Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors - John Densmore - E-Book

Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors E-Book

John Densmore

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Beschreibung

"Es scheint, dass Jim Morrison auf alle, die ihn jemals getroffen haben, einen unterschiedlichen Eindruck machte: Gentleman aus dem Süden, Lackaffe, Dichter, Scheusal, Charmeur, und so weiter. Ich habe mit Jim sechs Jahre lang auf Tourneen und im Aufnahmestudio zusammengelebt. Dieses Buch ist meine Wahrheit. Vielleicht ist es nicht die ganze Wahrheit, aber so habe ich sie erlebt. Vom Schlagzeugschemel aus." John Densmore erzählt die Story der Doors und von Jim Morrison ohne verklärenden Blick aus der Perspektive des Insiders. Als Chronik einer Hassliebe gehört "Riders On The Storm" (so der Originaltitel) seit langem zu den Klassikern der Rockliteratur.

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John Densmore

RIDERS ON THE STORM

Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors

Aus dem amerikanischen Englisch von Rainer Moddemann

www.hannibal-verlag.de

IMPRESSUM

4. Auflage 2017

Originalausgabe/1990 Delacorte Press

Bantam Doubleday Dell Publishing Group Inc. New York

Copyright © 1990 by John Densmore

Copyright © 1991/2002 der deutschen Ausgabe by

Cover Design © www.bw-works.com

Herstellung: www.buchsatz.com

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-634-6

Auch als Papreback erhältlich mit der ISBN 978-3-85445-639-1

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

DOORS LYRICS

Für die Erlaubnis, aus folgenden Texten zitieren zu dürfen, bedankt sich der Autor bei den jeweiligen Copyrightinhabern:

AN AMERICAN PRAYER von James Douglas Morrison. Copyright 1978 James Douglas Morrison Publishing und Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

AWAKE von James Douglas Morrison. Copyright 1978 James Douglas Morrison Publishing und Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

BEEN DOWN SO LONG von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

BREAK ON THROUGH (TO THE OTHER SIDE) von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

CARS HISS BY MY WINDOW von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

CRYSTAL SHIP von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

END OF THE NIGHT von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

FIVE TO ONE von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1968 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

HELLO, I LOVE YOU von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1968 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

HYACINTH HOUSE von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

I CAN’T SEE YOUR FACE IN MY MIND von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

L’AMERICA von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

L.A. WOMAN von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

LIGHT MY FIRE von Jim Morrison, John Densrnore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

LOVE HER MADLY von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

LOVE ME TWO TIMES von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechtevorbehalten.

MAGGIE M’GILLvon Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

MOONLIGHT DRIVE von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). AlleRechte vorbehalten.

MY EYES HAVE SEEN YOU von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

NOT TO TOUCH THE EARTH von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1968 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechtevorbehalten.

PEACE FROG von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

PEOPLE ARE STRANGE von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

RIDERS ON THE STORM von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

SHAMAN’S BLUES von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1969 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

SOFT PARADE von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1969 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

SOUL KITCHEN von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

SPY IN THE HOUSE OF LOVE von Jim Morrison. John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). AlleRechte vorbehalten.

STRANGE DAYS von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

SUMMER’S ALMOST GONE von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1968 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

THE END von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

THE MOVIE von James Douglas Morrison. Copyright 1978 James Douglas Morrison Publishing und Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

TIGHTROPE RIDE von John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1972 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

TWENTIETH CENTURY FOX von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company(ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

UNIVERSAL MIND von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

UNKNOWN SOLDIER von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1968 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

WAITING FOR THE SUN von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1970 Doors Music Company (ASCAP). AlleRechte vorbehalten.

WHEN THE MUSIC’S OVER von Jim Morrison, John Densmore, Ray Manzarek und Robby Krieger. Copyright 1967 Doors Music Company (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

ALLE WEITEREN TEXTE

ALL YOU NEED IS LOVE von John Lennon und Paul McCartney. Copyright 1967 Northern Songs, Ltd. Alle Rechte vorbehalten.

ASTRAL WEEKS von Van Morrison. Copyright 1968 January Music Corp., Hyde Park Music Publishing, Ltd., Bernice Music, Inc., Six Continents Music, Unichappell Music, Inc. Alle Rechte vorbehalten.

BACK DOOR MAN von Willie Dixon. Copyright 1961 Hoochie Coochie Music. Alle Rechte vorbehalten.

BALLAD OF A THIN MAN von Bob Dylan. Copyright 1965 Warner Bros., Inc. Alle Rechte vorbehalten.

GOODNIGHT SAIGON von Billy Joel. Copyright 1981 Joel Songs. Alle Rechte vorbehalten.

GRACE von Joe McDonald. Copyright 1967 Joyful Wisdom Music Company. Alle Rechte vorbehalten.

HEAVEN IS IN YOUR MIND von Steve Winwood, Jim Capaldi und Chris Wood. Copyright 1968 Island Music Ltd. und F.S. Music Ltd. Alle Rechte vorbehalten.

IT AIN’T ME BABE von Bob Dylan. Copyright 1964 Warner Bros., Inc. Alle Rechte vorbehalten.

IT’S LONELY AT THE TOP von Randy Newman. Copyright 1970 January Music Corporation. Alle Rechte vorbehalten.

THE LORDS AND THE NEW CREATURES von James Douglas Morrison. Copyright 1969-1970 James Douglas Morrison. Mit freundlicher Genehmigung von Simon & Schuster, Inc. Alle Rechte vorbehalten.

MR. TAMBOURINE MAN von Bob Dylan. Copyright 1964 Warner Bros. Inc. Alle Rechte vorbehalten.

MYTHOLOGY von Edith Hamilton. Copyright 1942 Edith Hamilton. Copyright 1969 Dorian Fielding Reid und Doris Fielding Reid mit Erlaubnis der Little, Brown and Company. Alle Rechte vorbehalten.

ONE WAY OUT von Marshall E. Seahorn und Elmore James. Copyright 1965 Rhinelander Music (BMI). Alle Rechte vorbehalten.

PORPOISE MOUTH von Joe McDonald. Copyright 1967 Joyful Wisdom Music Company. Alle Rechte vorbehalten.

RAT RACE von Rita Marley. Copyright 1976 Bob Marley Music Ltd. (ASCAP). Alle Rechte vorbehalten.

ROUTE 66 von Bobby Troup. Alle Rechte bei Edwin H. Morris & Cornpany.

TONGUES aus Seven Plays von Sam Shepard. Copyright 1981 Sam Shepard. Mit freundlicher Genehmigung von Bantam Books, Bantam Doubleday Dell Publishing Group, lnc. und Faber and Faber, London.

THE WHITE ALBUM von Joan Didion. Copyright 1968, 1979 Joan Didion. Erschien zuerst in der SATURDAY EVENING POST unter dem Titel „Waiting for Morrison“. Mit freundlicher Genehmigung von Farrar, Straus and Giroux, Inc. Alle Rechte vorbehalten.

WHITE RABBIT von Grace Slick. Copyright 1967 lrving Music, Inc. (BMI). Alle Rechte vorbehalten.

WIDMUNG

Für John Lennon, der mir die Inspiration gab,

mein persönliches Leben in den Griff zu bekommen.

DANKSAGUNG

Ohne Phil Cousineau wäre dieses Buch niemals zustande gekommen. Seine Hilfe bei der Strukturierung, der Redigierung und beim Schreiben war von unschätzbarem Wert. Seine Freundschaft, seine Hinweise und seine Funktion als wohlwollender Arbeitgeber will ich erst gar nicht erwähnen.

Ebenfalls Dank gebührt Bob Miller von Delacorte Press dafür, dass er von Anfang an das glaubte, was ich schrieb, es schließlich als Buch kaufte und mit Sorgfalt editierte. Es ging für ihn über das normale Maß an Arbeit hinaus. Dank an Bernie Schwartz für frühe Unterstützung und Hilfe bei der Bearbeitung. Schließlich umarme ich Leslie Neale für all die Hilfe und schicke einen Dank an Robby Krieger, Ray Manzarek, Sam Joseph, Michael Ventura, Danny Sugerman, Amy Ephron, Abe Somer, Bill Siddons, Debbie Berman, Paul Rothchild, Bruce Botnick, Leslie Werner, Lanette Phillipson und Robert Bly.

Und angesichts der Bedeutung dieses Projekts möchte ich mich bei all denen bedanken, die ich aus Nachlässigkeit nicht erwähnt habe.

VORWORT

Es scheint, dass Jim Morrison auf alle, die ihn jemals getroffen haben, einen unterschiedlichen Eindruck machte: Gentleman aus dem Süden, Lackaffe, Dichter, Scheusal, Charmeur. usw.

Ich habe mit Jim sechs Jahre lang auf Tourneen und im Aufnahmestudio zusammengelebt. Dieses Buch ist meine Wahrheit. Vielleicht ist es nicht die ganze Wahrheit, aber so habe ich sie erlebt. Vom Schlagzeugschemel aus.

