Mein Leben als Nachkriegskind - Siegfried Kuhnt - E-Book

Mein Leben als Nachkriegskind E-Book

Siegfried Kuhnt

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Beschreibung

Die Eltern aus der Heimat vertrieben, als Kind in der DDR aufgewachsen, nach der Wende einen beruflichen Neustart hingelegt, später in der Kommunalpolitik tätig – in der Biografie von Siegfried Kuhnt stecken so viele Wendungen wie in einem waschechten Thriller! Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg werden seine Eltern aus Schlesien vertrieben und landen später im sächsischen Roßwein. Hier wächst Siegfried Kuhnt in einfachen Verhältnissen in der DDR auf und erlebt schon in seiner Kindheit einige "Abenteuer". Obwohl Siegfried Kuhnt als Agrartechniker ausgebildet wurde, schlägt er bald einen anderen Weg ein. Die Wende verspricht wie für so viele andere auch für ihn ein neues Leben. In seiner neuen Heimat Kurort Oberwiesenthal engagiert er sich unter anderem als Kommunalpolitiker und plaudert aus dem Nähkästchen …

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Seitenzahl: 196

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INHALTSVERZEICHNIS

IMPRESSUM3

VORWORT4

KAPITEL 1 - Zur Geschichte meines Elternhauses 7

KAPITEL 2 - Die Kindheit 18

KAPITEL 3 - Aus der Schulzeit 27

KAPITEL 4 - Die Berufsausbildung 35

KAPITEL 5 - Das Leben nach Abschluss der Berufsausbildung zum Agrartechniker 44

KAPITEL 6 - Die Zukunft in Oberwiesenthal 68

KAPITEL 7 - Die berufliche Zeit im FDGB-Ferienheim „Am Fichtelberg“ 83

KAPITEL 8 - Die Erlebnisse zur Wendezeit 105

KAPITEL 9 - Der berufliche Weg ab dem 1. Juli 1990 124

KAPITEL 10 - Das Engagement für Politik und gesellschaftliche Arbeit nach der Wiedervereinigung 132

SCHLUSSWORT164

ERKLÄRUNG zu Begriffen aus der DDR-Zeit 166

QUELLVERZEICHNIS der Bilder und Dokumente 171

IMPRESSUM

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2022 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-141-7

ISBN e-book: 978-3-99130-142-4

Lektorat: Lucas Drebenstedt

Umschlagfoto: Monika Huňáčková, Katemykate | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: siehe Bildquellennachweis

www.novumverlag.com

VORWORT

In meinem Buch stelle ich in 10 Kapiteln Situationen und Erlebnisse aus meinem Leben dar. 95 Bilder und Foto-Dokumente illustrieren meine Ausführungen.

Durch fleißige, ehrliche Arbeit hatten meine Eltern in ihrer Heimatstadt Lähn (heute Wleńin Polen), Kreis Löwenberg (heute Lwówek Śląski), in Schlesien Achtung und Vermögen erworben. Nach Erzählungen meines Vaters wurden sie mit ihren vier Kindern (2–6 Jahre) und der Mutter meines Vaters im Dezember 1946 von polnischen Behörden aus ihrer Heimatstadt nach Sachsen vertrieben. Sie wurden enteignet und ihr gesamtes Vermögen wurde beschlagnahmt. Zu Weihnachten kamen sie in Roßwein auf dem Bahnhof an und wurden zum Hotel „Schützenhaus“ (später „Lindenhof“) gebracht. Hier mussten sie mit allen Heimatvertriebenen einige Tage im Saal auf einem mit Decken belegten Strohlager nächtigen. In Roßwein wurden drei weitere Kinder geboren. Ich war das erste, das 1947 in Sachsen das Licht der Welt erblickte. Somit habe ich meinem Buch den Titel gegeben:

