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Als die engagierte Sozialarbeiterin Kristin sieht, wie liebevoll der attraktive Feuerwehrmann Mike Gables mit dem kleinen Waisenjungen Randy umgeht, wird sie schwach. Dabei hatte sie sich so fest vorgenommen, dem charmanten Herzensbrecher mit dem Superego aus dem Weg zu gehen …
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Seitenzahl: 190
IMPRESSUM
Mein Herzensbrecher erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2001 by Charlotte Lobb Originaltitel: „With Valor And Devotion“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARABand 201 - 2003 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Ursula Drucarczyk
Umschlagsmotive: mash3r/GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 02/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733755454
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Flammen schlugen aus dem Fenster und züngelten rötlich zum Dach hinauf, während gleichzeitig dichter Rauch in den Nachthimmel quoll. Scheiben barsten klirrend, und der Geruch von verbranntem Holz erfüllte die kühle Frühsommernacht. Im unkrautüberwucherten Vorgarten des unbewohnt wirkenden Hauses stand ein verblichenes Schild mit der Aufschrift „Zu verkaufen“.
Mike Gables zog den Kinngurt seines Helmes straff, während er von Löschfahrzeug 61 sprang und nach hinten rannte. „Paseo del Real, California“ prangte auf dem schwarz-goldenen Wappen an der Seite des Feuerwehrwagens.
„Hallo, Sie! Feuerwehrmann!“ Eine grauhaarige Frau im Morgenmantel und mit Hausschuhen lief heftig winkend auf Mike und seinen Kollegen Jay zu. „Da drin ist ein kleiner Junge. Im hinteren Schlafzimmer. Oh mein Gott! Ich habe ihn weinen hören. Sie müssen …“
Ein einziger Blick zwischen Mike und Jay genügte, und sie rannten zur Rückseite des Hauses, wo es stockdunkel war. Keine Vorhänge an den Fenstern. Keinerlei Anzeichen, dass das Haus in den letzten Monaten bewohnt war.
Vor dem Haus war inzwischen ein weiterer Polizeiwagen mit heulender Sirene eingetroffen, dessen Blinklicht gespenstisch rote und orange Blitze in die Dunkelheit warf.
„Suzie, wo bist du?“, wimmerte eine Kinderstimme.
„Verdammt, es sind zwei“, fluchte Mike leise.
„Ich kann da drinnen absolut nichts sehen!“, schrie Jay und rüttelte am Fenster.
Mike zog seine schwere Taschenlampe aus dem Gürtel. „Ich schlage das Fenster ein. Geh zurück!“
Mit einem einzigen Schlag zertrümmerte er die Scheibe, griff durch die Glassplitter hinein und entriegelte das Fenster.
„Suzie, komm doch her“, schluchzte das Kind in einem Hustenanfall. „Bitte, Suzie …“
Mike sprang durch das Fenster, und sofort drang beißender Rauch in seine Lungen. Er ging augenblicklich in die Hocke gemäß dem alten Feuerwehrmann-Leitspruch: „Immer unten halten, dann passiert dir nichts“. Kriechend begann er den Raum abzusuchen, wobei der Taschenlampenschein schon nach weniger als dreißig Zentimetern von den dichten Rauchschwaden aufgesogen wurde. Er musste den Kleinen so schnell wie möglich finden.
„Wo bist du, mein Junge? Sag doch etwas, okay?“
„Ich kann Suzie nicht finden.“
Mike folgte dem Klang der kindlichen, ängstlichen Stimme. „Ich finde sie schon. Bleib einfach, wo du bist, und rede weiter.“
Das Kind hustete keuchend.
Zum Glück, denn ohne dieses Geräusch hätte Mike den Jungen womöglich verfehlt und wäre achtlos an dem begehbaren Kleiderschrank vorbeigerobbt. Im Taschenlampenschein erblickte er jetzt einen fünf- oder sechsjährigen Jungen mit weit aufgerissenen braunen Augen, der ganz hinten im Schrank hockte.
