitenden ein Change-Prozess zu gestalten ist. Facilitation-Workshops eignen sich auch, um einen gemeinsamen Arbeitsprozess für ein erzieltes Ergebnis umzusetzen, etwa wenn die Mitglieder der Gremien eines Verbandes ein Diversity-Statement für die Verbandwebsite erstellen möchten und es einen geeigneten, begleiteten Rahmen dafür braucht. Ein weiterer möglicher Anlass für Facilitation ist ein Teambildungsprozess, zum Beispiel in einer international zusammengestellten Gruppe, die zu Beginn einer Projektarbeit vor der Herausforderung steht, schnell zu einem arbeitsfähigen Team zusammenzufinden. Im fiktiven Beispiel der Firma „MARKETHING“ (Kapitel 7) geht es darum, nach dem Generationenwechsel als Agentur neu durchzustarten1, wie die Chefin Frau D, die Tochter des Firmengründers, gern betont:

Abbildung 1: Die MARKETHING-Agentur

Was in einem Facilitation-Prozess mit der MARKETHING-Belegschaft zu „ermöglichen“ ist, lässt sich durch ein klares Arbeitsbündnis mit Frau D als Auftraggeberin und beim Einstieg in den Prozess mit allen Beteiligten klären. Das vorliegende Grundlagenbuch gibt einen Überblick und eine Arbeitshilfe für Facilitation als professionelles Prozessbegleitungsformat. Es behandelt aufeinander aufbauend die Fragen: Warum sind Facilitation und Mediative Kompetenz in einem Zusammenhang zu betrachten? Was ist Facilitation? Was macht es als Format professioneller Kommunikation aus? Welche Fähigkeiten und Fertigkeiten brauchen Facilitator:innen? Wie können Prozesse ermöglichend gestaltet werden? Was braucht es, um Veränderung und Teambildung facilitativ zu begleiten? Und wie kann dies in der Praxis exemplarisch aussehen?

Kapitel 1, „Facilitation als Anwendungsfeld für Mediative Kompetenz“, bietet eine Zusammenfassung. Mediative Kommunikation ist ein Ansatz, der Mediationskompetenz als zentral im Umgang mit Diversität2 und Komplexität fokussiert, wie sie für die Arbeit mit Gruppen charakteristisch ist.3 Er erweitert sie um wesentliche, im Verlauf dieses Buchs weiter ausgeführte systemische, dialogische, strukturierende und methodische Kompetenzen. Lesende, die sich bereits mit Mediativer Kommunikation und Facilitation beschäftigt haben, finden hier eine Auffrischung der für dieses Buch wesentlichen Aspekte. Diejenigen, die sich neu mit den Inhalten befassen, erhalten einen grundlegenden Einstieg in den fachlichen Rahmen: eine grundlegende Begriffsklärung und eine knappe Zusammenfassung von Kernkompetenzen, Schlüsselfaktoren sowie von geschichtlichen und fachlichen Anknüpfungspunkten. Im Vordergrund steht die Frage: Inwieweit lässt sich Facilitation durch Mediative Kommunikation und den Einsatz von Mediation in der Gruppe initiieren, fördern, fokussieren, moderieren, mediieren oder evaluieren?

In Kapitel 2 findet sich mit „The A.R.T. of Facilitation“ ein Werkzeug zur Reflexion und Verortung von Facilitation als Format und Profession. Mithilfe des Akronyms A.R.T. werden drei wesentliche Aspekte des Ermöglichens von dialogischen Partizipationsprozessen differenziert, auf die sich dieses Buch konzentriert: die Klärung des Auftrags (A) und das Einrichten passender Rahmenbedingungen (R) für Teilhabe (T) von allen im Dialog.

Kapitel 3 „The Art to be a Facilitator“ stellt ein Kompetenzmodell zur Verfügung, das sich als Tool zur Beauftragung oder Vorbereitung der hier beschriebenen Prozesse heranziehen lässt. Auf Basis des jeweiligen fachlichen Hintergrunds, der Haltung und der Herangehensweise von Facilitator:innen differenziert es in systemische und dialogische Kompetenzen. Zur Umsetzung eines gewünschten dialogischen Prozesses betrachtet es zudem Strukturierungs- und Methodenkompetenz zur situationsgerechten Ermöglichung und Begleitung von Prozessen.

Kapitel 4 ergänzt die bisherigen Ausführungen mit Blick auf das „Arbeitsbündnis als Schlüssel zum Erfolg“. Es resümiert, was Facilitation in Abgrenzung zu anderen Formaten der Prozessbegleitung4 ausmacht und was für Ermöglichende (Beauftragende oder Beauftragte) zur Gestaltung des in Kapitel 2 beschriebenen A.R.T.ifiziellen Rahmens zu berücksichtigen ist.

Kapitel 5 fokussiert „Facilitation-Tools: Werkzeuge des Ermöglichens“ auf den im Kompetenzmodell aufgenommenen vier Ebenen: systemische Tools mit Blick auf das große Ganze und mit Blick auf die Gruppe der Teilnehmenden, dialogische Tools des Moderierens, Mediierens und Multiplizierens zugunsten aktiver Teilhabe aller Beteiligten. Es legt einen Schwerpunkt auf Möglichkeiten sogenannter Liberating Structures („Befreiender Strukturen“) und enthält eine Auswahl bewährter Strukturierungstools. Einige Lesende haben ein solches Vorgehen vielleicht schon erlebt bzw. haben davon gehört oder sie finden sich selbst in einer solchen Tätigkeit wieder. Dies soll es erleichtern, Facilitation als Format im reichhaltigen Angebot professioneller Kommunikation zu verorten. Daran anknüpfend werden einige Methoden und Interventionen insbesondere aus dem Bereich Mediativer Kommunikation ergänzt.

Kapitel 6 und 7 wenden sich mit „Facilitation for Change: Veränderung mediativ ermöglichen und begleiten“ und „Von der Gruppe zum Team – Teambildung und Teamentwicklung als Auftrag für Facilitation“ zwei relevanten Anlässen für Facilitation zu. Merksätze, die nach dem Best-Practice-Prinzip ausgewählt wurden, helfen zu beleuchten, welche Aspekte die Möglichkeiten zum Dialog im System beeinflussen. Mithilfe von Beispielen aus der Praxis wird anhand ausgewählter Strukturmodelle und Interventionen dargestellt, wie sich die in den Kapiteln 1 bis 5 vorgestellten Tools in der Anwendung kombinieren lassen. Die Lesenden sollen angeregt werden, für sich selbst und ihren eigenen Blick auf die Facilitationpraxis zu resümieren: Was? Wozu? Wie? Und was, wenn …?

In Kapitel 8 findet sich ein „Abschluss und Ausblick“, ergänzt durch ein Stichwortverzeichnis zur Vertiefung der Inhalte sowie Ausbildungsinformationen zum Zertifikatsstudium Mediation und Mediative Kommunikation für den Anwendungsbereich Facilitation; außerdem ein Quellenverzeichnis, das Literaturhinweise enthält.

Abschließend einige grundsätzliche Bemerkungen:

Die Fallbeispiele in diesem Buch dienen der exemplarischen Veranschaulichung. Sie sind eine Kombination von bekannten, möglichen, erdachten Situationen und Konstellationen. In anonymisierter Form spiegeln sie Erfahrungen aus der Praxis. Im begrenzten Rahmen dieses Buchs werden Werkzeuge der Reflexion, der Haltung und der Umsetzung unter dem Begriff „Facilitation-Tools“ zusammengefasst. Die Fallbeispiele können ihren Einsatz, ihre Wirkungsweise und Möglichkeiten der Kombination veranschaulichen. In den ausführlicheren Beschreibungen wird vor allem Bezug auf kleinere Gruppen genommen. Für Facilitation mit Großgruppen verweise ich zum einen auf die Literatur zu den in Kapitel 5.3.2 beschriebenen „Klassikern des Sammelns und Versammelns“. Zum anderen enthalten die Endnoten bevorzugt Verweise auf Beispielprozesse mit größeren Gruppen.

