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Niemand macht uns das Leben so schwer, wie wir selbst. Es ist die leise Stimme im Ohr, die uns permanent an unsere Schwächen erinnert und uns bei jedem kleinsten Fehltritt verurteilt. Die gute Nachricht: Wir können diese negativen Gedanken in Positive umwandeln! Die erfahrene Autorin und Meditationslehrerin Doris Iding zeigt, wie wir mit einfachen Achtsamkeitsübungen, wirksamen Meditationen und hilfreichen MBSR-Übungen den Ursprung der kritischen Stimmen sichtbar machen und lernen, Frieden mit ihnen zu schließen, so dass sie nicht mehr gegen uns arbeiten, sondern mit uns. Mit einfachen Tricks hören wir auf, uns selbst zu sabotieren, uns Steine in den Weg zu legen und finden den Mut und die Kraft, das Leben zu führen, dass zu uns passt.
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Seitenzahl: 187
Doris Iding
Doris Iding
Frieden schließen mit den kritischen Stimmen in mir
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen
1. Auflage 2022
© 2022 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Türkenstraße 89
D-80799 München
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Redaktion: Desirée Šimeg und Petra Holzmann
Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch
Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Viktoriya Pa, GoodStudio
Layout und Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de
eBook: ePUBoo.com
ISBN Print 978-3-7474-0421-8
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-812-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-811-0
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.mvg-verlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de
Das Innenleben ist ganz schön bunt
Teil 1: Sich selbst neu kennenlernen
Die Herkunft der inneren Kritiker
Vergessene Kinder
Wie stellen sich die kleinen Biester oder gut meinenden Helfer dar?
Die weiße Fahne hissen
Teil 2: Wer führt hier die Regie?
Der innere Kritiker
Die innere Panikmacherin
Der innere Anpeitscher
Everybody’s Darling
Die innere Spaßbremse
Die innere Saboteurin
Der innere Hochstapler
Die innere Wissenschaftlerin
Der innere Soldat
Leitsätze der inneren Persönlichkeitsanteile
Teil 3: Rollentausch: Die Erwachsene übernimmt die Regie
Das eigene Herz erwecken
Die Bühne der inneren Freiheit
Unseren Platz einnehmen
Dem inneren Zeugen begegnen
Anfangen statt aufschieben
Die Bühne im Licht der Achtsamkeit und des (Selbst-)Mitgefühls erstrahlen lassen
Teil 4: Rollen neu besetzen
Bequemlichkeit, ade
Die Kritik des Kritikers überprüfen
Verzeihen lernen
Hauptrollen neu vergeben
Teil 5: Die Weite im Herzen erfahren
Dank
Über die Autorin
Literatur
Anmerkungen
Was für ein Geschenk, dieses Leben. Du kannst dich jeden Tag neu entscheiden, es in eine positive Richtung zu lenken.
Gehörst du zu den Menschen, die kleine Erfolge übersehen und große Leistungen kleinreden? Oder zählst du zu der Spezies, die auf dem Sofa klebt und von der weiten Welt träumt, sich nicht hinauswagt, weil sie Angst davor hat, dort kläglich zu versagen? Machst du dich selbst fertig, wenn ein Dinner mal nicht perfekt geworden ist, obwohl die Gäste selbst Wochen später noch beteuern, wie köstlich es geschmeckt hat? Klagst du dich selbst an, wenn deine Waage 50 Gramm mehr anzeigt, als du dir zugestehst? – Du nickst? Dann hast du dich richtig dafür entschieden, dieses Buch zu lesen! Denn es ist höchste Zeit, deine Selbstsabotage zu beenden.
