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Ann muss nicht lange überlegen, um den Vorschlag des attraktiven Ranchers Reed, eine Vernunftehe einzugehen, anzunehmen. Nie zuvor wollte sie einen Mann so sehr - Ann ist überzeugt davon, dass sich bald ihre lustvollen Wünsche erfüllen werden. Soll sie Reed schon in der Hochzeitsnacht verführen?
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Seitenzahl: 200
IMPRESSUM
Keine Zeit für die Leidenschaft? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 1999 by Charlotte Lobb Originaltitel: „Daddy’s Little Cowgirl“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARABand 183 - 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Caroline Collins
Umschlagsmotive: GettyImages_Feverpitched
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733756062
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Reed Drummond trieb seine dreißig Rinder auf der schmalen Landstraße vor sich her. Er hätte dabei gut einen Partner gebrauchen können. Seine einzige Hilfe war ein schmutziger Straßenköter. Er pfiff, und der Hund jagte die Nachzügler zur Herde zurück.
Die gewundene Straße führte mitten durch die tausend Morgen der „Rocking D Ranch“, die malerisch an der Küste Kaliforniens lag – nicht weit von San Simeon entfernt.
Reed hatte in seinen siebenundzwanzig Jahren schon viel erlebt. Er war rastlos durch mehrere Staaten gezogen und hatte sich mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, meistens als Viehhüter. Vor einem Monat war er nach Hause zurückgekehrt, aber heimisch fühlte er sich auf der Ranch noch lange nicht.
Er griff in seine Hosentasche, um in alter Gewohnheit die Zigaretten herauszuholen, doch stattdessen hatte er ein Kruzifix in der Hand. Unwillkürlich lächelte er.
Wer hätte ihn sich schon als Vater vorgestellt? Es war allerdings nicht sein eigenes Kind, um das er sich kümmerte, sondern ein süßes Baby von einem jungen Paar, für das er so etwas wie der große Bruder gewesen war.
Bevor er Betsy und Tommy kennen gelernt hatte, war er ein Einzelgänger gewesen, der ruhelos umherzog. Wahrscheinlich hatten sie sich so zu ihm hingezogen gefühlt, weil sie selbst rastlos gewesen waren.
Die beiden Kids waren wegen Betsys Schwangerschaft so aufgeregt gewesen. Und zu jung, um es besser zu wissen.
Dann war der Unfall passiert … Tommy saß am Steuer ihrer alten Blechkiste, mit Betsy auf dem Beifahrersitz. Reed fuhr eine halbe Meile hinter ihnen in seinem Pick-up, alle auf dem Weg nach Fort Worth und zum nächsten Job. Betsy starb im Krankenhaus, Tommy noch an der Unfallstelle. Ihr letzter Wunsch war, dass Reed die kleine Betina adoptierte.
Reed steckte das Kruzifix wieder ein. Er hatte niemals die Verantwortung für ein Kind übernehmen wollen, und es gab Tausende von Männern, die als Vater besser geeignet wären. Aber Betsy hatte ihn ausgewählt und kurz darauf ihren letzten Atemzug getan.
Also hatte er sich das Rauchen abgewöhnt, eine Haushälterin gesucht und Betina mit nach Hause genommen. Seit über zwölf Jahren war die heruntergewirtschaftete Viehranch seines trunksüchtigen Vaters kein Zuhause mehr für ihn gewesen. Aber er konnte Betina nicht auf der Landstraße großziehen, das war kein Leben für ein Kind.
Nachdem die Leber seines alten Herrn schließlich vor zwei Jahren aufgegeben hatte und er gestorben war, gehörte Reed die Ranch. Betina brauchte ein Heim. Reed würde auf jeden Fall dafür sorgen, dass sie eins bekam. Schließlich hatte er Betsy sein Wort gegeben, und er hielt seine Versprechen.
„Nun mach schon“, drängte er den Leitochsen. „Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.“
Je länger die Tiere auf der Landstraße herumtrabten, desto größer wurde die Gefahr, dass irgendein Tourist mit überhöhter Geschwindigkeit vorbeiraste, die Tiere erschreckte und eine Stampede provozierte.
An der Straße zur Weide, auf die Reed seine Herde führen wollte, lag eine Schule. Niemand war je auf die Idee gekommen, das Stück Land einzuzäunen, schon gar nicht sein Vater, der häufiger betrunken als nüchtern gewesen war.