Nicht immer gelingt es, englische Wörter so ins Deutsche zu übersetzen, dass das Gemeinte ohne Bedeutungsverlust erhalten bleibt. Dies gilt z. B. für Facilitation oder „Liberating Structures“. Wenn Redewendungen im Englischen passender ausdrücken, was gemeint ist, nutze ich „Denglish“, eine Kombination von Deutsch und English. In Klammern oder in einer Anmerkung findet sich eine annähernde deutsche Übersetzung.

1. Facilitation als Anwendungsfeld für mediative Kompetenz

Das englische Wort „Facilitation“ bedeutet, wortwörtlich übersetzt, im Deutschen „Ermöglichen“. Bei diesem Format professioneller Kommunikation geht es um das ressourcenorientierte Initiieren, Gestalten und Begleiten von Prozessen in Gruppen. Zur Einführung in dieses komplexe Thema wird es im Folgenden zunächst um grundlegende Fragen nach dem „Was?“ und „Wie?“, aber auch nach dem „Mit wem?“, „Wozu?“ und „Wodurch?“ gehen.

Facilitation hat sich in den letzten 15 Jahren als ein Anwendungsrahmen für Kompetenzen5 und Methoden entwickelt, die im Rahmen der Ausbildung und Anwendungspraxis professioneller Kommunikation und Prozessbegleitung wie Mediation, Coaching, Training, Moderation oder Supervision eine Rolle spielen. Obwohl „Facilitation“ schon lange als Begriff in der Prozessbegleitung verwendet wird, findet er erst in den letzten Jahren zunehmend Aufmerksamkeit.6 Es entstehen Bücher, Materialien, Angebote und Fachinitiativen mit dieser Überschrift – vor allem aus dem thematischen Kontext des Design Thinking, agiler Arbeitsweisen und dem von Organisationen7. Das ist passend und nicht verwunderlich, es bildet allerdings nicht die ganze Bandbreite für Facilitation ab. Möglicherweise können sich thematisch Interessierte in den nächsten Jahren über eine bunte Vielfalt an Praxisberichten und Materialien freuen.8 In diesem Buch werden Mediation und Mediative Kommunikation fokussiert, um Gruppenprozesse „ermöglichend“ zu gestalten und zu begleiten.9

Kernkompetenzen zum Ermöglichen und Begleiten von Prozessen

Im Weiteren werden wir noch ausführlich Systemische und Dialogische Kompetenz sowie Strukturierungs- und Methodenkompetenz als Kompetenzbereiche für Facilitation einzeln und in ihrer Zusammengehörigkeit betrachten. An dieser Stelle lässt sich als grundlegend festhalten: Wer Prozesse derart offen und flexibel begleitet, braucht Klarheit in Bezug auf seine Intention, eine Gruppe tatsächlich auf ihrem Weg zu begleiten. Zudem braucht er die entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten, dieses Vorhaben in der Praxis umzusetzen. Bei beidem unterstützt eine professionelle Selbstreflektiertheit in Bezug auf die eigene Rolle: ein ethisches Selbst-Verständnis personenzentrierten Herangehens mit Wertschätzung, Empathie, Authentizität und Transparenz im Sinne des Prozesses, wie es in Kapitel 5.2.2 beschrieben wird.

Mediative Kommunikation fördert dabei den allparteilichen Blick auf die Ichs und das Wir, zum Beispiel im Umgang mit subjektiver Wahrnehmung von Realität oder Unconscious Biases, also mit den im Miteinander beteiligten unbewussten Wahrnehmungsverzerrungen und Voreinstellungen.10 Moderationskompetenzen unterstützten bei der Gestaltung und Strukturierung der Kommunikation in der Gruppe, Visualisierungskompetenzen bei der Gestaltung und Dokumentation des Prozesses und seiner Ergebnisse. Wenn es gelingt, schwierige Situationen „einzufangen“ und sie klar und einfach zu präsentieren, ist es auch möglich, in der Gruppendynamik die Konzentration auf ein Thema beizubehalten. Coachingkompetenzen unterstützen bei der Klärung und Aktualisierung von Zielstellungen, Anliegen und Visionen der Einzelnen und der Gruppe. Und sie unterstützen im ressourcenorientierten Umgang mit umsetzungsförderlichen Motoren wie intrinsischer und extrinsischer Motivation (Kapitel 6.2).

Gruppendynamische Prozesse sind komplex: Vieles passiert auf unterschiedlichen Ebenen in kurzer Zeit. Supervisionskompetenzen ermöglichen hier, die Metaperspektive als eine „dritte Wahrnehmungsposition“11 einzunehmen. Und auch der Einsatz von Metakommunikation12 erweist sich als ein Kompetenzelement, um der Gruppe – in all der Fülle und manchmal auch Unübersichtlichkeit mit der beschriebenen Intention und im Vertrauen auf den Prozess – begleitend begegnen zu können.

Trainingskompetenzen helfen, entwicklungs- und prozessorientierter Arbeit in Gruppen zu gestalten, etwa in Form von Think Tanks13 oder Bootcamps14 zum Ermöglichen von „Befruchtungsmomenten“15 oder von Workshops im Sinne von „Trainings from the back of the room“16.

Ein zentrales Anliegen dieses Buchs ist es, an Vorhandenes anzuknüpfen – sowohl zu diesen Facetten mediativer Kompetenz als auch an das, was zu facilitativer Kompetenz bisher beschrieben ist. Diesem Anliegen entspringt das nachfolgend (Abbildung 13) skizzierte Kompetenzmodell für Facilitation. Es dient als ein zentrales Strukturierungselement in diesem Buch. Im beschriebenen Sinne von Metakommunikation soll es ein Angebot sein, einen Diskurs über das zu führen, was für Facilitation als ein Format professioneller Kommunikation kennzeichnend sein kann und soll.17

Mediative Kompetenz

Mediative Herangehensweisen fokussieren die Vermittlung zwischen18 dem, was da ist: den Menschen, Themen, Wünschen oder Strategien und den dahinterliegenden Bedürfnissen. In der Mediation selbst helfen das ethische Selbstverständnis19, die Grundprinzipien zur Durchführung eines Mediationsverfahrens20 und das Phasenverlaufsmodell (Abbildungen 2 und 51). Mediativ Kommunizierende nutzen eine bewusst eingenommene gleichstellungsorientierte, wertschätzende, allparteiliche, win-win-orientierte Haltung. Zur Gestaltung der Kommunikation ziehen sie eine Kombination aus Methoden heran, die alle Beteiligten darin unterstützt, in einen Dialog zu gehen21. Zum Ermöglichen und Begleiten von Prozessen ist dies immer dann besonders hilfreich, wenn es darum geht, Kooperationsmöglichkeiten oder Lösungen für Konflikt- und Problemstellungen zu finden.