„Komm, mein Junge, lass uns hier verschwinden.“ Er griff nach dem Kind, das sich jedoch noch tiefer in den Schrank zurückzog. „Nein. Nicht ohne Suzie.“
„Ich verspreche dir, dass ich Suzie heraushole, aber du musst jetzt tun, was ich dir sage.“
„Nein!“, heulte das Kind auf. „Ich will Suzie.“
Mühsam ermahnte sich Mike zur Geduld. „Wie heißt du, mein Junge?“
„Randy.“
„Prima, Randy. Jetzt hör mir mal gut zu. Ich werde dich jetzt zum Fenster tragen und dann …“
„Nein!“
„Ist Suzie deine Schwester?“ Wenn er in dem dichten Rauch nur etwas sehen könnte.
Der Kleine schüttelte den Kopf. „Nein, sie ist mein Hund und alles, was ich habe.“
Von draußen rief Jay: „Alles in Ordnung?“
Mike biss die Zähne zusammen. „Ja, ja, alles okay.“
Er durfte keine Zeit mehr verlieren. Sowohl das Kind als auch er selbst riskierten womöglich eine lebensgefährliche Rauchvergiftung. Ohne ein weiteres Wort schnappte er sich den Jungen, nahm ihn um die Taille und kroch mit ihm zum Fenster zurück. Der Junge wehrte sich aus Leibeskräften.
„Sind noch andere Menschen im Haus?“, fragte Mike ihn, während er ihn eisern umklammert hielt.
„Nur Suzie, und sie gehört mir.“
Mike reichte den wild um sich schlagenden Randy durch das Fenster an Jay.
„Du musst Suzie retten!“, schrie der Junge, wobei ihm die Tränen über das Gesicht liefen und sein kleines Kinn zitterte. „Du hast es versprochen!“
Mike drehte sich wortlos um und verschwand erneut in den Rauchschwaden. So tief wie möglich robbte er durch den Raum. Kinder gerieten bei Feuer in Panik. Tiere ebenso. Wahrscheinlich hatte sich der Hund irgendwo verkrochen. Aber wo?
Der Rauch hatte sich inzwischen etwas gelichtet, sodass ihm das Atmen nicht mehr ganz so schwer fiel. Er leuchtete mit der Taschenlampe umher und hatte das Glück, Suzie relativ schnell unter einer alten Pritsche zu entdecken. Der Hund rührte sich nicht, als Mike ihn hervorzog.
Mit dem leblosen Hund in den Armen kletterte er aus dem Fenster und lief zur Vorderseite des Hauses.
Randy entdeckte ihn sofort. Verzweifelt stürzte er sich auf Mike. „Ist sie tot?“, schluchzte er.
„Ich weiß es nicht, mein Junge. Ich weiß es wirklich nicht.“ Mike ging mit dem Hund in den Armen unbeirrbar auf den Notarztwagen zu. Randy klammerte sich dabei an sein Bein. „Kannst du mir Sauerstoff geben, Brett?“, fragte Mike den Sanitäter.
„Für den Hund?“
„Der Junge hängt an ihm. Lass es uns versuchen.“
Brett zuckte mit den Schultern. „Wie du meinst.“
Sie knieten sich alle auf den Boden – Randy und Mike, der den Hund hielt, sowie der Sanitäter, der Suzie die Sauerstoffmaske über die Schnauze legte. Tränen liefen dem Jungen über die Wangen, und sogar Mike spürte, dass er feuchte Augen bekam. Er selbst hatte als Kind nie einen Hund haben dürfen, nicht einmal eine schäbige Promenadenmischung. Für einen eigenen Hund hätte er in Randys Alter mit Feuereifer jede ihm aufgetragene Drecksarbeit in einem der Waisenhäuser erledigt, die sein Zuhause gewesen waren.
Suzies Schwanz zuckte.
„Sie lebt!“ Randy umarmte die Hündin so stürmisch, dass sie winselte.
„Vorsichtig“, sagte Mike. „Lass sie erst einmal zu Atem kommen, ehe du sie erdrückst.“
„Rettung geglückt“, konstatierte der Sanitäter und stellte das Sauerstoffgerät ab.
Mike fragte sich inzwischen, wo die Eltern des Jungen waren und warum er in dem Haus ganz allein gewesen war. Obwohl das Feuer zwischenzeitlich gelöscht war, fand sich keine Spur von einem Familienmitglied oder wenigstens einem Babysitter.