Reed dachte an Betina – die er Bets nannte – und lächelte. Eines Tages würde sie diese Schule auch besuchen. Er lachte. Dann würde er an Elternabenden teilnehmen müssen! Da würden die Mütter in der Stadt aber Augen machen!
Die Feuersirene schrillte. Es gab Probealarm in der Schule.
Ann Forrester presste die Zähne zusammen. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Als wenn die Woche nicht kurz genug gewesen wäre, sorgte der Schuldirektor nun für eine weitere Ablenkung für die Schüler. Wie sollte sie dabei ihren Lehrplan einhalten?
„Okay, Leute. Gebt mir eure Testbögen und geht in Zweierreihen auf den Footballplatz.“
„Ich bin aber noch nicht fertig, Miss Forrester“, beschwerte sich Rosetta, eine gewissenhafte Schülerin.
„Schon gut. Wir machen morgen damit weiter.“
„Ich habe morgen einen Zahnarzttermin“, sagte Jason grinsend und reichte ihr ein zerknittertes Stück Papier, das er wohl, so wie sie ihn kannte, die ganze Zeit in seiner Tasche gehabt hatte.
„Dann wirst du den Test wohl heute nach der Schule fertig schreiben müssen.“
Sein Grinsen verblasste. „Hey, das geht nicht. Sie können mich doch nicht nachsitzen lassen, bloß weil so ein blöder …“
„Raus aufs Footballfeld, Jason“, unterbrach sie ihn. Frustriert strich sie sich die langen Haare aus dem Gesicht.
Die pubertierenden Schüler waren immer am einfallsreichsten, wenn es darum ging, sich vor der Arbeit zu drücken. Besonders Jason. Er war ziemlich begabt, machte aber bisher nichts aus seinen Fähigkeiten. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass er ein Pflegekind war und aus einer kaputten Familie stammte, in der man ihn misshandelt und vernachlässigt hatte.
Am meisten litt Ann in ihrem Beruf darunter, dass es Kinder gab, die von vornherein chancenlos waren. Besonders gingen ihr die „bösen Jungs“ zu Herzen. Doch ihre Anstrengungen, sie zu „retten“, waren meist fruchtlos. Trotzdem versuchte sie es immer wieder.
Die Schüler drängelten sich auf dem Footballplatz, während die Lehrer versuchten, sie zusammenzuhalten. Plötzlich begann die Erde zu zittern. Was haben meine Jungen jetzt wieder ausgeheckt? war Anns erster Gedanke. Oder war es ein Erdbeben?
Sie blickte sich um und riss erschrocken die Augen auf. Eine Staubwolke wirbelte auf den Footballplatz zu, wo die Schüler ungeschützt standen.
„Stampede!“, schrie sie. „Lauft!“
Ohne lange nachzudenken, riss Ann sich ihren Pullover vom Leib und wedelte damit wild hin und her, um die Leittiere von ihren Schülern wegzulenken.
„Haut ab!“, rief sie. „Ihr habt hier nichts zu suchen!“
Der Staub wirbelte ihr in die Nase, und das Donnern der Hufe kam näher, als die Tiere eine andere Richtung einschlugen, weg von den Schülern – und genau auf Ann zu!
„Nein!“, kreischte sie.
Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich Pferd und Reiter auf. Im fliegenden Galopp hob sie der Cowboy vom Boden und vor sich auf den Sattel. Sie spürte seine harten Schenkel. „Fest halten, Lady“, befahl er.
Als ob sie eine Wahl gehabt hätte! Sie krallte sich an dem fest, was sie in die Finger bekam. Als sie sich gerade Sorgen um ihren hoch gerutschten Rock machen wollte, wechselten sie in rasendem Tempo die Richtung und trieben die Rinder mit sich, weg vom Schulgelände.
Der Cowboy verlangsamte das Tempo, legte Ann die Hände um die Taille und zog sie noch näher zu sich heran. Ihr Retter duftete unglaublich aufregend nach Moschus und Leder. Und diese breiten Schultern und starken Arme …
Als sie schließlich stehen blieben, hob er Ann herunter. Sie atmete erleichtert auf.