„Mein Leben als Nachkriegskind“

In meiner Kindheit stand die Unterstützung der Eltern vor allem bei Gartenarbeiten zur Sicherung der Ernährung im Vordergrund. Das war notwendig, da mein Vater 1953 durch das Löschen von Branntkalk bei der Arbeit im Wohnungsbau an einer Staublunge erkrankte. Er wurde 1953 mit 135 Ostmark in Rente geschickt. Nun hieß es, mit diesem Geld eine 9-köpfige Familie zu ernähren. In der Schule wurden meine Geschwister und ich oft als Flüchtlingskinder behandelt, was sich auch in den Noten widerspiegelte. Ich musste die Schule mit dem Ende der 9. Klasse abbrechen, da ich in Russisch auf der Note 5 stand. Russisch war in unserer Familie ein Tabu-Thema. Mein Vater wollte immer, dass ich Landwirt werde, da er davon überzeugt war, dass das kommunistische System keine Zukunft hat und wir wieder nach Schlesien zurückkommen werden. Als Landwirt sollte ich in seine Fußstapfen treten und den damaligen landwirtschaftlichen Betrieb der Familie übernehmen. Somit begann für mich die Lehre zum Agrartechniker, obwohl Elektriker mein Berufswunsch war. Schon bald nach bestandener Prüfung zum Agrartechniker verließ ich aus persönlichen Gründen die Landwirtschaft. Im Laufe meines Lebens habe ich in mehreren Betrieben mit unterschiedlichem Profil gearbeitet und Abschlüsse erworben. Meine Zukunft bestand darin, mich in verschiedenen Berufszweigen weiterzubilden. Von der Lehrausbildung zum Agrartechniker ab September 1963 bis zum Eintritt in meine Altersrente im Juli 2012 war ich in 5 Betrieben unterschiedlicher Branchen tätig. Im Februar 1976 wechselte ich den Wohnort von Roßwein zum Kurort Oberwiesenthal. In Oberwiesenthal fand ich im privaten, beruflichen wie auch im gesellschaftlichen Leben meine Zukunft. Während der Wende 1989 habe ich aktiv im Neuen Forum mitgearbeitet, weshalb ich im Mai 1990 in den Stadtrat von Oberwiesenthal gewählt wurde.

Seit dem Ausscheiden aus der Kommunalpolitik 2019 habe ich mich voll meiner Familie widmen können. 2 verheiratete Töchter mit je 2 Kindern, deren Familien sowohl beruflich als auch sportlich und gesellschaftlich sehr engagiert sind, sorgen für ausreichend Abwechslung, Freude und Aktivitäten in unserem Alltag, den meine Frau und ich nun gemeinsam genießen können. Ihr bin ich besonders dafür dankbar, dass sie in allen Höhen und Tiefen meines bewegten Lebens stets an meiner Seite gestanden und all meine Aktivitäten unterstützt und mitgetragen hat. Mögen die folgenden Aufzeichnungen allen Lesern ein Ansporn sein, stets strebsam, ehrlich und fair die Hürden des Lebens zu meistern sowie sich kritisch, aber für die jeweilige Sache aktiv einzusetzen. Mit einem Zitat des US-amerikanischen Philosophen und Schriftstellers Ralph Waldo Emerson (1803–1882) möchte ich nun Sie, liebe Leserin, lieber Leser, auf eine interessante Reise durch mein Leben schicken:

„Du selbst zu sein, in einer Welt,

die dich ständig anders haben will,

ist die größte Errungenschaft.“

KAPITEL 1-Zur Geschichte meines Elternhauses

Meine Mutter, Alma Kuhnt, mein Vater, Erich Kuhnt, und die Mutter meines Vaters, Ida Kuhnt, wurden nach den Erzählungen meines Vaters mit ihren 4 Kindern im Dezember 1946 nach Sachsen ausgewiesen. Sie wurden aus Lähn, Kreis Löwenberg im Riesengebirge in Schlesien vertrieben. Nach der Enteignung ihres Anwesens und der Beschlagnahmung des gesamten Vermögens durften sie nur das Nötigste mitnehmen.

Bild 001/Das Anwesen meiner Eltern, im Jahr 1943 im Riesengebirge, in Lähn, Kreis Löwenberg. Hier betrieben sie den Gasthof „Schwarzer Adler“ und einen landwirtschaftlichen Betrieb.

Da mein Vater Ortsbauernführer war, wurde er nicht zur Wehrmacht eingezogen. Somit hegten meine Eltern auch keine Bedenken, dass sie aus Lähn ausgewiesen werden könnten. Zum Familienanwesen gehörten neben einer Gastwirtschaft ein landwirtschaftlicher Betrieb, eine Schmiede, ein Kohlehandel, ein Fuhrgeschäft und ein Jagdrevier. Den gastwirtschaftlichen Betrieb führte die Mutter meines Vaters, Ida Kuhnt, mit meiner Mutter, Alma Kuhnt.