Mit diesem Verhalten bist du übrigens nicht allein. Viele meiner Kursteilnehmer sind es ebenfalls leid, sich selbst eher als Feind denn als Freund zu betrachten. Auch für mich war das viele Jahre fast normal. Die Tendenz, sich selbst Steine in den Weg zu legen, ist leider weitverbreitet. In diesem Buch werden wir erkunden, woran das liegt und wie wir das beenden können. Damit wir uns selbst unterstützen, statt zu boykottieren. Damit wir liebevoll Ja zu uns sagen, anstatt ständig Fehler an uns zu finden und nie zu genügen. Damit wir uns fürsorglich um uns kümmern, anstatt ständig alles für andere zu tun in dem Wunsch, ihre Anerkennung zu gewinnen. Wir selbst können uns anerkennen. Und lieben! Unser Leben kann schön sein, wenn … Ja, wenn wir wissen, wer darin eigentlich alles mitspielt. So etwas erfährt man meistens erst am Ende des Films, wenn die Liste aller Darsteller über die Leinwand fließt. Das wäre in unserem Fall ein bisschen zu spät. Denn wir wollen jetzt darüber bestimmen, wer in unserem Leben die Hauptrolle spielt und wer die Nebenrollen übernimmt. Wir selbst wollen das entscheiden. Schließlich sind wir der Regisseur unseres eigenen Films!
Solange wir uns jedoch nicht bewusst sind, wer alles auf unserer Besetzungsliste steht, erscheinen manche Protagonisten immer im falschen Moment auf der Bildfläche und stören den schönen Film. Sie treten auf als innere Kritiker, Antreiber, Tyrannen, als Blender, Herr Übervorsichtig, Frau Ängstlich. Sie platzen einfach herein und sprengen romantische Momente oder stören in wichtigen Besprechungen. Und das Schlimmste ist, dass wir erst viel später merken, dass sie uns mal wieder ausgetrickst haben. Deshalb machen wir uns im ersten Teil des Buches erst mal auf die Suche nach diesen … Saboteuren.
Es sind innere Saboteure, die uns in vielerlei Gestalt das Leben zur Hölle machen. Sie reden uns ein, dass wir zu dick, zu hässlich, zu dumm, zu erfolglos und noch vieles mehr, was keiner sein will, wären. Das betreiben sie mit einer Penetranz, dass man irgendwann resigniert und aufgibt. Häufig denken wir: »Die Stimmen werden wohl recht haben.« Oder wir glauben: »Ich bin eben so.«
Bitte denke das nicht! Und bitte höre auf, dir das wie ein inneres Mantra vorzusagen. Du bist nicht so. Du bist wunderbar! Du bist einzigartig. Du bist eine Ansammlung vieler verschiedener Teilpersönlichkeiten. Und darüber hinaus hast du auch einen inneren Zeugen, der unverletzlich ist. Ihn treffen auch die harschen Urteile unserer Kritiker nicht. Dein Glück im Leben hängt davon ab, ob es dir gelingt, ihn bewusster wahrzunehmen, den fördernden Teilpersönlichkeiten die Hauptrollen zu übertragen und die weniger förderlichen liebevoll aus dem Rampenlicht zu bitten. Okay, manchmal musst du sie anfangs vielleicht sogar ein bisschen schubsen. Und manchmal muss man ihnen deutlich machen: »Du kannst mich mal!«
Du kannst deinen inneren Kritikern nicht für immer kündigen. Es wäre vielleicht auch langweilig, wenn alles immer nur rosarot wäre. Du kannst dafür sorgen, dass sie dich nicht mehr so sehr quälen. Was sie im Übrigen gar nicht so empfinden. Würdest du sie fragen, warum sie dich in so schreckliche Situationen bringen, würden sie dir antworten, dass sie es doch nur gut mit dir meinen.
Du merkst schon: Das Leben mit den inneren Saboteuren ist ganz schön abwechslungsreich und bunt. Wenn wir uns einlassen auf diese neue, positive Sichtweise auf unsere inneren Mitbewohner, dann gibt es viel zu entdecken in diesem Buch – und auch in dir. Von Herzen wünsche ich dir dabei hilfreiche Inspirationen.