„Bist du denn vollkommen verrückt geworden, Lady?“, fragte er, während er vom Pferd sprang, und sah sie aus seinen bronzefarbenen Augen finster an.
„Ich?“, rief sie aufgebracht und fuhr sich durch die Haare, in dem vergeblichen Versuch, sie zu ordnen. „Deine Kühe hätten fast die Kinder auf dem Gewissen gehabt. Die sind ja gemeingefährlich, diese …“
„Hat dir noch nie jemand gesagt, dass man Bullen nicht mit einem roten Tuch reizen darf?“
„Das waren keine Bullen.“
„Nein, wohl nicht. Trotzdem war das ziemlich leichtsinnig.“ Er stützte sich mit einer Hand auf den Sattel und sah sie grinsend an.
Was für ein Mann, dachte Ann fasziniert. Groß, schlank und kräftig. Sein Gesicht war sonnengebräunt. Nicht schön, dafür sah er zu rau aus. Seine anzügliche Musterung ließ sie vor Erregung zittern.
Sie drehte sich um und entdeckte ihren Pullover, der, von den Rindern zertrampelt, im Gras lag. „Ich fürchte, ich habe nicht nachgedacht. Aber die Kinder …“
„Wolltest du deinen hübschen kleinen Körper opfern und den Rindern vorwerfen, um die Kinder zu beschützen, Sugar? Ganz schön leichtsinnig.“
Hübscher kleiner Körper? Sugar? Ann konnte sich nicht entscheiden, ob sie auf seine freche Bemerkung etwas erwidern sollte oder darauf, dass er sie als leichtsinnig bezeichnet hatte. Sie gehörte sicher zu den verantwortungsvollsten Menschen überhaupt.
„Nun hör mal gut zu, Freundchen.“ Sie hatte schließlich ihre Erfahrung mit aufmüpfigen, frechen Schülern. Dieser Mann hier war auch nicht anders, nur eben älter und viel größer. Und sexy. So sexy, dass er ihr gefährlich werden konnte. „Du hast die Herde nicht im Griff gehabt. Wenn du besser aufgepasst hättest …“
„Wenn dieser verrückte Großstädter nicht wie ein Rallyefahrer die Straße langgerast wäre“, unterbrach er sie, „wo ich mit meiner Herde friedlich langgetrabt bin, dann wäre auch nichts passiert. Und wenn du nicht mit deinem verdammten roten Pullover herumgewedelt hättest, dann hätte ich die Herde noch umleiten können und nicht den Lebensretter für dich spielen müssen.“ Er strich mit seinen großen, starken Händen zärtlich über den nass geschwitzten Hals seines Pferdes. „Wofür du dich übrigens noch nicht einmal bedankt hast, Sugar.“
„Ich, ja, natürlich weiß ich es zu schätzen, dass …“
„Stets zu Diensten, Süße.“ Er tippte mit dem Finger an seinen Stetson und grinste lässig. „Du bist ganz schön mutig, das muss ich schon sagen. Nicht viele Frauen würden sich mit mir anlegen – oder mit meinen Rindern.“
Insgeheim freute sich Ann über das Kompliment. Sie fühlte sich geschmeichelt und dachte fast träumerisch an den Moment zurück, als sie vor ihm auf dem Pferd gesessen und seine kräftigen Muskeln gespürt hatte.
Lächerlich. Sie war Mathematiklehrerin und musste logisch denken. Träumereien hatten in ihrem Leben keinen Platz. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um einen ungehobelten, großen und unverschämt attraktiven Cowboy handelte …
„Miss Forrester!“
Ann drehte sich um, als sie die Stimme des Schulleiters Mr. Dunlap hörte. Die Schüler liefen immer noch, völlig aufgelöst wegen der Stampede, auf dem Footballfeld herum, und Mr. Dunlap wedelte wild mit den Armen.
„Sieht aus, als hätte er dich gerade beim Schule schwänzen erwischt, kleine Lehrerin“, lästerte der Cowboy.
„Die Kinder müssen wieder zum Unterricht, und ich auch.“ Außerdem ist es gefährlich, mich weiter in der Nähe dieses Mannes aufzuhalten, dachte Ann. Abgesehen davon, dass die Leute hier in diesem kleinen Mar del Oro sofort anfangen würden zu klatschen.