INHALT

1 BREAK ON THROUGH

2 WILD CHILD

3 MOONLIGHT DRIVE

4 SOUL KITCHEN

5 LIGHT MY FIRE

BILDSTRECKE 1

6 WHISKEY BAR

7 CRYSTAL SHIP

8 TWENTIETH-CENTURY FOX

9 STRANGE DAYS

10 ROADHOUSE BLUES

BILDSTRECKE 2

11 TELL ALL THE PEOPLE

12 WAITING FOR THE SUN

13 ABSOLUTELY LIVE

14 SHAMAN’S BLUES

15 TOUCH ME

BILDSTRECKE 3

16 PEOPLE ARE STRANGE

17 THE MORRISON HOTEL

18 L.A. WOMAN

19 THE UNKNOWN SOLDIER

20 THE END

BILDSTRECKE 4

21 RIDERS ON THE STORM

22 WHEN THE MUSIC’S OVER

DISCOGRAPHIE

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1 BREAK ON THROUGH

Paris, 1975

Es roch nach Regen. Ich hatte auf Sturm gehofft; dann hätten wir nicht sein Grab besuchen müssen. Mein Herz fing an zu rasen. Ich schaute zu Robby, Danny und Hervé rüber, als sich unser Wagen dem Friedhof näherte. Alle schienen nervös zu sein. Die hohen, dicken Wände sahen unheilvoll aus, als ob sie etwas Uraltes und Mysteriöses beschützen würden.

Als wir durch das Eingangstor gingen, watschelte ein chaplin-ähnlicher Gendarm auf uns zu und fragte, wo wir hin wollten.

„Wissen Sie, wo Jim Morrisons Grab ist?“ fragte ich mit einem Beben in der Stimme. „Ah, mais oui,“ antwortete er mit einem breiten Akzent. „Monsieur Morrisons Grab liegt oberhalb des Kopfsteinweges. Die Grafitti werden Sie dorthinführen. Sie wurden neulich entfernt, aber wie Sie sehen werden, ist wieder vielhinzugefügt worden. Bitte nichts dazuschreiben, d’accord?“

„D’accord.“ Darüber werden wir auch hinwegkommen, murmelte ich mir zu, als wir an seinem Wächterhaus vorbeigingen.

Der Weg wurde immer steiler, während wir an moosbedeckten Grabsteinen vorbeischritten. Ein kalter, feuchter Nebel begann uns einzuhüllen. Einige räudige Katzen jagten über unseren Weg in dunkle Grablöcher hinein. Pére Lachaise ist das Zuhause von hunderten streunenden katzenartigen Wesen zwischen berühmten europäischen Toten.

Merkwürdig, dass ein guter alter Kumpel aus Florida auch dort liegt. Jim hätte diese Gesellschaft gewiss gemocht. Ich muss mal darüber nachdenken, ob er es nicht auch so geplant hatte.

Die massiven, barocken Schilder entlang des Friedhofweges wiesen den Weg zu Oscar Wilde, Balzac, Edith Piaf und Chopin. Und dann die Grafitti: „Morrison – this way“, geritzt in einen wohl mehr als hundert Jahre alten Grabstein; dann, roh über eine alte Ornamenttafel nach der anderen gepinselt: „Acid Rules“, „This Is Not The End“, „Jim Was a Junkie“. Die Schändungen wurden immer rüder und ich spürte, dass wir uns der Grabstelle näherten.

„Hier ist es“,·sagte Hervé, der französische Journalist, müde. Er stand hinter einigen großen Gruften aus Granit. Wir folgten dem Wegrand, kletterten dann über mehrere Steinbrocken zu einem kleinen Rechteck aus Zement, das in den Boden eingelassen war.

Ich starrte es ungläubig an. Das ist es? schrie mein Innerstes. Dies ist das Ende des Elektrischen Schamanen, des Acidkönigs, des Ödipus Rex in Person?

Scheiße. Merde.

Ich schaute zu Danny Sugerman hinüber und meine Augen füllten sich mit Tränen. Mein Magen verkrampfte sich und meine Beine begannen von dem alten Hautausschlag wie rasend zu jucken. Ich wollte wegrennen. „Verstehst Du es jetzt?“ sagte ich mit unterdrückter Stimme zu Danny.

Er nickte und drehte sich zu mir. „Mein Gott, ich hatte keine Ahnung“, sagte er und tat so, als würde er meine Ergriffenheit zum ersten Mal bemerken.

„Natürlich nicht. Du warst nicht in der Band. Du warst der Publizist“, schnauzte ich und hätte am liebsten um mich geschlagen.

Robby streifte umher, still wie immer, versteckte sich wie üblich hinter seinen Gefühlen. Unser Gitarrist war introvertiert, aber er war mein bester Freund.

„Wie konnte er da hineinpassen?“ fragte ich und fühlte mich bei dieser Frage leicht albern. „Er war 1,83 groß, oder?“

Vielleicht ist es wahr, dachte ich. Vielleicht ist er nicht tot. Vielleicht ist er in Afrika und lebt dort einen weiteren Mythos aus. Zuerst Dionysos, dann Nietzsche, dann Rimbaud?

Warte mal. Er ist tot, Du Arschloch. Du hast zugesehen, wie er sich selbst zerstörte, zischte ich mich selbst an, während ich auf das Grab starrte. Und du hast nichts dagegen unternommen. Konntest nichts dagegen unternehmen. Jahrelang hattest du es kommen sehen, aber…

Nietzsche hat Jim Morrison getötet, hatte ich einst ziemlich melodramatisch einigen überraschten Freunden in Berkeley eröffnet. Morrison, der Superman, der dionysische Verrückte, die Geburt der Tragödie selbst. Aber wer weiß, wer oder was ihn umgebracht hat.

Weiß Gott, eine Million Leute sind schon in der Hoffnung zu mir gekommen, dass ich eine Antwort wüsste.

Ich schob meine Hände in die Manteltaschen und seufzte in tiefer Verzweiflung. Dies ist ein wundervoller Ort, begraben zu werden, Jim, aber dein Grab sieht so klein und kalt und schmutzig und – unwürdig aus.

All our lives we sweat and save

Building for a shallow grave

Must be something else we say

Somehow to defend this place.

(Unsere ganzen Leben lang schuften und sparen wir

Erbauen uns ein flaches Grab

Das muss etwas Besonderes werden, sagen wir

Um irgendwie diesen Platz zu schützen.)

„The Soft Parade“, erinnerst Du Dich, Jim?

An der Grabstelle war es ruhig. Herausfordernd ruhig. Ich fühlte den kalten Regen meinen Nacken hinunterkriechen. Frösteln. Hervé und Robby streiften nervös herum. Ein junger Rock’n’Roll-Pilger klimperte auf seiner Gitarre als Hommage einen Doors-Song. Auf seinem Rucksack klebte ein Doors-Sticker. Es gibt kein Entrinnen.

*

Jim, ich stecke immer noch in dem Labyrinth, versuche Antworten zu finden, deren Fragen ich noch nicht einmal formulieren kann. Sicher, Ray, Robby und ich sprachen über deine Selbstzerstörung, aber Robby und ich dachten einfach, du könntest möglicherweise 80 Jahre alt werden, wie ein schwerer irischer Säufer. Doch mein Körper wusste es besser. Ich hatte jahrelang Kopfschmerzen, Hautausschläge, Phobien. Und immer noch kämpfe ich damit. Robby meinte, dass eines der Dinge, die der Band Kraft gaben, die psychische Stärke war, die wir benötigten, um Deine Exzesse zu tolerieren. In den Sechzigern mag das gestimmt haben, aber heute brauche ich mehr als das, um weitermachen zu können.

Ich wandte mich wieder zu dem surrealistisch dekorierten Grabstein. Was hattest du in deinen Songs gesagt, das möglicherweise deine Huldigung an den Wahnsinn verteidigt und uns beinahe auch in den Abgrund gezogen hätte? Wie lautete deine verdammte Botschaft, Jim? Anarchie? Warum hatte ich da in all diesen Jahren mitgespielt? Wegen des Geldes? Des Ruhmes? Der Mädchen? Nach all diesen Jahren fühle ich mich von mir selbst betrogen, bloßgestellt, dass ich niemals Manns genug war, mich gegen dich zu stellen und wirklich abzuhauen. Oh, ich stürmte einmal wütend davon – in Michigan – weißt du noch? Aber ich kam zurück.

Du wusstest es, nicht wahr? Aber wie?

„Komm, John, wir müssen gehen“, sagte Danny.

Ich winkte ab. „Ich brauche nur noch eine Minute.“

Sie waren gegangen. Stille. Dann plätscherte der Regen auf das Moos, füllte eine schmutzige Ecke des flachen Grabes. Einige Blumen trieben matt im Schlamm.

Jim, ich bin wirklich stolz auf das, was wir gemacht haben, flüsterte ich dem Grab meines Freundes zu, aber ich habe es satt, nur als dein Schlagzeuger bekannt zu sein. Ich weiß nicht, wer ich bin. Jch bin jetzt einunddreißigJahre alt, das weiß ich. Ich habe dich um vier Jahre überlebt, du Hurensohn. Ich sehe jetzt ein, dass ich mir meines Lebensweges zu deiner Zeit nicht bewusst war. Wenigstens du hast deine Prophezeiung erfüllt, auch wenn du sterben musstest, um den kostbaren Mythos der Doors zu verbreiten. Unseren geheimen Todespakt. Nonverbal natürlich.