In diesem Buch wähle ich den dialogorientierten Ansatz der Mediativen Kommunikation, um den in Kapitel 2 („The A.R.T. of Facilitation“) ausgeführten professionellen Ansprüchen an die Aufgabe des „Ermöglichens“ zu begegnen: für einen Dialog, der in dem Auftrag (A) stattfindet, die Rahmenbedingungen (R) für Teilhabe (T) von allen im Prozess zu ermöglichen und zu begleiten. Ein Beispiel: Um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern, müssen Organisationen auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen reagieren, und deshalb stehen Veränderungen an. Für Facilitation besteht in dieser Situation ein Auftrag darin, alle zu Beteiligenden in einem Rahmen zu versammeln, in dem man im Dialog von allen mit allen herausfinden kann, was zu berücksichtigen ist, um eine entsprechende Veränderung mit Blick auf Zukunftsfähigkeit, Umsetzbarkeit und Nachhaltigkeit im System und unter aktiver Teilhabe aller Entscheidungs- und Umsetzungstragenden zu ermöglichen.

Es erscheint naheliegend, das Konzept Mediativer Kommunikation22 zur Ermöglichung von Dialog im System heranzuziehen, denn es wurde auf Grundlage der Ergebnisse einer Studie23 entwickelt, in der untersucht wurde, was in Mediation und weiteren Beratungsformaten Ausgebildete in ihrem beruflichen Alltag als hilfreich erachten und anwenden. Zu den genannten Faktoren zählen innere Sicherheit und Handlungsmöglichkeiten, um im jeweiligen Kontext mit Blick auf alle Beteiligten vorgehen zu können. Zielstellung Mediativer Kommunikation war und ist, worauf „facilis“ als lateinische Sprachwurzel von „Facilitation“ in seinen Übersetzungen „leicht“, „einfach“, „mühelos (zu tun, zu erlangen, machbar)“, „geeignet“, „gewandt“, „geschickt“, „geläufig“ oder auch „bereit“24 verweist: Es fasst als Unterstützung für den beruflichen und privaten Alltag zusammen, was hilft und was nötig ist, die als erleichternd und ermöglichend erlebten Elemente aus dem Ausbildungs- und Verfahrenskontext – insbesondere der Mediation – auch losgelöst von spezifischen Rahmenbedingungen nachhaltig und sicher anzuwenden. Zum Umgang mit Diversität, Konflikten und Konfliktpotenzial, mit Widerständen und Herausforderungen im weiten Sinne interkultureller Kommunikation wird eine Offenheit ermöglichende Grundeinstellung fokussiert: die Mediative Haltung als Basis zur Anwendung des vielfältigen Angebots an Leitfäden und Modellen zur Gesprächsgestaltung – wie der Vier-Schritte-Bitte aus der Gewaltfreien Kommunikation oder dem M.O.O.N.-Guide aus dem Harvard-Konzept25. Mediative Kommunikation unterstützt eine flexible, situationsgerechte, personzentrierte Herangehensweise mithilfe eines breit aufgestellten Methodenkoffers zum Ermöglichen, Gestalten und Begleiten eines Prozesses.

Wenn hier im Weiteren von Mediation die Rede ist, dann geht es um Mediation als Methode und nicht als rechtlich geregeltes Verfahren der außergerichtlichen Konfliktlösung. Gemeint ist das in Abbildung 2 skizzierte schrittweise methodische Herangehen in der Konfliktbearbeitung.

Abbildung 2: Mediationsphasenmodell

Dieses Mediationsphasenmodell ist eine für den Kontext dieses Buchs geeignete Variante: Es spiegelt das bewährte Vorgehen in einer Mediation. Dabei lässt es offen, inwieweit Rahmenbedingungen und Qualifikationen der Mediierenden so erfüllt sind, wie es dies zur Durchführung eines Mediationsverfahrens bräuchte. Das abgebildete Phasenmodell wird in Kapitel 5.3.2 als eine Strukturierungshilfe zur Konfliktbearbeitung im Facilitationprozess ausgeführt.26

Schlüsselfaktoren und Anknüpfungspunkte

Schaut man sich die Geschichte professioneller Beratung und Begleitung an, dann lassen sich zwei alltäglich in der Praxis erfahrbare Schlüsselfaktoren des ressourcenorientierten Initiierens, Gestaltens und Begleitens von wirklichen, nachhaltigen, intensiven, erfolg- oder ertragreichen Gruppenprozessen als solche vielfach bestätigen: Als ein Schlüsselfaktor der Ermöglichung zeigt sich der Sichere Rahmen, der in einer Gruppe alle Beteiligten in die Lage versetzt, sich mit Offenheit und Engagement einzubringen. Der zweite Schlüsselfaktor ist die aktive Teil-Nahme: Wenn die Einzelnen zur Mitgestaltung ausdrücklich eingeladen werden und sie den Prozess an sich als sinnvoll betrachten. Aus Gruppenmitgliedern können so Beteiligte, aus Teilnehmenden Teilhabende (Kapitel 2.3) werden.

Mediation, Coaching und weitere Formate professioneller Kommunikation eint, dass insbesondere Fachverbände in ihrer Funktion als „Qualitätssicherungsorgane“ auf ein grundsätzlich non-direktives Herangehen verweisen, wie es der amerikanische Psychologe Carl Rogers27 (1902–1987) einführte. Als Begründer des Personzentrierten Ansatzes setzte Rogers einen neuen Impuls, indem er in seiner therapeutischen Arbeit und der Erziehungsberatung klient:innenzentriert vorging. Er betonte die Entwicklungsförderung auf Augenhöhe und wandte sich damit vom bisherigen eher hierarchischen Verständnis von Therapie ab. Carl Rogers nutzte 1974 bereits den Begriff „Facilitator“ für gute Gesprächsleitende.28 In den 1980er-Jahren entwickelte der amerikanische Personalentwickler und Qualitätsberater Jim Rough seinen Ansatz des „Dynamic Facilitation“. Es ging dabei um das Ermöglichen von „Choice-Creating“, das Entwickeln von ganz neuen Wahlmöglichkeiten in der Gruppenarbeit. Rough sprach dabei von „möglichkeitserzeugenden“ Gesprächen. Die Non-Profit-Organisation „Institute of Cultural Affairs“ (ICA) prägte den Begriff „Facilitator“ 1985 dann als Bezeichnung für eine Profession. 1993 gründeten Marvin Weisbord (Organisationsberater) und Sandra Janoff (Psychologin und Unternehmensberaterin) das „Future Search Network“ (FSN). Es war gedacht als eine Facilitator:innen, Change Initiator:innen und Communities unterstützende Non-Profit Organisation. Seit 1994 gibt es die „International Association of Facilitators” (IAF), die mit Standards (IAF Core Competencies) und einem ethischen Selbstverständnis (IAF Statement of Values and Code of Ethics) ein weltweites Netzwerk bietet.29

Für den Rahmen dieses Buchs lässt sich zu Facilitation-Tools resümieren30:

Wo es professionell um ressourcenorientiertes Initiieren, Gestalten und Begleiten ermöglichender Gruppenprozesse geht, wurde und wird ein Sicherer Rahmen als Basis für Teilnahme und Teilhabe im Prozess betrachtet. In den sich seit den 1980er-Jahren herausbildenden mediativen Herangehensweisen legt man ebenfalls besonderen Wert auf Folgendes: In der Mediation, die in ihren amerikanischen Wurzeln eine Alternative zu gerichtlichen Konfliktlösungsverfahren ist, besteht der erste Schritt hin zu einem konstruktiven Gespräch darin, dass tragfähige Rahmenbedingungen geschaffen werden. Einen solchen Sicheren Rahmen vereinbaren die an der Gesprächsgestaltung Beteiligten, begleitet von den Mediierenden.31 Ein solches Vorgehen begünstigt den Erfolg eines Mediationsverfahrens entscheidend. In der Mediativen Kommunikation lautet die grundsätzliche Frage: Was braucht es, um offen und engagiert in einen Dialog zu gehen? Wenn mediative Kompetenz z. B. im Rahmen eines Facilitation-Prozesses eingesetzt wird, wird im Prinzip genauso verfahren: Die Beteiligten einigen sich auf einen Sicheren Rahmen für den Gesprächsprozess.32