„Du kannst mit mir zurückreiten.“
„Nein, das ist wirklich nicht nötig …“
Ann schrie überrascht auf, als er ihre Taille umfasste, sie mühelos auf das Pferd setzte und sich selbst vor ihr in den Sattel schwang. Automatisch klammerte sie sich Halt suchend an ihn. Wie breit seine Schultern waren. Wie muskulös und kräftig. „Kannst du kein Nein verstehen?“
„Nein.“ Er ließ das Pferd traben. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen ‚vielleicht‘ oder ‚ja‘ meinen, wenn sie Nein sagen. Außerdem wollte ich dir die Chance geben, hoch zu Ross zur Schule zu kommen, ganz die feine Dame.“
Dem Mann war nicht zu helfen. Trotzdem musste sie lächeln und wünschte, sie könnte sich ganz fest an seinen Rücken schmiegen und seine Wärme und Kraft genießen.
Vor Mr. Dunlap hielt er das Pferd an, half Ann beim Absteigen und reichte ihr die Hand. Dabei musterte er sie noch einmal ungeniert von Kopf bis Fuß.
Ann errötete, und ihr Herz schlug heftig.
„Alles in Ordnung, Miss Forrester?“, fragte der Schulleiter kurzatmig.
„Ja, danke. Mir geht es bestens.“ Bis auf mein Herzklopfen. Wahrscheinlich würde sie heute Nacht von diesem Cowboy träumen. Er sah so aus, als könnte er eine Frau glücklich machen …
„Wir haben uns große Sorgen um Sie gemacht, als die Rinderherde auf Sie zugerannt ist.“
„Dieser Mann hier hat mich gerettet. Mir ist nichts passiert.“
„Da bin ich aber erleichtert. Die Kinder …“ Mr. Dunlap legte den Kopf schief und blickte zum Cowboy hoch. „Kenne ich Sie nicht, junger Mann?“
„Sie haben ein gutes Gedächtnis, Mr. Dunlap. Aber schließlich bin ich ja auch oft genug zu Ihnen zitiert worden.“
„Reed Drummond, nicht wahr?“
„Genau der. War nett, Sie mal wieder zu sehen.“ Reed tippte sich an den Hut. „Miss Forrester.“ Dann galoppierte er auf die Weide zu seinen Rindern, die inzwischen friedlich grasten. Der Hund hielt sie in Schach.
Mr. Dunlap wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch. „Ich bin nicht gerade begeistert, diesen jungen Mann wieder in der Stadt zu sehen.“
„Wieso wieder?“, fragte Ann.
„Ich hatte gehört, dass er in Texas wäre. Zieht immer umher, nehme ich an.“
„Oh.“ Ann blickte ihm nach. Er konnte wie der Teufel reiten. Das Pferd und er waren wie eine Einheit. Ob er auch so ein Gespür für Frauen hatte?
„Während seiner Schulzeit gab es mit ihm nichts als Ärger. Seinen Abschluss hat er sicher nie gemacht. Das liegt wohl in der Familie. Sein Vater verbrachte fast jedes Wochenende wegen Trunkenheit und Schlägerei im Gefängnis.“
„Wenn sein Vater Alkoholiker war, dann ist es doch kein Wunder, wenn Reed so aus der Rolle fiel.“ Unwillkürlich verteidigte sie diesen Mann, wie sie es mit jedem ihrer Schüler getan hätte. Nur waren ihre Gefühle für Reed Drummond anders. Ganz anders – und vor allem sehr beunruhigend.
Sie gingen zusammen zum Schulgebäude zurück.
