Wer bist du, Marla? - Charlotte Maclay - E-Book

Wer bist du, Marla? E-Book

Charlotte Maclay

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Beschreibung

Marla, die nach einem Unfall einen Gedächtnisverlust erlitten hat, glaubt, dass Johnny, der Polizeichef von Mar del Oro, ihr Ehemann sei. Mit jedem Tag liebt Johnny diese schöne Fremde mehr, doch was wird sein, wenn ihre Erinnerung zurückkehrt ...?

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Seitenzahl: 198

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IMPRESSUM

Wer bist du, Marla? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 1999 by Charlotte Lobb Originaltitel: „Deputy Daddy“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe COLLECTION BACCARABand 173 - 2001 by CORA Verlag GmbH, Hamburg Übersetzung: Nicola Kind

Umschlagsmotive: GettyImages_gmast3r

Veröffentlicht im ePub Format in 01/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733755218

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

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PROLOG

Entsetzen spiegelte sich in ihrem Gesicht, als plötzlich aus dem dichten Nebel zwei riesige Scheinwerfer direkt vor ihr auftauchten. Der entgegenkommende Schwertransporter fuhr viel zu schnell für die schmale, kurvenreiche Straße, die sich nördlich von Mar del Oro entlang der felsigen Küste Kaliforniens schlängelte. Zehn Meter unter ihr schlugen die Wellen gegen die Klippen, und salzige Gischt sprühte in den Nachthimmel.

Sie riss das Lenkrad herum und trat mit aller Kraft auf die Bremse. Der vorbeirasende Lastwagen verfehlte sie nur um Haaresbreite. Im nächsten Moment hörte sie auch schon das schrille, metallische Kreischen, als der Kotflügel ihres Mercedes die Leitplanke streifte. Reifen quietschten. Der Wagen geriet ins Schlingern. Voller Panik versuchte sie noch gegenzusteuern, doch es war zu spät. Sie konnte das Fahrzeug nicht mehr unter Kontrolle bringen.

„O mein Gott! Bitte lass nicht zu, dass meinem Baby etwas zustößt!“ Instinktiv legte sie zum Schutz ihres ungeborenen Kindes die Hand über ihren gewölbten Bauch und drehte sich zur Seite. Sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Nicht, nachdem sie das Schlimmste überstanden hatte, was einem Menschen widerfahren konnte.

Der Wagen durchbrach die Böschung am Ende der Haarnadelkurve, schoss über die Felsen hinaus und stürzte hinunter in das graue Dunkel, zu dem der Nebel und der nächtliche Ozean miteinander verschmolzen waren. Sie schrie auf.

Im nächsten Augenblick wurde alles um sie herum schwarz.

1. KAPITEL

„Hallo, Tina.“ Johnny Fuentes zwinkerte der Kellnerin freundlich zu und schlenderte durch das Café hinüber zu seiner angestammten Nische, von der aus er die Hauptstraße im Blick behalten konnte. Eine alte Angewohnheit von ihm, dabei war er als Polizeichef von Mar del Oro längst nicht mehr für Verkehrsüberwachung zuständig. Er rückte seinen Pistolengurt zurecht und nahm Platz.

Mit einem strahlenden Lächeln und einem heißen Kaffee trat Tina an seinen Tisch. „Hallo, Süßer.“ Ihre dunklen Augen funkelten verführerisch. „Ich habe noch etwas Bananentorte für dich aufbewahrt. Oder möchtest du lieber etwas anderes?“

„Torte ist prima. Das wird bestimmt meine Laune heben.“

„Machen dir die bösen Buben so sehr zu schaffen?“

„Nicht die bösen Buben. Aber der Papierkram im Büro geht mir ziemlich auf die Nerven, das kannst du mir glauben. Ich habe heute den ganzen Tag am Computer gesessen.“ Er rieb sich die Augen. „Und wie läuft es bei dir?“

„Müde Füße, wie immer.“ Tina blickte sich kurz um, und als sie sah, dass im Moment keiner der Gäste einen Wunsch hatte, setzte sie sich zu Johnny. „In einer halben Stunde habe ich frei. Wie wär’s, kommst du mit auf ein Glas ins ‚Hanratty’s‘?“