Mediative Kompetenz hilft bei der Umsetzung von Facilitation als Format professioneller Kommunikation und in der Gestaltung von Meetings und Veranstaltungen gleichermaßen. Vor allem wenn es darum geht, den Einzelnen und ihren Anliegen umfassend gerecht zu werden und zudem die Gruppe als Ganzes zu begleiten, hält sie in ihrem Repertoire eine Fülle an Haltungs- und Handlungskompetenzen bereit. Flexibilität ist dabei genauso wichtig wie ein sorgfältig gestaltetes Arbeitsbündnis. Erfahrungen mit Mediativer Kommunikation und Mediation helfen Facilitator:innen, wenn es darum geht, der Gruppe einen angemessen Raum zu lassen und sie Schritt für Schritt in ihrem Prozess zu begleiten. Das Zentrale für Facilitation ist eine Haltung, die ermöglicht, zu ermöglichen: allparteilich, wertschätzend und – „vom inneren Balkon aus“33 – professionell.

In ihrer Tätigkeit mit Gruppen nutzen bislang viele professionell und mediativ Kommunizierende die Überschrift „Facilitation“ eher selten, tun aber genau das, was Facilitation ausmacht: Besprechungen initiieren sowie moderieren und mediieren, wobei sie gezielt diejenigen einbeziehen, die für nachhaltige Entscheidungen und Ergebnisse einbezogen sein müssen. Sie begleiten Workshops, Entwicklungs- oder Veränderungsprozesse und Seminare – und zwar so, wie es jemand tun würde, der sich als „Facilitator:in“ bezeichnet.

Für den Rahmen professioneller Kommunikation gilt: Es gibt einen hohen Anspruch an Klarheit, und gleichzeitig weiß man, dass es – eine notwendige – Unklarheit gibt. Wenn wir künftig Facilitation-Prozesse auch als solche benennen, werden in Mediativer Kommunikation ausgebildete Menschen besser in der Lage sein, ihr Angebot der Prozessbegleitung noch klarer zu kommunizieren. Das folgende Kapitel „The A.R.T. of Facilitation“ beschäftigt sich dazu mit einigen zentralen Fragen: Was macht Facilitation als Format aus? Was unterscheidet es von anderen Formaten professioneller Kommunikation?

2. The A.R.T. of Facilitation

Was kennzeichnet Facilitator:innen? Sie haben die Aufgabe, im Auftrag eines Systems artifizielle Rahmenbedingungen zu schaffen, die allen Beteiligten bzw. allen zu Beteiligenden die aktive Teilhabe ermöglicht.

Circa 150 Mitarbeitende eines Beratungsunternehmens treffen sich in der Aula der benachbarten Universität. Auf einer Leinwand steht, für alle gut lesbar: „Open Space: Zukunft gestalten“. Grundsätzlich wissen alle, wie die Veranstaltung ablaufen wird und um welches Anliegen es geht: Ideen zu sammeln, die der Unternehmensleitung ermöglichen, bei der „Weichenstellung“ für die Zukunft all das zu berücksichtigen, was aus Sicht der Teilnehmenden das Wesentliche, von Interesse und zukunftsrelevant ist.

Aus dem Plenum heraus werden zunächst zentrale Themen gesammelt. Toni Young stellt die Frage: „Wie können wir unser Netzwerk mehr zum Lernen nutzen?“ Arabella Meyer hat den Eindruck, dass sich bei den vielen Lernaufgaben, die durch technische Neuerungen entstehen, eine Lernmüdigkeit breitmacht. Sie formuliert: „Wie wird aus Lernmüdigkeit Lernfreude?“

Diese und weitere Fragen werden für alle gut sichtbar gesammelt und aufgenommen. Man könnte dafür Karten an eine Pinnwand heften oder man kann sie – wie hier – digital auf die Konferenzleinwand projizieren. Je nach Diversität, Fülle und Möglichkeit werden die Fragen im Einverständnis mit den Beteiligten thematisch zu Clustern zusammengefasst und mit Überschriften versehen.

Für den nächsten Schritt werden den einzelnen Fragestellungen oder Überschriften Räume zugeordnet. Der zeitliche Rahmen für die Diskussionsphase wird festgelegt. In der Konferenz „Zukunft gestalten“ gibt es sechs Diskussionsräume. Insgesamt stehen zwei Stunden zur Verfügung, aufgeteilt in vier Zeitfenster: Vereinbart werden vier zwanzigminütige Diskussionsrunden mit anschließender Pause von je zehn Minuten.

Toni Young und Arabella Meyer entscheiden sich, zuerst in den Raum „Wir wollen lernen“ zu gehen. Dort steht ein digitales Whiteboard mit einer Protokollvorlage zur Verfügung. In den folgenden 15 Minuten kommt es zu einem angeregten Austausch über Lernbedarfe und -formen, Problem- und Zielstellungen, empfundene Potenziale, Herausforderungen und Erfahrungen im Umgang damit. Ideen, wesentliche Gedanken und Ergebnisse werden im Protokoll festgehalten. Toni Young erklärt sich bereit, im Raum zu bleiben, um die nächste Diskussionsrunde zu diesem Thema begleiten. Die übrigen Teilnehmenden verlassen den Raum und suchen sich andere Themen aus. Arabella Meyer entscheidet sich für einen Raum, in dem das Thema „Happy About Konfliktpotenzial“ lautet. Dieser Titel entstand vorhin im Plenum. „Mal sehen, was die anderen damit verbinden“, denkt sie sich und nimmt Platz. Neugierig liest sie die Notizen, die aus der letzten Runde auf dem Whiteboard stehen.

Zwei Stunden später kommen alle wieder im Plenum zusammen. Es gibt Kaffee oder Tee, und alle Teilnehmenden bringen viele besprochene Inhalte aus den Räumen mit, aber auch Eindrücke und interessante Begegnungen aus den Pausen. Die Ergebnisse aus den Räumen werden nun mit allen geteilt:

Die einzelnen Gruppen präsentieren sie dem Plenum auf den sechs Whiteboards, die von den Beteiligten der letzten Runden zwischenzeitig aus den Arbeitsräumen in den Konferenzraum gerollt wurden. Sie sind nun galerieartig für alle zum Betrachten angeordnet. Die Konferenzteilnehmenden in unserem Beispiel sind es gewöhnt, selbstverantwortlich Ergebnisse zu betrachten und sich dabei fokussiert das herauszunehmen, was sie brauchen können. Sie nennen das eine „Ressourcengalerie“. In der Konferenz stehen ihnen nun 20 Minuten Zeit zur Verfügung, sich in dieser Galerie zu bewegen. Die Personen, die das letzte Protokoll in den Räumen zusammengefasst haben, stehen neben dem jeweiligen Whiteboard, um Fragen beantworten und Ergänzendes ins Protokoll aufzunehmen.

Nach 20 Minuten gibt es Applaus und Dank für alle bisherigen Beiträge. Die Mittagspause beginnt.

Wie geht es nach der Mittagspause weiter? Das bleibt hier zunächst der Fantasie überlassen, und im weiteren Verlauf des Buchs finden sich Anregungen und Quellen für eine situationsgerechte Prozessgestaltung.

„The A.R.T. of Facilitation“ kann sehr unterschiedlich aussehen. In der Umsetzung braucht es Kreativität und Flexibilität, aber auch die Bereitschaft, bedarfs- und ressourcenorientiert vorzugehen. A.R.T. steht hier als Abkürzung für drei zentrale Aspekte, die für Facilitation situationsgerecht zu konkretisieren sind.