Bild 002/Der Eingang zum Gasthof. Die zweite Person von links, sitzend, ist die Mutter meines Vaters, Ida Kuhnt. Ganz rechts steht mein Vater Erich Kuhnt. Die weiteren Personen sind Geschwister.

Zur Gastwirtschaft gehörte auch ein großer Saal, in dem Kleintierausstellungen sowie Veranstaltungen von verschiedenen Vereinen organisiert wurden. Auch diese wurden von der Mutter meines Vaters und von meiner Mutter gastronomisch betreut. Einige Geschwister meines Vaters waren vor Kriegsbeginn der Arbeit wegen nach Berlin und Bayern ausgewandert. Die eigentliche Arbeit meines Vaters war die Landwirtschaft. Alle anderen Gewerke wurden von einigen seiner Geschwister bewirtschaftet. Als Ortsbauernführer bekam mein Vater während der Kriegszeit zur Arbeit in der Landwirtschaft Zwangsarbeiter aus Polen und Russland zugewiesen.

Bild003/Links mein Vater. Die anderen Personen sind drei Brüder und zwei Zwangsarbeiter.

Eine Leidenschaft meines Vaters war die Jagd im eigenen Jagdrevier. Oft zog es ihn zur Waldarbeit und Jagd in den Wald. Zur Jagd empfing mein Vater oft wohlhabende Bürger, welche er begleitete, um ihnen die Freigabe zum Abschuss von Wild zu erteilen. Er legte sehr viel Wert auf eine gesunde Jagd. Ein ganz beliebter Gast war der Rittergutsbesitzer Baron Magnus Freiherr von Braun mit seinen Söhnen.

Bild 004/Der zweite von links, stehend, ist mein Vater. Die weiteren Personen waren seine Gäste.

Durch meine Recherchen habe ich erfahren, dass das Rittergut in Habelschwerdt im Landkreis Löwenberg in Schlesien stand und den Namen „Oberwiesenthal“ (heute Bystrzyca) hatte. Im Landkreis Löwenberg gab es eine Stadt mit dem Namen „Ober-Wiesenthal“, daher sicherlich der Name des Rittergutes. Das möchte ich nicht unerwähnt lassen, da ich ja in Oberwiesenthal wohne. Nach erfolgreicher Jagd wurde vor dem Gasthof „Schwarzer Adler“ die Wildstrecke ausgelegt. In der Küche bereitete man unterdessen ein deftiges Jagdessen vor. Hier durfte nichts schiefgehen. Es musste alles perfekt sein, ansonsten wurde mein Vater sehr ungemütlich. Bei seinen abendlichen Erzählungen über die Jagd konnte man seine Wut über die Vertreibung aus seiner Heimat spüren.

Bild 005/Es waren die interessanten Abende zuhause, wenn unsere Eltern über ihre Vergangenheit aus Lähn sprachen.

In der Feuerwehr von Lähn war mein Vater auch aktiv. Dort führte er mit seinen Pferden das Löschgespann von Lähn.

Bild 006/Links auf dem Kutscherbock mein Vater. Die weiteren Personen sind Geschwister und Bürger aus Lähn.