„Gute Idee. Aber vorher muss ich noch nach Hause und mich umziehen. Ich will doch nicht den Ruf des besten Clubs der Stadt ruinieren.“

Die Kellnerin lächelte verheißungsvoll. „Wir können unseren Schlummertrunk auch gern bei dir nehmen.“

„Vorsicht, Schätzchen“, meinte er lachend, „du ruinierst noch meinen guten Ruf.“

„Ich bin jederzeit zu allen Schandtaten bereit.“ Vergnügt warf sie ihm eine Kusshand zu und stand auf. „Die Torte kommt sofort.“

Während Tina davonging, beobachtete Johnny anerkennend den aufreizenden Schwung ihrer Hüften. Seit er nach Mar del Oro zurückgekehrt war, um den Job als Chef der hiesigen Polizeiwache anzutreten, lag ihm seine Mutter in den Ohren, dass er sich endlich eine Frau suchen sollte. Ein paar Mal war er mit Tina ausgegangen. Er mochte sie gern. Mit ihrem kurz geschnittenen, roten Haar und den vollen, sinnlichen Lippen war sie zweifellos ein hübsches Mädchen. Und sie schien ganz versessen darauf, ihn einzufangen und vor den Altar zu zerren. Aber sie war nicht die Richtige, das spürte er. Außerdem hatte er es mit dem Heiraten längst nicht so eilig wie seine Mutter.

Sein Funkempfänger piepste. Johnny sah auf die Anzeige. Seine Sekretärin suchte ihn. Er stand auf und ging hinüber zur Theke. „Kann ich mal telefonieren, Tina?“ Nachdem sie genickt hatte, wählte er die Nummer der Wache. „Hallo, Patty? Hier ist Fuentes.“

„Tut mir leid, wenn ich störe, Boss, aber uns ist eine Frau gemeldet worden, die am Strand herumläuft und sich irgendwie merkwürdig benimmt.“

„Wo denn?“

„Etwa zehn Meilen nördlich der Stadt, gleich beim Creek Canyon. Ich wollte eine Streife hinschicken, aber der nächste Wagen ist gerade mit einem Autounfall oben in Big Sur beschäftigt. Sie sagen, es dauert noch mindestens eine Stunde, bis sie sich darum kümmern können.“

„Ist schon gut. Ich übernehme das.“ Wahrscheinlich eine verirrte Touristin, die zu viel getrunken hatte. Es würde bestimmt nicht lange dauern, das zu überprüfen. Er legte den Hörer auf. „Vergiss die Bananentorte, Tina. Ich muss noch mal los.“

„Und was ist mit ‚Hanratty’s‘?“

„Kann ich noch nicht sagen. Willst du es einfach riskieren, dort auf mich zu warten? Oder soll ich dich besser erst anrufen?“

„Auf dich warte ich jederzeit, Süßer. Wann du willst, und wo du willst.“

Johnny schmunzelte belustigt. Ihr Übereifer erinnerte ihn aber auch daran, dass er ihr keine falschen Hoffnungen machen durfte. Er wollte keine Beziehung mit Tina, doch ebenso wenig wollte er ihr wehtun. Er war jetzt einunddreißig. Vielleicht hatte seine Mutter recht. Er sollte endlich klare Verhältnisse schaffen und sich nach einer Frau fürs Leben umsehen.

Im Gegensatz zu dem, was die meisten Leute glaubten, war es im Sommer am Meer oft sehr nebelig. Auch heute Nacht hingen die dichten Schwaden wie ein undurchsichtiger weißer Vorhang über der Küstenstraße.

Nur gut, dass kaum Verkehr herrschte. Während er langsam durch den Nebel fuhr, ließ Johnny seinen Blick über den felsigen Strand schweifen. Bisher hatte er niemanden entdecken können. Die Frau war bestimmt längst zu ihrem Auto zurückgekehrt und nach Hause gefahren. Johnny wollte die Suche schon abbrechen, doch zuerst würde er noch ein letztes Mal anhalten und sich genauer umsehen.

Er fuhr an den Straßenrand und stieg aus. Der Suchscheinwerfer auf dem Dach des Polizeiwagens konnte die Nebelwand kaum durchdringen. Johnny kniff die Augen zusammen und blinzelte in Richtung der unsichtbar heranrollenden Wellen, als sich der Dunst ein wenig lichtete.

