Mein Herbst voller Küsse, Chaos und Graffiti - Michaela Thewes - E-Book

Mein Herbst voller Küsse, Chaos und Graffiti E-Book

Michaela Thewes

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Stürmische Gefühle - Charly und Noah sind zurück!

Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie aufgeregt ich bin! Sina, eine Freundin von früher, soll für eine Weile bei uns wohnen und in meine Klasse gehen. Das wird bestimmt cool - habe ich gedacht. Aber irgendwie ist diese Sina ganz anders als in meiner Erinnerung. Sie sieht aus wie ein Rockstar und verhält sich total feindselig. Ich weiß, dass sie im Moment ’ne Menge durchmacht, also versuche ich, ihr den Neustart zu erleichtern. Mein Freund Noah hilft mir dabei. Er nimmt sogar mit Sina an einem Graffitiprojekt teil ... und irgendwie verbringen sie super viel Zeit miteinander. Noah versteht nicht, warum ich das echt ätzend finde. Und auf einmal verbreitet auch noch jemand an der Schule fiese Gerüchte über mich. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sina dahintersteckt, die mir Noah ausspannen will - oder?

Nach MEIN SOMMER VOLLER FLIPS & FLOPS steht Protagonistin Charly vor neuen Herausforderungen in Sachen Liebe. Band 2 der Reihe ist unabhängig von Band 1 lesbar.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 374

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Copyright ® 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Textredaktion: Stephanie Röder, Remscheid

Umschlaggestaltung: Kristin Pang

Umschlagmotiv: © Elena Barenbaum/shutterstock.com; hanithework/AdobeStock; smalllike/AdobeStock; LanaSham/AdobeStock; imaginasty/shutterstock.com; Beskova Ekaterina/ shutterstock.com

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-5577-1

one-verlag.de

luebbe.de

Für Ron

Kapitel 1

»Vorbei ist vorbei, da kann man nichts machen.«

Während Noah diesen niederschmetternden Satz, ohne mit der Wimper zu zucken, ausspricht, ist mir zum Heulen zumute. Was stimmt nicht mit ihm? Wie kann er bloß so gleichgültig sein? Fassungslos starre ich ihn an. Sein Mund, der mich in den letzten Wochen unzählige Male geküsst hat, verzieht sich nun sogar zu einem kleinen Lächeln. Ist er denn überhaupt nicht traurig? Ich jedenfalls bin am Boden zerstört, dass die schönste Zeit meines Lebens jetzt schon vorbei sein soll. Dabei hat sie doch – zumindest gefühlt – gerade erst angefangen.

Tapfer kämpfe ich gegen die aufsteigenden Tränen an und versuche, mich zusammenzureißen. Das fehlt jetzt noch: Mitten in der Fußgängerzone im voll besetzten Eiscafé loszuheulen wie ein Baby – geht's vielleicht noch ein bisschen peinlicher?! Aber einen winzigen Moment lang hat es sich tatsächlich so angefühlt, als würde Noah vom Ende unserer Beziehung sprechen. Dabei hat er doch nur das Ende der Sommerferien gemeint. Was allerdings auch schon schlimm genug ist. Heute ist Donnerstag, und am Montag geht die Schule wieder los. Verdammt!

Bedrückt starre ich in meinen Eisbecher. Er ist leer, oder zumindest fast. Ein braunes Bächlein schlängelt sich an meinem Löffel vorbei und sammelt sich in einer kleinen Pfütze. Besser lässt sich die trostlose Situation nicht veranschaulichen. Wirklich ein super Vergleich. Oder ist es eine Metapher? Auf jeden Fall ist es die schreckliche Wahrheit. Ab nächster Woche werde ich auch die olle Rosenstolz, unsere Deutschlehrerin, wieder ertragen müssen. Schon bei dem Gedanken krampft sich alles in mir zusammen.

Ich versuche, den Kloß in meinem Hals mit dem letzten Fitzelchen Schokoeis-Suppe, das ich noch zusammenkratzen kann, runterzuschlucken. Doch das Biest ist hartnäckig und rührt sich nicht von der Stelle.

»Hier kommt Nachschub. Hau rein!« Nele schiebt mir die Reste ihres Früchtebechers über den kleinen Tisch der Eisdiele hinweg zu. Dabei wirft sie mir einen mitleidigen Blick zu.

»Iss mal lieber selbst«, lehne ich diese selbstlose Geste ab. Zum einen liebt meine Freundin Eis mindestens genauso sehr wie ich, zum anderen wird selbst der größte Eisbecher der Welt es heute nicht schaffen, dass ich mich besser fühle. Eher bekommt mein Magen Frostbeulen. »Aber trotzdem danke.«

Am Ende der Ferien bin ich irgendwie immer voll deprimäßig drauf. So schlimm wie dieses Mal war es allerdings noch nie. Sechs herrliche Wochen liegen hinter mir. Sechs Wochen ohne Schule, ohne Pflichten, ohne frühes Aufstehen. Dafür mit ganz viel Spaß, mit jeder Menge Action ... und mit ganz viel Liebe!

Noah und ich sind kurz vor den Sommerferien zusammengekommen. Doch kaum hatten wir zueinandergefunden, mussten wir uns auch schon wieder trennen. Das ist der Stoff, aus dem Dramen gemacht sind, hat mein Vater gescherzt. Was ich ziemlich daneben fand. Aber ganz so tragisch wie bei Romeo und Julia ist es dann zum Glück doch nicht gewesen: Noah ist von seinen Eltern gezwungen worden, nach Dänemark zu fahren, und ich bin von meinen Eltern nach Italien verschleppt worden. Echt grausam, aber niemand ist dabei gestorben. Obwohl ich zwischenzeitlich so meine Zweifel hatte, ob ich die Trennung von Noah tatsächlich überlebe.

Vierzehn Tage ohne ihn – natürlich ist mir vorher klar gewesen, dass das schlimm werden würde, allerdings nicht wie schlimm. Ihn zwei Wochen nicht anfassen und küssen zu können war die absolute Hölle! Gesprochen und gesehen haben wir uns dank unserer Handys natürlich ständig. Trotzdem habe ich mich gefühlt wie ein Goldfisch, der mitten in der Sahara ausgesetzt worden ist. Ich habe Noah so vermisst, dass es wehgetan hat. Und immer, wenn ich den Trennungsschmerz gerade mal für einen winzigen Moment vergessen hatte, dudelte irgendwo ein schmalziges Liebeslied, in dem tausendmal Amore vorgekommen ist. Schon konnte ich wieder nur an drei Dinge denken: Noah, Noah und Noah.

Am liebsten wäre ich rund um die Uhr bei ihm. Dass wir ab Montag die Hälfte des Tages in getrennten Klassenräumen verbringen werden, finde ich darum einfach nur ätzend. Unwillkürlich entfährt mir ein kleiner Seufzer.

»Ach, komm, sei nicht traurig«, reißt Nele mich aus meinen Gedanken. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht, dass die Schule wieder anfängt.«

»Ja, findest du?« Zweifelnd sehe ich meine Freundin an.

