Mein schottischer Ritter - Die Highlander-Lords: Erster Roman - Veronica Wolff - E-Book
SONDERANGEBOT

Mein schottischer Ritter - Die Highlander-Lords: Erster Roman E-Book

Veronica Wolff

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 0,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Für alle Fans von „Outlander“: „Mein schottischer Ritter“, der erste Roman der Highlander-Lords-Saga von Veronica Wolff, jetzt als eBook bei venusbooks. Sie hat alles geopfert für ihre Karriere – nun steht Lily vor den Scherben ihres Lebens. Um wieder zu sich zu finden, reist sie in die Heimat ihrer geliebten Großmutter. Bei einem Streifzug durch die schottischen Highlands entdeckt sie einen verwilderten Irrgarten, der sie magisch anzieht … und findet sich plötzlich im Jahre 1654 wieder! Dort begegnet sie Ewan, dem stolzen Oberhaupt des Cameron-Clans, der einen Weg finden muss, das Land seiner Väter gegen die Engländer zu verteidigen. Das Letzte, was Ewan darum gebrauchen kann, ist eine junge, rätselhafte Frau, deren Widerborstigkeit sie unerträglich macht – deren Schönheit ihn aber vom ersten Moment an in ihren Bann zieht … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Mein schottischer Ritter“ von Romance-Autorin Veronica Wolff verbindet den Schmelz eines großen historischen Liebesromans mit dem besonderen Zauber, den Zeitreisegeschichten entfalten. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 541

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Nachbemerkung der Autorin

Danksagung

Lesetipps

Über dieses Buch:

Sie hat alles geopfert für ihre Karriere – nun steht Lily vor den Scherben ihres Lebens. Um wieder zu sich zu finden, reist sie in die Heimat ihrer geliebten Großmutter. Bei einem Streifzug durch die schottischen Highlands entdeckt sie einen verwilderten Irrgarten, der sie magisch anzieht … und findet sich plötzlich im Jahre 1654 wieder! Dort begegnet sie Ewan, dem stolzen Oberhaupt des Cameron-Clans, der einen Weg finden muss, das Land seiner Väter gegen die Engländer zu verteidigen. Das Letzte, was Ewan darum gebrauchen kann, ist eine junge, rätselhafte Frau, deren Widerborstigkeit sie unerträglich macht – deren Schönheit ihn aber vom ersten Moment an in ihren Bann zieht …

Über die Autorin:

Die preisgekrönte Bestsellerautorin Veronica Wolff hat bereits in Texas, auf Hawaii und in Indien gelebt, bevor sie sich mit ihrer Familie im nördlichen Kalifornien niederließ. Sie liebt Pizza mit Peperoni und Oliven, Snowboarding und die Vielseitigkeit des Romance-Genres, in dem sie sich historischen Liebesromanen und Zeitreisegeschichten ebenso widmet wie zeitgenössischen Themen und Büchern für junge Erwachsene.

Die Autorin im Internet: www.veronicawolff.com und www.facebook.com/VeronicaWolffFanPage

Bei venusbooks veröffentlichte Veronica Wolff zwei Romane ihrer Highlander-Lords-Saga, die unabhängig voneinander gelesen werden können: Mein schottischer Ritter und Mein schottischer Held.

***

eBook-Lizenzausgabe Juni 2018

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel Master of the Highlands bei The Berkley Publishing Group, a member of Penguin Group (USA) Inc.

Copyright © der Originalausgabe 2008 by Veronica Wolff

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2009 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2018 venusbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock/kiuikson und shutterstock/Jost-van Uffelen

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95885-625-7

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Schottischer Ritter an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.venusbooks.de

www.facebook.com/venusbooks

Veronica Wolff

Mein schottischer Ritter

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Heinz Tophinke

venusbooks

Für Adam,meinen ganz persönlichen romantischen Helden.

Prolog

Die Teetasse entglitt ihren knorrigen Fingern und landete mit einem lauten Klappern auf der Untertasse. Mit einem Seufzer rieb sich die alte Frau die schmerzenden Knöchel. Es war lange her, seit die Kraft und Spannung der Jugend in ihr gebrannt hatten wie eine hell lodernde Flamme, und selbst wenn man sie nie als eine wirkliche Schönheit hatte bezeichnen können, so hatten ihre leuchtend honigblonden Locken doch rosige Wangen und ein so freundliches wie furchtloses Lächeln eingerahmt.

Nun aber war sie nur noch ein altes, rätselhaftes Weib, über das man Kindern am Kaminfeuer Geschichten erzählte. Freundlich gesinnte Menschen hielten sie für eine kluge oder, im schlimmeren Fall, etwas exzentrische Alte, die die Weisheit ihrer Jahre mit der Perspektive und der Einsicht einer anderen Welt zu verbinden verstand.

Andere nannten sie eine Hexe, bekreuzigten sich und bedeckten schon bei der bloßen Nennung ihres Namens die Köpfe ihrer Kinder.

Ihr Name. Sie wusste nicht mehr, wann sie ihren christlichen Namen das letzte Mal gehört hatte. Sie bezweifelte, dass irgendjemand außer ihr sich an ihn überhaupt noch erinnern konnte. Wahrscheinlich war sie nun schon seit Generationen nur mehr als Gormshuil bekannt. Vielleicht schon so lange, wie es gedauert hätte, bis ihre Kinder, die man ihr entrissen hatte, ihre eigenen Kinder zu Erwachsenen heranreifen gesehen hätten. Gormshuil, was für ein hässliches Wort. Gormshuil, die Blauäugige, wegen ihrer gespensterhaften, wässrigblauen Augen, die blass waren wie ein dunstüberzogener Sommerhimmel, dem die Farbe fehlte.

Gormshuil studierte die Teeblätter auf dem Grund ihrer Tasse. Sie klumpten sich zu einem schwarzen, glänzenden Halbmond zusammen, ein unheilvolles Omen, das krass mit den feinen, pinkfarbenen Rosen ihres Teeservices kontrastierte. Sie hatte es als Geschenk erhalten, als sie frisch verheiratet gewesen war, vor einem ganzen Leben. All ihren anderen Besitz hatte sie seither veräußert. Doch sich von diesem alten Porzellan zu trennen, dazu konnte sie sich noch immer nicht durchringen. Es Tag für Tag zu benutzen, das Muster zu sehen, das sie schon als hübsches Mädchen geliebt hatte, das schöne Dinge liebte – das war, als würde sie den harten Griff der Gram direkt an ihrer Kehle spüren. Sie nahm sich vor, diese Qual niemals zu dumpfen Erinnerungen von Traurigkeit und Bedauern verkommen zu lassen. Es war ihr Schmerz, der sie nun zu dem machte, was sie war, und sie wollte ihn spüren und ertragen wie einen Dorn in ihrem Fleisch. Keine Frau sollte es aushalten müssen, ihre ganze Familie zu überleben. Und auch noch auf eine solche Art und Weise. Ihr Mann und ihre Söhne waren plötzlich und mit eiserner Gewalt aus ihrem Leben herausgerissen worden. Das hatte bei ihr zu einem inneren Hass und einem Traum von Rache und Vergeltung geführt. Viele Jahre lang waren es diese Gefühle gewesen, die sie dazu gebracht hatten, allen Qualen zum Trotz jeden Morgen wieder aufzustehen und die Füße fest auf die Erde zu setzen.

Gormshuil betrachtete die winzigen pinkfarbenen Blüten und dachte daran, wie hart Fergus gearbeitet hatte, um sie mit diesem Geschenk zu überraschen. Fast zwei Wochen lang war er fort gewesen, hatte den weiten Weg bis nach Edinburgh auf sich genommen, um das zerbrechliche Porzellan dort zu kaufen. Nie hatte sie gedacht, dass sie einmal etwas so Schönes besitzen würde. Ihre Wangen hätten die Blütenfarbe dieser Rosen, hatte er gesagt.

Die alte Hexe schob die unglaublich zierliche Tasse beiseite und lächelte bitter über ihre kleine Schwelgerei und sich selbst. Eine wie sie konnte sich Sentimentalität nicht gut leisten.

Die Gesellschaft war mit einer einsam lebenden Frau wie ihr nicht gerade nachsichtig gewesen. Seit dem Tod ihres Mannes und ihrer Söhne war sie gezwungen, sich so gut es eben ging durchzuschlagen. Ein gequältes Lächeln verzog ihre Mundwinkel. So gut es eben ging, das war in der Tat gut gewesen.

Ihr Fergus hatte diese von ihrer Großmutter erlernten »Weiberkünste« immer liebevoll bespöttelt. Gormshuil hatte das Geschlecht und das Geburtsdatum all ihrer Kinder schon gewusst, als sie sie noch in sich getragen hatte. Und sie hatte sich auch von dem kränkelnden Kind befreien können, von dem sie wusste, dass es für diese Welt zu schwach sein würde.

Aber alle weise Voraussicht und all ihre Talente hatten ihr nicht helfen können, die eigene Familie zu retten. Ihr gequältes Lächeln wurde zu einer bitteren Miene. Ein seelenloser Feind hatte ihre Liebsten dahingerafft und sie, Gormshuil, dem Sterben überlassen. Aber sie war nicht gestorben, und alles, was ihr zum Überleben geblieben war, waren ihre verwünschten Künste und ein so sehr verzagtes Herz, dass sie jedes Jahr kaum mehr daran glauben konnte, das nächste frische Grün noch sprießen zu sehen.