An dieser Stelle möchte ich mich bei dir vorstellen: Ich bin Achtsamkeits- und Meditationslehrerin, gebe MBSRKurse (Mindfulness Based Stress Reduction) und schreibe Bücher und Artikel über Meditation, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl. Bereits vor vielen Jahren hat mir persönlich die Achtsamkeit besonders dabei geholfen, meine eigenen inneren Saboteure zu entlarven. Ich weiß also, wie sie sich anhören, diese inneren Stimmen, die mitunter sehr selbstkritisch und manchmal sogar recht bösartig sein können. Im Außen hat oft keiner mitbekommen, wie diese Stimmen mir zum Beispiel nach einer Lesung, auf der ich ein neues Buch vorgestellt habe, durch innere Selbstgespräche das Leben zur Hölle gemacht haben. Dabei lagen sie mir mit folgenden Sätzen in den Ohren:
Warum hast du nicht dieses und jenes erwähnt?
Wieso habe ich nur so einen Blödsinn erzählt?
Wie konntest du nur das blaue Kleid anziehen, das grüne hätte doch viel besser gepasst?
Wie konnte ich mich dazu hinreißen lassen, dieses oder jenes zu tun?
Aufgetreten sind meine Saboteure besonders gerne auf meiner Bildfläche, wenn ich gestresst war oder irgendetwas in meinem Leben aus dem Ruder gelaufen ist. Manchmal waren es kleine alltägliche Fehler, manchmal große Lebenspläne, die sich nicht erfüllten, die dazu führten, dass sie sich gemeldet und mich bewertet haben. Anstatt mich zu trösten oder zu unterstützen, haben sie mich ausgebremst oder in die Überforderung getrieben. Auch wenn die Situation im Außen gar nicht so schlimm war, so haben diese inneren Stimmen mich dazu getrieben, dass ich mich erschöpft, gelähmt, müde oder unzulänglich fühlte.
Die Achtsamkeit half mir, sie zu erkennen: kleine und große Saboteure, die mal kleinen und mal großen Schaden in meinem Leben anrichteten. Das Selbstmitgefühl, ein wichtiger Aspekt in der Achtsamkeitspraxis, half mir, sie von Feinden in Freunde zu wandeln – und zu erkennen, dass ich genau so, wie ich bin, richtig bin. Die Achtsamkeit half mir auch dabei, neue innere Persönlichkeitsanteile zu installieren, meinem inneren Zeugen mehr zu vertrauen und mich von ihm führen zu lassen.
Und genau darum geht es in diesem Buch. Die Achtsamkeit und das Selbstmitgefühl können auch dir dabei helfen, deine eigenen Saboteure kennenzulernen und auf eine ganze neue Weise mit ihnen umzugehen. Die Übungen und Meditationen werden dich darin unterstützen, neue innere und äußere Freunde in dein Leben einzuladen und dich mehr von deinem inneren Zeugen leiten zu lassen. Dieser Wandel führt zu einem positiven Selbstwertgefühl und zu einer Selbstwirksamkeit, und er gibt dir die Macht, die Rollen in deinem eigenen Film neu zu verteilen. Einem Farbfilm mit Happy End, in dem du selbst die Hauptrolle spielst.
Ich lade dich ein, dein Drehbuch neu zu schreiben.
Deine Doris Iding
Betrachte dich mit den gleichen Augen, mit denen du die Menschen betrachtest, die du liebst. Dann wirst du erkennen, wie wunderbar du bist.
Hast du manchmal den Eindruck, dass du dich selbst an deinem Glück hinderst oder du selbst hart mit dir ins Gericht gehst? Manchmal ist es so, als wenn wir einen Saboteur – oder mehrere von ihnen – bei uns beherbergen, die uns das Leben schwer machen. Du erkennst sie daran, dass sie besonders dann auftreten, wenn du gestresst bist oder etwas schiefläuft. Dann befeuern sie dich. Leider nicht mit Zuspruch, sondern mit Anklagen und Zweifeln. Lange tragen wir diese inneren Widersacher mit uns herum, ohne sie zu bemerken. Indem wir sie kennenlernen, können wir unseren Umgang mit ihnen verändern und müssen uns selbst nicht mehr schlechtmachen.