»Nein, das war gelogen.« Nele streicht sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und schneidet eine Grimasse. »Aber ich weiß doch, wie sehr dich das Ferienende immer abfuckt. Irgendwas muss ich schließlich sagen, um dich aufzumuntern. Das gehört zu meinem Job als beste Freundin.« Und den macht sie verdammt gut. Auch wenn das mit dem Aufmuntern dieses Mal nicht so ganz klappt. Nele und ich sind seit der ersten Klasse unzertrennlich. Irgendwie weiß sie immer genau, was ich gerade denke oder fühle. Manchmal sogar noch vor mir. Das ist fast schon ein bisschen unheimlich. Sie hat zum Beispiel längst geschnallt, dass ich mich in Noah verliebt habe, als ich selbst noch völlig ahnungslos gewesen bin.

»Es ist wirklich ein Skandal, dass wir nur sechs Wochen Sommerferien haben. Warum nicht acht oder besser noch zehn?«, schimpft Neles Freund Kuki, der zugleich auch Noahs bester Freund ist. »Was denken die sich nur dabei?« Er hat sichtlich Spaß daran, sich aufzuregen, und schlägt mit der Faust so kräftig auf den Tisch, dass die Eisbecher klirrend einen Satz machen. »Da hat man sich gerade mal so richtig eingechillt, und dann ist es auch schon wieder vorbei. Der ganze Biorhythmus ist im Arsch. Plötzlich müssen wir wieder mitten in der Nacht aufstehen. Das kann doch nicht gesund sein.«

»Sich so aufzuregen aber bestimmt auch nicht. Denk an deinen Blutdruck, alter Mann«, zieht Noah seinen Freund auf. Beide sind fünfzehn, aber Kuki ist einen Monat älter als er. »Bald sind doch schon wieder Herbstferien.« Während sein aufmunterndes Lächeln allen gegolten hat, sieht er jetzt nur noch mich an. Die kleinen goldenen Sprenkel in seinen braunen Augen leuchten dabei. Puh, dieser Blick hat es echt in sich. Meine Knie werden ganz weich, und ich schmelze dahin. Wenn er mich weiter so ansieht, ist von mir gleich auch nur noch eine klebrige Pfütze übrig.

Doch bevor es so weit kommt, holt Kuki mich wieder in die harte Realität zurück. »Bald?!?« Er zeigt Noah einen Vogel. »Ey, Digga, bist du vielleicht zufällig in der Garage über eine Zeitmaschine gestolpert? Wir haben gerade mal Ende August. Und die Herbstferien beginnen, soviel ich weiß, irgendwann im Oktober.«

Das stimmt leider. Wie ein defekter Aufzug sackt mein Herz ohne Vorwarnung ein paar Etagen tiefer. Was man mir wohl ansieht, denn Noah legt sofort tröstend seine Hand auf mein Knie. Und schon geht es mir ein kleines bisschen besser. In meinem Bauch breitet sich ein warmes Gefühl aus, mein Herzschlag beschleunigt sich, und die Stelle meines Beins, die Noah zärtlich streichelt, beginnt zu kribbeln. Wahnsinn, was er für eine Wirkung auf mich hat. Es fühlt sich einfach perfekt an. So perfekt, dass ich manchmal Angst habe, aufzuwachen und festzustellen, dass alles nur ein schöner Traum gewesen ist.

Mit Ausnahme des von unseren Eltern angeordneten Zwangsurlaubs sind wir in den Ferien fast ununterbrochen zusammen gewesen. Und ich habe jede Minute davon genossen! Häufig sind auch Nele und Kuki dabei gewesen. Wir sind dann zu viert zum Baggersee gefahren oder haben andere coole Sachen unternommen. Natürlich haben wir auch für den Herbst schon einiges geplant. Zum Beispiel wollen wir endlich mal wieder in einen Freizeitpark gehen, aber das kann mich im Moment nicht trösten.

»Ich wünschte, wir hätten die Sommerferien noch vor uns«, seufze ich und ernte dafür von allen zustimmendes Kopfnicken.

»Es war wirklich eine megatolle Zeit.« Noah grinst so breit, dass ein Eislöffel quer in seinen Mund passen würde.

»Das kannst du aber laut sagen.« Offenbar hat Kuki seine gute Laune wiedergefunden. Auffordernd klatscht er in die Hände. »So, meine lieben Kleinen, dann lasst mal hören«, sagt der Spaßvogel mit verstellter Stimme. »Was war denn euer schönstes Ferienerlebnis?«

Da brauche ich gar nicht lange nachzudenken. »Die Filmnacht im Open-Air-Kino.« Das war unglaublich romantisch! Eng aneinandergekuschelt haben Noah und ich bis spät in die Nacht unter dem Sternenhimmel einen Blockbuster nach dem anderen geschaut. Das ist zumindest die offizielle Version. In Wahrheit habe ich keinen blassen Dunst, ob wir uns Das Dschungelbuch oder Der Exorzist angesehen haben, weil wir fast ununterbrochen rumgeknutscht haben.

»Jep, meins auch«, sagt Noah und zwinkert mir zu.

Nun ist Nele an der Reihe. Nachdenklich kaut sie auf ihrer Unterlippe herum. »Ich glaube, mir hat es im Aqualand am besten gefallen.«

Gute Wahl. In dem Spaßbad haben wir zu viert einen superlustigen Tag verbracht. Kuki hingegen entscheidet sich für den Besuch im Kletterpark, der auf der Rangliste meiner schönsten Ferienerlebnisse weit abgeschlagen zwischen meinem italienischen Magen-Darm-Virus und dem Gewitter am Baggersee rangiert. Ich hab Höhenangst, darum bin ich nur mitgegangen, um den anderen nicht den Spaß zu verderben. Außerdem habe ich – natürlich vom sicheren Boden aus – tolle Fotos gemacht. Vor allem von Kuki gibt es ein paar super Schnappschüsse, auf denen er sich wie ein Affe an einem Tau von Baum zu Baum schwingt.

Offenbar durchlebt er gerade in Gedanken noch mal sein Ferienhighlight. »Ihr dürft mich auch Tarzan nennen«, gestattet er uns gnädig und trommelt sich dabei wie ein Gorilla auf der Brust herum.

Noah verdreht die Augen. »Plätschern lassen, einfach plätschern lassen.« Seit den Ferien unser Standardspruch, wenn jemand einen schlechten Witz macht oder sonst irgendetwas Dämliches von sich gibt. Und was das betrifft, ist Kuki ziemlich schmerzfrei. Die teils belustigten, teils argwöhnischen Blicke von den Nachbartischen lässt er einfach an sich abprallen. Es muss schön sein, wenn einem völlig egal ist, was die anderen von einem denken. Darum beneide ich Kuki, auch wenn er definitiv eine Schraube locker hat. Auf jeden Fall konnte er im Kletterpark seinen Bewegungsdrang richtig schön ausleben. Er braucht immer Action. Auch jetzt zappelt er schon wieder unruhig auf seinem Stuhl herum.

»Wollen wir gleich noch 'ne Runde Minigolf spielen?«, schlägt er vor. Das Eisessen ist abgehakt, nun muss sofort das nächste Event her.