Oder halluziniere ich jetzt? Du brachst auf in die Leere, und Ray, Robby und ich, dein Feast Of Friends, unterstützten dich. Bis zu einem bestimmten Punkt. Wir hatten keine Ahnung, dass du es tatsächlich wahrmachen wolltest. Nun frage ich mich, ob ich irgendetwas hätte tun können, um dich aufzuhalten, sogar, wenn ich alte Filme und alte Interviews sehe, wo wir behaupten, einer musste für uns alle bis zum Ende gehen.

Habe ich mich jetzt selbst bloßgestellt? Ich muss es wissen.

Ein eiskalter Windstoß schüttelte mich aus meinem Tagtraum. Ich drehte mich schnell weg und beeilte mich, die anderen einzuholen. Am Tor legte ich meinen Arm um Dannys Schulter, während wir über das Kopfsteinpflaster zu Hervés Wagen gingen. Robby schüttelte in tiefer Verzweiflung seinen Kopf. Er war blass geworden. Er konnte mich noch nicht einmal anschauen. Er starrte nur dumpf aus dem beschlagenen Wagenfenster, während wir uns langsam vom Friedhof entfernten.

*

Später im Hotel, als ich dann an meinem Georges IV.-Schreibtisch saß, schaute ich aus dem Fenster über die Dächer der Stadt. Die Sonne versuchte vergebens, den nebligen grauen Morgen zu besiegen. Ich aß den Riegel Pfefferminzschokolade, den das Zimmermädchen letzte Nacht auf das Kissen gelegt hatte und musste über mein Zimmer schmunzeln, das die Form eines L hatte. Wieder so ein exzentrisches europäisches Hotelzimmer.

Meine Augen wanderten von dem Fensterblick mit den blaugrauen Pariser Dächern auf das Briefpapier des Hotels, das mich vom Tisch her anstarrte.

Ich nahm den Hotelkugelschreiber und begann einen Brief.

Paris, 1975

Lieber Jim,

Nun haben wir endlich Dein Grab besucht. Ich kann nicht für die anderen sprechen, aber ich vermute, ich bin nicht zu Deiner Beerdigung gekommen, weil ich in den letzten Jahren, in denen die Band existierte, so verärgert und enttäuscht über Dich war. Aber Du wusstest das. Es dauerte drei Jahre, bis ich Dir meine Achtung erweisen konnte, aber schließlich bin ich nun doch hier.

Bei den vielen Grafitti war es nicht schwer, Dein Grab zu finden. Aber es schockierte mich, dass dort noch nicht einmal ein Namensschild war. Scheinbar war Pam, Deine Freundin (oder wart Ihr verheiratet?), mit dem Geld durchgebrannt, das wir ihr gegeben hatten. Es gab Gerüchte, dass sie es sich in den Arm gespritzt hat.

Wusstest Du, dass sie dem braunen Pulver verfallen war?

Hey, das geht zu sehr unter die Gürtellinie. Ich weiß nicht, warum ich Dir jetzt dieses schreibe. Es beweist aber, wie sehr Du uns alle beherrscht hast – wenigstens mich. Angeblich bist Du verdammt nochmal tot und hier brüte ich nun in einem Hotel über einen Brief an Dich.

Aber was kümmert’s mich. Ich bin immer noch wütend und verletzt. Ich wünschte, ich hätte damals in den Sechzigern den Mut gehabt, Dir einige Dinge mitzuteilen, aber Du warst so voller Macht und deswegen so einschüchternd. Ich bin unglaublich stolz auf unsere Musik, aber es gibt Dinge, die ich mir von der Seele reden muss. Zu spät – für Dich. Aber nicht zu spät für mich und vielleicht für einige andere, wie zum Beispiel für die Jugendlichen, die Dich immer noch bewundern.

Einer der frisch eingeritzten Sprüche Deiner Fans deutet an, dass Du Heroin genommen haben sollst. Davon hatte ich keine Ahnung. Wie hätte ich es auch wissen können? Ich kannte Dich während Deiner letzten Tage nicht sehr gut. Ich wollte es auch nicht. Ist es nicht eine Ironie, dass die Parasiten, die Dich am Ende Deines Lebens getroffen haben – und war es auch nur für eine kurze Zeit – nun mit Deiner Freundschaft Kasse machen, während wir noch nicht einmal in Deine Augen schauen konnten? In diese dämonischen Augen.

Ich musste mich schützen. Frag mich nicht, wovor.

Falls irgend jemand Dich vor Deinem Untergang hätte retten können, wäre es Pam gewesen, doch sie war es, die mit Dir gemeinsam in die Drogen rutschte, Seitensprünge machte und mit Dir verfiel. Ich weiß nicht, wer dabei die treibende Kraft war und es wäre nicht gut, würde ich jemanden deswegen beschuldigen.

Was hatte es mit dieser dunklen Morrison-Wolke auf sich, die über Deinem Kopf schwebte? Jeder, der mit Dir in engen Kontakt geriet, fand sich bald am Saum dieser Dunkelheit wieder. Du warst der verdammte Prinz der Dunkelheit, Jimbo. Irgendwann überrannte uns der Mythos, den wir aufbauten, und begann ein Eigenleben, anstatt abzuflauen. Du magst denken, dass wir ihn zerschlagen oder ihn wenigstens nicht ernst nehmen sollten oder die Macht eines Mythos nicht unterschätzen sollten.

Aber es war ein Spiel namens Irrsinn, wie Du es einmal genannt hast, und Du warst sein Dichterpriester, wie sie es heute nennen; ich behaupte, es wurde zu einer Horrorshow. Wann geriet es außer Kontrolle, Jim? Wo war der Punkt erreicht, von dem es keine Rückkehr mehr gab? Ich muss es wissen, denn ich trage heute noch eine beschissene Ladung Schuld mit mir herum.

*

Los Angeles, 1971

An einem Donnerstagmorgen klingelte das Telefon.

„Hey, Mann, wie geht’s dir“ sagte die Stimme, die ich nur zu sehr kannte, die whiskyschwangere Stimme, die Schrecken in mir weckte.

„Hi, Jim“, antwortete ich zögernd und dachte dabei, dass er der letzte war, mit dem ich auf dieser Welt sprechen wollte. „Wie läuft es so da drüben?“ fügte ich hinzu. „Wie ist Frankreich?“

„Gut. Jedenfalls nicht schlecht“, meinte er unverbindlich. „Wie macht sich L.A. Woman?“

Er klang nicht betrunken. War es noch zu früh am Morgen? Moment, dachte ich. Dort ist jetzt füher Abend.

„Großartig. Die Platte macht sich wirklich gut“, sagte ich begeistert. „,Love Her Madly‘ ist ein Hit und jeder mag das Album.“·Dass wir schon wieder mit neuen Übungssessions begonnen hatten – ohne ihn – wollte ich ihm nicht sagen. So etwas hatten wir zuvor auch schon getan, aber diesmal achtete ich darauf, dass wir ohne ihn weitermachten. So schwer mir das Eingeständnis auch fällt, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, eine weitere Aufnahmesession mit dem Dr. Jekyll des Rock’n’Roll durchstehen zu müssen.

„Ja, alles klappt vorzüglich.“ Ich fragte mich, ob er den Unterton mitbekommen würde.

„Nun, vielleicht sollten wir noch eine Platte machen?“

„Sicherlich, Jim, gute Idee.“

Miserable Idee, dachte ich, während ich mit dem Hörer herumfummelte und den Kloß im Hals herunterschluckte. Ich hoffe, dass ich nie wieder mit dir in einem Aufnahmestudio eingepfercht sein muss. Schön, dass du wieder Rock’n’Roll spielen willst, besonders mit uns, aber du suchst dir die falschen Gründe aus. Du hast nie etwas gemacht, nur weil du dachtest, dass es sich gut verkaufen würde. Du musst nicht unbedingt den Großen Amerikanischen Roman dort drüben schreiben, wie du es dir erhofft hattest. Vielleicht trinkst du wie ein großer amerikanischer Schriftsteller.

„Wann gedenkst du zurückzukommen?“ fragte ich ihn und hoffte, er würde noch länger wegbleiben, weil ich nur zu gerne seinen Vorschlag gehört hätte, dass Ray, Robby und ich schon mal einige Instrumentalstücke einüben sollten.

Verrat? An Jim – oder an den Fans? An uns?

Scheiß drauf. Es ist eine Erlösung, ohne Morrison zu spielen.

„Oh, in ein paar Monaten.“

„Elektra will ‚Riders On The Storm‘ als zweite Single aus dem Album koppeln, darum haben wir noch viel Zeit.“

„Eine zweite Single … wow … es muss tatsächlich gut laufen!“

„Yeah.“

Aber ich wusste, dass wir ohne ihn weitermachen würden. Und ich fühlte mich befreit. Ich hoffte nur, dass Ray und Robby mitziehen würden. Er kann einfach nicht zurückkommen, dachte ich. Er würde nur wieder den Blues spielen wollen, den langsamen, gefühlvollen, monotonen Blues, der für einen Sänger wie ihn geeignet ist, aber langweilig für mich als Schlagzeuger.