Da war sie. Und sie benahm sich wirklich merkwürdig.

Die Frau lief ziellos am Strand entlang. Wie in Trance setzte sie langsam einen Fuß vor den anderen. Trotz der kühlen Nacht trug sie nur ein leichtes Sommerkleid, dessen nasser Saum ihr an den Beinen klebte. Es war offensichtlich, dass mit ihr etwas nicht stimmte.

Mit einem Satz sprang Johnny über die Leitplanke und kletterte über die Felsen zum Strand hinunter.

„Hallo! Warten Sie! Brauchen Sie Hilfe?“

Sie ging weiter.

Endlich hatte er sie eingeholt. „Bleiben Sie doch stehen! Ich bin Johnny Fuentes, Polizeichef von Mar del Oro. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Sie reagierte nicht.

„Hören Sie doch! Wie heißen Sie? Was ist passiert?“

Da blieb sie stehen und drehte sich langsam zu ihm um. Der Blick aus ihren seegrünen Augen wirkte seltsam leer. An ihrer Stirn entdeckte Johnny eine große Schwellung, und Blut rann an ihrer Schläfe herab. Er fluchte leise, als er sah, dass die Frau hochschwanger war. Was mochte ihr bloß zugestoßen sein? Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, fasste er sie am Arm.

Ihre Lippen bewegten sich. „Wo …“

„Sie sind in Mar del Oro. Und jetzt in Sicherheit.“ Behutsam führte er sie über einen Pfad zur Straße hinauf. Die Frau war recht jung, bestimmt noch keine dreißig. Etwa ein Meter siebenundsechzig groß, schätzte er. Und abgesehen von ihrer Schwangerschaft wirkte sie sehr zierlich. Schmales Gesicht, ebenmäßige Züge. Ihr langes, blondes Haar war nass, als wäre sie schwimmen gewesen. „Können Sie mir sagen, wie Sie heißen oder was passiert ist?“

Sie schüttelte den Kopf. „Mar…la.“

„Sie heißen Marla?“ Sie stieß einen leisen Schrei aus, als ihre Beine unter ihr nachgaben. Johnny fing sie auf, bevor sie fallen konnte. „Kommen Sie, Marla. Sie werden mir doch jetzt nicht schlappmachen.“ Er hob sie hoch, trug sie zum Auto und legte sie vorsichtig auf den Rücksitz.

Sobald Johnny losgefahren war, funkte er die Wache an, damit Patty im Krankenhaus Bescheid geben konnte, dass er mit einer Patientin dorthin unterwegs war. Er fragte sich, wer die Unbekannte sein könnte – und wo ihr Mann wohl war. Nach dem hochkarätigen Diamantring an ihrem Finger zu urteilen, musste er steinreich sein. Offensichtlich gehörte sie ganz anderen Kreisen an als Johnny.

Nachdem er Tina angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass er es heute nicht mehr schaffen würde, wartete Johnny im Krankenhaus darauf, dass die Frau wieder zu Bewusstsein kam. Wenn sie einen Unfall gehabt hatte, gab es vielleicht noch weitere Verletzte. Vielleicht hatte ihr auch jemand übel mitgespielt. Er musste sie dringend befragen.

Dr. Bernie, ein großer, schlaksiger Arzt mit Brillengläsern so dick wie Glasbausteine, erschien in der Halle.

Johnny ging gleich zu ihm. „Wie geht es ihr, Doc?“

„Sie hat eine schwere Gehirnerschütterung. Außerdem viele Prellungen und Blutergüsse. Im Moment erscheint ihr Zustand recht stabil, aber wir müssen die nächsten vierundzwanzig Stunden abwarten.“

„Und was ist mit dem Baby?“

„Die Herztöne sind gut. Sehr lebhaft. Es ist übrigens ein Mädchen. Der Geburtstermin müsste in etwa einem Monat sein.“

Johnnys Anspannung ließ ein wenig nach. „Kann ich mit ihr sprechen?“

„Sie können es versuchen. Aber sie verliert immer wieder das Bewusstsein und ist ein wenig desorientiert. Kein Wunder, bei der Kopfverletzung. Wir haben ihr ein Beruhigungsmittel gegeben.“ Er führte Johnny durch einen langen Gang. „Hat sie Ihnen ihren Namen genannt?“

„Sie hat es versucht. Ich glaube, sie heißt Marla.“

„Was ist mit ihrer Familie?“

„Sie hatte keine Papiere bei sich. Ich hoffe, dass sie mir sagen kann, was passiert ist.“ Johnny blieb vor der Tür des Krankenzimmers stehen. „Haben Sie eine Ahnung, was ihre Verletzungen verursacht haben könnte?“

„Vermutlich ein Autounfall, nach den Prellungen an ihrem Oberkörper zu urteilen.“

Doch wo war das Auto? Und hatte es noch andere Insassen gegeben?