Nachdem ich die Uhrzeit auf meinem Handy gecheckt habe, schüttele ich bedauernd den Kopf. »Sorry, geht leider nicht. Es ist gleich schon sechs. Ich muss heute pünktlich zum Abendessen zu Hause sein. Meine Eltern wollen irgendwas Wichtiges mit meiner Schwester und mir besprechen.«

Noah sieht mich fragend an. »Weißt du, worum es geht?«

»Nein, keinen blassen Schimmer. Obwohl Emma meine Mutter gelöchert hat, wollte sie einfach nicht mit der Sprache rausrücken. Sie hat nur ein paar kryptische Andeutungen gemacht, so von wegen, dass sich in Zukunft einiges bei uns ändern wird und so etwas in der Art.« Mit gerunzelter Stirn krame ich einen zerknitterten Zehneuroschein aus der Hosentasche hervor. »Hoffentlich gibt es keine böse Überraschung.«

»Machst du dir Sorgen?«, will Nele wissen und schiebt sich den letzten Löffel Eis in den Mund.

»Na ja, ein bisschen komisch ist das schon«, gebe ich zu. Den ganzen Nachmittag habe ich den Gedanken an das bevorstehende Gespräch verdrängt, doch nun habe ich wieder dieses merkwürdige Gefühl im Bauch. »Hätten sie nicht wenigstens sagen können, worüber sie mit uns reden wollen? Warum machen sie ein solches Geheimnis daraus?«

In diesem Moment kommt die Bedienung an unseren Tisch, um zu kassieren. Nachdem wir unser Eis bezahlt haben, will Kuki sofort aufspringen, doch Nele hält ihn zurück: »Bevor wir gehen, muss ich unbedingt noch mal auf die Toilette.«

»Ich auch«, schließe ich mich an. Meine Blase quengelt schon eine ganze Weile, und der Heimweg auf dem Fahrrad könnte sonst verdammt unangenehm werden.

»War ja klar.« Kuki verdreht die Augen. »Warum gehen Mädchen eigentlich immer zu zweit aufs Klo? Braucht ihr jemanden zum Schmierestehen? Ihr wisst schon, dass man die Türen abschließen kann, oder?«

»Haha, sehr witzig.« Beim Aufstehen gibt Nele ihrem Freund einen Klaps auf den Oberarm.

Er hat's verdient ... Eigentlich müsste er täglich von früh bis spät Schläge bekommen. Auch wenn er mit seiner Feststellung, dass Mädchen meistens zu zweit aufs Klo gehen, ausnahmsweise recht hat. Aber Kuki kann das nicht verstehen, er ist nun mal ein Junge. Er musste garantiert noch nie stundenlang vor der Toilette Schlange stehen. Wenn man jemanden zum Quatschen dabeihat, ist die Warterei nicht so langweilig. Außerdem ist die Toilette neben Insta & Co. der Hauptumschlagplatz für Informationen. Hier erfährt man, wer mit wem und warum. Wäre ich beim Bundesnachrichtendienst oder bei einem Klatschmagazin angestellt, würde ich mir mein Büro todsicher auf der Damentoilette einrichten. Was in diesem Eiscafé allerdings schwierig werden könnte, denn der Raum ist winzig. Es gibt nur eine einzige Kabine.

Ich lasse Nele den Vortritt, danach bin ich dran. Als ich wieder rauskomme, wartet meine Freundin neben dem Waschbecken auf mich. Der Vorraum ist so eng, dass wir uns gegenseitig fast auf den Füßen stehen.

»Was ist los, Charly?« Während ich mir die Hände wasche, mustert Nele mich prüfend. »Du bist schon den ganzen Nachmittag so komisch. Machst du dir wegen des Gesprächs mit deinen Eltern Gedanken, oder liegt dir der Schulbeginn so im Magen?«

»Ich schätze beides.« Das kalte Wasser, das über meine Hände rieselt, tut gut. Vielleicht sollte ich meinen Kopf auch einfach unter den Wasserhahn halten.

»Die Sache mit deinen Eltern ist bestimmt ganz harmlos«, versucht Nele mich zu beruhigen. »Vielleicht wollen sie Emma und dir irgendwelche Pflichten aufs Auge drücken. Rasenmähen oder was weiß ich. Deine Mutter hat doch gesagt, dass sich einiges ändern wird ...«

Einmal die Woche Rasenmähen finde ich alles andere als harmlos. Aber da mein Vater das eigentlich ganz gerne erledigt, haben meine Schwester und ich in diesem Punkt wohl nichts zu befürchten.

»Und was die Schule betrifft«, fährt Nele, nun gegen den Türrahmen gelehnt, fort, »ich bin auch nicht scharf darauf, mich wieder einsperren und von den Lehrern quälen zu lassen. Aber irgendwie ist es doch auch ganz schön, die ganzen Idioten aus unserer Stufe nach der langen Zeit mal wiederzusehen. Findest du nicht?«

Anstelle einer Antwort zucke ich lustlos mit den Schultern. Natürlich gibt es ein paar Leute in der Schule, auf die ich mich freue. Aber leider auch einige, die ich lieber nicht sehen möchte. Auf eine Person kann ich sogar ganz besonders gut verzichten. »Hoffentlich hat Chiara sich in der Zwischenzeit wieder eingekriegt.« Ich zupfe ein Papierhandtuch aus dem Spender an der Wand und trockne mir damit die Hände ab. »Vor den Ferien hat sie mich wie eine Schwerverbrecherin behandelt.«

»Stimmt. Es war wirklich nicht zu übersehen, dass die Queen nicht gut auf dich zu sprechen ist.«

Und das ist noch stark untertrieben. Ich habe mich kaum getraut, Chiara den Rücken zuzudrehen, aus lauter Angst, ein Messer hineingerammt zu bekommen oder von einem ihrer Giftpfeile getroffen zu werden. Dummerweise ist Queen Chiara das angesagteste Mädchen der Stufe und alle tanzen nach ihrer Pfeife. Dass ausgerechnet sie mich auf dem Kieker hat, verheißt für das kommende Schuljahr nichts Gutes.

»Hast du Noah eigentlich mittlerweile von dem Liebesdeal mit Chiara erzählt?«

»Hm«, murmele ich vage. Ich weiche Neles Blick aus und beschäftige mich eingehend mit meinem Spiegelbild. Waren die zwei Pickel auf meiner Stirn heute Morgen auch schon da? Ich beschließe, die beiden Teufelshörner einfach zu ignorieren, und zupfe stattdessen demonstrativ an meinen dunkelbraunen Haaren herum. Normalerweise funktioniert dieses Ablenkungsmanöver bei Nele immer. Denn während ihre Haare schnurgerade sind, fallen mir meine in weichen Wellen über die Schultern. Aber zu meinem Leidwesen bleibt die Schimpftirade über die Spaghetti auf ihrem Kopf heute aus.

»Hast du ihm von dem Deal erzählt, oder hast du nicht?« Mann, ist die hartnäckig!

»Es hat sich bis jetzt einfach noch nicht die richtige Gelegenheit ergeben. Und soooo wichtig ist es ja nun auch wieder nicht.« Ich knülle das Papierhandtuch zusammen und ziele damit auf den Mülleimer. Doch die Kugel prallt an dem weißen Drahtgestänge ab und landet auf dem Boden. Und das bei der Entfernung! Wenn unser Trainer meinen Wurf gesehen hätte, würde er mich wahrscheinlich hochkant aus dem Team schmeißen.