Ich fluchte lautlos, während Jim von dem Leben in Paris erzählte. Ich wusste, dass bei seiner Rückkehr die anderen Bandmitglieder nachgeben würden. Noch nicht einmal ich könnte widersprechen. Würde er wieder aufkreuzen, sähe ich uns den Rest unseres Lebens in schmierigen Clubs und bei nervenden Aufnahmesessions verbringen. Die Schattenseite des Gipfels. Das wäre mein Ende.

Oder könnte ich die Gruppe verlassen? Wir werden mit diesem alten Bluesmann nicht mit Glanz und Gloria untergehen. Nie im Leben, Kumpel. Ich scheiß drauf, beschloss ich, während wir miteinander sprachen.

Ich kann abhauen. Diesmal kann ich es wirklich.

„Gut, dann … bis bald mal.“

„Yeah, danke für den Anruf.“

Ich legte auf, zitterte, war erlöst. Dann dachte ich, Jesus Christus! Warte mal. Ray und Robby haben schon einige ausgezeichnete Instrumentalstücke eingeübt. Vielleicht gibt es kein Zurück. Wir haben uns auf etwas festgelegt. Warte, bis ich es den anderen erzähle. Sie werden mir nicht glauben, dass er eine weitere Platte machen will … in seinem alkoholgetränkten Zustand. Ich wusste, dass seine Nüchternheit nur vorübergehend war.

„Gott“, sagte ich mit einem Seufzer.

*

„Jim ist tot“, sagte Robby zu mir, als ich das Doors-Office in West Hollywood betrat. Jims Anruf aus Paris lag drei Wochen zurück. Es gab früher schon dutzende Gerüchte dieser Art und sogar Anzeichen von Wahrheit, aber der ernste und traurige Ausdruck auf Robbys Gesicht bestätigten mir, dass es tatsächlich wahr war.

Ich war der letzte aus der Gruppe, der mit ihm gesprochen hatte. Jetzt, im Juli 1971, nur sechs Jahre nach unserem Zusammentreffen, war er gegangen – mein Mentor, mein anderes Ich, mein Freund.

Ich setzte mich auf den nächsten Stuhl und ließ einen tiefen Seufzer von mir.

„Ich habe letzte Nacht einen Anruf von Bill bekommen“, sagte Ray und setzte sich neben mich. „Er berichtete, dass die Zweigstelle der Plattenfirma in Europa angerufen habe, dass Jim tot sei. Er weiß noch keine Einzelheiten.“

In seiner höchst gönnerhaften Weise fuhr Ray fort, dass er sich die Freiheit genommen habe, Bill Siddons, unseren Manager, mit der nächsten Maschine nach Paris zu schicken, damit er die Nachricht überprüfen und sofort anrufen kann, wenn es weitere Informationen gäbe.

Ich fühlte mich wie taub. Als ich die Gastmusiker unten zu unserem geplanten Übungstermin ankommen hörte, dachte ich, er hat nun bekommen, was er wollte. Er hat den Durchbruch geschafft. Zur anderen Seite.

Wir drei schleppten uns die Betonstufen zum Studio hinunter. Ich weiß noch, wie kalt sich das stählerne Geländer in meiner Hand anfühlte und wie befreit mein Kopf war und wie gut es war, jetzt ein wenig Musik machen zu können.

Ich schaute Ray an, bevor wir durch die Studiotür gingen. „Dumm, wie dumm“, sagte er verärgert. „Kein Unterschied zu Jimi und Janis. Keine Originalität.“ Er machte eine Pause, zündete nervös eine Zigarette an. „Lausiges Timing, nicht wahr? Er musste einfach die Nummer Drei sein, stimmt’s?“ Ray verdeckte offensichtlich seine Trauer mit Zorn.

„Ich freue mich“, murmelte Robby mit weißem Gesicht. „Schließlich hat er jetzt seinen Frieden gefunden.“

Drinnen bekamen die Studiomusiker die düstere Stimmung mit.

„Unser Sänger ist soeben verstorben“, sagte ich. Die Worte schwirrten in meinem Kopf herum, während ich meine Trommelstöcke aufhob.

Wir begannen zu spielen. Es tat gut, sich eine Weile in unserer Musik zu verlieren. Wir vergaßen für einen Moment, falls man überhaupt jemals vergessen kann.

Später machten wir eine Mittagspause und gingen in das Old World Restaurant oben auf dem Sunset Boulevard. Aus dem Lautsprecher drang Rockmusik. Zwanzig Minuten später unterbrach während unseres Essens der Discjockey das Programm mit einer Kurznachricht.

„Der Rocksänger Jim Morrison von den Doors starb im Alter von 27 Jahren. Weitere Details gibt es zu diesem Zeitpunkt noch nicht.“

Die Worte schnitten in mich hinein. Glühende Blitze zuckten in meinem Körper auf und nieder. Ich blickte um mich. ob irgendeiner der anderen Gäste uns erkannt hatte. Zur Abwechslung hatte es keiner, Gott sei Dank.

Wieder im Studio, wo wir nur wenige Monate zuvor unser von den Kritikern so benanntes „Comeback-Album“ aufgenommen hatten, wo Jim seinen Gesang aus dem vibrierenden Toilettenraum aus aufgenommen hatte, war die Abendsession für die Platte, die später Other Voices genannt werden sollte, ohne jedes Leben.

Ich drosch wie verrückt auf mein Schlagzeug ein, aber mein Herz war nicht dabei. Meine Gedanken gingen zurück in die frühen Tage, als wir die Kanäle von Venice entlangfuhren, mit dem Radio dabei, das die Hits des Sommers ’66 schmetterte, während wir psychedelische Drogen, Mädchen und Meditation entdeckten und es ganz so aussah, dass wir die Welt verändern würden und zwar –

JEEETZZZT!!!

2 WILD CHILD

Ich habe Musik schon immer geliebt. Als Achtjähriger hatte ich zwar nie verstanden, warum in der St. Timothy’s Catholic Church andauernd Kniebeugen gemacht werden mussten, aber auf den Orgelspieler fuhr ich ab. Die bunten Glasfenster waren hübsch, aber der Geruch des Weihrauchs und all das Gemurmel waren unheimlich. Und diese zwölf Bilder mit den Leuten, die einen Typen mit seinen Handgelenken und seinen Füßen an ein hölzernes Kreuz nagelten, fand ich abscheulich. Meine Mutter bestand darauf, dass ich mit ihr und meiner älteren Schwester Ann jeden Sonntag in die Kirche ging. Ein Rätsel war mir, wie mein Dad es schaffte, nicht mitkommen zu müssen. Jedenfalls ließ mich Mom oben auf der Empore Platz nehmen, wo ich in der letzten Bank direkt neben den Orgelpfeifen saß, die die tiefen Töne am lautesten spielten. Mr. K. lächelte nie, aber wenn er die unteren Noten mit seinen Füßen spielte, wackelten die Kirchenwände. Besonders natürlich meine Bank. Gewöhnlich saß ich da oben alleine und konnte meine Mutter und meine Schwester weit unter mir sehen. Nur Ostern und Weihnachten, wenn die Kirche voll war, saßen auch andere dort. Es war unglaublich laut. Mom meinte, dass das Volumenpedal mit Mr. K. durchginge. Sonntags hatte Mr. K. auch immer eine rote Nase. Vielleicht ging auch abends zuvor die Flasche mit ihm durch. Sobald er das „Ave Maria“ spielte, war ich im siebten Himmel. Ich stellte mir vor, dass Mr. K. das Stück so laut spielen sollte, dass alle Kirchenfenster zerbersten und alle Leute da unten sich umdrehen und zu uns zwei hinaufschauen, wie wir lächelnd dasitzen. Ich wusste, dass so eine Vorstellung auch Mr. K. zu einem Lächeln veranlassen würde.

Zu Hause fand ich Gefallen an den Glenn Miller-Platten und den Klassik-LPs meiner Eltern. Musik faszinierte mich und trug mich aus meinem kleinen Vorstadtzimmer in eine Fantasiewelt. Mit achteinhalb Jahren bat ich meine Eltern um ein Klavier und Klavierunterricht. Sie stimmten zu und mieteten ein Wandpiano. Ich vertiefte mich sofort in das Instrument. Meine Eltern brauchten mich nie zum Üben zu zwingen, spornten mich allerdings manchmal recht subtil an. „Übermorgen ist schon deine nächste Unterrichtsstunde!“ pflegte Mom zu sagen. Es machte mir Spaß, ein Stück zu spielen, sobald ich es beherrschte, besonders vor Publikum.

Schon als Kind wusste ich um den Unterschied zwischen einem großartigen Musiker und einem mittelmäßigen, welcher in den Pausen zwischen den einzelnen Noten deutlich wurde: das Gefühl, das man in die Stille genauso packen musste wie in die Töne. Ich zog es vor, auf einigen Akkorden zu improvisieren als neue Stücke zu lernen. Ich geriet in eine Art Trance, wenn ich auf alten Evergreens wie „Love Is a Many Splendored Thing“ herumkasperte und aus Teilen der Songs eigene rohe Kurzversionen bastelte.