Nach dem Kriegsende zogen deutsche Truppen auf dem Rückzug aus Russland durch Lähn. Deutsche Offiziere der SS übergaben meinem Vater Gewehre und reichlich Munition mit der Aufforderung, dass sich die Einwohner von Lähn vor den herannahenden Russen verteidigen sollen. Nachdem die Deutschen weitergezogen waren, versenkte mein Vater die Gewehre mit Munition und seine Jagdgewehre in dem am Grundstück vorbeifließenden Fluss, der Bober. Im Herbst 1945 wurde von den Polen und Russen eine unwahrscheinliche „Säuberung“ von in Lähn wohnhaften deutschen Bürgern durchgeführt. Mein Vater wurde aus dem Haus geholt, an die Wand gestellt und sollte hingerichtet werden. Der Grund war, er hatte Zwangsarbeiter zur Arbeit in der Landwirtschaft eingesetzt. Einer dieser Zwangsarbeiter stellte sich vor meinen Vater, breitete die Arme aus und schrie: „Nicht schießen, Erich war guter Mann.“ Danach sagten die Zwangsarbeiter aus, dass sie immer mit am Familientisch essen durften, Schlafunterkünfte im Haus hatten und nicht in den Stallungen essen und schlafen mussten. Das hat meinem Vater und sicherlich auch seiner Familie das Leben gerettet. Andere Einwohner, bei denen man Gegenstände oder Uniformen aus dem Dritten Reich gefunden hatte, wurden auf dem Markt von Lähn zusammengetrieben und von den Russen hingerichtet. Zu ihnen gehörte auch sein Bruder Willi, der während des Krieges als Soldat eingezogen worden war. Wie schon bei den Eltern meines Vaters sollten auch die Kinder meiner Eltern nur Jungs werden, denn sie sollten in der Zukunft das gesamte Anwesen mit all den verschiedenen Gewerken weiterführen. Die Mutter meines Vaters hatte 16 Geburten. Alle mit dem Ziel, im elterlichen Anwesen die Arbeit zu verrichten. Als erstes Kind meiner Eltern wurde Hannelore geboren. Das gefiel meinem Vater gar nicht. Es war ein Mädchen. Als meine Mutter zum zweiten Mal schwanger wurde, hoffte mein Vater, dass es nun ein Junge wird. Es wurden Zwillinge, und zwar zwei Mädchen. Das eine Mädchen, Margot, ist kurz nach der Geburt verstorben. Nach der Geburt der Zwillinge zog mein Vater aus lauter Frust in den Wald. Er konnte es nicht verkraften, dass in seinem Haus nach der Geburt von Hannelore wieder 2 Mädchenzur Welt gekommen waren. Erst nach der Geburt des ersten Sohnes war er überaus zufrieden. So sollten auch in Zukunft weitere Söhne geboren werden. 1944 wurde eine weitere Tochter geboren.

Zu Weihnachten 1946 kamen meine Eltern mit den 4 Kindern und der Mutter meines Vaters mit dem Treck auf dem Bahnhof in Roßwein an. Vom Bahnhof aus wurden alle Heimatvertriebenen im Schützenhaus (heute Lindenhof) an der Freiberger Mulde untergebracht.

Bild 007

Hier mussten sie im Saal einige Tage auf einem mit Decken belegten Fußboden leben. Es dauerte nicht lange, bis meine Eltern in Roßwein auf der Goldbornstraße nahe der Freiberger Mulde eine Unterkunft in einer Baracke zugewiesen bekamen. Die Baracke bestand aus zwei größeren Zimmern und zwei kleineren als Nebengelass. Da in dieser Baracke noch eine zweite Familie untergebracht worden war, informierte mein Vater seine Schwester in Ostberlin per Post über die Zustände in der Baracke. Daraufhin hat sie ihre Mutter Ida Kuhnt nach Berlin geholt. Die Schwester meines Vaters, Else Schnürl, hatte eine gute Anstellung in einer Metzgerei und konnte somit gut für ihre Mutter sorgen.