„Wir nehmen den Jungen mit“, sagte Brett. „Er muss auf eine eventuelle Rauchvergiftung untersucht werden.“
„Hörst du, Randy? Du darfst im Krankenwagen ins Krankenhaus fahren. Ist doch ziemlich cool, oder?“
„Und Suzie?“
„Um sie wird sich schon jemand kümmern.“
„Versprochen?“
„Versprochen.“ Und weil der Junge ihn noch immer skeptisch ansah, fügte er hinzu: „Ich bin doch auch zurück ins brennende Haus gelaufen und habe nach ihr gesucht, oder?“
Erst jetzt schien Randy überzeugt. Er umarmte seinen Hund noch einmal und barg das Gesicht in seinem Fell. Mike hob den Jungen auf die Füße. „Soll ich den Jungs sagen, dass sie die Sirene während der Fahrt anstellen?“
Randys Miene hellte sich auf. „Kannst du das?“
Mike grinste. „Aber klar doch. Feuerwehrleute können alles.“ Er nahm seinen Helm ab und stülpte ihn über Randys Kopf.
„Hey, Mike“, rief Brett. „Du solltest auch gleich mitkommen und dich durchchecken lassen. Du hast auch ziemlich viel Rauch abbekommen.“
Eigentlich fand Mike das bisschen Rauch nicht der Rede wert, aber im Paseo del Real Kreiskrankenhaus gab es viele hübsche Schwestern, denen er ruhig mal wieder Hallo sagen konnte.
Das Klingeln des Telefons weckte Kristin McCoy genau um zwei Minuten nach eins. Stöhnend rollte sie sich auf die Seite und starrte es an einen Moment lang an. Ein Anruf um diese Uhrzeit bedeutete meist nichts Gutes. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich um einen Notfall, bei dem sie als Sozialpädagogin für Kinder in Not gebraucht wurde.
Wenige Augenblicke später wusste sie, dass sie mit ihrer Vermutung richtig gelegen hatte. Ein Kind war ohne Eltern oder Vormund ins Krankenhaus eingeliefert worden.
Hastig zog sie sich an und band ihr widerspenstiges rotbraunes Haar zu einem Pferdeschwanz. Während sie durch die dunklen stillen Straßen zum Kreiskrankenhaus fuhr, wurde sie unvermittelt von einem bekannten Gefühl der Trauer überflutet. Sie erinnerte sich an eine andere, weit zurückliegende Fahrt zur selben Klinik, als die tödliche Angst ihr fast das Herz zerrissen hätte.
Ihr Baby – erst zwei Monate alt – atmete nicht mehr. Seine glatte Haut fühlte sich eiskalt an, und der winzige Körper lag schlaff in ihren Armen. Wie war das nur möglich? Wenige Stunden zuvor noch war doch bis auf einen kleinen Schnupfen alles in Ordnung gewesen.
Bobby war am plötzlichen Kindstod gestorben, noch ehe er wirklich gelebt hatte.
Ihre Kehle zog sich zusammen, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sechs Jahre lag das jetzt schon zurück, und noch immer trauerte sie. Der Schmerz lauerte ständig im Verborgenen und schlug dann urplötzlich und gnadenlos zu. Zum Beispiel, wenn sie ein Kind in dem Alter sah, in dem Bobby jetzt wäre. Oder wenn sie nachts mit leeren Armen aufwachte.
Kristin zwang sich, an etwas anderes zu denken und sich auf die Straße zu konzentrieren. Sie fand ganz in der Nähe des Klinikeingangs einen Parkplatz für ihr VW-Cabrio und eilte durch die große Halle und die automatischen Türen auf die Pflegestation. Dort traf sie auf Adrian Goodfellow, die diensthabende Nachtschwester.
„Wie ich höre, hast du Arbeit für mich, Addy“, sagte Kristin.