Nele, die mit mir zusammen Handball spielt, stellt hingegen ihren Kampfgeist unter Beweis. Sie lässt einfach nicht locker. »Wichtig oder nicht – wenn ich Noah wäre, würde ich zumindest davon wissen wollen.«

Bevor aus Noah und mir ein Paar geworden ist, bin ich eine ganze Weile in Luke verknallt gewesen. Luke ist Chiaras Bruder, und als sie herausgefunden hat, dass ich auf ihn stehe, hat sie sich erst mit mir angefreundet und mir dann einen Deal vorgeschlagen: Sie hat versprochen, mich mit Luke zu verkuppeln, und im Gegenzug sollte ich ihr dabei helfen, mit Noah zusammenzukommen. Am Anfang ist auch alles perfekt gelaufen. Aber dann hat mein Herz plötzlich verrücktgespielt, und ich habe gemerkt, dass ich in Wirklichkeit in Noah verliebt bin. Was hätte ich da tun sollen? Gegen seine Gefühle ist man nun mal machtlos, jeder weiß das. Nur Chiara offenbar nicht. Dass ich den Deal hab platzen lassen, wird sie mir nie verzeihen.

»Dabei bin doch eigentlich ich diejenige, die auf sie sauer sein müsste«, überlege ich laut. »Schließlich hat sie zugegeben, dass sie mich sofort fallengelassen hätte, wenn sie mit Noah zusammengekommen wäre.«

Nele nickt zustimmend. Sie hat mich von Anfang an vor Chiara gewarnt. Im Gegensatz zu mir hat sie sofort gecheckt, dass Chiara mich nur benutzt, um an Noah ranzukommen. Das ganze freundschaftliche Getue war nichts als Show, und ich bin darauf reingefallen.

»Sie ist und bleibt halt eine hinterhältige Schlange«, bringt meine Freundin es auf den Punkt. »Du weißt ja, ich hätte sie nicht einfach ungeschoren davonkommen lassen.«

Als ich erfahren habe, dass Chiara sich nur wegen Noah an mich rangeschmissen hat und mich ohne Skrupel abserviert hätte, sobald sie mich nicht mehr gebraucht hätte, war das schon ein herber Schlag. Und ich hätte Chiara ihr räudiges Verhalten verdammt gerne heimgezahlt. Ideen dafür hatte ich reichlich, und Nele hat ebenfalls etliche Vorschläge beigesteuert. Einer davon hatte irgendwas mit dem Kabel von Chiaras Hair Curler zu tun und war wohl auch nicht so ernst gemeint. Aber warum Zeit und Energie verschwenden, wenn das Leben ganz von allein für ausgleichende Gerechtigkeit sorgt?

»Ich habe Noah – und sie nicht«, erkläre ich bestimmt. »Das ist Strafe genug.«

Ich will die ganze Geschichte einfach nur vergessen und hinter mir lassen. Denn ich bin wirklich nicht stolz darauf, dass ich mich von Chiara habe einwickeln lassen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass Noah von meinem Pakt mit der Teufelin ebenfalls nicht besonders begeistert sein wird. Auch wenn sich die Sache letzten Endes von selbst erledigt hat.

»Okay, vielleicht hast du ja recht«, sagt Nele, während sie ihre blonden schulterlangen Haare mit einem Haarband, das sie ums Handgelenk getragen hat, zu einem Dutt zusammenfasst. »Auch wenn ein zusätzlicher Denkzettel der Queen meiner Meinung nach nicht geschadet hätte. Aber das beantwortet noch nicht meine Frage. Erzählst du Noah von eurem Deal?«

»Ich werd's ihm sagen«, verspreche ich. »Ich warte nur noch auf den richtigen Zeitpunkt.«

»Warte lieber nicht zu lange.«

»Apropos warten«, dankbar für dieses Stichwort quetsche ich mich an Nele vorbei und greife nach der Türklinke. »Die Jungs fragen sich bestimmt schon, wo wir so lang bleiben. Außerdem muss ich jetzt wirklich ganz dringend nach Hause.«

Kapitel 2

Nachdem wir uns vor dem Eiscafé von Nele und Kuki verabschiedet haben, machen Noah und ich uns auf den Heimweg. Wie immer bringt er mich noch bis zu unserem Gartentor.

»Fahr vorsichtig«, murmele ich zwischen zwei Küssen. »Und sag Bescheid, wenn du zu Hause angekommen bist.«

»Okay, mache ich«, sagt Noah, während er auf sein Fahrrad steigt und mir zum Abschied noch einmal zuwinkt. Dann überquert er die Straße und springt auf der anderen Seite mit seinem Mountainbike geschickt auf den Bürgersteig. »Gut angekommen!«

Grinsend hebe ich den Daumen.

Als wir noch klein gewesen sind, haben die Zanders das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite gekauft. Seitdem sind Noah und ich supergut befreundet. Abgesehen von meiner Familie und von Nele gibt es niemanden, der mir so nahesteht wie er. Aber nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass wir uns ineinander verlieben. Genau das ist jedoch passiert. Verrückt. Und auch unglaublich schööön!

Für einen Moment sind alle unangenehmen Dinge vergessen. Das ändert sich allerdings schlagartig, als meine kleine Schwester die Haustür aufreißt. Anstelle einer Begrüßung rollt sie nur unheilvoll mit den Augen. An ihrer düsteren Miene erkenne ich, dass sie auf das bevorstehende Gespräch mit unseren Eltern genauso viel Bock hat wie ich.

Wenn ich Emma nicht gerade umbringen will, bin ich eigentlich ganz froh, dass ich kein Einzelkind bin. Auch wenn die kleine Kröte jede Menge Nervpotenzial hat. Während Nele und ich nach den Ferien in die neunte und Noah und Kuki sogar schon in die zehnte Klasse kommen, wird meine Schwester in die sechste gehen. Sie kann es kaum erwarten, in der Hackordnung aufzusteigen und an unserer Schule nicht mehr zu den Kleinsten zu gehören. Die neuen Fünftklässler tun mir jetzt schon leid, denn Emma und ihre Freundinnen werden ihre neue Stellung bestimmt gnadenlos ausnutzen.

Ich folge meiner Schwester ins Wohnzimmer. Mein Vater, der dort in seinem Sessel sitzt, sieht kaum von seiner Zeitschrift auf. Bilde ich mir das nur ein, oder liegt eine ganz merkwürdige, angespannte Stimmung in der Luft?

Meine Mutter verhält sich auf jeden Fall seltsam: Anstatt Emma und mich aufzufordern, den Tisch zu decken, erledigt sie das heute selbst. Dabei läuft sie wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend. Während sie Teller, Besteck und Gläser herbeischafft, tritt sie Costa zweimal fast auf die Pfote. Mit einem vorwurfsvollen Blick verkriecht dieser sich unter dem Tisch. Und da wird er vermutlich auch eine Weile bleiben, denn niemand kann so schön schmollen wie er. Keine Ahnung, ob Dackel im Allgemeinen so nachtragend sind, oder ob Costa ein Sonderfall ist.