Maria begegnete ihrem inneren Kritiker bewusst zum ersten Mal in der Küche. Das »Treffen« der beiden fand statt, als die 35-Jährige im Vorbeigehen eine Tasse vom Regal nehmen wollte. Dabei fiel versehentlich eine andere Tasse zu Boden und zerschellte in tausend Scherben. Es war ihre Lieblingstasse, ein Andenken an eine verstorbene Freundin. Als wäre dieser Verlust nicht schon schlimm genug, begann eine innere Stimme sie aufs Übelste zu beschimpfen: »Mein Gott! Du bist einfach zu blöd, um achtsam zu sein!« Dann setzte dieser innere Kritiker noch eins drauf: »Jetzt bist du schon ein paar Wochen in dem Achtsamkeitskurs, und trotzdem hat sich nichts verändert. Lass es einfach. Aus dir wird nichts mehr. Forget it!«
Maria zuckte zusammen. Im ersten Moment glaubte sie dieser Stimme. Doch dann ging sie auf Abstand zu ihr, indem sie diese Anklage zwar hörte, sie diese jetzt aber ihrem inneren Kritiker zuordnen konnte. Stattdessen nahm sie jetzt voller Selbstmitgefühl den Verlust der Tasse hin und begann zu weinen. Nicht, weil sie so eine dumme Nuss war, wie ihr innerer Kritiker ihr immer noch im Hintergrund ins Ohr rief, sondern weil das letzte Erinnerungsstück an ihre verstorbene Freundin gerade zerbrochen war.
Dass Maria ihren inneren Kritiker mit einer gewissen Distanz wahrnahm, lag an ihrer Achtsamkeit, die sie in meinem MBSR-Kurs kennengelernt hatte. MBSR bedeutet »Stressreduktion durch Achtsamkeit« und wurde von dem Amerikaner Jon Kabat-Zinn entwickelt. Es ist ein achtwöchiger Kurs, in dem wir uns selbst mit Achtsamkeit und Selbstmitgefühl begegnen. Kabat-Zinn definiert Achtsamkeit als eine Technik, bei der wir unsere Aufmerksamkeit wertfrei und offen auf etwas richten. Wir lassen das, was sich zeigt, da sein. Durch dieses Da-sein-Lassen erkennen wir besser, wer oder was sich zeigt. Und so können wir so manchen Darsteller unseres inneren Films besser identifizieren und, wenn nötig, Rollen neu verteilen.
Maria hatte viel geübt, um ihre eigenen Gedanken mit einer gewissen Distanz wahrzunehmen. Dadurch konnte sie sich in stressigen Situationen schneller entspannen. Vor dem Kurs hätte Maria sich wegen dem, was die innere Stimme sagte, noch lange schuldig und schlecht gefühlt und der inneren Stimme alles, was sie behauptet, abgenommen. Sie hätte nicht nur gedacht, dass sie einen Augenblick lang unachtsam gewesen war, sondern sich für den personifizierten Ausdruck der Unachtsamkeit gehalten. Eins kann er nämlich besonders gut, dieser innere Feind: Er wertet nicht nur den Fehler ab, den wir gerade gemacht haben. Er behauptet: Wir sind der Fehler! Aber dank des Kurses konnte sich Maria zum ersten Mal sagen: »Mein innerer Kritiker kann mich mal!«
Seit Maria achtsamer geworden ist, nimmt sie ihre innere Stimme anders wahr. Wenn sie ihr lauscht, hört sie ihr mit sehr viel Mitgefühl zu, ohne ihr alles zu glauben. Mal redet sie mit ihr, mal ignoriert sie sie. Maria weiß auch, dass ein Fünkchen Wahrheit in dem stecken könnte, was ihre innere Kritikerin sagt. Aber mehr auch nicht.
Maria ist nicht die Einzige, die innere Schimpftiraden über sich ergehen lassen muss, wenn ihr etwas allzu Menschliches in einem Augenblick der Hektik, einem unachtsamen Moment oder während einer schwierigen Situation passiert. Ich selbst kenne solche inneren Anklagen zur Genüge. Wie ist es bei dir? Vielleicht magst du an dieser Stelle einen Moment innehalten und dir Zeit nehmen, um zu überlegen, wann dein innerer Kritiker sich ungefragt bei dir meldet?