Addy sah von den Karteikarten auf, an denen sie gerade arbeitete, und lächelte überrascht: „Was suchst du denn am Samstag mitten in der Nacht hier? Warum bist du um diese Zeit nicht unterwegs und machst die Stadt unsicher?“
„Aus dem gleichen Grund wie du. Ich arbeite.“ Kristin und Addy waren beide Singles, doch Addy hatte trotz ihrer Zwölf-Stunden-Schichten im Krankenhaus mehr Verabredungen in der Woche als Kristin im ganzen Jahr. Dennoch hatte Kristin keinerlei Neidgefühle, denn sie war sehr vorsichtig und zurückhaltend, seit sie von einem Mann so tief verletzt worden war.
„Wir müssen unbedingt dein Privatleben etwas in Schwung bringen. Es ist einfach nicht normal, dass eine Frau deines Alters …“
„So alt bin ich nun auch wieder nicht“, widersprach Kristin, obwohl sie sich manchmal trotz ihrer vierundzwanzig Jahre steinalt fühlte. „Aber kommen wir mal zur Sache, Addy. Bei euch wurde ein Kind eingeliefert – ohne Eltern, ohne Vormund. Deshalb bin ich hier.“
„Ja, genau.“ Die Krankenschwester nahm eine Karteikarte vom Stapel auf ihrem Schreibtisch. „Er wird dir gefallen: Randy Marshall, ein sechsjähriger Lausbub und schon jetzt ein wahrer Charmeur. Er behauptet, seine Mutter sei tot und er könne sich nicht erinnern, mit wem er zuletzt zusammengelebt habe.“
Kristin nahm die Karteikarte. „Ist er verletzt?“
„Er hat nur eine leichte Rauchvergiftung. Doc Plum will ihn aber zur Beobachtung über Nacht hier behalten.“
„Okay, dann werde ich mir unseren Lausbuben mal ansehen.“
Addy machte eine Handbewegung über ihre Schulter zu der mit einem Vorhang abgeteilten Untersuchungskabine. „Mike Gables ist mit ihm da drin.“
„Ein Verwandter?“, fragte Kristin erstaunt.
„Aber nein.“ Addy verdrehte viel sagend die Augen. „Du solltest wirklich mehr unter die Leute gehen. Mike Gables ist der attraktivste Feuerwehrmann in der ganzen Stadt. Er ist vermutlich mit jeder allein stehenden Krankenschwester aus der Klinik ausgegangen – und keiner weiß, wie viele verheiratete Frauen seinem Charme ebenfalls erlegen sind. Er war es, der den Kleinen aus dem Feuer gerettet hat, und nun musste er selbst untersucht werden.“
Kristin straffte die Schultern, während sie auf den Untersuchungsraum zuging. Ihr würde dieser Prince Charming mit Sicherheit nicht den Verstand rauben. Als sie den Vorhang erreichte, schallte ihr kindliches Gekicher entgegen – gefolgt von einem tiefen männlichen Lachen.
Beim Klang dieser Stimme lief ihr eine Gänsehaut über den Rücken, und sie tadelte sich innerlich dafür.
Zwei dunkelbraune Augenpaare blickten ihr entgegen, als sie den Vorhang zur Seite schob. Ein Lächeln spielte um die Mundwinkel des Feuerwehrmannes, und sie stellte fest, dass seine Lippen in der Tat zum Küssen einluden. Er war in Uniform, und das T-Shirt unter der offenen Jacke lag eng um seinen muskulösen Oberkörper.
Kristin zwang sich, den Blick von ihm abzuwenden und dem Kind zuzulächeln. „Du musst Randy sein. Ich bin Kristin McCoy vom Jugendamt.“
„Hast du Suzie dabei?“
Fragend sah Kristin zu Mike. Und wurde mit einem Tausend-Watt-Lächeln belohnt.
„Er meint seine Hündin. Suzie ist sehr wichtig für Randy. Wir konnten sie auch aus dem Feuer retten.“
Diesmal fiel es ihr noch schwerer, den Blick von ihm abzuwenden.