Sie betraten das Zimmer. Das Leid anderer Menschen hatte Johnny noch nie kalt gelassen. Das war einer der Gründe, warum er zur Polizei gegangen war. Aber Marla so blass und zerbrechlich zu sehen, schnürte ihm regelrecht das Herz ab.

Er beugte sich über ihr Bett. „Marla, können Sie mich hören? Soll ich jemanden für Sie anrufen? Ihren Mann vielleicht? Hören Sie mich?“

Ihre Lider flatterten, dann schlug sie die Augen auf. Ganz langsam breitete sich ein schwaches Lächeln auf ihren Lippen aus. „Ich wusste, dass du kommen würdest“, flüsterte sie. Sie schloss die Augen wieder, doch das Lächeln blieb.

Johnny sah Dr. Bernie irritiert an. „Was hat das zu bedeuten?“

„Vermutlich die Gehirnerschütterung“, erklärte der Arzt. „Da ist geistige Verwirrung durchaus normal. Morgen wird es ihr bestimmt besser gehen.“

In der Zwischenzeit zerbrach sich Johnny den Kopf darüber, wo wohl ihr Auto abgeblieben sein konnte – und ihr Ehemann!

Sie bewegte sich. Ihr Brustkorb fühlte sich an, als wäre jede einzelne Rippe gebrochen. In ihrem Schädel schien ein Vorschlaghammer zu wüten. Sie stöhnte auf. Was war nur los mit ihr? Was für ein schrecklicher Traum …

„Wachen Sie auf, Marla. Öffnen Sie langsam die Augen. Ganz vorsichtig.“

Sie hörte die Stimme eines Mannes, aber sie war nicht sicher, ob er mit ihr sprach.

„Alles wird gut werden. Ihrem Baby ist nichts passiert.“

Sie schlug die Augen auf. Das war ein schwerer Fehler. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihren Körper. Für einen kurzen Moment sah sie einen Mann neben ihrem Bett stehen, bevor sie schnell wieder die Augen schloss. Sie legte eine Hand auf ihren Bauch. Ihrem Baby ginge es gut? Dann war alles in Ordnung. Erleichtert wollte sie sich wieder in die dunkle, wohltuende Besinnungslosigkeit fallen lassen.

„Schlafen Sie nicht wieder ein, Marla. Wir müssen uns unterhalten.“ Sie wünschte, er würde sie in Ruhe lassen. „Ich bin Dr. Bernie. Sie sind im Krankenhaus von Mar del Oro. Können Sie mir sagen, wie Sie heißen?“

Was für eine alberne Frage. Er hatte sie doch gerade selbst Marla genannt. Sie überlegte, ob das wirklich ihr Name sein konnte. Er schien zu passen, und wenn der Arzt sie so nannte, dann würde es schon stimmen.

„Wissen Sie, wer Präsident der Vereinigten Staaten ist?“

Um Himmels willen! Machte er jetzt etwa einen Intelligenztest mit ihr? Wollte er sie mit diesen lächerlichen Fragen verwirren? Warum quälte er sie so?

„Wir möchten Ihren Ehemann über Ihren Unfall informieren. Können Sie uns sagen, wie wir ihn erreichen können?“

Inmitten des überwältigenden Schmerzes tauchte ein verschwommenes Bild vor ihren Augen auf. Ihr Ehemann? Das Bild wurde deutlicher, wie ein Puzzle, dessen Teile sich langsam zusammenfügten. Dunkle Haare, ein etwas schiefes Lächeln und sympathische Augen. Ja, das war er. Jemand, der sie liebte.