Erst als sie gezwungen war, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, vervollkommnete sie ihre Fähigkeiten, anstatt sie nur als Zeitvertreib am Kamin zu pflegen. Sie war schlau genug, sich für jene in der Gesellschaft wertvoll zu machen, die Macht ausübten, jene, die nach einer suchten, die sich auf Diskretion so gut verstand wie auf Zauberei. Im Gegensatz zum volkstümlichen Heilen und der Weissagerei der alten Wahrsagerinnen, die häufig auf dem Scheiterhaufen endeten, erlernte Gormshuil die Prophezeiung unheilvoller Ereignisse und die Deutung von Omen und schmeichelte sich bei jenen ein, die in den Highlands wirklich über Einfluss verfügten.

Und so wurde aus einer trauernden und mittellosen Witwe die Hexe von Moy.

Wie jeden Tag, öfter, als sie es zählen konnte, nahm Gormshuil einen tiefen Atemzug und zwang sich, noch ein wenig länger auszuhaken. Bald würde sie wieder mit Fergus und ihren Söhnen zusammen sein.

Doch heute war noch nicht der Tag dafür.

Sie studierte die Tasse, drehte und drehte sie, sodass der kalte, braune Tee in die Untertasse schwappte. Die alte Frau war aufgeregt. Es war ihre sechste Tasse heute, und noch immer sagten ihr die Blätter dasselbe.

Jemand kommt.

Kapitel 1

Lochaber, Februar 1654

Ewen stand noch vor dem Morgengrauen auf und machte seine Übungen mit dem Schwert, wie er es seit über fünfzehn Jahren täglich tat. Mit dem schwarzen Haar, das offen auf die Schultern fiel, nackt bis auf ein langes Leinenhemd und die Waffe auf seinem Rücken, übte er sich in seiner Kampfkunst.

Der Claymore, sein zweischneidiges Langschwert, hatte bereits seinem Vater gehört. Er war zu groß, um ihn seitlich an der Hüfte zu tragen. Deshalb hatte Ewen eine Scheide aus Leder und Silber gefertigt. Wenn die Klinge darin steckte, ragte das Heft zwischen seinen Schulterblättern hoch. Ewen hob beide Arme, umfasste hinter seinem Kopf den schweiß- und blutgetränkten Ledergriff und zog das Schwert langsam heraus. Die tödlich scharfe Stahlklinge zischte durch die Luft, als er sie über dem Kopf in Position brachte. Es war ein langsamer, bedächtig ausgeführter Tanz mit einem Schwert, das die meisten Menschen mit einer Hand nicht einmal hätten hochhalten können. Das Gewicht auf einem Fuß, das andere Knie gebeugt, parierte Ewen einen unsichtbaren Feind. Als die Sonne durch das bunte Glas seiner Schlafzimmerfenster drang, war seine Haut von einer dünnen Schicht Schweiß überzogen und seine geschmeidigen Muskeln von der Anstrengung fest und gestählt.

Ein Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken. »Ja, herein«, knurrte er. Die schwere Tür mit ihren Eisenbeschlägen wurde einen Spalt geöffnet, und Katherine, die freundliche, pausbäckige Hausmagd, lugte herein. »Soll ich Euch ein Bad herrichten, Mylord?« Während sie sprach, bemerkte sie, dass der Lord noch nicht ganz angekleidet war. Obwohl sein Hemd fast bis an die Knie reichte, errötete Kat. Sie hatte ihn gebadet, als er noch klein und sie ein junges Mädchen gewesen war, doch nun war Ewen eindeutig kein Kind mehr. Den Anblick des fast zwei Meter großen, halb nackten und schweißbedeckten Kriegers konnte selbst die normalerweise prüde alte Jungfer nicht ignorieren.

Ewen, der an abwägende Blicke von Damen gewöhnt war, ersparte ihr eine weitere Beklemmung durch ein brüskes »Nein« und fügte in knappen Worten hinzu: »Ich muss mich mit Donald und den Männern treffen. In der Waschschüssel ist Wasser, das reicht.«

Seine Stimme war rau und tief und einschmeichelnd wie das Knistern eines langsam brennenden Torffeuers. Sie war schon früh so geworden, und ziemlich abrupt. Kat war verwundert darüber, dass die Stimme des Lords manchmal fast zärtlich klang, was zu diesem ansonsten so ungestümen Mann gar nicht zu passen schien.

Ewen bemerkte den kurzen, liebevollen Blick der Magd, und ein Lächeln flog über seine Miene. »Danke schön, Kat«, sagte er. Sie zog sich daraufhin eilends zurück und schloss die Tür wieder.

Er legte die Scheide ab, zog das schweißnasse Hemd aus und tauchte die Hände in die neben dem Bett bereitstehende Schüssel. Das Wasser war eisig von der Kälte der Nacht, doch die über seinen Rücken hinunterlaufenden Rinnsale wirkten erfrischend. Eine Empfindung, die einen Schauder durch seine Lenden jagte, sodass er trotz des kalten Wassers erregt wurde. Grinsend fragte er sich, ob es von der frühen Stunde kam oder von der bevorstehenden Aufgabe, dass sein Körper so reagierte. Ewen hatte Frauen praktisch aus seinen Gedanken verbannt, deshalb glaubte er nicht, dass das die Ursache dafür sein konnte. Nicht, dass er sich in früheren Jahren nicht gern und ausgiebig amüsiert hätte, doch seit einer fehlgeschlagenen Ehe in jungen Jahren sagte er sich, dass eine Frau in einem Leben genug war. Ein Clanoberhaupt musste, was Affären anbelangte, Vorsicht und Diskretion walten lassen, und Ewen hatte schon vor langer Zeit beschlossen, dass Romanzen in seinem Leben keinen Platz hatten.

Mit seinen zweiunddreißig Jahren war Ewen Cameron, siebzehnter Captain und Oberhaupt des Clans der Cameron, jünger als die meisten anderen Clanführer. Schon in jungen Jahren war er mit dem Tod seines Vaters konfrontiert worden, und so hatte das Schicksal ihn sehr früh seiner Kindheit beraubt. Sein Großvater war vorübergehend erneut als Oberhaupt eingesetzt worden, während Ewen von zu Hause fortgeschickt wurde, um eine Schule zu besuchen.

Er kam zurück mit dem brennenden Wunsch, die Bücher gegen Schwert und Schild einzutauschen, und so zog sein Onkel Donald ihn auf, bis der junge Mann bereit war, die Führung des Clans zu übernehmen.

Donald bildete Ewen auf das Beste in den Kriegskünsten der Highlands aus, denn der Clanführer musste der Stärkste, der Tapferste und der Sicherste mit der Waffe sein. In der Schlacht ritt er seinen Männern voran und setzte sie keiner Gefahr aus, der er sich nicht selbst aus freien Stücken gestellt hätte. Er musste bereit sein, für seine Leute in den Tod zu gehen – eine Lektion, die der Onkel dem jugendlichen Oberhaupt mit unbarmherziger Strenge beibrachte.

Donald war der Meinung, dass ein guter Feldherr nicht nur die Kriegskünste perfekt beherrschen sollte. Vielmehr musste, wer ein großer Krieger sein wollte, sich auch um das Prinzip der Ehre und die Bedürfnisse seiner Untertanen bemühen. Und so prägte er seinem Schützling auch geistige Ideale und Ambitionen ein. Anders als seine Altersgenossen im Clan studierte Ewen deshalb Latein, Griechisch und Französisch. Und während die anderen Jugendlichen ihre Zeit damit verbrachten, mit Holzschwertern zu üben, bestand Donald darauf, dass der junge Lord bei der Führung der häuslichen Geschäftsbücher mithalf.

Ewen holte ein frisches Leinenhemd aus seinem Kleiderschrank und machte sich kampfbereit. Ein Krieger der Highlands hatte die Aufgabe, seine Schutzbefohlenen und seine Ehre zu verteidigen, und die meisten Männer führten vor der Schlacht bestimmte Rituale aus. Manche genossen die Gesellschaft von Frauen, andere vertrauten auf das Gebet. Ewen hingegen zog es vor, sich methodisch vorzubereiten – er reinigte seine Waffen, bis sie hell glänzten, schleifte sie bedächtig, bis sein Schwert und die drei kleineren Klingen sowohl das feinste Haar spalten als auch mit einem Streich einen erwachsenen Mann niederstrecken konnten.

Nachdem er sein Hemd geschnürt hatte, legte er eine frisch gereinigte Tartan-Stoffbahn an, die er an der Hüfte mit einem braunen Ledergürtel und einer großen, silbernen Spange befestigte. Dann begann er, sich mit großer Sorgfalt zu bewaffnen. Dazu breitete er seine sämtlichen Waffen auf dem Bett aus und überprüfte systematisch jedes Stück, bevor er es anlegte. In jedem Stiefelschaft verbarg er eine Klinge, dann steckte er sich einen Dolch in den Gürtel und hängte sich schließlich sein kostbares Langschwert über den Rücken.

Den Rest des wollenen Tartans warf sich Ewen über die Schulter und steckte ihn mit einer silbernen Brosche fest. Er rieb ein wenig daran, als sei sie beschlagen, obwohl er den darauf abgebildeten keltischen Jagdhund erst am Abend zuvor auf Hochglanz gebracht hatte. Beim Anstecken dachte er an seinen Vater und lächelte über das fast abergläubische Bedürfnis, dieses Andenken an ihn in der Schlacht zu tragen – besaß es doch die mythische Bedeutung des letzten Geschenks eines Vaters an seinen Sohn.