„Tut mir leid, Randy. Ich wusste nichts von deinem Hund, aber sicher kümmert sich jemand um ihn.“
Der Junge ließ den Kopf hängen. „Suzie vermisst mich bestimmt.“
„Ja, wahrscheinlich“, erwiderte Kristin sanft. Am liebsten hätte sie den Kleinen in die Arme genommen und ganz fest gehalten. Doch für ihre Arbeit als Sozialpädagogin war es überaus wichtig, gefühlsmäßig Distanz zu den Kindern zu wahren, mit denen sie beruflich zu tun hatte. Auch wenn dies ein Kampf war, den sie jeden Tag wieder aufs Neue mit sich führen musste. „Lass uns doch erst mal darüber sprechen, wo deine Familie ist. Dann können wir dich und Suzie wieder zu ihr bringen.“
„Weiß ich nicht“, murmelte der Junge.
„Er sagt, seine Mutter sei tot“, erklärte der Feuerwehrmann. „Ich bin übrigens Mike Gables.“
„Ja, ich weiß.“ Diesmal sah sie ihn nicht an.
„Mein guter Ruf eilt mir voraus?“
„Könnte man so sagen.“
Er lachte leise auf, und Kristin spürte, wie die Mauer ins Schwanken geriet, die sie vor Jahren um ihr Herz aufgebaut hatte, um sich vor Männern wie diesem Mike Gables zu schützen.
„Randy, du wirst mir schon sagen müssen, bei wem du lebst.“
„Weiß ich nicht mehr. Ich habe mich am Kopf gestoßen.“
„Am Kopf …“
„Amnesie“, schlug Mike hilfsbereit vor. „Vermutlich ein schwerer Fall von absichtlichem Gedächtnisverlust. Steht in allen Fachbüchern. Damit ist nicht zu spaßen.“
Der Junge sah hoffnungsvoll auf. „Ja, genau das habe ich.“
Kristin verkniff sich ein Lächeln. „Verstehe. Vielleicht ist unser Patient morgen früh ja wieder geheilt. Ich habe von solchen Fällen spontaner Genesung schon gehört.“ Sie riskierte einen Blick auf Mike, der bedrückt wirkte.
„Kann ich jetzt endlich schlafen? Normalerweise schlafe ich längst um diese Zeit“, quengelte Randy weinerlich.
„Aber ja.“ Sie bückte sich und deckte den Jungen mit einer leichten Decke zu. Er war ungefähr so alt, wie Bobby jetzt auch wäre … „Soll ich bei dir bleiben, bis sie dich auf die Station bringen?“
Randy schüttelte den Kopf.
Mike bedeutete ihr, die Untersuchungskabine mit ihm zu verlassen. Und obwohl sie das Gefühl hatte, besser nirgendwo mit ihm hinzugehen, hielt sie es doch für kindisch, sich zu sträuben.
Also ging sie ihm voraus, und er folgte ihr. Zu dicht, wie sie fand. Außerdem spürte sie seine Blicke im Rücken, und die Wärme seines Körpers schien die Luft um sie herum aufzuheizen. Vielleicht bildete sie sich das alles auch nur ein, aber auf jeden Fall errötete sie bis unter die Haarwurzeln.
Mike lief hinter ihr. Er war fasziniert von ihrem Pferdeschwanz, der wie eine rote Fahne im Rhythmus ihrer Schritte vor ihm her wippte. Eine Frau voller Widersprüche, vermutete er. Aber steckten nicht alle Frauen voller Widersprüche?
Leise lächelte er gedankenverloren vor sich hin und wäre fast in Kristin hineingelaufen, als sie unvermittelt stehen blieb und sich zu ihm umdrehte.