„Er weiß, wo ich bin“, flüsterte sie. Ihr Mund fühlte sich trocken an. „Er war schon hier.“ Sie hatte ihn ja gesehen. Johnny. Sie erinnerte sich daran, dass er gesagt hatte, sein Name wäre Johnny.

„Ihr Mann war hier?“

Sie nickte. Wieder ein schwerer Fehler. Das Hämmern in ihrem Kopf wurde unerträglich. „Sie müssen ihn doch auch gesehen haben. Er hat … nette … Augen.“

Sie wollte nicht länger mit dem Arzt sprechen, sondern zu diesen sympathischen Augen fliehen und sich wieder in die warme Dunkelheit versenken, in der es keine Schmerzen mehr gab, keine Enttäuschung und keinen Betrug. Nur Hoffnung, Verständnis und Liebe …

Am nächsten Morgen schickte Johnny als Erstes einen Streifenwagen los, um die Küstenstraße abzusuchen. Doch seine Leute konnten nichts finden. Kein Auto, keine Unfallspuren, niemanden, der seine Frau verloren hatte. Auch in den Vermisstenanzeigen fand Johnny keine Beschreibung, die auf Marla gepasst hätte.

Fast sah es so aus, als wäre sie einfach aus dem Pazifik aufgetaucht. Irgendwie passte diese Vorstellung zu ihrem Namen – Marla, denn „mar“ bedeutet „Meer“ auf Spanisch. Seine ganz persönliche Meerjungfrau. Das würde Mama bestimmt gefallen. Johnny musste grinsen, während er seinen Wagen auf den Krankenhausparkplatz lenkte.

Auf dem Weg zu Marlas Zimmer fing Dr. Bernie ihn ab. „Bevor Sie zu unserer Patientin hineingehen, muss ich Ihnen etwas sagen, das Sie wissen sollten.“

Der Unterton in der Stimme des Arztes warnte Johnny. Irgendetwas stimmte hier nicht. „Was ist los?“

„Anscheinend leidet sie unter Amnesie. Das ist allerdings nicht weiter ungewöhnlich bei Kopfverletzungen, und normalerweise erledigt sich das von selbst, sobald die Schwellung im Gehirn abklingt.“

„Sie weiß also nicht, wer sie ist oder was mit ihr passiert ist?“

„Richtig. Doch es gibt da noch ein anderes kleines Problem, das Sie betrifft, Fuentes.“ Er nahm seine Brille ab und putzte sie ausgiebig.

„Legen Sie schon los, Doc. Anscheinend habe ich hier einen sehr mysteriösen Fall aufzuklären. Alles, was Sie mir dazu sagen können, wäre mir eine große Hilfe.“

Dr. Bernie setzte seine Brille wieder auf und rückte sie umständlich zurecht. „Die junge Frau, die Sie gestern Nacht hergebracht haben, ist davon überzeugt, dass Sie ihr Ehemann sind … und der Vater ihres ungeborenen Kindes.“

2. KAPITEL

„Sie machen wohl Witze!“ Johnny starrte Dr. Bernie fassungslos an. „Vor gestern Nacht habe ich diese Frau nie gesehen.“

„Auf jeden Fall hat sie Sie haargenau beschrieben“, meinte der Arzt grinsend. „Bis hin zu Ihren ‚netten‘ Augen, nach denen alle Mädchen der Stadt so verrückt sind.“

Johnny merkte, wie er rot anlief. Konnte er etwas dafür, dass Frauen ihn mochten? „Sie haben das doch hoffentlich richtig gestellt.“

„Jedes Mal, wenn ich versucht habe, das Thema anzuschneiden, wurde sie sehr nervös.“

„Aber wir können sie doch nicht in dem Glauben lassen …“

„Angesichts ihres momentanen Zustandes halte ich es für ratsam, sie glauben zu lassen, was sie will. Sie ist schwer traumatisiert, und mir scheint, dass sie unbewusst unangenehme Erinnerungen verdrängt. Sie braucht jetzt vor allem viel Ruhe, damit keine vorzeitigen Wehen einsetzen. Und wenn es Marla in der Zwischenzeit beruhigt, Sie als ihren Mann zu betrachten, dann schadet das doch eigentlich niemandem.“

„Und wie lange soll diese Zwischenzeit dauern?“

„Das ist schwer zu sagen. Vielleicht überwindet sie ihre Amnesie noch heute. Vielleicht kehrt ihre Erinnerung aber auch erst in einer Woche oder einem Monat zurück.“

„Na, großartig.“ Johnny wollte natürlich nichts tun, was Marla oder ihrem Baby schaden könnte, aber schließlich hatte sie bereits einen Mann, der hier bei ihr sein sollte. Und er, Johnny, hatte nicht die geringste Ahnung, wie er ihn finden sollte, so lange niemand Marla als vermisst meldete. Wenn sie allein auf Reisen gewesen war, konnte das Tage dauern.