Als sich die ganze Familie am Esstisch versammelt hat – Costa darunter und der Rest drum herum –, machen wir uns über die Nudeln her. Nach dem riesigen Eisbecher habe ich eigentlich überhaupt keinen Hunger, aber Spaghetti Bolognese geht immer. Noch dazu, weil es heute die falsche Bolognese Soße gibt. Die richtige Bolognese Soße, für die meine Mutter stundenlang Sellerie, Zwiebeln, Tomaten und Möhren schnippelt, ist auch okay, aber die zum Anrühren aus der Tüte liebe ich. Leider gibt's die bei uns nur ganz selten, etwa wenn die Gemüsehändler streiken oder meine Mutter beide Arme im Gips hat. Welchem besonderen Umstand haben wir die Tütenbolo wohl heute zu verdanken?

Aber offenbar wollen meine Eltern, bevor sie zur Sache kommen, erst noch ein bisschen Small Talk machen.

»Ist Noahs Fahrrad wieder okay?«, fragt Papa, während er geschickt ein paar Spaghetti aufrollt.

Da ich gerade den Mund voll habe, nicke ich einfach nur mit dem Kopf.

»Was war denn kaputt?«, will meine Mutter wissen. Ihr technisches Verständnis ist legendär: Sogar die Kindersicherung einer Hustensaftflasche ist für sie ein unüberwindbares Hindernis. Leider ist das erblich.

»Irgendwas an der Gangschaltung«, erkläre ich darum lapidar, nachdem ich den Bissen runtergeschluckt habe. Langsam bekomme ich es echt mit der Angst zu tun. Wenn meine Mutter sich sogar für Noahs Gangschaltung interessiert, um Zeit zu schinden, muss der Grund für diese Familienzusammenkunft wirklich ernst sein.

»Wolltet ihr nicht etwas mit uns besprechen?«

»Ach ja, richtig.« Mama nippt an ihrem Wasserglas, dann greift sie in Zeitlupe nach ihrem Besteck und beginnt, merkwürdige Dinge mit ihren Spaghetti anzustellen. Eine Nudel aufnehmen, zwei fallenlassen. Probiert sie ein neues Strickmuster aus, oder was soll das werden?

Endlich, als die Spannung kaum noch auszuhalten ist, gibt sie sich einen Ruck und sieht von ihrem Teller auf. »Was würdet ihr beide davon halten, noch eine Schwester zu bekommen?«

Wie bitte?!? Ist Mama etwa schwanger? Meine Gabel, die sich auf halber Höhe zwischen Teller und Mund befindet, verharrt reglos in der Luft. Freeze! Während mein Körper wie erstarrt ist, überschlagen sich meine Gedanken. In meinem Kopf ist das totale Chaos ausgebrochen. Vor ein paar Jahren hätte ich echt gerne noch ein Geschwisterchen bekommen, das stand sogar ganz oben auf meinem Weihnachtswunschzettel. Noch vor dem pinkfarbenen Cabrio für meine Barbiepuppe, das das Christkind allerdings auch nicht gebracht hat. Aber damals bin ich acht oder neun gewesen, jetzt bin ich fast fünfzehn. Man sollte doch annehmen, dass Weihnachtswünsche irgendwann verjähren!

»Ich möchte doch lieber das Barbieauto«, entfährt es mir.

»Wie bitte?«, fragt Papa entgeistert. Emma und meine Eltern starren mich an, als wäre ich plemplem.

»Ach, nicht so wichtig, vergesst es.«

Und schon dreht das Gedankenkarussell sich weiter. Unser Haus ist viel zu klein für drei Kinder! Auch wenn so ein Baby am Anfang echt winzig ist, kann es doch wohl schlecht im Bücherregal oder in der Abstellkammer schlafen. Müssen wir jetzt umziehen? Ich will nicht hier weg, aber mir mit Emma ein Zimmer teilen möchte ich auch nicht. Gleichzeitig schäme ich mich für diese egoistischen Gedanken. Wenn meine Eltern sich noch ein Baby wünschen, ist das ja wohl ganz allein ihre Sache. Natürlich ist Mama auch nicht mehr die Jüngste, doch sie hat sich für ihr Alter ziemlich gut gehalten. Wenn ich sie mit den Müttern meiner Freundinnen vergleiche, wirkt sie noch einigermaßen frisch und jugendlich. Aber auch sie wird schließlich nicht jünger.

»Also? Was haltet ihr davon?«, fragt meine Mutter in die Stille hinein.

Die Frage kommt ja wohl ein bisschen spät. Ich versuche, einen Blick auf ihren Bauch zu erhaschen, der jedoch zum größten Teil von der Tischplatte verdeckt wird. Sollte mir tatsächlich entgangen sein, dass Mama eine kleine Babykugel vor sich herschiebt? Vielleicht ist sie ja auch noch gar nicht schwanger, und sie will einfach nur unsere Meinung dazu wissen. Bevor Costa zu uns gekommen ist, haben wir schließlich auch im Familienrat darüber abgestimmt.

»Ich finde ...«, beginne ich vorsichtig und suche nach den passenden Worten. Schließlich will ich Mama nicht kränken.

Meine Schwester kommt mir zuvor. Feinfühlig und diplomatisch, wie es so ihre Art ist, sagt sie: »Du bist doch viel zu alt für ein Baby.«

Wie ein Fisch auf dem Trocknen schnappt meine Mutter nach Luft, und mein Vater lacht dröhnend. Bestimmt ist Mama jetzt beleidigt.

»Um Gottes willen«, ächzt sie. »Wie kommt ihr bloß auf so eine absurde Idee? Das Thema Familienplanung ist bei uns ein für alle Mal abgeschlossen.«

Erleichtert atme ich auf. Dann geht's meinen Eltern ja wie mir mit den Barbiepuppen. Damit bin ich auch durch.

»Erinnert ihr euch noch an Franziska und Sina?«, will meine Mutter wissen.

»Klar«, antworte ich wie aus der Pistole geschossen.

Hallo?!? Was ist denn das für eine Frage?!

Auch wenn mein letztes Zeugnis etwas anderes vermuten lässt: Mein Gedächtnis funktioniert hervorragend. Franziska ist eine Jugendfreundin meiner Mutter. Den Erzählungen nach waren die beiden früher genauso eng befreundet wie Nele und ich heute. Leider ist Franziska nach ihrer Hochzeit weggezogen, aber sie hat uns im Laufe der Jahre regelmäßig mit ihrer Tochter Sina besucht. Sina und ich sind ungefähr im gleichen Alter. Oft haben wir uns monatelang nicht gesehen, aber dann haben wir uns von der ersten Minute an wieder super verstanden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir zusammen Tierklinik gespielt haben. Dabei wurden alle unsere Kuscheltiere mit Mullbinden und Heftpflastern versorgt. Bloß blöd, dass beim Abreißen der Pflaster das Fell auch dran glauben musste. Die kahlen Stellen, die zurückblieben – unsere Diagnose lautete Lepra – wurden dann bei Sinas nächstem Besuch in unserer Tierklinik erneut verarztet.