Im Frühjahr 1947 bekamen meine Eltern eine Wohnung auf der Gartenstraße 9 zugewiesen. Diese Wohnung befand sich im Parterre und wurde durch den Hausflur in je zwei Zimmer getrennt. Kurz danach wurde mein Vater von 2 russischen Soldaten der Stadtkommandantur von Roßwein abgeholt und für 3 Tage bei Wasser und Brot im Rathauskeller eingesperrt. Auch hier drohte ihm wegen seiner Vergangenheit die Hinrichtung. Ein Bürger, der auf dem Treck nach Roßwein als Sanitäter eingesetzt worden war, meldete sich bei der Stadtkommandantur und sagte über meinen Vater aus. Er hat Gleiches berichtet wie damals die Zwangsarbeiter in Lähn. Das rettete meinem Vater zum wiederholten Mal das Leben. Als im Herbst 1956 der Volksaufstand in Ungarn stattfand, war mein Vater voller Hoffnung, dass auch in Deutschland eine Wende bevorsteht und er bald wieder in seine Heimat zurückkehren kann. Er hat alles im Radio verfolgt. Sein Lieblingssender war Rias Berlin. Wenn er vor dem Radio saß, durfte ihn keiner stören. Über diesen Sender hat er erfahren, dass in Amerika ein Baron Wernher von Braun in der Raketenforschung tätig war. Er war der Meinung, dass es sich um den Sohn von Baron Magnus Freiherr von Braun handele. Daraufhin schrieb mein Vater an ihn einen Brief, dessen Inhalt ich nicht kenne. Er adressierte diesen an: Raketenforscher, Wernher von Braun, Vereinigte Staaten von Amerika. Schon bald kamen zwei Herren und führten meinen Vater ab. Am gleichen Tag kam er wieder nach Hause und schilderte uns abends, warum ihn die Herren abgeholt hatten. Sie wollten wissen, was ihn bewogen hatte, diesem Herrn nach Amerika einen Brief zu schreiben. Er hatte den Herren geschildert, dass er diesen Baron von Braun aus Schlesien kennt, denn er war mit seinem Vater bei ihm oft auf der Jagd gewesen. Mein Vater musste zusichern, keinen Kontakt mehr aufzunehmen. Immer wieder verfluchte er das System, in dem er sich und seine Familie als gefangen gehalten sah. Oft gab er mir zu verstehen: „Du wirst einmal Bauer, um meine Arbeit in Lähn fortzuführen.“ Ich konnte das manchmal schon gar nicht mehr hören. Meine Freunde, mit denen ich ab und zu etwas Freizeit verbrachte, wohnten alle in der Nachbarschaft. Das wollte ich nicht aufgeben. Im August 1961 wurde durch den Bau der Mauer in Berlin und das Schließen der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten Deutschland in zwei Teile geteilt. Jetzt wurde meinem Vater klar, dass es immer schwerer wird, wieder in seine Heimat nach Lähn zurückzukehren. Er gab aber die Hoffnung nie auf. Immer wieder schwärmte er von Lähn und meinte, die DDR mit dem System von kommunistischen Strukturen habe keine Zukunft. Er war der festen Überzeugung, dass wir wieder nach Schlesien zurückkommen und ich die Arbeit in der Landwirtschaft fortführen werde. Meine Schwester Hannelore hat ja vieles selber miterlebt und konnte den Worten manchmal nicht mehr zuhören. Sie wie auch mein großer Bruder trugen sich schon mit ganz anderen Gedanken. 1957 fälschte meine Schwester Hannelore die Unterschrift meines Vaters in einem Dokument zur Bahnfahrt nach Düsseldorf über Berlin. Sie hatte die Absicht, mit ihrer Freundin Elfriede über Berlin die Flucht in den Westen anzutreten. Da sie erst 17 Jahre alt war, brauchte sie eine elterliche Genehmigung, um über Berlin zufahren. Meine Schwester Hannelore saß oft mit ihrer Freundin Elfriede, die schon 18 war, in ihrem Zimmer zusammen, wo sie sicherlich ihre Flucht geplant hatten. Eines Tages verabschiedete sie sich von uns und sagte: „Ich fahre nach Berlin zu Tante Else.“ Keiner von unserer Familie hatte damit gerechnet, dass sie schon seit langer Zeit eine Flucht geplant hatte. Wenige Tage später bekamen meine Eltern Post aus Düsseldorf, dass sie gut im Westen angekommen und in einem Auffanglager sehr gut und freundlich aufgenommen worden ist.

So schwer es meine Eltern auch hatten, so stolz bin ich auf sie. Sie waren immer um uns besorgt und haben sich alle Mühe gegeben, für uns Essen auf den Tisch zu bringen.

Bild 008/Das Familienfoto wurde Weihnachten 1952 vom Photographenmeister Herrn H. aufgenommen. Ich sitze rechts auf dem Schoß meines Vaters.

Arbeit haben sie nie gescheut. Genau das haben sie uns Kindern mit auf den Weg gegeben. Im August 1969 verstarb mein Vater und konnte leider die Wiedervereinigung von Deutschland nicht erleben. Meine Mutter hingegen fuhr nach der Wiedervereinigung oft zu ihrer Tochter Hannelore nach Königswinter, wo sie sehr gut bewirtet wurde. Im Alter von 90 Jahren verstarb auch sie, im Jahr 2003. Die Dokumente auf den nächsten Seiten wurden mir nach dem Ableben meines Vaters von meiner Mutter übergeben.

Bild 009/Der übersetzte Text: 5000 M – Pf. für Grundstück auf den Eigentümer übertragen und unter Verantwortung in eine Hypothek für ein Darlehn von 5000 M zu den bisherigen Zins- und Zahlungsbestimmungen, abgetreten nebst den Zinsen mit dem 1. Januar 1922 an den am 27. Januar 1900 geborenen Landwirt Erich Kuhnt in Lähn. Eingetragen am 3. Januar 1922.