A. steht für die Aufgabe:

Was ist der Auftrag? Was tue ich im Rahmen meines Auftrags und was nicht?

R. bezeichnet die Rahmenbedingungen:

Was trägt dazu bei, dass das zu Ermöglichende möglich wird?

T. meint Teilhabe:

Charakteristisch für Facilitation ist das grundsätzliche Anliegen, aktive Teilhabe von allen zu ermöglichen.
Abbildung 3: The A.R.T. of Facilitation

„Art“ ist zudem das englische Wort für „Kunst“. Auf die viel zitierte Frage: „Kommt Kunst von künstlich oder von können?“ kann man hier, wie in vielen Zusammenhängen, die auf Kreativität, Mediatives und anderes Ermöglichen ausgerichtet sind, mit „beides“ antworten. Das Professionelle, das Können, bezieht sich darauf, einen artifiziellen (im Sinne von geeignet „künstlichen“) Rahmen zu gestalten – in dem Anliegen, Gruppenprozesse zu ermöglichen und zu begleiten. Für ein professionelles Herangehen ist situationsgerecht zu klären: Was ist der Auftrag? Welche Rahmenbedingungen gibt es und braucht es? Wie kann aktive Teilhabe von allen ermöglicht werden?

Den A.R.T.ifiziellen Rahmen passgerecht (Kapitel 5.2.1) einzurichten, ist der erste Schritt zur Ermöglichung eines Gruppenprozesses. Je nach Auftrag ist dies so umzusetzen, dass dieser Rahmen den jeweiligen Bedarfen an Entwicklung und Entfaltung oder Fokussierung und Orientierung angemessen Raum geben kann. Im Fallbeispiel des „Open Space: Zukunftgestalten“ ist dies so umgesetzt: Nach der Begrüßung werden die Rahmenbedingungen der Veranstaltung zunächst auf den Punkt gebracht. Für das dann Folgende gilt daspädagogische Grundprinzip: Die Beteiligten sind dort abzuholen, wo sie stehen. Die Teilnehmenden werden gefragt, was ihre Themen sind. Der erste Schritt ist also eine Exploration. Alles, was kommt, wird dann gebündelt. Wie in Abbildung 4 dargestellt, wird der ‚Trichter‘ also erst ‚auf-‘ und dann wieder ‚zugemacht‘. Sind die Überschriftengefunden und Räumen zusortiert, vollzieht der Prozess diese Bewegung erneut: Die Teilnehmenden ‚schwärmen‘ aus und explorieren unterschiedliche Themen. Dann wird gebündelt und letztlich im Plenum ergebnissichernd auf den Punkt gebracht.

Abbildung 4: Das Trichtermodell34

2.1 Auftrag (A): Aufgabe und Arbeitsbündnis

Ein ermöglichendes und begleitendes Fokussieren eines Prozesses in seiner Entwicklung vollzieht sich auf unterschiedlichen Ebenen: organisatorisch systemisch, inhaltlich, gruppendynamisch und personzentriert. Mit den Begrifflichkeiten der Themenzentrierten Interaktion (TZI) als grundlegendem Ansatz in der Arbeit mit Gruppen ausgedrückt, lässt sich zusammenfassen: Der Auftrag von Facilitator:innen konzentriert sich auf das Ich-Wir-Es im Globe. Der Globe beschreibt das Umfeld, in dem der Prozess zu ermöglichen und zu begleiten ist. Im Beispiel ist dies die Organisation in ihrem gesellschaftlichen und politischen Umfeld. Das Es steht für das Thema: Zukunftgestalten in und mit der Organisation. Das Wir umfasst die Gruppe der am Facilitationprozess Beteiligten. Das Ich meint die Ebene der einzelnen Personen, die miteinander versammelt sind.35

Abbildung 5: Das TZI-Dreieck im Globe

Wer Prozesse initiiert und begleitet, dem hilft in der Regel ein klarer Auftrag, den er vorbereitend, im Verlauf und letztlich in der Evaluation mit allen Beteiligten berücksichtigen, kommunizieren und aktualisieren kann. Das Arbeitsbündnis (Kapitel 4) umfasst sowohl die Klarheit über den konkreten Auftrag, die zwischen Auftraggebenden und Auftragnehmenden herzustellen ist, als auch Vereinbarungen über Arbeitsweisen mit und in der Gruppe. In Vorbereitung der exemplarischen Konferenzdes fiktiven Beratungsunternehmens wurde seitens des Vorstands ein Team bestehend aus zwei Facilitator:innen ausgewählt. Der Auftrag lautete, eine Konferenz mit dem Titel „Zukunftgestalten“ umzusetzen. Alle Mitglieder der Organisation sollten sich eingeladen fühlen. Möglichst alle sollten sich während der Konferenz aktiv und kreativ beteiligen bei der Suche nach wichtigen Zukunftsfaktoren und gangbaren Wegen, diese in der Organisation zu realisieren.

Wie Mediation, Coaching, Training oder Supervision ist auch Facilitation ein professionelles Format der Prozessbegleitung: Mit professioneller Kommunikation, situationsgerecht und in einem sicheren Rahmen begleitet eine Person oder ein Team eine Gruppe dabei, ihren individuellen Prozess umzusetzen. Facilitation kann auch ein Herangehen in der Gestaltung von Meetings und Veranstaltungen bezeichnen, was man beispielsweise in Praxisberichten beschrieben findet, wenn es darum geht, „Zusammenkünfte so zu strukturieren, dass die Teilnehmenden allein auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen zusammenarbeiten“36. Als Zielstellung wird benannt, „Choice-Creating“37 zu ermöglichen: den Raum für „möglichkeitserzeugende Gespräche“ zu schaffen, für „Gespräche, bei denen jeder sehr gut in Kontakt mit sich selbst wie auch mit anderen ist.“38 Überdies geht es um „den Anspruch, operative Geschäftigkeit und Arbeitsdruck zeitweilig zu suspendieren, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen und neue Spielregeln auszuhandeln – und das im Idealfall zeitgleich mit vielen Menschen“.39

Facilitation hat diverse Anlässe und Aufgabenstellungen. Dazu zählen Konfliktlösung, Veränderungs- und Change-Prozesse, Teambildung und Teamentwicklung, auch Projektarbeit oder Selbsterfahrung. Facilitation-Workshops eignen sich dafür, einen gemeinsamen Arbeitsprozess für ein von Auftraggebenden oder in einer Gruppe erzieltes Ergebnis umzusetzen. Beispiel: Die Mitglieder von Verbandsgremien möchten – wie in den letzten Jahren häufiger nachgefragt – ein Diversity Statement für die Verbandswebsite erstellen, und dafür braucht es einen geeigneten, begleiteten Rahmen. Aber z. B. auch Zielfindung, Problemlösung, Visionsentwicklung oder strategische Planung können mithilfe von Facilitationprozessen gefördert werden.