„Dass Reed Drummond wieder hier ist, bereitet mir Kopfzerbrechen“, sagte Mr. Dunlap. „Sein Land grenzt an das Schulgelände. Wenn er nicht besser auf seine Rinder aufpassen kann, wird es noch einigen Ärger geben.“
„Vielleicht sollte die Schulbehörde endlich Gelder für einen Zaun bewilligen“, schlug Ann vor. Es gab einige Dinge, um die sich die Schulbehörde kümmern sollte – wie die Anschaffung von besseren Büchern und neuen Computern. Außerdem sollte sie mehr Lehrkräfte einstellen, damit man die Schüler in kleinere Klassen einteilen konnte. Aber sie hatten nie genug Geld, um den Lehrern die Arbeit zu erleichtern. Doch dass der Schulrat jedes Jahr einen neuen luxuriösen Dienstwagen bekam – dafür reichte das Budget. „Außerdem war es nicht Reeds Schuld, dass die Rinder ausgebrochen sind. Ein Autofahrer hat die Herde erschreckt.“
„Dieser Drummond war schon immer wild und auffällig“, beharrte der Rektor. „Eines Nachts hat er mit einigen Mitschülern sämtliche Scheiben der Grundschule zerschlagen. Natürlich hat er es abgestritten. Aber wir kennen die Wahrheit. Ich sage Ihnen: Menschen wie Drummond ändern sich nie.“
Ann hatte schon immer eine besondere Schwäche für Problemfälle gehabt und war mehr als einmal enttäuscht worden. Nicht dass sie glaubte, Reed Drummond sei für sie eine Bedrohung. Trotz seiner schamlosen Flirtversuche würde er sich nicht für eine dreißigjährige Lehrerin interessieren, die schon seit Jahren nicht mehr mit einem Mann ausgegangen war. Er brauchte doch nur mit den Fingern zu schnippen, und schon würde er jede Frau bekommen, die er wollte.
Eine Traumfigur. Goldbraunes, üppiges Haar. Grüne Augen. Ein eigensinniges Kinn und volle Lippen, die man einfach küssen muss.
Reed striegelte sein Pferd Fiero, doch in Gedanken war er bei Ann. „Wenn sie meine Lehrerin gewesen wäre, dann hätte ich vielleicht nicht die Schule geschmissen“, murmelte er und dachte lächelnd daran, dass der Schulleiter sie mit Miss angeredet hatte. Sie hatte auch keinen Ehering getragen. Ihre Hände waren schmal und feingliedrig. Ihre Beine lang und schlank. Als sie vor ihm auf dem Pferd gesessen hatte, war es ihm verdammt schwer gefallen, nicht ihren süßen Po zu streicheln.
„Was meinst du, Fiero? Soll ich mich noch einmal in der Schule anmelden und Einzelunterricht nehmen? Oder soll ich ihr stattdessen ein paar Dinge beibringen?“
Verdammt. Er hatte schon lange keine Frau mehr gehabt. Aber was sollte eine Klassefrau und Lehrerin wie Miss Forrester ausgerechnet mit einem Schulabbrecher und Außenseiter anfangen, der nicht mehr als eine verschuldete Ranch besaß und auch noch ein fremdes Kind aufzog?
Reed tätschelte das Pferd, legte den Striegel auf seine Werkbank und verließ die Scheune. Er betrachtete die Hügel und das fruchtbare Weideland. Im Hintergrund stieg Nebel auf.
Sein Hund folgte ihm. Reed streichelte ihn.
Als sein Vater noch gelebt hatte, war es Reed nie in den Sinn gekommen, überhaupt jemals wieder dieses Gelände zu betreten. Aber seitdem er sich um Bets kümmern musste, lagen die Dinge anders. Die Kleine brauchte ein Zuhause.
Das Ranchhaus benötigte unbedingt einen Anstrich, und das Verandageländer musste erneuert werden. Reed ballte die Hände zu Fäusten. Er würde die Ranch nicht verfallen lassen, wie es sein Vater getan hatte. Nein, er wollte der Welt beweisen, dass er ein verdammt guter Vater sein konnte. Das war er Bets schuldig.
Er nahm den Hut ab und fuhr sich durch das schweißnasse Haar. Wie Miss Forrester wohl mit Vornamen heißt, überlegte er. Er konnte sie doch schließlich nicht ständig „Sugar“ nennen. Wieso ständig? Er wollte der Frau eigentlich gar nicht mehr begegnen. Sie würde ihm sicher Probleme machen, von denen er ohnehin schon genug hatte.
Beispielsweise musste er sein Gelände einzäunen, damit die Rinder nicht wieder ausbrechen konnten. Sonst würde er jede Menge Ärger bekommen, und das konnte er sich nicht leisten, wenn Bets’ Zukunft auf dem Spiel stand.
Hinter der Scheune lagen jede Menge Zaunpfähle und einige Rollen Draht.
Reed hatte es plötzlich eilig, ins Haus zu kommen, um da zu sein, bevor die Haushälterin das Kind ins Bett brachte. Er würde Bets wie immer vor dem Schlafengehen füttern. Er lächelte. Windeln konnte er auch schon wechseln, wenn es sein musste.