Bild 010/Umgerechnet: 1.000 FGM entsprechen in der heutigen Zeit 358,425 Gramm Feingold. Der Kurswert davon beträgt heute 10.958,70 Euro. Ob man das aus dem Grundbuch so umrechnen kann, weiß ich nicht. Auf jeden Fall dürfte es ein ungefährer Anhaltspunkt sein./Jan Krohn 13.10.2010

KAPITEL 2- Die Kindheit

Am 10. Juli 1947 wurde ich in der Wohnung auf der Gartenstraße geboren. Am 09. August 1949 kam meine Schwester Giesela und am 21. April 1952 noch mein zweiter Bruder im Roßweiner Krankenhaus zur Welt. Nach den Erzählungen meiner Schwester Hannelore musste ich als Kleinkind mit bei ihr im Bett am Fußende schlafen. Nach der Geburt meiner Schwester Giesela haben wir, 6 Kinder, in 3 Betten geschlafen. Nachdem mein 2. Bruder geboren worden war, schlief er mit bei meinen Eltern im kleinen Schlafzimmer.

Mein Vater wurde als Arbeiter dem Wohnungsbau in Roßwein zugewiesen. Hier musste er in Zinkkanistern Ziegel und Kalkgemisch in die einzelnen Etagen tragen. Kalk zu löschen und Terrazzo zu schleifen waren weitere Tätigkeiten. Um etwas Geld dazuzuverdienen, hat er häufig zusätzlich am Wochenende Terrazzo geschliffen. Oft bin ich mit auf die Baustelle gegangen und habe meinem Vater das Wasser zum Schleifen geholt. Zu den Mahlzeiten haben wir Kinder unserem Vater das Mittagessen auf den Bau gebracht. Das von meiner Mutter zu Hause zubereitete Essen kam in einen damals üblichen Essenbehälter aus Aluminium. Eines Tages im Juni 1953 herrschte zur Mittagszeit in Roßwein tüchtiger Lärm. Nachdem ich vom Essentragen nach Hause gekommen war, ging ich dem Lärm nach und aus Richtung Haßlau kamen eine Menge russische Panzer. Voller Stolz erzählte ich das am Abend zu Hause und bekam deshalb von meinem Vater einige Ohrfeigen. Im späteren Leben habe ich erfahren, warum. Die Russen hatten in Roßwein einige Betriebe eingekesselt, weil die Arbeiter gestreikt hatten, und wollten in die nächste größere Stadt, nach Döbeln, marschieren. Es war die Streikwelle in der DDR, da die Versorgung zum täglichen Leben immer schlechter wurde. Mein Vater wollte sich an dem Streik beteiligen, hatte aber noch rechtzeitig nach Hause fliehen können, bevor die Russen die Betriebe abriegelten.

Durch das Löschen von Branntkalk auf dem Bau erkrankte mein Vater stark an Bronchialasthma, weshalb er 1953 im Alter von 53 Jahren vorzeitig in Rente geschickt wurde. Er bekam 135 Mark der DDR. So musste er nun seine Familie ernähren. Das reichte weder hinten noch vorne, so dass sich meine Mutter in verschiedenen Geschäften in Roßwein als Reinigungskraft etwas dazuverdienen musste. Obwohl wir sehr beengt wohnten, hatte ich doch eine schöne Kindheit auf der Gartenstraße. Meine größeren Geschwister, die in Lähn geboren waren, fanden das nicht so toll. Sie waren ganz andere Lebensbedingungen gewohnt.

Auf der Gartenstraße wohnte eine Familie Knepper, die unsere Familie sehr unterstützt hat. Später erfuhr ich, dass Herr Knepper auch immer als Weihnachtsmann zu uns gekommen war. Er beschenkte uns mit Spielzeug und Süßigkeiten. Mein Vater hat für die Familie Knepper auf der Bergstraße in Roßwein einen kleinen Garten bewirtschaftet. Dabei habe ich oft geholfen. Das hat mir viel Spaß bereitet. Die Bergstraße befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt. Als Dankeschön bekam mein Vater von Herrn Knepper Obst und Gemüse.

Gegenüber von dem Haus, in dem wir wohnten, wohnte auch Hansi. Er war so alt wie ich und wir hatten uns bald angefreundet. Gemeinsam spielten wir auf der Gartenstraße und im Winter fuhren wir mit dem Schlitten die Gartenstraße runter. Der Schlitten war eine Käsehitsche, wie dieses kleine Eisengestell mit einem darauf befindlichen Holzbrett genannt wurde.