Er würde sich niemandem unterwerfen. Und wie die Männer seiner Vorväter waren auch die seinen bekannt als die Söhne des Jagdhundes.

Kapitel 2

Schottisches Hochland, Gegenwart

Lily atmete heftig aus und rieb kräftig mit dem Daumen an ihrem Unterarm entlang. Sie hatte seit Jahren nicht mehr gezeichnet und war nicht gewillt, sich jetzt von einem Krampf abhalten zu lassen. Die Arbeit an ihren Studien nahm sie ganz und gar in Anspruch. Schon den ganzen Vormittag lang hatte sie energisch Pastellfarben verrieben und gemischt und die Landschaft um sich herum auf Papier gebannt.

Es war eine nette Abwechslung zum Abend davor, der ungut geendet hatte. Genau vor einer Woche war sie in ihr gemietetes Bauernhäuschen eingezogen, und abgesehen vom gelegentlichen freundlichen Winken eines neugierigen Passanten waren ihre einzige Gesellschaft die zotteligen Hochlandrinder gewesen, die auf den grünen Flecken grasten, welche zwischen die purpurfarbene Heide und die grauen Felsen des engen Tals eingestreut waren. Auf der Suche nach ein bisschen Spaß und Unterhaltung war sie dann nach Inverness gefahren und hatte sich dort in eine der Studentenkneipen gewagt, in denen sich zur lauten Musik einer Band rüpelhafte junge Männer und grell geschminkte Mädchen drängten. Alles in allem, hatte sie gedacht, würde das ein guter Ort sein, um einmal abzutauchen und zu sehen, wie es in den Highlands um das Nachtleben bestellt war.

Nachdem sie sich zehn Minuten lang an die überfüllte Theke gedrückt hatte in der Hoffnung, einer der Barmänner würde sie bemerken, begann sie ihre Entscheidung zu bereuen. Verärgert glaubte sie, nun zu wissen, weshalb die einheimischen Mädchen sich dermaßen aufdonnerten. Wie sonst konnte man in einem derartigen Schuppen bemerkt und bedient werden?

Sie wandte sich zum Gehen, doch ein ungeschlachter, sehr betrunkener junger Mann trat ihr in den Weg. Was ihm an Körpergröße fehlte, machte er an Breite wett. Sein zu enges T-Shirt spannte sich über einen beachtlichen Bizeps, und er hielt sich ganz offenkundig für ein ziemlich besonderes Exemplar der Spezies Mann. Nur schade, dachte Lily, dass er seinen Bauchmuskeln nicht die gleiche Aufmerksamkeit widmet, denn die waren gut unter einem beträchtlichen Bierbauch verborgen.

»Entschuldigung«, murmelte sie mit gesenktem Blick und versuchte, unter seinem ausgestreckten Arm durchzuschlüpfen.

»Oi, eine Amibraut!«, prustete der Koloss. Er stank nach Whisky und Erbrochenem. Lily beschloss, dass es an der Zeit war, diesen Ort zu verlassen. Bei ihrem Wunsch, Einheimische kennenzulernen, hatte sie definitiv nicht an betrunkene College-Studenten gedacht. Was hatte sie sich überhaupt dabei gedacht? Sie sollte in ihr Häuschen zurückfahren, einen netten Film ansehen und sich dabei sündhafterweise einen mitternächtlichen Snack gönnen.

»Ja, ähh …« Mit einem verlegenen Lächeln versuchte Lily, sein Interesse abzuschütteln und sich erneut an ihm vorbeizustehlen. »Entschuldigung.«

»Nicht so hastig, Süße«, nuschelte der Kerl. »Stimmt denn das, was man so über die Amerikanerinnen hört?«

Noch einmal versuchte Lily es mit Flucht, denn sie wollte definitiv nicht wissen, was er mit seiner ungehobelten Frage wohl meinte.

Die Band legte eben eine Pause ein, und in der Bar schien es plötzlich unheimlich still zu werden. Lily spürte eine unbehagliche Spannung im Raum – von der Art, dachte sie, auf die eine Wirtshausrauferei folgte.

»Bitte, lassen Sie mich vorbei.«

»Ey – bitte, lassen Sie mich vorbei!«, wiederholte der Bursche in einem hohen Singsang. Inzwischen hatten sich ein paar seiner Kumpane zu ihm gesellt und verfolgten neugierig die Szene.

Lily spürte Wut in sich aufsteigen. So manche Frau hätte wohl versucht, die Situation durch Worte zu entschärfen, doch sie war eine Kämpferin. Sie schreckte vor niemandem zurück, auch nicht vor einem fettleibigen Muskelpaket.

»Oi«, machte, sie ihn nach. »Und jetzt lass mich gefälligst durch!« Mit dem Kopf voran stürmte sie auf ihn zu, um ihn zur Seite zu stoßen, doch ohne Erfolg.

»Hör mal, du besoffener Trottel, ich will hier raus!« Sie wusste, dass dies der falsche Weg war, um der Lage Herr zu werden, aber es war klar, dass keiner seiner Kumpel ein Interesse daran hatte, diese Art der Abendunterhaltung abzukürzen, also musste sie selbst für sich sorgen.

Lily bemerkte, dass ein paar der Mädchen hinter sie getreten waren und sie wohlwollend beobachteten. Eine Rothaarige blickte unverhohlen mit einem so schiefen wie anerkennenden Lächeln zu ihr, und das gab ihr noch mehr Mut.

»Kretin!«, fauchte sie und versuchte noch einmal, an dem Kerl vorbeizukommen.

Mittlerweile war es in der Kneipe still geworden, und aller Augen richteten sich auf die Amerikanerin, die offenbar den Mund zu voll genommen hatte.

Lily kochte vor Wut. Sie hatte nur ein bisschen ausgehen, sich auf niemanden einlassen, sondern lediglich eine der hiesigen Bands anhören und vielleicht ein wenig die Menschen hier beobachten wollen.

»Na komm schon, Süße«, nuschelte der. Kerl. Sein schlechter Mundgeruch verursachte Lily zunehmend Übelkeit. »Nur ein bisschen knutschen, was ist denn schon dabei?«

Eigentlich hatte sie ihm nur eine Ohrfeige verpassen wollen, doch irgendwie landete ihre Faust an seinem Kinn. Und schon stieg eine Handvoll der College-Mädchen mit ein, sie feuerten Lily an und schütteten dem Kerl ihre Biere ins Gesicht.

Auch seine Freunde wurden nass. Als Nächstes erwischte es die Mädchen, dann griffen deren Freunde ein, und ehe Lily sichs versah, hatte sie eine regelrechte Kneipenschlacht in Gang gebracht. Bei dem allgemeinen Tumult schaffte sie es schließlich, durch eine Seitentür zu verschwinden.

Lily war immer stolz darauf gewesen, nicht eines dieser schüchternen, introvertierten Mauerblümchen zu sein, doch eine Wirtshausschlägerei vom Zaun zu brechen, das war ihr dann doch zu viel gewesen. Mit einem prüfenden Blick auf ihren Skizzenblock dachte sie, dass es wohl angebracht sein würde, sich in den nächsten Tagen beim Besitzer der Kneipe zu entschuldigen.

Sie legte den Block beiseite, flocht ihr widerspenstiges blondes Haar zu einem provisorischen Zopf und bewunderte einmal mehr das Panorama vor sich. Ihre Großmutter hatte ihr oft von der majestätischen Erhabenheit der Highlands erzählt, doch keine Worte konnten die spröde Schönheit dieser Landschaft beschreiben. Sie blickte um sich, ergriffen von den gewaltigen Kontrasten dieses Landes. Der Wind heulte, und Strähnen ihres Haars rissen sich aus dem Zopf los, doch die zähen Pflanzen, die die Moore bedeckten, bewegten sich kaum; sie schmiegten sich an die Erde und klammerten sich trotzig im Purpur und Weiß von Heidekraut und Disteln aneinander. Gewöhnliche, fast kümmerlich zu bezeichnende kleine Pflanzen, die der Welt widerspenstig zu sagen schienen: Was, so ein leichtes Lüftchen? Ganz so wie auch die Menschen hier, dachte Lily. Stark, nicht unterzukriegen und schnell mit dabei, wenn es darum ging, eine schlechte Situation kleinzureden.

Alles in allem hatte es den Anschein, als würde sich in der Ferne ein anderes Land ausbreiten, in dem Vögel träge über einen der zahllosen Seen der Highlands segelten, dessen Wasser unbegreiflich still dalag. Am jenseitigen Ufer ragten stummen Wächtern gleich felsige Gipfel auf. Ihre gezackten Silhouetten spiegelten sich im Wasser, das wie Glas wirkte. Abgesehen von den zuckenden Schatten grauer Sturmwolken war der See im Licht des Vormittags dunkelblau und violett, und nun begriff Lily endlich auch, weshalb die Menschen hier glaubten, dass sich in den Tiefen ihrer Lochs monströse Ungeheuer verbargen.

Langsam sammelte sie ihre Pastellstifte wieder in die ramponierte Schachtel ein und wunderte sich darüber, dass, bevor sie nach Schottland gekommen war, Jahre vergangen waren, in denen sie überhaupt nicht gemalt und gezeichnet hatte. Von einem Abschluss in Kunst, ihrer Leidenschaft fürs Malen und Ambitionen, unterprivilegierte Kinder in Kunst zu unterrichten, war sie geradewegs in einen Achtzig-Stunden-Job im Silicon Valley hineingerasselt. Keine Kunst mehr. Keine Kinder. Und schon gar niemand, der unterprivilegiert gewesen wäre.