Um professionell nach dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ die Ressourcen und Potenziale aller Gruppenmitglieder in einen Prozess einzubinden, kann man eine Person von außen40 einsetzen oder intern41 jemanden dafür bestimmen. Es soll möglich sein, dass persönliche Ziele und Anliegen der einzelnen Beteiligten eines Systems bzw. der Mitglieder einer Organisation aktiv in das Gesamtsystem eingebracht werden. Hierfür muss die beauftragte Person nicht unbedingt das Arbeitssystem der Gruppe teilen. Ob intern oder extern: Zentral ist bei beiden die Rollenklarheit, insbesondere hinsichtlich der Intention und Aufgabe, zu begleiten statt inhaltlich oder fachlich zu leiten. Zur Klarheit im Umgang mit den Begriffen lässt sich hier festhalten:

Wer führt, leitet. Ein:e Facilitator:in begleitet

Eine Führungskraft, die zugleich Entscheidungen trifft, ist für ein derart begleitendes, allparteiliches Herangehen auf Sach- und Beziehungsebene nicht unbedingt geeignet. Doch da Leitung zumindest anteilig daran geknüpft ist, dass es ein oder mehrere Gegenüber gibt, die sich auch leiten lassen, ist facilitative Kompetenz bei der Umsetzung von Leitung unterstützend. Zudem ist die Aufgabe der Beteiligung der Mitarbeitenden aktuell ein Anspruch an Unternehmen. In den letzten Jahren wurde dieser Anspruch im Zuge der Agilisierung der Arbeitswelt zunehmend wichtiger und stärker diskutiert. Wesentliche damit verknüpfte Fragen sind: Wie funktioniert Zusammenarbeit im Unternehmen auf Augenhöhe? Wie lassen sich partizipative Arbeitsumgebungen gestalten? Wie können Gespräche und Besprechungen angemessen gestaltet werden: in gutem Kontakt miteinander und themen- beziehungsweise arbeitsrelevant?42 Wie kann Netzwerklernen im Unternehmen gelingen und unterstützt werden? Wie kann die Verantwortung für gelingende Arbeitsprozesse von allen geteilt und wahrgenommen werden? Facilitative Leadership / facilitative Führung, umfasst Kompetenzen von Facilitation, Training, Coaching, Moderation und Mediativer Kommunikation. Aber: Wer Führungskraft ist, ist in dieser Rolle ausdrücklich kein:e Facilitator:in.

In den Fallbeispielen in den Kapiteln 6 und 7 geht es um Veränderung und Teamentwicklung und damit um zwei wesentliche Anlässe zum Initiieren und Begleiten von Gruppenprozessen. Veranschaulicht wird, was dabei konkret Auftrag von Facilitation sein kann: mit Blick auf die vier zentralen Kompetenzaspekte System und Dialog, Struktur und Methoden (Kapitel 3). Mit Blick auf das Davor, Dabei und Danach in ihrer Arbeit mit Gruppen fragen sich Facilitator:innen: „Wie lässt sich ermöglichen, dass alle, die für den Prozess relevant sind, auch einbezogen sind?“ Dabei richten sie ihren Fokus auf das System. Wenn sie fragen: „Wodurch wird es möglich, in der Gruppe eine Atmosphäre entstehen zu lassen, die es allen erleichtert, sich aktiv zu beteiligen und sich gesehen zu fühlen?“, fokussieren sie den Dialog. Beides ist grundlegend für das Initiieren eines Prozesses. Facilitation kann den Dialog im System anregen und das System in einen Dialog bringen. Wie in der Abbildung dargestellt, kann sich ein Wirkungskreis entfalten.

Abbildung 6: Wirkungskreis Dialog & System

In der Belegschaft des Beratungsunternehmens beginnt der Dialog über Fragen, Gedanken und Ideen rund um das Thema „Was bedeutet es für uns, die Zukunft zu gestalten?“ bereits mit der Rundmail „Save the Date für eine Konferenz zum Thema Zukunft“. Es kommen folgende Fragen auf: Wieso wurde dieser Titel gewählt? Wer ist alles eingeladen? Was machen wir unter dieser Überschrift auf der Konferenz: Gibt es Vorträge, inhaltliche Beiträge oder Informationen über das, was von uns in Zukunft erwartet wird? Sind wir gefragt oder erhalten wir Antworten? Einige engagierte Mitarbeitende überlegen bereits, welche Ideen sie im Open Space einbringen könnten. Und ein anderer nimmt sich lieber schon einmal Urlaub für diesen Tag. Auch die Initiator:innen der Konferenz haben vorher intensiv diskutiert. Die Einladung an alle ist das Ergebnis ihres Dialogs über die Organisation und das, was es an Dialog in ihr braucht.

Unabhängig davon, um was es im Facilitation inhaltlich geht: Das Thema beeinflusst, wer in der Gruppe sitzt und wie miteinander gesprochen wird. Man kann nicht losgelöst von der Gruppendynamik betrachten, wie die Einzelnen agieren. Und alles, was im Facilitation stattfindet, spiegelt auch immer das größere Ganze, den Zusammenhang, in dem es steht.

Hinsichtlich der Ebenen System und Dialog lässt sich die Frage nach dem Auftrag aus drei Perspektiven betrachten: Geht es darum, einen Dialog im System zu ermöglichen? Oder geht es darum, in einer Gruppe, die ein System im System ist, den Dialog zu fördern und zu begleiten? Oder sieht sich die Gruppe selbst in einer Kommunikationskultur, die dialogorientiert gestaltet werden soll, bzw. sehen Auftraggebende sie so? Jede dieser Auftragsstellungen gibt es in separater Form. Häufiger ist es jedoch so, dass sich die einzelnen Aspekte anteilig in der konkreten Auftragssituation wiederfinden. Es gibt Gruppen, in denen ein Konflikt schwelt, der alle beschäftigt und den Dialog über alles andere blockiert. Dann kann es die Aufgabe von Facilitator:innen sein, einen Konfliktlösungsprozess zu begleiten, der ermöglicht, dass die Kommunikation in der Gruppe (wieder) dialogisch wird. Und es kann sein, dass dies der Ausgangspunkt für das eigentliche Anliegen ist, zu einem konkreten Thema miteinander aktiv in den Austausch zu kommen. Zum Beispiel über eine Leitbildentwicklung oder ein gemeinsames Statement aller Beteiligten zu einer aktuellen Frage. Es kann sein, dass nach einer erfolgreichen Konfliktlösung in einer eigentlich feststehenden Gruppe deutlich wird, dass für ein nachhaltiges Ergebnis noch weitere an der Umsetzung beteiligte Personen einzuladen sind. Zur Konkretisierung des Auftrags im Zusammenhang mit dem Arbeitsbündnis und der Vorbereitung eines Prozesses sind demnach alle drei Perspektiven heranzuziehen. Mediative Kompetenz hilft hier bei der Bedarfs- und Situationsanalyse wie auch im Umgang mit der Gruppe, in der Anregung und Anleitung zum Dialog. Mit Blick auf Aspekte des Auftrags, auf die Aufgabenstellungen und Arbeitsbündnisse ist an dieser Stelle für alle drei benannten Anliegen zu ergänzen:

Das System in einen Dialog bringen

Geht es darum, einen Dialog im System zu ermöglichen? Geht es darum, das Ganze mit Blick auf ein Thema, ein Ziel oder eine Vision in Bewegung zu bringen? Dann besteht der Auftrag darin, das System in einen Dialog zu bringen. Die Mitarbeitenden in der exemplarischen Beratungsorganisation und Vertreter:innen ihrer Kooperationspartner:innen, unter anderem aus Fachverbändenund Politik, sollen Raum bekommen, sich alle miteinander einem Thema zuzuwenden, weil dies im Alltag nicht passiert.