Während ich zur Daniel Webster Junior High School ging, wollte ich gerne in der Schulband irgend ein Instrument spielen. Egal welches. Ich dachte an Klarinette, aber mein Zahnarzt meinte, es würde meine Zähne ruinieren (ich musste bereits Klammern tragen). Der Dirigent der Band, Mr. Armour, schlug Trommel vor. Ich befürchtete allerdings, dass ich wegen des Lärms kaum üben könnte.

Aber Mr. Armour bestand darauf. Er zeigte mir ein Übungsset aus Holz und Gummi. Das war zwar nicht besonders interessant, aber ich konnte immerhin sofort zu Hause mit der Überei anfangen und mir später überlegen, wie ich meine Eltern dazu bringen könnte, mir ein echtes Schlagzeug zu besorgen.

Schließlich stimmten sie zu, aber ich musste in der Zwischenzeit Privatstunden nehmen. Mir fielen fast die kleinen gierigen Augen aus dem Kopf, als ich zum ersten Mal Mr. Muirs Drum Shop in West L.A. betrat. Ich war schon früher mehrmals an dem Laden vorbeigegangen, sabberte praktisch vor den Fenstern, während es mich nach einem blitzenden neuen Schlagzeug gelüstete. Mr. Armour meinte, dass ich mit Privatstunden schnell Fortschritte machen würde, deswegen zwangen mich meine Eltern schließlich dazu. Es war fürchterlich frustrierend, die neun essentiellen Schlagzeuggrundbegriffe auf einem dämlichen Stück Gummi beigebracht zu bekommen, während um einen herum glimmernde Schlaginstrumente in allen möglichen Farben standen.

Aber Mr. Muir bestand darauf, dass ich für ein großes, lautes Schlagzeug noch nicht reif sei – oder seine Ohren waren nicht reif genug, die Proben meiner Trommelei zu hören. Ich war darauf bedacht, ihm zu imponieren, weil vor meiner Unterrichtsstunde Hyle King dran war, ein vierzehnjähriger Junge mit pomadegeformtem Haar. Aber er war ein verdammt guter Drummer und ein noch besserer Pianospieler. Mit vierzehn schon ein Musiker.

Ich vermutete, dass meine Eltern Mr. Muir dafür bezahlten, dass er mich von den misstönenden Drums bis zur letzten Sekunde fernhielt. Aber es war zu meinem Besten. Diese neun Grundregeln sorgten dafür, dass ich später den Unterschied zwischen einer baumstumpfhämmernden, heavy-metal orientierten Technik und einem feinsinnigen Jazzrock-Stil erfühlen konnte.

Ein Jahr später war ich in der 8. Klasse und wurde der Paukenspieler des Symphonie-Orchesters der Schule. In einem Orchester verbringen die Paukenspieler eine Menge Zeit damit, die Takte bis zu ihrem Einsatz zu zählen. Wie auch immer, die Pauken sind gewöhnlich erst am Ende einer Symphonie dran, wenn dramatische Trommelwirbel die Crescendos akzentuieren müssen. Ich liebte es, zu dem dramatischen Höhepunkt von „Das Große Tor von Kiev“ beizutragen, dem letzten Satz von Mussorgsky’s „Bilder einer Ausstellung“ (Natürlich waren unsere Stücke vereinfachte Fassungen der klassischen Originale).

Auf der Highschool wurde ich in die Marschkapelle befördert. Mit den grässlichen, federgeschmückten Hüten und den protzigen, aufgetakelten Uniformen fühlte ich mich wie in der Armee. Damals war das Spielen in einer Marschkapelle so etwas wie Aussatz, aber ich mochte die Energie, mit vierzig anderen Musikern zu spielen.

Ich arbeitete mich dann zum Beckenspieler hoch, bis ich schließlich erster Marschtrommler wurde. Von allerhöchster Wichtigkeit ist es, ein solides Gefühl für Takte zu entwickeln, indem man zuerst die Grundschläge lernt (bei den Ureinwohnern Amerikas wurden diese „Großvatertakt“ genannt). So bekam ich das richtige Feeling, die komplizierten rhythmischen Nuancen der Snaredrum spielen zu können. Wenn man Marschrhythmen auf dem kompletten Schlagzeug spielt, so bedient man alle Perkussionsinstrumente gleichzeitig: Snare, Bass, Tom-Tom und die Becken. Ich hatte das Glück, alle Schlaginstrumente separat lernen zu müssen. Die Tatsache, dass ich jedes einzelne gründlich beherrschte, kam mir zugute, wenn ich sie alle zusammen spielte.

*

Es war 1960. Kennedy stritt sich mit Nixon. Die Pirates schlugen die Yankees in der World Series. Wyatt Earp war die populärste Show im Fernsehen und The Apartment gewann den Oscar für den besten Film des Jahres. Sänger wie Pat Boone und Fabian trieben sich auf den vordersten Plätzen der Hitparade herum.

Ein Musiker galt immer noch nicht als cool. Definitiv die Coolsten waren die Footballspieler. Danach kam Basketball, dann Baseball, Sprinten und schließlich Tennis. Die Muskelprotze mit ihren Team-Pullover kriegten die Mädchen. Als Mitglied eines Tennisteams wurde man für schwul gehalten – man nannte solche Leute damals „faggots“.

Ich war der letzte Mann in dem Tennisteam und dazu auch noch in der Paradegruppe. Wenn ich so zurückblicke, war Musik in diesen einsamen Jahren des Aufwachsens wie auch in den folgenden meine Rettung.

Glücklicherweise wurde ich während meines zweiten Jahres auf der Highschool gefragt, ob ich in einer Popgruppe mitmachen wollte. Meine Mutter malte unser Logo auf die Vorderseite meiner Basstrommel – „Terry and the Twilighters“. Alle anderen in der Gruppe kamen wie ich aus katholischen Familien, aber sie gingen immer noch auf Konfessionsschulen. Nachdem ich nach der ersten Klasse unserer katholischen Schule aufgegeben hatte, dachten meine Eltern, dass in einer öffentlichen Highschool weniger Druck ausgeübt werden würde. So gelangte ich schließlich auf die University Highschool oder Uni, wie wir sie nannten, aber um den Katechismusunterricht an Sonntagen kam ich doch nicht herum. The Twilighters spielten schließlich in den katholischen Schulen um L.A. herum – Marymount, Loyola, Notre Dame – und ich fand heraus, dass ich den Mädchen mit meinem Schlagzeugspiel imponieren konnte, oder es war vielleicht nur die Tatsache, dass ich neu in der Gegend war. Was auch immer es war, ich fühlte mich beobachtet, was mich zu einigen Showeinlagen inspirierte. Ich konnte jedermanns Augen auf mich gerichtet fühlen und ich schöpfte aus dieser Aufmerksamkeit eine Art melodramatische Selbstsicherheit. Ich hielt mich für einen ziemlich guten Drummer und das Publikum inspirierte mich zu einer noch stärkeren Konzentration auf mein Spiel.

Nun hatte ich meine eigene Clique. Auf einer der katholischen Partys freundete ich mich mit einem Mädchen namens Heidi an. Ihre Haut war gelblich-braun und sie konnte großartig lächeln.

Sie ging mit Terry, dem Kopf der Band. darum konnte ich es kaum glauben, als sie mit mir tanzte und ihre Arme eng um mich schloss. In der folgenden Nacht träumte ich, wie ich ihr das hawaiianische Kleid auszog und meine Lippen und Hände über ihren weichen runden Körper strichen. Morgens war mein Bettlaken feucht.

Wir begannen, uns zu verabreden, und ich versuchte, sie in mein Bett zu kriegen, aber sie war ihr gesamtes Leben lang von den Nonnen an ihrer Schule gewarnt worden, dass sexuelles Verlangen zu ewiger Verdammnis führe. Hinzu kam, dass sie ihrer Mutter versprochen hatte, bis zu ihrer Heirat Jungfrau zu bleiben. So blieb nichts anderes übrig, als sie zu einem intensiven Petting zu bringen. Ich entsinne mich, dass ich mit Heidi zu einigen Tanzveranstaltungen in Marymount ging, wo die Nonnen, die mir in meinen Träumen immer als kleine Pinguine erschienen, nicht nur angesichts ihres kurzen Kleides die Stirn runzelten, sondern auch herumliefen und darauf achteten, dass genügend Luft zwischen unseren Körpern während der langsamen Tänze war. Terry machte keine Bemerkung über Heidi und mich, aber ich fühlte mich ziemlich mies bei dem Gedanken, meinem besten Freund die Freundin abspenstig gemacht zu haben. Kurz danach wurden unsere Übungsabende recht unerfreulich und die Band brach auseinander.

Nachdem ich ein paar Jahre mit Gelegenheitsjobs als Mietdrummer verbracht hatte (bei Hochzeiten, Schultanzveranstaltungen, jüdischen Feiern), machte ich meine Abschlussprüfung auf der Highschool.

Außer in Musik und Sport waren meine Noten durchschnittlich und die großen Universitäten suchten keinen Snaredrumspieler für ihre Paradebands.