Und bis dahin sollte er die Rolle des hingebungsvollen Ehemannes spielen? Die Vorstellung, Marla zu belügen, behagte ihm nicht. Was würde sie von ihm denken, wenn sie erst wieder ganz hergestellt war? Und was würden die Leute von ihm denken, wenn diese kleine Scharade bekannt wurde?

Andererseits jedoch konnte er nicht zulassen, dass Marla ganz verlassen im Krankenhaus lag, ohne dass sich jemand um sie kümmerte. Schon gar nicht, nachdem sie so schwer verletzt worden war. Dr. Bernie hatte gesagt, dass ihre Erinnerung jederzeit zurückkehren konnte. Da würde ein kleines Täuschungsmanöver im Interesse der Patientin – der beiden Patientinnen, um genau zu sein – wohl keinen allzu großen Schaden anrichten. Als Polizeichef war er für den Schutz und das Wohl der Einwohner von Mar del Oro verantwortlich. Und in gewisser Hinsicht war Marla die neueste Einwohnerin der Stadt.

Er schuldete ihr also seinen vollen Einsatz.

Leise betrat er das Krankenzimmer. Marla spürte seine Anwesenheit und schlug die Augen auf. Gespannt hielt Johnny den Atem an. Würde sie ihn wieder erkennen? Ihr Lächeln verriet Erleichterung. „Hallo.“

„Hallo. Du siehst heute schon viel besser aus.“

„In meinem Kopf hämmert es immer noch ganz schön.“. Sie streckte die Arme nach ihm aus. In dieser Situation konnte er sie doch nicht enttäuschen. Er ging durch das Zimmer auf sie zu und nahm ihre Hände in seine.

Marla blickte überrascht auf seine blaue Uniform, seine Dienstmarke und seine Waffe. „Ich komme mir so dumm vor. Ich wusste nicht einmal mehr, dass du Polizist bist.“ Tränen stiegen ihr in die Augen, und rasch wandte sie das Gesicht ab. „Ich fühle mich so verloren.“

Es brach Johnny fast das Herz, sie so leiden zu sehen. Er hielt ihre Hände noch fester und war froh, ihr ein wenig Trost spenden zu können. Außerdem gefiel es ihm, wie zart sich ihre schlanken Finger anfühlten und wie sich ihre helle Haut von seiner dunkleren abhob. Er musste sich mit Gewalt daran erinnern, dass Marla die Frau eines anderen war. „Der Doktor hat gesagt, dass alles gut wird. Du musst nur ein wenig Geduld haben.“

„Ich weiß nicht einmal, wie ich hierhergekommen bin. Was ist passiert, Johnny?“

„Wir glauben, es war ein Autounfall.“

„Ich kann mich nur daran erinnern, wie du mich am Strand gefunden hast. Du hast mich gerettet, mein blauer Ritter.“ Man hatte ihn ja schon vieles genannt. Aber noch nie einen Ritter. Er war ein wenig verlegen. Marla legte eine Hand auf ihren Bauch und lächelte schwach. „Ich bin so froh, dass unserem Baby nichts passiert ist. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass es ihr gut geht. Im Moment scheint da drinnen gerade Gymnastikstunde zu sein.“

Der Stolz in ihrer Stimme rührte ihn. Sie wusste vielleicht nicht, wer sie war oder woher sie kam, aber ganz sicher würde sie eine wundervolle Mutter werden. „Du solltest dich jetzt etwas ausruhen. Versuch ein wenig zu schlafen. Ich schaue später noch einmal vorbei, um nach dir zu sehen.“

„In Ordnung.“ Er wollte gerade gehen, als sie ihn noch einmal zurückrief. „Johnny, wenn du wiederkommst, könntest du mir dann ein Nachthemd und etwas Make-up mitbringen?“

„Äh … klar. Was brauchst du?“

„Ach, bring einfach mit, was im Badezimmer herumsteht.“

„Okay, ich schaue mal, was ich finden kann.“

„Danke“, flüsterte sie, und er verließ das Zimmer.