Kaum hatte er das Haus betreten, kam auch schon Lupe, seine Haushälterin, auf ihn zu.
„Gerade rechtzeitig“, sagte sie. „Unser kleiner Schatz ist hungrig.“
Reed nahm das Baby auf den Arm und holte die Milch aus dem Kühlschrank, während die Kleine unruhig an seiner Brust nach Milch suchte.
„Tut mir leid, meine Süße. Ich bin leider nicht so ausgestattet, wie es deine Mutter wäre. Du musst dich noch etwas gedulden. Dein Fläschchen kommt gleich.“ Er streichelte Bets liebevoll über den Kopf und dachte wieder daran, wie winzig die Kleine war. Sie passte noch nicht einmal in ihren Strampelanzug.
Bets sah ihn aus dunklen Augen an und verzog den Mund zu einem Lächeln – dem schönsten Lächeln der Welt, wie Reed fand.
Er nahm das Fläschchen, das Lupe inzwischen vorbereitet hatte, und ging mit Bets ins Wohnzimmer. Dort setzte er sich in den alten Schaukelstuhl, den er kürzlich auf dem Flohmarkt gekauft hatte. Bets nuckelte friedlich ihre Milch und blickte ihn dabei vertrauensvoll an. Reed schwor sich, sie niemals zu enttäuschen.
Ann kam von der Schule und schloss ihre Haustür auf. Es war schon beinahe dunkel. Sie war hungrig und müde. Den ganzen Tag schon gingen ihr die wild gewordene Rinderherde und der Cowboy mit den dunklen Augen nicht mehr aus dem Kopf.
Hübscher kleiner Körper … Von wegen! Ann war etwa einen Meter siebzig, und sie kam sich alles andere als klein vor, jedenfalls wenn sie nicht gerade neben einem athletischen Cowboy stand, der sie noch um einen Kopf überragte.
Vor der Tür bückte sie sich, um ein Paket aufzuheben. Dann betrat sie ihr kleines Häuschen mit den zwei Zimmern, das ihr ganzer Stolz war. Die edlen Kirschholzmöbel mit den dunkelblauen Bezügen strahlten gediegene Gemütlichkeit aus. Der Küchentisch war aus demselben Holz. Dort stellte Ann ihre Schultasche und das Päckchen ab.
Vor dem Abendessen brauchte sie erst einmal eine Tasse Tee zum Entspannen, und dann musste sie Schülerarbeiten korrigieren.
Sie setzte den Kessel auf. Während sie darauf wartete, dass das Wasser kochte, nahm sie sich das Paket vor. Sie lächelte. Beinahe hatte sie schon vergessen, dass sie in der vergangenen Woche in dem Kunsthandwerkgeschäft ihrer Freundin Dora eine Miniaturskulptur bestellt hatte. Obwohl sie es sich von ihrem Gehalt kaum leisten konnte, unterstützte sie gern die Künstler aus der Umgebung und kaufte ihre Kunstwerke. Zuletzt hatte sie einige Zinnfiguren erworben, die nun auf ihrem Kaminsims standen.
Ann öffnete das Paket, entfernte das Füllmaterial und wickelte die Figur aus, die zur Serie „Traummänner“ gehörte.
Vorsichtig nahm sie die Figur heraus und stutzte. Das war auf keinen Fall der „Traummann“, den sie bestellt hatte. Statt des erwarteten Ritters aus dem Mittelalter hatte sie einen Cowboy geliefert bekommen, der zu allem Überfluss auch noch Reed Drummond zum Verwechseln ähnlich sah.
„Nein“, murmelte sie halblaut, als sie mit zitternden Fingern den winzigen Stetson aus dem Paket nahm und der Cowboyfigur aufsetzte. „Das ist eindeutig der falsche Traummann für mich.“
Ann stellte die Zinnfigur auf den Küchentisch. Da musste eine Verwechslung vorliegen. Aber so etwas kam vor. Beispielsweise hatte sie einmal eine Weihnachtskarte mit viermonatiger Verspätung erhalten. Auch die Post machte Fehler.