Ein Urlaub in Schottland war Lily als die ideale Gelegenheit vorgekommen, einmal über sich und Gott und die Welt nachzudenken. Einmal allein zu sein und sich darüber Gedanken zu machen, wozu sie es in den letzten Jahren gebracht hatte. Was all die Überstunden, Aktienbezugsrechte und Vorstandssitzungen bedeutet hatten – wenn sie denn etwas bedeutet hatten.

In erster Linie war sie wegen Grandma hierhergekommen. Wegen ihrer geliebten Großmutter, die dieses Land bereits in jungen Jahren verlassen hatte, um zu sehen, was die weite Welt für sie bereithielt. Grandma, die ihre singende Sprechweise und ihren starken Akzent ebenso wenig je verloren hatte wie das jugendliche Leuchten in ihren Augen.

Sie hatte immer gesagt, dass Grandma sie großgezogen und auf dem Arm getragen hatte, als ihre leibliche Mutter fortging, obwohl Lily damals erst in der Grundschule war. Sandra – sie hatte immer darauf bestanden, ihre Mutter so zu nennen – hatte sich von einem drittklassigen Baseballspieler den Kopf verdrehen lassen, der eines Tages im Rahmen eines Trainingscamps in die Stadt gekommen war. Als die Zeit kam, dass er wieder gehen musste, hatte Lilys Mutter ihre Sachen gepackt und stand bereit. Sie glaubte, so lange sie noch unter vierzig sei, habe sie bessere Chancen in der Liebe, wenn sie kein Kind am Hals hatte.

Ein paar Jahre später kam Sandra wieder zurück. Dieses Mal hatte sie einen glatzköpfigen Banker Mitte sechzig an ihrer Seite, und sie meinte, dort weitermachen zu können, wo sie vordem aufgehört hatte, bedacht darauf, ihre neue Rolle als seriöse Ehefrau sozusagen mit einem »fertigen« Kind ausfüllen zu können.

Das wollte Lily nicht mitmachen, was jedoch ohnehin keine große Rolle spielte. Denn inzwischen waren Grandma und ihr »fröhlicher Fratz« – diesen Spitznamen hatte sie Lily wegen ihrer unglaublichen hellblonden Locken gegeben – unzertrennlich geworden. Die alte Frau beschützte ihre Enkelin mit allen Mitteln, und erst nachdem Sandra sie ausgiebig beschwatzt hatte, durften sie und ihr neuer Ehemann Lily überhaupt besuchen kommen.

Und nun war Grandma gegangen.

Lily hatte ihr hohes Alter nie zur Kenntnis genommen, denn sie war so voller Leben gewesen, und ständig beschäftigt mit handwerklichen Dingen, ihren Gedichten und ihren Rosen.

Obwohl Grandma friedlich entschlafen war, hatte Lily nicht wirklich Trost finden können. Sie konnte das Andenken ihrer Großmutter nicht hochhalten, sondern empfand plötzlich eine große Schuld. Denn anstatt einfach ihren Lebensabend zu genießen und mit ihrer Seniorengruppe die Welt zu bereisen, hatte Grandma alles aufgegeben und für Lilys Erziehung endlos viele Opfer gebracht.

Und nun, da ihre Großmutter von ihr gegangen war, spürte Lily, dass sie keinen Ehrgeiz mehr hatte, ihre Karriere weiter zu verfolgen, sondern einfach nur in Grandmas Heimat entfliehen wollte. Diese »letzte Reise in die Highlands« zu unternehmen, von der ihre Großmutter bis zu ihrem Tod immer geträumt hatte.

Anfangs hatte Lily geglaubt, es würde eine gute Gelegenheit sein, ein wenig nachzudenken. Doch sie merkte sehr bald, dass das Land so einsam war, dass sie zum Nachdenken fast zu viel Zeit hatte.

Zu Hause in San Francisco hatte sie sich daran gewöhnt, sich, abgesehen von ihrer Arbeit, mit fast nichts anderem mehr zu beschäftigen. Das hatte in den 1990er-Jahren angefangen, als aus ihrer befristeten Anstellung bei einem kleinen Internetmagazin plötzlich die Position eines »Creative Director« wurde.

Damals war sie erst vierundzwanzig gewesen. Ein paar Jahre, Tausende von Arbeitsstunden und eine in die Brüche gegangene Beziehung später fand sie sich wieder mit nichts als einer gebrauchten Luxuslimousine, einem Haufen Geld auf der hohen Kante und ein paar neuen Falten im Gesicht. Und es waren nicht einmal Lachfalten. Nur einige Runzeln mehr in ihrer ohnehin zumeist in Falten gelegten Stirn.

Lily fragte sich, wozu das alles gut gewesen sein sollte. Sie war Künstlerin gewesen. Und anstatt ihren Träumen nachzugehen, hatte sie am Ende Layouts für die Fotos anderer Leute gemacht; Fotos von Orten, die zu besuchen sie nie die Zeit gehabt hatte.

Vielleicht hatte sie das alles nur gemacht, um Sandra zu beweisen, dass sie einen Abschluss in Kunst schaffen und trotzdem nicht als Bettlerin auf der Straße landen würde. Sie wusste nur, dass niemand mehr überrascht war als sie selbst, als sie plötzlich und unerwartet in der Welt des Business Karriere machte.

Lilys Kollegen hatten sie für gescheit gehalten; sie jedoch empfand ihre Veranlagung zur Kompromisslosigkeit in ihrem Privatleben als Belastung. Und sie hatte immer gedacht, sie werde nur noch ein Jahr lang Aktienbezugsrechte anhäufen, und dann würde sie aufhören und nach Herzenslust malen können. Aber sie hatte nie aufgehört.

Dann brach der Technologiemarkt ein. Zuerst ging es ganz langsam: gelegentliche Entlassungen, Neustrukturierungen im Managementbereich.

Aber ehe sie sichs versah, war sie die einzige Designerin in dem großen Büro, umgeben von leeren Arbeitsplätzen und allein damit befasst, für eine anonyme Muttergesellschaft die Scherben eines gescheiterten Onlineunternehmens aufzusammeln.

Und sie hatte jahrelang gearbeitet und in all der Zeit nicht einmal echte Freunde gewonnen. Diese Businesstypen in Khaki und Marineblau waren irgendwie alle gleich. Sie unterschieden sich höchstens darin, welche Farbe sie für ihren BMW bevorzugten oder ob sie den Wimpel von Harvard oder von Stanford in ihrem Büro hängen hatten.

Einen gab es, mit dem sie im letzten Frühjahr ein paar Monate lang zusammen gewesen war, ein Computerprogrammierer, aber einer von der etwas weltfremden Sorte. Es war ja ganz nett gewesen – bis er in die Firmenzentrale nach Boston transferiert wurde.

Das Thema, dass Lily selbst eine Versetzung beantragen könnte, kam irgendwie nie auf den Plan, und so verlief die ganze Beziehung so gleichgültig im Sand, wie sie ursprünglich angefangen hatte.

Wenn sie über ihre Karriere nachdachte, bekam Lily immer ein Gefühl der Leere. Jahrelang hatte sie sich kein Leben zugestanden, und wozu? Für einen Haufen wertloser Aktienbezugsrechte?

Und das hatte sie getan auf Kosten der einzigen Person in ihrem Leben, die sie wirklich liebte und von der sie wirklich geliebt und verstanden worden war. So viele Opfer hatte ihre Großmutter für sie gebracht, und Lily hatte als Dank nichts Besseres zu tun gewusst, als sich von einem sinnlosen Job so sehr vereinnahmen zu lassen, dass Grandma für sie einfach nicht mehr an erster Stelle stand.

Sie ließ sich all die Urlaube noch einmal durch den Kopf gehen, die wegen ihrer Terminpläne verkürzt worden waren, all die Male, in denen sie es um ein, zwei Tage verschoben hatte, Grandma zurückzurufen, nur weil sie gerade wieder mit einem Projekt befasst gewesen war, all die verpassten Gelegenheiten, bei Grandma zu essen, nur weil sie länger im Büro bleiben und »endlich« alle ihre E-Mails checken wollte.

Sie war sogar zu beschäftigt gewesen, den Tod ihrer Großmutter richtig zu betrauern.

Damals hatte Lily tausend Ausreden gehabt, um sich vor sich selbst zu rechtfertigen. Sie war die Leiterin eines »Kreativteams« gewesen, das beim Vorstand gerade ein letztes Mal Mittel zur Rettung des Unternehmens beantragt hatte. Die entsprechende Sitzung hatte zufällig am Tag nach Grandmas Beerdigung stattgefunden.

Lily redete sich ein, Grandma hätte gewollt, dass sie mit ihrem Leben weitermachte, nicht zuletzt, weil man ihr eine große Aufgabe anvertraut hatte.

Und so hatte sie sich nicht einmal einen Tag gegönnt, um zu trauern.

Nun waren die einzigen Menschen in Lilys Leben eine Mutter und ein Stiefvater, die sie beide gar nicht richtig kannte, und eine Handvoll Freunde aus ihrer Studentenzeit, denen sie alle paar Monate, wenn überhaupt, einmal auf den Anrufbeantworter sprach.