»Vor Kurzem ist Franziskas Mutter gestorben«, erzählt Mama. »Von heute auf morgen. Herzinfarkt. Die Nachbarin hat sie morgens tot im Bett gefunden. Sie hatte schon immer ein schwaches Herz, aber ...«

»Sollten wir mal irgendwann im Haus eingeschneit sein, kannst du den Kindern gerne auch noch den Rest der Krankengeschichte erzählen«, unterbricht mein Vater Mama mit sanfter Ironie in der Stimme. »Aber jetzt komm mal lieber zur Sache.«

»Also, was ich eigentlich sagen wollte: Franzi hat das Haus von ihrer Mutter geerbt. Sie hat schon lange mit dem Gedanken gespielt, wieder hierher zurückzuziehen, aber ihr Mann war dagegen. In der Zwischenzeit haben sich die beiden allerdings getrennt und werden sich scheiden lassen. Einem Umzug steht also nichts mehr im Weg.«

»Wie praktisch«, kommentiert Emma Franziskas Scheidungspläne. »Und was haben wir damit zu tun?« Sie häuft sich noch eine Portion Nudeln auf den Teller.

»Franzi hat in ihrer Firma um eine Versetzung gebeten. Daraufhin hat man ihr die Leitung einer Filiale übertragen, die in Kürze hier in der Nähe eröffnet wird. Allerdings wird das wohl noch ein paar Wochen dauern.« Mama stockt kurz, bevor sie weiterspricht: »Und da ein Schulwechsel mitten im Halbjahr ziemlich ungünstig ist, hat Franzi mich gefragt, ob Sina vorrübergehend bei uns wohnen kann.«

Wie cool!

»Das klingt doch super.« Ich versuche meine Begeisterung zu bremsen, denn ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es einen Haken gibt.

»Ihr seid also einverstanden?« Mama sieht uns abwartend an.

Emma hebt zustimmend den Daumen.

»Charly, was ist mit dir?«

»Klar bin ich einverstanden. Ich find's cool, eine Schwester zu bekommen.«

Emma wirft mir über ihren Teller hinweg einen vorwurfsvollen Blick zu. »Nur für den Fall, dass du es vergessen haben solltest: Du hast schon eine Schwester.«

»Meinst du etwa dich? Du bist keine Schwester, sondern eine Nervensäge.«

Emmas Augen blitzen empört auf. Doch bevor wir uns in die Haare geraten können, geht mein Vater dazwischen. »Seid friedlich, ihr zwei. Außerdem ist eure Mutter noch nicht fertig gewesen.«

Hab ich's doch gewusst! Jetzt kommt der Haken ...

»Wie ihr wisst, fehlt uns ja leider ein Gästezimmer. Papa und ich haben hin und her überlegt, wo wir Sina am besten unterbringen. Natürlich könnte sie hier im Wohnzimmer auf dem Sofa schlafen.« Mit gerunzelter Stirn sieht Mama zu unserer großen Couch hinüber, auf der man herrlich rumlümmeln kann. »Das geht mal für ein oder zwei Nächte ganz gut, aber sicher nicht für sechs bis acht Wochen. Am besten wäre es wahrscheinlich, wenn Sina mit in deinem Zimmer schlafen würde, Charly.«

Wenn's weiter nichts ist! Erleichtert schiebe ich mir die Nudeln, die ich bereits zu einem ordentlichen Päckchen zusammengerollt habe, in den Mund und nuschele kauend: »Kein Problem.« Das wird bestimmt mega. Wenn Nele und ich zusammen übernachten, ist das auch immer total witzig. Wir futtern heimlich Süßigkeiten, sehen uns Filme an und quatschen bis tief in die Nacht über die Schule, über Jungs, über die nächste Party oder was sonst gerade so anliegt.

»Und es macht dir wirklich nichts aus, dir mit jemandem dein Zimmer zu teilen? Ich dachte, wo du doch jetzt einen Freund hast ...« Mama lässt den Satz unvollendet in der Luft schweben.

Ich find's nett, dass sie plötzlich so um meine Privatsphäre besorgt ist. Sonst schert sie sich doch auch nicht darum. Wenn Noah und ich allein in meinem Zimmer sind, kommt sie alle paar Minuten rein. Meistens hat sie dann ganz furchtbar dringende Dinge mit mir zu klären, wie beispielsweise ob ich meine Hausaufgaben schon gemacht habe oder was es in der Cafeteria zu Mittag gegeben hat. Zwar klopft sie vorher an, aber das nützt wenig, weil sie schneller ist als der Schall. Meistens steht sie schon mitten im Zimmer, wenn das Klopfen noch gar nicht zu hören ist.

»Die paar Wochen werden wir schon überstehen«, versichere ich zuversichtlich. »Außerdem können wir ja, wenn wir mal allein sein wollen, zu Noah gehen.«

Meine Mutter sieht erleichtert aus. »Toll, dann wäre das also geklärt.«

Einen Moment frage ich mich, wo sie Sina untergebracht hätte, wenn ich nicht einverstanden gewesen wäre. Vielleicht draußen im Schuppen bei den Fahrrädern? Da Sina kein Baby mehr ist, fällt das Bücherregal schon aufgrund ihrer Körpergröße flach.

»Ach, und da ist noch eine Kleinigkeit.«

Alarmiert sehe ich von meinem Teller auf. Noch etwas? Die Salamitaktik kenne ich, man könnte sogar fast sagen, ich habe sie erfunden. Nie mit der ganzen Wahrheit auf einmal rausrücken, sondern lieber scheibchenweise. Und meistens hat es das Ende in sich.

»Sina wird nicht alleine kommen. Sie bringt Madame Tiffy mit.«

Aus Emmas Richtung kommt ein schadenfrohes Kichern.

Madame Tiffy? Wer zum Teufel soll das sein? Ein französisches Au-pair-Mädchen? Vor meinem inneren Auge taucht eine herrische Person mit strengem Dutt, spitzer Nase und verkniffenem Gesichtsausdruck auf.

»Soll die vielleicht auch noch bei mir im Zimmer schlafen? Nicht euer Ernst, oder?« Ich schiebe meinen Teller von mir, irgendwie ist mir gerade der Appetit vergangen. »Außerdem ist Sina aus dem Alter, in dem man ein Kindermädchen braucht, ja wohl raus.«

»Jetzt beruhige dich mal wieder.« Mama legt beschwichtigend die Hand auf meinen Arm. »Madame Tiffy ist Sinas Perserkatze. Und ob sie tatsächlich bei euch im Zimmer schläft, werden wir sehen.«

Nachdem meine Eltern die Katze im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Sack gelassen haben, rufe ich nach dem Abendessen sofort Noah an. Wir telefonieren jeden Tag vor dem Schlafengehen miteinander. Meistens über WhatsApp, wenn die Verbindung schlecht ist, benutzen wir auch mal FaceTime. Hauptsache, wir sehen und hören uns vor dem Einschlafen noch mal. Heute bin ich allerdings ziemlich früh dran, weil ich es einfach nicht erwarten konnte, Noah die tollen Neuigkeiten zu erzählen.

Ich bin total aufgedreht und quassele wie ein Wasserfall. Noah, der während wir telefonieren an seinem Schreibtisch sitzt, hört aufmerksam zu. Hier und da steuert er ein zustimmendes Grunzen oder ein Nicken bei.

»Und stell dir vor, Sina wird sogar in meine Klasse kommen«, berichte ich aufgekratzt. Nach der Ankündigung, dass Sina und ihre Katze bei uns einziehen werden, haben meine Eltern noch einige Details mit uns besprochen. »Ist das nicht cool?«

»Jep«, stimmt Noah mir zu.