Heute lacht Maria ihrem inneren Kritiker in manchen Situationen sogar ins Gesicht, in anderen nimmt sie ihn in den Arm oder weist ihn in seine Schranken – je nachdem, was gerade angesagt ist. Du kannst das auch! Doch zunächst schauen wir uns an, wer diese innere Stimme überhaupt ist und wie genau sie es schafft, sich dauerhaft bei uns einzunisten.
Diese kleinen inneren scharfen Kritiker, ewigen Antreiberinnen oder nörgelnden Perfektionisten sind Teile unserer Persönlichkeit. Als Teilpersönlichkeiten begleiten sie uns schon so lange, dass wir uns ein Leben ohne sie gar nicht mehr vorstellen können. Wir installieren sie in unseren ersten Lebensjahren als Schutz gegen Verletzungen durch unsere Eltern, Lehrer, Verwandte, Freunde, Institutionen wie die Schule und schlussendlich durch unsere Gesellschaft, durch die wir geprägt werden. Kurz: Durch jene Menschen, die besonders in unseren ersten Lebensjahren eine wichtige Rolle spielen, werden diese inneren Kritiker bis zu unserem zwölften Lebensjahr geprägt. Dabei bilden sie sich abhängig von den Werten, mit denen sie genährt werden, entsprechend aus. In der Zeit der Adoleszenz, wenn eine Abnabelung von den Eltern erfolgt, werden die Persönlichkeitsanteile weiter durch die Peergroups, mit denen wir Umgang haben, beeinflusst. In dieser Zeit festigen wir innere Werte, die dann wegweisend für unsere weiteren persönlichen und beruflichen Wege sind.
Lange war man davon überzeugt, dass damit die persönliche Entwicklung im Gehirn weitgehend abgeschlossen sei. Man ging davon aus, dass das Gehirn nach Abschluss der Kindheit ein fix verdrahtetes und starr festgelegtes Organ sei, das eine bestimmte Anzahl von Nervenzellen mit unveränderlichen Verbindungen besitzt. Mittlerweile weiß man jedoch, dass sich das Gehirn bis zum Ende unseres Lebens gezielt verändern lässt. Diese Möglichkeit wird als »Neuroplastizität« oder »Gehirnplastizität« bezeichnet. Damit wird die Anpassungsfähigkeit unseres Gehirns beschrieben. Der Entdecker der Neuroplastizität, Michael Merzenich, konnte nachweisen, dass sensible Nerven durch wiederholte Reizung ein größeres Hirnareal bilden. Durch einen Lernvorgang stellt das Gehirn für häufig ausgeführte Tätigkeiten mehr Gewebe zur Verfügung. Metaphorisch kann man sich diesen Vorgang als Bau neuer Straßen vorstellen. Wenn zwei Neuronen gleichzeitig feuern, werden sie mit der Zeit stärker und werden leichter erregbar. Auf diese Weise kann unser Gehirn neue »Straßen« bauen, die bei sehr häufiger Wiederholung zu »Autobahnen« werden. Im Umkehrschluss werden solche Straßen abgebaut, die nur noch selten oder nicht mehr benutzt werden.
Richten wir unsere Gedanken, dem amerikanischen Neuropsychologen Rick Hanson zufolge, der sich intensiv mit der Auswirkung von Achtsamkeit und Selbstmitgefühl auf unser Gehirn beschäftigt hat, auf Sorgen, Selbstkritik und Wut aus, entwickeln sich neuronale Strukturen und Dynamiken, die Angst, geringes Selbstwertgefühl und gereizte, ängstliche und misstrauische Reaktionen auf uns selbst, auf andere und auf das Leben nach sich ziehen. Richten wir unseren Geist hingegen darauf aus, dass wir gut sind, so wie wir sind, und das Gute in uns selbst sehen, werden sich Qualitäten wie Achtsamkeit, Selbstmitgefühl, Stärke, Selbstvertrauen und innerer Frieden ausdehnen.1 Allerdings gibt es einen Wermutstropfen: Wir müssen aktiv und regelmäßig daran arbeiten, dass diese positiven Qualitäten bleiben und sich vermehren. Denn unser Gehirn hat die Tendenz, immer erst den Blick auf das Negative zu richten. Deshalb ist es so wichtig, sich der eigenen inneren Widersacher bewusst zu werden und die bereits vorhandenen guten in uns zu »füttern«, neue positive Stimmen zu installieren und ihnen vermehrt unsere Aufmerksamkeit zu schenken, und die störenden nicht mehr in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit zu stellen.