***

Lily rollte die Decke zusammen, die sie als Schutz gegen die feuchte schottische Erde mitgebracht hatte, steckte sie in ihren Rucksack und stand auf. Sie drehte sich langsam um und suchte ihr nächstes Landschaftsmotiv. Eine kleine Veränderung würde ihr jetzt wahrscheinlich ganz gut tun. Wenn nur einer dieser stattlichen Stiere, die an den Bergflanken grasten, lange genug stillgestanden wäre, damit sie ihn zeichnen konnte. Selbst eine zottelige alte Kuh dieser Highlandrinder hätte ihr schon gereicht.

In der Ferne meinte sie einen schmalen Pfad zu erkennen, der sich über einen besonders zerklüfteten Hang hinzog, und machte sich dorthin auf.

Er führte zwar von ihrem Cottage weg, aber ein bisschen wandern war wohl ohnehin das Beste, um den Kopf wieder frei zu bekommen. Ein kleines Abenteuer konnte sie jetzt gut gebrauchen, und sollte sie sich verlaufen, so würden ihr die Berge und der See als Anhaltspunkte dienen, um auch in der Dunkelheit wieder zurückzufinden.

Lily lächelte, als sie plötzlich merkte, dass sie eine Melodie vor sich hinsummte, an die sie seit einer Ewigkeit nicht mehr gedacht hatte. Immer wenn sie als Kind nicht einschlafen konnte, hatte Großmutter ihren Kopf gestreichelt und ihr ihr Lieblingsschlaflied vorgesungen. Der Text war über Generationen hinweg in Grandmas Clan, dem der MacMartins, weitergegeben worden. Es war die Geschichte eines hübschen Burschen, der auf geheimnisvolle Weise nach Lochaber gekommen und ein Held geworden war. Lily hatte diesem Märchen immer wieder fasziniert gelauscht, als höre sie es zum ersten Mal, obwohl sie es so gut kannte wie kein anderes. Und irgendwann war sie dann eingeschlummert und hatte nur mehr den fast hypnotischen Singsang ihrer Großmutter in sich aufgenommen.

Jetzt hörte sie diese vertraute Stimme wieder, Grandmas starken Akzent, so als habe sie ihr erst gestern zum letzten Mal gelauscht.

Grandma hatte ihr das Lied unzählige Male vorgesungen und es immer mit denselben Worten eingeleitet: »Mein fröhlicher Fratz, jetzt kommt die Geschichte eines jungen Burschen, der war klug und belesen, aber er hatte auch ein starkes Herz« – Lily lächelte bei der Erinnerung daran, wie Grandma »starkes Herz« immer gedehnt und mit einem Crescendo gesprochen hatte – »und er war ein früher Verwandter von dir auf der Seite der MacMartins.« Als habe es für die alte Frau nie eine andere Familie gegeben als ihren eigenen Clan.

Und dann streichelte sie Lily über das Haar und begann zu singen:

»Noch jung an Jahren war er schon todgeweiht,Sein Haar eine Pracht aus Locken und Gold.In Letterfinlay traf er auf das LandAus einer großen, fernen Zukunft.Er war ein MacMartin ohne Furcht,Clan Cameron nahm ihn herzlich auf.

Ein Sidhe im rotgrünen Plaid war er,Ein stattlicher junger Mann.

Eines Tages, im Kampf mit Rotröcken,Ereilte ihn sein Schicksal.Um den Lord, seinen Bruder, zu schützen,Gab er, was man nur einmal geben kann.Auf einem schönen Hügel kam er zu TodeDurch eine Kugel, die Sir Ewen galt.

Ein Sidhe im rotgrünen Plaid war erUnd starb in jungen Jahren.

Der große Lord und die SeinenVergaben dem Jüngling jede Schuld.Denn als gelehrter, tapferer MannGereichte dem Clan er zur EhreUnd wird noch heute hochgeschätzt,Weil er für den Lord sein Leben gab.

Die Lochaber-Mädchen, sie trauern noch heut‘Um den MacMartin-Helden im Cameron-Plaid.«

Lily nahm einen tiefen Atemzug, vom Anblick eben dieses Landes Lochaber bewegt. Tränen traten ihr in die Augen bei dem Gedanken, wie glücklich ihre Großmutter gewesen wäre, wenn sie noch einmal schottische Erde hätte betreten können. Dann überkam sie eine heitere Gelassenheit, als sei mit einem Mal eine imaginäre Macht von ihr gewichen, die ihr bisher die Brust eingeengt hatte.

Ein Gefühl von Verbundenheit stieg in ihr auf, und sie genoss diese seltsame Empfindung mit einem verwunderten Kopfschütteln.

Sie stand an einem der einsamsten Flecken dieser Welt und hatte das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein.

Kapitel 3

Eine geschlagene Stunde war verstrichen, und Lily hatte noch immer nicht die richtige Stelle gefunden, um die Arbeit des heutigen Tages abrunden zu können. Sie war den Pfad über einen steilen Abhang hinunter weitergegangen, hatte sich zwischen riesigen Felsbrocken hindurchgezwängt und nur hier und da innegehalten, um eine der winzigen, an den Hang geduckt wachsenden wilden Blumen zu pflücken und zwischen die Blätter ihres Skizzenblocks zu legen. Nun arbeitete sie sich am Fuß des Berges entlang vorwärts, auf dem sie den ganzen Vormittag verbracht hatte – ein Aussichtspunkt, der dieses atemberaubende Panorama geboten und irgendwie dennoch kein gut verwertbares Motiv zum Zeichnen hergegeben hatte. Irgendwann blickte sie zurück und merkte plötzlich, dass sie viel weiter gegangen war, als sie vorgehabt hatte. Und vor ihr verengte sich das Tal, in dem sie sich jetzt befand, zu einer tiefen Schlucht.

Es war kurz nach Mittag, und schon jetzt wurden die Schatten länger. Schroffe Felsen ragten über Lily auf, und Teile des Pfades vor ihr lagen bereits in dunklem Dämmerlicht. Zwischen den Felsen zu ihren Füßen krallte sich zähes, gelbes Gestrüpp fest, das den Pfad immer wieder gefährlich überwucherte, sodass er an einigen Stellen vor lauter ungehemmtem Wachstum gar nicht mehr zu erkennen war. Lily konnte sich nur langsam und mit großer Mühe vorwärts arbeiten. Sie zog ihren Pullover eng um den Hals zusammen und sagte sich, dass es nur ein leichtes Frösteln war, was sie zittern ließ, und nicht Unbehagen.

Gerade als sie sich über ihre vorherige überschwängliche Laune und ihre Sentimentalität ärgern wollte, deretwegen sie sich nun tatsächlich noch verlaufen hatte, sah sie etwas Merkwürdiges. Nicht weit vor sich, in den Fels eingelassen und absolut real, auch wenn es jeglicher Logik widersprach.

Einen Eingang.

Sie war so sehr darauf konzentriert gewesen, auf dem steinigen, unebenen Pfad nicht zu stolpern, dass sie auf die vor ihr aufragende Felsformation nicht geachtet hatte. Jetzt betrachtete sie sie genauer, und was zunächst ausgesehen hatte wie massiver Granit, entpuppte sich nun als eine Mauer aus Hunderten dicht an dicht liegenden Felsblöcken, einer der Form des anderen angepasst – eine massive, von Menschenhand gestaltete Wand aus Stein, die zwei Stockwerke hoch aufragte und wahrscheinlich einmal so solide gewesen war wie eine Mauer aus Ziegeln und Mörtel.

Ein dichter Teppich aus weiß blühenden Moosen und grünen Flechten, die den alten Stein zunächst vor Blicken geschützt hatten, zerstörte ihn zusehends und trug zusammen mit den Witterungseinflüssen allmählich zum Zerfall der sorgfältig angeordneten Quader bei. Innerhalb der Öffnung gingen die Farbtupfer des Pflanzenbewuchses in ein üppiges Grün über, sodass der Eingang erst bei genauerem Hinsehen überhaupt erkennbar wurde.

Jetzt, wo sie näher kam, sah Lily den Eingang mit seinem massiven Türsturz ganz deutlich. Durch die Blätter der Pflanze, die dahinter wuchs, fuhr eine geisterhafte Brise, und es schien, als entfalte sich hinter diesem Tor ein ganz eigenes Leben.

Lily wusste, dass das einzig Vernünftige wäre, umzukehren, solange sie noch in der Lage sein würde, den Weg zurück zu finden, doch die Künstlerin in ihr wollte unbedingt etwas jenseits der Normalität entdecken. Ein einzigartiges Thema, das ihre so lange vernachlässigte kreative Energie beflügeln würde. Und so ignorierte sie alle Vernunft und verließ den Pfad.

Der Durchgang war breit, aber niedrig. Lily musste sich bücken und vorsichtig durch dichte Farne vorantasten, die in dem Einlass wucherten. Die Wände waren unglaublich dick; sie musste zwei Schritte machen, um den Eingang hinter sich zu bringen. Obwohl dahinter kein Dach war, brauchten ihre Augen erst einen Moment, um sich an das graue Licht zu gewöhnen, das den irgendwie dunstig wirkenden Raum erfüllte. Tatsächlich bildeten die Wände eine gewaltige Rundung, und Lily fragte sich, ob sie am Ende auf die Überreste eines Gebäudes oder eines alten Wehrturms gestoßen war.

Das Grün, das von außen zu sehen gewesen war, gehörte zu einer riesigen Hecke. Sie reichte bis dicht an die Steinwand heran, war ebenso gerundet wie diese und an die zwei Meter hoch, sodass sie Lilys Gesichtsfeld begrenzte.