Wahrscheinlich verkaufte Dora Dutzende von solchen Figuren. Und dass diese Figur eine verblüffende Ähnlichkeit mit Reed besaß, den sie heute erst kennen gelernt hatte, war ein seltsamer Zufall. Alles ganz logisch, dachte die Mathematiklehrerin.
Nun, sie würde die Figur zurückgeben und sich ihren Ritter holen. Der passte wenigstens auf ihr Kaminsims.
Anns Magen zog sich zusammen, als sie sich unwillkürlich vorstellte, dass Reed in ihrem Bett liegen würde.
Das Telefon schreckte sie aus ihren erotischen Fantasien auf.
„Hallo?“, meldete sie sich mit belegter Stimme.
„Ann, Liebes? Ist alles in Ordnung?“
Sie räusperte sich. „Alles bestens, Mom.“
„Ich hatte schon mal angerufen, aber du warst nicht zu Haus.“
„Ich war noch in der Schule.“
„Du solltest weniger arbeiten und dir mehr Vergnügen gönnen. Warum gehst du nicht öfter mal aus?“
Ann atmete tief durch. „Ja, Mom.“ Geistesabwesend streichelte sie die Zinnfigur. Was könnte eine Frau mit dem echten Cowboy anstellen? Und was würde er wohl mit ihr machen?
„Ich wollte dich nur daran erinnern, dass wir für den Mittwoch zum Abendessen verabredet sind.“
Sie betrachtete die Figur. Ihre Eltern würden Reed Drummond aus tiefstem Herzen ablehnen – vermutlich sogar die Miniaturausgabe aus Zinn. Ganz zu schweigen von der Vorstellung, das Original in ihrem Bett zu haben. „Natürlich, Mom. Das ist unser gemeinsamer Ausgehtag.“
So weit Ann zurückdenken konnte, gingen die Forresters jeden Mittwochabend essen. Es war zu einem Ritual geworden – bequem und irgendwie auch langweilig. Ihre Mutter dagegen freute sich immer auf den Abend außer Haus. Ann konnte es ihr nicht verdenken. Als Frau eines ehemaligen Bankdirektors – jetzt im Ruhestand – verlief ihr Leben in geordneten Bahnen, und da war selbst ein Restaurantbesuch eine willkommene Abwechslung.
Anns Eltern hatten sie immer sehr behütet und dafür gesorgt, dass Ann immer in den besten Kreisen verkehrte. Nur einmal hatte sie als Jugendliche dagegen rebelliert und dafür einen hohen Preis bezahlt.
„Wie schön, Liebes. Dein Vater hat einen neuen Bankmanager eingeladen, der uns Gesellschaft leisten wird.“
„Gut“, murmelte Ann. Sie hörte ihrer Mutter kaum zu, sondern war mit den Gedanken wieder bei Reed Drummond. Dieser Cowboy wäre in den Augen ihrer Eltern vollkommen indiskutabel. Wie aufregend wäre es, mit Reed eine Affäre zu haben! „Mom, ich bin heute schrecklich müde, und gegessen habe ich auch noch nichts.“
„Natürlich, Liebes.“ Mrs. Forrester hielt noch einen längeren Monolog über das Mozart-Konzert, das sie in San Luis Obispo, der nächsten größeren Stadt, besuchen wollten.
Ann atmete erleichtert auf, als sich ihre Mutter endlich verabschiedete. Reed wird vermutlich eher Country-Musik vorziehen, dachte sie.
„Ach, Himmel!“ Sie griff wieder nach dem Telefon. Sie sollte ihre Freundin Dora im Kunsthandwerkgeschäft sofort anrufen. Allerdings war es schon nach Ladenschluss. Selbst als gute Freundin wollte sie Dora nicht in ihrer Freizeit stören. Schließlich war es ja kein großes Unglück, dass die Figuren vertauscht worden waren. Morgen nach der Schule war immer noch genug Zeit, die Miniatur zurückzubringen und sich dafür den richtigen Traummann zu holen.
„Miss Forrester! Der Cowboy ist wieder da.“
Ann wollte gerade einen Klassenraum aufschließen. Sie drehte sich so hastig um, dass ihr der Schlüssel aus der Hand fiel. Ein Schüler hob ihn für sie auf.
„Der Cowboy?“ Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Jason stolzierte in die Klasse. „Wahrscheinlich ist er ganz scharf auf Sie, Miss Forrester.“