Welcher Prozess ist zu ermöglichen?Was ist gewünscht? Und was ist nicht gewünscht? Warum / warum nicht?Welche Bedarfe, Interessen, welche Werte soll das Gewünschte erfüllen?Wer gehört zum System?Mit wem ist dieser Prozess zu initiieren?Welche Personen sind in den Dialog zu bringen?Wer ist wie zu beteiligen, damit ein allparteilich aktiv gestalteter Dialog ermöglicht wird?
Abbildung 7: Checkliste „Das System in einen Dialog bringen“

Zum Initiieren eines Dialogs im System ermöglichen Facilitator:innen, dass sich aus einem Kontext wesentliche Repräsentant:innen zu einem Anliegen versammeln. Beispiel: Regionale Umsetzung von Klimazielen: Dafür sind Vertreter:innen aus Verwaltung und Politik, der Anwohner:innen sowie der dort ansässigen Institutionen und Organisationen eingeladen, um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. In der Einladungist für alle klar kommuniziert, worum es konkret gehen soll. Für Entscheidungen oder Maßnahmen ist in der Auswahl der Repräsentant:innen sicherzustellen, dass diejenigen zusammenkommen, die die Entscheidungen über Lösungen oder Maßnahmen treffen und tragen.43 Kennzeichnend für eine solchen Auftrag ist, dass die systemische Analyse von Beteiligten und die Auswahl der am Prozess zu Beteiligenden eine Aufgabe der Facilitator:innen sind.

Den Dialog im System fördern

Geht es darum, in einer Gruppe als ein System im System den Dialog zu fördern und zu begleiten? Der Auftrag ist, den Dialog im System zu unterstützen. Beispiel: Unter allen Mitarbeitenden, die mit unterschiedlichen Aspekten von Öffentlichkeitsarbeit in der Organisation befasst sind, soll ermöglicht werden, dass sie gemeinsam eine Wertebasis für öffentliche Statements im Sinne des Ganzen entwickeln.

Welche Rahmenbedingungen braucht es, um einen Dialog in der Gruppe als System im System zu ermöglichen?Welche Rahmenbedingungen braucht es, um einen Dialog in der Gruppe als System im System zu etablieren?Was ist förderlich? Was ist nicht förderlich?Welche Kommunikation, welches Herangehen (welche professionelle Haltung) lädt die einzelnen Teilnehmenden in der Gruppe allparteilich ein, Bedarfe, Interessen, Werte im Sinne eines zirkulären und facilitativen Prozesses im Dialog einzubringen?Was ist möglicherweise erfahrbar über die Kommunikationskultur der Einzelnen, der Gruppe, des Systems?Wie lassen sich Hinweise darauf, dass die Realität des Facilitationprozesses auch ganz anders sein kann als erwartet, in aller Offenheit und zugunsten des Prozesses nutzen?Wie sind die Personen in den Dialog zu bringen?Wie sind sie zu beteiligen, damit ein allparteilich aktiv gestalteter Dialog ermöglicht wird?
Abbildung 8: Checkliste „Den Dialog im System fördern“

Wenn eine Gruppe keine dialogische Kommunikationskultur teilt, kann die Aufgabe von Faciliator:innen darin bestehen, eine solche zu ermöglichen. Finden die Einzelnen in der Gruppe zu keinem Miteinander, ist die Identifikation als ein Wir schwer. Formelle oder informelle Hierarchien können verursachen, dass sich an Gesprächen nur wenige beteiligen – diejenigen, die immer viel und laut reden oder auch diejenigen, die in der Hierarchie weiter oben als andere wahrgenommen werden. Oder Konflikte verhindern einen Dialog mit allen. Für Themen und Prozesse, die alle betreffen und die eine aktive Beteiligung von allen als aussichtsreich erscheinen lassen, ist dies hinderlich für die Entwicklung des Ganzen. Die Aufgabe ist dann, ein Miteinander und eine aktive Beteiligung von allen zu ermöglichen. Möglichkeiten zu Dialogen auf Augenhöhe sind anzuregen oder / und Veränderungsprozesse in der Kommunikationskultur zu initiieren und zu begleiten.

System in den Dialog bringen

Erlebt sich eine Gruppe selbst (oder erleben gegebenenfalls Auftraggebende die Gruppe) in einer Kommunikationskultur, die dialogorientiert gestaltet werden soll, lautet der Auftrag, System in den Dialog zu bringen. Beispiel: Eine Befragung aller Mitarbeitenden hat ergeben, dass der Kontaktuntereinander diverse Wünsche offenlässt. Externe werden damit beauftragt, in einem Dialog mit allen über die Kommunikationskultur in der Organisation Bedarfezu besprechen und sie mit Blick auf die strukturelle und alltägliche Umsetzung zu beantworten.

Was ist möglicherweise erfahrbar über die Kommunikationskultur der Einzelnen, der Gruppe, des Systems?Wie lassen sich Hinweise darauf in aller Offenheit dafür, dass die Realität des Facilitationprozesses auch ganz anders sein kann als erwartet, zugunsten des Prozesses nutzen?Wie sind die Einzelnen zu beteiligen, damit eine allparteilich aktiv gestaltete dialogorientierte Kommunikation ermöglicht wird?Was ist bei allen Beteiligten im Hinblick auf Augenhöhe, Kontakt und Aktivität förderlich und was ist es nicht?Wie und wo sind die Einzelnen möglicherweise emotional und inhaltlich abzuholen, um in einen Dialog mit allen einzusteigen?44Welche Kommunikation, welches Herangehen (welche professionelle Haltung) lädt die einzelnen Teilnehmenden in der Gruppe allparteilich ein, Bedarfe, Interessen, Werte im Sinne eines zirkulären und facilitativen Prozesses im Dialog einzubringen?Welche Rahmenbedingungen braucht es, um einen Dialog von allen mit allen zu ermöglichen und zu etablieren?
Abbildung 9: Checkliste „System in den Dialog bringen“

Wenn die Beteiligten einer Zusammenkunft grüppchenweise in individuellen Dialogen sind, kann eine zentrale Aufgabe darin bestehen, im System den Dialog zu einem bestimmten Thema zu ermöglichen: Einige debattieren beispielsweise über interessante fachliche Themen. Andere reden intensiv auf der Beziehungsebene. Eigentlich sollen in der Zusammenkunft organisatorische Aspekte des Gesamtsystems geklärt werden: Welche Organisationstrukturen brauchen wir? Was müssen wir dafür tun? Der Dialog in der Gruppe geht also komplett am Anliegen und Thema des Treffens vorbei. In einer solchen Situation besteht eine der Aufgaben darin, in der Gruppe zu ermöglichen, dass sich alle aktiv an der Bearbeitung des Themas beteiligen.

2.2 Rahmenbedingungen (R)

Wie bereits erwähnt, sollen die Mitarbeitenden der Beratungsorganisation in unserem Beispiel gemeinsam mit dem Vorstand und mit Kooperationspartner:innen aus Fachverbänden und Politik im Open Space Gelegenheit bekommen, sich alle miteinander zentralen Zukunftsfragen zuzuwenden. Dass dies nötig ist, spiegelte sich zuvor in Kommentaren von Mitarbeitenden, die unter anderem unterschiedliche Perspektiven auf Entwicklungen im Bereich der Onlineberatung hatten. Sie machten ihrem Ärger darüber Luft, dass die Organisation hier nicht die für Angebote professioneller Kommunikation üblichen qualitätssichernde Standards zur Verfügung stelle. Auf Leitungsebene dieser hierarchischen Organisation fühlen sich die Einzelnen mit der Aufgabe überfordert, Entwicklungen und deren Zukunftsfähigkeit fachlich zu beurteilen. Seit Jahren sind die vier Mitglieder mit der Vorstandstätigkeit voll ausgelastet. Natürlich haben sie im Rahmen ihrer Tätigkeit mitbekommen, was die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung sind. Aber mit „realen Klient:innen“ hatten sie schon länger nicht mehr zu tun. Vom Vorstand eines großen Fachverbands (dem es da gerade nicht anders geht) kommt dann die Bitte, einer Studentin für ihre Studie über die „Zukunft der Beratung“ im Interview zur Verfügung zu stehen. Diese Anfrage stößt, bei aller sonst üblichen Offenheit, auf unerwarteten Widerstand in Form eines – nicht ausgesprochenen – Eingeständnisses: „Wir müssen uns erst mal selbst verorten, bevor hier jemand Antworten geben kann.“