Auf den ersten Blick schien diese Pflanze sehr reizvoll. Dunkle Beeren, so groß wie Kirschen, hingen zwischen dichtem Laub, das sich in einem leichten Wind sacht bewegte. Die Äste waren mit Blüten übersät, und die ganze Hecke sah aus wie mit purpurfarbenen Glöckchen dekoriert. Lächelnd trat Lily näher, um eine der Blüten zu pflücken und in ihren Skizzenblock zu legen.

Doch mitten in der Bewegung hielt sie abrupt inne, denn plötzlich gewahrte sie etwas, das ihr Unbehagen bereitete. Die Blüten waren zwar purpurrot, aber der Farbton matt wie der eines Blutergusses. Auch die Blätter wirkten graubraun, und sie waren von dunklen, unheimlich aussehenden Nerven durchzogen, die eine Lebenskraft jenseits der einer normalen Pflanze erahnen ließen. Und bis auf die schwarz leuchtenden Früchte war die gesamte Pflanze von einem kurzen, borstigen Flaum bedeckt, der die Empfindung suggerierte, dass in ihr ein jenseitiges Leben pulsierte.

Lily versuchte, durch die Hecke hindurch zu blicken, doch sie war zu dicht. Die unteren, alten Äste waren zu knorrig und stark, um sie auseinanderzubiegen, und die fleischigen äußeren Triebe hatten die unangenehme Farbe faulender Auberginen.

Von rechts und links lief ein schmaler Pfad auf Lily zu, mit ockerbraunem Moos bedeckt und bemerkenswert frei von Wurzeln oder anderen Hindernissen. Ein paar Schritte weiter bemerkte sie eine Lücke in der Hecke. Sie hätte sie fast übersehen, denn dahinter tat sich wiederum nichts als endloses Grün auf. Lily beugte sich nach vorn und warf atemlos einen Blick hindurch. Zu beiden Seiten führten lange Gänge weg, die weitere Öffnungen aufwiesen, die anscheinend zu noch mehr Gängen führten wie bei einem gigantischen Labyrinth. Sie hatte Bilder von Irrgärten gesehen, als sie im College die europäische Architektur studiert hatte, doch die idyllischen, wunderlichen Labyrinthe in Londoner Gärten waren etwas vollkommen anderes als dies hier. Für einen kurzen Moment glaubte Lily fast, dass dieses Gebilde ein Eigenleben besaß. Es war ganz eindeutig jahrelang vernachlässigt worden, und sie stellte sich vor, dass es so etwas wie eine böse Kraft repräsentierte, die nur darauf wartete, sie zu verschlingen.

Lily schüttelte den Kopf, als könne sie mit dieser Geste die Furcht loswerden, die sie plötzlich ergriff. Sie wollte sich beweisen, dass sie keine Angst hatte. Wenn man ein neues Leben beginnen wollte, dann musste man sich auch ein bisschen auf Abenteuer einlassen können. Und außerdem, welch bessere Gelegenheit würde sich ihr zum Zeichnen bieten als dieser bizarre, beinahe an Bilder von Escher erinnernde Irrgarten direkt vor ihr?

Lily trat durch die Öffnung und kam sich im nächsten Moment vor, als habe man sie in eine vollkommene, geradezu lähmende Stille gestoßen. Sie kämpfte gegen das Gefühl an, von dieser Pflanze vereinnahmt, aufgesogen, eins mit ihr zu werden. Sie hatte die von dem leichten Wind getragenen Vogelstimmen nicht wahrgenommen – so lange, bis deren plötzliches Fehlen nur das Geräusch ihres Atems übrig ließ.

Jetzt stand sie in einem kleinen Raum, dessen Wände diese haarigen Blätter, die dunklen Früchte und die purpurroten Blüten bildeten. Drei Möglichkeiten weiterzugehen eröffneten sich ihr, doch bei allen dreien fiel ihr Blick in dunkle, grüne Gänge, die sich zu weiteren grünen Gängen aufspalteten, die wiederum zu weiteren Gängen führten.

Von dieser verwirrenden Umgebung für einen Moment wie hypnotisiert, wagte Lily einen ersten, zaghaften Schritt in einen der Gänge. Alarmglocken schrillten in ihrem Kopf, doch sie unterdrückte ihr inzwischen andauerndes Unbehagen mit dem Gedanken, dass sie nur ein paar Meter gehen werde, um einen Blick um die nächsten ein oder zwei Ecken zu werfen und dann sofort kehrtzumachen und auf exakt demselben Weg zurückzugehen.

Sie bog nach links ab und dann gleich wieder nach links – genug, um nun vollständig von der gigantischen Pflanze umgeben zu sein. Es war verwirrend. Wo sie auch hinsah, überall war nur Grün in verschiedensten Schattierungen und Öffnungen, hinter denen weitere grüne und noch dunkelgrünere Schatten lagen.

Ein Anfall von Klaustrophobie ergriff Lily. Sie beschloss, dass es an der Zeit war, sofort umzukehren. Rasch versuchte sie, sich das Bild, das sich ihr bot, für eine Skizze einzuprägen, und bog dann zuversichtlich nach rechts und noch einmal nach rechts. Aber anstatt an ihren Ausgangspunkt zurückzugelangen, stand sie nun in einer Art grünen Laube, die sich zu drei Gängen hin öffnete.

»Okay, dies ist keine Katastrophe«, murmelte Lily vor sich hin im Versuch, eine aufsteigende Panik zu unterdrücken. In der nun absoluten Stille war ihr ihre eigene Stimme fast ein Trost. »Ich muss beim ersten Mal an der falschen Stelle nach rechts abgebogen sein, das ist alles.« Sie verfolgte denselben Weg zurück, zweimal nach links, um dort anzukommen, wo sie zum ersten Mal angehalten hatte.

Jetzt flammte heißes Entsetzen in ihr auf. Sie glaubte, ihre Schritte exakt zurückgelenkt zu haben, doch sie stand nun in einer weiteren, größeren Laube, die die immer bedrohlicher aussehende Hecke bildete. Sie sah sich genau um – konnte das ihr ursprünglicher Ausgangspunkt sein? Waren in dem ersten Raum nur drei Öffnungen gewesen? Sie hatte geglaubt, es seien vier gewesen. Wieder versuchte Lily, nach links zu gehen. Dieses Mal wusste sie, dass sie sich völlig verirrt hatte, denn als sie in den Gang lugte, den sie für die zweite Linksabbiegung gehalten hatte, sah sie dort einen wesentlich größeren, rechteckigen Raum, der sich nur zu zwei weiteren Gängen hin öffnete. Entsetzt zog sie den Kopf zurück – sie wusste, dass sie diesen Raum nie zuvor gesehen hatte. Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war, noch tiefer in dieses Labyrinth hineinzugeraten, als sie es bereits war.

»Überleg, Lily, überlege.« Gab es nicht ein physikalisches Gesetz, das man in einer solchen Situation anwenden konnte? Etwa ein Gesetz des Universums, das besagte, wenn man stets nach links abbog, müsse man schließlich zum Ausgangspunkt zurückkommen? Okay, dachte sie, also, ich bin keine Wissenschaftlerin, aber es muss einen anderen Weg geben, sich hier zurechtzufinden.

Sie erinnerte sich an die Irrgärten, durch die sie als Kind immer so gerne gegangen war. Dies verdammte Labyrinth hier konnte doch nicht komplizierter sein als jene von damals! Wie groß war es denn überhaupt wohl, wenn sie es nicht einmal von ihrem Aussichtspunkt oben auf dem Berg gesehen hatte? Sie beschloss, einfach beharrlich und unverdrossen weiterzugehen und dabei irgendwie eine Spur zu hinterlassen. Gewiss würde sie am Ende wieder hinausfinden.

Nach einer weiteren Stunde hatte Lily jegliche Fähigkeit zu überlegen verlassen. Ihr Sinn war nur noch auf eines gerichtet – sich zielstrebig und systematisch, nach einem Muster, ihren Weg durch dieses Labyrinth zu bahnen: einen Gang hinunterzugehen und bei jeder ersten Gelegenheit nach rechts abzubiegen, bis sie in eine Sackgasse gelangte, dann den gleichen Weg zurückzuverfolgen und bei jeder zweiten Möglichkeit nach rechts abzubiegen und so weiter. Zur Markierung ihres Weges scharrte sie immer wieder etwas die Erde auf.

Plötzlich ging es nicht mehr weiter. Sie fand sich in einem Eingang stehen, dem einzigen Eingang zu der bisher kleinsten Laube. Ihr genau gegenüber war eine Nische in die grüne Wand geschnitten, in der eine etwa ein mal einen Meter große, graue Steinmetzarbeit zu sehen war. Lily konnte sich der Künstlerin in ihr nicht erwehren. Sie stand erst wie erstarrt da, und dann bewegte sie sich langsam auf das Objekt zu. Die Nische selbst war längst überwuchert, deshalb musste sie einige Äste beiseite ziehen, um es ganz sehen zu können. Sie erschauderte, als dabei ein Büschel der schweren schwarzen Beeren über ihre Hand streifte.

Das Objekt bestand aus einem sehr harten Stein, wahrscheinlich Granit, dachte Lily. Das überraschte sie, denn es hatte wohl ziemlich ausgefeilter Werkzeuge bedurft, um in solch hartes Material so feine Linien einzuarbeiten. Selbst die alten Ägypter hatten das noch nicht beherrscht. Und dafür, dass die Oberfläche ständig Wind und Wetter ausgesetzt war, war sie erstaunlich glatt. Ein geometrisches Muster zog sich um den Rand des Quadrats, das Lily an den in der altgriechischen Kunst beliebten Zinnenmäander erinnerte. Aber etwa alle zehn Zentimeter war dieses Muster von einem von vielen unterschiedlich gemeißelten Zeichen durchbrochen, die sie für runenähnliche Buchstaben hielt, wie man sie auf dem keltischen Schnickschnack fand, der im Touristenshop auf dem Flughafen von Glasgow verkauft wurde.