Wir selbst können jederzeit entscheiden, wem wir mehr Aufmerksamkeit schenken möchten und welchen Teilpersönlichkeiten wir zukünftig nur noch Nebenrollen geben möchten. Und ja, wir sind dazu in der Lage. Aber nur wir selbst können es. Veränderungen brauchen Zeit. Bis aus inneren Feinden Freunde werden, wird es ein paar Monate dauern. Aber: Es lohnt sich. Wir entdecken uns neu. Wir erfinden uns neu. Wir werden zur besten Version unserer selbst, weil diese Entdeckungsreise bei den meisten viele ungeahnte Talente auf die Bühne des Lebens bringt.
Bevor dieser Wandel passieren kann, ist ein bisschen Detektivarbeit angesagt. So wie bei Maria braucht es bei jedem von uns ein gewisses Maß an Übung, um die eigenen inneren Persönlichkeitsanteile kennenzulernen. Und da sie schon so lange zu uns gehören, braucht das Auffinden eine gewisse Portion Offenheit, Neugierde und Geduld. Jede Teilpersönlichkeit, egal, wie klein sie auch sein mag, hat ihre eigenen Werte. Und jede will immer nur das Allerbeste für uns – auch wenn du es dir jetzt noch nicht vorstellen kannst. Das wollen sie wirklich! Ihre Ansichten sind leider manchmal sehr begrenzt und undifferenziert, mitunter sehr infantil, was damit zu tun hat, dass sie sich in einem sehr frühen Alter entwickelt haben. Ihnen allen ist etwas gemein: Sie wollen immer und zu jeder Zeit nur unser Bestes. Sie alle haben aus ihrer Sicht gute Absichten, wollen uns schützen und unterstützen. Ob das Verhalten heute noch zu unserem Leben passt, ist eine andere Frage.
Solltest du diese kritischen Stimmen noch nicht an dir selbst entdeckt haben, so kannst du dir sicher sein, dass es auch in deinem Umfeld Menschen gibt, die sie beherbergen. Vielleicht hast du einen Menschen in deinem Umfeld, der beim geringsten Stress gerne jammert und sich bei jeder Herausforderung gerne selbst bemitleidet. Du denkst dir, wie schade das ist, weil der Mensch doch eigentlich ein guter Typ Mensch ist. Sein Verhalten passt irgendwie gar nicht zu ihm. Tatsächlich würde es ihm guttun, wenn er Liebe und Zuwendung erhalten würde. Da er sich seiner Teilpersönlichkeit nicht bewusst ist und weil er sich Trost und Zuwendung wünscht, da er sich gerade in einer Situation überfordert fühlt, fordert er Aufmerksamkeit über Jammern, Lamentieren und Klagen ein. Er verhält sich eher wie ein kleines Kind, nicht wie ein erwachsener Mensch. Wie sollte er auch? Solange er sich seiner eigenen Querulanten nicht bewusst ist und Jammern das Einzige ist, was er als Verhaltensmuster aufgrund seiner Überzeugungen und Werte kennt, jammert er. Es ist ein altes Muster, das sich seit seiner Kindheit immer und immer wiederholt, aber nicht mehr zu dem Erwachsenen passt.
Jammerst du selbst auch manchmal wie ein kleines Kind, wenn etwas nicht ganz rundläuft? Bist du dir selbst noch nicht sicher, ob du dich mit genügend Abstand betrachten kannst? Dann sei mutig und frage Menschen in deinem Umfeld, die es gut mit dir meinen, ob und wann du ein infantiles Verhalten an den Tag legst.