Auch wenn ihr deutlich danach ist, scheut sich die Vorstandsvorsitzende der Beratungsorganisation, dem Kollegen des Fachverbands mit einem Nein zu antworten. Sie bittet ihn stattdessen um Geduld, schläft eine Nacht über die Angelegenheit und kommt bei ihrem morgendlichen Teeritual auf die Idee, zwei ihr bekannte Facilitator:innen mit der Gestaltung einer Konferenz zu Zukunftsfragen zu beauftragen. Es war schon länger geplant, eine Konferenz durchzuführen. Als sie mit den anderen Vorständ:innen spricht, stößt die Idee auf Zustimmung. Mit diesem „grünen Licht“ im Hintergrund, schreibt sie dem Kollegen des Fachverbands in einer Mail, wie komplex die „Zukunft der Beratung“ sei und dass sie zwar gerade keine Kapazität für ein Interview findet, aber sowohl die Fachverbandskolleg:innen als auch die Student:in (mit entsprechender Vertraulichkeitserklärung sowie einem Vor- und Nachgespräch mit ihrem Stellvertreter) herzlich zu der Konferenz eingeladen sind.

Im weiteren Dialog über die geplante Konferenz bildet sich im Planungsteam dann heraus, dass es nicht „nur“ um die „Zukunft der Beratung“, sondern um die Zukunft der Beratungsorganisation, mit all ihren Mitgliedern und Themen (inklusive der „Zukunft der Beratung“), gehen soll. Man möchte herausfinden, was mit Blick auf die Zukunft zentrale Fragen aller Beteiligten sind und so ermöglichen, dass sich die Perspektiven von praktisch Tätigen, Leitenden, Multiplikator:innen und anderen im Dialog einbeziehen und verbinden lassen. Das Facilitator:innenteam entwirft letztlich das beschriebene Prozessdesign, um einen Open Space für zentrale Themen, Fragen, Gedanken und Ideen mit Blick auf die Zukunft zu ermöglichen.

Ist zum zu ermöglichenden Dialog im System grundlegend geklärt: Was ist der Auftrag? Wer sind die Beteiligten? Welche Fragen stellen sich? … hat man eine Basis, um sich der zentralen Frage zu widmen: „Wie lässt sich ermöglichen, dass das, worum es im Eigentlichen geht, in der Gruppe ausreichend Raum und einen angemessenen Rahmen bekommt?“ Eine Antwort erfordert die Konzentration auf eine geeignete Struktur. Es gilt, den Beteiligten für ihren Dialog ein Prozessdesign vorzuschlagen, das ihnen einen transparenten und sicheren Rahmen bietet, damit sie sich auf das Eigentliche, das Inhaltliche einlassen und fokussieren können.

Welcher strukturelle Rahmen ermöglicht es, auftragsgerecht zu intervenieren?

Das Prozessdesign ist wie eine Landkarte, die dem Gewünschten eine Struktur gibt45. Wie für eine geplante Reise vereinbaren46 alle Beteiligten zu Beginn eine Art „Rahmenprogramm“. „Alle“ beinhaltet zum einen die Organisator:innen. Zum anderen ist damit auch gemeint, ein entsprechendes Arbeitsbündnis mit und in der Gruppe herzustellen (Kapitel 4), damit zu Beginn des Prozesses ein möglichst umfassendes Einverständnis darüber herrscht, sich auf eben diesen Prozess einzulassen. Alle Teilnehmenden im Fallbeispiel „Zukunftgestalten“ haben mittlerweile nicht nur das „Save the Date“, sondern auch eine Einladungmit konkreten Informationen bekommen. Sie haben gelesen und im kollegialen Austausch besprochen, dass das Zusammenkommen als eine Art Open Space(Kapitel 5.3.2) stattfinden soll. Alle wurden vorab über das wesentliche Anliegen, das Sammeln von Themen und Fragen und die Arbeit in Untergruppen informiert. Zu Beginn der Konferenzwerden Rückmeldungen zur Planung noch einmal erfragt und abgeholt. In der Aula wird zum Auftakt folgendes Bild (Abbildung 10) ins Plenum projiziert. Offene Fragen werden geklärt, der grundlegende Gesprächsrahmen wird vereinbart.

Abbildung 10: Rahmenprogramm der Konferenz

Im Gespräch über das Prozessdesign wirkt dieses wie eine Landkarte für den zurückzulegenden Weg. Es gibt Engen und Weiten, Ballungen und Streuungsräume – so, wie es in der Konferenz in unserem Beispiel streckenweise Plenums- oder Gruppenarbeit gibt. Der Weg auf der Landkarte kann auch Höhen und Tiefen aufweisen sowie zu überquerende Flüsse und Möglichkeiten, Brücken zu bauen oder zu nutzen. Er kann durch warme und kalte Atmosphären führen, mal weich und mal hart beschaffen sein. Bezugsmöglichkeiten gibt es hier viele: ein Land, die Welt, eine Region, ein Wald, ein Gewässer, ein Gebilde in der Luft oder das Weltall. Es können reale und fiktive Welten sein oder eine Kombination aus beiden. Ebenso gibt es zahlreiche Sinnbilder für in Veränderung befindliche Elemente, Konfliktbearbeitung, Teamentwicklung oder andere Aufträge. Auch das in Abbildung 4 skizzierte Vorgehen nach dem Trichtermodell ist eine mögliche Alternative. Man braucht nicht unbedingt eine Karte und einen Bezug zu einem realen oder fiktiven Land. Wichtig ist, dass die „Landkarte“ als Modell eine Richtung vorgeben und bei der Orientierung helfen kann. Für den Anlass Veränderung kann zum Beispiel aus dem in Abbildung 64 skizzierten Veränderungsprozess eine Art Parcour gestaltet werden, in dem sich alle Einzelnen in der Gruppe als System in einem System zur Veränderung beziehungsweise zum Thema sichtbar und spürbar verorten können. Das ermöglicht es allen, von dort aus, wo sie gerade stehen, am Prozess teilzuhaben. Sie können auch ihre Erinnerungen und Visionen einbringen, denn so wird erleichtert, dass jede:r sich im Dialog mit dem Thema in der Gruppe verbinden kann. In Kapitel 5.3.2 wird veranschaulicht, wie mithilfe des Mediationsphasenmodells eine Gruppe unter Beteiligung aller auf Augenhöhe zu einer Konfliktlösung gelangen kann. Diese und weitere zu Beginn eines Prozesses bekannten Strukturmodelle stärken das Vertrauen in den Prozess und das Vertrauen im Prozess. Es hilft, wenn vorab allen transparent ist, dass schwierige Momente oder Verstrickungen sich mit Auflösungen abwechseln und dass dies im Sinne des gewünschten Prozesses ist. Die Einzelnen in der Gruppe interpretieren das, was sie als Prozesslandschaft wahrnehmen, und reagieren darauf. Professionelle Prozessbegleitung bedeutet hier, mit dem Anliegen, dass jedes einzelne Ichs an jedem einzelnen Prozessschritt teilhaben soll, ermöglichend, situationsgerecht und mit Wachheit zu intervenieren. Hier eignen sich ressourcenorientierte, wertschätzungsbasierte, situationsgerechte und mediative Ansätze, wie sie in Kapitel 5.4 beschrieben sind.

Welches Setting schafft einen Rahmen, um auftragsgerecht zu intervenieren?