Darum fiel ich im Herbst 1963 am Santa Monica College in Apathie und wechselte andauernd die Fächer. Zuerst nahm ich Musik, doch ich dachte, dass ich damit nie meinen Lebensunterhalt verdienen könnte. Danach wechselte ich zu Wirtschaftslehre über. Nachdem ich aber eine schlechte Note in Buchführung bekommen hatte – zum zweiten Mal –, war ich mir sicher, dass jemand mir etwas damit sagen wollte. Vielleicht war das College nichts für mich.

Aber die Musik war in meinem Blut. Zum Studieren fand ich keine Zeit, weil ich mit meinen Kumpels im Musiktrakt herumhing und jammte. Üblicherweise kam dann der Fachleiter den Gang entlanggestürmt.

„Würdet ihr bitte etwas leiser sein?“ flehte er. „Ich übe gerade mit dem Juniororchester.“ Abgesehen von dem ganzen Durcheinander waren wir auf dem richtigen Weg. Wir waren der Grundsockel einer gigantisch großen Paradeband. Ungefähr zur Mitte meines zweiten Semesters wurde unsere SMCC-Band zum stadtweiten Wettbewerb im Rose Bowl zugelassen.

*

„Bbbbbbbrrrrrrrr! Bbrr!“ krächzte die Pfeife. Ich blickte starr gerade aus, während wir durch die Straßen von Pasadena zum Stadion marschierten. Im Vorübergehen drang der Sound der ultracoolen schwarzen Band vom L.A. City College in mein Ohr. Ich hätte nie geglaubt. dass eine Marschkapelle swingen kann, aber diese Typen schafften es.

Kaum hatten wir in dem Riesenstadion Platz genommen. als schon die Resultate verkündet wurden. Die Preisrichter. die unsichtbar irgendwo auf dem Hinweg platziert gewesen waren, riefen die Gewinner auf die Bühne hinauf.

Ich erinnere mich nicht mehr, wer Dritter wurde, aber die folgenden Worte werde ich nie vergessen:

„Der zweite Platz im All-California Junior College Wettbewerb der Marschkapellen geht an das Los Angeles City College!“

Beifall ertönte von den Seitenrängen.

„Und die Nummer eins in unserem Bundesstaat … und der Gewinner eines nationalen Fernsehauftritts … das Santa Monica City College!“

Wir hatten gewonnen! Wir waren die beste Band der Stadt!

Einen Monat später waren wir im L.A. Coliseum bei den Football-Meisterschaften. Die lebhafteste Erinnerung an diesen Auftritt bleibt der Moment, als wir in dem Tunnel warten mussten, um auf das Spielfeld zu gehen und Big Daddy Lipscomb mit der Nummer 33 zur Halbzeit an uns mit seinem Team vorbeiging. Er war der gewaltigste Typ, dem ich jemals begegnet bin. Oder jemals zu treffen gehofft hatte.

*

Im Sommer des Jahres 1964 geschah dann etwas Außergewöhnliches in der Musikszene von Los Angeles. Überall am Sunset Strip öffneten neue Clubs: Fred C. Dobbs, The Trip, Bedo Ledo’s und das BraveNew World. Die Gruppen, die dort spielten, kamen beileibe nicht aus der Hitparadenabteilung. Sie spielten ihren eigenen Stil in ohrenbetäubender Lautstärke. Wann immer ich konnte, ging ich abends mit Grant, einem Freund von der Highschool, nach Hollywood, um dort bis um zwei oder drei Uhr morgens in den Clubs herumzuhängen. Leute jeden Alters hatten Zutritt, da dort kein Alkohol ausgeschenkt wurde. Meine Eltern waren sich inzwischen sicher, dass ich bald in der Gosse landen würde.

Meine Eltern! Mom war eine gebürtige Kalifornierin und stammte aus einer guten katholischen Familie mit fünf Kindern, dem Walsh-Clan. Während der Zeit der Depression ging Margaret Mary auf die Beverly Hills Highschool und wurde Bibliothekarin. Als sie sechzehn war, zog Ray Blaisdale Densmore in die Nachbarschaft. Mit zwölf war er mit seiner Familie aus York im Bundesstaat Maine in die Vorstädte von Los Angeles gekommen. Im Alter von 23 Jahren machte er auf der Universität sein Diplom in Architektur und glänzte als Schauspieler mit den Santa Monica Players. Auch Mom verdiente Geld mit der Schauspielerei. Die beiden gingen einige Jahre miteinander, bevor er ihr einen Heiratsantrag machte. Sie stimmte unter der Bedingung zu, dass ihre Kinder katholisch erzogen werden sollten. Er war nicht bereit, zum katholischen Glauben überzuwechseln; sein Zögern wurzelte wahrscheinlich in dem Rat seines Vaters, der seinen vier Söhnen mitgeteilt hatte, sie sollten kein katholisches Mädchen heiraten, was auch immer passieren würde.

Wie es sich ergab, richtete sich niemand nach dieser Empfehlung.

Ich wuchs in einem Mittelklassehaus in West L.A. zusammen mit meiner älteren Schwester Ann und meinem jüngeren Bruder Jim auf. Es war wie in der Ozzie & Harriet­Show und ich war Ricky. Ich identifizierte mich mit seinem drolligen Sinn für Humor, mit dem er seinen gütigen, aber im Grunde genommen spießigen Eltern entgegentrat. Als Kind konnte ich es kaum erwarten, irgendwann einmal das Zuhause verlassen zu können, aber ich war am Boden zerstört, als eines Tages die Mitteilung des State of California Transportation Departement ins Haus schneite, dass eine Autobahn geradewegs durch unser Grundstück gebaut werden sollte. Meine Wurzeln sollten zugepflastert werden. Wo mein „Zuhause“ war, ist heute eine Autobahnauffahrt. Auf dem Schild steht „San Diego Freeway North“.

Vielleicht nahmen meine Eltern diese Instabilität zum Anlass, mich so konservativ zu erziehen. Noch zur Zeit der Highschool übten sie Druck auf mich aus, dass ich mir die inzwischen schulterlangen Haare schneiden lassen und mich wie ein normaler Jugendlicher auf meine Schulaufgaben konzentrieren sollte.

Doch meine Flucht hatte begonnen. Es zog mich förmlich aus der Vorstadt von Los Angeles in die Clubs von Hollywood.

Ich ging nun auf das Juniorcollege, aber ich roch, dass da draußen eine Szene war, von der ich bisher nichts geahnt hatte. Ich begann, in mir unbekannten Straßen von Venice und Westwood umherzustreifen und fand schließlich meinen Weg nach Hollywood. Es dauerte nicht lange, bis mich die hellen Lichter und die dunklen Ecken des Sunset Boulevards verführt hatten.

Ich entdeckte eine neue Welt von Musik und Leuten. Grant und ich waren zwei 19-jährige Jazzfans und standen dem Rock’n’Roll eher ablehnend gegenüber, aber wir stellten fest, dass etwas ganz Besonderes in der Rockszene begann. Die Bands, die zu dieser Zeit in L.A. auftauchten, waren die Byrds, Love und die Rising Sons mit Ry Cooder. Ich träumte davon, eines Tages in einer Band wie Love zu spielen. Mit ihnen hingen unzählige Mädchen herum! Die ersten Male, als ich Love sah, war ich ziemlich schockiert. Selbst 1964 wirkten sie noch bizarr. Arthur Lee, der schwarze Leadsänger, trug eine rosagefärbte Omabrille und ihr Gitarrist trug so enge Hosen, dass es aussah, als hätte er sich vorne zwischen die Beine eine Socke gestopft. Sie waren eine Gruppe mit Leuten verschiedener ethnischer Herkunft und schienen miteinander befreundet zu sein. Nachdem ich Love gesehen hatte, wusste ich, dass ich noch einige Wege zu gehen hatte, bevor ich genauso hip sein würde. Sie kleideten sich in grelle Farben, trugen Lederwesten und Wildlederjacken mit Fransen. Ich stellte mir die Frage, ob sie so auch auf der Straße herumliefen.

Das Publikum bestand aus lauter Nonkonformisten, um es einfach zu sagen. Es war wie bei einer Modevorführung für Freaks: lange Haare und Perlenketten, Lederkragen und gestreifte Hosen, Wildledermokassins, Paisleyhemden und Nehrujacken. Aus der Sicht der heutigen Punker ziemlich zahm, aber ungeheuerlich für ein L.A.-Vorstadtkind der Mittsechziger. Diese Typen waren voll drauf. Hippies. Extravagant und freizügig. Ihre Hemmungslosigkeit war ansteckend. Ich wusste nun, wo ich hingehörte. Sicherlich nicht zu den Tab Hunter-Typen am College.

Um zwei Uhr nachts schlossen die Clubs und jedermann ging zu Canter’s an der Fairfax Avenue, der wahrscheinlich besten Restaurantkneipe an der Westküste. Toleranz war die Basis, auf der dieser Laden jene Jahre überlebte. Welch eine Szene! Das Essen landete wahrscheinlich genauso oft auf dem Boden wie es gegessen wurde. Es war ein Riesenspaß. sich gehen zu lassen und sich laut und auffallend zu benehmen. Meistens bis zu dem Punkt, wenn die Serviererin kam, Ärger machte und man befürchten musste, rausgeschmissen zu werden. Immer wenn Berühmtheiten wie der Plattenproduzent Phil Spector oder die Byrds hereinkamen, gab es einen enormen Applaus. Zwanzig Jahre später wurde Canter’s wiederum zu einer In-Kneipe, diesmal für die Punker-Szene. Die Musikstile ändern sich, aber Fisch und Brot bleiben gleich.