Als ich ihm von Madame Tiffy erzähle, lacht er sich halb schlapp. »Also kein Au-pair, sondern eine Katze. Très bien. Vielleicht ist Madame Tiffy ja französischer Abstammung. Wer weiß, ob sie überhaupt Deutsch versteht. Hat Costa denn kein Problem damit, wenn Sina ihre Katze mitbringt?«

»Ja, das mit Costa könnte ein bisschen schwierig werden. Schließlich spricht er kein Französisch«, albere ich herum. »Ich allerdings auch nicht. Aber wir werden uns mit Madame Tiffy schon irgendwie verständigen. Zur Not versuche ich es mit Latein. Ansonsten glaube ich nicht, dass Costa mit Sinas Katze ein Problem hat. Du kennst ihn doch. Er tut keiner Fliege was zuleide.«

»Stimmt, Costa ist wirklich megaentspannt. Wenn Madame Tiffy keine Nike Turnschuhe trägt, werden sie sich bestimmt blendend verstehen.«

Beim Gedanken an den Vorfall, auf den Noah anspielt, muss ich kichern. »Seit wann bist du so nachtragend?«

»Na hör mal, Costa hat die Schnürsenkel von meinen Lieblingsschuhen angeknabbert«, sagt Noah empört.

»Dass das deine Lieblingsschuhe sind, konnte der arme Hund doch nicht wissen.« Aber eigentlich darf man ihm sowieso keinen Vorwurf machen. Costa hat sich gelangweilt, weil wir so mit uns selbst beschäftigt gewesen sind.

»Ich kann ihm ja beim nächsten Mal meine alten Handballschuhe mitbringen. An denen darf er gerne rumknabbern.«

»Bloß nicht!«, quietsche ich entsetzt auf. Schließlich weiß ich, wie grauenvoll Noahs Handballschuhe müffeln.

»Schon verstanden.« Er zieht bedeutungsvoll die Augenbrauen nach oben. »Costa ist ein Snob. Es müssen schon die teuren Nike sein.«

Zufrieden lasse ich mich auf meinem Bett zurücksinken. Ich liebe unsere abendlichen Telefonate. Dabei ist es völlig egal, worüber wir quatschen. Wir könnten uns genauso gut über Käse-Makkaroni oder Klimakleber unterhalten – Hauptsache, ich höre Noahs Stimme. Dass es echte Neuigkeiten gibt, so wie heute, ist eher die Ausnahme.

»Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich auf Sina freue.« Ich bin viel zu aufgekratzt, um still zu liegen. Darum richte ich mich auf und stopfe mir noch ein zusätzliches Kissen in den Rücken. »Morgen räumen wir mein Zimmer um, damit Platz für ein zusätzliches Bett da ist.«

»Freut mich, dass es dir wieder besser geht.« Noahs Stimme klingt so warm und weich wie die Bettdecke, die mich umschlingt und in die ich mich nun noch tiefer reinkuschele. »Ich habe mir heute im Eiscafé schon Sorgen gemacht.«

»Das ist schön«, seufze ich gerührt.

»Du findest es schön, dass ich mir Sorgen mache?«, versteht er mich absichtlich falsch und verzieht gespielt beleidigt den Mund.

»Ich finde es schön, wie lieb du dich um mich kümmerst.« Zum Dank schicke ich ihm einen dicken Schmatzer durchs Telefon. »Glaub mir, es ist alles okay. Du weißt doch, wie depri ich am Ferienende immer bin. Da kommt Sinas Besuch genau richtig. Das wird bestimmt 'ne super Zeit.«

»Ja, bestimmt«, sagt Noah, aber es klingt irgendwie ein bisschen lahm.

»Bist du etwa eifersüchtig?«, necke ich ihn. »Keine Sorge: Ich werde schon noch genug Zeit für dich haben.«

»Das will ich hoffen.« Noah droht mir lachend mit einem Bleistift. »Wann habt ihr euch denn eigentlich zum letzten Mal gesehen?«

Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe herum. Irgendwann ist Sina bei Franziskas Besuchen nicht mehr mitgekommen. Entweder sie war krank, musste für die Schule lernen oder hatte aus irgendeinem anderen Grund keine Zeit. Die letzten Male, als Franziska hier gewesen ist, hat sie gar nicht mehr erwähnt, warum Sina sie nicht begleitet hat.

»Puuh, das muss schon eine Weile her sein«, beantworte ich schließlich Noahs Frage.

»'ne kurze oder 'ne lange Weile?«

Ich versuche angestrengt, mich zu erinnern. »Hm, ich glaube, es ist wohl doch eher eine lange Weile. So zwei bis drei Jahre könnte es schon her sein, dass Sina zum letzten Mal mit hier gewesen ist.« Kichernd frage ich: »Hast du vor, eine Familienchronik über uns zu schreiben, oder warum willst du das so genau wissen?«

Noah zuckt mit den Schultern. »Och, nur so.«

»Du wirst schon sehen: Sina ist einfach meganett und echt lustig«, schwärme ich begeistert. »Ich bin sicher, du wirst sie mögen.«

»Klar. Wenn du sie magst, dann mag ich sie auch. Du weißt doch, deine Freunde sind auch meine Freunde. Apropos Freunde: Wo hat sich denn eigentlich das Krümelmonster versteckt?«

Grinsend schlage ich meine Bettdecke zurück und befreie das Stofftier mit dem zotteligen blauen Fell aus seiner dunklen Höhle. Eigentlich müsste es mir vor meinem Freund peinlich sein, dass ich mit vierzehn noch ein Kuscheltier mit ins Bett nehme. Ist es aber nicht. Noah und ich kennen uns schon ewig, da gibt es keine Geheimnisse. Dass er sich trotzdem in mich verliebt hat, grenzt also fast schon an ein Wunder. Er kennt nicht nur das Krümelmonster, sondern auch alle meine anderen schrägen Macken und Ticks und so ziemlich jedes peinliche Detail aus meiner Vergangenheit. Wenn er nicht selbst mit dabei gewesen ist, habe ich ihm davon erzählt. Hätte ich geahnt, dass aus uns mal ein Paar werden würde, hätte ich mir das wohl zweimal überlegt. Oder zumindest die eine oder andere Geschichte weggelassen. Beispielsweise die, als Lars Peterson mir während einer Schulaufführung einen nassen Schwamm auf den Stuhl gelegt hat. Oder als ich beim Wandern in eine Jauchegrube gefallen bin. Aber auch das hat Noah komischerweise nicht abgeschreckt.

Ich halte das blaue Kuscheltier ein Stück von mir weg und betrachte es eingehend. »Ich finde, das Krümelmonster hat viel Ähnlichkeit mit dir, Noah.«

»Stimmt, ich mag auch Kekse.«

»Und ihr habt fast genau die gleiche Frisur«, ärgere ich ihn übermütig.

Was auch tatsächlich stimmt, denn dank etlicher Wirbel stehen Noahs Haare wild in alle Richtungen ab. Voll praktisch. Er muss morgens nur etwas Gel reinkneten und – zack! – fertig ist der lässige Out-of-Bed-Look. Ich liebe seine Frisur, sie passt einfach perfekt zu ihm. Da ich Noah nicht durch die strubbeligen Haare streichen kann, wuschele ich stattdessen Krümelmonsters Fell ordentlich durch.