Draußen musste Johnny erst einmal tief durchatmen. Er lehnte sich gegen die Wand und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Worauf hatte er sich da bloß eingelassen? Make-up und ein Nachthemd. Um Himmels willen! Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, auf Dr. Bernie zu hören und Marla nicht sofort die Wahrheit zu sagen.

Marla. Vielleicht war das nicht einmal ihr richtiger Name. Aber irgendwie musste er sie ja ansprechen, und „Liebling“ erschien ihm viel zu intim. Er würde sie weiter Marla nennen, bis er herausgefunden hatte, wer sie wirklich war.

In der Zwischenzeit würde ihm seine Schwester dabei helfen müssen, etwas Make-up und ein Nachthemd zu besorgen.

„Was hat diese Marla denn für eine Haarfarbe?“, fragte Rita.

„Sie ist blond.“

„Geht es nicht etwas präziser? Platinblond? Rotblond? Dunkelblond? Was denn nun?“

Johnny sah sich hilflos in der Drogerieabteilung des Supermarktes um. Ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut. Er stand mit seiner Schwester in einem endlos langen Gang mit Kosmetikartikeln und fühlte sich maßlos überfordert. „Ich weiß nicht. Honigblond vielleicht, mit helleren Strähnen.“

„Interessant.“ Rita zog viel sagend eine Augenbraue hoch. „Und was ist mit ihrem Teint?“

„Hell, würde ich sagen.“

„Komm schon. Das kannst du doch wohl besser. Du bist schließlich Polizist.“

„Schon gut.“ Er fühlte sich ertappt. Tatsächlich hatte er sehr viel mehr Details an Marla bemerkt, als er sollte – selbst für einen Polizisten. „Sie hat seegrüne Augen. Ihre Brauen und Wimpern sind eine Nuance dunkler als ihr Haar. Sie hat volle Lippen. Ihre Gesichtszüge sind sehr ebenmäßig, abgesehen von der riesigen Beule auf ihrer Stirn. Willst du sonst noch etwas wissen?“

„Nur, warum du einer wildfremden Frau Kosmetik und Nachtwäsche kaufst.“

Johnny knirschte mit den Zähnen. „Weil sie glaubt, dass ich ihr Mann sei.“

Ritas Lachen schallte durch den ganzen Laden. „Weiß Mama von deiner heimlichen Heirat?“

„Sei bloß still. Ich habe nicht geheiratet. Marla hat Amnesie und denkt …“

„Na klar. Warte nur, bis sich herumgesprochen hat, dass jemand den begehrtesten Junggesellen der Stadt eingefangen hat“, neckte sie ihn.

„Hilfst du mir jetzt, das Make-up auszusuchen, oder nicht?“

Schwestern konnten manchmal entsetzliche Nervensägen sein!

Marla versuchte angestrengt, sich an das Haus zu erinnern, in dem sie mit Johnny wohnte. Aber sie konnte es nicht. Weder an das Gebäude noch an irgendein Zimmer darin. Stattdessen tauchte immer wieder ein unheimlicher Ort vor ihren Augen auf: hohe Decken, elegante Parkettfußböden, eine teuer ausgestattete Küche. Aber dieses Haus war so düster und kalt, und es schmerzte so sehr, dort zu sein, dass sie lieber wieder zur Realität des Krankenhauses zurückkehrte. Das war allerdings auch nicht viel besser: kahle Wände, Neonlicht, der Geruch von Äther und Desinfektionsmitteln.

Das Einzige, was ihr Halt gab, war Johnny. Seine Nähe, seine warmen, dunklen Augen, seine breiten Schultern und seine kräftigen Hände. Sie konnte beinahe fühlen, wie er sie zärtlich streichelte. Trotz ihrer vorangeschrittenen Schwangerschaft sehnte sie sich danach, dass er sie berührte – überall. Vermutlich ein schwerer Fall von Hormonstau, dachte sie verwundert.