Im Mai 1955 bekamen meine Eltern eine Wohnungszuweisung auf der Nossener Straße 13. Das war eine sehr große und geräumige Wohnung. Nun hatten wir Jungs und die Mädchen eigene Zimmer. Zu der Wohnung gehörte auch ein Hausgarten mit einer Fläche von ca. 400 m². In der dazugehörigen Laube wurden als erstes Hasenställe für 20 Hasen eingebaut. An einer anderen Stelle im Garten errichtete mein Vater einen Hühnerzwinger mit einem Stall. Danach hörte er sich um, woher er Kaninchen und Hühner bekommen konnte. Bei Bauer Heft, der am Stadtrand von Roßwein einen großen Bauernhof hatte, wurden ein paar Kaninchen und Hühner geholt. Als die Kaninchen größer wurden, musste ich mit einem Behälter, in dem sich das Kaninchen befand, zu einem Kaninchenzüchter gehen, um es von einem Rammler, so nennt man das männliche Tier, decken zu lassen. So wurden mit der Zeit die Hasenställe voll. Ähnlich war es mit den Hühnern. Schon bald brüteten einige Hühner Eier aus. Ich weiß noch, dass es einen Hahn der Zuchtrasse Italiener gab, der sehr angriffslustig war, wenn ich in den Hühnerzwinger kam. Nun begann mein Vater mit einer eigenen Zucht von Kaninchen der Rasse „Deutsche Riesenschecke“. Neugeborene Kaninchen wurden nach 6 Wochen verkauft. An der Haustür wurde ein Schild befestigt: „Verkaufe 6 Wochen alte Kaninchen, Deutsche Riesenschecke für 6,00 Mark.“ Der Verkauf lief perfekt. Ein Großteil der Eier von unseren Hühnern wurde bei einem Händler abgegeben und dafür bekam man einen Gutschein für Kleie. Diese konnte man in der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft (BHG) abholen und zur Fütterung der Kaninchen unter die rohen Kartoffeln mischen. Schon bald hatten wir 20 Hasen und ebenso viele Hühner. Jetzt mussten sie entsprechend mit Futter versorgt werden. Wenn wir Kinder aus der Schule kamen, hieß es, erstmal einen Eimer Kartoffeln zu schneiden und danach auf Roßweiner Wiesen für die Hasen Maistöcke zu stechen. Während andere Kinder Hausaufgaben machten oder auf der Straße spielten, war im Besonderen ich derjenige, der die Arbeiten zu Hause verrichten musste. Im Garten wurden nur Blumenangebaut, wie zum Beispiel Tulpen, Gladiolen, Nelken und Rosen, die an den Sonnabenden auf dem Wochenmarkt verkauft wurden. Die Woche über wurden diese ebenfalls über ein Schild an der Haustür angeboten. 1958 hatte mein Vater an der Freiberger Mulde einen zweiten Garten mit einer Fläche von ca. 200 m² erworben. Dort wurde nur Gemüse angebaut, welches zu einem Teil für den eigenen Verbrauch und zum anderen Teil ebenfalls für den Wochenmarkt bestimmt war.

Bild 012/Mein Vater und mein Bruder auf dem Weg in den Garten.

Bild 013/Mein Bruder bei der Gurkenernte für den Wochenmarkt.

In den ersten Jahren hatte das alles noch mein Vater selbsterledigt. Ab der 5. Klasse wurde die Aufgabe „Wochenmarkt“ mir übertragen. Da musste ich sonnabends, das war gegen 6:00 Uhr vor Schulbeginn, mit dem Handwagen auf den Markt gehen, um Blumen, Gurken und Erdbeeren zu verkaufen. Zuvor sollte ich immer schauen, wie bei den anderen Händlern die Preise waren, und sollte unsere Produkte 10 Pfennige billiger verkaufen. Bald darauf gab es Ärger mit den Händlern und ich musste mir allerhand Beschimpfungen anhören.

Um eine entsprechende Ernte zu erzielen, wurde der angefallene Mist von den Hasen mit dem Handwagen in den 3 km entfernten Garten gebracht. Zusätzlich mussten wir Jungs auf den Straßen in Eimern Pferdekot sammeln. Dieser wurde mit der Hand zwischen die Erdbeerreihen ausgebracht. Den Kaninchenmist mussten meine Brüder und ich untergraben.