Um meine Gewohnheiten in Hollywood weiter ausbauen zu können, brauchte ich ein Auto und ich versuchte alles Mögliche, um immer länger von Zuhause fortzubleiben. So arbeitete ich zeitweise in einer chinesischen Wäscherei und faltete Hemden in einem Raum, dessen Temperatur nie unter 37 Grad Celsius sank. Und das im Winter! Es war wie in einer Sauna, jeden Tag. Ich trank literweise Orange Crush und aß kartonweise Twinkie­Kekse. Dazu sang ich den Schwitzkasten-Blues und verdiente genug Geld, um mir ein 57er Ford-Cabrio kaufen zu können. ’Ne heiße Kiste war das! Der Wagen war silbern gespritzt. Toll! Zu Hause kletterte ich auf die Rücksitze und mein Fuß brach geradewegs durch den Boden auf das Straßenpflaster.

Unerschrocken waren Grant und ich uns weiterhin sicher, dass wir wegen des eindrucksvollen Armaturenbrettes und des blitzenden Auspuffrohres jede Menge Mädchen anmachen könnten. So kurvten wir in Westwood herum, dem Viertel von L.A. mit den Kinos und den schicken Shoppingcentern nahe dem Campus der Universität. Und wir fuhren und fuhren. Im Radio lief Henry Lewy auf KNOB mit seinen Jazzsendungen. Und enttäuscht kriegten wir den „Summertime Blues“, denn wegen des schrägen Bebops bekamen wir kein Mädel zu uns in den Wagen. Hey, wer hat es damals schon geschafft, mit dem Auto Mädchen abzuschleppen? Etwa die gutaussehenden Typen? Oder die Surfer vom Strand? Oder die Topmodischen? Ich glaub’s einfach nicht! Das war der erste von vielen gehüteten Mythen, der sich in Luft auflöste.

Zusätzlich zur Szene in Hollywood erforschten Grant und ich auch verschiedene Jazzclubs. Zu den besten zählte das Lighthouse, Shelley’s Manne Hole, das Bit, das Renaissance und das Melody Lane unten am Adams Boulevard, wo sich keine Weißen hinwagten. Mein Cabrio war erfolglos, so hatten wir reichlich Zeit, neue Musik zu hören.

Wie viele andere weiße Jazzliebhaber entdeckte ich zuerst Dave Brubeck-Platten. Damals hatten die Plattenläden noch Hörkabinen, was Grant und ich ausnutzten, um unsere Musikkenntnisse zu erweitern, ohne etwas dafür bezahlen zu müssen. Wir fanden Les McCann gut, einen schwarzen Pianospieler mit einem gefühlvollen Jazzstil vermischt mit Funk und Gospel. In diesen gläsernen Kabinen konnte man knapp zwanzig Minuten lang ungestört den Plattenspieler und die Kopfhörer benutzen, ehe der auf Umsatz bedachte Manager des Ladens einen zum Kaufen aufforderte.

Um ihrer Welt zu entfliehen, gingen viele Jugendliche in die Kinos. Wir taten es mit Hilfe des Jazz. Coltrane und Miles erschienen uns als Höhepunkte aus zwanzig Jahren Jazzgeschichte. Bei ihnen fanden wir unsere eigene Religion. Eine Art von roher geistiger Anarchie. In leidenschaftlichen Gesprächen erörterten wir, wie sehr diese Musikgenies über allem standen, wie sie die Akkorde aufbrachen und nach dem Unbekannten jenseits der Akkordstruktur suchten. Für Grants Vater klang Coltranes Musik wie „… wenn jemand einer Katze auf den Schwanz tritt…“. Doch die Leute, die seine Musik als Lärm bezeichneten, waren sich nicht der Entwicklung des Jazz vom Bebop über den Cooljazz zur freien Form bewusst. Wie konnten sie ihn dann verstehen? Wir dachten elitär, ohne zu wissen, was das Wort bedeutete. So etwa wie ein Geheimbund.

Jedesmal, wenn ich die Plattennadel auf Live at the Village Vanguard senkte, um „Chasin’ the Trane“ zu hören, versetzte mich die kraftvolle, treibende Energie in meiner Vorstellung in den Körper des Drummers Elvin Jones. Der Takt pulsierte in meinen Adern.

Ich habe die letzten fünfundzwanzig Jahre damit verbracht, diese traumhafte Zeit zurückzuerobern – war es wirklich eine traumhafte Zeit? – mit Hilfe von Musik, LSD, Sex, Büchern, Reisen, allem möglichen, um den Lauf der Welt anzuhalten, wie Don Juan zu Carlos Castaneda sagte.

Aber hauptsächlich versuchte ich es mit Musik.

Grant und ich gingen zu einem Konzert von Les McCann in den Renaissance Club, wo auch schon Lenny Bruce aufgetreten war. Wir waren zum ersten Mal in einem Jazzclub. Man brachte uns an einen Tisch hinter einem Pfosten. Wir bestellten schüchtern unsere Softdrinks, wohl wissend, dass man unsere Ausweise verlangt hätte, wenn wir Bier geordert hätten. Wir waren die einzigen Weißen in dem Schuppen. Im Renaissance herrschte eine coole Stimmung, eine Ausstrahlung, die wir bisher noch nicht geschafft hatten.

Dann kam dieser Komödiant auf die Bühne. Seine Show bestand darin, in Abständen von etwa zehn Sekunden mit den Fingern zu schnippen. Das ging soetwa fünf Minuten lang und erreichte seinen Höhepunkt in den beatnik-coolen Ausrufen „All right“ und „Hey, baby“. Ich blickte nicht durch, was er damit sagen wollte, aber seine Persönlichkeit war ansteckend. Er schien total verrückt zu sein, was mir gefiel. Ich identifizierte mich mit Nonkonformisten. Jahre später wurde der Finger-Schnipper Hugh Romney – auch als Wavy Gravy der Hog Farm Kommune bekannt – der Moderator beim Woodstock-Festival.

Wir wagten uns runter nach Redondo Beach, um Cannonball Adderley in Howard Rumsey’s Lighthouse zu hören. Cannonball ließ seinen Arm kreisen und schnippte mit den Fingern in einem unglaublich schnellen Tempo. Während er so den Takt angab (er schnippte die Off-Beats Zwei und Vier im 4/4 Takt; eine schwierige Übung, denn man muss die Eins und Drei im Kopf mitzählen oder auf Eins und Drei atmen, um das Abzählen beibehalten zu können), redete Cannonball gewöhnlich mit dem Publikum oder seiner Band. „Snip-snip-snip – bist du soweit, Joe (Zawinul) – snip-snip?“

Er nickt zustimmend mit dem Kopf.

„Snip-snip – bist du soweit, Bruder Nat – snip-snip?“

„Yeah … uh-huh.“

„Snip-snip – meine Damen und Herren – snip – BRUDER NAT IST SOWEIT – snip-snip – ONE-snip-TWO-snip-ONE-TWO-THREE-snip…”

Dann fingen sie gewöhnlicherweise mit „Jive-Samba“ oder „Dis Here“ an und immer stand mein Mund in staunendem Unglauben offen, sobald dieser schnelle, pralle Sound ertönte.

Shelley’s Manne Hole war jedoch der Jazzclub. Er war ziemlich teuer, aber irgendwie kratzten wir immer das Geld zusammen. Obwohl wir scharf darauf waren, Mädchen aufzureißen, war der Jazz für uns ein Ersatz. Da Grant selbst Klavier spielte, schleppte er mich fünf- oder sechsmal zu Bill Evans-Auftritten. Zunächst kapierte ich nichts. Der Mann war zu subtil. Dann erkannte ich, welch außerordentliche Anschlagtechnik er beherrschte. Es war beileibe keine Cocktailmusik, wie einige Kritiker annahmen. Ich saß direkt vor der Bühne, als Art Blakely, der König des Trommelwirbels, sich durch glühende Afrojazz-Rhythmen ächzte. Er war damals schon ein End-Vierziger, aber sein Spiel steckte immer noch voller Energie: es hatte mehr Energie als ich, und ich war neunzehn.