Was Lilys Aufmerksamkeit jedoch am meisten erregte, war das Zentrum des Objekts: Figuren in rudimentär gemeißelten Linien, durchsetzt mit tief eingravierten Punkten. Wenn man die Augen zusammenkniff, konnte man sich vorstellen, dass die Linien einfache menschliche und tierische Gestalten darstellten. Hätte Lily raten sollen, dann hätte sie gesagt, sie habe eine uralte Sternenkarte entdeckt. Andererseits würde sich so etwas doch sicher nicht irgendwo draußen befinden, sondern in einem Museum. Nein, dies musste einmal einem reichen, exzentrischen Schotten gehört haben, der mit seinem Garten nichts mehr zu tun haben wollte. Es war eines von diesen Zierstücken für den Garten, die heutzutage im Baumarkt verkauft wurden, ähnlich wie diese dämlichen Wasserspeier.

Aber sie konnte nicht aufhören zu staunen, wie glatt und kalt dieser Stein war. Die Beschaffenheit der Linien legte nahe, dass dies mehr sein musste als eine x-beliebige Gartenstatue. Langsam ließ Lily ihre Finger an den Linien entlang wandern und fragte sich dabei, welche Werkzeuge der Künstler benutzt haben musste, um derart präzise arbeiten zu können. Perfekte Linie. Punkt. Perfekte Linie. Punkt.

Lily war gebannt, selbst wie versteinert. Beginnend in der oberen linken Ecke ließ sie einen Finger langsam über den äußeren Rand des Objekts gleiten und erfühlte das Zinnenmuster mit den Zeichen, die es unterbrachen. Dabei kam ihr der Gedanke, wie es wohl möglich war, dass Menschen ohne Augenlicht lernen konnten, Blindenschrift zu lesen. Sie merkte, dass ihr Finger den Rhythmus dieses Musters allmählich deutlicher erspüren konnte, und dass auch sie, wenn sie sich stärker konzentrierte, imstande war, es mit geschlossenen Augen zu ertasten. Als ihr Finger zur oberen linken Ecke der Tafel zurückkam, begann sie, langsam und systematisch jede Linie und jeden Punkt im Zentrum des Steins zu verfolgen.

Als Lily den Finger auf den letzten Punkt am Ende der letzten Linie legte, wurde sie abrupt aus ihrer Träumerei gerissen. Der Boden unter ihren Füßen bewegte sich. Einen Aufschrei unterdrückend, versuchte sie mit rasenden Gedanken zu erfassen, was passierte. Wieder bebte die Erde. Ungläubiges Entsetzen verzerrte ihre Gesichtszüge, als Lily in einem letzten bewussten Gedanken dachte, wie ironisch es doch war, fern vom erdbebengefährdeten San Francisco während eines Urlaubs in einem Erdbeben umzukommen.

Kapitel 4

»Ich verstehe einfach nicht, wieso du mit einem Mann wie Monk verhandeln willst.«

»Ja, auch dir einen schönen guten Morgen, Onkel.« Ewen warf Donald ein Lächeln zu. Er kannte seinen nörglerischen Onkel nur zu gut und hatte erwartet, dass dem alten Krieger ein Treffen mit dem neuen Führer von Cromwells Armee nicht passen würde.

Aber er schätzte die Tapferkeit und das Wissen seines Onkels – der sich in Ewens frühen Tagen als Lord als unermessliche Hilfe erwiesen hatte –, und so räumte er Donald bei Auseinandersetzungen gerne viel Spielraum ein.

»Der Kerl ist ein Mörder«, fuhr Donald unbeeindruckt von Ewens Versuch zu scherzen fort, »der das Blut der deinen vergossen hat. Du selbst hast doch dem Grafen von Glencairn mehr als zwanzig Männer der Camerons geschickt, um sich gegen diese Commonwealth-Hurensöhne zu erheben, oder hast du das schon vergessen? Er ist ein Teufel, dieser Mann, deshalb tragen sie auch diese roten Röcke!«

»Ihr mögt mein Onkel sein, aber Ihr seid nicht der Lord. Sir.« Ein schelmisches Funkeln in Ewens Augen verhinderte, dass die gereizte Stimmung des Wortwechsels in wirklichen Ernst umschlug. »Ich werde die Vernichtung, die er und seine blutrünstigen britischen Lakaien über die Highlands gebracht haben, nie vergessen. Wir bedauern es beide, dass wir nicht bei der Schlacht von Worcester dabei waren, bei der so viele Schotten fielen, oder hast du das schon vergessen?«

»General Monk, oh!«, fauchte Donald angewidert. »Der Mann hat keine Ehre. Ich gelobe dir, mein Junge, ich werde es wiedergutmachen, dass ich in Worcester nicht an der Seite meiner Brüder stand.« Seine Stimme dröhnte zunehmend vor Wut und hallte in dem leeren, steinernen Flur wider. »Abscheulicher Monk! Er ist langsam wie ein altes Handelsschiff, egal, wie der Wind steht, was? Und hinterlässt überall, wohin er kommt, Witwen und Waisen. Wenn er überhaupt jemanden am Leben lässt.«

»Onkel, bei allem Respekt.« Ewen hielt inne und wandte sich dem jähzornigen Älteren zu, bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren. »Ich bin Lochiel, ja? Und als solcher muss ich tun, was für den gesamten Clan das Beste ist. General Monk mag träge und ein Halunke sein, aber er hat um eine Audienz gebeten, und ich werde mir anhören, was er zu sagen hat.«

»Ja, wenn er dir nicht vorher einen Dolch in den Rücken stößt«, brummte Donald.

»Nun, auch meiner Meinung nach ist er nicht mehr als ein gewöhnlicher Räuber, aber wenn mit ihm zu verhandeln Frieden für die Highlands bedeuten kann, dann werde ich das tun.«

Nach einer Weile nickte Donald energisch. Sein narbiges Gesicht verzog sich zu einem Knäuel von Falten, das wesentlich mehr wie ein Lächeln ausgesehen hätte, wenn ihm nicht mehrere Zähne gefehlt hätten. »Ich vermute, du hast recht, Junge.«

Nicht an derartige emotionale Ausbrüche gewöhnt, setzte er jedoch sogleich wieder seine übliche griesgrämige Miene auf. »Aber sobald Monk Farbe bekennt, mache ich ihn eigenhändig nieder, ja?«

»Gut, Onkel.« Ewen klopfte seinem Begleiter anerkennend auf den Rücken. »Können wir dann aufbrechen, oder willst du erst noch mehr loswerden?«

Donald schüttelte noch immer den Kopf, als sie auf den Hof kamen, wo sie von Stallburschen erwartet wurden, die die Zügel dreier Pferde bereithielten. Der Lord war stolz auf sein Geschick mit Pferden, und auch wenn sein Hengst Ares nicht gerade eine Augenweide war, so war er doch das zuverlässigste und mutigste Streitross, das Ewen je gehabt hatte. Er war vollständig schwarz bis auf eine rote Socke am rechten Hinterlauf, die die Farbe von geronnenem Blut hatte. Ewen hatte diese Zeichnung immer als Glücksbringer für ein Streitross betrachtet. Ares‘ Schnauze war breit und mit zahlreichen schwarzen Narben übersät, die matt glänzten und von überstandenen Schlachten zeugten.

Als Ewen und seine Begleiter auf dem letzten Hügel standen und auf Loch Garry und das zerklüftete Land unter ihnen blickten, waren es nur noch einige Stunden bis zum Ende des Tages. Der See war klein im Vergleich zu anderen im Hochland, aber dennoch war dies ein fantastischer Anblick. Das im Licht des späten Nachmittags silbern glitzernde Wasser mäanderte durch eine wilde Landschaft voller Gebüsch und spärlicher immergrüner Pflanzen, die in den Horizont hineinragten. In der Ferne hielten die niedrigen, zerklüfteten Gipfel von Knoydart stumm Wache. Eingehüllt in grauen Dunst wirkten sie noch öder als sonst.

Ewen hielt stirnrunzelnd inne. Er hatte schon früher beträchtliche Kontingente kämpfender Männer beobachtet, doch die Ansammlung dort unten im Tal bereitete ihm großes Unbehagen.

Er hatte in seinem Leben auch schon zahlreiche Scharmützel angeführt, Seite an Seite mit Männern seines Clans oder Verbündeten gekämpft, und sie waren immer ein bunter Haufen gewesen. Die größeren Schlachten gegen die Rotröcke hatten immer wie ein Patchwork von Tartans in allen Farben und Mustern gewirkt.

Schotten, jung und alt, mit Muskete, Breitschwert, Pike oder Pfeil und Bogen bewaffnet, zählten zu den Kämpfern seines Clans. Einige waren beritten, andere zu Fuß, und auch ihr Aussehen war höchst unterschiedlich. Manche trugen frische Leinenhemden, feine Wolljacken, enge Hosen aus Karostoff und ihre typischen Bonnets. Andere sahen wild und verwegen aus. Sie rannten zu Fuß in die Schlacht und ließen die Haare ungebändigt im Wind flattern.