Aus grünen geheimnisvollen Augen sah sie zu ihm auf. „Hat Randy Ihnen irgendetwas über die Leute erzählt, bei denen er lebt?“
„Nein, und ich fürchte, das wird er auch nicht tun.“
„Warum nicht?“
„Das Haus stand schon lange leer. Wahrscheinlich haben irgendwelche Hausbesetzer den Jungen zurückgelassen, als sie ins Kino oder wer weiß wohin gegangen sind.“ Er zuckte die Schultern. „Vielleicht findet ja die Polizei etwas heraus, wenn sie die Nachbarn befragt, aber ich würde nicht darauf wetten.“
„Wenn ich weder seine Familie noch einen verantwortlichen Erwachsenen auftreibe, muss ich ihn in einem Waisenhaus unterbringen.“
„Typisch bürokratisch.“
Überrascht von seinem scharfen Ton sah Kristin auf. „So funktioniert nun einmal unser soziales System. Man kann ein Kind nicht sich selbst überlassen.“
„Obwohl es manchmal besser für das Kind wäre“, murmelte Mike, dem durchaus bewusst war, dass Randy dafür viel zu jung war. „Möglicherweise lebt er ja bereits in diesem so genannten sozialen System. Vielleicht war er bei einer Pflegefamilie untergebracht und will nicht mehr zurück.“
„Unsere Pflegefamilien besetzen normalerweise keine leer stehenden Häuser“, erwiderte Kristin abwehrend. „Sie werden nach äußerst strengen Kriterien ausgewählt.“
„Normalerweise.“
„Könnte er ein Ausreißer sein?“
„Dafür ist er meiner Meinung nach zu jung.“
„Dann stehen wir vor einem Rätsel, oder?“ Kristin sah sich um, als sich die Türen der Ambulanz öffneten und ein älterer Mann auf einer Trage hereingebracht wurde. Addy lächelte ihnen im Vorbeigehen zu und verschwand mit dem Patienten in einem Untersuchungsraum.
Mike blickte ihr lächelnd nach. Er war mit Addy ein paarmal ausgegangen. Öfter traf er sich normalerweise nicht mit einer Frau, damit sie sich keine falschen Hoffnungen machte. Ein fröhlicher Abend, eine Flasche Wein und ein Strauß Blumen – mehr durfte eine Frau von ihm nicht erwarten. Ein Mann wie er, der seine Kindheit und Jugend in zwölf verschiedenen Waisenhäusern verbracht hatte, hatte keine Ahnung von emotionaler Bindung.
„Entschuldigen Sie mich jetzt bitte“, sagte Kristin. „Ich muss gleich die Polizei informieren, damit morgen früh die Nachbarn befragt werden. Vielleicht bekommen wir ja doch wichtige Hinweise.“
„Vielleicht“, antwortete Mike unverbindlich. Er verstand nicht recht, warum Kristin sich auf einmal so abweisend verhielt.
„Sie haben sicher noch etwas anderes zu tun. Ich sehe später nach Randy, ob er gut untergebracht ist.“
Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ die Notaufnahme. Mike starrte auf ihren roten Pferdeschwanz. Sie war zweifellos eine höchst verführerische Frau. Zu dumm, dass sie Sozialpädagogin war.
„Hübsch, nicht wahr?“ Addy ließ eine Patientenkartei auf den Schreibtisch fallen und nahm das Stethoskop vom Hals.
„Ja. Allerdings scheint sie mich nicht besonders zu mögen.“
„Wie? Eine Frau, die deinem Charme widerstehen kann? Ich wette, das passiert nicht oft.“
„Da hast du recht.“ Und irgendwie hatte Mike das Gefühl, dass er durchaus Gefallen daran finden könnte, Kristin umzustimmen.
Mike verbrachte den folgenden Tag auf seinem Boot, das im Motorboothafen von Morro Bay lag. Hier wartete immer genug Arbeit auf ihn – den Motor überholen, das Deck wischen, die Tauchausrüstung überprüfen. Und an einem sonnigen Tag gab es für ihn keinen schöneren Zeitvertreib, zumal immer wieder weibliche Bekanntschaften vorbeikamen, um Hallo zu sagen.
Doch heute verglich er sie im Geiste sonderbarerweise alle mit einer grünäugigen Rothaarigen, der er nur flüchtig in der Notaufnahme begegnet war.
Als er am nächsten Morgen seinen Pick-up hinter der Feuerwache parkte, freute er sich auf die 24-Stunden-Schicht, die vor ihm lag. Die Arbeit würde ihm die verwirrenden Gedanken an Kristin McCoy schon austreiben.
In Uniform und den Rucksack über der Schulter lief er die Stufen zum Aufenthaltsraum im dritten Stock hinauf.
„Aufgepasst, unser Held kommt!“ Praktisch alle Mitglieder der C-Schicht warteten zusammen mit der Mannschaft von Schicht B auf ihn, die eben zu Ende ging.