»Eins musst du mir versprechen, Charly«, sagt Noah grinsend, »benutz das arme Krümelmonster nie als Voodoo-Puppe, wenn wir mal Streit haben.«

»Du meinst, dass ich ihm glühende Nadeln ins Fell steche, um dir Schmerzen zuzufügen?«

»Ja, so was in der Art.«

Ich hebe feierlich die Hand zum Schwur. »Keine Sorge, das mache ich ganz bestimmt nicht.« Ich kann mir sowieso nicht vorstellen, dass Noah und ich uns jemals streiten werden. Außer vielleicht darüber, wer von uns den anderen mehr lieb hat, und was das betrifft, habe ich eindeutig die Nase vorne. Auch wenn Noah da anderer Meinung ist.

»Schlaf gut und träum was Schönes«, sagt er zärtlich.

»Du auch.«

»Ich leg dann jetzt auf.«

»Nein, leg noch nicht auf«, bettele ich. »Noah?«

»Hm?«

»Ich glaube, ich werde das Krümelmonster doch als Voodoo-Puppe benutzen.«

»Bitte nicht, hab Erbarmen!«

Ich drücke dem Kuscheltier einen dicken Schmatzer auf das blaue Fell und freue mich über den zufriedenen Laut am anderen Ende der Leitung. Na bitte, der Voodoo-Zauber scheint ganz gut zu funktionieren. Wie eigentlich alles im Moment. Glücklich beende ich das Telefonat. Wer hätte gedacht, dass der Tag noch so eine gute Wendung nimmt. Eine Schwester – wie cool!

»Hab dich lieb«, flüstere ich in Krümelmonsters Ohr und drücke es ganz fest an mich.

Kapitel 3

Als Noah Samstagmittag unsere Küche betritt, reißt er entsetzt die Augen auf. Er sieht noch ziemlich verpennt aus ... und wahnsinnig süß! »Was ist denn hier passiert?«, will er nach einem zärtlichen Begrüßungskuss wissen.

»Wonach schaut's denn aus?«, beantworte ich seine Frage mit einer Gegenfrage. Widerstrebend wende ich meinen Blick von ihm ab und betrachte stolz die Berge von Muffins und Cupcakes, die ich gebacken habe.

»Ich tippe auf ein Erdbeben, würde aber auch einen Wirbelsturm nicht komplett ausschließen«, kommentiert Noah grinsend das Chaos, das ich in der Küche angerichtet habe. Und ich habe wirklich ganze Arbeit geleistet. Jede Menge Tupperschüsseln stapeln sich wie ein bunter Spielzeugturm in der Spüle. Und überall stehen Küchenutensilien herum, die ich erst aus den Schränken gerissen und dann allerdings doch nicht gebraucht habe. Wenn man sich die Mühe macht, genau hinzusehen, kann man sogar erkennen, welche Zutaten ich beim Backen verwendet habe. Mit Mehl und Butter bin ich besonders großzügig umgegangen. Die Hälfte ist auf dem Boden und auf der Arbeitsfläche gelandet. Und zur Krönung dieser Sauerei habe ich alles anschließend noch mit einer klebrigen Schicht Zuckerguss überzogen.

»Wenn Sina früher mit ihrer Mutter zu Besuch gekommen ist, hat es auch immer Muffins und Cupcakes gegeben. Ich dachte, es wäre nett, wenn wir einfach da weitermachen, wo wir aufgehört haben.« Ich greife nach einem feuchten Lappen und beginne, die Arbeitsplatte zu säubern. Dann füge ich noch grinsend hinzu: »Mit Ausnahme der Tierklinik natürlich. Das sollten wir wohl lieber sein lassen.«

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Noah sich an ein Backblech mit Zitronenmuffins heranpirscht, das ich neben dem Herd zum Auskühlen abgestellt habe. Als er nach einem der süßen Küchlein greift, gebe ich ihm mit dem Lappen einen Klaps auf die Hand. »Hey, Finger weg, die sind für Sina und ihre Mum.«

»Okay, okay, verstanden. Aber du brauchst doch bestimmt jemanden für die Qualitätskontrolle.«

»Nett, dass du dich opfern willst, aber das habe ich schon selbst erledigt.« Mit Abstand der angenehmste Teil der Vorbereitungen. Gestern haben mein Vater und ich mein Zimmer umgeräumt, um Platz für das Bett zu schaffen, das die Möbelhauskette, bei der Sinas Mutter arbeitet, geliefert hat. Eigentlich hätten wir dafür mal eben alle Wände einreißen müssen, aber das war meinem Vater dann wohl doch ein klitzekleines bisschen zu viel Aufwand. Was ich sogar verstehen kann. Obwohl ich gegen ein größeres Zimmer nun wirklich nichts einzuwenden hätte. Meins ist ungefähr so geräumig wie ein Schuhkarton. Allerdings hat der Platzmangel auch seine Vorteile: Damit wir das Bett für Sina aufstellen konnten, musste mein Schreibtisch aus dem Raum verbannt werden. Er steht nun, in seine Einzelteile zerlegt, im Fahrradschuppen. Wie geil! Die Vorstellung, von nun an keine Hausaufgaben mehr machen zu müssen, gefällt mir. Aber diese Illusion haben mir meine Eltern bedauerlicherweise schnell wieder genommen. Solange Sina bei uns ist, sollen wir unsere Hausaufgaben zusammen am Wohnzimmertisch erledigen. Was ziemlich uncool ist.

Noah, der wohl endlich eingesehen hat, dass er nichts abstauben kann, wechselt das Thema: »Kuki hat vorhin angerufen. Er wollte wissen, ob wir zusammen mit Nele und ihm ins Freibad gehen.« Abwartend sieht er mich an.

»Tolle Idee ...«

»Super.« Noah greift nach seinem Handy und beginnt zu schreiben.

»Halt! Tolle Idee – aber es geht nicht. Sina kommt doch morgen. Es gibt vorher einfach noch viel zu viel zu erledigen.«

Noah sieht überrascht von seinem Handy auf. »Häää? Was musst du denn noch machen? Das Zimmer ist doch fertig. Und verhungern werdet ihr die nächsten paar Wochen garantiert auch nicht.«

»Na ja, zuallererst muss ich das Chaos hier beseitigen, sonst bringt mich meine Mutter um.«

»Ich helfe dir beim Aufräumen«, bietet Noah sofort an und greift nach einer teigverschmierten Rührschüssel. »Zu zweit sind wir schneller. Dann können wir danach schwimmen gehen.« Er wischt mit dem Zeigefinger über den Schüsselrand und schleckt ihn genießerisch ab.

»Das ist total lieb von dir.« Ich winde ihm die Rührschüssel aus der Hand und räume sie in die Spülmaschine. »Aber danach wollte ich ein Willkommensbanner basteln. Außerdem muss ich noch einen Plan machen, wer wann ins Badezimmer darf.«

Noah legt den Kopf schief und mustert mich ungläubig. »Findest du nicht, dass du ein kleines bisschen übertreibst?«