Ewen hatte immer seinen Tartan bevorzugt, einen unverkennbaren Plaid in Rot und Grün, den er mit glühendem Stolz trug.

Doch was er dort unten im Tal sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren, und das nicht etwa aus Angst vor dem Heldenmut der Rotröcke. Seit er Lord war, hatte Ewen schon mehr als nur ein paar britische Regimenter besiegt. Was ihn jedoch beunruhigte, war der Anblick dieser gut geölten Maschinerie aus namenlosen, in Rot gewandeten Burschen – zu gut ausgestattet, aber zu schlecht ausgebildet, alle mit Gewehren bewaffnet, die zu laden so lange dauerte, dass es an Selbstmord grenzte, sie gegen wütende Breitschwerter und Schilde aus den Highlands antreten zu lassen. Wer waren diese jungen Männer, die alles opferten und von den britischen Generälen lediglich benutzt wurden wie ein Werkzeug, das man gebrauchte und dann fallen ließ? Ein Highlander zu sein, das hieß, Krieger zu sein, doch es war auch gleichbedeutend mit Clan und Land – und einer stolzen, edlen Herkunft, für die jeder Mann bereit war, sein Leben zu opfern. Aber diese Jungen in ihren schneeweißen Hemden und Kniebundhosen, wussten sie überhaupt, wofür sie kämpften?

Ewen hoffte, heute mit Cromwells General Monk einen Frieden aushandeln zu können. Nicht, dass er den Kampf gefürchtet hätte.

Oft hatte er inmitten eines Scharmützels gebetet – nicht um Mut, sondern um Gottes Vergebung zu erbitten, denn er zog nicht nur gerne in die Schlacht, sondern geradezu mit Begeisterung, um Ungerechtigkeiten, die man seinem Volk angetan hatte, hundertfach zu rächen.

In seinem Innersten gab es jedoch etwas, das ihm mehr Sorgen bereitete als jede Schlacht: Was immer sich heute auch ereignen mochte, die Kämpfe würden weitergehen. Noch mehr Highlandblut würde fließen, noch mehr Highlandrinder gestohlen und Ackerland verwüstet werden, und noch mehr Politisiererei von Männern wie Monk würde das Schicksal von jungen Burschen bestimmen, die ihren Müttern entrissen und mit dem Tod konfrontiert würden, ob sie nun Tartans trugen oder einen roten Rock.

Und bei Gott, Ewen würde an vorderster Front streiten, mit wildem Kampfgeist im Gesicht, und der Claymore würde mit aller Gewalt auf jeden niedergehen, der sich gegen seine Highlands stellte.

»Also gut«, knurrte er mit tiefer Stimme. »Es ist an der Zeit.«

»Und welches Zelt, glaubst du, ist das des guten Generals?« Robert, der Stiefbruder des Lords, ritt an seine Seite und entschärfte die Situation mit treffendem Sarkasmus, der für den ruhigen Bücherwurm eigentlich ganz uncharakteristisch war. General Monks Zelt hob sich nämlich auf geradezu spektakuläre Weise von der spärlichen Ausstattung des restlichen Lagers ab.

Es war groß genug, um ein Dutzend Männer stehend aufzunehmen, und aus bestem, mit Paraffin behandeltem Leinen gemacht, damit es den feuchten Nebeln und dem Regen der Highlands widerstand. Den Eingang schützte ein großer Vorbau, unter dem Monk oder seine Wachen den Elementen trotzen konnten.

Ewen und seine Männer banden ihre Pferde fest und stiegen zu dem Lager im Tal hinab. Sie zogen dabei die Blicke vieler junger Rotröcke auf sich, die Waffen reinigten, Kochfeuer unterhielten oder einfach nur in Gruppen herumsaßen und große Schlucke aus zerbeulten Metallbechern nahmen, die mit irgendeinem Fusel gefüllt waren.

Rauch hing dick und grau in der Luft, doch selbst er konnte nicht den unverkennbaren Geruch Hunderter Männer vertreiben, die sich dicht in ihren Quartieren drängten. Die Soldaten mussten sich mit kleinen, in Reihen ausgerichteten, aber eng aneinander gepferchten Zelten begnügen, deren einst steifes Segeltuch schlaff durchhing, völlig verschmutzt und vom unerbittlichen Nieselregen der Highlands mit Stockflecken übersät war.

Als die Camerons durch das Lager schritten, waren aller Augen auf sie gerichtet. Der Lord führte seine Männer absichtlich auf gewundenen Wegen durch das Camp, um ihnen einen Eindruck davon zu verschaffen, wie sich der Feind eingerichtet hatte.

Ewen war nachdenklich. Scheinbar ohne auf die starren Blicke der Rotröcke zu achten, riss er bedächtig Blätter und Zweige von einem Stöckchen ab und schien in seine Gedanken vertieft. Doch jeder, der ihn näher kannte, wusste, dass ihm kein Detail des Lagers entging.

Vor Monks Zelt saß ein Wachmann und hielt gerade seinen Nachmittagsschlaf, die Augen teilweise von seiner verrutschten Perücke verdeckt.

Der Lord stieß ihm das Stöckchen zwischen die Rippen. »Es freut mich ja, dass du deine Unterbringung bequem findest«, murmelte er boshaft, als der Rotrock entsetzt die Augen öffnete.

Die geröteten Wangen des Mannes bebten. »Wa...?«, stammelte er. »Bitte, tun Sie mir nichts, Sir! Wa-was wollen Sie denn?«

»Wir sind hier, um den General zu sprechen.« Ewen warf den Stock weg, trat vor und öffnete den dünnen Vorhang vor dem Eingang des Zelts. »Ich nehme an, er ist hier drinnen«, fuhr er mit einem abschätzigen Blick auf den Rotrock fort.

Der Soldat erbleichte, und als sich Ewen umdrehte, sah er eine stämmige, herrschaftliche Gestalt im Eingang stehen.

»Was hat das zu bedeuten?« Der Mann richtete seine Frage an den Wachposten, ohne die Camerons im Geringsten zu beachten.

Der Rotrock war inzwischen aufgestanden. Einer der Knöpfe seiner zu engen Uniformjacke hatte sich während des Schlafens geöffnet, und nun klaffte sie über seinem Bauch weit auseinander.

»General Monk, nehme ich an?«

Der Mann antwortete mit einem kaum merklichen, hochmütigen Nicken.

»Ich bin Ewen Cameron, siebzehnter Captain und Oberhaupt des Clans Cameron. Das ist Donald, der Bruder meines verstorbenen Vaters. Und dies mein Stiefbruder Robert Mac-Martin.« Die beiden Männer nickten dem General zu, als ihre Namen genannt wurden.

»Ihr habt um eine Audienz gebeten, und so sind wir also gekommen, nicht wahr?« Mit seinem unbekümmerten Ton ging Ewen über die Spannung des Augenblicks hinweg.

General Monks Zelt war besser ausgestattet als so manches Cottage in den Highlands. Auf einer Seite des Raums brannte ein kleines Feuer, dessen Rauch durch einen kupfernen Schornstein durch das Dach geleitet wurde. Davor standen zwei mit Leder bezogene Stühle, zwischen diesen ein Tischchen mit einem halb zu Ende gebrachten Schachspiel. In der Ecke befand sich eine große Schlafstelle mit einem ganzen Berg von Fellen darauf.

Der Lord schritt langsam in dem Zelt herum und inspizierte es sorgfältig. »Nun, sollen wir gleich zum Geschäft kommen? Ich habe keine Lust, mich hier länger als nötig aufzuhalten.«

Ewen hielt einen Moment inne, um das Schachspiel zu studieren, und begegnete dann langsam Monks Blick. »Sagt mir, weshalb Ihr uns sprechen wolltet und was Ihr von den Männern von Cameron wollt.«

Der General benahm sich mit einer geschliffenen Eleganz, der Ewen sofort misstraute.

Er war nicht wie ein Soldat gekleidet, sondern wie ein britischer Adeliger.

Ewen taxierte ihn mit einem Blick und schätzte, dass seine Perücke, die goldenen Knöpfe an seinem Mantel und seine seidenen Kniestrümpfe wohl mehr kosteten, als ein Mann seines Clans, der das Land bestellte, in einem ganzen Jahr verdienen konnte. Feine, unglaublich weiße Spitze umrankte sein Gesicht und lugte unter den Ärmeln seines blauen, mit hauchdünnem Goldfaden bestickten Rocks hervor. Seine Adlernase ragte als scharfer Kontrast aus dem wabbeligen Gesicht. Obwohl er schon Anfang Fünfzig war, hatte er ein würdevolles Auftreten und für sein Alter und seine beleibte Gestalt offenbar ein ungewöhnliches Selbstvertrauen, was seine Ausstrahlung betraf. Ewen konnte sich vorstellen, dass er die Aufmerksamkeit so mancher Lady und den Zorn so manch jungen Lords auf sich ziehen konnte.

»Zum Geschäft kommen nennt Ihr das also. Aber natürlich, Ewen Cameron, siebzehntes Oberhaupt des Clans Cameron.« Monk warf ihm ein leicht schmieriges Lächeln zu.

»Wie ich sehe, seid Ihr für die Schlacht gekleidet, General.«

Monks modische Aufmachung konnte angesichts der vielen Rotröcke, die sich direkt vor seinem Zelt kampfbereit hielten, nur überraschen.

»Touché! Und Ihr könnt ruhig Monk zu mir sagen, Ewen. Es macht Euch doch nichts aus, wenn ich Euch mit dem Vornamen anspreche, oder?«