Als erwachsene selbstreflektierende Menschen haben wir zum Glück ein viel breiteres Spektrum an Reaktions- und Handlungsmöglichkeiten als ein paar kritisierende Teilpersönlichkeiten, die sich in jungen Jahren gebildet haben. Zum Glück leben nicht alle unsere Teilpersönlichkeiten als innere Widersacher in uns. Normalerweise gibt es in jedem von uns auch viele Teilpersönlichkeiten, auch Anteile genannt, die uns inspirieren, stärken, begeistern und die wachsen wollen.
Wenn wir mit diesen Anteilen, dem Erwachsenen in uns und mit Qualitäten wie der Achtsamkeit und des Selbstmitgefühls auf unsere inneren Saboteure schauen, erkennen wir, dass sie uns eigentlich gar nicht schaden wollen. Wir haben bislang nur ihre Sprache nicht verstanden und übersehen, dass sie es eigentlich nur gut mit uns meinen. Die jammernde Teilpersönlichkeit einer jammernden Bekannten will einfach nur in den Arm genommen werden, sie weiß nicht, wie sie ihr Bedürfnis am besten ausdrücken soll.
Zum Glück haben wir eine Wahl. Das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, nimmt zu, wird stärker. Richten wir unsere Aufmerksamkeit mit Achtsamkeit auf das in uns, was uns innerlich stärkt, um dann mit viel Selbstmitgefühl den Anteilen zu begegnen, die uns immer wieder sabotieren, werden wir zu einer liebenswerten, einzigartigen erwachsenen Persönlichkeit.
Schenke dir die Liebe, die du als Kind vermisst hast.
Die Teilpersönlichkeiten, die uns heute als Erwachsene sabotieren, sind kleine Kinder, die innerlich eingefroren und nicht mitgewachsen sind. Sie haben sich nicht wie die anderen Teilpersönlichkeiten weiterentwickeln können. Sie sind stecken geblieben in einem Wertesystem, das infantil und ichbezogen ist. Sie sind bedauernswert, hilflos und fristen ihre Existenz in der Gestalt eines Anteils, der sich bedroht, ausgeliefert, ungeliebt und einsam fühlt. Aufgrund ihrer Starre können sie sich uns nicht direkt und unmittelbar mitteilen. Ihre Werte gehen nicht einher mit denen einer erwachsenen Persönlichkeit, was zu einer großen Diskrepanz im eigenen Erleben führen kann.
Wie kann es sein, dass diese Teilpersönlichkeiten so einsam und erstarrt zurückgeblieben sind? Sie haben sich nicht weiterentwickelt, weil starke Gefühle dazu geführt haben, sich abzuspalten: Verletzungen, Kränkungen vor anderen, Beleidigungen können mit so schmerzvollen Gefühlen einhergehen, dass wir sie nicht aushalten.
Solche inneren Störenfriede werden besonders dann installiert, wenn wir im Kindesalter wenig Trost erfahren, es kaum Zuwendung oder Liebe für uns gibt und wir keine Unterstützung bei unserer Entfaltung erleben, wenn wir Rollen einnehmen müssen, die uns überfordern, oder wenn wir in unserer Einzigartigkeit keine Anerkennung bekommen. Sie entstehen, wenn wir vor anderen Menschen lächerlich gemacht oder gedemütigt werden. Die Installationsregel ist simpel: Je weniger wir das geliebte Kind sind, desto mehr innere Kritiker gibt es.
Als Thomas beim Fußballspiel im Garten von einem Nachbarjungen gefoult wurde und laut fluchte, wusch sein Vater – seines Zeichens Pfarrer – ihm vor den Augen der anderen Jungs den Mund mit Seife aus. Um solchen Demütigungen zukünftig nicht mehr ausgesetzt zu sein, zog der innere Kritiker ein. Er warnte Thomas davor, zukünftig Schimpfworte zu benutzen und seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen – vor allem in der Gegenwart von anderen. Brillant erfüllte er seine Aufgabe: Er sorgte dafür, dass Thomas mit dem Fußballspielen aufhörte, weil er sich nicht noch einmal vor anderen blamieren wollte. Er bewahrte Thomas auch vor öffentlicher Zurückweisung, indem er jedes Schimpfen in der Öffentlichkeit untersagte, selbst in Momenten, in denen es einen guten Grund dafür gegeben hätte.