Mike blieb abrupt stehen. „Was ist denn hier los?“
„Paseo del Real, beziehungsweise die hiesige Presse, hat dich zu ihrem neuen Helden erklärt“, verkündete Logan mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht. „Herzlichen Glückwunsch.“
Die Titelseite, die er hochhielt, zeigte ein Foto von Mike, wie er Randy zum Krankenwagen trug, und darüber die Schlagzeile: „Held rettet Kind aus Flammeninferno.“
„Ach, kommt. Ich habe nichts anderes getan, als …“
„Gleich als ich das Foto sah, wusste ich, dass etwas Wunderbares geschehen würde“, warf Emma Jean Witkowsky ein, die Leiterin der Einsatzzentrale, wobei ihre Ohrringe bedeutungsvoll hin und her schwangen. „Sie wollen einen Fonds für den süßen kleinen Jungen einrichten, damit er später einmal aufs College gehen kann.“
„Man kann sich eben immer auf deine hellseherischen Fähigkeiten verlassen“, frotzelte Mike.
Kämpferisch reckte sie das Kinn: „Das liegt am Zigeunerblut in meinen Adern.“
Logan reichte Mike das Foto. „Ich wette, du hast den Fotografen bestochen, damit du bei der Junggesellenversteigerung diese Woche groß abräumen kannst.“
„Das habe ich gar nicht nötig. Die Frauen sind sowieso verrückt nach mir.“
Das freundschaftliche Geplänkel ging noch eine Weile hin und her, bis die Mannschaft der B-Schicht den Aufenthaltsraum verlassen hatte. Dann brachte Mike seinen Rucksack in sein Zimmer.
Seine Gedanken kreisten noch um die bevorstehende Junggesellenversteigerung. Der Erlös war für einen guten Zweck bestimmt, er ging nämlich an die Station für Brandverletzte der Klinik. Vielleicht sollte er Kristin McCoy einladen und ihr etwas Geld zustecken, damit sie ihn ersteigern konnte? Lieber nicht, denn sonderlich beeindruckt schien sie von ihm ja nicht gewesen zu sein.
Kristin kniete vor Randy, und ihr Herz schmolz vor Mitleid mit ihm. Er hielt die Papiertüte mit Kleidungsstücken an sich gepresst, die sie in der Kleiderkammer für ihn zusammengesucht hatte. Die Polizei hatte das Paar nicht ausfindig machen können, mit dem er nach Aussagen der Nachbarn in dem verlassenen Haus gelebt hatte.
Ohne zu zögern, hätte sie den Jungen mit zu sich nach Hause genommen, wenn die Vorschriften dies nicht strikt untersagen würden. Außerdem konnte sie nicht jedes Kind mit zu sich nehmen, mit dem sie zu tun hatte. Es waren einfach zu viele.
„Du wirst ein paar Tage hier bleiben“, versuchte sie noch einmal zu erklären. „Bud und Alice Gramercy sind prima Pflegeeltern. Es wird dir bestimmt bei ihnen gefallen, außerdem findest du hier jede Menge Spielkameraden.“ In der Familie der Gramercys lebten im Augenblick sechs Kinder.
„Und Suzie? Kann sie auch mitkommen?“
„Ich fürchte nein, mein Schatz. Die Gramercys haben schon zwei Hunde, mit denen du spielen kannst.“
Randy ließ den Kopf noch tiefer hängen. „Suzie ist aber mein Hund.“
„Ich weiß, aber hier ist nicht genug Platz …“
„Wo ist sie eigentlich?“
„Im Tierheim. Es geht ihr sicher gut.“
Randys Kinn begann zu zittern. „Kann ich zu ihr? Bitte. Ich habe ihr doch versprochen, dass ich zu ihr zurückkomme“, schluchzte er, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. „Sie denkt bestimmt, ich habe sie vergessen!“
„Ach Randy …“ Kristin musste das Kind einfach in die Arme nehmen.
Er ließ den Kopf auf ihre Schulter sinken, so süß und hilflos, dass Kristin am liebsten mit ihm geweint hätte. Was waren das bloß für Menschen, die es fertig brachten, ein Kind im Stich zu lassen? Allein mit einem Hund in einem leeren Haus? Wenn sie diese Leute jemals in die Finger bekäme, sie würde …