Kerouac und Cassidy sahen Charlie Parker zu seinen besten Zeiten. Wir sahen John Coltrane. Mehrmals. Er war unglaublich. Alle im Publikum machten respektvoll den Weg für ihn frei, wenn er den Raum betrat. Sobald er sein Tenor- oder sein Sopransaxophon nahm und den alten Johnny Mercer-Song „Out of This World“ anstimmte, schwebte Trane tatsächlich aus dieser Welt hinweg. Mit geschlossenen Augen blies er sein Solo und verfiel in eine 15 Minuten dauernde Trance. Bei „Chasin’ theTrane“ spielten sie manchmal eine halbe Stunde lang und oft verschwand der Pianist McCoy Tyner mitten im Song. Dann drehte Coltrane den Rücken zum Publikum, schaute Elvin Jones, meinen Lieblingsschlagzeuger, an und sie trugen den Kampf unter sich aus. Das war so ursprünglich! Genau wie im Dschungel. Grant und ich drückten uns nach dem letzten Set noch hinten im Manne Hole herum, als Elvin mit einem Hammer die zwei Nägel aus den Bühnenbrettern zog, die seine Basstrommel am Verrutschen hindern sollte. Wir hörten, wie Coltrane das Wort „Hotel“ zu Elvin sagte und während der nächsten Tage war alles, was wir einander sagen konnten, „Hotel, Hotel“.

Meine eigene musikalische Karriere steckte immer noch in ihrem Raupenstadium, aber Grant und ich jammten stundenlang miteinander und imitierten McCoy und Elvin. Ab und zu spielten wir auf Brüderschaftsfesten an der UCLA, wo wir Top 40-Hits spielten. Die Nacht machten wir fünf Sets zu je 45 Minuten und bekamen dafür 15 Dollar pro Nase ­ in jenen Tagen eine Menge Geld. Wir stellten eine Band zusammen mit dem 1,95 Meter großen Gitarristen Jerry Jennings, der ein perfektes Gespür für Töne hatte. Wenn irgendwo eine Pfeife von einem Fabrikgelände ertönte, sagte Jerry „E-Dur“. Ein grauenvoller Bassist rundete die Gruppe ab, aber er spielte einen akustischen Bass und war demnach kaum zu hören.

Unsere Auftritte auf diesen Feten unterschieden sich natürlich radikal von der Musik in den Jazzclubs und sogar von der in Rockclubs. Die Lautstärke des „small talk“ war wesentlich höher und es herrschte allgemein eine aggressive Stimmung, die von der Menge des Bierkonsums abhängig war. An einem Abend verarschten wir die Leute. Wir nahmen einige selbstgemachte John Cage-artige Bänder mit, die sich nach Autobahnverkehr und Toilettenspülung anhörten. Mitten in Songs wie „Louie, Louie“ spielten wir die Bänder ein. Die Brüder gafften reichlich verwirrt, tanzten und tranken aber weiter. Um in Bars spielen zu können, musste man 21 Jahre alt sein und wir waren nur 19. So fuhren Grant und ich in seinem VW-Bus nachTijuana, um uns falsche Ausweise zu besorgen. Ich hoffte auch, dort meine lästige Jungfräulichkeit zu verlieren. Grant hatte schon eine dreizehnjährige Nachbarstochter verführt und war deswegen nicht ganz so verzweifelt wie ich. Er ließ mich und einige seiner Freunde zuhören, wie er und das Nachbarmädchen es in der Garage miteinander trieben. (Nach zwanzig Jahren Zusammenleben und zwei Kindern beschlossen sie schließlich zu heiraten.)

Aus mir wurde ein Nervenbündel, als ich schließlich an der Ecke der Tenth und der Avenida de Revolución stand, der anrüchigsten Straßenecke in Tijuana. Ein Mexikaner näherte sich und murmelte: „Hey, du Surfer, Bennies, Spanische Fliegen, falschen Ausweis, meine Schwester?“ Ich hatte weder blonde Haare noch eine sonnengebräunte Haut, trotzdem sah ich für ihn wie ein Surfer aus. Vielleicht war diese Bezeichnung nur ein weiterer Spitzname für uns Gringos. Aber sechs Dollar später hatte ich einen Militärausweis, der besagte, dass ich reife 22 war.

Aber nun rein in die Betten. Derselbe Typ schleuste uns zu einem schmalen Durchgang zwischen zwei Läden, wo am Ende einige schmutzige Löcher mit alten Matratzen ausgelegt waren. In dunklen Ecken räkelten sich einige kichernde mexikanische Frauen, die so aussahen, als ob sie zwischen dem sechsten und achten Monat schwanger waren. Doch so hatte ich mir meine Einführung nicht vorgestellt.

Wir gerieten in Panik, weil uns kein Ausweg aus dieser Situation erschien. Einige der Weiber grabschten nach unseren Armen und mehrere Männer bewegten sich plötzlich hinter ihnen. Wir warfen das Geld auf die Matratzen und rannten davon.

Einige Meilen nördlich von San Diego wurden wir von einem Beamten der Einwanderungsbehörde angehalten. Das Rücklicht des VW-Busses war ausgefallen.

„Ihr kommt aus Tijuana zurück und habt kein Licht am Schwanzende!“ scherzte der Beamte.

*

Im Herbst 1964 zogen Grant und ich bewaffnet mit unseren falschen Ausweisen aus unseren Elternhäusern in die entstehende Hippiekommune im Topanga Canyon. Meine Eltern trugen die Hälfte der monatlichen 70 $-Miete, solange ich noch auf’s College gehen würde.

Ich wechselte zum San Fernando Valley State College über, das direkt hinter dem Canyon lag, einer schönen, baumreichen, bergigen Gegend, etwa vierzig Minuten von Hollywood entfernt. Da war ich nun gelandet: in einer „richtigen“ Schule, nicht irgendeinem Juniorcollege und erfüllte den American Dream. Auf dem besten Weg zu einem Neun-bis-Fünf-Uhr-Job in der Stadt.

Das Problem war nur: es war nicht mein Traum. Von irgendwo aus meinem Unterbewussten rief eine Stimme: „LSD!“ Schon bald darauf sollte ich meinen ersten Kontakt mit LSD haben.

Grant und ich gingen gerne zu Jamsessions mit örtlichen Musikern, die zusammenkamen und Jazz spielten. Zunächst hatte ich ziemliches Lampenfieber mitzumachen. Es waren immer mehrere Schlagzeuger da, die auf ihren Einsatz warteten, was mich reichlich einschüchterte. Zu gerne wollte ich meinen Elvin Jones-Trommeltrick vorführen. Nach einigen Versuchen wuchs mein Selbstvertrauen, weil ich einiges an positivem Feedback auf meine Einsätze bekam. Zudem waren diese Leute wirkliche Musiker. Das war nicht irgendeine dämliche Brüderschaftsparty, sondern ein ernsthaftes Jamming. Ein Zunicken oder ein „Gut gespielt, Mann, du bist gut bei der Sache!“ brachte es für mich. Ich habe tagelang darüber nachgedacht, ob ich wirklich gut gespielt hatte.

Einer der Musiker bei diesen Sessions war Saxophonist. Er hieß Bud und war an den Rollstuhl gefesselt. Sein Körper war verkrümmt, aber er konnte wie Coltrane in Person spielen. Er hatte interessante Geschichten drauf, wie er im Gaslight Club in Venice Beach auftrat, wo Allen Ginsberg und andere Dichter ihre Lesungen hielten.

Eines Tages fand eine Razzia statt und alle steckten ihr Pot Bud zu, bevor die Polizei in das Lokal stürmte. Er stopfte es in seinen Rollstuhl, wohl wissend, dass die Drogenbullen ihn nie im Leben filzen würden.

Er war ein sanfter, freundlicher Typ, aber man schaute ungern hin, wenn er „voll drauf“ war. Er verrenkte seinen Körper beim Spielen und es schmerzte fast, ihm zuzusehen. Er hatte viel Puste, technisch gesehen, und der Zorn in seinen Soli war schonungslos. Er ließ sich keinen Augenblick zum Durchatmen, kam nicht aus seiner Rage heraus.

Eines Tages teilte er mir mit, dass er einen Freund habe, der ihn mit etwas LSD zu unserem Haus bringen könnte. Seine Augen leuchteten für einen Moment auf. „Du siehst dann Farben in der Luft, Mann“, sagte er euphorisch. Drogen gehörten bisher nicht in mein Repertoire. Ich war neugierig darauf, hatte aber auch einige konfuse Vorstellungen davon. Lysergsäure klang eher danach, dass es meinen Arm verätzen würde als mir einen Rausch zu verschaffen.

„Nun, versuchen wir’s…“, erwiderte ich ziemlich cool, doch im Inneren zitterte ich. Bis jetzt hatte ich noch nicht einmal Grass geraucht. Aber da war dieser Typ, der nicht laufen kann und deswegen in seinem Gehirn mit Hilfe von halluzinogenen Drogen herumreist. Je mehr er seine Reisen beschrieb, desto besser fand ich sie.

Einige Tage später erschien er tatsächlich vor unserem Haus. Ein athletischer Schwarzer mit einem acidschwangeren Blick im Gesicht trug ihn die Treppen hoch.

Wir setzten uns um den fleckigen Küchentisch und Grant und ich zeigten ihm voller Stolz unsere Jazz-Plattensammlung.

Schließlich zog Bud einen Plastikbeutel hervor, in dem sich etwas befand, das wie Zahnputzpulver aussah.

„Halbiere das Zeug“, sagte Bud. Ed, der schwarze Panthermensch, stimmte zu. „Ihr müsst mit einer kleineren Dosis anfangen, damit ihr nicht durchdreht.“

Ed nickte wohlwollend. Er meinte es wirklich gut mit uns. Ich war froh über diese Rückversicherung.